Clemens Kuby

Dagmar & Lonny´s Fundgrube
Verfügbare Informationen zu "Clemens Kuby"

  • Qualität des Beitrags: 0 Sterne
  • Beteiligte Poster: Lonny
  • Forum: Dagmar & Lonny´s Fundgrube
  • Forenbeschreibung: Unsere Internet-Sammlung
  • aus dem Unterforum: Textstellen
  • Antworten: 17
  • Forum gestartet am: Samstag 28.01.2006
  • Sprache: deutsch
  • Link zum Originaltopic: Clemens Kuby
  • Letzte Antwort: vor 17 Jahren, 5 Monaten, 5 Tagen, 23 Stunden, 9 Minuten
  • Alle Beiträge und Antworten zu "Clemens Kuby"

    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 03.10.2006, 00:39

    Clemens Kuby
    Clemens Kuby

    Unterwegs in die nächste Dimension
    Meine Reise zu Heilern und Schamanen



    Kösel-Verlag GmbH & Co., München
    ISBN 3-466-34469-7
    19,90 bei amazon

    Kurzbeschreibung:

    Was ist real? Was ist Magie?

    Clemens Kuby reiste für seinen letzten Film *Unterwegs in die nächste
    Dimension* über viele Jahre in die unterschiedlichsten Kulturen rund um die
    Welt und filmte Phänomene des Heilens, die uns normalerweise verborgen
    bleiben. Dieses Buch nimmt uns mit auf seine Reise zu Heilern und
    Schamanen,lässt uns hinter die Kulissen schauen und teilhaben an neuen
    Erkenntnissen über unser Menschsein. Es öffnet Türen zur Selbstheilung und
    ermutigt, auch ungewöhnlichen Wegen zu vertrauen.

    Clemens Kuby begann seine Schamanenreise bereits vor über 20 Jahren bei sich
    selbst, als ihn eine Querschnittslähmung zwang, sein Leben gänzlich neu und
    anders zu betrachten. Der dadurch vollzogene Bewußtseinswandel führte zu
    einer als völlig aussichtslos betrachteten Heilung, die der Medizin noch
    heute Rätsel aufgibt. Entlang der eigenen dramatischen Erfahrung und der
    Begegnung mit unzähligen Heilern, Schamanen und Alchimisten gewann er tiefen
    Einblick in das Wesen von Heilung, deren Ort im Inneren liegt.

    Kubys Gedanken provozieren und inspirieren. Sie bringen uns an die Grenze
    unseres abendländischen Weltbildes und schaffen Durchbrüche zu neuen
    Horizonten, die tief berühren und lange nachwirken.

    Wunder geschehen in uns selbst: Warum wir neue Dimensionen erfahren, wenn
    wir offen sind für anderes Denken und Handeln und der Selbstheilungskraft
    vertrauen. Kubys ungewöhnliche Schamanenreise und seine Aufsehen erregenden
    Begegnungen mit Heilern aus aller Welt zeigen, dass für jeden Menschen der
    Ort seiner Heilung im Inneren liegt.

    "Der Mensch trägt unendlich viele Möglichkeiten der Selbstheilung in sich.
    Ob er sie durch geistige oder materielle Mittel aktiviert, hängt davon ab,
    woran er glaubt, was sein Bewusstsein für wahr und nicht wahr hält.
    Wirklichkeit ist das, was wirkt."

    <Clemens>



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 03.10.2006, 00:39

    Re: Clemens Kuby
    Katharsis - ohne Reise

    Meine Seele zu respektieren, sie überhaupt wahrzunehmen und das Gespräch mit ihr zu suchen beginnt, als ich 33 Jahre alt bin und einen tragischen Unfall erleide. Heute muss ich mir eingestehen, dass ich diesen Unfall in einem Zustand von Ausweglosigkeit unbewusst herbeigeführt habe. Ich stürze in einer kalten, regnerischen Nacht um 3 Uhr 20 aus dem Fenster meines Dachgeschoss-Studios aus 15 Metern Höhe auf Asphalt. Ein Krankenwagen bringt mich 100 km nach Würzburg ins Kreiskrankenhaus, von wo aus man mich mit einem Hubschrauber in die europäische Querschnittsklinik nach Heidelberg-Schlierach verlegt.
    Nach drei Tagen intensiver Diagnostik und Beratungen darüber, wie und wann man mir beibringt, wie mein weiteres Schicksal aussehen wird, tritt Prof. Dr. Paeslack, Chefarzt der Klinik, an mein Bett und erklärt mir ohne Umschweife, was Sache ist: Rollstuhl für immer! Ich bin ab dem 2. Lendenwirbel, also genau ab der Hüfte, querschnittsgelähmt, der Wirbel zertrümmert.

    Ich vernehme eine Stimme in mir, die sagt: "Bleib ganz ruhig. Nur keine Panik." Wenn mich nicht alles täuscht, spricht da meine Seele. Mit wem aber redet sie? Mit sich selbst? Nein, es scheint so, als rede sie mich von außerhalb an. Wer bist du, der das feststellt?
    Das bin ich mit meinem Ego. Ich stehe meistens auf der Seite meines Egos, selten auf der Seite meiner Seele. Ein Zwiegespräch meines Egos mit mir gibt es nicht bzw. kann es nicht geben, denn sobald ich mich mit meinem Ego nicht mehr identifiziere, das heißt mich außerhalb von ihm stelle, löst es sich auf ins Nichts.
    Bei der Seele ist das anders. Auch wenn ich mich nicht mit ihr identifiziere, löst sie sich nicht auf. Irgendwo ist sie immer; sie kann verstummen, sie kann außer Sichtweite geraten, aber immer bleibt ein leichtes dehnbares Band zwischen ihr und mir bestehen. Jetzt, wo man mir eröffnet, dass mein Leben verwirkt ist, steht sie direkt und ohne Ablenkung groß und klar vor mir.
    Ich kann ihr nicht mehr ausweichen, schon physisch nicht. "Physisch" klingt in diesem Zusammenhang mit der Seele vielleicht merkwürdig, aber in meinem Fall bezieht es sich auf den *Streyker*. Der Streyker ist ein ganz schmaler, mit Segeltuch bespannter Aluminiumrahmen in Körpergröße, auf den man mich bäuchlings gepackt hat, nackt, die Arme am Körper, die Zehen über den Segeltuchrand, die Stirn und das Kinn jeweils auf einem schmalen Polster, sodass Mund, Nase und Augen frei nach unten schauen. Gemäß eines vom Arzt exakt festgelegten Lagerungsplanes werden auf der Rückseite meines Körpers viele kleine, harte und weichere Kissen verteilt und am Schluss von einem Stationsarzt überprüft.
    Nun wird der zweite Aluminiumrahmen mit bespanntem Segeltuch von dem Haken an der Wand neben mir genommen, exakt über den anderen Rahmen platziert, auf dem ich liege, und mit einer großen, kreisrunden, im Durchmesser etwa 1 Meter großen, mechanischen Klemme, die in der unteren Hälfte auf Rollen läuft, mit dem anderen Alurahmen fest verbunden. Ich werde aufgefordert, auszuatmen, dann den Atem anzuhalten - und in diesem Moment wird die Klemme zusammengepresst, bis mir Druck und Schmerz kurz die Sinne rauben und ich werde - wie ein Sandwich - blitzschnell vom Bauch auf den Rücken gewendet. Auf diese Weise soll sich meine Wirbelsäule keinen Millimeter verschieben. Dann wird mit tröstenden Worten die Klemme wieder geöffnet und ich liege auf diesen diversen, arrangierten Kissen so auf dem Rücken, dass die Bruchstelle in meiner Wirbelsäule überdehnt wird.
    Das Ganze wiederholt sich alle drei Stunden in umgekehrter Richtung. Eine andere Lage Kissen wird auf der Vorderseite meines Körpers nach Plan gelagert und wieder werde ich in der Schraubzwinge gewendet und schaue danach durch das Fenster in meinem Alurahmen auf ein kleines Resopaltischchen, dessen Höhe einstellbar ist.
    Durch das ständige Wenden vermeidet man bei wochenlangem und monatelangem absolutem Stillliegen Druckstellen an der Haut, die zu schweren Wunden führen können. Liegt aber auch nur ein einziges Kissen verkehrt, führt dies zu Muskelspannungen, die so unerträglich werden, dass man entweder ausnahmsweise zurückgedreht und das Kissenarrangement überprüft wird oder aber es wird einem nahe gelegt, sich daran zu gewöhnen bzw. die Unbequemlichkeiten bis zur nächsten planmäßigen Drehung zu ertragen. Wer da empfindlich ist, bettelt die Pfleger und Schwestern um Minuten an, die sie vor der Planzeit kommen mögen, um einen aus der unerträglichen Lage zu befreien - nur, um früher in die nächste unerträgliche Lage zu kommen.
    Ich nehme diese körperlichen Quälpunkte als mentale Herausforderung an und versuche sie zu ignorieren. Nach einer Weile funktioniert das in 90% der Fälle. Da, wo es nicht gleich oder erst später funktioniert, ist es für mich eine interessante Übung, zu beobachten, wann mein Geist anfängt, sich um andere Dinge, als um Jucken, Drücken, Klemmen oder Ziehen im Körper zu kümmern. Das gilt auch für die starken Schmerzen, von denen ich reichlich, sehr reichlich habe.
    Zugleich lässt sich nicht ignorieren, dass man bei einer Querschnittslähmung seine Toilette nicht mehr steuern kann und man zum Baby wird, das noch in die Windeln macht, allerdings künstlich, von schweren Abführmitteln herbeigeführt. Die Möglichkeit, Wasser zu lassen, wird durch Katheter ersetzt, wobei mir ein 50 cm langer Schlauch durch die Harnröhre in die Blase geschoben wird. Ein schwieriges Unterfangen. Bei zurückgezogenem Penis schiebt sich der Schlauch nur schwer hinein, und obwohl man eigentlich nichts spürt, ist es dennoch furchtbar unangenehm. Ist der Schlauch ganz eingeführt, klopfen sie einem mit der Faust auf die Blase, bis sie sich entleert und der Urin durch den Plastikschlauch in einen durchsichtigen Beutel läuft, der am Bettgestell hängt. Seine Menge wird genauso exakt gemessen wie das, was man trinkt. Die Bilanz muss stimmen auf relativ hohem Niveau, sonst wird man zusätzlich anderweitig schwer krank.
    Lesen kann ich nur, wenn ich auf dem Bauch liege und mir ein Pfleger oder eine Schwester die Seiten umblättert. Manche Patienten lassen sich Kopfhörer aufsetzen und die Kassetten umdrehen. Für mich gibt es erstmal weder das eine noch das andere.
    Wir liegen zu sechst in einem sehr großen Zimmer mit ausreichend Platz zwischen den Betten, sodass Rollstühle auf beiden Seiten heranfahren können. Sehen kann ich meine Zimmergenossen zum ersten Mal, als die Pfleger große, fahrbare Schwenkspiegel so aufstellen, dass ich über zwei, drei Spiegel ihre Gesichter zu sehen bekomme, denn in den ersten zwei Monaten ist es mir nicht möglich, den Kopf zu drehen, oder zu heben. Es ist eine Null-Stellung. Die Nervenschocks, die ich schon durch die kleinste Bewegung meiner Wirbelsäule auslöse, sind viel heftiger als 220 Volt.

    Besuch möchte ich keinen. Es gibt ihn auch nicht so fern der Heimat und aller meiner Freunde. Zwischen dem mühevollen Füttern, Waschen und Windeln bleibt viel Zeit, um auf die Seele zu hören. Die Stimmung im Zimmer ist schwer und weich zugleich, das Durchschnittsalter 27. (Das entspricht genau dem Bundesdurchschnitt aller Querschnittseintritte.) Die meisten sind Sportler, groß, stark, topfit. Drachenflieger, Hobbyrennfahrer oder nur Beifahrer oder Schwimmer, die mit einem Hechtsprung in zu seichtes Wasser ihrem Schicksal eine Wende verpassten. Darin sind wir uns alle gleich. Und bei zwei Drittel aller Betroffenen platzt während dieser Schicksalswende auch noch die Beziehung, ich selbst wollte es sogar so.


    Null-Punkt
    (nach dem Unfall)
    Nichts kann so bleiben, wie es war. Nicht nur, weil mein altes Fachwerkhaus am Hang nicht rollstuhlgerecht umgebaut werden kann, sondern weil mein bisheriges Lebenskonzept in diese Katastrophe geführt hat. Ich trenne mich augenblicklich und vollständig von meiner Frau, ihren Kindern, dem Haus, das mit dem Alterssitz meiner Mutter verbunden ist, von der Idee, auf dem Land zu leben, von allem, was daran hängt, ohne die geringste Ahnung, wie mein Leben weitergehen kann. Der Punkt null ist in jeder Hinsicht erreicht.
    Die erste Frage, die ich nicht loswerde, ist: Wer oder was hat Schuld an meinem Schicksal? Wie konnte mir das passieren? Viele empfinden einen solchen Schicksalsschlag als Strafe Gottes, auch wenn sie bisher nicht an Gott geglaubt haben. In solchen Momenten wird der Einfluss des kulturellen Umfelds auf die individuelle Psyche offensichtlich. Die mentale Institution des strafenden Gottes ist im Abendland stark verankert. Ob man will oder nicht - wer in diese Situation kommt, fragt sich: Womit habe ich das verdient? Habe ich einen Fehler gemacht? Wenn ja, welchen? Fehler sind falsche Erwartungen. Mein Zustand lässt mir viel Zeit darüber nachzudenken.
    Manchmal kommt ein feinfühliger Pfleger vorbei und tupft mir die Tränen von den Wangen, die ich schon einige Minuten und in den ersten Tagen mehrmals vergieße, ohne sie mir selbst abwischen zu können, weil schon die kleinste Armanhebung starke Schmerzen über die Wirbelsäule auslöst. Manche weinen hin und wieder auch laut oder schimpfen über ihr Schicksal. Eben deshalb liegt man in dieser Klinik zu sechst im Raum, unabhängig davon, welcher Versicherungsklasse man angehört. Es soll niemand durchdrehen. Es gibt höchstens zwei oder drei neue Fälle pro Zimmer, die anderen haben schon gelernt, ihr Schicksal ein wenig zu tragen, und machen den Frischverzweifelten Mut.
    Ich selbst bin merkwürdigerweise nicht verzweifelt, ganz und gar nicht, kann aber nicht genau sagen warum. Ich empfinde diesen Null-Punkt in gewisser Weise sogar als etwas Großartiges. Mein Leben, Raum und Zeit stehen still. Ich bin glücklich, weil ich noch leben darf.

    In jenem Augenblick, als ich auf dem Asphalt aufprallte, hielt ich den aufflammenden, unsagbaren Schmerz für das Fegefeuer, das uns als Kind für die Zeit nach dem Tod prophezeit worden war, falls wir uns nicht richtig verhielten. Ich habe nicht für möglich gehalten, dass die Religionslehrer wahr gesprochen hatten, betrachtete ihre Vorträge vielmehr als unfaire Panikmache, um mich an ihre Kirche zu binden. Sie hatten versprochen, dass nur der nicht ins Fegefeuer nach dem Tod käme, der ihnen folgte und brav war. Ich war nicht brav gewesen und mit fünfzehn wieder aus der Kirche ausgetreten, zwei Tage vor der Konfirmation.
    Ist das jetzt die Quittung? Wielange werde ich wohl diese Höllenqual auszuhalten haben, frage ich mich. Dumme Frage, wenn man tot ist. Das kann eine Ewigkeit dauern. Im Tod steht die Zeit. In meinem Fegefeuer-Schmerz tauchen schließlich doch noch Zweifel auf, ob ich vielleicht nicht wirklich tot bin?
    Es gibt nur einen Weg für mich, diese Frage zu klären: Es müssen Leute kommen, die mich für tot erklären, egal, ob ich glaube, noch mit ihnen zu sprechen. Dann wüsste ich, dass meine Stunde geschlagen hat. Es ist, wie gesagt, 3 Uhr 20 in dieser windigen, vom Mondlicht und Wolken zerfetzten Nacht und es schüttet. Der kleine Weiler, in dem mein Haus steht, liegt am Ende einer Straße, da kommt jetzt niemand vorbei, der mich entdecken könnte. Vielleicht sollte ich probieren zu schreien, so laut es geht. Natürlich ist das keine Gewähr dafür, dass ich noch am Leben bin, denn einen Schrei kann sich meine unsterbliche Psyche auch imaginieren. Ich probiere es trotzdem ... Habe ich wirklich geschrien? Zuversichtlich macht mich, dass in den umliegenden Häusern Lichter angehen und Menschen mit über den Kopf gezogenen Jacken auf die Straße in den strömenden Regen treten und in dieser finsteren Vollmondnacht etwas zu erkennen suchen. Bis endlich Erich, der Seniorbauer von gegenüber, ruft: "Da liegt ja der Clemens", und sein Sohn, der Günter, herbeieilt: "Clemens, was is'?" "Ich bin vom Dach gefallen", antwortete ich irgendwie. Dann kommt der erlösende Satz: "Ja, du machst Sachen ..."
    Nun weiß ich, dass ich nicht tot bin, meine Worte wurden gehört. Ich kann mich zwar noch immer nicht bewegen und habe wahnsinnige Schmerzen, aber ich bin nicht tot, also ist es auch kein Fegefeuer.

    So liege ich querschnittsgelähmt auf dem Streyker in der Heidelberger Klinik und vor lauter Glück, am Leben zu sein, kullern mir stille Tränen herunter. Es ist meine Chance, ein neues Leben zu führen, auch wenn ich nicht über das Wie nachdenke, aber es ist Leben, ein neues Leben. Gleichzeitig entgehen mir nicht die tiefernsten Mienen der Ärzte mit meinem Befund in der Hand und ich höre sie immer wieder das Wort *Rollstuhl* aussprechen und dass das ein Leben sei, das ich mit 150.000 anderen in Deutschland zu teilen hätte, und so weiter. Ich höre sie, aber ich höre ihnen nicht zu. Meine Seele interessiert das nicht, sie hat viel, viel Wichtigeres zu tun.


    Seele vice versa Ego (lat. versus das Umwenden)

    Mein Ego ist jetzt relativ kleinlaut. Mein Ego ist sowieso ein Feigling. Es tönt immer nur groß, wenn der Körper fit ist; doch wehe, wenn ihm etwas fehlt. Mein Ego kann mit Schmerzen nicht umgehen, sie sind ihm unangenehm und sie hindern es daran, so zu tun, als habe es alles im Griff. Bei Krankheit, stelle ich regelmäßig fest, zieht sich das Ego zurück. Die Seele darf dann umso stärker hervortreten. Wie jetzt. Wenn ich weine, weine ich nicht wegen der Schmerzen oder aus Selbstmitleid, sondern aus Einsicht - aus Gewahrwerden meiner missachteten Seele. Was ist sie nur für ein zartes, wunderbares Geschöpf! Dabei kenne ich sie nicht einmal wirklich. Doch sie begleitet mich auf Schritt und Tritt, immerzu. Sie drängt sich nicht auf, aber wenn ich nach ihr schauen würde, wäre sie da. Sie ist eigentlich immer da, aber das Ego verdrängt sie aus dem Gesichtskreis mit dem Vorwurf, sie störe, habe nichts zu sagen, sei vollkommen realitätsfremd, könne gar nicht mitreden und verstünde von der Sache ohnehin nichts - kurzum, sie solle den Mund halten und sich verdünnisieren oder unsichtbar machen.
    Na ja, da die Seele nicht kämpft, sieht und hört man auch nichts mehr von ihr, bis ...? Ja, bis es passiert. Mein Fall aus dem Fenster war kein Zu-Fall, wenn das Ego es auch so hinstellen möchte und dauernd von Un-Fall redet. Die Seele aber weiß es besser. Jetzt spricht sie und das Ego hat Pause. Das ist der Moment, in dem mir schon wieder Tränen herunterlaufen. Manche mögen sich an einen solchen Moment erinnern, nachdem sie nach einer Krebsdiagnose das erste Mal allein waren, oder sie sich eingestehen mussten, dass sie Aids haben, oder eine andere schwere Krankheit. Richtig ernst wird es für jeden, wenn das Urteil lautet: "Unheilbar!"
    Man ist dann zwar noch am Leben, aber auf null. Wer wirklich auf null ist, jammert nicht mehr. Null ist null. Jammern ist nicht null. Ich möchte im Zustand null so lange wie möglich bleiben. Meine Seele ist jetzt voll und ganz präsent. Der Seele sind Schmerzen egal. Nur das Ego jammert. Meine Seele hat zum Schmerz ein zwar mitfühlendes, aber nicht mitleidendes Verhältnis. Sie sieht den Schmerz als ihr Sprachrohr, als Ruf nach ihrer Beachtung. Sie meldet im Schmerz ihre Defizite, die das egobestimmte Leben bei ihr verursacht haben. Die Seele sieht im Schmerz nicht den Schmerz, sondern das, was der Schmerz zu erzählen hat - und das ist kein Gejammer, sondern ein tiefes, wichtiges Anliegen. Wie verstehe ich dieses Anliegen? Wie höre ich, was meine Seele mir sagen will?
    Wenn ich absolut still liege und ganz flach atme, ohne dabei in Sauerstoffmangel zu geraten, der einen tieferen Atemzug erforderlich macht, dann habe ich keine Schmerzen. Ein Schwebezustand. Aber schon ein einziger tiefer Atemzug, der die Lungen dehnt und damit auf mein Rückgrat drückt, löst heftigsten Schmerz aus, der alle Konzentration auf die Seele zunichte macht (siehe auch: Kessler und Albert Hofmann, LSD...) Es ist die Kunst eines feinen Balanceakts, das flache Atmen so zu dosieren, dass die Luftzufuhr immer gerade ausreicht.
    Meine Augenlider sind dabei nur einen kleinen Schlitz geöffnet. Sie dürfen weder auf- noch zumachen. Ich befinde mich in einer seelischen Wippe zwischen Schlafen und Wachen. Die Wippe soll in einem labilen Gleichgewicht zum Stillstand kommen, ohne auf einer Seite den Boden zu berühren, auch wenn die Gewichte unterschiedlich verteilt sind. Die Aufgabe heißt, einerseits nicht einzuschlafen, denn das käme einem Aufsetzer gleich; die andere Seite wäre dann ganz oben in den Lüften, könnte wunderbar vor sich hin träumen, aber die Konzentration ginge dann verloren. Wenn ich aber andererseits meinen Sehschlitz zu weit öffne und auf die umherlaufenden Personen und Geräusche achte und womöglich innerlich darauf reagiere, käme das einem Aufsetzer der anderen Seite, dem nach aussen orientierten Wachzustand gleich, und ich könnte meiner Seele wiederum nicht genau zuhören. Der Wachzustand bedenkt die Außenwelt, der Schlafzustand die Traumwelt. Meine Seele verstehe ich jedoch am besten, wenn ein stabiler Balance-Zustand zwischen Atem und Wahrnehmung herrscht. Und das ist genauso das, was auch jede tiefe Meditation ausmacht.
    An andere körperliche Bewegung ist nicht zu denken, dafür sorgen schon die hochgeladenen Elektroschocks bei den leisesten Kompromissen. Das heißt: Ich darf kleinen körperlichen Unannehmlichkeiten, wie Juck- und Druckreizen, nicht nachgeben, wenn ich größere Schmerzen vermeiden will. Sicher, es gibt Momente, wo ich die Zähne zusammenbeiße und Rückenmuskeln oder andere Muskeln oberhalb der Hüfte bewusst an- oder entspannen muss, weil durch das ewige Stillliegen irgendwo im Körper ein unerträglicher Druck entsteht. Dabei muß ich auf einen Nervenschmerz gefasst sein, der sich so anfühlt, wie wenn der Zahnarzt mit Druckluft einen Zahn mit offen liegendem Nerv desinfiziert. Nur dass hier das zentrale Nervensystem im Rückenmark reagiert. Jeder kann sich vorstellen, dass man alles dafür tut, um diese Schocks zu vermeiden. Insofern wirke ich in meiner vollständigen Regungslosigkeit wie ein vollkommen selbstzufriedener, ausgeglichener Patient, der keinerlei Bedürfnisse kennt.
    Wenn ich meinen Pflegern und Schwestern, die ich alle sehr mag, sage, meine Zufriedenheit komme nicht freiwillig zustande, sondern werde mir durch die Androhung von Schmerzen diktiert, schauen sie mich ungläubig an. Es ist aber so, und ich weiß diesen Zwang zu schätzen, manchmal sogar zu genießen, denn in dieser absoluten inneren Ruhe ist meine Seele ganz nah bei mir. Wir lieben uns und ich brauche nicht an gestern und nicht an morgen zu denken. Es ist tiefster Meditationszustand über Stunden, Tage und Wochen.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 03.10.2006, 00:57


