Kommentar zum Römerbrief von Tricky

Nachtperle's Plauderecke
Verfügbare Informationen zu "Kommentar zum Römerbrief von Tricky"

  • Qualität des Beitrags: 0 Sterne
  • Beteiligte Poster: Nachtperle
  • Forum: Nachtperle's Plauderecke
  • Forenbeschreibung: Für ernste und tiefgehende Diskussionen gedacht....
  • aus dem Unterforum: Der Römerbrief
  • Antworten: 4
  • Forum gestartet am: Mittwoch 18.04.2007
  • Sprache: deutsch
  • Link zum Originaltopic: Kommentar zum Römerbrief von Tricky
  • Letzte Antwort: vor 16 Jahren, 3 Monaten, 24 Tagen, 11 Stunden, 49 Minuten
  • Alle Beiträge und Antworten zu "Kommentar zum Römerbrief von Tricky"

    Re: Kommentar zum Römerbrief von Tricky

    Nachtperle - 05.01.2008, 22:03

    Kommentar zum Römerbrief von Tricky
    So wie das hier ja anscheinend nun recht beliebt ist, möchte auch ich meine Betrachtungen zum Römerbrief veröffentlichen. Es ist nicht unbedingt notwendig diese Betrachtungen zu besprechen, aber ich möchte es in dieser Form tun, weil ich denke, dass es ansonsten eine einseitige Tendenz und einen tunnelartigen Blick auf diesen Brief von Paulus hier im Forum gibt. Ich hoffe damit kein Konkurrenzdenken zu erzeugen. Vielleicht ist sogar eine gegenseitige Befruchtung der Gedanken möglich, ich will dem jedenfalls nicht im Wege stehen. Sollte diese Betrachtung von vornherein abgelehnt werden stelle ich sie unverzüglich wieder ein, denn was an mir ist, so soll und möchte ich Frieden halten.

    Da ich in meinem Mircoschrott-Textspasettelprogramm Word vorschreibe, bitte ich kleinere Formatierungsfehler zu entschuldigen, manchmal ist ein Absatz nicht dort, wo er sein soll, so ist das leider im Computerzeitalter.

    Vorweg. Der Römerbrief war für mich in der Vergangenheit kein prioritäres Studienziel, erstens weil ich als Jugendlicher viel von den Ausführungen des Paulus schlichtweg inhaltlich nicht verstand und zweitens war mir der Sprachgebrauch des Paulus nicht zuträglich. Aber je „älter“ man wird, desto wichtiger werden die essentiellen Wahrheiten, die Paulus im Römerbrief verarbeitet. Ein Arbeitskollege sagte mal folgenden Satz: „Wenn irgendwas unklar ist im deinem Verständnis des Evangeliums, dann schau bei Paulus nach, dort wird es klar“. Ich kann das seit Jahren selbst bestätigen, wobei hier natürlich nicht nur der Römerbrief gemeint ist. Ich will die Abschnitte auch häppchenweise und thematisch eingegrenzt betrachten. So viel Zeit ist, soviel kann ich zu „Papier“ bringen.

    Die Texte sind wechselweise aus der Revidierten Elberfelder Übersetzung (EÜ), fertiggestellt im August 1974 und der Schlachter Übersetzung (SÜ) von 2000 entnommen. Ich wähle hier die Übersetzung, die aus meiner Sicht die Aussage des Verses besser zur Geltung bringt, in der Regel jedoch die EÜ, weil ich sie als Windows Helpfile mit Copy + Paste verwenden kann.

    Römerbrief 1:

    Römer 1, 1-17 (EÜ)

    1/1Paulus, Knecht Christi Jesu, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes, 1/2 das er durch seine Propheten in heiligen Schriften vorher verheißen hat 1/3 über seinen Sohn, der aus der Nachkommenschaft Davids gekommen ist dem Fleische nach 1/4 [und] als Sohn Gottes in Kraft eingesetzt dem Geiste der Heiligkeit nach auf Grund der Toten-Auferstehung: Jesus Christus, unseren Herrn. 1/5 Durch ihn haben wir Gnade und Apostelamt empfangen für seinen Namen zum Glaubensgehorsam unter allen Nationen, 1/6 unter denen auch ihr seid, Berufene Jesu Christi. 1/7 Allen Geliebten Gottes, berufenen Heiligen in Rom: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
    1/8 Aufs erste danke ich meinem Gott durch Jesus Christus euer aller wegen, dass euer Glaube verkündet wird in der ganzen Welt. 1/9 Denn Gott ist mein Zeuge, dem ich in meinem Geist an dem Evangelium seines Sohnes diene, wie unablässig ich euch erwähne 1/10 allezeit in meinen Gebeten, indem ich flehe, ob ich nun endlich einmal durch den Willen Gottes so glücklich sein möchte, zu euch zu kommen. 1/11 Denn mich verlangt sehr, euch zu sehen, damit ich euch etwas geistliche Gnadengabe mitteile, um euch zu befestigen, 1/12 das heißt aber, um bei euch mitgetröstet zu werden, ein jeder durch den Glauben, der in dem anderen ist, sowohl euren als meinen. 1/13 Ich will aber nicht, dass euch unbekannt sei, Brüder, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen - und bis jetzt verhindert worden bin -, damit ich auch unter euch einige Frucht haben möchte, wie auch unter den übrigen Nationen. 1/14 Sowohl Griechen als Nichtgriechen, sowohl Weisen als Unverständigen bin ich ein Schuldner. 1/15 Dementsprechend bin ich, soviel an mir ist, willig, auch euch, die ihr in Rom seid, das Evangelium zu verkündigen.
    1/16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, ist es doch Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen. 1/17 Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin geoffenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: `Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.

    Im Zentrum des ganzen Römerbriefes steht das Evangelium. Es ist Paulus so wichtig, dass wir sorgfältig untersuchen sollten, was er darüber in den Versen, wo es vorkommt, sagen will. Evangelium war zur Zeit des Paulus ein Begriff, der für offizielle Verlautbarungen verwendet wurde. Die gute Nachricht, die Paulus verkündigt, umfasst jedoch weit mehr. Paulus bettet seine Eingangsworte in Verse ein, die über das Evangelium sprechen.

    Vers 1: „ausgesondert für das Evangelium Gottes“ und damit ein offizieller Botschafter des Evangeliums Gottes. Gott ist beides, die Quelle und das Thema der Botschaft.

    Verse 15+16: „Evangeliumsverkündiger“ und die Bezeichnung des Evangeliums als „Gottes Kraft zur Rettung“

    Gleich In Vers 2 geht Paulus darauf ein, dass diese Gute Nachricht nicht von ihm oder anderen Christen erfunden wurde. Sie hat eine Geschichte. Schon die Propheten Israels hatten in den Heiligen Schriften auf dieses Evangelium hingewiesen. Wobei wichtig ist zu betonen, dass unter „heilige Schriften“ das AT zu verstehen ist, denn das war die Bibel zur Zeit des Apostels Paulus.

    Paulus lehrt, dass zwischen Israel und dem Alten Testament auf der einen Seite und dem christlichen Evangelium auf der anderen Seite ein enger innerer Zusammenhang besteht, auch wenn man das im Verlauf der Kirchengeschichte nicht immer so gesehen hat.

    Aus fremder Quelle weiß ich, dass beispielsweise im zweiten Jahrhundert nach Christus ein gewisser Marcion, ein führender Christ in Rom, lehrte, dass sich der AT-Gott stark von dem Gott unterscheide, den Jesus verkündigt hatte. Der Gott des Alten Testaments sei ein Gott des Gerichts, während der Gott des Neuen Testament ein gnädiger Gott ist. Schlussendlich wurde Marcion als Irrlehrer gebrandmarkt und aus der Gemeinde ausgeschlossen.
    Paulus geht anders vor. Für ihn war das AT das Buch der Verheißung in dem Gott das, was wir als Evangelium bezeichnen, längst angekündigt hat. Die Gute Nachricht des NT hat ihre Wurzeln im AT. Deshalb war für Paulus die Annahme des Evangeliums in keinster Weise eine Absage an den jüdischen Glauben. Vielmehr blieb er damit dem wahren Judentum treu. denn Jesus war die Erfüllung all dessen, was Gott in der Bibel der Väter (und natürlich auch Mütter), unserem AT, vorhergesagt hatte.

    Der Mittelpunkt der Guten Nachricht ist Jesus Christus. Es ist das „Evangelium Gottes … über seinem Sohn Jesus Christus“ (V. 3). Zu Beginn des Briefes bekräftigt Paulus, dass Jesus seiner menschlichen Herkunft gemäß ein Nachkomme Davids gewesen ist. Aber das ist nur die eine Seite, denn er war weitaus mehr, nämlich Gottes Sohn. Die göttliche Kraft wurde vor allem dadurch deutlich, dass Jesus auferstanden ist (siehe 1. Kor 15). Ohne dieses Event gäbe es ja quasi gar keine gute Nachricht...

    Der Bibelforscher Gordon Fee zeigt in seinem Buch „God´s Empowering Presence: The Holy Spirit in the Letters of Paul.“ wie sorgfältig alles strukturiert ist, was Paulus in den ersten Versen des Römerbriefs über Jesus Christus schreibt. Viele Stellen sind von einem ausgeprägten Parallelismus durchzogen.

    Fee übersetzt die Verse 3 und 4 wie folgt, um die Struktur des Original aufzuzeigen:

    „____A. über seinen Sohn,

    __________B. der gekommen ist

    _______________C. aus der Nachkommenschaft Davids

    ____________________D. dem Fleische nach

    _____B. [und der] als Sohn Gottes in Kraft eingesetzt

    ____________________D. dem Geiste der Heiligkeit nach

    _______________C. aufgrund der Toten-Auferstehung:

    _____A. Jesus Christus, unseren Herrn.

    Die Bewegung in dieser Aussage geht von Christus als Gottes Sohn über die Menschwerdung und Auferstehung hin zu Christus als unserem Herrn. Hier zeigt sich, dass Jesus Christus sowohl der Träger der Guten Nachricht als auch ihr Inhalt ist. Das Evangelium ist die Gute Nachricht vom Sohn Gottes – Jesus Christus.“

    Hier und an anderen Stellen im Römerbrief dringt das Gottesbild des Paulus an die Oberfläche.

    Die im Prinzip angemessene Reaktion auf die Gute Nachricht, dass Jesus Christus unser Herr und Heiland ist, heißt Vertrauen. Im Griechischen haben das Substantiv Glaube und das Verb glauben eine gemeinsame Wurzel. Der Begriff Glaube kann sich auch auf Glaubenslehren beziehen, etwa wenn das Neue Testament von „dem Glauben“ spricht (Apg 6,7; Jud 3). Das Verb glauben wird auch verwendet, wenn es um ein verstandesmäßiges Zustimmen oder um Fürwahrhalten geht (Mt 24,23). Doch haben Glaube und glauben im Neuen Testament häufig eine tiefere Bedeutung. Wir werden später sehen, dass Paulus mit diesen Begriffen eine tiefe, persönliche und vertrauensvolle Hingabe an und Abhängigkeit von Gottes Gnade meint, die in Jesus Christus sichtbar geworden ist.Diese Hingabe und Abhängigkeit ist der Gehorsam, den Gott fordert. Deshalb kann man erkennen, dass Paulus den gesamten Brief mit der Wendung „der Glaubensgehorsam“ (V. 1,5) wie mit einer Klammer zusammenhält (Rö1,5; 16,26). Diese von Paulus benutzte Wendung ließe sich auch als „der Gehorsam, der Glaube ist“ wiedergeben. Gemeint ist im Endeffekt beides, der Gehorsam der aus dem Glauben kommt, un die Tatsache, dass der Glaube gehorsame Unterwerfung unter die Berufung Gottes miteinschließt. Das Evangelium verlangt eine Reaktion, und diese Reaktion heißt Glaube.

    In Vers 17 zitiert Paulus eine Aussage Habakuks, einer der hebräischen Schriftpropheten, der lt. Bibelhistorikern gegen Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. in Juda wirkte. Habakuk beklagte sich bei Gott darüber, dass in Juda Gewalt, Bosheit und Ungerechtigkeit überhand nahmen. (Hab. 2,4) „Der Gerechte wird aus Glauben leben“. Daraufhin offenbarte Gott dem Propheten, wie er auf diese Zustände im Volk zu reagieren gedachte. Ihm wurde gezeigt, dass sich Gott der Großmacht Babylons als Werkzeug der Bestrafung für sein abtrünniges Volk bedienen und Juda in die Gefangenschaft führen werde. Mit diesem Wort unterstreicht er, dass der Gerechte das Leben findet, indem er Gott vertraut. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und leitet daraus ab, dass wahre Gerechtigkeit von Anfang bis Ende eine Angelegenheit des Glaubens ist. Paulus setzt sich später noch genauer mit dieser Aussage auseinander. Sie ist sogar ein fundamentaler Bestandteil des Römerbriefes. Gerechtigkeit ist ja auch so ein Begriff, den Paulus über die Fortdauer des Briefes ins rechte Licht rücken möchte/muss. Abendländisches Recht ist keineswegs gleichzusetzen mit dem Rechtsverständnis zur Zeit Paulus.

    Was bewirkt nun dieses Evangelium? Für die, die glauben, wird es zur erlösenden Kraft Gottes. Das Evangelium hat die Kraft, die Menschen grundlegend zu verändern (Rö 12,2). Christen stehen danach aber weiter in der Gefahr sich neben Christus auf andere Dinge zu verlassen. Fromme Leistungen, religiöse Formen, besondere Erkenntnisse oder was es dergleichen sonst noch für stumpfsinnige Götzen gibt. Verkündiger des Evangeliums sind selbst nie davor sicher, weil sie oft denken, dass Brandmarken von Sünde oder eine hervorragende Rhetorik Menschen zur Umkehr bringen kann. All das setzt jedoch falsch an, denn das Evangelium bringt die Menschen Gott näher, niemals eine aus dem menschlichen hervorgebrachte Leistung. Jesu Leben, Tod und Auferstehung demonstriert wie Gottes Absicht uns zu retten in die Tat umgesetzt wurde. Welche andere Kraft auf der Welt könnte uns erlösen?

    Aber wo kann das Evangelium wirksam werden? Paulus eröffnet jedem Menschen diese Gotteskraft, die „selig macht alle, die daran glauben“ (V. 1,16) Niemand muss außerhalb dieses Evangeliums bleiben, andererseits wird ganz nach Gottes Wesen und Art der Liebe auch niemand dazu gezwungen, ganz egal wie schmerzhaft das für Gott sein muss. Die Reihenfolge war auch klar, denn zuerst wendete sich Gott den Juden zu, dann den Griechen. Gott ist aber deshalb nicht parteiisch. Das Vorrecht und die Verantwortung liegt klar bei den Juden, ähnliches hören wir noch einige Verse weiter, wenn davon die Rede ist, dass das Gericht die Juden zuerst trifft (Rö 2,9).

    Zusammenfassend zu Römer 1 kann man sagen, dass Paulus Wert auf die Feststellung legt, dass die Gute Nachricht von universaler, grenzenloser Reichweite ist – d. h. auch alle Nichtjuden sind einbezogen. Im AT verheißen, von Jesus handelnd, durch Glauben angenommen, bewirkt Erlösung, gilt allen Menschen.

    Bis hierhin mal. Der Vers 18 mutet bereits ein wenig merkwürdig an, denn hier kommen wir auf den „Zorn Gottes“ zu sprechen.

    Wir sollten uns aufgrund dieses ersten Abschnitts jeder persönlich ein paar Fragen bezüglich der praktischen Anwendung stellen, zumindest habe ich sie mir gestellt:

    1. Durch welches „Ersatz-Evangelium“ werde ich am meisten versucht? Auf welche anderen Dinge verlasse ich mich häufig in Hinblick auf meine Erlösung?

    2. Inwiefern gelingt es mir durch mein Leben in und mit diesem Evangelium anderen die frohe Botschaft schmackhaft zu machen? Was könnte andere davon abstoßen? Gibt es vielleicht sogar Menschen, die ich gar nicht dabei haben wollte?

    Kommen wir zum 2. Teil meiner Betrachtung des Römerbriefes.

    Ich habe den ersten Teil bis Vers 17 abgetrennt, weil ab Vers 18 ein neues Thema beginnt. In den meisten Bibeln ist dieser neue Abschnitt überschrieben, bei meiner Schlachter Bibel mit „Gottes Zorn über die Heidenvölker“. Ich teile diese Ansicht nicht in dieser Form, da es mir eher vorkommt als würde „Gottes Zorn über die Sünde“ beschrieben. Aber jeder soll sich seine Meinung darüber bilden. Der Übergang von Römer 1,17 zu Vers 18 erscheint einem unvermittelt und unpassend. Paulus nennt Erlösung, Evangelium, Glaube und Gerechtigkeit in einem Atemzug mit Zorn. Man hat den Eindruck, als würde hier das großartige Bild, das Paulus in dem vorangegangenen Abschnitt aufgebaut hat, wieder zerstört. Doch diese Spannung muss man wohl oder übel aushalten, denn man wird die Botschaft des Römerbriefs nicht wirklich verstehen, wenn man den Zorn Gottes außer acht lässt. Deshalb wollen und müssen wir uns im folgenden auch mit dieser für uns Menschen nicht unbedingt leicht nachzuvollziehenden Thematik befassen. Es bleibt uns hier auch nichts anderes übrig als ein wenig im Römerbrief vorzugreifen, zumindest für einzelne Bibelstellen. Ich versuche aber den Römerbrief intern zu erklären, damit der Zusammenhang nicht verloren geht. Hinweise auf andere Schriftstellen sind dennoch enthalten, jeder soll entscheiden wie er das versteht und in Zusammenhang fügen will.

    zuerst aber mal die Textstelle.

