Der ISLAM hat den orient ERMORDET

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    Re: Der ISLAM hat den orient ERMORDET

    Anonymous - 23.06.2007, 22:21

    Der ISLAM hat den orient ERMORDET
    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/forschungundgesellschaft/614682/

    ''Der Islam hat den Orient ermordet...''

    Neue kulturwissenschaftliche Studien zum Orientalismus
    Von Rolf Cantzen

    Unter dem Begriff Orientalismus eröffnete Edward Said Ende der 1970er Jahre eine wissenschaftliche Diskussion über die Rolle von Orientalistik, Literatur und Kunst im Dienste der Beherrschung und Ausbeutung des Orients. Kultur- und Sozialwissenschaftler griffen seine Untersuchungen und Thesen auf und überprüfen sie im Kontext postkolonialer Studien und der Rassismusforschung auf ihre Bedeutung für gegenwärtige Gefechte.
    Deutlich wird, dass die scheinbar "neuen" kritischen Äußerungen über den Islam an die älteren "orientalistischen" Diskurse anknüpfen können und die alten Bilder vom Orient, Stellung der Frau, Kopftuch, Grausamkeit, Glaube, sich im neuen antiislamischen Rassismus wiederfinden.

    Forschung und Gesellschaft 21.06.2007
    ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
    Der Islam hat den Orient ermordet
    Neue kulturwissenschaftliche Studien zum Orientalismus
    Von Rolf Cantzen
    Deutschlandradio Kultur 2007


    Im Originalton:
    Dr. Almut Höfert, Historikerin, Universität Basel
    Dr. Andreas Pflitsch, Arabist, Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
    Prof. Dr. Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler, Universität Bern

    ________________________________________________________________

    (Geräusch: Kirchenglocken)

    Zitator 1:
    Zeig mir doch, was Mohamed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.

    Erzählerin:
    Papst Benedikt XVI. sagte dies während einer Vorlesung, die er am 12. September 2006 in Regensburg hielt. Doch handele es sich dabei nicht um seine Meinung, sondern nur um das Zitat eines byzantinischen Kaisers aus dem Mittelalter, ließ der Papst nachträglich versichern. Außerdem bedauere er es zutiefst, Missverständnisse ausgelöst zu haben.

    (Geräusch: Kirchenglocken)

    Zitator 2:
    Es gibt unter dem Himmel keine schimpflicheren, grausameren und frecheren Bösewichter als die Türken, welche kein Alter und Geschlecht schonen und ohne Barmherzigkeit Jünglinge und Greise niedermetzeln und die aus dem Schoß der Mütter noch unreife Frucht herausreißen...

    Erzählerin:
    Papst Calixt III. verkündete im Jahre 1456: Zur Abwehr der Türken sind jeden Mittag die Glocken zu läuten. Dabei sollen die Gläubigen um göttlichen Beistand gegen die vorwärtsdrängenden Türken beten.

    (Geräusch: Kirchenglocken.)

    Zitator 2:
    Gott hat keinen Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.

    Erzählerin:
    Das ist wiederum ein Zitat, das der heutige Papst in seine Argumentation einbindet. Dann zitiert er noch jemanden, der jemanden zitiert, nämlich einen „Islamologen“, der die absolute Transzendenz des islamischen Gottes feststellt. So ist folgende Konstruktion ablesbar:

    Zitator 1:
    Auf der einen Seite...

    Erzählerin:
    „der abendländischen, christlichen Seite:

    Zitator 1:
    „Vernunft, griechische Philosophie, Hellenismus, göttlicher Logos, christlicher Gott und christlicher Glaube.

    Erzählerin:
    Dem gegenüber auf der anderen Seite:

    Zitator 1:
    Der absolut transzendente Gott des Islam. Sein Wille ist nicht an die Vernunft gebunden. Er ist ein Gott, der den bloßen Glauben fordert, der sich nicht verpflichtet hat, die Wahrheit zu offenbaren.

    Erzählerin:
    Papst Benedikt XVI. komplettierte die Gegenüberstellung mit einer kurzen Erörterung des Djihad, des heiligen Krieges.
    Schnell wird klar: Der Djihad gehört auf die „andere“ Seite, nicht auf die Seite des christlichen Abendlandes und der Vernunft. Die harte Dichotomie mildert der Papst, indem er kritisch vermerkt, auch innerhalb christlicher Theologie habe es „Enthellenisierungsprogramme“ gegeben, und er plädiert für eine „Weite der Vernunft“.