    Wunder erforderlich

    Zwischendurch höre ich meine Seele sagen: "Du, ich bin da, wahrscheinlich aber nur so lange, wie auch die Schmerzen da sind und du dich in diesem Null-Zustand aufhältst. Wenn du stabilisiert bist, dann wird dein Ego sich wieder aufblasen und ich muss weichen. Ich glaube kaum, dass du dann noch mit mir weiter so eng zusammenbleibst wie jetzt. Nutze die Zeit. Das Ego bringt keine Wunder zustande. Das Ego wird sich an das halten, was die Ärzte sagen, es bietet dir keinen Weg zur Heilung. Dazu fehlt ihm die Vorstellungskraft, um Prozesse im Körper auszulösen, die von den normalen Vorgängen abweichen. Wenn du wartest, bis du stabilisiert bist, dann bist du stabilisiert für den Rollstuhl."
    Das klingt verdammt richtig, muss ich zugeben. "Clemens, sei nicht faul. Beweg dich, alles hat seine Zeit" heißt die Losung der Seele. "Lass es nicht so weit kommen, bis du dich mit der Diagnose abgefunden hast, denn dann ist dein Schicksal besiegelt. Beweg dich!", rät die Seele. Und sie meint das nicht körperlich, denn das Körperliche ist ihr zweitrangig. Meinen Einwand, ich wäre aber doch gelähmt, hält sie für eine Ausrede zur Vermeidung der Arbeit mit dem Bewusstsein.
    Das Ego hält Bewusstseinserweiterung für Luxus, ihm ist nur körperliche Fitness wichtig. Wenn die Seele Wunder vollbringen kann, dann soll sie es bitte tun, aber dafür sein Bewusstsein erweitern zu müssen, hält das Ego für widersinnig; außerdem, wie soll man mit dem vorhandenen Bewusstsein das Bewusstsein erweitern, dafür müsste etwas von außen dazukommen, aber was? Zum Glück geht es mir so miserabel, dass das Ego zu diesem Disput mit der Seele keine Kraft hat. Letztendlich müsste die Seele zurückstecken, das Wunder würde ausbleiben und das Ego irgendwann, wenn der Körper stabilisiert ist, die Rollstuhlexistenz billigend in Kauf nehmen. Zurzeit aber, regiert noch die Seele und dafür bin ich bei allem Unglück, wie schlimm es sich von außen auch darstellen mag, unendlich dankbar. Ich kann mir zwar ebensowenig wie mein Ego vorstellen, wie eine Bewusstseinserweiterung bei den vorhandenen Ressourcen vonstatten gehen kann, aber ich weiß, dass meine Seele mir dabei helfen wird. Das Beste ist, den gewonnenen Meditationszustand aufrechtzuerhalten und zuzuschauen, was kommt.
    "Fehler sind falsche Erwartungen." Dieser Satz klingt in mir noch nach. Welche Erwartungen habe ich vor dem Sturz gehabt? Erwartungen sind Muster, in denen ich denke, eingetretene Pfade, auf denen ich mich bewege. Wenn die Seele mahnt, ich müsse mich bewegen, um gesund zu werden, dann muss ich einerseits meine Muster erkennen, andererseits den Horizont erweitern. Was heißt das konkret? In solchen abstrakten Kategorien kann ich mich nicht entwickeln. Ich möchte die Aufgabe als griffiges Bild vor mir haben.
    Das erste Bild, das sich in meiner erzwungenen Meditation entfaltet, ist eine unendliche Landschaft, eher eine Ebene, in der eine überdimensionale Schale steht. Die Schale sieht aus wie eine umgedrehte Schädeldecke und ist nach oben hin offen. Darin befindet sich mein Bewusstsein. Alles, was ich denken kann, befindet sich in dieser umgestülpten, überdimensionalen Gehirnschale.
    Ich setze mich hinein und entdecke, dass ich mich in einem großen Fußballstadion befinde. Ich sitze mittendrin auf mittlerem Rang, eingepfercht zwischen den Massen. Unten auf dem Rasen spielt Club *Links* gegen Club *Rechts*. Bei jedem Tor und jedem Beinahtor brüllen mal die Linken, mal die Rechten. Außer der politischen Auseinandersetzung gibt es ein Pausenprogramm, genannt Kultur. Diese Vision entfaltet sich auf vielfältigste Weise.
    Das Stadion repräsentiert unsere komplexe Gesellschaft, wie wir sie erfahren. Für meine Seele fällt dabei zu wenig ab. Sie ist weder Fan des einen noch des anderen Clubs, sie möchte wissen, was es außerhalb des Stadions gibt, und will raus. Ich weiß es nicht. Ich kann über den Stadionrand nicht hinaussehen. Warum will meine Seele raus? Das Stadion hat doch alles, was das Leben begehrt. Ich selbst habe in meinem bisherigen Leben einiges dazu beigetragen, dass zum Beispiel ein neuer Club da unten auf dem Rasen mitspielt und ein gewisses Alternativprogramm in den Pausen läuft, aber das erfreut meine Seele nicht oder zumindest nicht mehr. Die 68er-Bewegung beispielsweise und das, was aus den Grünen wurde, bieten ihr keine Freude und Befriedigung.

    Als ich 1974 dazu beitrug, eine neue Partei aufzubauen und zum Erfolg zu führen, die ich Die *Grünen* nannte, jubelte meine Seele. ....
    Mit diesen sensationellen, von keinem unserer Gegner erwarteten Erfolg ging jedoch das alte Ego-Machtgerangel wieder los und alle meine idealistischen Visionen wurden zunichte gemacht.

    Meine Seele wurde traurig und trauriger. Ich hatte ihr so viel Hoffnung gemacht. Doch nichts von der Liebe und der Freiheit, womit ich sie und viele andere Seelen so begeistern konnte, war Ende 1980 noch zu spüren. Meine schärfsten Gegner, ehemalige Mitstreiter in der Studentenbewegung, sprangen auf und arbeiteten sich mit allen erlaubten und unerlaubten Tricks in die Lokomotive vor. Als ich das zu spüren bekam, sprang ich ab - im wahrsten Sinne des Wortes - und brach mir dabei das Rückgrat.
    Hatte ich falsche Erwartungen? Die starke, fantasievolle, hoffnungsvolle Vision, für die mir meine Seele unendlich viel Energie, Gespür und Ideen schenkte, war nach der Gründung der Bundespartei in der Lokomotive nicht mehr gefragt. Es wurde dort kalt, brutal, intrigenreich und durch und durch egoistisch. Dieser neue Club, den ich selbst auf den Rasen geschickt habe, fand auf den Rängen des Hexenkessels seine Fans und sitzt seit 1998 in der Regierung. Ein Jahr früher, als ich es auf dem Gründungskongress in Sindelfingen 1979 voraussagte.
    "Fehler sind falsche Erwartungen." Unter *Politiker sein* hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Das zeigte sich sofort, als die Partei eine professionelle Partei wurde. Mein Ego hätte diesem Muster vielleicht entsprechen können, aber meine Seele quatschte ihm zuviel dazwischen. Sie hat mich immer zu neuen Horizonten streben lassen. Um in meiner Metapher zu bleiben: Sie will auch jetzt wieder, dass ich das Stadion überwinde.
    Diesmal ist die Hürde allerdings wesentlich höher als bei allen neuen Horizonten, die ich vorher erklommen habe. Diesmal ist die Hürde mit einer körperlichen Lähmung verbunden und ich kann mir mit aller Fantasie nicht vorstellen, was Bewusstseinserweiterung mit Gesundheit zu tun haben soll.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 03.10.2006, 01:03


    Neuer Horizont

    Durch die Metapher des Stadions weiß ich, was ich zu tun habe, um meinen Horizont zu erweitern. Ich muss das Stadion verlassen. Seine Wächter sind die Sicherheitsbedürfnisse meines Egos und all die rationalen Wenns und Abers gegen einen gewagten, geistigen Auf- und Ausbruch.
    Die Metapher des Stadions eignet sich, um mit ihr reale Veränderungen in meinen Mustern und Gehirnstrukturen vorzunehmen. Alles, was ich bis jetzt denken kann, spielt sich im Stadion ab. In ihm befindet sich meine Gesellschaft, meine Sprache, mein Leben. Ich frage mich, was es außerhalb zu entdecken geben sollte, das zu neuem Bewusstsein führen könnte?
    Das Wunder des Seins besteht darin, zu erkennen, dass eine Antwort innerhalb der Metapher auch für das wirkliche Leben gilt. Wie innen, so außen. Für den Geist, der den Körper regiert, ist eine virtuelle Handlung genauso wirkungsvoll wie eine reale Handlung. So kann die Heilung sich vollziehen, behauptet meine Seele.
    Über solche Zusammenhänge wusste ich vor 20 Jahren aber noch nichts. Da ich jedoch eine Metapher gefunden hatte und darin agieren konnte, brauchte ich den Zusammenhang auch nicht zu wissen.

    Die Pfleger wundern sich, warum ich so still und genügsam auf meinem Streyker liege (der Streyker ist ein ganz schmaler, mit Segeltuch bespannter Aluminiumrahmen in Körpergröße). Ich brauche niemanden, der mich beschäftigt, das Buch hinlegt und umblättert, eine Kassette auswählt und einlegt. Ich will immer noch keinen Besuch. Ich nehme die Pflegedienste ohne Murren geduldig auf mich, stelle keine Forderungen, klage nicht über mein Schicksal und nicht über Schmerzen. Ich liege einfach den ganzen Tag und die ganze Nacht ganz still, so wie es sich auf dem Streyker gehört, und werde alle drei Stunden gewendet.
    Durch diese Kliniksituation bleibt mein Ego auf Tauchstation, und die üblichen Einwände gegen solche Konzepte, wie sie meine Seele vertritt, kommen nicht hoch. Die Schmerzen und das Elend, in dem ich mich physisch befinde, sind dauerhaft genug, um der Seele ausreichend Zeit für ihr Bemühen zu geben. Durch diese Konstellation entsteht in meinem Kopf ein Freiraum, in den neue Bilder und Gedanken einschießen.
    Über die Stadionmauer kann ich nicht schauen, aber ich finde Kriterien, die erfüllt sein müssen, wenn ich das Stadion verlassen habe. Ein raffinierter Schachzug meiner Seele. Da ich die Horizonterweiterung mit meinem derzeitigen Bewusstsein nicht leisten kann, liefern mir die Kriterien eine Orientierung dafür, wann Bewusstseinserweiterung möglicherweise stattfindet.
    Nach tagelangen Überlegungen komme ich auf etwas, das sich durch fünf Kriterien auszeichnet, die es in meinem Stadion zusammen nicht gibt. Sollten sie also irgendwo zusammen anzutreffen sein, könnte ich davon ausgehen, mich nicht mehr in diesem Stadion zu befinden. Das ist die Bedingung für die notwendige Bewusstseinserweiterung, die meine Seele fordert.
    Die Kriterien verlangen einen Ort

    ohne Straße,
    ohne Elektrizität,
    ohne Tourismus,
    ohne weißes Mehl,
    ohne Zucker.

    Gibt es eine solche Gegend überhaupt? Wenn ja, welches andere Bewusstsein herrscht dort? Ich kann es mir nicht vorstellen. Immer wieder gehe ich diese fünf Punkte durch, warum ausgerechnet diese? Sehr zivilisiert kann es dort, wo sie erfüllt sind, nicht zugehen. Missionare, Händler und andere Vertreter des Abendlandes können dort nicht heimisch sein. Gibt es einen solchen Ort überhaupt noch auf unserem Planeten? Die Idee ist absurd, aber sie gefällt mir. Sie reizt mich, an sie zu glauben. Meinem Ego brauche ich davon gar nicht erst zu erzählen, es schüttelt darüber nur den Kopf und weiß ohnehin, dass es für einen Querschnittsgelähmten vollkommener Quatsch ist, sich mit solchen Ideen zu befassen.

    Es dauert nicht lange, da kommt mich eines Tages doch jemand besuchen, mein alter Freund Fritz. Dem muss ich meine neueste Idee natürlich sofort erzählen. Er schaut mich daraufhin nicht etwa mitleidig lächelnd an, nein, er stimmt begeistert zu und trumpft damit auf, ein solches Land zu kennen.
    Ich bin platt. Denn ganz bestimmt habe ich nicht damit gerechnet, dass so promt jemand zu mir nach Heidelberg in die Klinik kommt und weiß, wo genau diese fünf Kriterien erfüllt sind, die ich mir auf meinem Streyker mühevoll zurechtgedacht habe. Ich glaube, Fritz macht einen Witz. Aber nein, auf meine Frage "Wie heißt das Land?" hat er tatsächlich eine Antwort: "Ladakh." Das sagt mir zwar nichts, aber er kann es mir erklären. "Ganz oben im Westhimalaja, in der Ecke zwischen China, Afghanistan, Pakistan und Indien." "Ah ... so ... alles klar." Ich denke, Menschen, die so unzivilisiert sind, dass sie diese fünf Kriterien erfüllen können, gäbe es, wenn überhaupt, dann vielleicht nur noch ganz hinten links im Amazonas, wo kein Mensch wie ich hinkommt.
    Fritz erzählt, dass er schon mal dort war.
    "Au!!", das tut weh, verdammt weh. Fritz versteht nicht, was mit mir plötzlich los ist, weshalb ich weiß im Gesicht werde und die Augen verdrehe. "Es war nur wieder einer von diesen heftigen Nervenschocks, die durch meinen Körper schlagen. Deine Antwort hat mich so gerissen, dass ich unkontrolliert zusammenzuckte."
    "Warum?", fragt er.
    "Na, weil du da schon warst!"
    "Dreimal sogar."
    Vorsicht, jetzt darf mich nichts erschüttern, weder Freude noch Verwunderung. Ich könnte aus der Haut fahren über so viel himmlische Zuneigung! Das ist die Heilung, jubelt meine Seele heimlich, ohne mir diesen kausalen Zusammenhang ins Bewusstsein zu bringen.
    Ich kann Fritz nicht erklären, welche überwältigende Zuversicht sein lapidarer Satz, er sei schon da gewesen, bei mir auslöst. Die Seele grinst fühlbar zufrieden tief in mir. Dann muss Fritz wieder gehen. Mein Nervenkostüm hält mehr nicht aus. Als er aus dem Zimmer ist, falle ich in tiefe Meditation. Konzentriere mich ausschließlich auf meinen flachen, gleichmäßigen, schmerzlosen Atem und sonst nichts. Mir ist nicht bewusst, dass dies der erste große Moment meiner Heilung ist. Meine Seele steht mitten im Herzen, sie erfüllt alles. Ich spüre, ganz viel kommt (wieder) in Fluss. Bin unendlich dankbar und glücklich über so viel Liebe.
    Kaum habe ich mich erholt, geht die Seelenarbeit weiter. Sie verlangt praktische Schritte. Dazu gehört eine Perspektive, ein Vorhaben, ein echtes Ziel, auf das ich zugehe.
    Wenn mein Ego schon wieder etwas zu sagen hätte, würde es mich wegen solcher Fantastereien verhöhnen. Es würde immer wieder die Röntgenbilder anschauen und das Gespräch mit den Ärzten suchen, die auf vollkommen vernünftige Weise klar machen, welches Ausmaß und welche Konsequenzen meine L2-Fraktur hat.
    Tatsächlich lässt es sich nicht vermeiden, dass bei Visiten die Ärzte über mich urteilen, aber ich stelle mich vollkommen uninteressiert, sodass sie im Wesnetlichen nur bei der Pflege die Parameter meiner Entwicklung abfragen und die scheinen normal, weshalb weitere Gespräche nicht nötig sind. Der Rollstuhl ist in Auftrag gegeben, bald kann mit der Aufrichtphase im Hubbett mit mir begonnen werden.
    "Oh, oh, Clemens ... keine Panik! Ganz ruhig bleiben", sagt meine Seele. Bis zur Stabilisierungsphase dauert es noch.

    Heute, über 20 Jahre später, wäre ich mit einer solchen Fraktur schon operiert. Der L2 wäre mit Metall von L1 auf L3 überbrückt worden. Ich säße schon ab der 2. Woche im Rollstuhl. So hätte man die Kreislaufprobleme vermieden und meine Aufenthaltsdauer in der Klinik wäre wesentlich verkürzt worden. 1981 war die OP-Technik aber noch nicht so weit und die Wirbel um den Bruch mussten sich selbst stabilisieren. Das war genau die Zeit, die mir noch blieb, um meine Selbstheilungskräfte zu mobilisieren.

    "Ladakh?" Dazu fällt mir nichts ein. Was und wie denken die Menschen dort? Auch dazu kann ich mir nichts vorstellen. Das beunruhigt mich. Die Seele schaut skeptisch, als wolle sie mich fragen: Wozu willst du das wissen? Fast hätte ich mich über diese Skepsis entrüstet, denn schließlich will sie mich doch dorthin haben. Ihre Gutherzigkeit jedoch lässt mich erkennen, dass dieses Bedürfnis, wissen zu wollen, was kommt, ein Ego-Bedürfnis ist. Dahinter steht nichts anderes als das übliche Verlangen nach Sicherheit. Mit diesem Sicherheitsbedürfnis gewinnt man aber kein Neuland. "Es geht hier um Sein oder Nichtsein, mein lieber Clemens, oder hast du dich mit dem Rollstuhl schon abgefunden?"
    "Nein."
    "Also, was ist dann der nächste Schritt?"
    "Aufbruch."
    "Genau!", antwortet die Seele und fügt hinzu: "Wenn du wieder laufen können möchtest, brauchst du einen guten Grund dafür."
    Mein Ego würde, sofern es sich nicht verkrochen hätte, antworten: "Aber ich kann doch nicht mehr laufen, das steht doch nun mal fest." Und es hätte einen Kompromiss angeboten, würde beispielsweise neue Bewusstseinsfelder finden, die auch im Rollstuhl zu erreichen sind. Das Ego versteht nicht, dass die neuen Bewusstseinsfelder, die die Seele für mich braucht, kein Selbstzweck sind, sondern Voraussetzung für das Über-Leben.
    Zum Glück muss ich mich mit meinem Ego nicht herumschlagen und bekomme von niemandem Besuch, der seine vernünftigen Einwände vertritt. Insofern ist es ein Geschenk, dass mich auch meine Familie nicht besucht, obwohl ich vier Geschwister habe. Alle würden sich Sorgen machen, welche Illusion ich hege, auch meine Frau, wenn ich mich nicht am ersten Tag nach dem Sturz von ihr getrennt und sie gebeten hätte, mich nicht zu besuchen.
    Meine Seele ist derzeit mein einziger persönlicher Ansprechpartner. Ich empfinde diese Auszeit als das Geschenk meines Lebens. Mein Ego hat Pause, welch eine Erholung! Der Preis dafür ist allerdings sehr schmerzhaft und vielleicht nicht wieder gutzumachen. Ich muss alles dafür tun, was einem Wunder gleichkommt, sonst ist mein Schicksal besiegelt.
    Der erste Schritt ist getan. Das Ziel ist klar, wenn auch nicht sichtbar. Das Sicherheitsargument, man müsse vorher sehen, wohin es geht, zählt nicht. Mein Kompass sind die fünf Kriterien. Außerdem will ich Fritz fragen, ob er nicht mein Guide (Führer) sein möchte. Der Aufbruch zu neuen Bewusstseinshorizonten erscheint machbar, jetzt brauche ich nur noch meine Beine.
    Bisher habe ich mein Geld als Filmemacher verdient. Warum nicht weiterhin? Wenn man seine Krankheit überwinden möchte, darf man sich von ihr nicht dominieren lassen, gibt mir meine Seele zu verstehen. Ich bitte Fritz, mich noch mal zu besuchen. Ich frage ihn, ob er die Produktionsleitung üernehmen würde, wenn ich in Ladakh einen Film drehe? "Warum nicht?", meint er.
    Großartig, damit ist meine Motivation, wieder laufen zu wollen, manifestiert. Ich beschließe, einen Film über unzivilisierte Menschen in Ladakh zu drehen, deren Bewusstsein ein anderes sein muss als das meine.

    *Während ich dieses Kapitel schreibe, habe ich zu meinem Erstaunen feststellen müssen, dass weder ich noch die Ärzte oder sonst irgendjemand sich darüber klar waren, welche einzelnen Schritte tatsächlich zu meiner Heilung geführt haben. Erst mit der Selbstreflektion, durch das Schreiben dieses Buches mehr als 20 Jahre nach dem Ereignis, begreife ich, wie die Spontanheilung überhaupt zustande kam. Noch Monate nach Beendigung dieses Kapitels kommen immer wieder neue Details der Geistigen Heilung an die Bewusstseinsoberfläche. Die übliche Fixierung auf das Physische und die Verdrängung der geistigen Prozesse macht die Analyse des Geistigen Heilens so schwierig und anstrengend. Streckenweise muss ich dieselben fürchterlichen Schmerzen noch einmal am Schreibtisch erleiden, die ich damals hatte, um mir bewusst zu werden, was seelisch und geistig bei mir eigentlich passiert war. Ohne die radikale Veränderung meiner damaligen Lebens- und Bewusstseinslage hätte ich den Rest meines Lebens im Rollstuhl verbracht.*



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 03.10.2006, 01:17


    Selbstheilung

    Am nächsten Morgen nach dem Frühstück, das ich flach auf dem Rücken liegend, geschickt mit einem Strohhalm und etwas Hilfe einer Schwester verzehre, liege ich wieder ganz ruhig auf meinem Streyker und verfalle in meine fast schon gewohnte tiefe Meditation ohne jede Ablenkung, nur den flachen Atem kontrollierend. Meine Aufmerksamkeit wandert zu meinem großen Zeh am gelähmten rechten bein hinunter. Ich bin fest konzentriert: "Da ist doch was?" Huscht da nicht der Schatten eines Gefühls vorbei? Vorbei ... " Ich bleibe konzentriert und warte ab ohne Erwartung. Es tut sich nichts weiter. "Nimm's nicht so wichtig", denke ich mir. "Neugierde stört nur, falls da im Zeh wirklich Leben war." Ich gehe mit meinem Bewusstsein zurück in die meditative Leerheit.
    Nach ein paar Stunden kann ich es mir nicht verkneifen, meine Aufmerksamkeit erneut zum Zeh hinuntergehen zu lassen, denn diesen kurzen Schatten eines Gefühls - den kann ich mir doch nicht eingebildet haben? Es ist deprimierend, wenn trotz aller aufgewendeten Kraft, um irgendeine Verbindung zu den gelähmten Körperpartien herzustellen, kein Durchkommen ist - tot, kein Funke von Reaktion. Mein Bewusstsein kann den gewünschten Körperteil nicht einmal orten, er könnte genausogut amputiert sein. Diese Frustration schlägt um in Resignation und lähmt den Wunsch, immer wieder innerlich zu testen. Die Ärzte sagen ohnehin, dass es absolut zwecklos ist.
    Am Morgen danach, fast zur selben Zeit nach dem Frühstück, passierte es aber noch einmal. Diesmal weiß ich hundertprozentig, dass dort unten in meinem großen Zeh ein Gefühl war, wenn nicht sogar eine Bewegung. Ich könnte..., aber ich darf mich ja nicht aufregen. Schon ein Zucken genügt und ein heftiger Schmerzschlag würde meine Konzentration zerstören. Ganz ruhig bitte ich die Pfleger und Schwestern unseres Zimmers zu mir ans Bett. "Nehmt mir bitte die Bettdecke vom Fuß und dann schaut zusammen auf meinen großen Zeh, ob sich da irgendetwas rührt?"
    "Ach Clemens ..."
    "Bitte tut mir den Gefallen ... eins ... zwei ... drei ... Habt ihr's gesehen? Mein Zeh hat sich bewegt."
    Eine der Pflegerinnen sagt: "Tut mir Leid, ich muss meine Arbeit weitermachen."
    Der Nächste: "Clemens, sei mir bitte nicht böse, ich hab zu tun."
    Noch einer: "Ich auch."
    Nur Peter und Nora stehen noch bei mir.
    "Bitte bleibt da, ich mache es nocheinmal. Schaut bitte ganz genau hin. Eins - zwei - drei ... jetzt habt ihr es aber gesehn?"
    Sie schauen mich liebevoll, aber ziemlich mitleidig an.
    "Ich spinn doch nicht."
    Peter fängt an, mir zu erklären, warum ich nicht spinne.
    "Diese Gefühle gibt es immer wieder, stimmt's Manfred?"
    Manfred am Fenster, der sich seit einer Stunde schweißtreibend alleine in seinen Rollstuhl arbeitet und es noch immer nicht schafft: "Ach Clemens, quäl dich nicht, ich hab das so oft, ich denke sogar, mein Schwanz steigt wieder, aber das ist alles Einbildung."
    "Entweder sind die Nerven im Rückenmark durch oder sie sind nicht durch. Ein bisschen durch gibt es bei Nerven nicht", erklärte Peter weiter, ohne Manfreds Beispiel aufzugreifen, das mich auch mal interessieren würde, denn da ist bei mir ja auch alles tot.
    Ich bitte Schwester Nora: "Tu mir einen Gefallen, leg deine Handinnenfläche ganz gespannt und hauchzart auf die Spitze meines großen Zeh und sag, ob du was spürst." Sie tut mir den Gefallen und ich zähle nochmal: "Eins - zwei - drei - ?? ??"
    Nora ist etwas verwirrt. "Kannst du es noch mal machen?"
    "Ich kann nicht mehr." Es ist wahnsinnig anstrengend. Wegen der unterdrückten Aufregung oder weil ich an mir selbst zweifeln soll, ich weiß es nicht.
    Nora motiviert mich: "Clemens, komm, zeig's mir."
    "Eins - zwei - drei."
    Sie schaut den Peter plötzlich so bedeutungsvoll an. "Komm du mal. Probier selbst, ich glaube ..."
    Peter legt seine Hand auf meinen großen Zeh, aber da tat sich nichts (mehr?). "Ist gut Clemens. Du kannst klingeln, wenn noch was ist."
    Nora im Weggehen zu Peter: "Ich glaub, ich hab was gespürt, meinst du, dass das möglich ist?"
    "Ausgeschlossen ..."
    Nora dreht sich an der Tür noch einmal kurz zu mir um. Durch meine flache Lage sehe ich sie kaum, aber glaube, sie hat mir zugelächelt.
    Ich weiß, dass ich nicht spinne, und Nora hat etwas gespürt. Auch wenn alle dagegenreden - da ist etwas. Ich hoffe nur, es bleibt nicht dabei, sondern entwickelt sich. Seele, wo bist du?
    Am Nachmittag, als die neue Schicht ihren Dienst aufnimmt und unser Zimmer gerade so herrlich sonnendurchflutet leuchtet, bitte ich um einen neuen Test. Ich erzähle den Pflegern und Schwestern aber nichts vom Vormittag, nur Manfred tönt gleich herum. Allerdings war ich bei Schichtwechsel auch schon Gespräch gewesen, wie man mir später gesagt hat. Egal, die Pfleger und Schwestern sind alle sehr nett. Diesmal legt Dorothea ihre Handfläche auf meinen großen Zeh, denn mit nur hinschauen gebe ich mich nicht mehr ab. "Eins - zwei - drei !"
    "Ja", sagt sie.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 04.10.2006, 00:13