    Römerbrief 1, 1 - 18

    1/18 Denn es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten, 1/19 weil das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist, denn Gott hat es ihnen geoffenbart. 1/20 Denn sein unsichtbares [Wesen], sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, wird von Erschaffung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen und geschaut, damit sie ohne Entschuldigung seien; 1/21 weil sie Gott kannten, ihn aber weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank darbrachten, sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen und ihr unverständiges Herz verfinstert wurde. 1/22 Indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Narren geworden 1/23 und haben die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes verwandelt in das Gleichnis eines Bildes vom verweslichen Menschen und von Vögeln und von vierfüßigen und kriechenden Tieren. 1/24 Darum hat Gott sie dahingegeben in den Begierden ihrer Herzen in Unreinheit, ihre Leiber untereinander zu schänden, 1/25 sie, welche die Wahrheit Gottes in die Lüge verwandelt und dem Geschöpf Verehrung und Dienst dargebracht haben statt dem Schöpfer, der gepriesen ist in Ewigkeit. Amen. 1/26 Deswegen hat Gott sie dahingegeben in schändliche Leidenschaften. Denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr in den unnatürlichen verwandelt, 1/27 und ebenso haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen, sind in ihrer Wollust zueinander entbrannt, indem sie Männer mit Männern Schande trieben, und empfingen den gebührenden Lohn ihrer Verirrung an sich selbst. 1/28 Und wie sie es nicht für gut fanden, Gott in der Erkenntnis festzuhalten, hat Gott sie dahingegeben in einen verworfenen Sinn, zu tun, was sich nicht geziemt: 1/29 erfüllt mit aller Ungerechtigkeit, Bosheit, Habsucht, Schlechtigkeit, voll von Neid, Mord, Streit, List, Tücke; 1/30 Ohrenbläser, Verleumder, Gottverhaßte, Gewalttäter, Hochmütige, Prahler, Erfinder böser Dinge, den Eltern Ungehorsame, 1/31 Unverständige, Treulose, ohne natürliche Liebe, Unbarmherzige. 1/32 Obwohl sie Gottes Rechtsforderung erkennen, dass, die solches tun, des Todes würdig sind, üben sie es nicht allein aus, sondern haben auch Wohlgefallen an denen, die es tun.

    Um zu verstehen, was mit „Gottes Zorn“ gemeint ist, müssen wir ein wenig über dieses erste Kapitel hinausgehen und berücksichtigen, dass Römer 1,18 bis 3,20 einen zusammenhängenden Gedankengang bildet. Im Grunde beschreibt dieser Zorn die berechtigte Reaktion sowie die persönliche Empörung des gerechten Richters, die durch das Böse hervorgerufen wird.
    Ganz zu Beginn begegnet uns auch die universale Ausbreitung der Sünde als grundlegende Voraussetzung für die paulinische Lehre von der universal gültigen Erlösung als Zentrum seines Evangeliums (siehe erster Teil der Betrachtungen). Wir können das Wesen der Gerechtigkeit Gottes nicht verstehen, wenn wir nicht begriffen haben, was es mit Gottes Zorn auf sich hat. Deshalb müssen wir hier jetzt wie angekündigt den Rahmen des ersten Kapitels sprengen und uns einen Überblick über unseren Textabschnitt (bis 3,20) verschaffen, bevor wir in die Details gehen können. Zunächst geht es um die Frage, wie sich Gottes Zorn offenbart. Dann geht es darum, was passiert, wenn Gottes Zorn entfacht wird. Schließlich wird es um die Gründe für Gottes Zorn gehen und darum, dass Gottes Gerechtigkeit unparteiisch (V. 32 letzter Satz!) ist. So, denke ich, ist auch sein Zorn unparteiisch.

    Wenn wir Gottes Zorn betrachten, dann hat dieser in Paulus Augen eine gegenwärtige und eine zukünftige Dimension. In der Gegenwart äußert sich dieser Zorn darin, dass Gott seinen Geschöpfen äußerste Freiheit zum Bösen zugesteht. Die bei der Schöpfung in uns hineingelegte Wahl- und Entscheidungsfreiheit, die uns vor einem Marionettendasein bewahrt, ist dagegen ein Ausdruck seiner Liebe. Konkret heißt das: Er greift nicht mit „Donner und Blitz“ ein, um uneinsichtige und gottlose Menschen zur Raison zu bringen, sondern er überlässt sie ihrem bösen Treiben und zerstörerischen Lebensstil (so nachzulesen in Rö 1,18.24.26.28). Gemeint ist damit, dass sie ungemildert die Folgen ihrer Sünde tragen müssen, weil Gott nicht mehr korrigierend eingreift, sondern sie alles machen lässt. Gottes Liebe zu und seine Achtung vor uns Menschen ist so groß, dass er uns selbst die Freiheit lässt, Böses zu tun. Wer von dieser Freiheit Gebrauch macht, muss allerdings auch die Folgen seines Handelns tragen, welche eben eine gegenwärtige und eine zukünftige Dimension haben. Der Begriff „dahingeben“ bzw. „überlassen“, mit dem Paulus dreimal Gottes Zorn beschreibt (V. 24.26.28), kommt in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen vor. Er kann sich beispielsweise auf eine geschriebene oder mündliche Tradition beziehen, die einem anderen Menschen weitergegeben wird. Die persönliche Übergabe als Akt der Hingabe kann ebenso gemeint sein wie die Auslieferung eines Menschen an die Behörden zur Inhaftierung oder gar zur Hinrichtung. Solcherart Beispiele sind in unseren Breitengraden mit Angehörigen des jüdischen Glaubens entsetzlich oft passiert. Manchmal ist damit auch nur gemeint, dass jemand einem anderen einen Gegenstand anvertraut oder überlässt. Das alles sind nur einige wenige Beispiele für die Bedeutungsvielfalt dieses Begriffs. Ich hoffe, dass ich im Laufe der Betrachtung des Römerbriefes den Ausdruck Zorn Gottes ein wenig besser begreifbar gemacht habe. Wir werden ja sehen. Gott übergibt die Sünder nicht nur ihrer Verdorbenheit (die paulinische Definition für Gottes Zorn), sondern er gibt auch Jesus dahin, um ihre Übertretungen zu tilgen (Rö 8,32; 4,25).
    Das wäre mal so ein wenig zum gegenwärtigen Aspekt des Zornes Gottes.

    Der zukünftige Aspekt des Zornes Gottes besteht darin, dass Gott das Böse nicht ewig dulden wird, ja kann. Deshalb kommt der Zeitpunkt, an dem er das Gericht über alle hält (Rö 2,5.6). Dann wird Gott sich nicht nur abwenden und die Sünder sich selbst überlassen, sondern er wird sie zur Verantwortung ziehen und sein Urteil sprechen. Dieses Gericht betrifft alle und gründet sich auf die Taten jedes einzelnen, so wie uns hier in diesem Abschnitt die Taten der Menschen als von Gott verabscheut dargestellt werden. Wenn Gott nicht den ersten Schritt tun würde, um diesen Teufelskreis des Bösen zu durchbrechen, gäbe es für niemanden Hoffnung, da das endgültige Ziel des Widersachers Gottes die komplette, zerstörerische Herrschaft über alles Leben auf dieser Erde ist.

    Wenn sich Gott abwendet und die Menschen ihren Neigungen und Plänen überlässt, schlägt sich das vor allem in Form von sexueller Verwahrlosung, Lüge, Betrug, Gewalt und anderen Formen von Bosheit nieder. Unsere Sexualität, eigentlich von Gott als beglückende Gabe gedacht, mutiert zu zügelloser Triebhaftigkeit mit häufig wechselnden Partnern. Die Wirkung der Pervertierung des Instinkts, Gott zu verehren, stellt sich als Pervertierung anderer Instinkte von ihren eigentlichen Zielobjekten dar. Die Schrift (wie Paulus sie zur Verfügung hatte!) sieht alle homosexuellen Handlungen in diesem Licht (siehe 3. Mo 18,22; 21,13). Die Folge ist eine Entwürdigung (Entehrung) des Körpers (V 24), ein „Beherrschtwerden“ von der Lust und damit die Auflösung dessen, was wahrhaft „natürlich“ ist (V 26). Das führt dann wiederum zu Knechtschaft durch ungezügelte Leidenschaften (V 27). Eine Reihe anderer Sünden von Verleumdung bis Mord, von Habgier bis zu Rücksichtslosigkeit sind die unausweichliche Folge (im Detail Rö 1,26-31). Paulus lässt auch an vielen Stellen seiner Briefe keinen Zweifel daran, dass zur Annahme Christi auch die Annahme von Gottes Gesetz über sexuelle Lauterkeit gehört (vgl. Rö 13,13.14; 1 Ko 5,1-13; 6,9-20; 10,8; 1 Thess 4,3-8) – das nur als Zusatzinfo.
    Interessanterweise unterscheidet sich diese Textstelle in Römer 1 von den in Klammern angegebenen Texten in einem thematischen Punkt ganz wesentlich. Paulus gibt hier keine Empfehlungen zum Umgang mit der Sexualität. Er benutzt die sexuellen Gepflogenheiten lediglich als Beweis für den fortschreitenden moralischen Verfall der Gesellschaft und wertet das als ein Zeichen für Gottes Zorn. Paulus lässt hier offen, ob diejenigen, die sexuell mit Gleichgeschlechtlichen verkehrten, das ausschließlich oder zusätzlich zu einer heterosexuellen Beziehung taten. Er geht auch nicht auf den Unterschied zwischen homosexueller Neigung und homosexueller Betätigung ein. Er weist vielmehr darauf hin, dass die homosexuellen Praktiken in der damaligen Gesellschaft belegen, dass sich die Sünde überall durchgesetzt hat und daher ALLE dringend einen Erlöser brauchen.

    Wenn es heißt, dass sich aus Gottes Zorn über das Böse nur noch schlimmere Übel ergeben, mag das verwirrend und ein wenig sarkastisch klingen. Aber es ist eine immer wieder festzustellende Tatsache. Wenn Gott sich abwendet und die Menschen ihren Gelüsten überlässt, vervielfacht sich das Böse. Auf diesen Teufelskreis aus Sünde und Tod kommt Paulus noch in weiterer Folge des Römerbriefes zu sprechen. Schlussendlich führt dann Gottes Zorn zur Vernichtung. Wenn Gott die Sünder ihrer Sünde überlässt, zerstören sie sich selbst. An dieser Stelle vereinen sich der gegenwärtige und der zukünftige Aspekt des Zornes Gottes. Gottes letztes Gericht über die Sünde ist nur das folgewirksame Ende der eigenen Selbstzerstörung. Ich sehe hier auch eine Parallele zu Gottes Vernichtung der Völker im Lande Kanaan im Zuge der Landnahme durch sein Volk nach der Wüstenwanderung bzw. in abgeschwächter, jedoch spektakulärer Form bei der Zerstörung von Sodom und Gomorra.

    Aber wieso ist Gott eigentlich zornig? Gott reagiert mit seinem Zorn auf die Sünde der Menschen. Diese Sünde herrscht überall, sie zeigt sich sowohl in der jüdischen als auch in der heidnischen Welt (Rö 3,23). Die Heiden weigern sich, Gott anzuerkennen, obwohl sie ihn aus der Natur erkannt haben (Rö 1,21). Hat also irgend jemand eine Entschuldigung? Laut Paulus nein, er will mit diesen Formulierungen aber anscheinend keine Diskussion über die natürliche Gottesoffenbarung vom Zaun brechen, sonst würde er sich mit diesem Thema länger aufhalten. Er geht ja auch nicht der Frage nach, ob natürliche Gottesoffenbarung für die Erlösung ausreicht, das übersieht man ganz gerne. Er bekräftigt lediglich, dass Gott sein göttliches Wesen und seine Macht in dieser Welt so deutlich deklariert, dass alle, die ihn nicht verehren, keine Entschuldigung haben. Paulus betont die Realität und die Universalität der göttlichen Offenbarung, die andauert („seit Erschaffung der Welt“, V 20) und allgemein sichtbar ist („wird ... wahrgenommen“, V 20). Die Ordnung in der die Welt besteht zeugt von einem Schöpfer, obwohl dieser für uns unsichtbar ist. Das Medium Schöpfung erzählt uns von Gott, erzählt jedem Menschen von Gott. Trotzdem hat dieser Abschnitt des Römerbriefs, vor allem Römer 1,20 in der Vergangenheit immer wieder Fragen nach der natürlichen Gottesoffenbarung aufgeworfen. Dieses Thema wird unter Theologen sehr kontrovers diskutiert, wie man an vielen divergierenden Kommentaren zu dieser Frage festmachen kann. Sagt Paulus hier aus, dass es eine Gottesoffenbarung gibt, die sich uns in der Natur zeigt? Wenn ja, genügt diese Offenbarung für die Erlösung? Lehrt uns die Natur eine universale Ethik, die allen Menschen die gleichen Maßstäbe von Richtig und Falsch vermittelt? Legt Paulus zwei Heilswege vor, nämlich die Natur und Jesus Christus? Auch dieses Thema rückt in Römer 2 erneut ins Blickfeld, wo ausführlicher darauf eingegangen wird. Dennoch wird weder hier noch im folgenden Kapitel die Frage nach natürlicher Gottesoffenbarung und Naturgesetz umfassend erörtert. Das soll uns aber nicht erstaunen oder verwirren, denn wenn wir den Textzusammenhang heranziehen, dann sollte die Aussage wieder klar werden. Paulus geht hier nämlich nicht auf die Frage ein, wie ein Mensch gerettet wird. Er will vielmehr die weltweite Ausbreitung und Herrschaft der Sünde nachweisen. Paulus unterstreicht das folgendermaßen:

    a) Gott offenbart sich in seiner Schöpfung (Rö 1,20)

    b) Dadurch wird es selbst den Heiden möglich, Gott zu erkennen (V. 21)

    c) Diese Erkenntnis genügt, dass sich niemand vor Gott entschuldigen kann (V. 20)

    d) Trotzdem geschieht diese Offenbarung für Paulus nicht automatisch oder unpersönlich. In Vers 19 schreibt er, dass Gott selbst den Menschen diese Erkenntnis über sich vermittelt.

    Die Schöpfung offenbart Gott, weil Gott auch weiterhin in seiner Schöpfung aktiv ist. Er wirkt, um sich selbst bekannt zu machen. Wenn die Menschen dennoch die Schöpfung statt des Schöpfers anbeten, kehren sie Gott den Rücken und stehen am Ende ohne Entschuldigung da.

    Abseits der Ablehnung dieser Realität, die jeder in Form der Natur vor Augen hat, weigern sich die Heiden, Gott zu danken (V. 21). Am verwerflichsten ist es ja dann, dass sie an die Stelle des wahren Gottes Götzen gesetzt haben (V. 23), so dass sie statt des Schöpfers Geschöpfe anbeten (V. 25) oder Sterne, Steine, Naturelemente, ... alles zusammen von Gott gemacht.
    Gottes Zorn ist also nicht nur Reaktion auf die Sünde der Heiden. Die Juden kannten den Willen Gottes durch das Gesetz, aber sie versäumten es, dieses Gesetz zu befolgen (Rö 2,17-24). Sie taten genau das, wofür sie die Heiden verurteilten. Zudem sündigten sie auch durch ihren Richtgeist (Rö 2,1). Paulus unterstreicht, dass niemand anklagend mit dem Finger auf andere zeigen darf. Gottes Zorn wurde nicht durch die Sünde einer bestimmten Gruppe provoziert, sondern durch die Sünde jedes einzelnen Menschen. Alle haben gesündigt und damit Gottes Zorn heraufbeschworen (Rö 3,23) und hiermit kommen wir zur „Unparteiigkeit“ (ja, ich weiß, ein fürchterliches Wort von der Grammatik her) des Zornes Gottes.

    Keiner kann Gottes Zorn entgehen, weil ja eigentlich alle gesündigt haben. Natürlich stimmt es, dass die Juden Gottes erwähltes Volk waren. Sie erhielten zuerst die Gute Nachricht (Rö 1,16). Genauso wird sie aber auch zuerst der Zorn Gottes treffen (Rö 2,9). Ihr Vorrecht war zugleich Auftrag und lud ihnen mehr Verantwortung auf als anderen Völkern. Gott ist niemals parteiisch gewesen. Er hat keine Lieblinge (Rö 2,11). Selbst wenn er zornig ist, behandelt er keinen ungerecht, das ist etwas, das wir Menschen einfach nicht drauf haben. Insgesamt ist es ein ziemlich düsteres Bild, das Paulus hier zeichnet:

    1. Alle leben unter der Herrschaft der Sünde (Rö 3,9)

    2. Keiner ist gerecht (V. 10).

    3. Alle sind der Sünde verfallen und haben nichts vorzuweisen, was Gott gefallen könnte (V. 23).

    4. Deshalb trifft Gottes Zorn alle.

    Abseits der kleineren Hoffnungsschimmer wird dieses düstere Gesamtbild erst am Ende von Kapitel 3 des Römerbriefes von strahlendem Licht erhellt.