    Zitator 1:
    In diesen großen Logos, in diese Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein.

    Erzählerin:
    Ob sich die anderen eingeladen fühlen, nachdem sie zuvor - ein wenig hinter Zitaten versteckt - mit den alten Stereotypen der Irrationalität und Grausamkeit markiert worden sind, bleibt fraglich.

    Dr. Andreas Pflitsch, Arabist
    Im Zusammenhang mit diesen Äußerungen des Papstes hat sich genau diese Konstellation wieder verdichtet und wiederholt und auch in der Reaktion darauf natürlich. Dadurch, dass die arabische Welt gegen diese Äußerungen protestiert hat, hat sie sich zum einen gegen ein Bild gewandt, was der Westen immer von der arabisch-islamischen Welt hatte, und zum anderen paradoxerweise auch bestätigt. Dadurch, dass die Proteste in Gewalttätigkeit umschlugen etwa auch im Zusammenhang mit den Karikaturen in Dänemark oder eben auch im Zusammenhang mit der Papstrede, war zugleich Protest gegen dieses Bild des Gewalttätigen und eine Bestätigung.

    Erzählerin:
    Der Arabist Andreas Pflitsch arbeitet am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung und hat ein Buch mit dem Titel "Mythos Orient" geschrieben. Er analysiert die verschiedenen Orient-Diskurse, auch ihre enge Verflechtung mit dem, was der Okzident, also die abendländischen Kulturen, unter Islam verstehen.

    Dr. Andreas Pflitsch, Arabist
    Der Orient war und ist immer das Gegenüber von "uns", was auch immer "wir" dann sind und darstellen, wie dieses "wir" auch immer definiert ist.
    Ob es eine abendländische Christenheit ist oder ein freier Westen oder eine europäische „Wertegemeinschaft „ immer ist der Orient das Gegenüber.
    Und je nachdem, wie man sich selber definiert, definiert man auch das Gegenüber als das ganz andere und meistens eben in Gegensatzpaaren wird das dann dargestellt.

    Erzählerin:
    Andreas Pflitsch und andere Wissenschaftler schließen mit ihren neuen Forschungen an eine Studie an, die Edward Said 1978 unter dem Titel „Orientalism“ publizierte. Seine zentrale These: Der "Orientalismus", also die Werke von Künstlern, Philosophen, Wissenschaftlern, Musikern, Schriftstellern und Reisenden über den "Orient", "konstruieren" den Orient geradezu als das andere, als das Gegenbild des Westens:

    Zitator 1:
    Der Orientalismus sollte als ein Zeichen europäisch-atlantischer Macht über den Orient verstanden werden und nicht als ein wahrheitsgemäßer Diskurs über den Orient.

    Erzählerin:
    Der "orientalisierte Orient" basiere, schrieb der 2003 verstorbene palästinensisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Said...

    Zitator 1:
    ...auf einem konstruierten Korpus von Theorie und Praxis, in den, viele Generationen lang, beachtliches Material investiert wurde.

    Erzählerin:
    Das heißt, die Berichte, Dramen, Opern, Gemälde - auch das allgemeine Denken und Fühlen über den Orient - sind Projektionen, Angst- oder Wunschbilder. Diese Gegenbilder stabilisieren die Bilder von der eigenen Kultur, der eigenen Religion und des eigenen politischen Systems, sie vermitteln eine kollektive Identität und reklamieren nicht selten einen Dominanzanspruch.

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Lange Zeit hat man die Saidsche These sehr positiv rezipiert. Vor allem in den 80er Jahren war es schon fast eine revolutionäre Wende innerhalb der Kulturwissenschaften, die durch diese Orientalismuskritik ausgelöst worden ist.

    Erzählerin:
    Reinhard Schulze ist Islamwissenschaftler an der Universität Bern. Er kritisiert an Said, dass er gelegentlich plakativ vorgehe, in historischen Details ungenau sei und dass ihm in seinen ideengeschichtlichen Ausführungen Fehler unterliefen. Dennoch: Saids zentrale Kritik am Orientalismus ist stichhaltig - auch und gerade heute.