    Dalai Lama - Ladakh

    Mit meinem Team und am Steuer ein tollkühner ladakhischer Jeep-Fahrer gerate ich über eine Abkürzung zwischen mehreren Serpentinen bergab auf steinigem Wildweg in einen Militärkonvoi von 16 Landrovern. An der Spitze, im zweiten Wagen hinter dem weißen Pilotfahrzeug, sitzt das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, Seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama. Er befindet sich in inoffizieller Mission durch ladakhische, heilige Stätten und stärkt im Interesse Indiens die kulturell zu Tibet gehörende ladakhische Bevölkerung gegen einen befürchteten Einmarsch der Chinesen. Erst vor ein paar Tagen war ich aufgeklärt worden, wer der Dalai Lama überhaupt ist. Bisher hatte ich nur ein paar Klischees über ihn im Kopf: "Gottkönig", "Theokrat", "Maos Feind" etc.
    Durch das waghalsige Abkürzungsmanöver unseres Fahrers reihen wir uns völlig unbeabsichtigt und unentdeckt an zwölfter Stelle in den Konvoi ein, der von Militär vorn und hinten gegen jeden Eindringling abgesichert ist. Just in diesem Moment muss die gesamte Kolonne an der nächsten Steigung anhalten, da der Sechszylindermotor im Auto des Dalai Lama heftig raucht. Neugierig ergreife ich diese einmalige Gelegenheit und gehe an zehn Fahrzeugen vorbei, in denen offenbar honorige Persönlichkeiten sitzen, die mich nicht beachten bis ich beim Wagen des Dalai Lama ankomme. Die Bodyguards aus dem Fahrzeug hinter ihm sind gerade damit beschäftigt, dem Fahrer seiner Heiligkeit dabei zu helfen, an einer am Berg unweit gelegenen Quelle Wasser für den Autokühler zu sammeln. Es hindert mich also niemand daran, an das offene Seitenfenster Seiner Heiligkeit heranzutreten, der im Wagen allein wartet, und ihn - völlig ahnungslos - auf Englisch zu begrüßen: "Good Afternoon".
    Tensing Gyatso, wie der Dalai Lama mit Geburtsnamen heißt, erwidert in hohem Kopfton auf seine weltberühmte, immer herzliche, humorvolle Art: "Oh, da sind Sie ja, mein Freund", als würden wir uns schon immer kennen, und setzt dann mit tiefer Kehlkopfstimme fort: "Was machen Sie hier?"
    "Ich möchte hier einen Film über unzivilisierte Menschen drehen."
    Der Dalai Lama schüttet sich aus vor Lachen. "Warum kommen Sie dann nicht mit mir?"
    Ich muss nun ebenfalls lachen und in diesem Moment packen mich von hinten zwei Bodyguards, sodass ich dn Boden unter den Füßen verliere. Sie sind aufgebracht, weil sie mich nicht schon vorher bemerkt haben, und reißen mich grob vom Wagenfenster weg. Ich zapple in der Luft. Der Dalai Lama macht eine kleine Handbewegung und die Bodyguards lassen mich fallen. Seine Heiligkeit setzt das Gespräch in ungestörter Fröhlichkeit fort: "Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir."
    "Vielen Dank, aber ich habe da unten meinen Wagen mit meinem Team."
    Der Dalai Lama dreht sich auf seinem Sitz herum und schaut auf die Passstraße zurück: "Die können hinterherfahren."
    Inzwischen bin ich umringt von vielen Personen, unter anderem ist sein Sekretär dabei. Alle betrachten mich wie einen Außerirdischen, der gerade gelandet ist, und es wird viel hin und her palavert, bis das Führungsmilitär auf Weiterfahrt dringt. Die Kühler der Fahrzeuge sind alle wieder mit Wasser aufgefüllt, sodass die Raserei durch den ladakhischen Himalaja fortgesetzt werden kann. Spontan reisen wir nun acht Tage mit seiner Heiligkeit durch die entlegensten Winkel Ladakhs. Täglich kann ich mich mit ihm stundenlang unterhalten. Oft können wir drehen, obwohl eigentlich alles ganz geheim und ohne Presse ablaufen soll.

    Diese Begegnung leitete bei mir einen großen Bewusstseinswandel ein, der alles übertraf, was ich je im "Stadion" zu ahnen wagte. In meiner geistigen Entwicklung vom Existenzialisten Albert Camus über den Sozialisten Jean-Paul Sartre, weiter über mein Engagement in der 68er-Studentenbewegung, unter anderem mit meinem Mitschüler Dany Cohn-Bendit und meinem Freund Rudi Dutschke, bis hin zu den 1973/74 bei mir einsetzenden ökologischen Ideen, dann dem Aufbau und der Gründung der *Grünen" sowie dem Abschied von dieser Partei war der mir durch den Dalai Lama persönlich vermittelte tibetische Buddhismus die gewaltigste Bewusstseinserweiterung, die ich bis dahin erfahren hatte.

    Als Seine Heiligkeit am 19. August 1985 aus Ladakh abreist, nennt man uns "Das Team Seiner Heiligkeit", wodurch wir, wo immer wir in Ladakh drehen, herzlich willkommen sind und höchste Kooperation und Zuneigung genießen. Wir filmen noch sechs Wochen Tag für Tag und kommen mit 20 Stunden schönstem belichteten Film und Tonmaterial wieder nach Hause.
    Drei Tage später werde ich mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren und vier Wochen in Quarantäne gehalten, weil ich schweren Typhus aus Ladakh mitgebracht habe, an dem ich fast gestorben wäre. Aber auch diese Krankheit dient ganz wesentlich meiner geistigen Orientierung. Nach dem Studium von Ken Wilbers *Halbzeit der Evolution* und einem Einführungsbüchlein in den tibetischen Buddhismus komme ich gesund aus dem Krankenhaus heraus und schneide innerhalb der nächsten sechs Monate den Kinofilm *Das alte Ladakh*, der zu einem verblüffenden, im deutschen Kino mit einem Dokumentarfilm bisher noch nicht dagewesenen Puplikumserfolg wird. Als ich dafür den Deutschen Filmpreis mit 400.000 DM erhalte, ist der Weg zu meinem nächsten Film über das buddhistische Bewusstsein *Tibet - Widerstand des Geistes* geebnet. Dieser Film wiederum führt mich zu meinem größten Erfolg *Living Buddha*.
    Insgesamt reiste ich sechsmal nach Tibet, fuhr dort auf 3.500 bis 5.600 Meter Höhe und Tausende von Kilometern im Jeep über Rüttelwege, ritt tagelang auf Pferden und lief viele Kilometer ohne irgendwelche Rückenprobleme. Manchmal, wenn ich kurze, heftige Nervenschocks erhielt, weil ich mich verhoben hatte, erinnerte ich mich an die Worte meines Professors in Schlierbach, wie gut es sei, dass ich noch Schmerzen habe, um mir der Gnade bewusst zu bleiben, die mir widerfahren ist.

    Bei meinem Vorhaben, gemäß meiner fünf Kriterien einen Film über"unzivilisierte" Menschen zu drehen, ist der Erste, der mir dafür über den Weg läuft, ausgerechnet der Dalai Lama - der zivilisierteste Mensch, den ich je kennen lernen durfte. Diese verblüffende Erfahrung manifestiert sich nicht nur in ihm, dem Friedensnobelpreisträger, sondern in allen Menschen, mit denen ich in Ladakh drehe. Sie haben zwar kein fließendes Wasser, keinen Strom und keine Straße etc., sie sind ungewaschen und leben in dunklen und verrußten Stein- und Lehmhäusern mit kleinen Fenstern ohne Glas, dennoch sind sie sehr zivilisiert. Niemand, den wir sprechen, hat in seinem Leben je von einem Mord oder einem Krieg gehört. Ihre Intelligenz ist so hoch, dass sie auch Dinge verstehen, die sie vorher noch nie in ihrem Leben gesehen oder über die sie nie etwas gehört haben, wie zum Beispiel unsere Filmkamera. Damit ich erklären kann, was ich damit mache, schieße ich Polaroidfotos von ihnen, die jedes Mal riesiges Gelächter auslösen und später auf ihren Altären einen Platz finden. Der Geistliche im Tal, der Geshe, ein studierter Mönch, der sich um das Seelenheil seiner Bevölkerung kümmert, verblüfft uns mit sinnvollen, witzigen Vorschlägen, wie magische Zusammenhänge durch Schnitt im Film dargestellt werden können. Unser ladakhischer Produktionsleiter bittet ihn, uns die berühmte Magie zur Anwerbung einer Geliebten zu verraten. "Nein!", das verbiete ihm sein Gelöbnis, "aber im Film", meint er, "lässt sich das doch durch Schnitt und Gegenschnitt so darstellen." Das sagt einer, der noch nie zuvor einen Film gesehen hat ...
    Nachdem wir uns schon besser kennen, kommt er regelmäßig auf seinem Weg von seiner Gompa (Wohn- und Zeremoniehäuschen) ins Dorf bei uns im Camp vorbei, das wir für zwei Monate dort aufgeschlagen haben. Eines Tages muss er mit mir ein ernstes Wort darüber sprechen, was ich zu tun und zu lassen hätte, um ein guter Buddhist zu werden. Sehr wichtig ist, dass ich in Zukunft keinen Knoblauch und keine Zwiebeln mehr esse. Mit diesem Verzicht habe ich aber ein Problem und erwidere: "Auf Zwiebeln könnte ich notfalls verzichten, aber ein bisschen Knoblauch habe ich doch sehr gern in manchem Essen." Er überlegt einen Moment, schaut mich prüfend an, schlägt mir dann auf den Oberschenkel und sagt: "Okay, dann iss Knoblauch."



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 04.10.2006, 00:31


    Praktischer Buddhismus

    So undogmatisch der Geshe die Philosophie vertritt, so locker leben die Ladakhis zusammen. Mit der Zeit finden wir heraus, dass es alle möglichen Familienkonstellationen im Dorf gibt. Gleich mehrere Frauen besitzen zwei Ehemänner und ihre Kinder wachsen in dem Gefühl auf, von beiden Papas abzustammen. Es gibt auch einen Mann mit zwei Frauen. Wir können nicht sagen, ob die Paare lesbisch oder homosexuell sind, die gleichgeschlechtlich in einer Hütte zusammenwohnen. Ihre Weltanschauung kennt keine Gebote, wer mit wem wie lange zusammenleben darf oder muss. Die buddhistische Philosophie mahnt nur zum gegenseitigen Respekt und verlangt, dass durch Trennung niemand in soziale Not geraten darf. Diesen Respekt übt man täglich durch Mantras, das sind liebevolle Vorsätze und Absichtserklärungen für ein harmonisches Zusammenleben der Familie, der Gemeinschaft, des Landes, der Welt und aller Lebewesen, inklusive derer, die unsereinem lästig fallen, wie Moskitos und Ratten.
    Die mentale Konditionierung wird zum Beispiel auch bei schweren Lasten angewendet: Die Träger singen, sobald sie die zentnerschweren Gerstenbündel auf dem Rücken haben, den ganzen Weg vom Feld bis ins Dorf: "Es ist nicht schwer, es wiegt kaum was, wir tragen leicht und sind ganz schnell."
    Niemand in unserem Team kann ein Bündel, das sie so nach Hause bringen, auch nur anheben, obwohl einige in meinem Team viel stärker gebaut sind als die Ladakhis. Ihre Ernten verbessern sie ebenfalls durch mentale Beeinflussung des Wetters und des Pflanzenwachstums. Dabei folgt die Gemeinde ihrem Geshe und versammelt sich zur gemeinsamen, fast zweistündigen Konzentrationsübung auf die günstigsten Bedingungen ihrer Ernte. Das schließt nicht aus, dass sie auf der materiellen Ebene ein hochintelligentes Bewässerungssystem so effektiv wie möglich betreiben. Alles, was wächst, wächst durch Gletscherwasser, denn es fällt das ganze Jahr so gut wie kein Regen.
    Keine Familie arbeitet allein auf ihren Feldern, man hilft sich nacheinander gegenseitig aus, sodass man in großen Gruppen die Arbeit verrichtet. Dahinter steht kein Bezahlungssystem, sondern das stets vorherrschende Bedürfnis nach Kommunikation und Unterhaltung. Die Gruppenarbeiten laufen unter ständigem Singen und Lachen ab und es gibt niemanden, der kommandiert. Man richtet sich nach denen, die mehr Erfahrung haben als man selbst. Wir beobachten zwar auch lebhafte Auseinandersetzungen, aber dabei handelt es sich nicht um Streits, wie unser Übersetzer sagt, sondern um Temperamentsausbrüche, die niemand krumm nimmt.
    Es gibt auch sonderbare Einzelgänger/innen im Dorf, die wir aber nicht ansprechen sollen. Sie werden von der Dorfgemeinschaft mitversorgt und haben ein oder zwei Betreuer. Ich halte mich nicht immer an diese Empfehlung und mache dann heftige Erfahrungen mit "Verrückten", die aber immer irgendwie positiv ausgehen und sogar zu unserer Anerkennung beitragen, die wir sehr bald im Dorf genießen.

    Nach sechs Wochen liege ich plötzlich mit über 40 Grad Fieber mehrere Tage im Zelt, ohne zu ahnen, dass ich Typhus habe. Im Morgendunkel, kurz nach 5 Uhr, höre ich um mein Zelt herum leise Stimmen und Schritte. Nach einer Zeit kommt mir dieses Getuschel sonderbar vor und ich schaue nach. Ich traue meinen Augen nicht: Da hat eine Gruppe von etwa 15 Dorfbewohnern darauf gewartet, dass ich wach werde, und sogleich zeigt mir eine Frau ihr in ein Schafwoll-Fleece gewickeltes nacktes, abgemagertes Baby, das Durchfall in fortgeschrittenem Stadium hat. Die flehenden Augen der Sippe bitten mich, dieses Baby zu retten. Ich weiß genau: Wenn ich jetzt den Kopf schüttle und mich in mein Zelt zurückziehe, werden sie mich in ihrem Herzen der unterlassenen Hilfeleistung anklagen. Tue ich etwas und das Baby stirbt, dann geben sie mir die Schuld. Ich weiß nicht, welche Variante die schlimmere ist. Erklären kann ich nichts.
    Ungeachtet dessen, dass kein Übersetzer in der Nähe ist, muss ich handeln. Das Einzige, was ich habe und wovon ich glaube, damit nichts zu verschlimmern, ist ein joghurthaltiges Darmmittel. Ob das Baby damit überlebt, kann ich nur inständig erhoffen (stark hoffen, das heißt beten). Ich zeige den Angehörigen, wie man die Kapsel öffnet, um den Puder herauszunehmen, und mache ihnen klar, dass sie dem Baby alle zwei Stunden den Inhalt einer Kapsel eingeben sollen. Die ganze Sippe zieht dankbar wieder ab. Ich sinke in meinem hohen Fieber zurück auf meine Matte und bleibe mit meiner Konzentration bei dem Baby. Dankbar und erleichtert erfahre ich nach zwei Wochen, dass das Kind überlebt hat.

    Ist dies das Ergebnis eines spirituellen oder materiellen Vorgangs? Wer oder was ist dafür verantwortlich, dass das Baby überlebt hat? Es gibt eine materielle, chemische Ebene durch das verabreichte Mittel und es gibt mehrere geistige Ebenen. Mit einem materialistischen Weltbild scheint der Fall einfach: Das Mittel hat gewirkt. Wobei Pharmakologen in Frage stellen würden, ob dieses harmlose Mittel in einem solchen schweren Krankheitsfall überhaupt zu verantworten gewesen wäre und nicht eine ganz andere medizinische Maßnahme hätte erforderlich sein müssen, damit das Baby überlebt.
    Unter einem energetisch-geistigen Weltbild, wie die Ladakhis es mir vermittelt haben, werden aber auch die Umstände der Verabreichung berücksichtigt, die für die Wirksamkeit ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Wäre der Mutter (bzw. dem Baby) das Mittel anonym überreicht worden, die Wirkung wäre ungleich schwächer ausgefallen oder gar nicht eingetreten. In Deutschland hat Prof. Dr. Franz Porzsolt eine vergleichende Studie mit Medikamenten durchgeführt, die einmal von einem Automaten und das andere Mal von einem Arzt ausgegeben wurden. Er konnte nachweisen, dass die Wirksamkeit im zweiten Fall ungleich höher war. Der geistige Einfluss des Helfenden geht sogar noch weiter, wie die Placeboforschungen beweisen. Bis zu 80% Wirksamkeit konnte Professor Porzsolt für ein Placebo erzielen, das bar jeden Wirkstoffes war, im Vergleich zu dem entsprechenden Medikament.
    Wodurch hat das Baby also überlebt?
    Die stärksten geistigen Faktoren im Weltbild der Ladakhis sind Absicht und Mitgefühl. In der Aktion der zirka 15 Dorfbewohner, die Mutter mit ihrem Baby nachts aus dem Dorf herauszubegleiten und unter neun Zelten das meine ausfindig zu machen, um mich bei Tagesanbruch um Hilfe zu bitten, ist eine starke Demonstration von Mitgefühl und Absicht für das Wohlergehen des Babys. Mein Verhalten war, medizinisch gesehen, vielleicht fahrlässig, aber ich hatte keine andere Wahl und diese Wahl zeigte ebenfalls eine positive Absicht. Die Heilung konnte aber nur von Dauer sein, wenn der seelische Konflikt gelöst wurde, der zu der großen
    Schwäche des Babys geführt hatte. Die Tatsache, dass die Mutter nicht mit wenigen, sondern mit ihrer ganzen Sippe um Hilfe nachgesucht hat, zeigt schon einen Teil der Konfliktlösung.
    Vielleicht suchte und brauchte die Seele des Babys diese breite Zuwendung der Sippe? Wie sollte die Seele ihre Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe anders ausdrücken als mit der Drohung, in Kürze den Körper zu verlassen? Bei den hygienischen Bedingungen, die in Ladakh herrschen, ist es keine Kunst, Durchfall zu kriegen, mit dem man seiner seelischen Not Ausdruck verleihen kann. ("Die Situation ist beschissen.") Nachdem die Sippe demonstrativ darauf reagierte und um das Leben des Babys aufrichtig gerungen hat, entschloss sich seine Seele zu bleiben.
    Dafür kann es viele Gründe geben. Vielleicht hatte es sich bisher nicht angenommen gefühlt, denn es war ein Mädchen (in Ladakh sind Jungs meistens willkommener), oder es hatte den falschen Vater, um von der Sippe angenommen zu werden. Unter dem geistig-energetischen Lebensverständnis der Ladakhis stellt sich die Ursache für Heilung anders dar als mit einem materialistischen Weltbild. Unter dem herrschenden materialistischen Weltbild ist es vollkommen legitim, dass sich hochangesehene Wissenschaftler, Ärzte, Chemiker offen dazu bekennen, dass sie mit ihren Möglichkeiten der naturwissenschaftlichen Ursachenforschung nur Teilerklärungen erhalten und für den Rest, den sie derzeit nicht erklären können, Gott verantwortlich machen. Auch Wissenschaftler können und wollen aus ihrer ganz persönlichen, subjektiven Erfahrung heraus nicht leugnen, dass mehr Kräfte wirken, als von ihnen wissenschaftlich, materialistisch anerkannt sind. Solange man diese Kräfte aber nicht analysiert und in sich zu unterscheiden lernt, brauchen sie einen Ort, an dem sie aufgehoben sind, und den nennen auch stramme Materialisten bei uns Gott.
    Das Ego mag zufrieden sein mit dem, was sich wissenschaftlich nachweisen lässt, aber die Seele spürt die ungeklärten Kräfte und hängt von ihnen ab. Diese einfach zu negieren führt bei der Seele zu gefährlichen Defiziten, wie ich sie an mir selbst erlebt habe.
    Interessant ist, dass in Gesellschaften mit einem energetisch-geistigen Weltbild der Heiler oder Schamane einen Patienten fast nie individuell behandelt, sondern in der Gruppe, denn Beziehungsprobleme werden dort als die häufigste Ursache für Krankheiten gesehen.

    Bei wem bedankt man sich nun eigentlich, dass das Baby überlebt hat? Beim Baby, dass es auf so selbstaufopfernde Weise für die Bereinigung des Beziehungsproblems gesorgt hat?
    Bei der Mutter, dass sie mir das Baby gebracht hat?
    Bei der Sippe, dass sie sich in solch großer Zahl für das Baby engagiert hat?
    Beim Hersteller des Medikaments, das zumindest nicht geschadet hat?
    Die Ladakhis danken in einer Zeremonie dem Aspekt des Mitgefühls (sie nennen es Chenrezig) dafür, dass es bei dem Baby geholfen hat. Wir würden uns entweder beim Arzt bedanken oder bei Gott. In diesem Fall gab es den Arzt nicht und Gott steht ebenfalls für den Aspekt des Mitgefühls und der Liebe, so wie Chenrezig bei den Ladakhis.
    Jeder muss in solchen Fällen seine persönliche Antwort finden, bei wem er sich für was bedankt. Ich betrachte es als Geschenk des Himmels, wenn sich für mein Bewusstsein wieder etwas entschlüsselt.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 04.10.2006, 23:31


    Erforschung des Geistes

    Wir müssen berücksichtigen, dass der Buddhismus seit mehr als 2.500 Jahren den Geist erforscht, während wir in westlichen Ländern schwerpunktartig die Materie erforschen. So weit, wie wir es auf unserem Gebiet der Materie gebracht haben, hat der Buddhismus es auf seinem Gebiet des Geistes gebracht. Wir dürfen auf keinen Fall glauben, Buddhisten, die im Himalaja auf dem Dach der Welt leben, seien unzivilisiert und primitiv und könnten uns geistig nicht das Wasser reichen. Was die so genannten Intellektuellen, Professoren und Gelehrten der buddhistischen Bergvölker in puncto Geist erforscht und zur Anwendung gebracht haben, steht in keinster Weise dem nach, was das Abendland in puncto Materie erforscht und bisher zur Anwendung gebracht hat. Am deutlichsten zeigt sich dieser unterschiedliche Interessensansatz in der Sprache.

    Als ich 1987 das erste Mal durch Tibet fuhr, lernte ich, dass alles, was wir an Technik dabeihatten, von den Tibetern *Moto* genannt wird - egal, ob es sich dabei um ein Auto oder eine Kamera handelte. Um differenzieren zu können, und um unsere Bauanleitungen für den Otto-Motor, das Handy, den Computer oder unsere Filmkamera übersetzen zu können, würden die Tibeter ein komplett neues Vokabular brauchen. In der tibetischen Sprache
    gibt es für diese technischen Sachverhalte nichts, aus dem sich Begriffe wie Ventil, Unterlegscheibe, Sprengring, Zündung, Semmering, Verteiler ect. ableiten ließen. man müsste den gesamten Schatz an technischen Wörtern aus einer industriealisierten Sprache ins Tibetische übernehmen, um sich über diese Dinge unterhalten zu können.
    Andererseits besitzen die Tibeter zum Beispiel 20 Begriffe für Bewusstsein. Wir hingegen können uns gar nicht vorstellen, wie man Bewusstsein in 20 verschiedene Bereiche unterteilen kann. Ebenso kompliziert und unverständlich erscheint den Tibetern unser technisches Vokabular, das sie nicht detailgenau übersetzen können und zu dem sie deshalb auch keinen Zugang bekommen, solange sie in ihrer Kultur bleiben. Interessieen sie sich für Technik, dann müssen sie also nicht nur unsere Sprache lernen, sondern auch etwas über unsere Weltanschauung. Daher leben Tibeter oft in einer Parallelwelt. Beide Weltanschauungen lassen sich bisher kaum mischen.
    Zu hoffen ist allerdings, dass dieser Konflikt für den Einzelnen nicht so ausgeht, dass er sich für das eine oder andere entscheiden muss, wie es bei so vielen ethnischen Identitätskonflikten der Fall ist. Ich halte es für notwendig, dass sich das materialistische und geistige Weltbild ergänzen und gegenseitig anerkennen, bis eines Tages die Widersprüche geschlossen sind. Diesbezüglich sehe ich täglich Fortschritte auf beiden Seiten, allerdings beobachte ich auch, dass viele Tibeter im Exil und unter chinesischer Herrschaft ihr geistig-energetisches Weltbild verkümmern lassen und spirituelle Fähigkeiten einbüßen, die ihre Eltern zum Teil noch hatten.
    Man muss sich klar machen: So tief gehend, wie im Abendland die Materie seit 1.300 Jahren erforscht wurde, so tief wurde in Tibet der Geist erforscht. Das erste Buch, das in Tibet geschrieben wurde, war das *Tibetische Totenbuch* (mehrfach ins Deutsche übersetzt), in dem beschrieben wird, was mit dem Geist nach dem Tod und vor der Geburt passiert bzw. wie wir zu einem bewussten Leben schon im Hier und Jetzt finden.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 04.10.2006, 23:36


    Begrenzung des Denkens

    Vielleicht lag es an dieser gegenseitigen Bedingtheit, warum ich über zehn Jahre brauchte, um auch nur ansatzweise die Denkweise der Tibeter zu verstehen. Alles, was ich denken konnte, war an den Körper gebunden. Mit meiner materialistischen Betrachtungsweise glaubte ich alles, was sich im Bewusstsein abspielt, sei definiert durch die Lebensdauer meines Körpers. Ich war nicht in der Lage, darüber nachzudenken, was vor der Geburt (Befruchtung) und nach dem Tod (Gehirntod) mit meinem Geist passiert. (Nachdenken konnte ich vielleicht schon, aber es fehlte mir der Zugang zu einer solchen Erfahrung.) Ursprünglich evangelisch erzogen, hieß es immer, nach dem Tod käme ich entweder in den Himmel oder in die Hölle, beides waren für mich keine aufschlussreichen Erklärungen darüber, wie der Geist beschaffen ist. Ich suchte Aufklärung und kein Märchen. Das Einzige, was ich daraus folgern konnte, war, dass der Geist über den Körper hinaus erhalten bleibt - denn wie sollte ich sonst mitbekommen, ob ich im Himmel oder in der Hölle bin?