    Mein Bibelkommentar hier macht darauf aufmerksam, dass zur Zeit des Paulus Lehrer und Philosophen ihre Ansichten in genau festgelegter Form publik machten. Ein typisches Stilmittel war die Aufzählung von Untugenden, die man meiden, oder von Tugenden, nach denen man streben sollte. Solche Listen waren sowohl für jüdische als auch für griechische oder römische Lehrer nicht ungewöhnlich. Paulus übernimmt diese allgemeine Praxis in seinen Briefen. Paulus war ja immer ein Freund des Weiterlernens in der Verkündigung. So stellte er sich ja auch bei den Griechen auf den Platz mit den Göttern und verwendete die Statue für den unbekannten Gott für seine Botschaft (Apg 17,23). Paulus betont vor allem Untugenden, die die Gemeinschaft zerstören. Dazu gehören sexuelle Vergehen sowie Verhaltensweisen, die mangelnden Respekt gegenüber den Mitmenschen offenbaren. So enthält die Aufzählung in Römer 1 beispielsweise Neid, Streit, Betrug, Klatsch und Verleumdung. In den antiken Aufzählungen wurden häufig Stabreim (Alliteration)2 und ähnlich klingende Wörter benutzt. Beispielsweise sind die ursprünglichen griechischen Begriffe für „Neid“ und „Mord“ in Vers 29 phthonos und phonos. Auch werden in Vers 29 adikia, poneria und pleonexia nebeneinander gestellt („Ungerechtigkeit“, „Schlechtigkeit“ und „Habgier“). Vers 31 verknüpft asynetos und asynthetos („unverständig“ und „treulos“). Zu den stilistischen Mitteln gehören auch lautmalende Ausdrücke, die wie ihre Bedeutung klingen. Beispielsweise bedeutet das Wort für „Verleumder“ wörtlich übersetzt „Flüsternde“ (psithyristas). Wer das Wort aussprechen kann, wird das Geflüster hören. Diese Stilmittel sind ein Grund, warum die traditionellen Lehrmethoden so beliebt waren, die Paulus hier übernimmt und anpasst.

    ...diejenigen unter uns, die Griechisch können, haben halt doch einen Vorteil...ich kann das nur abtippen und glauben, dass stimmt was sie sagen.

    Diejenigen jüdischen Lehrer und Leser des Römerbriefes, welche bisher uneingeschränkt zustimmen konnten, werden sich in Römer 2 in einen Spiegel schauen müssen, der ihnen vielleicht weniger schmeckt als das Betrachten der Heiden und ihrer Sünden. Alle sind schuldig, mehr dazu dann im nächsten Teil. Diesmal war es eh schon lange genug, meine ich.

    Die praktische Anwendung aus diesem Textabschnitt ist sicher für Menschen nicht leicht zu praktizieren. Ich hab mir dennoch ein paar Fragen dazu gestellt:

    Angenommen, Gottes Zorn ist wirklich seine Bereitschaft, einem alles zu erlauben, und die Freiheit, die er den Menschen zugesteht. Wie wirkt sich das auf die Art und Weise aus, wie ich andere behandle? Ist alles laufen zu lassen eine Art von „Zorn“?

    Wie gehe ich mit der inneren Spannung um, anderen zwar Freiheit einzuräumen, sie aber nicht den verhängnisvollen Folgen ihrer Entscheidungen zu überlassen? Freiheit beinhaltet halt auch das Tragen der Folgen. Aktion – Reaktion.

    Die röm-griech. Gesellschaft ist in diesem Abschnitt aufgedeckt und direkt angesprochen. Aber wirklich heavy ist doch, dass es Menschen gibt, die sich auch noch freuen, wenn andere es so treiben wie sie selbst. Wie geht es uns mit Voyeurismus in Bezug auf unsere eigenen Schwächen, die wir bei anderen begaffen?

    Soll die Toleranz so weit gehen, dass man zum Bösen generell schweigt?

    hoffentlich schon bald mehr, die Tipperei und das Zusammensuchen der beim Studieren erkannten und niedergeschriebenen Zeilen ist nicht wenig zeitintensiv :-).

    Grüße

    Tricky



    Re: Kommentar zum Römerbrief von Tricky

    Nachtperle - 05.01.2008, 22:04


    Fortsetzung des Römerbriefbetrachtens

    Irgendwie kommt mir vor als wenn meine Zeilen zum Römerbrief ein wenig zu langatmig sind. Wenn ich es so im Durchlesen überblicke, dann wiederhole ich mich einfach zu oft. Werde versuchen ein wenig straffer zu formulieren. Von der Form her vielleicht zur Übersichtlichkeit jetzt mit Überschriften und Formatierungen ein wenig optisch besser aufbereiten.

    In Kapitel zwei des Römerbriefes wendet sich Paulus nun denen zu, die beim Lesen von Kapitel eins den Zeigefinger auspacken und fleißig die Schuld bei anderen suchen. Römer zwei macht uns klar, dass ihre Freude verfrüht ist, ohne jedoch in seiner Kritik antisemitisch zu sein. Spätestens in den häufig strapazierten Kapiteln 9 bis 11 wird deutlich wie besorgt der Apostel um Israel ist. Auch die Juden stehen unter Gottes Zorn...

    ... aber gleich hinein in den Text (EÜ):

    Römer 2/1-29

    Rö 2/1 Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, jeder, der da richtet; denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe. 2/2 Wir wissen aber, dass das Gericht Gottes der Wahrheit entsprechend über die ergeht, die solches tun. 2/3 Denkst du aber dies, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und dasselbe verübst, dass du dem Gericht Gottes entfliehen wirst? 2/4 Oder verachtest du den Reichtum seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut und weißt nicht, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet? 2/5 Nach deiner Störrigkeit und deinem unbußfertigen Herzen aber häufst du dir selbst Zorn auf für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, 2/6 der einem jeden vergelten wird nach seinen Werken: 2/7 denen, die mit Ausdauer in gutem Werk Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit suchen, ewiges Leben; 2/8 denen jedoch, die von Selbstsucht [bestimmt] und der Wahrheit ungehorsam sind, der Ungerechtigkeit aber gehorsam, Zorn und Grimm. 2/9 Drangsal und Angst über die Seele jedes Menschen, der das Böse vollbringt, sowohl des Juden zuerst als auch des Griechen; 2/10 Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jedem, der das Gute wirkt, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen. 2/11 Denn es ist kein Ansehen der Person bei Gott. 2/12 Denn so viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden 2/13 - es sind nämlich nicht die Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden. 2/14 Denn wenn Nationen, die kein Gesetz haben, von Natur dem Gesetz entsprechend handeln, so sind diese, die kein Gesetz haben, sich selbst ein Gesetz. 2/15 Sie beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben ist, indem ihr Gewissen mit Zeugnis gibt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch entschuldigen - 2/16 an dem Tag, da Gott das Verborgene der Menschen richtet nach meinem Evangelium durch Jesus Christus.

    2/17 Wenn du dich aber einen Juden nennst und dich auf das Gesetz stützt und dich Gottes rühmst 2/18 und den Willen kennst und prüfst, worauf es ankommt, weil du aus dem Gesetz unterrichtet bist, 2/19 und getraust dich, ein Leiter der Blinden zu sein, ein Licht derer[, die] in Finsternis [sind], 2/20 ein Erzieher der Törichten, ein Lehrer der Unmündigen, der die Verkörperung der Erkenntnis und der Wahrheit im Gesetz hat: - 2/21 der du nun einen anderen lehrst, du lehrst dich selbst nicht? Der du predigst, man solle nicht stehlen, du stiehlst? 2/22 Der du sagst, man solle nicht ehebrechen, du begehst Ehebruch? Der du die Götzenbilder für Greuel hältst, du begehst Tempelraub? 2/23 Der du dich des Gesetzes rühmst, du verunehrst Gott durch die Übertretung des Gesetzes? 2/24 Denn `der Name Gottes wird euretwegen unter den Nationen gelästert, wie geschrieben steht. 2/25 Denn Beschneidung ist wohl nütze, wenn du das Gesetz befolgst; wenn du aber ein Gesetzesübertreter bist, so ist deine Beschneidung Unbeschnittenheit geworden. 2/26 Wenn nun der Unbeschnittene die Rechte des Gesetzes befolgt, wird nicht sein Unbeschnittensein für Beschneidung gerechnet werden 2/27 und das Unbeschnittensein von Natur, das das Gesetz erfüllt, dich richten, der du mit Buchstaben und Beschneidung ein Gesetzesübertreter bist? 2/28 Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist, noch ist die äußerliche [Beschneidung] im Fleisch Beschneidung; 2/29 sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und Beschneidung [ist die] des Herzens, im Geist, nicht im Buchstaben. Sein Lob kommt nicht von Menschen, sondern von Gott.

    Die Sünde des Richtens (Rö 2,1-4)

    Interessant ist im zweiten Teil von Kapitel 1, dass Paulus ganz allgemein und in der dritten Person Plural („sie“) über die Sünder, über die Gottes Zorn kommt schreibt. Mit der Anrede in der zweiten Person Singular („du, o Mensch“) wird er nun ganz persönlich und wendet sich gezielt an diejenigen, die jene Sünder verdammen. Und was sie besonders getroffen haben muss, er sagt ihnen: „Wenn es um Sünde geht, sitzt ihr alle in einem Boot!“

    In Römer eins hat er betont, dass die Heiden „keine Entschuldigung“ für ihre Sünden haben. Doch nun wird es auch für die menschlichen Richter kritisch, denn Paulus behauptet, dass Menschen, die andere richten und verurteilen, ebenfalls „keine Entschuldigung“ haben, zumal sie ebenso handeln wie die Heiden (Rö 2,1). Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, bei dem man natürlich fragen muss, ob er berechtigt ist. Ist es wirklich so, dass sich Gottes Volk ebenso verhielt wie die Heiden? Wahrscheinlich traf das für manche Juden zu. Zweifellos gab es auch unter Gottes Volk Menschen, die ähnlich dachten und handelten, wie die Heiden. Vielleicht nicht ganz so offensichtlich und unverfroren wie diese, aber immerhin. Doch den meisten Israeliten wäre nicht im Traum eingefallen, sich auf Götzendienst und sexuelle Ausschweifungen einzulassen, das sollte man auch bedenken. Es wäre ja gesellschaftlich gar nicht möglich gewesen und von der Grundstruktur der Religion war die soziale Umgebung und der Umgang untereinander geprägt. Das wusste Paulus auch, denn er kannte die Gewohnheiten seines Volkes. Es stellt sich die Frage warum er dann trotzdem seine Leute mit den Heiden in einen Topf wirft. Vielleicht bringt uns der Vers 3 ein Stück weiter. Paulus spricht dort von denen, die andere richten. Man könnte also interpretieren, dass Richtgeist auch eine Art Götzendienst ist, weil sich damit ein fehlbarer Mensch ein Recht anmaßt, das allein Gott zusteht. Aber ich betone, dass das eine persönliche Meinung zu dieser Thematik ist. In Römer 14,4 tadelt er diejenigen, die einen fremden Knecht richten. Als Parallelstelle ist in meiner Bibel Römer 14,10-12 angegeben, wo er anhand alttestamentlicher Texte belegt, dass Gott der Richter ist.

    Texte zum Vergleich:

    Jesaja 45/23 Ich habe bei mir selbst geschworen, aus meinem Mund ist Gerechtigkeit hervorgegangen, ein Wort, das nicht zurückkehrt: Ja, jedes Knie wird sich vor mir beugen, jede Zunge [mir] schwören 45/24 und sagen: Nur in dem HERRN ist Gerechtigkeit und Stärke. Zu ihm wird man kommen, und es werden alle beschämt werden, die gegen ihn entbrannt waren. 45/25 In dem HERRN werden gerecht sein und sich rühmen alle Nachkommen Israels.

    NUR im Herrn ist Gerechtigkeit!

    Im Umkehrschluss heißt das jetzt, wer seine Mitmenschen richtet, reißt Befugnisse an sich, die allein Gott zustehen, und setzt sich damit an Gottes Stelle. Wenn das kein Götzendienst ist! In Vers 4 wirft Paulus seinen Lesern vor, dass sie Gottes Güte verachten, weil diese Güte sie zur Buße leiten soll. Offenbar verhindert menschlicher Richtgeist, dass man Gottes Güte voll erfassen kann, und erstickt das Bedürfnis, sich reumütig Gott zuzuwenden. Das könnte die zentrale Botschaft dieses Abschnitts sein.

    Richter ist allein Gott (V 5 – 11 )

    In Vers 5 betont Paulus, dass alle, die andere verurteilen, für den Tag der Abrechnung Gottes Zorn auf sich laden. Hier begegnet uns ein weiterer Aspekt des Zornes Gottes. In Römer eins ging es darum, dass sich Gott von der Welt abwendet und die Menschen die Folgen ihrer Sünde spüren lässt. Nun spricht der Apostel von einem zukünftigen Tag des Zorns an dem Gott Gericht halten wird. Allerdings reißt er hier nur an, was in Römer drei weiter ausgeführt wird. Dieser „Tag des Zorns“ steht in engem Zusammenhang mit Gottes Gerechtigkeit, denn dann zeigt sich, dass Gott gerecht urteilt (Rö 2,5). Nach Paulus offenbart Gottes Gericht beides, seinen Zorn und seine Gerechtigkeit. Gott handelt nicht willkürlich, sondern vergilt jedem Menschen nach seinen Werken (V. 6). Wer Gutes getan hat, empfängt an jenem Tag ewiges Leben (V. 7); die allerdings, die Böses tun, können dem Tag der Abrechnung nur mit Angst und Besorgnis entgegensehen, denn am Tag des Gerichts dürfen sie nicht mehr mit Gnade rechnen (V. 8.9). Das klingt jetzt verdächtig nach Werksgerechtigkeit, oder? Schreibt Paulus hier nicht genau das, was er an anderen Stellen so eindeutig widerlegt? Geht es bei Gottes letztem Gericht wirklich darum, denen, die Gutes getan haben, das ewige Leben zu schenken, und diejenigen dem Zorn preiszugeben, die Böses getan haben?

    Manche Theologen meinen, dass der Christ durch den Glauben gleichsam auf den Zug der Erlösung aufspringe. Seine Werke seien dann das Mittel, das ihn an Bord des „Erlösungszugs“ halte. Wenn Paulus also vom Ende oder Ziel des christlichen Lebens spreche und nicht vom Beginn, seien die Taten von entscheidender Bedeutung für die Erlösung. Schließlich sei ja von den Werken als Grundlage für das Urteil die Rede.

    Wer nur Römer 2,5-11 liest, könnte tatsächlich zu solch einer Auffassung gelangen. Allerdings würde dieser Lösungsansatz dem Kontext des Römerbriefs und dem Gedankenfluss des Apostels nicht ganz gerecht. Die Lösung für dieses „Verständnisproblem“ ergibt sich meiner Meinung nach nur dann, wenn wir uns nicht auf einzelne Abschnitte des Briefes versteifen und sie separat betrachten. Das würde uns auf kurz oder lang in die Irre führen. Wir müssen den Einzelaussagen also bis ans Ende der Kette folgen, das ist nämlich die Voraussetzung und zugleich der Schlüssel zum Verständnis der einzelnen Phasen in den Erörterungen von Paulus. Das gilt mit Sicherheit auch für Römer 1,18 bis 3,20. Außerdem wird die fundamental scheinende Aussage in Vers 6 meiner Meinung nach überbewertet. Was steht hier genau?

    2/6 der einem jeden vergelten wird nach seinen Werken:

    Gott vergilt jedem nach seinen Werken. Das ist soweit eine neutrale Aussage, sie beinhaltet nicht den Grund warum diese Werke gemacht wurden. Die Motivation der Werke bleibt also in der Argumentation von Paulus außen vor. Dass Werke etwas wichtiges sind, das zieht sich als roter Faden durch die gesamte Bibel. Das göttl. Gericht basiert auf jedem Aspekt der Beziehung eines Menschen zu Gott. Nur diejenigen, die Gnade empfangen, trachten tatsächlich nach „Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit“ (V 7). Das Gericht wird also nach Werken ausgeübt (siehe auch 2. Kor 5,10), während die Erlösung durch Gnade geschieht, denn ohne Gnade gibt es nur Verdammnis – für Juden wie für Griechen. Ich weiß, ich wiederhole mich in diesem Punkt vielleicht ein wenig zu oft, aber das ist ein gewichtiger Aspekt des Römerbriefes. Viele Autoren beschreiben ihre Ansicht dazu und auch Paulus, der die Werke als Früchte des Glaubens sieht. Jesus betont im Gebot den Nächsten zu lieben ja auch ein Werk und nicht ein „Liebanschauen“ des nächsten, der in Not ist. Liebe ist praktisch.

    Paulus will deutlich machen, dass ALLE Menschen Sünder sind und unter Gottes Zorn stehen (Rö 3,23). Er beendet seine Ausführungen mit deutlichen Worten, indem er unterstreicht, dass NIEMAND für gerecht erklärt wird, weil er das Gesetz hält. Das Beste am Gesetz ist, dass wir durch seine Weisungen unsere Sünden erkennen (Rö 3,20). Weil Römer 1,18 bis 3,20 eine zusammenhängende Einheit bildet, muss auch Römer 2,5-9 im Kontext der Grundaussage dieses Abschnitts gesehen werden. Es stimmt, dass Gott beim letzten Gericht allen, die Gutes getan haben, ewiges Leben schenken wird. Aber wer hat schon Gutes getan? Auch nur einer (Rö 3,10)? Rettung durch gute Werke ist als nie eine Lösung. Weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft.