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Heute spielt er vor allen Dingen eine Rolle darin, zu erklären, warum die muslimische Welt oder die orientalische Welt, wenn wir es plakativ sagen wollen, aus einer Art Gemeinschaftsmodell der Welt ausgeschlossen wird, warum also dem Orient immer eine spezifische Rolle zugewiesen wird, so
    dass man so Konstrukte aufbauen kann: Europa gegen den Islam, so dass man immer solche Dichotomien hat, die sich gegenseitig zu erklären scheinen. Da spielt der Orientalismus noch heute eine wesentliche Rolle.

    Erzählerin:
    Nicht nur die Fragestellungen, auch die wissenschaftlichen Fachbereiche haben sich entlang traditioneller Konstruktionen von Orient und Okzident organisiert. Ein Beispiel: Gegenstand der Geschichtswissenschaft ist das christliche, europäische Mittelalter, Gegenstand der Islamwissenschaft ist das muslimische Mittelalter. Diese Aufteilung betont das Trennende und vernachlässigt das Gemeinsame.

    Dr. Almut Höfert
    Das heißt, man ist in zwei verschiedenen Kontexten der Forschung, wo auf beiden Seiten gesagt wird, das muss getan werden und das hat sich tatsächlich geändert, dass in letzter Zeit verstärkt auch in der Mittelalter-Forschung, in der ich jetzt mehr tätig bin, gesagt wird, ja, wir müssen jetzt auch transkulturelle Fragestellungen bearbeiten. Das Problem ist, dass wir auf Grund dieser starken Fächertrennung wenig Leute haben, die das machen können, dass es noch ein ganz neues Gebiet ist und daher wirklich noch erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Ich sehe das jetzt selbst, also, ich versuche, einen Vergleich des islamischen Mittelalters mit dem christlichen Mittelalter zu machen, und dafür musste ich jetzt erst einmal mein Arabisch auf den Punkt bringen, das ist schon einmal eine ganz große Hürde, die sprachliche Hürde.

    Erzählerin:
    Die Historikerin Almut Höfert von der Universität Basel, derzeit Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin, forscht zum Wandel des Islambildes. Trotz religiöser Konkurrenz gab es einen zeitweise engen kulturellen Austausch.

    Zitator 2:
    Ein Beispiel: Der mehrfach mit dem päpstlichen Bann belegte Friedrich II. von Hohenstaufen - er regierte 1212 bis 1250 - hatte seinen Hof in Sizilien, kleidete sich aber wie ein Araber. Die offizielle Sprache am Hof des Kaisers war ebenfalls Arabisch. Er korrespondierte mit arabischen Gelehrten. Alles das hinderte ihn nicht, in einem Kreuzzug Jerusalem zu erobern.
    Auch in Spanien und Portugal gab es Zeiten eines friedlichen Mit- und Nebeneinanders von Christen und Moslems.

    Erzählerin:
    Mit dem "Dialog der Kulturen" war es zu Ende, als 1453 Konstantinopel von den Osmanen erobert wurde.

    Dr. Almut Höfert
    In der christlichen Heilsgeschichte hatte Konstantinopel einen sehr wichtigen Stellenwert, weil das Byzantinische Reich, das alte Oströmische Reich, das als das zweite Rom galt. Und in der mittelalterlichen Heilsgeschichte gab es die Vorstellung, dass Geschichte mit der Schöpfung Gottes anfängt und dann eine Abfolge von vier Weltreichen hat. Das waren Babylon, Persien, Griechenland unter Alexander dem Großen und dann das Römische Reich. Und es wurde gesagt, das Römische Reich ist das letzte der vier Weltreiche in der Geschichte, und wenn es zu Ende geht, wird der Antichrist kommen und die Welt zerstören, die Christen verfolgen, bevor dann Christus den Antichrist besiegt und das letzte Gericht stattfindet.

    (Geräusch: Kirchenglocken.)

    Zitator 2: Es gibt unter dem Himmel keine schimpflicheren, grausameren und frecheren Bösewichter als die Türken...

    Erzählerin:
    ...und so weiter. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts wurde kirchlicherseits ideologisch aufgerüstet.