    Als ich in der Schule begann, Camus und Sartre zu lesen, und anschließend in der Studentenbewegung den sozialistischen Standpunkt über das Leben nach dem Tod kennen lernte, schob ich diese christlichen Szenarien vom Jüngsten Gericht, von Petrus an der Einlasskontrolle zum Himmel, von Gottes Thron und seinem Erzengel Gabriel in das Reich der Märchen und Fabeln. Die marxistische Alternative vom schwarzen Loch nach dem Tod, dem Nichts, fand ich allerdings noch unglaubwürdiger. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass oftmals mein Geist ein Leben völlig unabhängig von meinem Körper führt, wenn er beispielsweise von Welten und Begebenheiten träumt,die mit meinem Körper überhaupt nichts zu tun haben. Wenn mein Geist unabdingbar mit meinem Gehirn verbunden und sein Leben von ihm abhängig wäre, wie kann er sich dann so vollkommen loslösen von meinem körperlichen Sein und mir Erfahrungen verschaffen, die nichts mit meiner Existenz zu tun haben? Der Geist erscheint mir dem Körper übergeordnet. Er kann Phänomene durchdenken, sie sich vorstellen und sogar Empfindungen im Körper hervorrufen, für die es keinerlei materielle Voraussetzungen gibt.
    Die Auffassung, vor und nach dem Leben sei nichts, erschien mir deshalb schon immer wie eine Alzheimer-Vision, eine Wunschvorstellung, man könne mit dem Tod einfach den Schalter umlegen und alles wäre aus und vergessen. Eine gefällige Entschuldigung für eine Lebenshaltung nach der Devise "Nach mir die Sintflut."

    Durch die intensive Identifizierung mit unserem Körper glauben wir, dass wir in erster Linie materielle, körperliche Wesen sind. Wenn wir körperlich nicht da sind, dann können wir geistig erst recht nicht da sein, denken wir. Stellen wir uns umgekehrt vor: "Wenn wir geistig nicht da sind, könnten wir dann körperlich noch da sein?" Ja, Koma-Patienten sind körperlich da, aber geistig weg, heißt es. Inzwischen weiß man, dass das nicht stimmt. Es gibt zu viele Beispiele, die zeigen, dass wieder zurückgekehrte Koma-Patienten sich an vieles, was sie im Koma erfahren haben, erinnern können. Ich gehe also davon aus, dass niemand materiell existiert, der geistig nicht auch noch in der einen oder anderen Weise da ist.
    Was aber hat nun Vorrang? Sind sich Geist und Materie ebenbürtig? Oder hat mal das eine und mal das andere die Oberhand? Die Erfahrung scheint zu lehren, dass das, was sich materiell vollzieht, in erdrückender Weise den Fortgang der Geschichte bestimmt. Geistige Impulse können sich zwar hin und wieder druchsetzen, müssen es aber nicht. Insgesamt erscheint die Materie dem Geist weit überlegen.
    Ist das wirklich so? Ob etwas stärker oder schwächer ist, ist letztlich eine Frage des Standorts, und den objektiven, richtigen Standort gibt es nicht. Alles ist relativ. Alles, was ich denke, sehe, höre, ist eingebettet in eine Geschichte an die ich glaube, die meine Wahrheit repräsentiert. Meine Geschichte oder meine subjektive Wahrheit in Frage zu stellen ist psychisch eine schwierige Angelegenheit. Je öfter ich meine Geschichte bzw. meine Weltanschauung vertrete, desto wahrer oder objektiver wird sie für mich, so dass ich immer weniger bereit bin, sie in Frage zu stellen.
    Hirnforscher und Mediziner nennen diese subjektive Wahrheit den *Knowledge Frame", in dem sich das Bewusstsein eines Menschen bewegt. Alles, was ich für wahr oder nicht wahr halte, ist Teil des Frames. Wenn es sich bei meinem eigenen Weltbild also nur um eine subjektive Wahrheit handelt und sich die Frage, ob mein Geist oder mein Körper stärker ist, objektiv nicht beantworten lässt, dann entscheide ich diese Frage danach, mit welcher Wahrheit ich mich wohler fühle.
    Den Grund für ungute Gedanken, schlechte Gefühle und körperliches Leiden suchen wir normaler Weise nicht im Knowledge Frame oder in dem, was wir für wahr und nicht wahr halten, sondern in äußeren, so genannten "objektiven" Bedingungen, zum Beispiel in der Umwelt, den Zeiten, dem Wetter, der Ansteckungsgefahr und so weiter. Das sind Bedingungen, die wir meistens nicht ändern können, und das verstärkt das Unwohlsein noch. Gewöhnlich hält man es für baren Unsinn, zu glauben, die Ursache für das Unwohlfühlen läge in dem, was man glaubt oder nicht glaubt, das heißt im eigenen Knowledge Frame.
    Ich selbst habe mich nur mal so zum Spaß auf die ganz pragmatische, opportunistische Frage eingelassen, was sich leichter ändern ließe, um mich wohl zu fühlen: die äußeren Bedingungen oder mein Knowledge Frame? Wenn mein Wohlgefühl nicht von meinem Geist bestimmt wird, sondern von äußeren materiellen und körperlichen Bedingungen, dann wird mein Wohlbefinden fremdbestimmt und ich bin quasi ohnmächtig. Wenn andere nicht nett zu mir sind, wenn sie mir für meine Leistung nicht die Anerkennung zollen, wenn die Umstände mein Vorhaben vereiteln, dann geht es mir schlecht.
    Wenn ich umgekehrt jedoch davon ausgehe, dass *der Geist stärker ist als die Materie*, lässt sich vieles ändern, um sich wohl zu fühlen. Ich könnte zum Beispiel mein Vorhaben abändern, das nicht funktioniert; ich könnte meine Erwartungen verändern, deren Nichterfüllung mich frustriert; ich könnte das, was ich für wahr halte, in Frage stellen und ebenso das, was ich für nicht wahr halte.Ich könnte mit meinem Geist eine Menge anstellen, wenn ich ihn beweglich halte und ihm die höchste Kompetenz für mein Wohlbefinden zuschreibe.

    Kehren wir zurück zu meiner persönlichen Heilungserfahrung. Wäre ich auf dem Streyker meinem Ego gefolgt, hätte ich akzeptiert, dass Materie stärker als der Geist ist, so wäre meine Lähmung fixiert worden. Ich kannte damals zwar alle diese Argumente noch nicht, mit denen meine Seele heute den umgekehrten Grundsatz verteidigt, aber ungewollt zog sich mein Ego so sehr zurück, dass ein Freiraum für erhöhte oder geistige Kreativität entstand, was aus materialistischer Sicht als Wunder bezeichnet wird. Für meine dauerhafte Heilung war entscheidend, dass das, was ich damals rein intuitiv tat, nach und nach ins Bewusstsein kam. Als ich dafür alle meine Kraft und Risikobereitschaft eingesetzt hatte, öffneten sich die Tore, ich konnte "das Stadion" verlassen und durfte gleich zum Einstieg in dieses *spirituelle Bewusstsein*, wie es auch genannt wird, "zufällig" den Dalai Lama treffen.
    Der Dalai Lama ist derzeit der weltweit anerkannteste Lehrer für das geistig-spirituelle Weltbild. Dennoch hat er mir während unserer gemeinsamen Reise durch Ladakh nicht etwa ein Paket mit seinem Bewusstsein überreicht, sondern mir den Anstoß gegeben, mein eigenes Paket zu schnüren - und damit bin ich seither beschäftigt.
    Wenn ein Plan nicht klappt, sage ich oft zum meinem Filmteam, das Problem liegt nicht an den Umständen und an den Bedingungen, sondern an unserem Plan. (Schon ein Plan ist eine Art Knowledge Frame, nur etwas kleiner.) Der Plan lässt sich wesentlich leichter an die Bedingungen anpassen als umgekehrt, nur steht einem dafür so manches Mal der Ehrgeiz im Weg. Ehrgeiz speist sich aus dem Festhalten an einer Weltanschauung. Fühle ich mich mit den vorhandenen Bedingungen und Umständen unwohl und mag meinen Plan trotzdem nicht ändern, dann liegt das daran, dass in meiner Weltanschauung darauf bestanden wird, Materie sei stärker als Geist. Die Materie manifestiert sich in den Umständen und in den Bedingungen, denen ich begegne; der Geist jedoch manifestiert sich in dem Plan, der letztlich nicht mehr ist als eine Idee. Mit einer Weltanschauung, in der der Geist stärker ist als die Materie, kostet es mich ein Lächeln, meinen, Plan, meine Idee zu ändern.
    Einigen Menschen macht diese Haltung Angst, weil sie die Prinzipien vermissen, die es verlangen, an einem Plan festzuhalten, und sei es noch so mühselig, die Bedingungen ihm anzupassen. Solche Prinzipien vertritt das Ego. Es möchte regieren und seine Anweisungen befolgt wissen. Das Prinzip, einen einmal gefassten Plan durchzusetzen, erweist sich meist als stur und unflexibel. Im Leben führt niemals nur ein Plan zum Ziel, sondern es hält Wege bereit, die mehr als überraschend sind. Ihnen gilt es zu folgen und dafür sind Flexibilität, Offenheit und Orientierung an der Priorität des Geistigen erforderlich.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 04.10.2006, 23:48


    Geist oder Materie?

    Testen wir das Postulat "Mein Geist ist stärker als die Materie" an einem krassen und sehr konkreten Beispiel: "Ich fühle mich durch die materielle Bedingung, sterben zu müssen, nicht wohl." Was nützt es, in dieser Angelegenheit zu glauben, der Geist sei stärker als die Materie?
    Gegen diesen Materiezerfall, gegen das Altwerden und schließlich gegen den Tod kommt der Geist nicht an. Es nützt auch nichts, sich da etwas vorzumachen, nur um behaupten zu können, "der Geist ist stärker als die Materie". Der Tod lässt sich nicht wegreden oder wegdenken, er bleibt Fakt, egal was der Knowledge Frame dazu sagt oder wie auch immer die persönliche Weltanschauung beschaffen sein mag.
    Meine Seele bittet mich einmal, die Sache weniger forsch anzugehen und folgenden Gedanken zuzulassen: Eine Materie oder, konkret gesprochen, mein Körper, der immer mehr zerfällt und sich eines Tages auflöst, ist nicht stark, sondern schwach und am Ende gar nicht mehr. Deshalb sollte ich gerade beim Beispiel Tod nicht vorschnell der Meinung sein, "die Materie sei stärker als der Geist". Wenn ich mein Wohlbefinden an das Postulat "Die Materie ist stärker als der Geist" binde, sinkt es mit dem Verfall der Materie kontinuierlich, und im Moment des Todes bin ich vollends frustriert oder angstvoll, wenn nicht sogar verbittert, weil das, worauf ich gesetzt habe - mein materielles Sein -, ein Ende hat.
    Betrachte ich das Beispiel "Tod" dagegen unter dem Postulat "Der Geist ist stärker als die Materie", dann steigt mein Wohlbefinden aus vielerlei Gründen: Der Geist ist an Raum und Zeit nicht gebunden. Das bedeutet, wenn mein Körper (die Materie) alt wird, gilt das noch lange nicht für meinen Geist. Wenn mein Körper seine Jugend verliert, kann mein Geist problemlos jung bleiben und mir durch geistige Mobilität höchstes Wohlgefühl verschaffen. Sehr viele älter werdende Menschen bestätigen, dass ihr Geist davon unberührt bleibt. Umgekehrt kann man kleine Kinder beobachten, deren Geist offenbar Dinge vorhat, die der Körper noch in keinster Weise beherrscht. Beide Lebensphasen zeigen, dass der Geist vom Körper sehr unabhängig ist.
    Wenn ich meinem unabhängigen Geist die höchste Autorität für mein Wohlbefinden zubillige, dann kann ich mich an Bildern erfreuen, die nichts mit meiner materiellen Umgebung oder mit meinem Körper zu tun haben. Mein Geist kann mir sogar die Illusion von Gerüchen und Geräuschen herbeiholen bzw. simulieren, auch wenn die Sinnesorgane daran nicht beteiligt sind, und dergleichen mehr.
    Mein Volksschullehrer sagte dazu: *Einbildung ist auch eine Bildung*. Er meinte es zynisch, aber im Grunde hatte er Recht. Menschen mit einem wachen, fantasiefreudigen Geist können die Augen schließen und sich scheinbar real existierende Eindrücke verschaffen. Und häufig hat dies dann deutliche Auswirkungen auf den Körper. Diesem Prinzip folgen unzählige Entspannungstechniken wie zum Beispiel das Autogene Training oder tief greifende Therapieverfahren wie die Hypnose etc. Unsere gesamte Traumwelt zeugt von der Dominanz des Geistes und auch hier erleben wir sehr oft, wie das Geträumte auf den Körper einwirkt: Nach einem schlechten Traum wachen wir schweißgebadet auf, ein schöner Traum hingegen hinterlässt ein deutliches Wohlgefühl im Körper.
    Viele meinen, dass der Geist dennoch der Materie unterlegen ist, weil er ohne die Materie zu dieser voluminösen Aktivität nicht in der Lage wäre. Diese Behauptung setzt jedoch voraus, man wisse, wo der Geist sitzt. Die einen vermuten ihn im Gehirn, andere im Herzen, Hindus glauben, im großen Zeh, moderne Biologen meinen, in jeder Zelle - egal, wenn alle diese möglichen materiellen Behauptungen des Geistes gestorben sind, dann - so glauben viele - ist auch der Geist gestorben.
    Doch für dieses Postulat hat noch nie jemand einen Beweis vorgelegt, weil dieser Beweis nur akzeptiert werden würde, wenn er in einer materiellen, messbaren Form erbracht werden könnte. Wie will man aber materiell beweisen, dass etwas materiell nicht existiert? Das geht also nicht; umgekehrt schon: Viele Menschen, die klinisch tot waren, haben, nachdem man ihren Körper wieder in die Existenz zurückholen konnte, von intensiven geistigen Eindrücken, also geistigen Aktivitäten, berichtet, für die das Gehirn aller Wahrscheinlichkeit nach keine ausreichend funktionierende, materielle Basis mehr bot.
    Lassen wir es dahingestellt; Nicht-Materielles lässt sich materiell nicht erklären. Und da es keinen objektiven Beweis für die Priorität des Geistes gibt, muss jeder Einzelne für sich herausfinden, mit welchem Knowledge Frame oder Glaubenssatz er sich wohler fühlt, und danach sein Leben ausrichten.
    Im Grunde macht es die Physik auch nicht anders. Derzeit ist das Atommodell noch immer das plausibelste Konzept, um physikalisch-chemische Prozesse zu beschreiben. ***Ob aber ein Atom wirklich so beschaffen ist, wie die Physik es definiert, mit einem Kern in dem Pro- und Neutronen sitzen, und drumherum die Elektronen fliegen, weiß sie selbst nicht. Das hat mir schon mein Onkel Werner auseinandergesetzt, als ich 14 war. Und er verstand sogar, dies mit 26 Jahren in einer Formel auszudrücken, wofür er mit 31 Jahren den Nobelpreis für Physik erhielt. Er sagte mit der Formel ......h, dass der Betrachter durch das Betrachten das Betrachtete beieinflusst. (Heisenberg'sche Unschärfenrelation) Man kann also mit letztgültiger Bestimmtheit nicht sagen, ob sich eine Sache wirklich so verhält, wie man sie sieht bzw. misst.
    Der Medizin geht es ebenfalls nicht anders, sie bedient sich plausibler Modelle für die Beschreibung von Wirkungen, aber weiß oft nicht, wie die Wirkung zustande kommt bzw. warum bei der Einnahme einer bestimmten Pille an einer bestimmten Stelle des Körpers eine Reaktion erfolgt.
    Alle Wissenschaft braucht das Experiment und bei jedem Experiment gibt es Nebeneffekte, die nicht gewollt sind und derer man nicht Herr wird, und die genauso wenig erklärbar sind wie der Haupteffekt. Mit der Wiederholbarkeit des Experiments ist es aber legitim, ein Postulat über Ursache und Wirkung aufzustellen. Es geht unter Wissenschaftlern nicht darum, Theorien zu beweisen, sondern sie anzuwenden und nach der Methode "try & error" den Effekt zu messen.
    Nicht anders verhält es sich mit der Theorie für das Geistige Heilen. Der Satz "Der Geist ist stärker als die Materie" muss ebenfalls nach der "try & error"-Methode hinsichtlich seiner Anwendbarkeit gemäß dem Plausibilitätsprinzip überprüft werden. Man kann geistig nicht heilen, solange man dem Satz "Die Materie ist stärker als der Geist" anhängt und zum Beispiel glaubt, die Materie sei unabdingbare Voraussetzung für den Geist. Da, wie geschildert, diese Frage objektiv nicht geklärt werden kann, muss man sie gefühlsmäßig entscheiden. Fangen Sie bei sich selbst an: Stellen Sie sich ihren Geist vor, der auch noch nach dem Tod lebendig ist, vielleicht sogar noch lebendiger als in Verbindung mit dem Körper. Dann wechseln Sie zur anderen Seite und stellen sich vor, der Tod der Materie vernichtet ihren Geist, schwarz, aus, tot - geistig tot.
    Wechseln Sie das Glaubenskonzept mehrmals, um sich das unterschiedliche Gefühl ins Bewusstsein zu holen. Lassen Sie sich - wenn auch nur für Minuten - vollständig auf jeweils das eine und auf das andere Weltanschauungskonzept ein: Was fühlen Sie bei *Tod* und der Geist lebt weiter? ... Gehen Sie nochmal zurück, lassen Sie sich sowohl das eine als auch das andere Konzept auf der Seele zergehen. Wiederholen Sie diesen Wechsel mehrmals und stellen Sie dann für sich fest: Wann fühlen Sie sich wohler, wenn der Geist oder wenn die Materie regiert?

    Als Hintergrund für diesen Test schauen wir uns an, wie das Verhältnis von Geist und Materie *am Anfang* war, als alles Leben begann. "Im Anfang war das Wort", heißt es in der Bibel. So auch im Koran und in den Veden, auf denen der Hinduismus beruht. Im Grunde findet man diese Aussage mehr oder weniger verklausuliert auch in jeder Naturreligion, denn immer gibt es ein geistiges Wesen, meist weiblich, oder androgyn, von dem das erste Ei oder die erste Perle ect. stammt. Der Grund dafür lässt sich verhältnismäßig leicht nachvollziehen: Bevor etwas materiell Gestalt annimmt, muss es der Geist erschaffen haben. Ohne Gedanke keine Tat. Soll ein Buch entstehen oder ein Film oder ein Tisch, muss ich vorher die Idee dafür haben. Die Idee muss so stark im Geist werden, bis sie reif zur Umsetzung wird. Meistens muss man die Idee aufschreiben, bevor sie sich in Materie umwandeln lässt. Ich betrachte dies als einen *Verdichtungsprozess*. Der Geist muss so präzise werden, dass er seine Idee auf den Millimeter oder auf den Bruchteil einer Sekunde festlegen kann. Materie ist also ein Ergebnis von Verdichtung und Strukturierung geistiger Impulse.
    Das gilt für alles, was der Mensch erschafft. Das gilt aber auch für alles, was Tiere erschaffen. Denken wir nur an Vögel, wie sie ihre Nester bauen. Auch Nester müssen, bevor sie materiell entstehen, von dem Tier geistig konzipiert worden sein, sonst wüssten die Vögel nicht, was sie für ihren Nestbau suchen sollen. Es ist ganz offensichtlich, dass das Tier eine Auswahl trifft, die geistig motiviert sein muss. Ich meine sogar, dass auch alles, was die Natur hervorbringt, zu seiner Entstehung einen geistigen Impuls braucht, ähnlich wie die Bibel es beschreibt: "Gott dachte, es werde Licht, und es ward Licht." Das Licht war weder vor dem Gedanken schon da, noch konnte es aus sich selbst heraus entstehen. Alles, was ist, braucht eine Ursache für sein Sein. Die Ursache für Licht ist die Idee von Licht.
    Ich kann logischerweise fragen, was ist die Ursache für die Idee. Die Antwort liegt im Geist, also wiederum bei einer Idee. Der Geist ist eine Kette von Ideen ohne Anfang und ohne Ende. Die meisten der Ideen erfahren keine Verdichtung und Konkretisierung, obwohl jede Idee sich wünscht, realisiert zu werden, aber der Geist ist zu reich an Ideen. Der Geist steht nicht still, das heißt, er ist nicht tot, er produziert unaufhörlich Ideen. Der Geist kann über sich selbst nicht hinausdenken und es findet sich nichts, was vor ihm gewesen sein könnte. Wenn der Geist also Voraussetzung für Materie ist, wie kann Materie dann stärker sein oder stärker werden als der Geist?****
    Die Umkehr dieses ursprünglichen Verhältnisses kann nur dadurch herbeigeführt werden, indem der Geist selbst diesen Positionswechsel herbeiführt. Materie kann den Geist nicht zwingen, sich ihm unterzuordnen. Das scheint zwar manchmal so, aber nur, wenn man diesen Positionswechsel in der Rangordnung bereits akzeptiert hat. Wir akzeptieren versuchsweise, dass der Geist Chef ist und auch ohne Materie (Körper) existieren kann. Wie fühlt sich das an? Würde das die Angst vor dem Tod beruhigen oder fühlen Sie sich angesichts des Todes wohler, wenn die Materie (der Körper) Chef wäre? Ich jedenfalls fühle mich besser bei der Annahme, dass der Geist die Materie überlebt. Mir macht dieser Gedanke sogar Spaß. Er ist auf jeden Fall weniger deprimierend als die Idee, der Geist verschwindet mit der Materie.
    Und überhaupt: Wohin könnte der Geist denn verschwinden, wenn der Körper zerfällt? Die Wissenschaft lehrt doch, dass sich nichts in Nichts auflösen kann. Alls in diesem Universum hat Folgen. Selbst der sterbende Körper löst sich nicht ins Nichts auf, er ist Futter für die Flammen, die Würmer oder die Geier. Die Energie, die ihn ausgemacht hat, kann sich ebenfalls nicht ins Nichts auflösen, sondern wandelt sich lediglich. Wohin könnte gemäß dieser Unzerstörbarkeit von Energie der Geist sich also auflösen?
    Es geht um die Bestätigung (oder Wiederherstellung) der Hierarchie unseres Seins. Vielen Menschen tanzt ihr Körper auf der Nase herum: "Mein Körper sagt mir ... mein Körper will nicht mehr ... mein Körper macht schlapp ... ich weiß nicht, was mit meinem Körper los ist ..." usw. - immer gibt der Körper den Ton an, als wäre er Chef im Hause. Chef ist jetzt aber der Geist. Vom Geist, das heißt von meinen Gedanken, werden meine Gefühle bestimmt und meine Gefühle produzieren körperliche Zustände. Mein Geist bestimmt mein Schicksal. Das beginnt damit, dass aus meinen Gedanken Worte werden und diese Worte zu Handlungen führen. Handlungen wiederum werden zu Gewohnheiten. Gewohnheiten bilden meinen Charakter und mein Charakter wird zu meinem Schicksal. In der Hierarchie des Daseins geht alles vom Geist aus. Alles, was umgekehrt verläuft, ist in Unordnung. Diese Unordnung kommt sehr leicht zustande, wenn in einer Weltanschauung Materie grundsätzlich stärker ist als der Geist.

    Das, was ich zu Beginn meiner Reise nach Ladakh "unzivilisiertes" Bewusstsein nannte und dort zu finden hoffte, musste ich nach dem Kennenlernen Seiner Heiligkeit Dem Dalai Lama korrigieren und "spirituelles" Bewusstsein nennen, denn mit "primitiv" und "unterentwickelt" hatte das, was ich gemäß meiner fünf Kriterien entdeckte, nichts zu tun. Die Menschen in Ladakh sind seit 200 v.Chr. Buddhisten und seither eine Hochkultur. Das spirituelle Bewusstsein ist an meine fünf Kriterien nicht gebunden, trotzdem liegt es außerhalb "meines Stadion", wohin die fünf Kriterien mich gebracht hatten.
    Alles, was ich in Ladakh lernte über Charakterbildung, Kraft der Gedanken und Meditation, endete zunächst bei meinem Körperbewusstsein. Für mich begann und endete das Leben mit meinem Körper. Alles, was vorher und nachher für meine Seele hätte bestimmend sein können, entzog sich meinem Weltbild. Ich konnte den Buddhismus veilleicht intellektuell verstehen, aber ich war nicht in der Lagé, ihn zu verinnerlichen. Was bedeutet mein Karma? Was heißt Kontinuität des Geistes?
    Der sinnfälligste Ausdruck dieser neuen Weltanschauung offenbarte sich in dem Bewusstsein, dass ich schon einmal gelebt haben soll. Ich horchte in mich hinein, ob da irgendetwas ist, was mich an ein Vorleben glauben lassen könnte. Ich fand nichts. Da aber in der Menschheit eine übergroße Mehrheit an Wiedergeburt glaubt, wollte ich der Sache nachgehen. Mein Entschluss stand sehr bald fest: Meinen nächsten Film mache ich über Reinkarnation.