    Obwohl, es unterschiedliche Gruppen gibt, denen im Heilsplan ganz verschiedene Aufgaben zugedacht sein können, hat Gott dennoch keine Lieblinge (V 11) denn letztlich zielt alles darauf ab, dass Gott allen Menschen gnädig ist (Rö 11,32). Die Funktionsweise von Gottes Heilsplan wird uns in den weiteren Kapiteln noch genauer offenbart.

    Gesetz u. Gericht (V. 12-16)

    Die Grundaussage der folgenden Verse (12-16) sollte soweit klar sein. Allerdings macht Paulus mit den Versen 14 und 15 einen Einschub, der wohl nicht so leicht verständlich ist und zu ganz unterschiedlichen theologischen Deutungen geführt hat. Nach der grundsätzlichen Feststellung, dass es bei Gott „kein Ansehen der Person“ gibt (V. 12), betont Paulus noch einmal, dass Gottes Urteil alle trifft: sowohl die Heiden, die ohne Kenntnis des Gesetzes sündigen, als auch die Juden, die sündigen, obwohl sie das Gesetz haben. Die Heiden werden ohne Gesetz verloren gehen, während die Juden durch das Gesetz verurteilt werden. Zwar gibt es Unterschiede – die einen kennen das Gesetz, die anderen nicht –, aber in der Grundessenz sind sie gleich: sie sündigen alle!
    Laut Paulus genügt die bloße Kenntnis des Gesetzes nicht, der Mensch muss es auch befolgen, um gerechtfertigt zu werden (V. 13). Das klingt wieder so, als könne der Mensch durch das Halten der Gebote gerechtfertigt werden. Aber auch hier täte man Paulus Gewalt an, wenn man diese Aussage so deuten würde, aber bitte, das ist alles meine eigene Meinung, jeder soll sich seinen Reim darauf selbst machen. Ich möchte nur betonen, dass Paulus im Gesamtbild des Römerbriefes und auch seiner anderen Briefe niemals eine Werksgerechtigkeit gepredigt hat. So sehe ich das.

    Der Bibelkommentar der Genfer Studienbibel sagt zu Röm. 2,12:
    „das Gesetz“ Das Gesetz des Mose, das in den Zehn Geboten zusammengefasst ist. Das mosaische Gesetz offenbart bereits die Verdammnis der Sünde durch Gott, doch die Ursache der Sünde liegt im Herzen, das heißt tief in unserer Natur eingewurzelt und nicht im Gesetz! (Rö 7,13). Die Erkenntnis des „Werkes des Gesetzes“ (V. 15) ruht ebenfalls im Herzen, weil die Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen wurden (siehe 1. Mo 1,26 f.). Da Gott die Menschen in Übereinstimmung mit den ihnen bekannten Standards richtet, sind alle Versuche, sich damit zu rechtfertigen, dass man das mosaische Gesetz nicht kennt, irrelevant und unrechtmäßig. Es ist nicht der Grad der empfangenen Erkenntnis, sondern die Antwort auf die Offenbarung selbst, wie auch immer sie empfangen wurde, die „an dem Tag, da Gott richten wird“ (V. 16) entscheidend sein wird.
    Ich finde, dass das den Kern recht gut trifft.

    Mein kleinen Recherchen im Internet zufolge und aufgrund von Bibelkommentaren gibt es an der nachfolgenden Stelle (Verse 14 u. 15) einen Einschub, über den sich schon viele Theologengenerationen die Köpfe sprichwörtlich eingeschlagen haben. Paulus spricht von Heiden, die das Gesetz zwar nicht haben, aber von Natur aus tun, was es fordert. Sie sind sich quasi selbst Gesetz, denn was das Gesetz verlangt, ist in ihr Herz geschrieben. Wer ist hier gemeint? Manche meinen, es handle sich um Menschen, die niemals von Gott oder dem Gesetz gehört haben, aber von Natur aus richtig handeln und deshalb erlöst werden. Andere sind der Überzeugung, dass Paulus hier in neutestamentlichen Kategorien denkt und schreibt (Vgl. Jeremia 31,33. Dort verspricht Gott einen neuen Bund, bei dem er Israel das Gesetz ins Herz schreiben wird.) Es könnten deshalb nur Heiden gemeint sein, die Christen geworden waren und nun Gottes Gesetz im Herzen trugen. Diese Auffassung wird dadurch unterstützt, dass sich die Wendung „von Natur aus“ im Griechischen nicht auf das Verb, sondern auf das Substantiv „Heiden“ beziehe. Ich schreibe das hier jetzt nur ab, ich hab’s aufgrund von fehlenden Studien nicht nachweisen können. Ich möchte nur ein möglichst umfassendes Gesamtbild zeichnen. Dem gemäß würde die Passage also so lauten: „Denn wenn die Heiden, die von Natur aus kein Gesetz haben, das tun, was das Gesetz fordert …“ Daraus schließt man, Paulus habe nicht von denen gesprochen, die „von Natur aus“ dem Gesetz folgen, sondern von denen, denen das Gesetz ins Herz geschrieben wurde, weil sie Christus folgen.

    Im Endeffekt gibt Paulus hier zu wenig Informationen, um diese Frage endgültig klären zu können. Wir sollten aber nicht vergessen, dass er in diesem Abschnitt des Briefes noch nicht von Erlösung spricht. Offensichtlich sind die Juden nicht überlegen, weil sie das Gesetz haben, denn sie sind genauso Sünder wie die Heiden. Andererseits vollbringen sogar die „gottlosen“ Heiden gute Taten. Das kann und soll man auch nie in Abrede stellen! Das von Paulus in Römer eins entworfene Bild von der heidnischen Welt beschreibt ja nur die eine Seite der Medaille. Ohne Zweifel gab es in der griech.-röm. Welt ebenso Menschen mit hohen Idealen und einem bewundernswerten Lebensstil.

    Schwäche im Gesetz? (V 17- 24)

    Bemerken wir, dass Paulus in Vers 17 zum persönlichen „du“ zurückkehrt und gleich darauf wendet er sich in sarkastischen Worten an die Juden. Dabei bezieht er sich häufig auf das Alte Testament, wie interessanterweise im ganzen zweiten Kapitel seines Briefes. Es scheint fast so, als habe der Apostel es darauf angelegt, die Juden mit ihrer eigenen Bibel zu schlagen. Er hat mit ihnen nämlich zwei Probleme. Sie verlassen sich auf das Gesetz und „rühmen sich“ ihrer Beziehung zu Gott (Rö 2,17.23). Seine Vorwürfe erscheinen erst in dem zweiten Teil von Römer drei in einem helleren Licht. Dort macht er nämlich deutlich, dass die Gerechtigkeit, die Gott anbietet, nicht vom Gesetz abhängig ist (Rö 3,23) und deshalb alles Rühmen ausschließt (V 27). Es scheint sich sehr oft inhaltlich zu wiederholen. Größere Probleme hat Paulus ja damit, dass die Juden sich ihrer Zugehörigkeit zum Volk Gottes rühmen und beanspruchen, Führer der Blinden und Lichter in der Dunkelheit zu sein. In Wirklichkeit aber sitzen sie mit den Heiden im selben Boot, weil sie einerseits nicht ihren hohen moralischen Idealen entsprechend lebten, zugleich aber andere wegen ihres sündigen Verhaltens verdammten (Rö 2,19-22). 1

    „Tempelraub“ - Bibelkommentatoren haben viele Auslegungen für den Vorwurf des Paulus vorgeschlagen, dass die Juden auch Tempel berauben (V. 22). Es ist aber nicht sicher, was Paulus damit meint. Es könnte im Zusammenhang mit Ehebruch und Götzendienst auch einfach „nur“ die zusätzliche Erwähnung des Diebstahls sein.

    Statt Gottes Zeugen für die Welt zu sein, machten die Juden Gottes Namen unter den Heiden zum Gespött (Rö 2,24) – ähnlich wie ihre Vorfahren zur Zeit des Propheten Jesaja (Parallelstelle Jes 52,5) Dieses heuchlerische Verhalten war alles andere als ein Zeugnis für ihren Glauben und ihren Gott. Dennoch wäre es grundfalsch, die damaligen Juden aufgrund dieser berechtigten Vorwürfe pauschal zu verurteilen. Es würde dies sogar ein deutliches Zeichen für unsere eigene Sündhaftigkeit sein. Selbst Paulus maßt sich nicht an die Juden zu verurteilen, jedoch sieht er sich gezwungen die Missstände aufzuzeigen. Paulus wollte sie ganz gewiss nicht kompromittieren und öffentlich als schlimmste Sünder an den Pranger stellen. Schließlich geht es hier nicht nur um „die Juden“, sondern um uns alle. Wir alle sind Sünder. Allerdings stimmt es, dass religiöse Menschen besonders anfällig dafür sind, sich etwas auf ihren Glauben und ihre Frömmigkeit einzubilden. Deshalb veranschaulicht Paulus am Beispiel der Beschneidung, wie falsch es ist, sich auf Äußerlichkeiten zu verlassen.

    Die wahre Beschneidung (Rö 2,25-29)

    Zu diesem Thema habe ich mich hier im Forum schon mal geäußert, anlässlich der Diskussion zur Frage „Die Juden im Blick der Menschen...“ Die Beschneidung galt für den jüdischen Mann als das äußere Zeichen seiner Zugehörigkeit zum Volk Gottes. Wobei ich persönlich mich immer wieder frage wie dieses äußerliche Zeichen praktisch sichtbar war. Das soll nicht respektlos klingen, aber hatten die Männer damals nichts an, sodass jeder sehen konnte ob sie beschnitten waren oder nicht? Das ist aber eine Nebenfrage, auf die ich selbst noch keine Antwort gefunden habe. Paulus stellt aber hier nun die schockierende These auf, dass die Beschneidung nur dann wirksam ist, wenn der Beschnittene das Gesetz hält. Bricht er es, ist er im Grunde ein Unbeschnittener. Das hat aber auch die logische Konsequenz, dass jemand, der nicht beschnitten wurde und dennoch das Gesetz hält so ist, als wäre er beschnitten (V 26). Paulus argumentiert wiederholend wie schon früher in Römer zwei und will damit sagen: Weil alle Sünder sind, kann sich niemand auf irgendeinen religiösen Status verlassen.

    Für Paulus ist klar, dass sich wahres Judentum nicht an religiösen Bräuchen oder an der Abstammung festmachen lässt, sondern eine Frage der Herzenseinstellung ist (V. 28.29). Damit spielt er möglicherweise auf das AT an, wo Gott zusagte, dass er die Herzen seines Volkes und die Herzen ihrer Nachkommen beschneiden werde

    5. Mo 30/6 Und der HERR, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden, damit du den HERRN, deinen Gott, liebst mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele, dass du am Leben bleibst.

    Damit bringt Paulus hier eigentlich keine neue Lehre, sondern verwendet nur die gleiche Formulierung wie sie schon im AT gebracht wurde. Es fällt zudem auf, dass er die Beschneidung hier nicht rundweg ablehnt, das wird auch an anderer Stelle deutlich, z. B. im Galaterbrief, wo er den judaistischen Irrlehrern scharf entgegentritt, weil sie den Heidenchristen die Beschneidung aufzwingen wollten (Gal 5,2-12). Aber auch dort wendet er sich nicht gegen die Beschneidung an sich, sondern nur gegen die Form. Paulus kann gut differenzieren zwischen falscher Praxis und grundsätzlich richtiger Theorie. Sein Satz: „2/29 sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und Beschneidung [ist die] des Herzens, im Geist, nicht im Buchstaben. Sein Lob kommt nicht von Menschen, sondern von Gott.“ (Rö 2,29) Mein Bibelkommentar meint dazu, dass im Hebräischen „Juda“ und „Judentum“ mit dem Wort Lob verwandt sind. Deshalb könnte diese Aussage auch bedeuten, dass das persönliche „Judentum“ von Gott kommt und nicht von Menschen. Jesus sagt in Joh 5,44 (Hfa):
    „Kein Wunder, dass ihr nicht glauben könnt. Denn ihr seid doch nur darauf aus, voreinander etwas zu gelten. Ob ihr aber vor Gott etwas geltet, darüber macht ihr euch keine Gedanken.“
    Echter jüdischer Glaube kann wie jeder andere wahre Glaube nur von Gott gewirkt werden. Er kommt nicht aus weltlichen Quellen. Paulus scheint das zu unterstreichen, indem er auf den Zusammenhang zwischen Juda und Lob in der hebräischen Sprache anspielt, auch wenn das im Griechischen nicht mehr zu erkennen ist. Man könnte sich hier fragen warum man sich dann bemühen sollte zum Volk Gottes zu gehören. Paulus erklärt das anhand seiner Gedanken im nächsten Kapitel, wo es wieder um den Zorn Gottes und die Sündhaftigkeit der Menschen geht.

    Fragen zu dem Thema bitte im neuen Thread: „Diskussion zum Römerbrief“.

    Grüße

    Tricky



    Re: Kommentar zum Römerbrief von Tricky

    Nachtperle - 05.01.2008, 22:05


    Fortsetzung des Römerbriefbetrachtens

    In Römer 3 pflegt Paulus vorerst einen etwas anderen Stil als bei den ersten beiden Kapiteln. Er beginnt nämlich damit Fragen zu stellen. Für einen Lehrer ist das eigentlich nichts ungewöhnliches. Paulus war einer der berühmtesten Lehrer der Christenheit, und auch er stellte Fragen – viele Fragen! Dieser Abschnitt des Römerbriefs besteht vor allem aus Fragen aber nur einer Schlussfolgerung. Paulus führt hier eine Art virtuellen Dialog, indem er selbst Fragen aufwirft, die als Einwände zu den Themen gestellt werden könnten, die er gerade behandelt hat. Die Fragen bereiten die Leser darauf vor, was Paulus später im Römerbrief behandeln wird. Die Schlussfolgerung bringt die Ausführungen über Gottes Zorn, die in Römer 1,18 begannen, erneut zur Sprache. Paulus stellt endgültig klar, dass sowohl Juden als auch Griechen unter der Herrschaft der Sünde stehen, leitet aber zugleich zu Gottes barmherziger Reaktion auf dieses Dilemma über. Damit es ein wenig kürzer und übersichtlicher wird trenne ich Röm. 3, 1-20 von Röm. 3,21-31 thematisch ein wenig auf.

    Der Text (EÜ):

    Römer 3/1-20

    3/1 Was ist nun der Vorzug des Juden oder was der Nutzen der Beschneidung? 3/2 Viel in jeder Hinsicht. Denn zuerst sind ihnen die Aussprüche Gottes anvertraut worden. 3/3 Was denn? Wenn einige untreu waren, wird etwa ihre Untreue die Treue Gottes aufheben? 3/4 Das sei ferne! Vielmehr sei es so: Gott [ist] wahrhaftig, jeder Mensch aber Lügner, wie geschrieben steht: `Damit du gerechtfertigt werdest in deinen Worten und den Sieg davonträgst, wenn man mit dir rechtet. 3/5 Wenn aber unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit erweist, was wollen wir sagen? Ist Gott etwa ungerecht, wenn er Zorn auferlegt? - Ich rede nach Menschenweise. - 3/6 Das sei ferne! Wie könnte sonst Gott die Welt richten? 3/7 Wenn aber die Wahrheit Gottes durch meine Lüge überströmender geworden ist zu seiner Herrlichkeit, warum werde ich auch noch als Sünder gerichtet? 3/8 Und [sollen wir es] etwa [so machen], wie wir verlästert werden und wie einige sagen, dass wir sprechen: Lasst uns das Böse tun, damit das Gute komme? Deren Gericht ist gerecht.

    3/9 Was nun? Haben wir einen Vorzug? Durchaus nicht! Denn wir haben sowohl Juden als Griechen zuvor beschuldigt, dass sie alle unter der Sünde seien, 3/10 wie geschrieben steht: `Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; 3/11 da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der Gott sucht. 3/12 Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer. 3/13 `Ihr Schlund ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen handelten sie trügerisch. `Otterngift ist unter ihren Lippen. 3/14 `Ihr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit. 3/15 `Ihre Füße sind schnell, Blut zu vergießen; 3/16 Verwüstung und Elend ist auf ihren Wegen, 3/17 und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt. 3/18 `Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen. 3/19 Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, es denen sagt, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei. 3/20 Darum: aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden; denn durch Gesetz [kommt] Erkenntnis der Sünde.

    Es erscheint zunächst etwas komisch, dass Paulus durch die Fragen die er stellt seinen eigenen Gedankenfluss unterbricht. Er will also quasi die Einwände, die er selbst aufgrund seiner vorangegangenen Ausführungen erwartet, vorweg ausräumen. Der Dialog mit den Empfängern des Römerbriefes war ja auch nicht so einfach wie wir heute mit Internet oder anderen blitzschnellen Kommunikationsmöglichkeiten selbstverständlich agieren. Das Stilmittel, bei dem man mögliche Einwände schon vorwegnimmt, war unter griechischen und römischen Schreibern zur Zeit des Paulus so verbreitet, dass es einen eigenen Namen hatte: Die Diatribe - Rednerische Kunstform der Antike, die bei den Kynikern, in der Stoa und auch in christlichen Predigten und Schriften eingesetzt wurde.