    Dr. Almut Höfert
    Das zweite, was in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt, ist, dass Johannes Gutenberg 1454 seine Druckerpresse zum Durchbruch gebracht hat, und mit gedruckten Texten veränderten sich die Kanäle der Kommunikation ganz grundlegend. Also, es war jetzt eine viel dichtere Kommunikation möglich. Und was auch wenig bekannt ist, das erste Produkt aus Gutenbergs Druckerpresse war gar nicht die Bibel, sondern eine achtseitige Druckschrift gegen die Türken, ein Aufruf zum Krieg gegen die Türken.
    (Geräusch: Kirchenglocken.)

    Zitator 2:
    ...als die Türken, welche kein Alter und Geschlecht schonen und ohne Barmherzigkeit Jünglinge und Greise niedermetzeln...

    Erzählerin:
    Die dichotomen Konstruktionen von Islam und Christentum gewannen an Sprengkraft, da Europa als geografische Heimat des Christentums heilsgeschichtliche Bedeutung zugeschrieben wurde.

    Dr. Almut Höfert
    Europa war bis zu dem Zeitpunkt eine eher unwichtige geographische Kategorie. Das sieht man auf den mittelalterlichen Weltkarten sehr schön.
    Jerusalem ist das Zentrum, dort, wo die Heilsgeschichte auch zu Ende gehen wird, wo Christus wieder erscheinen wird. Und nun, mit dieser Türkengefahr, verändert sich das. Es wird nun gesagt, dass die Christenheit in fremden Ländern, also in Asien und Afrika, schon früher bedroht worden ist, aber jetzt auf dem ureigensten Territorium der Christenheit bedroht wird, nämlich Europa. Das heißt, in dieser Zeit wird der Europabegriff politisch aufgeladen und theologisch eben mit dieser bedrohten Christenheit verbunden. Und das ist eine sehr machtvolle Verbindung gewesen, und daraus erklärt sich auch, warum die Türkei heute auf ideologische Widerstände stößt, wenn sie der Europäischen Union beitreten möchte. Das ist in diesem Kontext der Türkengefahr, dass der Europabegriff überhaupt erst politisch eingeführt wurde.

    Erzählerin:
    Konstruktionen, die sehr nachhaltig wirken. Auf der einen Seite:

    Zitator 1:
    Das vernünftige, aufgeklärte, friedliche demokratische, an christlichen Werten orientierte Europa.

    Erzählerin:
    Auf der anderen Seite:

    Zitator 1:
    Die irrational Gläubigen, die Unaufgeklärten, Despotischen...

    Dr. Almut Höfert
    ...und dann schafft man es noch zu sagen, dass der Islam die gewalttätige Religion ist, mit den zwei Weltkriegen, die von Europa ausgingen, mit Völkermord, der maßgeblich eben auch mit dem Holocaust, eben von hiesigem Boden ausging. Ich will jetzt nicht sagen, dass der Islam kein Gewaltpotential hat, aber ich habe doch sehr stark den Eindruck, dass das eine Verdrängung ist, eine Auslagerung in das andere, um die eigene gewalttätige Vergangenheit etwas abzuflachen. Das hat eine lange Tradition eben darin, dass der Islam durchgängig als Negativbild des Eigenen gesehen wurde.

    Erzählerin:
    Die Konstruktion des Orients basiert nicht nur auf eindeutig negativen Bildern. Es gibt auch den exotischen Orient, den erotischen Orient des Harems, den Orient, den europäische Männerphantasien produzierten. Auch dieser Orient ist ein Gegenbild und unlösbar verbunden mit negativen
    Zuschreibungen.

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Das macht wahrscheinlich auch gerade den Kick des Orientalismus aus, dass man auf der einen Seite all seine produktiven positiven nicht ausgelebten Phantasien auf diesen Raum projizieren kann und auf der anderen Seite aber auch all seine Ablehnungsstrategien auf diesen Raum projizieren kann. Also, man kann sagen, dieser Raum ist faszinierend, aber auch gleichzeitig abstoßend. Und diese Doppeldeutigkeit, die der Orient in dieser Imagination eines Orientalismus sozusagen des 18. und 19. Jahrhunderts erfüllte, machte genau die Sprengkraft dieses Begriffes aus.