    *** Die Kernfusion braucht bereits das quantenmechanische Modell nach Schrödinger, um die dabei vonstatten gehenden Prozesse theortisch beschreiben zu können.

    **** Der Geist wird von vielen Religionen personalisiert mit einem Begriff wie Gott oder Allah oder Shiwa oder ... oder: Der Einfachheit halber bleibe ich bei dem neutralen Begriff Geist. Jeder kann ihn auf sein Glaubenskonzept übertragen, die Aussage aber bleibt dieselbe.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 07.10.2006, 01:03


    Living Buddha

    *Reinkarnation* lautete der Arbeitstitel, unter dem ich vom Westdeutschen Rundfunk in Köln (WDR), von der Filmförderung Nordrhein-Westfalen, von der Filmförderungsanstalt in Berlin, vom Bundesinnenministerium und vom Sender Freies Berlin das Projekt mit einer Million Mark gefördert bekam. Ich wollte jemanden finden, der bald stirbt und seinen Tod von buddhistischen Lamas begleiten lässt, die mir dann zeigen könnten, in welchem Körper die Seele (oder der Geist) des Verstorbenen wiedergeboren wird. Die Vorgespräche mit den Lamas bestätigten mir, dass eine solche Dokumentation aus ihrer Sicht möglich ist. Damit von dem Sterbenden eine Begleitung von Lamas und meiner Filmkamera angenommen wird, suchte ich den Protagonisten unter Buddhisten. So hoffte ich, dass es gelingen könnte, die Verbindung von einem zum nächsten Leben zu dokumentieren.

    Die Recherche führte mich sehr bald zu einem Fall in Spanien, der 1986 auch bei uns Schlagzeilen machte: Ein tibetischer Lama (Geshe), der in seinem Exil in Kalifornien gestorben war, sei von einer Spanierin bei Malaga wiedergeboren worden, wofür es eine Reihe von Beweisen geben sollte. Um diese angeblichen Beweise zu sehen, fuhr ich nach Spanien und Nepal, wo der Schüler des Geshe lebte, der den Fall betreute und erklären konnte.
    Wie bei jedem Thema, in das ich eintauche, wimmelte es bald von Fallbeispielen, wo vorher gähnende Leere herrschte. Ich lernte mehr und mehr junge und alte Menschen kennen, die hochinteressante Dinge über ihr Vorleben zu berichten hatten. Mein Problem dabei war nur, dass ich Wiedergeburt als Dokumentarfilm und nicht als Spielfilm drehen wollte, und mich nicht darauf beschränken ließ, das Vorleben nur erzählt zu bekommen. Ich wollte, dass man in meinem Film einen Menschen in zwei Leben zu sehen bekommt und ich bei der Identifizierung der Kontinuität mit der Kamera dabei bin, sodass die Zuschauer und ich selbst urteilen können, ob Parallelen zwischen den beiden Existenzen zu erkennen sind oder nicht. Soweit der Plan - die Idee.
    Als ich in Spanien eintraf, war die Wiedergeburt des Lamas bereits drei Jahre alt und der Identifizierungsprozess abgeschlossen. In anderen Fällen gab es von dem jeweiligen Vorleben keinerlei Filmaufnahmen. Die Rettung für das Projekt war eine "zufällige" Begegnung mit dem Interimsregenten des buddhistischen Ordens *Kagypa*. Ich hatte, offen gestanden, zuvor keine Ahnung von den verschiedenen buddhistischen Orden in Tibet. Ich kannte inzwischen den Dalai Lama und wusste, dass er den buddhistischen Orden *Gelupa* seit 550 Jahren anführt und während dieser Zeit 14-mal wiedergeboren worden war und jedes Mal als die Kontinuität seines Geistes identifiziert werden konnte. Ich wusste damals noch nicht, dass es noch einen älteren buddhistischen Orden gibt, der sich *Kagypa* nennt und von Seiner Heiligkeit Gyalwa Karmapa geführt wird.
    Die *Kagypa* ist 250 Jahre älter als die *Gelupa* und seit dieser Zeit ist ihr Oberhaupt 16-mal gestorben und für dieselbe Sache wieder auferstanden, das heißt neu geboren worden. Zuletzt starb er 1981 in Chicago. Seither leiteten vier Interimsregenten seinen Orden, die solange im Amt sein sollten, bis der neu inkarnierte Karmapa die Amtsgeschäfte wieder aufnehmen würde. Karmapa überließ die Identifizierungen seiner Wiedergeburten nicht Dritten wie zum Beispiel der Dalai Lama. Karmapa hinterließ jeweils zum Ende seines Lebens (meines Wissens bisher als Einziger in der Welt) schriftlich, wann er wo bei wem wiedergeboren werden wird. Bisher ist ihm das, wie gesagt, 16-mal gelungen und er ist jeweils durch den eigenen im Vorleben sicher hinterlassenen Brief identifiziert worden. In meinem Buch *Living Buddha* zeige ich eine Tabelle, aus der hervorgeht, dass zwischen Tod und Wiedergeburt beim Karmapa meistens nur ein Jahr lag.
    Bis zu dem Tag, als ich 1987 über Karmapa informiert wurde, war seine Wiedergeburt noch nicht aufgetaucht und auch der Brief noch nicht, den er zur Identifizierung seiner Wiedergeburt versteckt hatte. Das war für mein Dokumentarfilmvorhaben besonders günstig. Erstens konnte ich sozusagen live dabei sein, wie man feststellt, ob es eine Kontinuität von einem Leben zum nächsten gibt, und zweitens gab es eine Menge Filmaufnahmen mit dem 16. Karmapa bis hin zu seinem Tod 1981. Zum Glück ahnten meine Geldgeber und ich nicht, dass ich bis zur Premiere sieben Jahre für dieses Projekt brauchen würde. Es dauerte allein schon fünf Jahre, bis Karmapas Prophezeiungsbrief gefunden wurde und die Suche beginnen konnte. Da der Brief sehr präzise war, dauerte die Suche selbst nicht lange. Ich hatte gehofft, dass er dort wiedergeboren würde, wo er gestorben war, in den USA, oder dass er vielleicht in Indien, seinem Exil, wieder auf die Welt käme, aber all das waren Spekulationen eines Nicht-Wissenden, der von Karma zu wenig verstand.
    Erst einmal war es ein Schock, dass Karmapa den verbotensten Teil der Welt, nämlich Osttibet, zu seinem neuen Geburtsort wählte. Später erst habe ich verstanden, warum er das getan hat, obwohl sein Risiko, von den Chinesen schon gleich als Kind umgebracht zu werden, sehr, sehr hoch war. Für die Tibeter aber war es ein großer Liebesbeweis und für das Fundament des Buddhismus essenziell.
    1994 kam meine Kino-Dokumentation, mit Buch, CD und einem Making-Of-TV-Film heraus. Noch heute bin ich allen Beteiligten zutiefst dankbar, dass sie sich ständig für Ausnahmeregelungen eingesetzt hatten, damit eine solche einmalige Dokumentation über Wiedergeburt entstehen konnte.
    In diesen sieben Jahren habe ich das Bewusstsein von der Kontinuität des Geistes in vielfältiger Weise verinnerlichen können. Je offener und sensibler ich für dieses Bewusstsein wurde, desto mehr erfuhr ich auch über meine eigenen Vorleben. In mehreren Rückführungen, bei denen sich innerhalb von Minuten der Vorhang des Vergessens hob, erlebte ich frühere Leben von mir. Ich hatte mir nie vorstellen können, wie dünn dieser Vorhang ist, obwohl er zunächst wie eine Betonwand wirkt. Mit ein paar entspannenden Atemzügen und einer Metapher für den Blick in ein früheres Leben war ich durch den Schleier des Vergessens hindurch. Was dann kam, war meistens keine leichte Kost. Meine Seele ergriff sofort die Gelegenheit, mir möglichst schnell genau das ins Bewusstsein zu bringen, worunter sie am meisten litt. Das war nicht nur in meinem Fall so, sondern in vielen, die ich bei ihrer Rückführung beobachten und danach sprechen konnte. Jede/r bestätigte diesen schnellen Zugang und das Erleben oft qualvoller Erinnerungen, die man auf der Liege des Rückführungstherapeuten durchlebt.
    Um davor nicht die Augen zu verschließen, braucht man die sensible Unterstützung eines Fachmanns, der, wenn er geübt ist, seine Fragen so formuliert, dass er keine Rückschlüsse vorgibt. Das Wichtigste bei seiner Arbeit ist der Umgang mit der sich selbst auferlegten Verantwortung. Dass uns der Vorhang des Vergessens wie eine Betonwand vorkommt, hat ja seinen guten Sinn. Wir könnten das derzeitige Leben nicht meistern, wenn uns die Beziehungen und Dramen früherer Leben ständig bewusst wären. Wir dürfen sie uns nur dann bewusst werden lassen, wenn wir vorbereitet sind, sie auch verarbeiten zu können. Der verantwortungsvolle Rückführungstherapeut entlässt einen nur dann, wenn das aufgedeckte Drama aus früheren Leben "umgeschrieben" ist, das heißt ein Happyend bekam.
    Es funktioniert so wie beim Drehbuchschreiben: Man geht in der Lebensgeschichte zurück, bis die Seele sagt, hier war die Welt noch in Ordnung. Von diesem Punkt aus wird den Widersachern so lange und so gründlich verziehen, bis sie friedvoll erscheinen und mein liebevolles Mitgefühl annehmen. Die Hassmotive meiner Peiniger werden relativiert und deren Nöten und Ängsten zugeschrieben, bis nichts mehr auf mir lastet. Man kann dabei so weit gehen, dass man die Todesumstände umprogrammiert. Die Seele reagiert wie das Gehirn: Eine Illusion ist genauso wirkungsvoll wie eine reale Erfahrung, sie muss nur wirklich so gemeint sein und darf keine noch so versteckten, aber wirksamen Ressentiments überdecken.
    Wird man aus einer Rückführung in das heutige Leben entlassen ohne die Umprogrammierung von Traumata und anderen schrecklichen Erfahrungen, war es kontraproduktiv, den Vorhang des Vergessens aufzuschieben, weil die Erfahrung mehr belastet als nützt.
    Rückführungen können verblüffende Erfolge zeigen, wie ich es zum Beispiel bei einer Frau miterlebte, die stark unter einer Wasserphobie litt. Kein Arzt, kein Analytiker, kein Therapeut hatte diese Phobie bei ihr auflösen können, weshalb diese Frau ihr Leben lang, 62 Jahre, bis zu dieser einen Rückführungssitzung keinen Spaß an Wasser haben konnte. In der Rückführung spülte die Seele im Handumdrehen die Erinnerung an den Tod durch Ertrinken in ihr Bewusstsein und die arme Frau musste diesen Vorgang noch einmal erleiden. An diesem Punkt setzte der Therapeut ein und machte ihr klar, dass diese Erfahrung zu dem früheren Leben und nicht mehr zu dem heutigen gehört. Die Umstände des Todes wurden genau betrachtet, Schuldvorwürfe geklärt und dann ad acta gelegt. Die Angst vor dem Wasser wurde erkannt und damit gebannt. Sie konnte dort abgelegt werden, wo sie entstanden war, und hatte von da an keinerlei Auswirkungen mehr auf das neue, jetztige Leben. Die Frau kam aus der Rückführung heraus und war von ihrer Wasserphobie für immer geheilt.
    Hätte ich nicht durch den Kontakt mit Asiaten/Buddhisten deren Vorstellung von vielen vergangenen Leben erfahren, ich hätte mich wohl niemals rückführen lassen. Heute bin ich dankbar dafür, denn ich habe erfahren, von wieviel Leid man dadurch befreit werden kann und wie stark das Verständnis für die Seele wächst. Für das meiste, was uns prägt, reichen die Erfahrungen dieses Lebens nicht aus. Die Prägungen und Muster, denen wir anhängen, haben durchweg ihre Wurzeln weit, weit vor dieser Inkarnation.
    Ich sehe dies auch an meinen Kindern. Als ich sie unmittelbar nach der Geburt in meinen Armen hielt, war dies eine Begegnung mit einer jeweils ausgeprägten Persönlichkeit. Obwohl meine beiden heute großen Kinder von Anfang an die exakt gleiche Sozialisation genossen und von denselben Eltern abstammen, unterschieden sich ihre Persönlichkeiten fundamental von der ersten Minute ihres Lebens an. Diese Unterschiede lassen sich allein mit Soziologie und Darwinismus nicht erklären.
    Wir kommen später noch darauf zurück, warum die Ähnlichkeiten zwischen Großeltern und Enkeln manchmal so frappierend stark sind. Jeder Mensch ist eine Schnittstelle familiärer und karmischer Abstammung und sehr oft trifft beides zusammen. Für die karmische Abstammung brauchen wir Lehrer, die sich mit der Natur des Geistes befassen. Für die familiäre Abstammung gibt es inzwischen unter anderem die Methode der Familienaufstellung nach Bert Hellinger. Für beide Systeme sind Experten und Lehrer vonnöten, solange dieses Verständnis noch so jung ist. Wer sich über die Faktoren seines Schicksals bewusst werden möchte, hat heute die Gelegenheit dazu, ohne weit fahren zu müssen. Eher selten wird die karmische und familiäre Abstammung in einem untersucht, was uns jedoch mehr entsprechen würde, weil beide Faktoren miteinander verschmolzen sind. Sie sind so eng miteinander verschmolzen wie Intuition und Ratio.
    Ich wusste lange nicht, wie ich Intuition leben kann, Zwar wusste ich, dass es sie gibt, und ich konnte an mir auch beobachten, dass ich viele Dinge aus dem Bauch heraus entschied, aber so richtig entwickeln und mich darauf verlassen konnte ich mich zumindest damals, bevor ich mich für das energetische Weltbild öffnete, nicht wirklich.
    Auch wenn ich es geschafft habe, aus dem "Stadion" herauszukommen - es ist aus meinem Bewusstsein nicht verschwunden, sondern das, was ich außerhalb des "Stadions" gefunden habe, kam noch hinzu. Aber anfangs fragte ich mich: Wie bringe ich diese beiden Bewusstseinsarten zusammen?
    Da ich mit dem Film über die Wiedergeburt Karmapas nicht schnell genug vorankam, wollte ich parallel diesen Konflikt zwischen Ratio und Intuition bearbeiten. Ich konzipierte also einen zweiten Film über den Widerspruch zwischen materialistischem und spirituellem Bewusstsein. Dieses Phänomen wollte ich am liebsten sozusagen vor meiner Haustür dokumentieren. Ich lebe in Bayern und es ist kein Problem, hier die materialistische Weltanschauung einzufangen, aber ich befürchtete, dass der andere Weg, der spirituelle, entweder zu starr in Form des Katholizismus oder zu sektiererisch in Form von Esoterik zum Ausdruck käme. Ich suchte nach einer Alternative und hörte, dass einerseits die Tibeter das religiöseste Volk seien und gewissermaßen rund um die Uhr ein spirituelles Leben führten und andererseits die sie besetzenden Chinesen die zurzeit am materialistischsten eingestellten Leute auf der Erde seien.
    Diese rein spirituelle Ausrichtung, wie sie in Tibet seit 1.300 Jahren herrscht, und die Mischung aus Mao-Ideen und ungehemmtem Kapitalismus bei den Chinesen ließ erwarten, dass dieser Weltanschauungskonflikt in Tibet auf einer gesellschaftlichen, offen sichtbaren Ebene verläuft und an jeder Ecke zu beobachten ist. Die beste Voraussetzung für einen Dokumentarfilm.***

    ***siehe: Tibet - Widerstand des Geistes



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 07.10.2006, 01:14


    Tibet - Widerstand des Geistes

    Davon überzeugte ich auch den Westdeutschen Rundfunk in Köln (WDR). Eineinhalb Jahre hatte ich mich mit Hilfe des WDR und der Deutschen Botschaft in Peking darum bemüht, von den Chinesen eine offizielle Einreise mit Drehgenehmigung zu bekommen. Am Ende erhielt ich ein Telegramm der chinesischen Informationsministerin auf Deutsch: "Es tut uns Leid, Ihren Antrag ablehnen zu müssen. Für exklusive Persönlichkeiten, wie Sie es sind, haben wir in Tibet leider nicht die adäquaten Unterbringungsmöglichkeiten." Als mein Team dennoch ohne Drehgenehmigung, als Touristen getarnt, in Tibet ankamen, lernte ich in kurzer Zeit viel über das spirituelle, intuitive Leben der Tibeter. Es war interessant, zu beobachten, wie bewusst sich die Tibeter für den spirituellen Weg entschieden hatten.
    Das Rad war ihnen bei der Einführung des Buddhismus vor 1.300 Jahren erneut angeboten worden. 3.600 Jahre vor unserer Zeitrechnung hatte man es in ihrem Nachbarland China erfunden, aber die Tibeter sagten: Nein, danke. Das Rad hatte bereits einen Siegeszug durch alle bekannten Kulturen angetreten, aber die Tibeter verweigerten sich ihm. Sie dachten und meditierten lange über das Rad und malten sich aus, welche Folgen es für sie haben würde. Das Rad veränderte damals die Gesellschaft so rasant, wie es heute das Internet tut. Es forcierte das materialistische Vorgehen wie keine zweite Erfindung. Die gesamte technische Entwicklung begann mit dem Rad. Diese Technik zieht bis zum heutigen Tag Rationalisierungsprozesse nach sich, die das Leben jedes Einzelnen tief greifend verändern. Es begann mit dem Straßen- und Karrenbau, führte zu Mühlen, Bohrern und jeder Art von Mechanik. Das Rad veränderte das Verhältnis zur Natur und zur Geschwindigkeit grundlegend.
    In Tibet hatte das Rad eine Diskussion ausgelöst, die vergleichbar ist mit der über Genmanipulation bei uns. Tibets Nein zum Rad war nur durchzuhalten wegen seiner geographisch unzugänglichen Lage, abgeschirmt von den höchsten Bergen der Erde und seinem unwirtlichen Klima. Trotzdem, verbieten ließ sich das Rad auch in Tibet nicht mehr. Da "der Geist des Rades" schon mal aus der Flasche war, konnte man ihn nicht wieder einfangen. Der Geist ist so begierig darauf, seine Ideen umzusetzen, dass sich eine solch gigantische Idee wie das Rad nicht einfach negieren ließ. Was machte man aber, wenn man erkannt hatte, dass das Rad eine materialistische, ratioorientierte Entwicklung nach sich zieht, die man aus guten Gründen nicht will?
    Erst die Chinesen führten 1959/1960 bei ihrer Invasion das Rad in Tibet ein. Aber die Tibeter sind nach wie vor tief in ihrem spirituellen Denken verankert. Alles, was sich in Tibet bewegt und tut, bewegt sich aufgrund geistiger Kräfte. Ob ich mich mit einem Schul- oder Nomadenkind unterhalte, ob ich den Potala, den (ehemaligen) Sitz des Dalai Lama bestaune oder ob ich einem Bauern bei seiner Arbeit zusehe, immer und überall kommt das spirituelle Bewusstsein zum Ausdruck. Auch mich als Fremden fragten sie bei jeder Entscheidung: "Hast du dazu schon die und die Geister befragt? Hast du dir ein Mo*** geben lassen? Hast du heute früh die Geister gefüttert?", und so weiter. Ohne die Einbeziehung und die Bedienung der geistigen Ebene machen die Tibeter keinen Schritt. Das ist so selbstverständlich, wie bei uns jeder ein Konto bei einer Bank unterhält. Wir achten vor einer Autoreise darauf, den Tank voll zu machn, die Tibeter halten, bevor sie auf Reisen gehen, ein Ritual ab, bei großen Reisen sogar eine Zeremonie, die bis zu mehreren Tagen andauern kann.
    Wer glaubt, diese geistigen flankierenden Maßnahmen nicht nötig zu haben, braucht sich nicht zu wundern, wenn er unterwegs große Probleme bekommt, sagen die Tibeter. Die in Ritualen und Zeremonien ausgedrückte Kommunikation mit der geistigen Ebene schafft bei dem Reisenden ein Energiefeld, das andere, auch vollkommen fremde Menschen, spontan dazu veranlasst, mit dem Fremden freundlich und hilfsbereit umzugehen. Immer dann, wenn wir auf einer Reise sagen: "Glück gehabt", gibt es für die Tibeter eine Ursache dafür.
    Ein solcher ursächlicher, geistiger Zusammenhang mag von uns in Frage gestellt oder auch belächelt werden - es ist aber dasselbe unwissende Lächeln, das die Tibeter uns schenken, wenn wir ihnen erklären, wie die Handyverbingung zu einer Person auf der anderen Seite des Globus funktioniert. Die Tibeter halten das für pure Magie. Alle Begriffe, mit denen wir ihnen die dahinter liegende Technik für diese Art Kommunikation "durch die Luft" erklären wollen, hören sie sich staunend bis bewundernd an, aber sie entwickeln deshalb noch lange kein eigenes technisches Bewusstsein. Wie schon erwähnt, fehlt es ihnen an den sprachlichen Grundlagen dafür. So ähnlich geht es uns umgekehrt.
    Dieser Vergleich hinkt natürlich insofern, als es zwischen technischem Bewusstsein und spirituellem Bewusstsein einen entscheidenden Unterschied gibt: Die geistige Ebene, mit der die Tibeter kommunizieren, ist nicht von ihnen getrennt, sie sprechen nicht mit einem über ihnen existierenden Gott, sondern sie stimmen ihre verschiedenen Charakteraspekte auf ein gutes, mit sich selbst zufriedenes Verhalten ab, das sich durch Bescheidenheit, Wachheit und Herzlichkeit auszeichnet. Solche Konditionierungen führen zu wesentlichen Unterschieden im Verhalten, das sich manchmal an ganz kleinen Dingen offenbart, wie das folgende Beispiel zeigt:

    Ich frage an einer einsamen Weggabelung einen Tibeter, der uns gerade entgegenkommt, nach dem Kloster Rikon. Der sprachlichen Einfachheit halber sage ich nur "Rikon?" und zeige auf einen der beiden Wege. Der Tibeter verneigt sich höflich und sagt: "Re, re" (Ja, ja) und blickt mich dabei freundlich und ehrfürchtig an. Ich wiederhole noch zweimal meine Frage und bekomme zweimal dieselbe Antwort. Also marschieren wir weiter mit unseren schweren Geräten den Berg hinauf. Plötzlich landen wir im No-where.
    Wir könnten nun denken, dass dieser Tibeter ein falscher Hund ist, denn er hat uns, so freundlich er auch war, in die Irre geschickt. Bei dieser Höhe von über 4.500 Metern haben wir uns sehr geplagt, sodass wir über die falsche Auskunft sauer und enttäuscht sind. Hätten wir jedoch die Mantras und Gebete der Tibeter studiert, mit der sie sich auf Fremde vorbereiten, um Glück zu haben, hätten wir gewusst, dass ein Tibeter sich so programmiert, dass er einem Fremden niemals widerspricht. Der Fremde ist für ihn immer der Höherstehende, der Ehrwürdige, den man zuvorkommend und devot behandelt.
    Hätte ich in diesem Bewusstsein gehandelt, hätte ich ihn, bevor ich es wagte, ihn etwas zu fragen, sehr höflich begrüßt, ihm ein Kompliment gemacht (das geht auch ohne Sprachkenntnisse) und ihn dann gebeten, mir gütigerweise zu sagen, welcher Weg zum Kloster Rikon führt. Selbstverständlich hätte er mir mit großer Freude den richtigen Weg gewiesen. So aber stürzte ich ihn in ein Dilemma, weil ich ihm meine Erwartung vorgab, indem ich auf einen Weg zeigte und fragte "Rikon?". Da sein erstes Gebot ist, widerspreche keiner ehrwürdigen Person, durfte er nicht mit "Nein" antworten, sondern musste mir beipflichten.
    Tibeter, die mit dieser Grundeinstellung ihr Land (oder Exil) verlassen und in eine ihnen vollkommen fremde Welt vorstoßen, werden erstaunlich freundlich und zuvorkommend behandelt, weil sie in jeder Lage diese Demut ausstrahlen. Wir sagen dazu nur: "Hast du aber Glück!"

    Ein anderes Beispiel: Ich frage in Lhasa einen Tibeter nach dem Postamt. Er nimmt mich warmherzig an der Hand und führt mich, bis wir vor dem Postamt stehen. 15 bis 20 Minuten, die wir zusammen laufen, hält er mich durchgehend an der Hand. Mit seiner anderen Hand gestikuliert er in dem Versuch, die Sprachbarriere zu überwinden. Die eigentliche Information über mich nimmt er aber durch die Berührung unserer Handflächen auf. Wenn ich etwas sensibel bin und gegen eine solche Verbindung keine Vorbehalte hege, nehme ich ebenso viel Inforamtion auf diesem Wege auch von ihm auf, ohne die Wortebene verstehen zu müssen.
    Allmählich wurde mir klar: Wenn ich in dem Bewusstsein aufwachse dass der Mensch primär ein geistig/seelisches Wesen ist, kommuniziere ich zuförderst auf dieser intuitiven Ebene. Blicke und Körperhaltungen sagen über diese Ebene im ersten Moment das meiste aus. Solches Denken und Verhalten wird mit den Mantras und Ritualen täglich eingeübt. Das schafft einen angstfreien, offenen, ehrlichen und respektvollen Umgang miteinander, der das Leben geschmeidiger, unkomplizierter und wesentlich freundlicher formt, als es die rein sachliche, korrekte, distanzierte Umgangsweise vermag, bei der man oft Pech hat. Wer auf die geistig-seelische Ebene verzichtet oder sie für Aberglauben hält, muss das mangelnde Glück durch viel erkaufte Dienstleistungen und teure Sicherheitsmaßnahmen ausgleichen - ein mühevolles und isoliertes Leben.