    Um die Fragen des Paulus einfacher darzustellen kommt mir die Hoffnung für Alle (Hfa) Übersetzung am geeignetsten vor. Natürlich steht es aber jedem frei, es ist sogar erwünscht, mehrere Bibelübersetzungen zu vergleichen.

    Die ersten neun Verse in Römer 3 (Hfa) enthalten auffallend viele Fragen:

    Verse () :

    (1) „Welchen Vorteil hat man also davon, ein Jude zu sein?“

    (1) „Was nützt die Beschneidung?“

    (3) „Einige sind ihre eigenen Wege gegangen, aber was ändert das?“

    (3) „Meint ihr wirklich, die Untreue dieser Menschen könnte Gottes Treue aufheben?“

    (5) „Ist es nicht aber so, fragen manche Menschen, dass wir ungerecht sein müssen, damit Gottes Gerechtigkeit erst richtig zur Geltung kommt?“

    (5) „Und ist es eigentlich gerecht von Gott, wenn er uns dann wegen unserer Sünden bestraft?“

    (6) „Gott ist nicht ungerecht! Könnte er denn sonst Richter über uns Menschen sein?“

    (7) „Wie kann Gott mich als Sünder ansehen und verurteilen, wenn doch erst durch meine Lüge seine Wahrheit in ihrer ganzen Größe sichtbar wird?“

    (8) „Wäre es dann nicht viel besser, nach dem Motto zu leben: ‚Wir können beruhigt das Böse tun, denn es kommt ja letztlich das Gute dabei heraus!‘?“

    (9) „Haben wir Juden nun irgendeinen Vorzug vor den anderen Menschen?“

    Was sollen wir mit diesen vielen Fragen anfangen?
    Thematisch ließen sie sich drei Themengruppen zuordnen:

    1. Der Vorzug, Jude zu sein

    2. Gottes Treue

    3. Das Beharren in der Sünde

    Ich will versuchen in dieser Reihenfolge die Fragen näher auszuleuchten.

    Der Vorzug, Jude zu sein

    Die Schlussfolgerung am Ende von Römer 2 führt direkt zu dieser Frage. Paulus war zu dem Ergebnis gekommen, dass wahre Beschneidung eine Angelegenheit des Herzens ist und sich echtes Judentum daher nicht an Äußerlichkeiten festmachen lässt. Da stellt sich natürlich die Frage: „Was hat man davon, Jude zu sein?“ Nach allem vorher Gesagten wäre es logisch, wenn Paulus sagen würde: „Gar nichts!“ Aber genau das tut er nicht, im Gegenteil! Merkwürdigerweise behauptet er nun, dass es sehr wohl Vorteile mit sich bringt, zum jüdischen Volk zu gehören. Schließlich habe Gott den Juden zuerst sein Wort anvertraut (V. 2), womit er die göttlichen Treueversprechen meint, die das gesamte Alte Testament durchziehen.
    Mit dem Vorrecht, diese Verheißungen zu kennen, ist großer Segen verbunden. Es ist uns bereits ansatzweise begegnet (Rö 1,16.17) und später wird Paulus das noch ausführlich begründen (vgl. Rö 3,21-31; Rö 9 bis 11). Auch wenn Paulus betont, dass wahrer Glaube inwendiger Natur ist, heißt das nicht, dass die Zugehörigkeit zum Volk Israel völlig ohne Bedeutung war. Das wirft allerdings eine weitere Frage auf, die nach Gottes Treue.

    Gottes Treue

    Gottes Zusagen werden durch die vorangegangenen Äußerungen des Apostels in Frage gestellt. Paulus stellt fest, dass die eigentlichen Empfänger dieser Verheißungen – nämlich die Juden – genauso jämmerlich versagt haben wie die Heiden. Darum fallen sie wie diese unter Gottes Zorn. Was sind all die Treueversprechen Gottes wert, wenn Paulus recht hat? Wie kann Gott treu und gerecht sein, wenn er über sein Volk, das ihn zornig macht, zornig ist? (Rö 3,5)
    Um es ein wenig derb auszudrücken, lässt sich Gott „in die Suppe spucken“? „Meint ihr wirklich, die Untreue dieser Menschen könnte Gottes Treue aufheben?“ (V. 3 Hfa). Und er antwortet deutlich: „Niemals!“ (V. 4; die Elberfelder übersetzt: „Das sei ferne!“) Die nächste Frage wird in Vers 6 ebenso entschieden beantwortet. Klarer kann Paulus sich kaum ausdrücken. Denn im Endeffekt steht hier die moralische Integrität Gottes auf dem Spiel, denn wenn man ihm nicht mehr vertrauen kann, wem dann? Obwohl Paulus diesen Fragen ein eindeutiges „Niemals!“ (V. 4.6 Hfa) als Antwort entgegenstellt, löst er das eigentliche Problem nicht. Die Zwickmühle besteht weiterhin, denn wie kann Gott treu zu seinen Verheißungen stehen und zugleich zornig Gericht halten? Paulus bleibt die Antwort hier schuldig, nicht weil sie ihm unwichtig ist oder weil es gar keine gibt. Ich glaube, dass er sie sogar für außerordentlich wichtig hält. Aber um die Frage angemessen beantworten zu können, muss man weiter ausholen. Deshalb beschreibt er hier nur ganz knapp, was er in den nächsten Kapiteln seines Briefes näher ausführt. Wir werden diesbezüglich noch etwas auf die Folter gespannt. Die ausführliche Antwort kommt erst in Römer 9 bis 11 und das zeigt uns wieder den Zusammenhang in dem der Römerbrief, glaube ich, am besten zu verstehen ist

    Das Beharren in der Sünde

    Vorauseilend, wendet sich Paulus in Vers 7 einem dritten möglichen Einwand zu, der sich aus dem vorigen ergibt. Wenn Gott nach wie vor treu ist, ja wenn seine Treue sich sogar in dem Maße steigert, wie der Mensch versagt, warum sollten wir uns da um ein sauberes und anständiges Leben bemühen? Wäre es da nicht vernünftiger zu sagen: Wenn letztlich doch nur Gutes herauskommt, dann lasst uns nur munter drauflossündigen!? (V. 8) Und auch hier geht Paulus nicht näher auf die Sache ein. Allerdings lässt er keinen Zweifel daran, wie seine Antwort später lauten wird. Er hält diese Argumentation nciht nur für absurd, sondern verwahrt sich auch dagegen, dass man ihm derartige Gedanken unterstellt. Christen, die solch abartige Gedanken verbreiten stehen seiner Aussage zufolge zu recht unter dem Verdammungsurteil Gottes. Die Beziehung der Gnade Gottes zur Sünde ist nicht vergleichbar mit dem Verhältnis Ursache - Wirkung, sondern vielmehr mit dem Verhältnis des Heilmittels zur Krankheit. Anscheinend gab es damals echt Leute, die die Aussagen von Paulus als Freibrief zum Sündigen missbrauchten. Muss man sich mal vorstellen!
    In Römer 6 greift Paulus dieses Thema noch einmal auf und beantwortet die Frage, deren Antwort er zunächst schuldig geblieben ist, ausführlich, deshalb sollten wir uns auch dort im Detail damit auseinandersetzen. Anhand der christlichen Taufe und des Vergleichs mit der Sklaverei zeigt er, dass Christen, die aus Gnade gerettet sind, diese Gnade niemals als Ausrede für ihre Sünden gegen Gottes Gebote benutzen werden.

    Was bleibt als Schlussfolgerung?

    Paulus bringt seine Ausführungen über Gottes Zorn mit den notwendigen Schlussfolgerungen zu Ende (Rö 3,9-20.23). Wir kennen diese Worte inhaltlich schon. In Römer 7 wird deutlich, dass Sünde für Paulus mehr ist als nur falsches Tun. In Wahrheit ist sie eine diktatorische Macht, die die Menschen in ihren Bann schlägt, versklavt und daran hindert, ihren Idealen gemäß zu leben und zu tun, was sie eigentlich tun wollen (V. 23). In seiner Schlussfolgerung konzentriert sich Paulus zunächst vor allem auf jüdische Aspekte des Problems, weil sie plakativ und leichter verständlich sind. Wenn er erklärt, dass die Juden vor Gott genauso schuldig dastehen wie die Heiden, ist das allerdings mehr als gewagt, es ist schlichtweg schockierend. Sprachlich geht er dabei recht geschickt vor, indem er zeigt, dass nicht nur er zu dieser Erkenntnis gekommen ist, sondern dass davon auch im Alten Testament, der Bibel der Juden, die Rede ist. Er versucht also mit dem heiligen Wort für alle gläubigen Juden zu seiner Zeit zu argumentieren. Wer könnte ihm da widersprechen? In den Versen 10 bis 18 reiht er entsprechende Zitate aneinander, die von der Sünde Israels sprechen. Die Anführungen stammen aus verschiedenen alttestamentlichen Schriften, vor allem aus den Psalmen.

    Die folgende Tabelle listet die Quellen für die entsprechenden Verse in Römer 3 auf:

    Vers 3. Römerbrief-------------- AT Textstelle

    10------------------------------ Hiob 4,17; Prediger 7,20;

    11.12--------------------------- Psalm 14,1-3

    13a----------------------------- Psalm 5,9.10

    13b----------------------------- Psalm 140,3

    14------------------------------ Psalm 10,7

    15.17--------------------------- Jesaja 59,7.8; Sprüche 1,16

    18------------------------------ Psalm 36,1

    Wie ihr euch alle sicher vorstellen könnt, sind mir alle diese Texte aus meinem genialistischen AT-Schriftverständnis sofort aus dem stegreif eingefallen. Wer braucht schon Bibeln mit Querverweisen? ;-)

    Gerade die Psalmen, aus denen Paulus zitiert, enthalten viele Hinweise auf Gottes Treue. In all diesen Texten geht es um die Sünden des Volkes. Paulus stellt sie zusammen und zeichnet so ein ziemlich düsteres Bild. Diese Verse enthalten Begriffe wie unbrauchbar und Elend laut Hfa Übersetzung. Bildhafte Ausdrücke wie offenes Grab oder Otterngift beschreiben die Schuld, die jeder Teil des Körpers auf sich geladen hat: Rachen, Zunge, Lippen, Mund und Füße. Jesus hatte zu seiner Zeit die gleichen Worte für manche seiner Zeitgenossen übrig. Aber es begegnet uns hier doch ein scheinbar ironischer Unterton in dieser Auflistung. Die Bibel des Gottesvolks, die Gottes Treue und seine Verheißungen verkündet, hält an vielen Stellen eben diesem Volk seine Sünden und bösen Taten vor. Sie spricht hier nicht von Heiden oder Ungläubigen, sondern von denen, die unter dem Gesetz leben, also von den Juden! Sie lassen die „Erwählten“ verstummen und ziehen darüber hinaus die gesamte Menschheit zur Rechenschaft vor Gott (Rö 3,19). Nun ist es Zeit, dass Paulus seinen Befund mitteilt: „Denn kein Mensch wird jemals vor Gott damit bestehen, dass er die Gebote so erfüllt, wie das Gesetz es erfordert. Die Aufgabe des Gesetzes ist es, dass wir die Sünde erkennen.“ (V. 20 Hfa). Wer durch das Gesetz gerecht werden will, sollte sich genauer mit ihm befassen. Dort heißt es nämlich: „Du bist nicht gerecht!“ und „Du bist ein Sünder.“ Deshalb ist die Schlussfolgerung des Apostels sinnvoll. Das Gesetz kann den Sünder nicht rechtfertigen, sondern ihm nur seine Sünden bewusst machen. Wer also das Gesetz ungültig erklärt oder sinnlos, der sollte sich vor Paulus hüten, denn wer das Gesetz verstößt sagt damit eigentlich aus: „Ich brauche keine Sündenerkenntnis!“. Die Situation ist nämlich ausweglos. Gerade das Wort Gottes, das uns seiner Treue versichert, weckt in uns zugleich das Bewusstsein für unsere Sünde. Paulus versteht unter dem „Gesetz“ in Vers 19 anscheinend das ganze AT, denn er zitiert ja auch nicht nur aus Mose, sondern aus den Psalmen oder Jesaja. Und es scheint keine Lösung zu geben, denn der Zorn hat offenbar das letzte Wort. Und das nicht nur bei den anderen, sondern in erster Linie bei jedem selbst. „Denn darin sind alle Menschen gleich: Alle sind Sünder und haben nichts aufzuweisen, was Gott gefallen könnte.“ (V. 23 Hfa).

    Nach diesem erschreckenden Resultat kann Paulus wieder zur Guten Nachricht übergehen. Nachdem er den Lesern des Römerbriefs den Boden unter den Füßen weggezogen hat, weist er im Rest von Römer 3 auf den einzigen Ausweg – auf Gottes Lösung – hin. Darum geht es in den folgenden Versen.

    Zur Ergänzung möchte ich noch ein Kapitel aus meiner Genfer Studienbibel abschreiben. Es beschreibt anhand von 5. Mose 13, 11 sowie Römer 3,20 „Gottes dreifache Absicht mit dem Gesetz“:

    Aus der Bibel geht hervor, das Gottes Gesetz drei Funktionen hat. Diese dreifache Bedeutung des Gesetzes hat der Reformator Johannes Calvin in klassischer Form in der Lehre vom dreifachen Gebrauch des Gesetzes festgehalten.
    Als erstes dient das Gesetz als Spiegel, in dem wir sowohl die vollkommene Gerechtigkeit Gottes wie auch unsere eigenen Sünden und Verfehlungen erkennen. Augustinus schrieb: „Wenn wir uns bemühen, die Gebote des Gesetzes zu erfüllen und unsere Schwachheit uns in diesem Bemühen ermüden läst, dann lehrt das Gesetz uns erkennen, das wir um die Hilfe der Gnade bitten müssen.“ Das Gesetz ist dazu da, dass wir dadurch Sünde erkennen (Röm. 3,20; 4,15; 5,13; 7,7-11), und indem es uns zeigt, wie sehr wir der Vergebung bedürfen und wie groß die Gefahr unserer ewigen Verdammnis ist, will es uns zur umkehr und zum Glauben an Jesus Christus bewegen (Gal. 3, 19-24).

    Als zweites hat das Gesetz einen politischen, „zivilen“ Sinn: Es dient als Maßstab für das „öffentliche Leben“ und soll dazu helfen, das Böse zu verhindern. Das Gesetz kann zwar nicht das menschliche Herz verändern, doch es kann durch die Androhung des Gerichts bis zu einem gewissen Grad der Gesetzlosigkeit vorbeugen, insbesondere dann, wenn es durch eine Gesetzgebung unterstützt wird, in der Strafen für bewiesene Vergehen verhängt werden (5.Mo 13,6-11; 19,16-21; Röm 13,3 f.). Auf diese Weise sichert es die bürgerliche Ordnung und dient dazu, die Gerechten vor den Ungerechten zu beschützen.

    Als drittes hat das Gesetz die Funktion, die Wiedergeborenen zu den guten Werken anzuleiten, die Gott für sie vorgesehen hat (Eph 2,10). Das Gesetz sagt den Kindern Gottes, was ihrem himmlischen Vater wohlgefällt. Es ist so etwas wie ihr Familienkodex. Von diesem dritten Gebrauch des Gesetzes sprach Christus, als er sagte, dass diejenigen, die seine Jünger werden, gelehrt werden sollen, alles zu tun, was er geboten hat (Mt. 28,20), und dass der Gehorsam gegen seine Gebote der Beweis für die Wahrhaftigkeit der Liebe eines Menschen zu ihm ist (Joh 14,15). Der Christ ist frei vom Gesetz als Weg zur Rettung, zum Heil (Röm. 6,14; 7,4.5; 1. Kor 9,20; Gal 2,15-19; 3,25), doch er steht „in dem Gesetz Christi“ als Lebensregel (1. Kor 9,21; Gal 6,2).

    So, nun also wieder mal zu produktiveren Dingen wie der Römerbriefbetrachtung Ich möchte bei den inhaltlich sehr tiefgreifenden und inhaltsschweren Versen 21 – 31 im 3. Römerbrief fortsetzen. Es handelt sich um eine sehr umfassende Darstellung der Erlösung in relativ wenigen Worten. Der Zorn Gottes weicht in der Begutachtung der Gerechtigkeit Gottes. Dem Problem Sünde wird die Erlösung als Lösung gegenübergestellt. Ein wenig scheint es so als wären wir hier beim Kern des Römerbriefes angelangt und die restlichen Kapitel seien „lediglich“ eine genauere Auseinandersetzung damit, was hier beschrieben wird. Im Nachhinein möchte ich sagen, dass für alle Kurz- und Schnellleser es wohl mit meinen Betrachtungen

    Römer 3/21–31 (EÜ)

    3/21 Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit geoffenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten: 3/22 Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus für alle, die glauben. Denn es ist kein Unterschied, 3/23 denn alle haben gesündigt und erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes 3/24 und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist. 3/25 Ihn hat Gott dargestellt zu einem Sühneort durch den Glauben an sein Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; 3/26 zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist.

    3/27 Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen. Durch was für ein Gesetz? Der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. 3/28 Denn wir urteilen, dass ein Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke. 3/29 Oder ist [Gott] der Gott der Juden allein? Nicht auch der Nationen? Ja, auch der Nationen. 3/30 Denn Gott ist einer. Er wird die Beschneidung aus Glauben und das Unbeschnittensein durch den Glauben rechtfertigen. 3/31 Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir bestätigen das Gesetz.