    (Musik Mozart: Eine Entführung aus dem Serail. 1. Akt "Singt dem großen Bassa Lieder")

    Erzählerin:
    Zum 100. Jahrestag des Sieges über die Türken beauftragte der österreichische Kaiser Wolfgang Amadeus Mozart mit der Komposition einer "Türkenoper". Türkenopern erfreuten sich im 17. und 18. Jahrhundert großer Beliebtheit; mehr als 50 kamen zur Aufführung. Die Stoffe ähnelten einander: Es ging um grausame Türken und lüsterne Sklavenhalter. Vor allem aber beschäftigte der Harem mit seinen verführerischen und folgsamen Orientalinnen die Phantasien des prüden, christlichen, Abendlandes.

    (Musik: Mozart: Eine Entführung aus dem Serail. 2. Akt, Dialog: "Mit einem Wort, du musst noch heute in den Harem." "In den Harem“ Glaubst du alter Mohrkopf, eine türkische Sklavin vor dir zu haben, die bei deinen Befehlen zittert“ Oh, da irrst du dich. Europäischen Mädchen begegnet man ganz anders." Musik setzt ein.)

    Erzählerin:
    Selim Bassa, ein mächtiger türkischer Pascha, hat die in türkische Gefangenschaft geratene Konstanze nebst Anhang als Sklavin gekauft und will sie seinem Harem einverleiben. Doch europäische Mädchen sind nicht schicksalsergeben und gehorsam. Der Typ des grausamen, rachsüchtigen, brutalen Orientalen repräsentiert in Mozarts Oper der Haremswächter Osmin:

    (Musik: Mozart: Eine Entführung aus dem Serail. 3. Akt, Osmin "Erst geköpft ...")

    Zitator 1:
    Erst geköpft, dann gehangen, dann verbrannt, dann gebunden, dann getaucht, zuletzt geschunden.

    Erzählerin:
    So schlimm wird es dann doch nicht. Nach fehlgeschlagenem Befreiungsversuch kommen alle frei, dank des Großmuts von Selim Bassa. Doch, und das ist der Clou an der Geschichte, Selim Bassa ist gar kein "richtiger" Türke, er entpuppt sich als Europäer: Er ist lediglich zum Islam übergetreten und hat es in der Türkei zu Macht und Reichtum gebracht.

    (Musik: Mozart. Eine Entführung aus dem Serail. 3. Akt, "Wer dieses nicht erkennen kann, den seh' man mit Verachtung an")

    Erzählerin:
    Aber es gibt auch edle Prinzen und aufgeklärte Sultane in den Geschichten von Tausendundeiner Nacht, ein Forschungsgebiet des Arabisten Andreas Pflitsch:

    Dr. Andreas Pflitsch, Arabist
    Die Begeisterung von "Tausendundeiner Nacht" hat keine Entsprechung in der arabischen Welt. Es gibt nicht das eine Werk. Es gibt verschiedene Überlieferungen, verschiedene Handschriften, die dann die Grundlage bildeten für Übersetzungen. Und da gibt es das Phänomen, dass die Übersetzer von „Tausendundeiner Nacht“ das Bedürfnis hatten, die Tausendundeine Nacht auch voll zu bekommen und diese Zahl wörtlich zu nehmen, obwohl sie eigentlich symbolisch für ganz besonders viel steht. Und diese Übersetzer waren dann auf der Suche nach weiteren Märchen, seien es Handschriften oder Gewährsleute aus der arabischen Welt, die ihnen dann Märchen erzählt haben. Und teilweise muss man sagen, ging das so weit, dass die Übersetzer mit ihren Gewährsleuten neue Geschichten dazu erfanden, für die es bis heute keine arabischen Handschriften gibt, die aber heute in den arabischen Ausgaben wieder auftauchen, als Zurückübersetzungen aus dem Französischen beispielsweise.

    Erzählerin:
    Kurzum: Auch die arabischen Ausgaben von "Tausendundeiner Nacht" sind keinesfalls genuin arabisch. Sie sind phantasievoll angereicherte europäische Bearbeitungen, teilweise von den Herausgebern sogar selbst verfasste Geschichten. Noch heute reproduziert sich auf diese Weise der exotische Orient. Den Höhepunkt der Orientbegeisterung bildete das frühe 19. Jahrhundert. Victor Hugo schrieb 1829:

    (Musik: Rabih Abou-Khalil: Arabian Walz.)