    Man war sich in Tibet vor 1.300 Jahren also einig, dass man den materialistischen Weg nicht gehen möchte. Trotzdem blieb die Faszination, die vom Rad ausging, groß, sodass es sich bei aller grundsätzlicher Ablehnung nicht verbieten ließ. Die Lösung des Problems musste eine *Synthese* aus Rad und Spiritualität sein.
    Die wichtigste Kraft im geistigen Weltbild sind die Absicht, der Wunsch, das Gebet, die Mantras. Wenn sich diese Kraft mit Hilfe des Rades vervielfältigen bzw. rationalisieren ließe, dann würden auch die Hüter des geistigen Weges nicht mehr viel gegen die Einführung des Rades vorzubringen haben. Die Lösung war die Gebetsmühle. Man schreibt die wichtigen, starken und erprobten Mantras, Gebete und Wünsche auf lange Papierstreifen oder dünne Lederbänder und wickelt sie auf eine Trommel. Allein schon das endlos wiederholte Niederschreiben dieser Texte erfordert hohe Konzentration und intensive Beschäftigung mit den Inhalten der Texte. Das erhöht ihre Kraft, weil sie sich besonders tief im Gehirn einprägen. Die Trommel wird um die Achse gedreht - und fertig ist die Anwendung des Rades, wodurch sich nun die ausstrahlende Kraft der Texte mit dem Drehen der Gebetsmühle vervielfacht.
    Jede Umdrehung des Textes wird gezählt wie einmal gesprochen. Die Rationalisierung wird zusätzlich intensiviert, indem man die Gebetsmühlen von fließendem Wasser oder Wind antreiben lässt. Sogar Hunde, wie auch mein kleiner Tibet-Spaniel, den ich von Karmapa in Tibet geschenkt bekam, sind so abgerichtet, dass sie es als ihre Aufgabe ansehen, mit beiden Vorderpfoten eine Gebetsmühle anzuschieben.
    Ich habe Gebetsmühlen von der Größe eines Eies und kleiner bis hin zu großen, tonnenschweren Zylindern bedient, die allein nur schwer zu bewegen waren. Beobachtet man, mit welcher Inbrunst die Tibeter diese Geistesübungen mit den Gebetsmühlen vollziehen, hört jedes Grinsen auf. Wir sollten uns hüten, solche Handlungen arrogant als Aberglaube abzuqualifizieren, so, wie die Chinesen es machen und dafür die Tibeter foltern. Das Drehen einer Gebetsmühle ist als monotone Dauerarbeit mit konditionierendem Inhalt nicht zu unterschätzen. Um den Geist ruhig zu stellen, wenden alle Religionen einen monotonen Vorgang an, denn damit beschäftigt man den unruhigen, immer aktiven Teil des Gehirns und der Rest kann sich erholen. Dies hat dieselbe Wirkung wie Meditation.

    Folter gegen Spiritualität

    Ich drehe für diesen Film *Tibet - Widerstand des Geistes* mit einem Abt, der eine Poh-Wa-Zeremonie*** leitete. Er hatte 26 Jahre in chinesischer Gefangenschaft verbracht, weil er Buddhist ist. Jedes Jahr fragten ihn seine chinesischen Aufseher, ob er noch an Wiedergeburt glaube. Er antwortete: "So, wie ihr daran glaubt, dass morgen früh die Sonne wieder aufgeht." Dafür wurde ihm jedes Mal eine Scheibe von seinem linken Arm abgehackt, 26-mal. (Das ist leider keine vereinzelte Geschichte und auch keine veraltete; auch heute noch wird in den Gefängnissen in Tibet täglich gefoltert.)

    *** Mit der Po-Wa-Zeremonie wird dem Verstorbenen klar gemacht, dass sein materielles Sein beendet ist und er nun den toten Körper verlassen muss. Der Körper wird nach der Zeremonie auf tibetische Art bestattet. Da acht Monate im Jahr tiefer Bodenfrost herrscht und Brennholz sehr rar ist, kann man die Toten weder beerdigen noch verbrennen, man kann sie nur den Geiern verfüttern. Damit das Gerippe des Verstorbenen nicht übrig bleibt, haben die "Himmelsbestatter" die Aufgabe, den Körper für die Vögel zu zerkleinern. In der Po-Wa-Zeremonie wird die Seele (oder der Geist) aufgefordert, den Körper zu verlassen; außerdem bekommt sie detaillierte Anleitungen für eine gute Wiedergeburt.


    Als ich das erste Mal 1987 nach Tibet fuhr, hatte ich nicht damit gerechnet, dass das spirituelle Weltbild von dem materialistischen so brutal bekämpft wird. Diese Erfahrung hat mich darin bestärkt, mit meiner öffentlichen Tätigkeit zu einem Ausgleich der Weltanschauungen beizutragen.
    Mir ist es absolut unbegreiflich, wie Politiker demokratischer Länder der Meinung sein können, die Chinesen dürften die Tibeter foltern und ausrotten. Sie nehmen diese Brutalität offenbar hin, weil sie sich bei den Chinesen einschmeicheln wollen, in der Hoffnung, Aufträge nicht an andere, konkurrierende Industriestaaten bzw. Unternehmen zu verlieren, von denen sie sich keinen Vorteil versprechen können. Sie kritisieren China wohl auch deshalb nicht, weil sie im Grunde mit der kommunistischen Partei Chinas, die eine Mischung aus Marxisten, Maoisten und Neukapitalisten ist, sich darin einig fühlen, dass der tibetische Buddhismus Aberglaube ist und es nicht schadet, wenn er ausgemerzt wird.
    Sie unterschätzen dabei nur, dass die Tibeter sich auch nach einem halben Jahrhundert der Folterung ihr geistiges Weltbild nicht haben austreiben lassen, obwohl in Tibet jetzt eine Generation lebt, die ausschließlich unter chinesischer Herrschaft aufgewachsen ist und entsprechend zu denken gelernt haben sollte. Wenn aber Erziehung und Abschreckung den"Aberglauben" nicht beseitigen können, dann muss man "leider" den ganzen Menschen beseitigen, und das findet heute in den Gefängnissen mit Massenerschießungen statt und im großen Stil auch durch Zwangsabtreibungen bei Tibeterinnen. (Siehe mein Film *Die Not der Frauen Tibets*.) Die Chinesen nennen dies Geburtenkontrolle, die Tibeter Schlachtungen.
    Der Bevölkerungsanteil der Tibeter in ihrem eigenen Land ist zwischen 1959 und heute von 100% auf unter 37% gefallen. Das kommt hauptsächlich durch die Zuwanderung von mehr als 9 Millionen Han-Chinesen zustande, aber auch durch die systematische Ermordung der Tibeter und durch die, die fliehen konnten.
    Auf allen meinen Reisen habe ich kaum größere Egoisten kennen gelernt wie diese Zuwanderer. Natürlich ist das eine spezielle Auswahl unter den 1,4 Milliarden Chinesen, dennoch geben sie ein erschreckendes Bild von China ab und man denkt nicht, dass es nur die chinesische Führung ist, die sich faschistisch verhält. Wie in meinem Film *Tibet - Widerstand des Geistes* zu sehen ist, schließen sich Hunderte chinesische Straßenpassanten der chinesischen Polizei an, wenn es darum geht, tibetische Mönche zusammenzuschlagen.
    Ich habe in anderen Ländern Korruption erfahren, um Drehgenehmigungen oder andere Unterstützung zu bekommen. Nirgends aber wurden mir Schmiergelder aggressiver und gieriger abgepresst als von Chinesen in Tibet. Und niemand hat mich vertrauensvoller und schutzgewährender aufgenommen als die Tibeter. Der Kontrast zwischen zwei unterschiedlichen Lebensauffassungen könnte nicht größer sein. Ich war in keinster Weise darauf vorbereitet. Tibeturlauber, die ich vor meiner ersten Reise gesprochen hatte, erzählten mir nur, wie herrlich die Landschaft und wie nett die Mönche seien und wie chinesisch das Essen; niemand erzählte mir, dass er in einem faschistisch unterdrückten Land gewesen war.

    Ich wünsche mir sehr, dass die enorme Forschungsleitung der Tibeter über die letzten 1.300 Jahre auf dem Gebiet des Geistes und unsere in derselben Zeit erzielte enorme Forschungsleistung auf dem Gebiet der Materie als eine Art *Jobsharing* unter den Weltkulturen verstanden wird und wir nun dazu übergehen, die besten Ergebnisse in respektvoller und anerkennender Weise miteinander auszutauschen. Wenn die Wissenschaft keine Berührungsängste gegenüber tibetischen Geshes (Professoren) und Lamas (Doktoren) hätte, und zwar nicht nur dem Dalai Lama gegenüber, sondern auf allen Ausbildungsebenen, dann käme es zu einem Austausch, den wir dringend nötig haben. Jeder Mensch hat eine rechte und eine linke Gehirnhälfte. Die rechte steht für Intuition, die linke für die Ratio. Beide müssen - wie es jetzt immer so schön heißt - gefordert und gefördert werden, wenn es um Bildung geht.
    In der westlichen Kultur wird fast ausschließlich die Ratio entwickelt. Das beginnt bereits im Kindergarten oder sogar noch früher. Schon dem kleinen Kind wird gesagt: "Hör auf zu träumen, hier spielt die Musik, pass auf, sprich vernünftig", etc. Erzählt ein Kind eine Geschichte aus seinem letzten Leben, heißt es oft: "Das Kind hat eine blühende Fantasie." Auf diese Weise werden jedoch seine intuitiven Wahrheiten nicht ernst genommen, die für seine Seele so wichtig sind. Selbst da, wo Kinder ihre Intuition mit Farben, Knetmasse und allerlei Gestaltungsmöglichkeiten entfalten sollen, werden sie oft in vorgefertigten Bahnen gehalten. Man möchte ihnen hauptsächlich Ordnung, Sauberkeit und Wohlverhalten beibringen. Für Bilder, die sie malen dürfen, gibt man ihnen triviale Formen vor, die sie ab- oder ausmalen müssen. Für die Entfaltung von Intuition, wovon Kinder naturgemäß eine Menge besitzen, wird wenig getan, weil auch die Erwachsenen sie nicht bewusst bei sich fördern.
    Kommen die Kinder in die Schule, wird ihnen eigentlich nur noch Rationalität beigebracht. Auch in der Berufsausbildung soll man sich durchgehend rational verhalten. In der Universität dann sowieso. Im Beruf möchte man wissen, was ist geplant, was wurde analysiert, welche Fakten liegen auf dem Tisch; intuitive Äußerungen werden meist belächelt. Nur Frauen gestattet man gelegentlich ein bisschen mehr Intuition - aber grundsätzlich geht es eigentlich stets darum, sich rational, berechenbar zu verhalten.
    Anregungen wie "Fühl dich doch mal hinein. Geh doch mal in dich, beobachte, welche Bilder in dir hochkommen, mach dir die Seelenlage deines Partners, Mitarbeiters, deines Gegenübers klar, versetze dich in seine Gefühle" etc. werden viel zu unwichtig genommen und deshalb nicht geschult. Dabei geht es im Grunde nur darum, ein wenig mehr Vertrauen in die intuitiven Kapazitäten zu entwickeln, mit denen ja jeder Mensch ausgestattet ist. Das ist wie mit den musikalischen Fähigkeiten: Wenn man sie nicht in der Breite gesellschaftlich früh fördert, verkümmert die Musikalität eines Volkes. Dort, wo Intuition breit geschult wird, sind Hellsichtigkeit und Geistiges Heilen eine weit verbreitete, erlernbare Fähigkeit, die praktiziert wird wie Musik - als Laie und Profi. Heimischer Brauch nennt in Bayern zum Beispiel Leute mit viel Intuition "G'fühlige", in Friesland "Spökenkieker". In jeder alten Tradition Europas gibt es Menschen mit sensitiver Wahrnehmung, die diese Fähigkeit aufgrund einer speziellen, individuellen Biografie besitzen. Wenn wir diese Fähigkeit in der Breite fördern wollen, um die Ressource "Intuition" gesellschaftlich zu nutzen, müssen wir ihr zuerst dort, wo sie vorhanden ist, viel mehr Anerkennung und Respekt entgegenbringen.
    Frauen und Männer, die von Berufs wegen mit dieser Fähigkeit arbeiten, wie Heiler, Schamanen, Geshes und Lamas, sollten wir als unsere Lehrer/innen und Vorbilder nehmen, um unsere einseitige rationale Ausbildung auszubalancieren. Ansonsten bleibt uns lediglich übrig, dort, wo Intuition Wirkung zeigt, von Zufall und Wundern zu sprechen - nur, weil wir uns diesen Bereich nicht bewusst gemacht haben.
















    ***Mo sind von Lamas und anderen Geistlichen ausgeführte Prophezeiungen mittels ihrer Gebetskette, die spontan bei der Konzentration auf die Fragestellung in Sektionen mit den Fingern aufgeteilt wird, dann werden die Perlen dazwischen ausgezählt und je nach gerader, ungerader und absoluter Zahl fällt die Prophezeiung aus: Ja, Nein, strenges Ja und strenges Nein und Neutral.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 20.11.2006, 01:14


    Karmapa - Tibet und Nepal

    Im Folgenden möchte ich im Zusammenhang mit Intuition von einer Begebenheit berichten, die ich in meinem Film *Living Buddha* nicht eingeschnitten habe: Der junge Karmapa war gerade sieben Jahre alt und erst ein halbes Jahr vorher in dem noch weitestgehend zerstörten Kloster Tsurphu angekommen. (Tsurphu liegt in Tibet, zweieinhalb Stunden nördlich von Lhasa.) Er war bereits als Buddha inthronisiert. Damit wurde offiziell anerkannt, dass er die Wiedergeburt des erleuchteten. historischen Buddha Shakjamuni ist, mit "dem Wissen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" und "der Weisheit, die wahre Natur aller Phänomene zu erkennen".
    Monate nach der Inthronisation fand die Grundsteinlegung für den Wiederaufbau des Haupttempels statt, zu der man auch Karmapa einlud, teilzunehmen. Man bat ihn, von seinem Zimmer, das sich oben im bereits wieder aufgebauten Haupthaus befand, herunterzukommen und auf einem Felsquader, der noch von dem alten Gebäude übrig geblieben war, Platz zu nehmen.

    Auf der Ruine des von den Chinesen 1965 gesprengten Tempels haben etwa 160 Arbeiter und Arbeiterinnen Platz genommen, die sich für den Wiederaufbau des Tempels freiwillig gemeldet haben. Die Zeremonie läuft in der üblichen Form ab, mit langenRezitationen, häufigen Mantras, vielen Schalmeienklängen, gewaltigen Tönen aus Langhörnern und kräftigen Beckenschlägen. Reden werden keine gehalten. Karmapa wird bald ein wenig unruhig und will wieder gehen. Ssobald das Ritual fertig ist, steht er auf, indem er sich mit beiden Händen von dem kalten, nackten Felsen hochdrückt, die Beine aus der Lotussitzposition streckt und sich auf den Boden stellt. Er verabschiedet sich bei allen Anwesenden mit einem seiner intensiven Rundumblicke aus einer leicht gesenkten Kopfhaltung heraus und geht dann.
    Nachdem mit ihm die meisten Teilnehmer verschwunden sind, räumt ein Mönche die Dekoration um den Stein weg, auf dem der Karmapa gesessen hat. Er traut seinen Augen nicht: Von beiden kleinen Kinderhänden Karmapas gibt es im Fels zwei zirka einen Zentimeter tiefe Abdrücke mit jeweils fünf leicht gespreizten Fingern und dem Handballen im Felsen.
    Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer im gesamten Kloster, die Teilnehmer der Zeremonie kehren zurück und wer sonst noch im Kloster und in der Umgebung ist, kommt dazu. Jeder möchte die Handabdrücke im Fels bestaunen. Mein Team und ich - wir haben diesen Moment wieder mal verpasst, denn wir sind an diesem Tag unten in Lhasa. Man schickt nach mir, damit ich sofort ins Kloster komme. Ich treffe mit meinem Team am nächsten Tag ein, doch da hat man den Felsquader bereits an einer prominenten Stelle aufgebaut und mit weißen Glücksschleifen und Blumen geschmückt. Davor hat sich eine etwa 200 Meter lange Schlange von Pilgern gebildet, von denen jeder einmal seine Stirn auf den Abdruck legt, kurz dabei die Augen schließt und ein Gebet der Dankbarkeit murmelt.
    Wir beginnen zu filmen: Die Handabdrücke von rechts, von links, von oben, die Menschenschlange davor, Einzelne, wie sie beten, etc. Ich denke aber, dass diese Szene so nicht funktionieren wird. Ddie Kinobesucher in Deutschland weden diesenBildern nicht trauen. Sie werdenalle nach einem Trick suchen, denn bei Handabdrücken in einem Fels kann sich niemand vorstellen, dass die echt sind. Für die Tibeter ist dies nicht so ungewöhnlich. Nicht nur die früheren Karmapas haben Felsabdrücke von ihren Füßen, Händen und Fingern hinterlassen, sondern auch noch einige andere hoch realisierte Lamas. Für mein Puplikum brauche ich zumindest eine Aussage von Karmapa persönlich dazu. Ich bitte deshalb um Erlaubnis, wieder mit ihm drehen zu dürfen, ohne genau zu sagen, was, denn ich befürchte, man würde mir das ausreden wollen.
    Als die Kamera läuft, frage ich Karmapa: "Da unten sind deine Hände im Fels abgedrückt, wie hast du das gemacht?"
    Er antwortete: "Frag doch Tomo." (Das ist der dicke Mönch, der ihn meistens begleitet.) "Der war doch dabei."
    Die Kamera schwenkt auf Tomo: "Tomo, bitte sag uns, wie hat er das gemacht?"
    "Er hat es halt gemacht!", antwortet Tomo.
    "Kannst du uns vielleicht erklären, wie das vor sich ging, wie wir uns das erklären sollen?"
    Er wiederholt mehrmals: "Er hat es halt gemacht, was soll ich denn sonst sagen?
    "Cut!" Kamera aus. Das ist Materialverschwendung. Ich höre auf, solch dumme Fragen zu stellen. Was machen wir aber jetzt? Da kommt mein Kameramann mit dem Vorschlag: "Er soll es halt noch mal machen!" Als erfahrener Kameramann der Bavaria-Filmstudios ist Klaus dran gewöhnt, dass Szenen, die nicht gleich klappen, wiederholt werden, und zwar so oft, bis sie klappen. "Das könen wir von Karmapa nicht verlangen", meine ich.
    "Warum denn nicht?", erwidert er. "Wir kommen extra von so weit her, um über ihn einen Film zu drehen, da kann er doch mal die Szene wiederholen - wenn's denn stimmt, dass er es war. "Ich gebe zu, dass das für den Film das Beste wäre.
    Karmapa, der offenbar mitbekommen hat, worüber Klaus und ich sprechen, lacht und springt in seinem Zimmer herum wie ein Clown. Mir wird klar, warum wir nicht anwesend waren, als es passierte. Karmapa geht es nicht darum, meinem Film eine Sensation zu liefern, sondern darum, die 160 Arbeiter, die ab jetzt für einen minimalen Lohn in 20 Monaten den großen Tempel wieder aufbauen sollen, zu motivieren. Wer täglich mit dem materialistischen Bewusstsein der Chinesen konfrontiert ist, die über jede religiöse Handlung nur Spott und Hohn übrig haben und vehement vertreten, dass der Bau eines Tempels, insbesondere die hochwertigen, künstlerischen Leistungen dabei, pure Zeit- und Geldverschwendung ist, der braucht seelisch-geistige Unterstützung. Die Chinesen verachten den Buddhismus als Opium fürs Volk, wie Karl Marx es formuliert hat.
    Karmapa will den Arbeitern den Sinn ihrer anstehenden Leistung vor Augen führen. Ohne sie zu belehren, zeigt er ihnen mit der Geste des Handabdrucks, welche Kraft der Geist besitzt.. Das motiviert mehr als lange Reden. Jeder sieht, Karmapa ist ein Mensch, sogar nur ein Kind; wenn er solch feste Materie wie Fels ohne Gewaltanwendung, aus purer geistiger Konzentrationskraft formt, wird das Vertrauen in die Kraft des Geistes gestärkt.
    Haben die Handabdrücke dies bei mir geschafft? Ich ungläubiger Westler hätte gerne noch eine Erklärung von Karmapa dazu, aber auf diese Ebene lässt er sich nicht ein. Dafür ist der Siebenjährige zu weise. Bei mir bewirkt diese spirituelle Aktion zumindest so viel, dass ich sie nicht ablehne, aber sie mir auch nicht erklären kann. Da, wo ich herkomme, ist der Glaube an die Materie so unvorstellbar groß, dass sich bei mir die Freude, die spontan in den tibetischen Pilgern aufsteigt, und die ihre Stirn auf die Handabdrücke legen, nicht wirklich einstellt. Bei anderen laufen Tränen der Offenbarung, bei mir hängt eine undefinierbare graue Wolke der Skepsis im Gehirn, die mir den Zugang zu dieser spirituellen Erfahrung sehr schwer macht. Leichter wurde es für mich bei meinem nächsten Erlebnis mit Karmapa.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 20.11.2006, 01:21


    Wiedergeburt miterleben

    Als wir eine Drehpause machen, damit auch andere Karmapa besuchen können - es sind hunderte täglich -, verlasse ich sein Zimmer nicht. Da ich nicht rauche, treibt mich auch nichts aus dem Kloster. Ich setze mich unauffällig auf eine Seite seines großen Raumes. Herein kommt eine Amerikanerin, die Tibetisch spricht. Sie studierte in San Francisco Tibetologie. Als der 16., der frühere Karmapa zum letzten Mal 1981 in den USA war, übersetzte sie für ihn in Kalifornien. Danach flog Karmapa weiter nach Chicago, wo er zwei Wochen später starb. Sie war davon sehr betroffen, weil sie mit ihm sehr eng zusammengearbeitet hatte, und erinnerte sich noch sehr genau daran, was Karmapa ihr zum Abschied sagte.
    Als sie 11 Jahre später hört, dass Karmapa in Tibet wiedergeboren sei, stellt sie einen Visumsantrag, der ihr erst sechs Monate später bewilligt wird, und genau jetzt ist sie angekommen und überreicht dem kleinen, wiedergeborenen Karmapa ihr Gastgeschenk. Auf Tibetisch spricht sie ein paar Begrüßungsfloskeln und Karmapa antwortet ihr in einer für mich vollkommen normalen Art. Daraufhin schluchzt die Frau so heftig los, dass ich erschrecke. Sie kann sich nicht mehr beruhigen, bringt kein Wort mehr heraus und verlässt vollkommen aufgelöst fluchtartig den Raum. Die nächsten Besucher werden hereingelassen.
    Am Nachmittag sehe ich sie allein auf dem Klosterhof herumwandeln und spreche sie an. Sie will keine Kamera "Darf ich Sie etwas sehr Persönliches fragen?", bitte ich sie. "Warum haben Sie heute Vormittag bei Karmapa so geweint?" Sie antwortet: "Wissen Sie ...", und ich erfahre ihre ganze Geschichte mit dem früheren Karmapa in Amerika ..., "als ich Karmapa eben begrüßt habe, antwortete er mir mit exakt denselben Worten, die er in seinem früheren Leben zuletzt an mich in Kalifornien gerichtet hat."
    Mir läuft eine Gänsehaut über den Rücken. Wir kämpfen beide mit den Tränen und müssen darüber lachen. Ein solches Erlebnis weitet das Bewusstsein. Wie bei der Grundsteinlegung wird mir klar, Wunder sind persönliche Liebesbeweise, nicht dazu geschaffen, einer großen Öffentlichkeit kundgetan zu werden. Die Handabdrücke sind Karmapas Dankeschön an die Arbeiter, die sich unter schwersen Bedingungen dem spirituellen Weg hingeben. Der subjektive Beweis für die Kontinuität des Geistes ist seine persönlich gemeinte Offenbarung für die Amerikanerin, die sich in seinem letzten Leben für ihn eingesetzt hat.
    Mit ihr brauche weder ich noch sonst jemand darüber zu diskutieren, ob es Wiedergeburt gibt oder nicht. Ich brauche sie nicht zu fragen, ob sie glaubt, dass dieser Karmapa wirklich die Kontinuität des 1981 verstorbenen Karmapas ist - alle diese intellektuellen Fragen sind für sie erledigt. Sie kann sich aus tiefstem Herzen darüber freuen, dass der Geist stärker ist als die Materie, und ich kann an dieser Freude teilhaben. Das schafft innere Ruhe und Zufriedenheit, von der aus so unglaublich viel Neues möglich ist, das früher weit hinter meinem Horizont gelegen hat.