    Gerechtigkeit durch Beziehung

    Um zu verstehen was Paulus hier sagen will, müssen wir uns dem Thema Gerechtigkeit im Detail widmen. „Jetzt aber ist ... die Gerechtigkeit Gottes ... geoffenbart“ (V. 21). Vom griechischen zum deutschen gibt es für das Wort Gerechtigkeit keine „einfache“ Übersetzung. Folgendes entnahm ich aus einem Bibellexikon:

    Im Griechischen teilen sich nämlich verschiedene Wörter dieselbe Sprachwurzel (dik), werden aber im Deutschen ganz unterschiedlich übersetzt. Das Adjektiv (dikaios) wird mit „gerecht“ oder „rechtschaffen“ wiedergegeben. Das Substantiv (dikaiosyne) kann „Gerechtigkeit“, „Rechtschaffenheit“ oder „Frömmigkeitsübung“, „Wohltätigkeit“ bedeuten. Das Verb (dikaioo) kann „rechtfertigen“, „für gerecht erklären“, „freisprechen“ oder „als gerecht behandeln“ heißen.
    [size=0,5]Quelle: Bauer, Walter, „Griechisch-deutsches Wörterbuch ...“, Sp. 395f.[/size]

    Deshalb werden ja auch manche dieser Begriffe in den verschiedenen Bibelübersetzungen auch ganz unterschiedlich wiedergegeben. Und was die Verwirrung komplett macht: Selbst in ein und derselben Übersetzung werden die Wörter nicht immer einheitlich übersetzt. Wie ein Übersetzer diese Begriffe wiedergibt, hängt häufig von seiner theologischen Prägung ab. Viele Kommentatoren verweisen darauf, dass der griechische Begriff für Gerechtigkeit aus dem Rechtswesen stammt. Daher betonen sie logischerweise den juristischen Aspekt der Gerechtigkeit. Jemanden zu rechtfertigen heiße, ihn freizusprechen. Die Vertreter dieser Auslegung argumentieren, dass Gott die Sünder auf der Grundlage des Todes Jesu freispricht. Sie übersetzen die Verbform häufig mit „für gerecht erklären“ oder „gerecht sprechen“, um zu zeigen, dass Gott ein Rechtsurteil fällt. Andere wieder wenden sich gegen diese Auffassung, denn – so argumentieren sie - wenn es wirklich so wäre, bliebe Gott nicht bei der Wahrheit. Auch er könne Menschen, die nachweislich Sünder sind, nicht für gerecht erklären.

    Diese Kommentatoren glauben, dass Gott Menschen wirklich verändert, wenn er sie rechtfertigt. Darum übersetzen sie das fragliche Verb lieber mit „gerecht machen“. Im Grunde ist die Debatte um „gerecht machen“ oder „für gerecht erklären“ überflüssig. Beide Auffassungen halten Gerechtigkeit für ein „ethisches Konzept“, das gleichbedeutend mit „Gutsein“ ist. Sie streiten sich darüber, ob Gott von Rechts wegen (aufgrund des stellvertretenden Opfers Christi) die Sünder für gut erklärt oder sie tatsächlich zu guten Menschen macht. Wenn der Begriff Gerechtigkeit aber nicht ethisch verstanden wird, sondern auf dem Hintergrund des AT-Bundes vor allem eine Beziehung ausdrückt, trifft weder „für gerecht erklären“ noch „gerecht machen“ die volle Bedeutung des griechischen Wortes.

    An dieser Stelle meine ich sind zwei Überlegungen wichtig. Wenn diese Begriffe aus dem juristischen Bereich stammen, dann müssen wir bedenken, dass es bei dem Rechtssystem aus biblischer Zeit um ein vollkommen anderes als unser heutiges handelt. Wir stellen uns einen Richter als objektiv veranlagten Menschen vor, der ähnlich der Justitia mit verbundenen Augen eine Waage in der Hand hält. Zur damaligen Zeit war ein Richter jedoch viel mehr in das Leben derer eingebunden, die er von Amts wegen zu betreuen hatte. Ihm fiel die sicher nicht immer spaßige Aufgabe zu ihre Angelegenheiten ins Lot zu bringen. Aber seine für uns am schwersten vorstellbare Funktion ist die des Verteidigers der Unterdrückten. Dieses Bild zeigt auch Jesus in den Evangelien auf (Lk 18,1-8). Wir erfahren hier quasi nebenher was man damals von einem Richter erwartete. Die Menschen damals erwarteten, dass sich ein Richter aktiv für ihr Recht einsetzt. Nötigenfalls sollte er sich sogar die Ärmel aufkrempeln und anpacken. Das ist für das Verständnis des Begriffsfelds „Gerechtigkeit“ sehr wichtig.
    Aus Sicht des Alten Testaments ist Gottes Gerechtigkeit keine abstrakte Eigenschaft, sondern seine Bundestreue zu Israel, aus der all sein Handeln entspringt. Der Psalmdichter kann sich beispielsweise voller Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit als Motiv seines Handelns berufen. Die Hoffnung für Alle Übersetzung spricht hier in den Texten ein paar schöne Sätze aus:
    „Du bist ein gerechter Gott, darum hilf mir und rette mich!“ (Ps 71,2 (Hfa)

    An anderer Stelle heißt es, dass Gott aufgrund seiner Gerechtigkeit richtet (Ps 96,13; 98,9). Eine Reihe von Texten zeigen, dass Gott als Richter treu für die Bedürftigen und Unterdrückten eintritt, z. B.:
    „Unbestechlich verhilft er den Armen zu ihrem Recht und setzt sich für die Rechtlosen im Lande ein.“ (Jes 11,4 Hfa).

    Gottes Gerechtigkeit kann aber interessanterweise auch gleichbedeutend sein mit Erlösung oder Errettung:
    Jes. 51,5 – Meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil zieht aus, und meine Arme werden die Völker richten. Auf mich werden die Inseln harren und auf meinen Arm warten. (SÜ)

    Anlässlich des feierlichen Bundesschlusses hatte Gott versprochen, Israel die Treue zu halten und ihr Gott zu sein. Deshalb wurde seine Gerechtigkeit als jene Treue definiert, mit der er sich für sein Volk einsetzt und die Beziehung zu Israel aufrecht erhält.

    Am Ende der Ausführungen über Gottes Zorn (Rö 3,1-20) wurde bereits deutlich, dass die Bedeutung des Wortes Gerechtigkeit im Blick auf den Menschen sich an Gottes Gerechtigkeit ausrichten muss, niemals umgekehrt! Ganz falsch wäre es, menschliche und göttliche Gerechtigkeit in einen Topf zu werfen. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil Gott und die Menschen keine gleichberechtigten Bundespartner sind. Im Vergleich von Vers 3 und 5 sind Gottes Treue und seine Gerechtigkeit anscheinend gleichbedeutend. Das passt genau ins AT-Bild:

    Gottes Gerechtigkeit, das ist seine Treue zu seinem Bund und seinem Volk.

    Dennoch hängen beide Arten von Gerechtigkeit (die des Menschen und die Gottes) eng zusammen. Beide sind vom Beziehungsgedanken her geprägt. Bei der menschlichen Gerechtigkeit geht es darum, dass der Mensch in einer angemessenen Bundesbeziehung zu Gott steht. Wegen des grundsätzlichen „Klebens“ des Menschen an der Sünde (Rö 1,18-3,20) – unabhängig davon, ob er Jude oder Heide ist – gab es für Gott nur eine Lösung: Der einzige Ausweg für Gott bestand darin, den ersten Schritt zu tun und diese Beziehung durch Jesus Christus wieder in Ordnung zu bringen. In Christus wendet er sich allen Sündern zu und handelt dennoch als treuer Richter indem er die unterdrückten Menschen verteidigt. Aber Gott ist nicht nur gerecht, sondern er rechtfertigt die Menschen auch durch seine Gnade (Rö 3,24). Das heißt jetzt aber nicht, dass er sie nur für etwas erklärt, was sie eigentlich gar nicht sind. Er macht sie auch nicht in dem Sinne gerecht, dass sie plötzlich sündlos sind. Vielmehr führt er sie in die richtige Beziehung zu sich zurück und erneuert den von ihnen zerbrochenen Bund.

    Deshalb handelt es sich bei Gerechtigkeit !zunächst! nicht um ein ethisches Konzept, obwohl es sittliche Auswirkungen nach sich zieht. Wenn jemand „mit Gott im Bunde“ ist, ergeben sich ganz von selbst Verhaltensänderungen. Gerechtigkeit hat auch eine ganz starke soziale Komponente. Der Bund bringt nicht nur den einzelnen Menschen in Verbindung mit Gott, sondern stellt ein ganzes Volk in die Beziehung zu ihm. Wenn Gott seine Gerechtigkeit durch Christus aufrichtet, soll dadurch nicht nur der einzelne erfahren, wie er gerettet werden kann, sondern er will vielmehr eine neue Gemeinschaft schaffen, die Juden und Heiden einschließt (Rö 3,29). Gerechtigkeit aus Glauben ist nicht nur der Weg zum persönlichen Heil, sondern Gottes Handeln, um eine neue Bundesgemeinschaft zu bilden.

    In vielen Abhandlungen über Gerechtigkeit, sowohl in der Adventgemeinde als auch in anderen Konfessionen, wird dieser Aspekt oft völlig übersehen. Man streitet sich über den Ablauf der Erlösung und begreift nicht die eigentliche Absicht Gottes, der durch seine Gerechtigkeit Gemeinschaft schaffen und wachsen lassen möchte.

    Gottes Gerechtigkeit schafft ein Volk – das Volk Gottes, das seine Segnungen miteinander teilt. Dieses Volk umfasst alle Menschen. Niemand ist aufgrund seiner Rasse, seines Geschlechts, seiner Nationalität oder seines Standes ausgeschlossen. Ich stelle mal die gewagte Behauptung auf, dass wir Gerechtigkeit erst dann wirklich verstehen, wenn wir diesen sozialen Aspekt berücksichtigen. Und wir werden erst dann begreifen, was Paulus mit Gerechtigkeit meint, wenn wir erkennen, dass Gerechtigkeit allen gilt.

    Wir sollten auch noch einige Dinge über den Begriff Bund klären. Auch wenn Paulus diesen Begriff nur in Römer 9,4 und 11,27 benutzt, steht der Bundesgedanke meiner Meinung nach hinter viel mehr von dem, was er schreibt.

    Nach 2. Mose 24 verkündete Mose alle Gebote und Gesetze, die Gott ihm gegeben hatte, und Israel stimmte zu, diesen Anweisungen gemäß zu leben. Gott versprach, Israels Gott zu sein und dem Volk das Land Kanaan zu übereignen. Mose besiegelte den Bund, indem er dem Volk das Bundesbuch vorlas. Er forderte die Israeliten zum Gehorsam Gott gegenüber auf und besprengte sie mit Blut von Opfertieren (2 Mo 24,7.8). Allerdings war dieser Bundesschluss kein wirklich neuer Bund, sondern bestätigte im Grunde nur die Vereinbarung, die Gott lange zuvor mit Abraham getroffen hatte (vgl. 1 Mo 15). Damals hatte er dem Stammvater Israels viele Nachkommen zugesagt und dass durch ihn alle Völker der Welt gesegnet werden sollten. Später bekräftigte Gott seine Bundeszusagen David gegenüber (2 Sam 7) und auch immer wieder durch die Propheten (vgl. Jer 33).
    Der Bundesgedanke hängt deshalb eng mit dem Begriff Gerechtigkeit zusammen, weil beide mit Gottes Treue und den Verheißungen für sein Volk zu tun haben. Der Römerbrief zeigt deutlich wieviel Paulus daran lag, Gottes Treue zu seinem Volk herauszustellen. Die Tatsache, dass das Evangelium auch den Heiden gilt, wurde möglicherweise von einigen so missverstanden, als ob Gott nicht mehr zu seinem Bund stünde. Deshalb verweist Paulus bewusst auf den Anfang der Geschichte Israels, um klar zu machen, dass Gott bereits in sein Bündnis mit Abraham alle Völker eingeschlossen hatte. In Römer 9 bis 11 konzentriert sich Paulus auf die Tatsache, dass Gott treu bleibt, auch wenn sein Volk ihm den Rücken kehrt.
    Wenn Gott rechtfertigt, erneuert er sozusagen seinen Bund mit den Menschen. Deshalb, so glaube ich, ist Gerechtigkeit ein Beziehungsbegriff! Gerecht zu sein bedeutet in erster Linie, Rückkehr in die Bundesbeziehung mit Gott und Zugehörigkeit zu seiner Bundesgemeinde.

    Der Begriff Glaube

    Um die Gesamtbedeutung dieses Abschnitts noch besser zu verstehen möchte ich auch einen kleinen Exkurs über den Begriff Glauben machen. Recherchen haben ergeben, dass die Wurzel des Begriffs „Glaube“ als Verb oder Substantiv fast 60mal im Römerbrief vorkommt und eine ganze Menge an Bedeutungen haben kann. Das Verb kann beispielsweise verschiedene Zielobjekte haben. Paulus spricht vom Glauben an Gott (Rö 3,22; 4,17). Mit dem gleichen Begriff drückt Paulus aus, dass jemand an eine Wahrheit glaubt, die von Gott kommt. Da geht es um Glauben als Inhalt. So glaubte Abraham, dass er Vater vieler Völker sein würde (Rö 4,18). Viele von uns glauben daran, dass sie mit Christus leben werden (Rö 6,8). Man kann dem glauben, was gepredigt wird (Rö 10,16), oder sich einem bestimmten Lebensstil verpflichtet fühlen (Rö 14,2).

    Ebenso weit gefächert wird auch das Hauptwort verwendet. Es kann sich auf Gottes Treue (Rö 3,3) oder auf den Glauben der römischen Christen (Rö 1,8) beziehen. Am häufigsten meint dieser Begriff jedoch die angemessene Reaktion des Menschen auf Gottes Gnade. Beispielsweise heißt es in Römer 4, dass Abrahams Glaube ihm zur Gerechtigkeit gerechnet wurde. Dieser Glaube wiederum wird im biblischen Kontext als festes Vertrauen und als Hingabe an Gott beschrieben. Hier geht es um Glauben als Beziehung.

    Leider ist an einigen Stellen und so auch in diesem Kapitel nicht restlos klar, was mit dem Begriff Glaube gemeint ist. In Römer 3,22 geht es um den „Glauben Jesu Christi“. Luther übersetzt an dieser Stelle etwas voreilig bereits mit „Glauben an Jesus Christus“. Die griechische Konstruktion ist lässt aber zwei Schlüsse zu. Es kann der „Glaube an Jesus Christus“ gemeint sein, wie es Luther formuliert hat. Der Begriff könnte sich aber auch auf Jesu eigenen Glauben und seine Treue beziehen. Im Prinzip kann der Begriff Glaube in beiden Bedeutungen verwendet werden. In Römer 1,8 ist er eine menschliche Reaktion, während in Römer 3,3 wohl eine göttliche Eigenschaft und/oder ein göttliches Handeln gemeint ist. Wenn im Römerbrief vom Glauben Christi (Rö 3,22.25.26) die Rede ist oder der Begriff Glaube ohne besonderen Hinweis auf Christus (vgl. z. B. Römer 3,27.28.30.31; 5,1; 9,30.32; 10,6.8) benutzt wird, bleibt uns die Frage, ob Paulus Jesu Glauben oder unseren menschlichen Glauben meint, erhalten. Was es da für viele Auslegungen rund um sprachliche Spitzfindigkeiten gibt, man glaubt es kaum. Googelt mal nach „Römerbrief Glaube Jesu“. Ich will hier nur einige weniger detaillierte Argumente für die jeweilige Deutung des Begriffs Glaube anführen einbringen. Einiges davon zusammengetragen:

    Bibelausleger, die „Glauben“ im vorliegenden Abschnitt als den Glauben des Menschen an Christus verstehen, argumentieren wie folgt:

    (1) In Römer 9,32 werden Glaube und Werke des Gesetzes so gegenübergestellt, dass der Glaube als menschliche Antwort erscheint.

    (2) In Römer 10,14 ist Glaube eindeutig eine menschliche Reaktion auf die Botschaft des Evangeliums.

    (3) Abrahams Glaube wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet (Rö 4,3). Die Analogie zu Römer 3 legt nahe, dass es hier um den menschlichen Glauben geht.

    (4) Andere Paulusbriefe sprechen eindeutig vom Glauben an Jesus Christus (vgl. Phil 1,29; Gal 2,16).

    Solche, die „Glaube Christi“ auf Christi Treue als Grundlage für unsere Erlösung beziehen, begründen ihre Meinung so:

    (1) Im gesamten Römerbrief meint Paulus mit dem Verb „glauben“ nur den Glauben an Gott, nicht an Christus (vgl. Römer 4,3.5.17.24; 10,11).

    (2) Die Analogie zu Gottes Treue (Rö 3,3) steht sehr eng bei den anderen Stellen in Römer 3, in denen Paulus diesen Begriff im Hinblick auf Christus gebraucht.

    (3) Weil sich die Wendung in Römer 3,3 auf Gottes Treue bezieht und die Wendungen in Römer 4,12.16 auf Abrahams Glauben hinweisen, sollte die Wendung „Glaube Christi“ auch tatsächlich Jesu Treue meinen.