    Zitator 2: Man beschäftigt sich jetzt weit mehr mit dem Orient als je zuvor. Früher war man Hellinist, jetzt ist man Orientalist...

    Erzählerin:
    ...und das war auch reizvoller. Die Schriftsteller des 19. Jahrhunderts waren begeistert von der Möglichkeit, ihre Phantasien, vor allem ihre Sexualphantasien, auf den Orient zu übertragen und ihnen dort freien Lauf zu lassen. "Orientalisten" flüchteten vor der repressiven Sexualmoral des Abendlandes in "ihren" Orient. Einige, unter ihnen Gustave Flaubert, begnügten sich nicht mit Phantasiereisen, sondern begaben sich tatsächlich in den Orient - Flaubert 1849.

    Zitator 2:
    Du fragst mich...

    Erzählerin:
    ...so Flaubert in einem Brief an seine Mutter...

    Zitator 2:
    Du fragst mich, ob der Orient das Bild erfüllt, das ich mir von ihm gemacht hatte. Ja, er tut es, und mehr als das: Es ist, als fände ich plötzlich alte vergessene Träume.

    Erzählerin:
    Und welche Träume waren das“ Die aus 1001 Nacht, die von der verführerischen Orientalin - in Gestalt der arabischen Kurtisane Ruchiouk.

    (Musik: Bill Ramsey: "Die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe")

    Zitator 2:
    ...ihre Haut ist leicht kaffeebraun. Ihre Augen sind schwarz und übergroß, ihre Brauen schwarz, breite, feste Schultern, üppige Brüste...

    Erzählerin:
    Und sie tanzt nur für ihn, für Gustave Flaubert...

    Zitator 2:
    ...ihr Tanz ist ungestüm, sie quetscht den Busen so kräftig in die Jacke, dass ihre zwei bloßen Brüste ganz fest gegeneinander gepresst sind; die rechte Hand trommelt und markiert den Rhythmus...

    Erzählerin:
    Die Kurtisane lässt einen Schleier nach dem anderen fallen“

    Zitator 2:
    Einmal entblößt, behält man lediglich ein Tuch, mit dem man so tut, als wolle man sich dahinter verstecken, um es schließlich wegzuwerfen; darin besteht also der Bienentanz.

    Erzählerin:
    Dieser Tanz war seinerzeit bereits ein orientalischer Mythos.

    Dr. Andreas Pflitsch, Arabist
    Die orientalistischen Klischees des Westens sind dann in der arabisch-islamischen Welt zu einem Großteil wiederum aufgenommen und angenommen worden. Ein frappierendes Beispiel für die Übernahme ist der orientalische Bauchtanz, der in dieser Form, wie wir ihn heute kennen, eher
    das Produkt europäischer Varietés ist und war und inzwischen aber, auch gerade in den Hochburgen des Tourismus in der arabischen Welt, als ureigene Kultur und Tradition dargestellt und geboten wird. Der Bauchtanz wurde, so wie wir ihn heute kennen, in Europa erfunden und ist selber wieder nur ein Ausdruck vom lasziv-weiblichen Orientalismus...
    Erzählerin:
    ...den Flaubert offensichtlich schätzte. Er zahlte gut und bekam, was er haben wollte.

    (Musik: Bill Ramsey: „Die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe“)

    Erzählerin:
    Andere Reisende hatten weniger Glück. Doch auch sie trennten sich deshalb nicht von ihrem Orientbild.

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Der Islam hat den Orient ermordet.

    Erzählerin:
    Orientbesucher machten den Islam dafür verantwortlich, dass der Orient nicht so ist, wie er ihren Phantasien entsprach.

    Zitator 1:
    Der Islam hat den Orient ermordet.