    Seit ich mit dem Dalai Lama und Karmapa und anderen Heiligkeiten arbeiten durfte, werde ich oft gefragt, ob ich selbst schon mal ein Wunder erlebt habe. Ich sage: Nonstop. Allein schon dadurch, wie meine Filme zustande kommen, angefangen von so mancher Finanzierung bis hin zum täglichen Ablauf der Dreharbeiten, stehe ich immer wieder vor einem Wunder. Wie oft kommt es vor, dass ich denken muss, jetzt geht nichts mehr, jetzt habe ich das Projekt an die Wand gefahren. In solchen Momenten könnte ich vollkommen verzweifeln, denn ich trage auch das finanzielle Risiko des Unternehmens persönlich, ohne jedwede Haftungsbeschränkung, wie bei GmbHs. Aber siehe da, wenn es ganz still wird in mir, weil nichts mehr geht und keine weiterführende Idee mehr auftaucht, sondern nur noch Ansprüche und Forderungen Dritter da sind, die ich nicht erfüllen kann, dann geht irgendwo eine Tür auf, von der ich nicht einmal geahnt habe, dass es sie überhaupt gibt, und das Projekt setzt sich fort - und zwar auf eine Weise, die so viel besser oder so viel weiser ist, als ich es je habe planen oder mir gar vorstellen können.
    In diesen Momenten ist nichts anderes zu tun, als in Dankbarkeit auf die Knie zu fallen, wenn nicht körperlich, so zumindest mental. Das sind die Wunder, die ich erlebe. Meine persönlichen Glücksmomente zwischen all den Katastrophen, die laufend passieren.
    Ich fragte die Lamas, mit denen ich viel zu tun habe, einschließlich des Dalai Lama und Karmapa, zu welcher persönlichen, buddhistischen Praxis (Meditationsform und -inhalt) sie mir raten würden. Ihre Antworten waren, ohne dass sie sich absprechen konnten, unisono dieselben: "Beende erstmal deine Arbeit." Das fand ich sehr enttäuschend, denn andere besitzen einen Fahrplan für Jahre, der ihnen sagt, was sie täglich zu üben haben. Ich aber soll nur arbeiten, meinem Beruf nachgehen ohne jedwede Meditationsanleitung. Warum?
    Zu Anfang fand ich das nicht fair und es tröstete mich auch wenig, wenn mir Zuschauer erzählten, dass mein Film ihr Leben verändert habe und sie inzwischen Buddhisten geworden seien. Doch mit der Zeit musste ich zugeben, dass ich für täglich ein bis zwei Stunden Meditation und Praxis keine Zeit habe. Dafür habe ich das Privileg, mich während meines 16-stündigen Arbeitstages nonstop mit Bewusstseinsentfaltung beschäftigen zu dürfen. Insofern brauche ich mich nicht zu beschweren. Ich kann im beruflichen Sektor Erfahrungen sammeln, die für mich privat sehr wertvoll sind.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 20.11.2006, 01:27


    Eine Person - zwei Leben

    Karmapa hatte, wie erwähnt, für seine Zeit im Bardo (zwischen Tod und Wiedergeburt) vier Interimsregenten bestellt, die für seinen Orden, die *Kagypa*-Linie, in seiner Abwesenheit die Verantwortung übernehmen sollten. Einer davon war Jamgon Kongtrul III. Er war Lama, der mit 38 Jahren durch einen Autounfall in Nordindien seinen Körper verlassen hatte, als er aufgebrochen war, um die Wiedergeburt von Karmapa in Tibet zu identifizieren. Am Anfang meines Films *Living Buddha* wird dieser Unfall gezeigt. Das war 1992.

    Jetzt, 1997, fünf Jahre später in Nepal, sitzt in dem noch vor seinem Tod fertig gestellten Kloster der neue Jamgon Kongtrul IV. am Tisch und isst sein Mittagessen, als ich hereinkomme.
    Der kleine Junge hat Manieren, wie ich sie noch nie bei einem Zweijährigen gesehen habe. Ohne Lätzchen isst er mit Messer und Gabel und kleckert auch bei komplizierten Speisen nicht. Danach hält er seinen Nachmittagsschlaf in der Haltung einer Mumie, vollkommen ruhig, entspannt und tief, sodass ich dabei im Raum filmen kann. Er spielt wie ein ausgelassener, kleiner frecher Kerl. Er sorgt sich um das Wohl anderer wie eine barmherzige Mutter und er leitet Zeremonien mit der Ernsthaftigkeit und Ausdauer eines alten Abtes.
    Ich habe eine kleine Schatulle dabei, die mir Jamgon Kongtrul III. geschenkt hat, sechs Wochen, bevor er starb. Als ich sie dem Mönch Tenzing Dorjee zeige, der seit dem Unfall Jamgon Kongtruls Kloster leitet, kommt der kleine, neue Jamgon Kongtrul herbei und nimmt mir die Schatulle mit den Worten aus der Hand: "Die gehört mir!" Zufall?
    Ein Jahr vorher empfängt Tenzing Dorjee eine Karte aus Tibet, die ihm der Abt des Klosters (Tsurphu) von Karmapa mit den Worten schreibt: "Wir freuen uns, wenn du uns besuchen kommst." Sechs Wochen warten er und seine Begleiter auf das chinesische Visum für den kurzen Flug über den Himalaja, dann stehen sie vor dem neunjährigen Karmapa und fragen ihn, ob er wisse, wo Jamgon Kongtrul wiedergeboren sei? Statt eine Adresse zu geben, weist Karmapa sie an, Pujas (Gebete) zu machen. Tenzing Dorjee überkommen leise Zweifel, ob Karmapa die hellseherische Kraft überhaupt hat, die man von ihm erwartet. Seine Hoffnungen, den Meister wiederzufinden, schwinden dahin. Er tut aber, was ihm vom Neunjährigen geheißen wird.
    Nach sieben Tagen gibt Karmapa Tenzing Dorjee einen Brief. Er öffnet ihn zusammen mit dem Abt und sie lesen sieben Indizien für die Wiedergeburt Jamgon Kongtruls:
    1. Geboren im dritten Quartal 1995.
    2. Seine Mutter heißt Jangchi
    3. Sein Vater heißt Gonpo.
    4. Sein Haus hat einen ersten Stock.
    5. In dem Haus leben acht Personen.
    6. Die Haustür ist nach Osten gerichtet.
    7. Der Blick von der Tür geht auf zwei Berge, zwischen denen ein Bach herunterfließt.

    Alles schön und gut, aber wo ist dieser Ort? Karmapa antwortet: "Am anderen Ende dieses Regenbogens, der hier aufsteht, okay?" Dorjee und sein Begleiter schauen verlegen. "Ihr braucht nur ans andere Ende des Regenbogens gehen, dann habt ihr ihn", wiederholt Karmapa streng.
    "Siehst du einen Regenbogen?", fragt Dorjee seinen Begleiter kleinlaut. "Nein!" Karmapa zuckt die Achseln und sagt: "Setzt eure Gebete fort." Nach einigem Bitten und Betteln lässt Karmapa zwei Tage später beiläufig den Namen "Chushur" fallen. Und tatsächlich: auf der anderen Seite des südlichen Bergmassivs gibt es die Gemeinde Chushur. Sie erstreckt sich von Lhasa-Flughafen entlang der Straße nach Shigatse, zirka 80 Kilometer nach Westen.
    Ab jetzt dokumentierte Dorjee die Suche mit meiner kleinen Videokamera. Er macht sich aufgrund Karmapas Prophezeiung eine Tabelle mit den sieben Indikatoren für Jamgons Identifizierung. Dann fangen er und sein Begleiter an, jedes Haus in der Gemeinde Chushur vom Westen her aufzusuchen und zutreffende Indikatoren anzukreuzen. Nach zwei Tagen haben sie 167 Häuser abgefragt, aber nirgends trafen auch nur annähernd Karmapas Prophezeiungen ein.
    Unverrichteter Dinge kommen sie enttäuscht zu Karmapa zurück. Der schickt sie anderntags erneut los. Und weil sie kein eigenes Fahrzeug mehr haben, leiht er ihnen seinen Jeep mit seinem Fahrer. Wie sie nach Chushur vom Osten her reinkommen, zeigt ihnen der Fahrer einen mächtigen Baum auf freiem Gelände: "Darunter hat vor zwei Monaten Karmapa auf seinem Rückweg von einem Besuch in Shigatse eine Pause eingelegt." Spontan entschließen sie sich, es ihm nachzutun. Unter dem Baum sitzend erzählte der Fahrer, Karmapa habe sich für das Dorf dort drüben interessiert und eine grasschneidende Bäuerin nach dem Ortsnamen gefragt. Es ist das östlichste Dorf in der Gemeinde Chushur. "Und dann?", fragt Dorjee neugierig den Fahrer. "Nichts."
    Sie beenden das Picknick und setzen die Suche gleich hier an diesem Ort fort und nicht im Westen, wo sie gestern aufgehört haben. Als sie ins Dorf gehen, kommt ein kleines Mädchen auf sie zu: "Sie suchen doch nach einem Tulku***, der 1995 geboren ist?" Wie ein Lauffeuer hat sich während der letzten Tage in der Gemeinde die Nachricht verbreitet, dass Mönche einen Tulku suchen. In Tibet macht das noch immer sehr neugierig. Niemand weiß allerdings, wer der Suchtrupp ist und wen er genau sucht, und schon gar nicht, dass es sich um eine so hohe Persönlichkeit wie Jamgon Kongtrul handelt, dessen Namen man in ganz Tibet vor der chinesischen Invasion gekannt hat. Der Aufruhr wäre zu groß und das würde die Suche gefährden. Das Mädchen sagt, ihr Bruder sei 1995 geboren, das Haus sei gleich dort am Hang.


    ***Tulkus werden auf Tibetisch Kinder genannt, bei denen eine bewusste Verbindung zu ihrem früheren Leben erkennbar ist.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 20.11.2006, 01:34


    Das Wiedersehen

    Als sie das Haus erreichen, werden sie im Hof von einer alten Frau begrüßt, die ein Baby auf der Schulter trägt. Erst als sie sich umdreht, um ins Haus zu gehen, erblickt Dorjee das strahlende Gesicht des 9 Monate alten Jungen. Er wird von einer Gefühlswelle überrollt und Tränen laufen ihm über die Wangen. Sein Begleiter herrscht ihn an, dass er sich zusammenreißen solle, sonst würden die Leute sofort wissen, dass sie womöglich fündig geworden sind.
    Obwohl es sich um eine einfache Bauernfamilie handelt und deshalb das Baby ziemlich schmutzig ist, trägt es gelb- und weinrote Lamafarben, was heutzutage in Tibet ungewöhnlich ist. Der Suchtrupp wartet, bis die Eltern vom Feld kommen, und überprüft die sieben Prophezeiungen. Karmapa hat ihnen seine Skizzen vom Blick auf die Berge mitgegeben und sie stellen fest, dass an diesem Ort alle Bedingungen zutreffen.
    Sie helfen der Mutter nach ihrer Heimkehr, das Baby gründlich zu waschen. Dabei filmen und fotografieren sie. Die Fotos lassen sie in Lhasa entwickeln und bringen sie voller Stolz zu Karmapa. Der schaut sie sich regungslos an und fragt Dorjee: "Hast du noch Zweifel, ob es Jamgon Kongtrul ist?" Dorjee: "Wenn du nicht sicher bist, wie kann ich es dann sein?" Dann vergewissere dich besser selbst noch einmal und kontrolliere auch die restlichen Familien in Chushur", empfiehlt ihm Karmapa.
    Wieder zieht der Suchtrupp enttäuscht los und befragt noch weitere 75 Familien. Bei keiner gibt es annähernd die Bedingungen, die der Prophezeiung Karmapas entsprechen. Als sie schließlich Karmapa ihre lange Tabelle zeigen, fragt er noch einmal: "Seid ihr euch jetzt ganz sicher?" "Ja ich bin mir sicher, antwortet Dorjee. Mit einem "Dann ist es ja gut" beendet Karmapa die Suchaktion.

    Erst jetzt werden die Eltern über die wahre Identität ihres Sohnes aufgeklärt. Sie sind erst 20 und 22 Jahre alt. Es ist ihr erstes Kind. Sie haben bisher noch nichts mit buddhistischer Religion zu tun gehabt, aber sie empfinden es als eine große Ehre, dass eine so hohe Persönlichkeit bei ihnen wiedergeboren ist.
    Solange aber die chinesischen Behörden nicht die Genehmigung geben, die Wiedergeburt anzuerkennen, bleibt die Freude gedämpft. Karmapa schickt einen Abt zu den chinesischen Behörden, der nach 14 Tagen die Erlaubnis zur Anerkennung in der Weise erhält, dass die Behörden erklären, dass sie sich dazu nicht äußern. Die Eltern lernen schnell, die politischen Hintergründe einzuschätzen. Ein Jahr später gehen sie mit ihrem Kind im Rucksack über die grüne Grenze nach Nepal zum Sitz des vorhergehenden Jamgon Kongtrul. Sie wohnen dort im Kloster mit Dorjee und den anderen Mönchen. Der kleine Jamgon IV. zeigt den Mönchen gegenüber dieselbe Vertrautheit wie gegenüber seinen Eltern. Nach sechs Monaten gehen die Eltern heimlich, aber ohne ihren kleinen Sohn wieder zurück nach Tibet. Es gibt keinen Moment der Trauer bei dem Kleinen, als seine Eltern weg sind.
    Von seinen Mönchen wird er mütterlich geliebt und versorgt. Es ist offensichtlich, dass sich der Kleine bei den Mönchen richtig zu Hause fühlt, und die Eltern wissen ihn in guten Händen, denn außerdem ist da auch noch die Familie aus seinem Vorleben. Jamgon der III. hatte einen Bruder und seine Eltern, die in Nepal leben. Dadurch, dass er so früh gestorben ist, passt er jetzt, mit seinem neuen Leben, in seine Familie wie ein Enkelkind. Entsprechend oder sogar noch mehr lieben sie ihn. Die karmische Verbindung ersetzt die biologische ohne Einschränkungen.

    In vielen Ländern und auf allen Kontinenten gibt es buddhistische Zentren, die auf den Namen Jamgon Kongtrul lauten. Daher löst seine Wiedergeburt entsprechend großes Interesse aus. Nach der Flucht über die chinesisch(tibetisch)-indische Grenze, fährt Dorjee mit dem Kleinen auf der Fahrt von Sikkim nach Nepal durch verschiedene Orte, an denen Jamgon in seinem früheren Leben gewirkt hat und wo es beispielsweise eine Schule, ein Altenheim, ein Kloster oder sonst etwas gibt, das er mit seiner Stiftung ins Leben gerufen hatte. Die Videoaufnahmen von diesen Besuchen zeigen, wie jedes Mal, wenn Tenzing Dorjee den kleinen Jungen aus dem Wagen heraushebt und die empfangende Menschenmenge jubelt (einmal waren es mehr als 5.000, wie die Zeitungen Nepals schrieben), am strahlend blauen Himmel Regenbogen auftauchen. Für die Buddhisten und die nepalesischen Journalisten ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass es sich bei dem Jungen um einen Erleuchteten handelt.
    Schon als der kleine Jamgon Kongtrul IV. nach seiner Entdeckung vier Monate lang in Lhasa lebte, haben ihn "seine" Eltern und Geschwister aus seinem Vorleben besucht. Die heutige und die vormalige Familie verstehen sich vom ersten Moment an bestens, sodass die Mutter die Abgabe ihres Erstgeborenen guten Herzens verkraftet.
    Wer in einer Kultur aufwächst, in der das Verständnis für die Kontinuität des Geistes seit über 1.000 Jahren zum Normalbewusstsein der Bevölkerung gehört, der hat gegenüber solchen Vorgängen ganz andere Gefühle als wir im Abendland, wo ausschließlich die biologischen Bande zählen.

    Nun könnte man natürlich mit Skepsis fragen, wie Karmapa zu den Identifikationskriterien für die richtige Wiedergeburt von Jamgon Kongtrul kam? Will man infragestellen, dass er diese Informationen intuitiv geschöpft hat, und ihm unterstellen, dass er den Jungen kennen gelernt und dann die Kriterien für die "Schnitzeljagd" zusammengestellt hat, dann bleibt weiterhin unklar, was ihn dazu veranlasste, genau dieses und kein anderes Baby zum Nachfolger von Jamgon Kongtrul zu machen. Die Entwicklungsmöglichkeiten eines noch nicht zweijährigen Bauernbabys so einzuschätzen, dass es den ungeheuren Anforderungen, denen es als Nachfolger einer so großen Persönlichkeit wie der Jamgon Kongtrul III. ausgesetzt sein wird, meisterlich zu handhaben in der Lage ist, weist auf eine hohe intuitive Fähigkeit hin, wie sie bei einer Prophezeiung erfoderlich ist. Ebenso erstaunlich finde ich die ungewöhnlichen Fähigkeiten des kleinen Jamgon Kongtrul,die seine große Fangemeinde tief berühren. Es bleibt ein Geheimnis Karmapas, wie er zu den Indizien gekommen ist, die zusammen nur auf ein Individuum in dieser Welt passen.
    So, wie unsere Kultur viele begnadete Weltklassemusiker und -musikerinnen hervorbringt, weil der Musikunterricht ab der ersten Klasse Pflicht ist, bringt eine spirituelle Kultur, wie die tibetische, hellsichtige Meister und Meisterinnen hervor, weil in deren Bildung von Anfang an das Verhältnis von Geist und Materie in Ordnung ist. Mit mehr Spiritualität ideologiefreier Art könnten wir lernen, unsere Seele sehr viel besser zu verstehen. Dazu reicht das Bewusstsein über die kurze Phase eines Lebens eben nicht aus. Die Seele, die an Raum und Zeit nicht gebunden ist, wird geprägt von allem, was sie erlebt, unabhängig davon, in welcher Form, in welchem Körper sie lebt. Je bewusster mir mein Seelenleben ist, desto harmonischer, reicher und glücklicher kann ich werden. Die Sehnsüchte und Bedürfnisse der Seele werden durch den Tod nicht gelöscht, denn der Tod ist der Tod der Form, aber nicht der des Inhalts.
    Die zuletzt wirksamen Gefühle sind auch die Gefühle, mit denen wir wiedergeboren werden. Negieren wir diese Gefühle, weil wir kein Bewusstsein für die Kontinuität unseres Geistes entwickeln, dann müssen sich diese unbeachteten Gefühle einen anderen Ausdruck suchen. Dies können Träume, intuitive Erkenntnisse oder - wenn wir auf diese sensiblen Seelenäußerungen keine Rücksicht nehmen - auch Veränderungen des Körpers sein. Unterdrückte oder nicht zur Kenntnis genommene Sehnsüchte und Bedürfnisse der Seele äußern sich in körperlichen Symptomen. Spätestens diese sollten wir als Alarmzeichen verstehen und den Dialog mit unserer Seele aufnehmen.

    Nachdem ich den Buddhismus mit insgesamt zehn Filmen studiert hatte, sollte er nicht zu einem neuen "Stadion" meines Bewusstseins werden, über dessen Rand ich wieder nicht hinaussehen könnte. Ich war aufgebrochen, um mein Bewusstsein zu erweitern. Der tibetische Buddhismus zeigte mir, dass es zur materialistischen Weltanschauung eine spirituelle Alternative gibt, aber inzwischen habe ich erfahren, es gibt nicht nur diese eine. Mein Aufbruch hat mit dem Buddhismus soeben erst begonnen. Was gibt es denn noch?
    Man erzählte mir von einem "Avatar"*** Sai Baba in Südindien, der täglich vor tausenden von Menschen Wunder vollbringt. Das glaube ich erstmal nicht, das will ich sehen. Am Abend gedacht und schon tut sich ab dem nächsten Morgen überraschender Weise eine Lücke im Terminkalender auf. "Eine solche Reise musst du planen", sagt mir mein Ego. "Ach was", sagt die Seele, "wenn du meinst, Sai Baba sehen zu wollen, dann begebe dich zum Flughafen, der Rest ergibt sich von selbst." Diese Haltung kenne ich inzwischen, so denkt nicht nur meine Seele, sondern auch die der Asiaten und die kommen damit gut zurecht.

    ***Avatar ist eine hinduistische Bezeichnung für einen inkarnierten Gott.



    Re: Clemens Kuby

    Lonny - 20.11.2006, 01:45


    Sai Baba - Indien

    Am Morgen fliege ich tatsächlich 1.500 Kilometer von Delhi nach Bangalore. Dort am Taxischalter liegt ein Foto von Sai Baba auf dem Tresen. "Zu dem will ich", sage ich.
    "Der ist nicht in Ashram, er ist heute Morgen hier durchgekommen und nach Madras geflogen."
    "Gibt es noch einen Flug nach Madras?", frage ich.
    Ja, den gibt es zufällig. In Madras (einer Sechsmillionenstadt) komme ich um 21 Uhr an. Niemand kennt Sai Baba. Okay? Schließlich gehe ich auf das nächste Hotelangebot ein. Liege um 12 Uhr im 10. Stock im Bett und bin über meine risikoreiche Vorgehensweise etwas verunsichert. Ich entdecke, dass meine Uhr stehen geblieben ist. Noch mal raus aus dem Bett, denn das Telefon funktioniert nicht. Unten an der Rezeption bekomme ich die Uhrzeit. Schnell wieder in den Lift, bei dem sich schon die Türen schließen, aber die Mitfahrer halten sie freundlicherweise für mich auf. "Thank you!" Sie haben den 12. Stock gedrückt. Auffällig ist, dass alle komplett in weiß gekleidet sind und freundlich lächeln. Ich frage: "Something special?" Stolz antworten sie: "Sai Baba ist da."
    Nachdem ich mich von meiner Überraschung erholt habe, erfahre ich, dass morgen früh eine Versammlung mit ihm stattfindet, dass das ganze Hotel voll ist von Sai-Baba-Leuten und ich mich ihnen gern anschließen kann, wenn sie um halb drei in der Nacht aufbrechen, um einen guten Platz zu bekommen.
    Ich stelle meinen Wecker. Schlafe kaum. Ich stehe auf und traue meinen Augen nicht: die ganze Straße vor dem Hotel ist voll von Menschen; alle in Weiß und barfuß. Ich auch. Ich ziehe mit der riesigen Herde durch die Nacht. Am Rand gibt es immer wieder Männer mit blauen Halstüchern, die Ordner. Einer zischt mich an. "Mister! Come here!" Er zieht mich am Ärmel aus der Masse hinter seine Absperrkette. "Gehen Sie diesen Weg, das ist eine Abkürzung."
    Ich komme zu den Hallen - drei riesige, im Peace-Zeichen aufeinander zulaufende gleich große Hallen von je zirka 60 Meter Breite und 400 Meter Länge. Leer. Zementboden. Aber schon füllen sie sich. Auf den ersten 50 Metern sitzen die Leute bereits dicht gedrängt auf dem Boden in schwachem Neonlicht, gespenstisch leise. Im Zentrum, wo die drei Hallen aufeinander stoßen, steht ein fantastischer, goldener Pfauenthron auf einer Empore über drei kreisrunden Stufen, die mit tiefrotem Teppich ausgelegt sind. Von dort aus kann man in alle drei Hallen hineinsehen und umgekehrt. Der Thron steht leer da, in gleißendem Scheinwerferlicht. Sein Abstand zu den ersten Reihen beträgt zirka 10 Meter. Die Hallen füllen sich nun rasend schnell. Männer und Frauen strikt getrennt.
    Und wieder zischt mich ein Ordner an: "Mister, come with me." Er führt mich aus der Halle heraus, an ihnen entlang nach vorn. Wir kommen in den VIP-Bereich. Neue Absperrungen. Wie automatisch geben uns zwei Ordner den Zutritt frei. Ohne Worte übernimmt mich der nächste Ordner und geht mit mir im VIP-Bereich ganz nach vorn. Wir sind wieder in der Halle, aber nun im Bühnenbereich. Ich bin beeindruckt. Der hell strahlende Prachtthron ist von mir nur noch drei Meter entfernt. Mein Platzanweiser untersucht mit scharfem Blick die vollbesetzte erste Reihe, gibt mir einen Wink, ihm zu folgen. Wir gehen auf die hochwürdigen Ehrengäste der ersten Reihe zu (da sitzt auch schon mal der Ministerpräsident des Landes oder sogar Indiens Staatspräsident) und er bittet, eine Lücke für mich zu machen. Etwa zehn Männer bewegen sich mit ihren Stühlen und Ordner stellen mir einen neuen Stuhl dazu. Ich sitze in der ersten Reihe. Mit einem sehr ehrerbietigen Lächeln verabschiedet sich der Ordner von mir. Ich lächle rechts, ich lächle links und fühle mich angenommen, aber verstehe überhaupt nichts mehr.
    Meine Seele sagt: "Denk nicht darüber nach, es ist, wie es ist." Mein Ego bellt: "Wer ist Sai Baba, kenn ich nicht." Ich erwidere: "Verrate mir mal, wer ich bin?" Daraufhin zuckt es die Achseln und schaut etwas verwirrt ins Leere. Ich sehe mich um: Wieviele Menschen mögen hier wohl sein? Am nächsten Tag höre ich, dass es 180.000 waren.
    Draußen dämmert es. Ich habe nicht viel Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen, konzentriere mich auf eine gleichmäßige, tiefe, ruhige Atmung. Plötzlich fängt das kleine Orchester an, Bhajans zu spielen. Das sind gesungene Mantras, Lobeslieder mit einem stark suggestiven, kräftigen Rhythmus. Es dauert noch ein paar Minuten, bis der Avatar pünktlich zum Sonnenaufgang erscheint. Alle Ordner in Weiß mit den blauen Halstüchern stehen Spalier am Zugang zur Bühne. Alle recken die Hälse, müssen aber sitzen bleiben. Der Sai Baba kommt. Nein, nicht wie ich erwartet habe, zu Fuß, sondern er wird mit einem großen, knallroten Mercedes hereingefahren und hält zwischen meiner Reihe und dem Thron. Der Schlag wird geöffnet. Der Gesang aus 180.000 Kehlen läßt die Hallen erzittern. Sai Baba rafft sein orangefarbenes, bodenlanges, enges Kleid und steigt aus dem Wagen wie eine Mischung aus König und Königin. Er grüßt mit seiner überall abgebildeten Handfläche in die drei Hallen hinein. Der Wagen rollt wieder hinaus und Sai Baba beginnt, seinen Thron zu umrunden.
    Der Gesang ist beendet. Alle Blicke liegen auf ihm. Er geht sehr langsam auf die Menschen in den ersten Reihen der gegenüberliegenden Halle zu. Die Ordner um ihn herum sorgen streng dafür, dass sich keiner erhebt. Ab und zu beugt sich Sai Baba zu jemandem hin und führt einen kurzen Dialog. Viele versuchen, ein paar Zentimeter seiner nackten Füße zu berühren, die manchmal unter seinem Kleid hervorlugen. Seine Füße gelten als besondere Energiespender. Wer sie mit seinen Fingerspitzen erwischt oder zumindest den Boden, auf dem sie beim letzten Schritt gerade noch gestanden haben, führt die Finger an die Stirn, schließt für einen Augenblick die Augen und fühlt dabei eine Energieübertragung, je nach Hingabe und Glaubensstärke.
    Sai Baba verblüfft seine Besucher, indem er spontan Asche in seiner Hand durch Drehen der ausgetreckten Handfläche materialisiert. Dabei stoppt er plötzlich die kreisende Bewegung, schließt die Finger für einen Moment und wenn er sie wieder öffnet, rieselt Asche aus seiner Hand, bis sie leer ist und einer seiner Begleiter ihm die bereitgehaltene weiße Serviette reicht, an der er seine Finger säubert. Die Asche wird *Veebooty*
    genannt und von den Gläubigen demütig und dankbar mit zwei Händen aufgefangen. Sie dient ihnen als Heilmittel in allen Lebenslagen. Sai Baba will damit dasselbe demonstrieren wie Karmapa mit den Abdrücken seiner Hände im Fels: Der Geist ist Herr der Materie.
    Wenn beide Handlungen ein Trick sind, wie unsere Presse im Fall von Veebooty behauptet, was ich aber weder durch eigene Beobachtung noch durch viele Video-Nahaufnahmen (sogar in Zeitlupe) bestätigen kann, so erfüllt es bei den Anhängern in jedem Fall den beabsichtigten Zweck.