    (4) Paulus betont Christi Treue als Grundlage für die Erlösung, um zu zeigen, dass der Mensch !nichts! zu seiner Erlösung beitragen kann. Wenn man Glauben als menschliche Antwort versteht, wird er zu einer menschlichen Leistung, die Gottes Handeln in Christus als Grundlage der Erlösung zumindest in Frage stellt.

    Ist schon irgendwie ein Dilemma, weil die griechische Wendung „Glaube Jesu Christi“ grammatikalisch doppeldeutig ist, und weil es bei Paulus einsichtige Beispiele für beide Verwendungsmöglichkeiten gibt. Deshalb kann diese Frage wohl leider nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Einige haben sogar behauptet, Paulus habe das absichtlich mehrdeutig formuliert, damit die Wendung auf beide Arten verstanden werden kann. Diese Ansicht ist allerdings auch wieder fragwürdig, weil Paulus ja schon eindeutig verstanden werden wollte. Vielleicht übersehen wir auch einen wesentlichen Aspekt in der Betrachtung, weil wir eben nicht zur Zeit Paulus leben und unser heutiges Sprachgebilde nicht so eindeutig verstanden wird, wie damals. Wie man diese Wendung jetzt deutet, wirkt sich auf das Verständnis bestimmter Textabschnitte aus. Ich will aber niemandem vorschreiben wie er/sie zu verstehen hat. Auf die unterschiedlichen Übersetzungsmöglichkeiten werden wir der grammatikalischen und überzeugungstechnischen Fairness halber bei den jeweiligen Texten eingehen. Entscheide jeder selbst wie es zu verstehen ist. Man muss manchmal auch anerkennen, dass beim Bibelstudium gewisse Fragen offen bleiben. Was uns sicher bleibt ist, dass Glaube die einzige angemessene Reaktion auf Gottes Gnade ist.

    Jetzt habe ich vorweg ein paar Begriffe erklären wollen und bin schon bei der Länge von 6 Word Seiten angelangt, noch bevor ich zum detaillierten Text komme. Aber wie gesagt, es ist mir wichtig zu zeigen wo meiner Meinung nach der Kern des Römerbriefs liegt.

    Gott schenkt Gerechtigkeit

    Was ist jetzt aber die Grundlage des Gesetzes? Zu Beginn schreibt Paulus:

    „Jetzt [oder „Nun“] aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit geoffenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten: Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus für alle, die glauben.“ (Rö 3,21.22).

    Die Genfer Studienbibel beschreibt einen Kommentar zu Röm. 3,21: „Nun aber“ Das Gesetz des Mose, das als Forderung gesehen wird, kann nicht retten. Doch das Evangelium ist dem Gesetz des Mose nicht entgegengesetzt (Röm. 1,2). Es wurde bereits durch das Gesetz und durch die Propheten verkündet. Aber „nun“ (die Zeit, die auf Grund des Kommens Christi [3,26] im Blick auf die Erlösung besonders bedeutsam ist) wird Gottes Gerechtigkeit durch Christus und sein Werk geschichtliche Wirklichkeit.

    Paulus richtet sein Augenmerk bei der Gerechtigkeit Gottes vor allem auf die Variante der Gerechtigkeit, die durch Gott gewirkt wird und weniger auf die, wo es um Gottes eigene Gerechtigkeit geht. Genauso wie Gottes Zorn, bekommen wir es jetzt mit seiner Gerechtigkeit zu tun. Die theologische Bedeutung dieser beiden Varianten ist nicht groß, da beide Deutungen zutreffen, wie Vers 26 zeigt: Gerechtigkeit ist ein Wesenszug Gottes. Andrerseits rechtfertigt er auch die Menschen. Gott ist gerecht, aber seine Gerechtigkeit kommt ebenso zu allen, die glauben (V. 22). Gott zeigt also seine Gerechtigkeit oder Treue gerade darin, dass er Menschen „wiederherstellt“ oder rechtfertigt, damit sie in der Bundesbeziehung mit ihm leben können.

    Paulus bekräftigt jetzt erneut woher die Gerechtigkeit zu denen kommt, die glauben: Sie ist das bedingungslose Geschenk aus Gottes Gnade (V. 24). Er schreibt, dass der Mensch „umsonst“ und „durch seine Gnade“ gerecht wird. Jede dieser beiden Formulierungen bedeutet für sich allein, dass dieses Geschenk nicht an Bedingungen geknüpft ist. Paulus unterstreicht hier diese Auffassung, indem er sie sinngemäß wiederholt. Das ist ein altes und bewährtes biblisches Prinzip, das der Unterstreichung oder des Fettdrucks durch Wiederholung. Gnade ist für Paulus einer der wichtigsten theologischen Begriffe. Er verwendet ihn nicht weniger als 22mal im Römerbrief und über 100mal in seinen Briefen insgesamt (dem Computer mit seiner Zählmethode sei’s gedankt). Bedingungslose Annahme = Gnade. Der Begriff „umsonst“ wird auch mit „ohne Verdienst“, „völlig unentgeltlich“, „als Geschenk“ übersetzt. Das bringt uns zur logischen Schlussfolgerung - Gerechtigkeit hat keinen Preis, sie lässt sich nicht verdienen:
    weder durch das, was wir getan haben oder gerade tun, noch durch das, was wir in Zukunft tun werden.
    Die Grundlage dafür bildet allein Gottes Handeln in Jesus Christus. An dieser Stelle bricht Paulus mit jedem juristischen Modell der Gerechtigkeit, denn Richter sprechen Menschen nicht großzügig aus Gnade frei. Selbst das alttestamentliche Bild des Richters zeigt, dass ein gerechter Richter den Schuldigen nicht einfach freisprechen kann. Das belegen Textstellen wie:

    „Wer den Schuldigen gerecht spricht und wer den Gerechten für schuldig erklärt - ein Greuel für den HERRN sind sie alle beide..“ (Spr 17,15 - EÜ).

    Gott spricht die Schuldigen aber nicht so einfach mir nichts, dir nichts frei. Alle über einen Kamm und ohne Willensbekundung des Menschen zu Gottes Volk gehören zu wollen geht auch nicht. Trotzdem geschieht alles auf Gottes Initiative, ohne menschliche Voraussetzung oder Gegenleistung. Die Gerechtigkeit wird für den einzelnen Menschen durch das „Gesetz“ (vielleicht besser „Prinzip“ oder „System“) des Glaubens wirksam (Rö 3,27). Gleichgültig, ob man den Begriff Glaube hier als Jesu Treue versteht, der sein Leben für uns geopfert hat, oder als menschliche Reaktion auf Gottes Angebot, dieser Glaube ist keine menschliche Leistung. Die Grundlage dafür ist letztlich Gottes Gnade. Selbst wenn sich dieser Abschnitt auf den Glauben Christi bezieht, zeigt das gesamte Kapitel, dass die angemessene menschliche Antwort auf Gottes Gnade der Glaube ist. Die Gerechtigkeit kommt zu allen, die glauben (V. 22), sie ist damit ohne Ansehen von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht oder Herkunft. Glauben nicht alle Menschen irgendwas? Gott hofft nun auf eine positive Antwort unsererseits auf die Gnade, was im Endeffekt nur im Händeaufhalten und Annehmen geschehen kann.

    Wann ist nun die Zeit für die Gerechtigkeit gekommen?

    Paulus beginnt den Abschnitt von Vers 21 an mit dem Wörtchen jetzt. „Jetzt“ ist Gottes Gerechtigkeit für immer in Christus offenbart. Das ist insofern interessant als die Vergangenheit oft ein anderes Bild vom Wesen Gottes zeichnete, besser gesagt die Menschen „damals“. Mit „Hin gehen lassen der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes“ stellt Paulus fest, dass Gott die Sünden in der Vergangenheit nachsichtig ertragen oder übergangen hat (Hfa: „In seiner Geduld hatte Gott ja bis dahin die Sünden der Menschen ertragen ...“. Aber wozu? Um „jetzt“ seine Gerechtigkeit zu erweisen. Geht nun Paulus soweit, dass er behauptet, dass Gott vor und nach dem Kreuzestod in unterschiedlichen „Heilsepochen“ mit der Sünde verschieden umgegangen ist? Leider erfahren wir das nicht so genau, weil Paulus darauf nicht näher eingeht. Es sieht beinahe so aus, als habe Gott das Problem Sünde „auf dem Tisch liegen lassen“ und auf die Lösung gewartet, die Christus schließlich brachte. In Römer 5 kommt Paulus noch einmal auf dieses Thema zurück, doch an dieser Stelle kommt es ihm vor allem auf das Nun, das Jetzt und Heute an und auf die Offenbarung der Gerechtigkeit, die nun in Christus vorhanden ist. Vielleicht finde ich anhand von Römer 5 noch interessante Parallelstellen.

    Das Verhältnis der Gerechtigkeit zum Gesetz

    Fest steht:
    Das Gesetz kann nicht Grundlage für die von Gott verliehene Gerechtigkeit sein. Zu Beginn betont Paulus, dass sie nun „ohne Zutun des Gesetzes“ offenbart worden ist (Rö 3,21). In Vers 28 betont er, dass wir ohne Werke des Gesetzes freigesprochen werden. Diese Warnung ging wohl zunächst an die Adresse derjenigen, die sich auf die Gesetzesfrömmigkeit des Judentums verließen. Darüber hinaus wird er wohl alle gemeint haben, die sich in irgendeiner Form auf menschliche Leistung stützen. Weder die eigene Leistung noch der Gehorsam gegenüber dem Gesetz oder das Vertrauen auf Riten und Traditionen können Gerechtigkeit vermitteln. Gerettet wird nur, wer sich auf Gottes Geschenk der Gnade in Christus verlässt.

    TROTZDEM! Zwar ist die Gerechtigkeit „ohne Zutun des Gesetzes“ offenbart, dennoch steht sie niemals im Widerspruch zum Gesetz. Paulus wies schon in Römer 3,20 darauf hin, dass das Gesetz zwar nicht freisprechen kann, wohl aber die Sünden ins Bewusstsein rückt. Das Gesetz hat aber auch eine zweite Aufgabe zu erfüllen. Gesetz und Propheten bezeugen die Gerechtigkeit und weisen auf sie hin (V. 21)!

    Am Ende dieses Gedankenganges schaut es so aus als würde es Paulus bewusst werden, dass einige seiner Aussagen missverstanden werden könnten. Zum Beispiel ließe sich schlussfolgern, das Gesetz sei schlecht und nutzlos, was wiederum die Gnade zur billigen Gnade degradiert. Deshalb fragt er: „Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben?“ Man könnte sich ja kaum einen Vorwurf machen, wenn man im Sinne seiner bisherigen Ausführungen mit „Ja“ antworten würde. Doch Paulus selbst zieht einen völlig anderen Schluss. Er sagt nicht nur nein, sondern „Das sei ferne!“, „Absolut nicht!“, „Auf gar keinen Fall!“ Und dann schließt er mit einem überraschenden: „Sondern wir bestätigen das Gesetz.“ oder „Sondern wir richten das Gesetz auf.“ (V. 31)
    Die Funktion des Gesetzes wird in Römer 7 näher beleuchtet, aber bereits hier betont Paulus, dass das Gesetz an sich nicht das Problem ist. Es muss seiner Aufgabe wegen positiv bewertet werden, denn wie sonst sollte man die Sünde klar erkennen? Jedenfalls sollen die Leser wissen, dass die bisherigen Ausführungen des Apostels das Gesetz nicht überflüssig machen. Auch wenn es definitiv keine Gerechtigkeit bewirken kann, weil die allein von Gottes Gnade abhängt! „Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit geoffenbart worden (V. 21).

    Exkurs
    Gerechtigkeit in Bildern

    Was streiten sich Theologen seit Jahrhunderten über verschiedene Theorien, die sie aufgestellt haben, um den eigentlichen Vorgang der Versöhnung zu erklären? Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn man da ein wenig versucht mitzukommen. Auch Paulus spricht in diesem Abschnitt von Erlösung und Versöhnung, mit dem entscheidenden Unterschied, dass er aber keine detaillierte Theorie darüber vorstellt. Bei genauerer Betrachtung sieht man aber wie er verschiedene Bilder und Vergleiche verwendet, die möglicherweise diversen theologischen Versöhnungsmodellen Auftrieb gegeben haben.
    Man versteht Paulus aber am besten, wenn man sich hütet, diese Bilder in ausgefeilte, vorgefasste Modelle zu pressen. Man wird ihn nämlich kaum verstehen, wenn man willkürlich gewisse Vergleiche zum alleinigen Erklärungsmodell für die Erlösung hochstilisiert, während zugleich andere Bilder, die Paulus benutzt, ignoriert werden, weil sie eben nicht ins Konzept passen. Zwei dieser Bilder wollen wir uns im Detail ansehen, die „Erlösung“ und den „Sühneort“. Man ist immer gut beraten, die bildhaften Darstellungen in diesem Abschnitt (Gerechtigkeit – Prozess, als Verständnishilfe zum Thema „Erlösung“ zu nutzen, ohne sie zu vereinseitigen. Das Bild von der Erlösung Gottes, durch Jesus Christus für ALLE Menschen (Rö 3,24) zugänglich, könnte die Menschen damals auf die Sklaverei hingewiesen haben. Heute könnte es eine Metapher für den Ausweg sein, die Süchte, Einsamkeit, Sinnlosigkeit als Negativgefühle und Neigungen beschreibt. Erlöst von irdischen Fesseln. Wörtlich spricht Paulus ja beim Vers 24 von Loskaufung, Freikaufung durch Erlegung des Lösegeldes. Genauer begegnet uns dieses Bild noch in Römer 6 und 7, ich will nicht allzuviel vorgreifen. Ich will nur noch kurz auf den Gedanken zu sprechen kommen, dass in manchen Versöhnungstheorien behauptet wird, dass dem Teufel für unsere Befreiung quasi eine Art Lösegeld gezahlt werden musste, aber das geht weit hinaus darüber was Paulus in diesem Abschnitt sagen will.

    Der „Sühneort“ (griech. Sühne od. Sühnedeckel) von Vers 25 lässt uns wiederum ins AT blicken. Der Gnadenstuhl über der Bundeslade im Allerheiligsten des Tempels zu Jerusalem nannte sich Sühnedeckel. Dieses Wort kommt nur ein zweites Mal im NT vor, nämlich in Hebr. 9,5 (kleiner Hinweis darauf, dass der Hebräerbrief auch von Paulus stammen könnte). Der AT-Heiligtumsdienst, bei dem das Blut von Tieren vergossen wurde, um Sünden zu tilgen war die symbolische Handlung wie der Sünder von seiner Schuld befreit werden konnte. Schuld musste mit dem Blut von Opfertieren gesühnt werden. In diesem Zusammenhang sah Paulus den Tod Jesu als das eigentliche, endgültige Opfer. Er hat sein Blut für uns vergossen und dadurch das Problem Sünde ein für allemal gelöst. Möglicherweise dachte Paulus auch an die Sache mit dem Opfern von Isaak durch Abraham, das ist aber mehr Spekulation. Auffallend ist, dass Paulus eben nur Bilder aus dem AT verwendet, aber keine ausgereifte Versöhnungstheorie aufstellt. Der Vers 25 ist auch ein Praradebeispiel für verschiedene Auslegungsmöglichkeiten des Begriffs „Glaube Jesu“. Interpretiert man den Text als Aussage über den Glauben Jesu, würde er bedeuten, dass Gott Christus opferte um uns zu versöhnen. Durch Jesu Treue Gott gegenüber, die sich im Kreuzestod zeigte. Ist es aber der menschliche Glaube an Jesus, dann müsste es bedeuten, dass Gott Christus opferte für unsere Versöhnung, die wir im Glauben ergreifen. Für das Bild des Opfers hat das aber keine große Bedeutung. Wichtig ist, dass wir uns als Sünder erkennen und die Notwendigkeit der Befreiung aus dieser Sklaverei. Paulus verwendet all diese Bilder um uns das greifbar zu machen, ich glaube nicht, dass er wollte, dass man seine Worte quasi „Vertheologisiert“. Paulus wollte doch sicher für alle verständlich bleiben

    Fazit

    Welchen Effekt hat diese Gerechtigkeit denn jetzt? Was verändert sich durch sie? Das Problem der Sünde ist endgültig gelöst (V. 25). Wir stehen in einem neuen Verhältnis zu Gott, weil seine Gerechtigkeit unsere Erlösung schafft, ganz egal ob wir sie annehmen oder ablehnen. Gott hat diese Gerechtigkeit in Jesus Christus für uns sichtbar gemacht und bietet sie uns zugleich in ihm an. Alles menschliche Rühmen ausgeschlossen (V. 27). Dieser Gesichtspunkt ist Paulus sehr wichtig, da für ihn dieses Rühmen das Gegenteil von Glauben ist. Glaube bedeutet, dass wir alles von Gott erwarten und uns auf ihn verlassen. Wenn wir aber stolz auf uns selbst sind, bauen wir auf uns selbst und unsere Leistungen. Deshalb schließen menschliches Rühmen und Glaube einander aus (das wird auch in Eph 2,8.9 verdeutlicht). Dabei ist Gott selbst gerecht und spricht zugleich die Menschen aufgrund des Glaubens frei (Rö 3,26).