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Das ist sozusagen die polemische Aussage von Reisenden, die im 19. Jahrhundert nach ihrem Orient strebten und dann in eine Welt reisten, in der sie nicht den Orient, sondern das, was sie dann Islam nannten, erlebten. Das heißt, also das, was die kulturelle Wirklichkeit war, interpretierten sie als den Islam. Und der Islam war für sie dann die Ursache dafür, dass es ihren Orienttraum gar nicht in Wirklichkeit gab. Man suchte den Orient, stieß immer nur auf den Islam. Und wenn der Orient in der Traumwelt nicht mehr möglich gewesen ist, dann muss es nur einen gegeben haben, der das verhindert hat, und das war dann der Islam.

    Erzählerin:
    ...und das nahm und nimmt man dem Islam übel. Während der Aufklärung gab es ihn in der Literatur und Philosophie noch, den guten, vernünftigen Islam. Doch heute hat sich das Konstrukt "Islam" von jeder Ambivalenz befreit. Und spätestens seit den Anschlägen 2001 in New York funktioniert der Islam als Kultur des Orients, so der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze:

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Das ist genau das Problem, das wir heute erleben, dass der Islam zur Kultur gemacht wird, und damit tritt der Islam in diesen Ordnungsbegriff „Kultur“ ein und dient als Klassifikator. Das heißt, nicht die reale Religiosität eines Muslims steht im Vordergrund, sondern seine Zugehörigkeit zu einem kulturellen Raum namens Islam. Damit kann also das Individuum, das vielleicht gar nicht gläubig ist, zugeordnet werden, auch wenn er oder sie diese Zuordnung gar nicht teilt.
    Erzählerin:
    Das schafft klare Verhältnisse:

    Zitator 1:
    Die christliche Kultur hier, die muslimische Kultur da.

    Erzählerin:
    Und beide einander entgegengestellte Kulturen werden zum Wesensmerkmal derjenigen Menschen gemacht, die ihnen jeweils zugeordnet werden.

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Das ist sicherlich das Hauptproblem, was wir heute haben, dass heute Kultur der Ordnungsbegriff par excellence ist. Und wir nehmen Kultur als eine Wirklichkeit an, mit der man Menschen in irgendeiner Art und Weise in eine Ordnung einbetten kann. Dies nachdem in anderen Jahrhunderten andere Ordnungsbegriffe wie „Rasse“ oder auch sozialistische Klassenbegriffe mehr oder weniger gescheitert sind, scheint heute der Kulturbegriff der Begriff zu sein, mit dem am ehesten Ordnung gebracht wird. Und dieser Ordnungsbegriff ist natürlich gleichzeitig wieder ein Machtbegriff, denn derjenige, der über Kultur entscheidet, entscheidet gleichzeitig über Zugehörigkeit und Ausschluss von bestimmten Gemeinschaften aus einem Diskurs.

    Zitator 1:
    Wir, die westliche, abendländische, christliche Kultur. Uns gegenüber: Die anderen, der Orient, die islamische Kultur.

    Erzählerin:
    Die Kultur der Religionen und ihrer vermeintlichen Anhänger verhilft auch im eher ungläubigen laizistischen Westen dem Christentum zu neuer Bedeutung: Das Christentum wird - unter souveräner Missachtung historischer Tatsachen - an Aufklärung, Menschenrechten und Demokratie gekoppelt. In diesem Sinne fordern vornehmlich konservative Politiker, dass auch die Europäische Verfassung auf das Christentum Bezug nimmt.

    Dr. Almut Höfert
    Wenn jetzt gesagt wird, die Europäische Union beruht auf christlichen, jüdischen Werten - wir haben die Juden inzwischen eingemeindet, nachdem wir versucht haben, sie umzubringen. Also, Juden sind inzwischen mit im Boot, aber der Islam ist um so klarer draußen, und dann wird damit argumentiert, dass die Türkei eben, weil sie so lange das Christentum bekämpft hat und eben an diesem christlichen Erbe der Aufklärung nicht teilhat, angeblich nicht in der Lage sei, jetzt diesem christlichen europäischen Wertekanon beizutreten. Also, da wird ganz stark europäisch argumentiert, und ich muss von historischer Seite sagen, äußerst fahrlässig.

    Erzählerin:
    So die Historikerin Almut Höfert.

    Zitator 1:
    Freier demokratischer christlicher Westen versus despotischer, undemokratischer, muslimischer Orient.