    Wir im Westen tun uns schwer damit, hinter solchen Demonstrationen auch tatsächliche Fähigkeiten zu vermuten, hören aber nicht auf, danach zu suchen. Heinrich Harrer berichtet beispielsweise in seinem Buch *Sieben Jahre in Tibet* (Ullstein Verlag, Berlin 2003), dass er den jungen Dalai Lama im Potala-Palast bei der Übung antraf, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. In der tibetischen Literatur gibt es dazu das Wissen und entsprechende Übungsanleitungen. Harrer sagte damals, nach eigenen Angaben, zum Dalai Lama: "Wenn Sie das können, dann werde ich auch Buddhist." Der Dalai Lama konnte seine Übungen nicht fortsetzen, da am nächsten Tag die Chinesen sein Land überfielen. Ob Harrer trotzdem Buddhist wurde, weiß ich nicht. Beim Dalai Lama fällt heute auf, dass er sehr viel reist, eine Station nach der anderen, keine gleichzeitig. Sai Baba hat offiziell Indien noch nie verlassen. Sogar in der Hauptstadt war er, soviel ich höre, nur einmal in seinem Leben. Er ist jetzt über 70 Jahre alt. Auf persönliche, subjektive Weise ist er jedoch unzähligen Menschen schon im Ausland begegnet. Mir auch. Doch darüber später mehr.
    Der Dalai Lama verzichtet auf solche als Wunder gehandelte Demonstrationen ausdrücklich und beruft sich dabei auf den historischen Buddha Shakjamuni, der es seinen Schülern veboten hatte, Wunder zu vollbringen, weil die Menschen nicht zu irrationalem Glauben verführt werden sollen. Beim Dalai Lama heißt ein Buch deshalb auch nicht *Das Wunder der Liebe*, sondern *Die Logik der Liebe*. ***
    Das Probelm mit den Wundern ist dasselbe, wie mit den Zufällen. Wenn mir das Wissen für die Zusammenhänge fehlt, wird es irrational. Wenn ich weiß, wie Materialisierung (oder Liebe) zustande kommt, ist es kein Wunder mehr, wie es auch kein Zufall mehr ist, wenn die Ursachen für den Fall erkannt sind. Ich muss damit leben lernen, dass mit der Erweiterung meines Wissens, meines Bewusstseins, auch die Größe meines Unwissens wächst. Zeichnet man das vorhandene Wissen als Kreisfläche, und ein erweitertes Wissen als eine vergrößerte Kreisfläche, dann zeigt sich, dass das Wissen vom Unwissen mit dem gewachsenen Wissen größer statt kleiner wird. Es ist ganz offensichtlich, dass intelligente Menschen mehr Fragen stellen, als weniger intelligente.
    Ungelöste Rätsel wird es mit wachsendem Wissen also immer mehr statt weniger geben. Je geringer das Wissen, desto größer die Gefahr des Dogmatismus, das heißt die Vorstellung von einer gültigen Wahrheit. Man sollte nicht verurteilen, was man nicht vesteht.

    *** 1984 Snow Lion Publications, übersetzt aus dem Tibetischen, ins Englische und dann ins Deutsche 1989, Goldmann Verlag, München.


    Erster Kontakt

    Inzwischen wendet sich Sai Baba der Halle zu, in der ich sitze. Er hält jetzt einen größeren Abstand zur ersten Reihe als in der vorhergehenden Halle. Mit sehr langen, ernsten Blicken schaut er tief in die große Masse der Menschen hinein, die noch immer erstaunlich ruhig dasitzt. 90% halten die Hände gefaltet und verweilen mit ihrem Blick auf Sai Baba in einem hochkonzentrierten Quasi-Meditationszustand. Viele haben die Augen geschlossen. Ich beobachte ruhig und ohne Erwartungen die Szene. Sai Baba senkt seinen Blick nun auf die erste Reihe, tastet mit den Augen Mann für Mann ab. Plötzlich ist er bei mir, unsere Blicke treffen sich bei einer Entfernung von zirka sechs Metern. Sai Baba macht blitzartig eine kleine Handbewegung, wie "Komm her!". Ich kann es nicht glauben, doch, er nickt mir zu. Zwei Ordner kommen mir zwei Schritte entgegen. Meine Sitznachbarn geben mir ein Zeichen, aufzustehen. Ich erhebe mich und gehe auf Sai Baba zu, mein Ego fragt aufgeregt: "Warum gerade du?"
    Sai Baba deutet einen westlichen Handgruß an, ich verneige mich vor ihm in indischer Grußhaltung mit zusammengelegten Händen unterm Kinn. Er fragt mit seiner tiefen, festen Stimme: "Was ist mit Ihnen?" Ich verstehe die Frage nicht und antworte: "Ich würde mich freuen, wenn ich irgendwie helfen könnte. Ich bin Filmemacher." Sai Baba sagt nur: "Warte, später!" Dann lächelt er mich an. Ich verneige mich noch mal, warte, was passiert. Sai Baba wiegt lächelnd den Kopf hin und her, ich lächle zurück, dann geht sein Blick weiter, er erhebt dabei die linke Hand zum Gruß. Ich gehe rückwärts zu meinem Platz, er beendet seinen Rundgang und geht die drei Stufen zu seinem Thron hinauf, setzt sich und in diesem Moment setzt auch das kleine Orchester mit den Bhajans wieder ein, und wie zur Erlösung aus der schweigenden langen Konzentration stimmen 180.000 Menschen mit voller Kraft in den Refrain des Liedes ein. Eine beeindruckende Energie.
    Noch einmal richtig verblüfft bin ich am nächsten Tag. Da sitze ich nicht mehr in der ersten Reihe, sondern irgendwo im Mittelfeld und gehe anschließend innerhalb der Masse auf einer für den Verkehr gesperrten, sechsspurigen Straße zurück zum Hotel, als jemand von hinten durch die Menge angerannt kommt und mir auf die Schulter tippt:"Hallo, Mister, hallo!" Ich drehe mich um und ein Mann hält mir einen Umschlag entgegen: "Für Sie!" "Was ist es?" "Ihre Fotos." Ich öffne den Umschlag, es sind zwei Aufnahmen von dem Moment, in dem ich gestern vor Sai Baba stand und ihn begrüßte. Der Mann wiederholt noch mal: "Für Sie", während er in der Menge schon wieder verschwindet, bevor ich mich bedanken kann. Das war typisch indisch, intuitiv.

    Die Zusammenkunft mit Sai Baba in Madras hat drei Vormittage gedauert, dann ist der große Guru wieder in seinen Ashram nach Puttaparthi zurückgekehrt. Diesen Ashram möchte ich sehen, also fliege ich nach Bangalore zurück und finde dort zwei Leute mit denen ich mir die 4 1/2 Stunden Fahrt im Taxi teilen kann.
    Auf der Fahrt habe ich mit Skrupeln zu kämpfen. Werde ich jetzt dem Buddhismus untreu? Ich fühle mich wie ein Ehemann, der auf einer Party eine interessante Frau getroffen hat und jetzt mit sich ringt, ob er sie besuchen soll. Eine heiße Sache. Er weiß, dass ihn die Frau offenherzig empfangen wird, was sagt er danach seiner Ehefrau? Was passiert in seinem Herzen? Kann er zwei Frauen lieben? Wie reagieren beide? Muss er sich entscheiden? Könnte es Trennung von der Ehefrau bedeuten?
    Mit diesen Gedanken komme ich in Puttaparthi an. Ich sehe mir die hohe Mauer an, die den Ashram auf der einen Seite der Hauptstraße vom Ort trennt, und bin beeindruckt von den gewaltigen, himmelhohen Bäumen, die weit über die Mauer aus dem Ashram emporwachsen. Ich beobachte im großen Eingangstor, auf welch sanfte und umsichtige Weise etwa zehn Ordner den Menschenstrom kontrollieren, der permanent in den Ashram hinein- und herausfließt.
    "Can I help you?", spricht mich plötzlich eine Frau auf Englisch an. Sie muss mir meine Unschlüssigkeit, ob ich da hineingehen soll, angesehen haben.
    "Danke, es ist alles in Ordnung", antworte ich.
    "Sind Sie zum ersten Mal hier?"
    "Ja."
    "Woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?"
    Ich finde sie jetzt fast schon lästig, aber die Frau ist sehr freundlich, also beantworte ich ihr auch noch diese Frage: "Deutschland."
    "Oh, dann können wir ja deutsch sprechen. Ich bin auch aus Deutschland. Darf ich du sagen?" Ich nicke. "Kennst du Sai Baba?"
    "Eigentlich nicht."
    "Hast du noch nichts von ihm gelesen?"
    "Nein."
    "Ach, dann weiß ich jetzt, warum ich heute Mittag dieses Buch eingesteckt habe." Dabei zieht sie ein sehr dickes Taschenbuch aus ihrem Jutebeutel. "Es ist auf Deutsch. Ich geb's dir."
    "Vielen Dank, aber das ist mir jetzt zuviel."
    Ich schlage trotzdem das Buch irgendwo auf, fange rechts mittig zu lesen an. Ich bin sofort gefangen. Sai Baba schreibt einen ganzen Absatz über Karmapa, sozusagen über meine "Ehefrau", um bei meinem Vergleich zu bleiben. Sai Baba lobt ihn als einen der ganz wenigen großen Buddhas auf dieser Erde und findet viele anerkennende Worte für ihn. Ich lese die Seite mitten in dem Menschengewirr vor dem Eingangstor zum Ashram zu Ende. Als ich fertig bin, sage ich zu ihr: "Das habe ich gebraucht. Jetzt kann ich reingehen." Ich klappe das Buch zu und gebe es ihr zurück. "Danke! Vielen Dank." (Es ist übrigens die einzige Stelle über Karmapa in Sai Babas gesamtem Schriftwerk, das Regale füllt.)

    Im Ashram werde ich freundlich empfangen, bekomme sogar ein Einzelzimmer. Wie das passieren konnte, können sich auch alte Hasen nicht erklären, denn ohne Familie muss man in den großen Schlafsälen campieren, was mir zu unbehaglich wäre. Im Ashram halten sich ständig 3.000 bis 5.000 Besucher auf. Sai Baba zeigt sich täglich zweimal, zu den so genannten Darshans bei Sonnenauf- und -untergang. Mindestens zwei Stunden steht man vorher schon an, will man auf der großen, überdachten Marmorfläche, auf der bis zu 8.000 Leute eng gedrängt auf dem Boden sitzen können, einen guten Platz haben.
    Die Kommunikation mit Sai Baba erfolgt per Brief. Ich schreibe ihm in Form von Fragen mein Anliegen, meine Sorgen, Nöte und Leiden, bei denen ich mir seine Hilfe wünsche, und nehme diesen Brief mit zum Darshan. Im Darshan schreitet Sai Baba zwischen 20 und 60 Minuten durch die Reihen zwischen den Blocks, vornehmlich im vorderen Bereich der Halle, und greift spontan nach den ihm hingestreckten Briefen. Werden es für seine Hand zu viele, hält einer der ihn begleitenden Diener einen Sack bereit, in dem die Briefe stapelweise verschwinden. Mindestens 70% können ihre Briefe nicht bei ihm anbringen. Das tägliche Briefe-Ritual kommt einem Orakel gleich. Ihn abgeben zu können bedeutet ein "Ja" auf die gestellten Fragen, ihn behalten zu müssen ein "Nein" oder "Abwarten". Eine direkte Antwort gibt es nicht. Sie ist nur möglich, wenn ich zu den wenigen Glücklichen gehöre, die von Sai Baba während des Darshan einen kleinen Wink und/oder ein "Go!" erhalten. Das bedeutet, dass ich mich nach dem Darschan mit zirkla 12 bis 30 Leuten vor seinem Haus einfinde und dann zu ihm vorgelassen werde.


    Heilung durch Zauber

    Einer meiner Freunde, ein amerikanicher Drehbuchautor, hat solch ein "Go!" erhalten. Im ersten Darshan nach unserer Ankunft bei meinem zweiten Besuch in Buttaparthi bekommt Marc, der irgendwo mitten in der Menschenmenge sitzt, einen Wink von Sai Baba. In dem anschließenden Gespräch herrscht Sai Baba ihn an: "Warum machst du nicht, was deine Frau dir sagt? Sie sagt dir immer das Richtige, aber du tust es nicht. Hör auf, dich ständig um deine Kinder zu sorgen, die sind vollkommen in Ordnung. Kümmere dich um dich. Du brauchst Reinheit." Dann beugt er sich zu ihm vor, lässt seine flache Hand kreisen, immer schneller und schneller, und plötzlich sieht es aus, als schnappe er sich etwas aus der Luft, er dreht die Hand um und öffnet die Finger.
    Marc traut seinen Augen nicht: Da liegt ein Ring mit einem Diamanten von einer Größe, die er bisher nicht für möglich gehalten hat. Sai Baba fordert ihn auf: "Zeig mir deine rechte Hand." Marc streckt die Hand aus und Sai Baba steckt den Juwel an seinen Ringfinger: "Siehst du, passt perfekt." Marc geht in den hinteren Teil des Raums zurück und lässt die Tränen fließen. Er kann nicht fassen, was gerade passiert ist, aber er weiß, was der Ring bedeutet. In seinem Kopf sieht es aus, als hätte der Kugelblitz eingeschlagen.
    Er kommt in unser Zimmer und erzählt mir die ganze Geschichte haarklein.
    "Und was bedeutet der Ring?", frage ich ihn.
    "Ich bin süchtig."
    "Harte Drogen?"
    "Ja, aber es weiß niemand. Seit bald zwei Jahren brauche ich täglich was. Ich bin finanziell und körperlich am Ende. Auf dem Flug von Paris habe ich mein ganzes Heroin in die Toilette geworfen, ich dachte, damit kann ich nicht bei Sai Baba ankommen. Mit diesem Ring - schau ihn dir an - werde ich jetzt clean bleiben. Das hat er mit >Reinheit< gemeint."

    Am Abend gehen Marc und ich außerhalb des Ashrams Essen. Wir haben gerade unseren Tisch eingenommen, da deuten Leute vom Rand des Restaurantgartens auf Marc und tuscheln. Bald kommt der Erste zu uns: "Entschuldigen Sie bitte, darf ich den Ring sehen, den Saia Baba für Sie materialisiert hat?" Marc zeigt widerwillig seine rechte Hand. Sofort wird sie von dem Gläubigen ergriffen, der mit der Stirn versucht, den Diamanten zu berühren. "Thank you. Thank you." Dieses Essen entwickelt sich schrecklich, denn Marc kann quasi nur noch mit seiner Linken das Besteck führen. Sein rechter Arm liegt nach hinten ausgestreckt auf der Lehne des leeren Nachbarstuhls und dahinter hat sich eine Schlange quer durch das ganze Gartenrestaurant gebildet. Jeder will wenigstens für eine Sekunde den Ring mit der Stirn berühren.
    Marc kann die ganze Nacht nicht schlafen, immer wieder zieht er den Ring aus, legt ihn neben das Bett, Minuten später knipst er das Licht wieder an, sucht den Ring, zieht ihn wieder an und so geht es die ganze Nacht lang. An - aus - an - aus, bis in die Morgenstunden.
    Das Problem für Marc ist, er ist sehr groß, über zwei Meter. Man erkennt ihn von weitem. Als wir tagsüber durch den Ashram gehen, der mit mehr als 50 Gebäuden die größe eines ausgewachsenen Universitätscampus hat, wird Marc ständig auf den Ring angesprochen. Marc kämpft mit dem Ring. Ausziehen und in einer Schachtel verschwinden lassen kann er ihn auch nicht. Nach drei Tagen sitzt er im Morgendarshan irgendwo hinten in der Menschenmenge, als Sai Baba ihn schon wieder herauspickt. Marc wäre lieber gestorben, als freiwillig noch mal zu Sai Baba hineinzugehen. Drinnen fragt Sai Baba ihn freundlich: "Du hast Probleme mit dem Ring?"
    "Nein, nein", lügt Marc.
    "Zeig ihn mir."
    Marc nimmt den Ring ab und gibt ihn Sai Baba. Der hält den Ring zwischen Zeigefinger und Daumen vor sich, und nach ein paar Sekunden absoluter Konzentration pustet er den Diamanten kräftig an. Aus dem Diamanten wird ein Kranz von neun bunten kleinen Edelsteinen - jeder einzelne sauber in Gold gefasst. Sai Baba gibt Marc den Ring zurück mit den Worten "Jetzt kannst du ihn tragen".
    Marc, selbstbewusst, wie er sein kann: "Da fehlt doch ein Stein?" In der Tat, eine der neun Goldfassungen ist leer. Sai Baba nimmt den Ring zurück, schaut ihn sich noch mal an und sagt: "Den Stein hast du schon." Marc rutscht der Boden unter den Füßen weg, weil sein Gehirn blitzschnell sucht und findet, was damit gemeint ist, und wie ertappt, fast beschämt erinnert er sich, dass er vor ein paar Wochen auf der Straße in Paris einen kleinen Smaragd gefunden hatte und seither darüber nachdenkt, wie er diesen Smaragd in Drogen umsetzen könnte, aber die Schönheit dieses Steines hat ihn bisher noch zögern lassen. Später, als er zurück in Paris ist, passte dieser Smaragd tatsächlich in die leere Fassung des Rings. Der Ring sieht jetzt so aus, als hätte Marcs Tochter ihn ihm geschenkt und bewirkte tatsächlich, dass Marc nie wieder zu den Drogen zurückgekehrt ist und dadurch die kriselnde Beziehung zu seiner Frau gerettet hat.

    Es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende solcher Geschichten über Sai Baba. Nicht umsonst soll er weltweit 20 Millionen Anhänger haben. Zum Beispiel der Freund von Marc, Isaac T., der Gründer und ehemalige Besitzer der Hard-Rock-Cafés, hatte in Kalifornien einen schweren Autounfall und war dabei einen Abhang hinuntergestürzt. Er berichtet, dass sofort nach dem Aufprall an der Böschung oben ein Mann gestanden habe, der herunterkam und ihn aus dem vollkommen zertrümmerten Auto zog, die Böschung hochschleppte, und von dort brachte ihn jemand in ein Krankenhaus, wo er mit schweren Verletzungen überlebte. Derselbe Mann rettete ihn ein zweites Mal, als er in einem Hotel nach erheblichem Drogenkonsum einen epileptischen Anfall erlitt. Isaac war dem Tod bereits so nah, dass er sich selbst von oben auf dem Boden liegen sah, da ging plötzlich die Zimmertür auf, wieder kam derselbe Mann mit dem Kraushaar herein, zog ihm die Zunge heraus und legte ihn aufs Bett. Im selben Moment war Isaac wieder in seinem Körper, konnte um Hilfe rufen und wurde gerettet.
    Ein Jahr später besucht er in London einen Journalisten des *Sunday Telegraph*. In dessen Büro hing ein Foto von Sai Baba an der Wand. Isaac T. stand wie vom Blitz getroffen vor diesem Bild und fragte: "Wer ist das?" Er erkannte in ihm den Mann wieder, der ihm schon zweimal das Leben gerettet hatte, und den er bisher als Geistwesen betrachtete. Jetzt erfuhr er, dass es diesen Mann in Südindien wirklich gibt und er dort einen Ashram betreibt.
    Isaac T. verkaufte für 50 Millionen Dollar alle seine Hard-Rock-Cafés und fuhr nach Buttaparthi, um sich mit diesem Geld bei Sai Baba für die zweimalige Rettung seines Lebens zu bedanken. In den Darshans beachtete Sai Baba ihn aber nicht, sodass es zu keiner Begegnung kam. Kein Mensch in der Ashram-Administration bot einen anderen Weg als die Darshans, um an Sai Baba heranzukommen.
    Isaac kam von da an fast jedes Jahr mindestens einmal für ein bis vier Wochen in den Ashram. Nie bekam er eine Audienz. Das Geld hatte er inzwischen angelegt und neue Projekte begonnen, die auf seiner durch Sai Baba gewonnenen Spiritualität fußen. Plötzlich, nach elf Jahren, pickte Sai Baba ihn aus der Masse heraus. Endlich konnte Isaac T. sich bei ihm bedanken. "Zweimal haben Sie mir das Leben gerettet ..." Sai Baba unterbrach ihn: "Dreimal!"
    "Wieso dreimal?" "Du wolltest eine Disco besuchen. Auf der Fahrt dahin hattest du eine Autopanne. Die Discothek brannte ab. Du warst nicht unter den Opfern, weil du durch die Autopanne zu spät kamst."
    Isaac wurde es heiß und kalt zugleich. "Seit zehn Jahren möchte ich Ihnen die 50 Millionen Dollar aus meinem Hard-Rock-Café-Verkauf spenden." Sai Baba akzeptierte die Spende.
    Als Isaac die angelegten 50 Millionen aus dem Bankdepot herauslöste, waren es mittlerweile 108 Millionen geworden. Sai Baba ließ Isaac mit diesem Geld in Buttaparthi das schönste und modernste Krankenhaus Indiens mit einer Spezialabteilung für Bypass-OP's bauen, kostenlos für alle Inder. Es arbeiten dort mehr als 20 Ärzte aus dem Westen. Marc half seinem Freund Isaac zwei Jahre lang als Projektleiter für diese Klinik. Sai Baba hatte zuvor bereits kostenlose Internate für 10.000 Kinder, mehrere Universitäten, einen Flugplatz, eine Wasserversorgung für ein Gebiet von mehr als 100 Quadratkilometern um Buttaparthi herum errichten lassen. Im Moment wird aus seinen Spendeneinnahmen eine Eisenbahnlinie durch Südindien gebaut.

    In den buddhistischen Kreisen, mit denen ich in engem Kontakt wegen meiner Filme stehe, vermied ich es, den Namen Sai Baba zu erwähnen. Man handelt sich damit sehr schnell einen abschätzigen Blick ein und elitäres Naserümpfen. Er gilt als indischer Zauberkünstler ohne spirituelle Legitimation. Dabei bin ich weit weg davon, ein Sai-Baba-Devotee (Anhänger) zu werden, wofür mich die Sai-Baba-Fans wiederum schräg anschauen. Es ist nicht einfach, sein eigener Guru zu bleiben.



    Mit folgendem Code, können Sie den Beitrag ganz bequem auf ihrer Homepage verlinken



    Weitere Beiträge aus dem Forum Dagmar & Lonny´s Fundgrube

    von mara ... - gepostet von Mara am Donnerstag 23.03.2006
    Rumi - gepostet von Mara am Dienstag 31.01.2006
    WidderSonne & KrebsMond - gepostet von Mara am Samstag 30.12.2006
    von Doreen Virtue - gepostet von Lonny am Samstag 21.10.2006



    Ähnliche Beiträge wie "Clemens Kuby"

    7.2. Clemens 20-22 Uhr DIE BURG SPECIAL - Rene (Montag 07.02.2005)
    MÜLLerchens Routine - MÜLLerchen (Mittwoch 24.10.2012)
    An Mag. Clemens Bogner, den Rapidfan - Daniel (Dienstag 01.03.2005)
    clemens auftritt =) - josie (Donnerstag 13.10.2005)
    Clemens B. ... ähm der andere clemens b. - clems (Dienstag 10.10.2006)
    Clemens - snoopylise (Dienstag 29.05.2007)
    clemens - douglas (Mittwoch 21.02.2007)
    @Clemens - Harald (Donnerstag 06.04.2006)
    Nochmal Gratulation Clemens! - Harald (Freitag 13.07.2007)
    Clemens B. - vfbforever (Sonntag 08.10.2006)