    Erzählerin:
    Der Arabist Andreas Pflitsch:

    Dr. Andreas Pflitsch, Arabist
    Dieser idealtypische Gegensatz wird in der arabischen Welt als blanker Zynismus wahrgenommen, in weiten Teilen der Bevölkerung, wenn eben die Demokratie exportiert werden soll und dadurch der Krieg im Irak etwa gerechtfertigt wird, der eben in der arabischen Welt in keiner Weise als
    gerechtfertigt angesehen wird.

    Erzählerin:
    Die orientalistische Konstruktion von Ost und West verlor nach dem Zweiten Weltkrieg an politischer Bedeutung. Ein anderer ordnungsstiftender Antagonismus war wichtiger: Der zwischen West und Ost, freiem demokratischem Westen und iktatorischem „Kommunismus“. Reinhard Schulze analysierte auch diesen Zusammenhang:

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Das ist erstaunlich, wie schnell das gegangen ist. Wenn man sich die Literatur noch der Mitte der 80er Jahre anschaut, da taucht der Islam und das Islamismusproblem praktisch gar nicht auf. Ab dem Moment, wo der Ostblock nicht mehr als die Gegenmacht Europas oder der westlichen Welt anzusehen war, in dem Moment tritt auch realpolitisch der Islam als eine Gegenmacht gegenüber dem Westen auf. Das ist dann genau im Irakkrieg passiert, im ersten Irakkrieg passiert, nach der Besetzung von Kuwait, wo zum ersten Mal diese Auseinandersetzungen sehr stark geführt worden sind bis hin zu der Vorstellung, Saddam Hussein, der Muslim, geht mit dem Dolch dem Westen direkt persönlich an die Gurgel. Also, da war das Feindbild sofort da, und erstaunlich ist, wie unproblematisch die Übertragung der ganzen Konstrukte über das Feindbild Ostblock auf das Feindbild Islam gelungen ist, dass das innerhalb von einem Jahr, auch von den Medien, mehr oder weniger geschluckt worden ist.

    Zitator 1:
    Gewalttätig, despotisch, antidemokratisch, antiindividualistisch, unberechenbar...

    Erzählerin:
    Die identitätsstiftenden Zuweisungen an "die anderen" konnten weitgehend übernommen werden.

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Die sozialen Rollen sind ähnlich verteilt, wie damals in den 70er Jahren, wo es darum ging, Radikale aus dem öffentlichen Dienst heraus zu halten, so gilt es jetzt, radikale Muslime aus dem öffentlichen Dienst heraus zu halten, sofern sie ihre Kennzeichen angeblicher Radikalität wie Kopftuch oder so etwas nach außen tragen.

    Dr. Andreas Pflitsch, Arabist
    Die Rede von der Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie wird in der islamischen Welt auf gefährliche Weise rezipiert. Das heißt, der Islam, den es in dieser Einheitlichkeit natürlich nicht gibt, aber der Islam beginnt diese Unvereinbarkeit von Demokratie und Islam selber so zu sehen. Und das ist sehr gefährlich.

    Erzählerin:
    Selbstmordanschläge, Gewalt und Terror, auch hier kann geschehen, dass ein Negativbild, wenn man es positiv wendet, akzeptiert wird. So stabilisieren sich die Konstruktionen vom jeweils anderen wechselseitig.

    Prof. Dr. Reinhard Schulze
    Der Orientalismus beschreibt ja eigentlich nur für den Westen jetzt, wie der Orient ausgestaltet sei. Und das Interessante ist, dass sich die "Orientalen", in Anführungsstrichen, also diejenigen, auf die sich diese Diskurse beziehen, nach dieser Redeweise ausrichten und sich auch so verhalten, wie der Orientalismus es eigentlich vorschreibt. Der ganze Orientalismusdiskurs ist eigentlich nicht nur ein Diskurs des Westens über den Orient, sondern ist quasi auch ein Diskurs beider Seiten über sich selbst. Man teilt die Rollen zu, die der eine und der andere zu spielen hat, einigt sich auf diese Rolle und spielt das ganze Orienttheater aus.

    (Musik: Mozart: Eine Entführung aus dem Serail. 3. Akt. "Wer dieses nicht erkennen kann, den seh' man mit Verachtung an".)



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