    Grüße

    Tricky



    Re: Kommentar zum Römerbrief von Tricky

    Nachtperle - 05.01.2008, 22:06


    In Römer 3 schreibt Paulus, dass sich die Erlösung auf Gottes gnädiges Handeln gründet. Im Blick auf sein Heil steht der Mensch mit völlig leeren Händen vor Gott.
    Wenn es also Erlösung gibt, dann nur geschenkter Weise aus Gottes Hand – und zwar für Juden und Heiden gleichermaßen. Für die Gegner des Paulus war das eine unannehmbare „neue Theologie“, die den historischen Glauben Israels untergraben und Gottes Bundesverheißungen an Israel für ungültig erklären wollte. Schließlich war Israel Gottes auserwähltes Volk und zum Gehorsam aufgerufen. Gnade, so argumentierte man, mache den Gehorsam überflüssig.
    Schlimmer noch:
    Würde eine gleichberechtigte Gemeinschaft von Juden und Heiden nicht die in den heiligen Schriften verbriefte Vorzugsstellung Israels aufheben? Viele Viele Juden glaubten möglicherweise, dass auch Heiden erlöst werden könnten, allerdings nur dadurch, dass sie den jüdischen Glauben annehmen. Paulus redet aber hier nicht nur von diesen Proselyten, sondern lehrt, dass Gott auch den Heiden das Heil ohne den „Umweg“ über das Judentum anbietet. Um seine Thesen zu untermauern greift Paulus auch im 4. Kapitel des Römerbriefs auf die „Taktik“ der Beweisführung aus dem AT fort. Abraham bietet sich ihm als Paradebeispiel an.
    Hier mal der Text nach EÜ:

    Römer 4/1-25

    4/1 Was wollen wir denn sagen, dass Abraham, unser Vater nach dem Fleisch, gefunden habe? 4/2 Denn wenn Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist, so hat er etwas zum Rühmen, aber nicht vor Gott. 4/3 Denn was sagt die Schrift? `Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. 4/4 Dem aber, der Werke tut, wird der Lohn nicht angerechnet nach Gnade, sondern nach Schuldigkeit. 4/5 Dem dagegen, der nicht Werke tut, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet, 4/6 wie auch David die Seligpreisung des Menschen ausspricht, dem Gott Gerechtigkeit ohne Werke zurechnet: 4/7 `Glückselig die, deren Gesetzlosigkeiten vergeben und deren Sünden bedeckt sind! 4/8 Glückselig der Mann, dem der Herr Sünde nicht zurechnet!
    4/9 [Bezieht sich] diese Seligpreisung nun auf die Beschneidung oder auch auf das Unbeschnittensein? Denn wir sagen, dass der Glaube dem Abraham zur Gerechtigkeit gerechnet worden ist. 4/10 Wie wurde er ihm denn zugerechnet? Als er beschnitten oder unbeschnitten war? Nicht in der Beschneidung, sondern in dem Unbeschnittensein. 4/11 Und er empfing das Zeichen der Beschneidung als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er hatte, als er unbeschnitten war, damit er Vater aller sei, die im Unbeschnittensein glauben, damit ihnen die Gerechtigkeit zugerechnet werde; 4/12 und Vater der Beschneidung, nicht allein derer, die aus der Beschneidung sind, sondern auch derer, die in den Fußspuren des Glaubens wandeln, den unser Vater Abraham hatte, als er unbeschnitten war.
    4/13 Denn nicht durch Gesetz wurde Abraham oder seiner Nachkommenschaft die Verheißung zuteil, dass er der Welt Erbe sein sollte, sondern durch Glaubensgerechtigkeit. 4/14 Wenn nämlich die vom Gesetz Erben sind, so ist der Glaube zunichte gemacht und die Verheißung aufgehoben. 4/15 Denn das Gesetz bewirkt Zorn; aber wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung. 4/16 Darum ist es aus Glauben, dass es nach Gnade [gehe], damit die Verheißung der ganzen Nachkommenschaft sicher sei, nicht allein der vom Gesetz, sondern auch der vom Glauben Abrahams, der unser aller Vater ist, 4/17 - wie geschrieben steht: `Ich habe dich zum Vater vieler Nationen gesetzt - vor dem Gott, dem er glaubte, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre; 4/18 der gegen Hoffnung auf Hoffnung hin geglaubt hat, damit er ein Vater vieler Nationen werde, nach dem, was gesagt ist: `So soll deine Nachkommenschaft sein. 4/19 Und nicht schwach im Glauben, sah er seinen eigenen, schon erstorbenen Leib an, da er fast hundert Jahre alt war, und das Absterben des Mutterleibes der Sara 4/20 und zweifelte nicht durch Unglauben an der Verheißung Gottes, sondern wurde gestärkt im Glauben, weil er Gott die Ehre gab. 4/21 Und er war der vollen Gewissheit, dass er, was er verheißen habe, auch zu tun vermöge. 4/22 Darum ist es ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet worden. 4/23 Es ist aber nicht allein seinetwegen geschrieben, dass es ihm zugerechnet worden ist, 4/24 sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden soll, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat, 4/25 der unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist.

    Abraham – unser Stammvater (Rö 4,1)

    Im zweiten Teil seines Buches macht Jesaja den Israeliten Hoffnung. Er wendet sich an alle, die sich nach Gerechtigkeit sehnen. Dort heißt es:
    „Hört mir zu, die ihr der Gerechtigkeit nachjagt, die ihr den HERRN sucht: Schaut den Fels an, aus dem ihr gehauen seid, und des Brunnens Schacht, aus dem ihr gegraben seid. Schaut Abraham an, euren Vater, und Sara, von der ihr geboren seid.“ (Jesaja 51,1.2a).
    Abraham war der Vater der Juden. Und wenn es um Gerechtigkeit ging, sollten sie auf ihn schauen. Diesen Status behielt Abraham auch in der Zeit zwischen Altem und Neuem Testament, als die Juden betonten, Abraham habe das Gesetz gehalten, noch bevor es gegeben wurde. So heißt es beispielsweise in den Apokryphen bei Jesus Sirach: „Abraham wurde der große Stammvater vieler Völker; an Berühmtheit gibt es niemand seinesgleichen. Er hielt sich an den Bund mit Gott, dem Höchsten, und befolgte seine Vorschriften.“ (Sir 44,19.20 GN). Man kann natürlich zu den Apokryphen stehen wie man will, das möchte ich hier schon auch betonen. Es ist mir nur aufgefallen, dass Abraham eben auch dort erwähnt wird.

    Jedoch! - auch in den Berichten des Neuen Testaments behält Abraham seine Sonderstellung. Immer wieder wird bestätigt, wie wichtig es ist, Abraham zum Vater zu haben. Matthäus führt den Stammbaum Jesu bis auf Abraham zurück und nennt Jesus Sohn Davids und Sohn Abrahams (Mt 1,1.2). In Hebräer 11, dem berühmten Kapitel über den Glauben, werden viele alttestamentliche Vorbilder namentlich angeführt. Und auch hier wird interessanterweise Abraham mehr Aufmerksamkeit geschenkt als allen anderen (V. 8-12.17-19).

    Allerdings übt das Neue Testament auch mehrfach Kritik an Menschen, die sich selbstgerecht darauf verlassen, Nachkommen Abrahams zu sein. Beispielsweise wetterte Johannes der Täufer: „3/8 Bringt nun der Buße würdige Früchte; und beginnt nicht, bei euch selbst zu sagen: Christen haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch, dass Gott dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken vermag.“ (Lk 3,8 EÜ). Das war ein hartes Wort, entspricht aber im Grunde genommen dem Leitsatz „Es gibt nichts gutes, außer man tut es“, wenn ich das mal so ganz forsch hier erwähnen darf. Im wahren Judentum hat die gute Tat, also die Praxis immer Vorrang vor dem Theoretischen, also auch der Abstammung von Abraham. Als Jesus Juden erklärte, die Wahrheit werde sie frei machen, protestierten sie: „8/33 Sie antworteten ihm: Christen sind Abrahams Nachkommenschaft und sind nie jemandes Sklaven gewesen. Wie sagst du: Ihr sollt frei werden?’“ (Jo 8,33 EÜ). Worauf Jesus nur sagte: Wenn Abraham wirklich euer Vater wäre, „so würdet ihr die Werke Abrahams tun.“ (V. 39 EÜ). Jesus bezeichnete ja sogar die für die Juden als Sünder abgestempelten Zachäus bzw. die behinderte Frau als „Abrahams Sohn“ (Lk 19,9) bzw. „Abrahams Tochter“ (Lk. 13,16).
    Jetzt verwendet Paulus das Beispiel von Abraham um seine Grundthesen zu beweisen.
    Die wären:

    (1) Erlösung gründet sich auf den Glauben an Gottes Gnade, nicht auf Leistung.

    (2) Die gleiche Erlösung gilt allen Menschen.

    Diese Aussagen beweist er mit zwei Texten aus der Abrahamgeschichte.
    In 1. Mose 15,16 heißt es: „Abram glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“
    Und in 1. Mose 17,5 sagt Gott zu Abram: „Darum sollst du nicht mehr Abram heißen, sondern Abraham soll dein Name sein; denn ich habe dich gemacht zum Vater vieler Völker.“ Besonders kommt er dabei in Römer 4 auf folgende Gesichtspunkte zu sprechen:

    " Abraham vertraute auf Gott, nicht auf seine eigene Leistung (V. 3-5).

    " Abraham empfing Gerechtigkeit als Geschenk, nicht als Lohn (V. 4).

    " Abraham war nicht beschnitten, als er gerechtfertigt wurde (V. 10).

    " Abraham wurde Erbe aufgrund einer Verheißung, nicht durchs Gesetz (V. 13).

    " Abraham wurde der (Glaubens)Vater aller Menschen (V. 12.16).

    " Abraham hoffte, wo nichts zu hoffen war (V. 18).

    " Abraham war stark im Glauben, nicht schwach (V. 20.21).

    " Abraham ist ein Vorbild für uns (V. 23).

    In diesem Kapitel des Römerbriefs wird deutlich, wie wichtig diese Aussagen für das paulinische Verständnis des christlichen Glaubens sind.

    Die Gerechtigkeit Abrahams (Rö 4,2-5)

    In Vers 2 fragt Paulus, wie Abraham gerechtfertigt wurde. Wäre Abraham durch Werke freigesprochen geworden, hätte er Grund gehabt, sich zu rühmen. Diese Vorstellung ist für Paulus so abwegig, dass er sofort hinzufügt: „aber nicht vor Gott.“ Das würde seinen bisherigen Worten (Rö 3,21-31) widersprechen. Paulus war davon überzeugt, dass Rechtfertigung ein Gnadenakt Gottes ist, der allen Menschen zu den gleichen Bedingungen angeboten wird, und zu dem niemand etwas durch frommes Tun und gute Werke beitragen kann, weshalb sich kein Mensch rühmen kann. Er stützt sich in seiner Argumentation auf den ersten der beiden wichtigen Texte aus der Abrahamgeschichte (1 Mo 15,6). Dort heißt es, dass es Abraham Gerechtigkeit angerechnet wurde. Dieser Vers enthält zwei wichtige Aussagen. Erstens: Abraham glaubte bzw. vertraute Gott. Die grundlegende Wahrheit, um die es Paulus im gesamten Römerbrief geht, findet sich also schon im ersten Buch der Bibel: Abraham glaubte! Dieser Glaube bzw. dieses Vertrauen war also der Grund dafür, dass Gott ihn gerechtgesprochen hat. Das hier verwendete hebräische Wort bedeutet meist anrechnen oder betrachtet werden als. Daraus schlussfolgert Paulus, dass Gerechtigkeit nicht der Lohn für eine vollbrachte Leistung ist, sondern ein Geschenk, das Abraham aufgrund seines Glaubens empfing. Diesen Gedanken führt Paulus in den Versen 4 und 5 aus. In Vers 4 heißt es: „Dem aber, der Werke tut, wird der Lohn nicht angerechnet nach Gnade, sondern nach Schuldigkeit..“ In Vers 5 setzt Paulus einen Menschen dagegen, der glaubt und dessen Glaube ihm als Gerechtigkeit angerechnet wird. Der Begriff „anrechnen“ bedeutet für Paulus, dass Abraham aus Gnade gerechtfertigt wurde, nicht aus Werken. Diese Gnade ergreift Abraham dadurch, dass er an den glaubt, „der die Gottlosen gerecht macht“ (V. 5).

    Ich habe schon einmal erwähnt, dass kein verantwortungsbewusster Richter einen Schuldigen freisprechen würde. Auch Gott verabscheut solche Rechtsbeugung (Spr 17,15; Spr 24,23.24) Bis heute reagieren wir fassungslos oder wütend, wenn Verbrecher aufgrund juristischer Spitzfindigkeiten – oder weil irgend jemand die Hand über sie hält – nicht für ihre Untaten zur Rechenschaft gezogen werden. Und da behauptet Paulus, dass Gott die Schuldigen freispricht!
    Um das wirklich zu verstehen, müssten wir uns daran erinnern, dass wir alle vor Gott schuldig sind (Rö 3,9.10). Wenn Gott nur gute und unschuldige Menschen freispräche, hätte niemand eine Chance.
    Zwei Faktoren sind wichtig, um dieses Problem zu lösen.
    Erstens wird Gottes Gerechtigkeit durch das Sühnopfer Jesu nicht nur bekannt gemacht, sondern auch bewirkt. Obwohl Paulus nicht erklärt, wie das im einzelnen funktioniert, unterstreicht er doch, dass es sich dabei um eine Realität handelt (V. 24.25).
    Zweitens ist Gottes Freispruch mehr als eine juristische Erklärung. Gott ergreift die Initiative, bereinigt die Sünde und verändert den Sünder, indem er ihn in eine neue Beziehung zu sich stellt. Genau diesem Gott vertraute Abraham. Das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet. Und so wurde Abraham zu einem perfekten Beispiel für Gerechtigkeit aus Gnade durch Glauben. Man sollte sich vergegenwärtigen, dass selbst ein Glaubensvorbild wie er mit leeren Händen vor Gott stand. Auch ihm wurde die Gerechtigkeit als Geschenk des barmherzigen Gottes zuteil.

    Paulus zitiert David (Rö 4,6-8)

    An dieser Stelle greift Paulus auf eine zweite zentrale Gestalt aus der Geschichte Israels zurück. Er stützt sich in seiner Argumentation auf eine Passage aus Psalm 32 (V. 1.2). Schon David hatte etwa 1000 Jahre zuvor im Zusammenhang mit Schuld und Vergebung den Begriff „zugerechnet“ verwendet. Dort geht es zwar nicht darum, dass einem Menschen Gerechtigkeit zugerechnet wird, sondern dass ihm seine Sünden nicht zugerechnet werden, aber wie sich aus der Einleitung zu diesem Zitat ergibt (V. 6), sind für Paulus beide Vorstellungen trotz unterschiedlicher Sachverhalte deckungsgleich. Er schreibt nämlich, dass David „die Seligpreisung des Menschen ausspricht, dem Gott Gerechtigkeit ohne Werke zurechnet“. Diese Gleichsetzung hilft uns zu verstehen, was Paulus mit Gerechtigkeit meint. Zumindest ein Teil der Rechtfertigung bedeutet, dass uns unsere Sünden nicht mehr angerechnet werden. Mit anderen Worten: Rechtfertigung schließt Vergebung ein, „erschöpft“ sich aber nicht darin.

    Der historische Bericht über Abrahams Gerechtigkeit in 1. Mose und die poetischen Aussagen in Psalm 32 über Vergebung verwenden beide „zugerechnet“. Damit bestätigen sie dieselbe Wahrheit, nämlich dass Gott wirklich gnädig ist.

    Rechtfertigung und Beschneidung (Rö 4,9-12)

    In Vers 9 stellt Paulus eine Frage, die sich aus Psalm 32 ergibt. Um sie beantworten zu können, greift er noch einmal auf Abraham zurück. Gilt die Seligpreisung Davids nur für die Beschnittenen oder auch für die ohne Beschneidung? Und damit meint er, ob sie nur den Juden oder auch Heiden zugesprochen wurde.

    Betrachten wir wie Paulus die zeitliche Abfolge bei Abraham. Er zitierte 1. Mose 15,6, um zu zeigen, dass Abraham aufgrund seines Glaubens gerechtfertigt wurde. Und zwar zu einer Zeit, als er noch unbeschnitten war, wie sich aus 1. Mose 17 ergibt. Darin sieht Paulus den Beweis dafür, dass Abrahams Rechtfertigung unabhängig von seiner Beschneidung geschah. Im Klartext heißt das: Grundlage für Abrahams Rechtfertigung war nicht das israelitisch-jüdische Brauchtum. Die Beschneidung war nur äußeres Zeichen und Siegel für etwas, was längst geschehen war: Abrahams Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben (V. 11). Dadurch eignet sich Abraham wie kein anderer als Glaubensvater der Juden und Heiden. Er ist der Vater jener Heiden, die wie er aufgrund ihres Glaubens gerechtfertigt werden, ohne beschnitten zu sein (V. 11b). Zugleich ist er aber auch der Vater der Juden, die ebenso glauben, wie er (V. 12). Deshalb ist Abraham nicht nur aufgrund ihrer Abstammung der Vater der Juden. Seine echten Nachkommen im umfassenden Sinne sind alle, die seinen Glauben teilen. Hier deutet sich schon an, was in den Versen 16 und 17 näher ausgeführt wird. Abraham ist der Stammvater aller Gläubigen, der Vater der Juden und Heiden, denn er ist für beide das Vorbild des Glaubens. Aber damit ist die Diskussion über die Rechtfertigung noch nicht zu Ende, im Gegenteil. Er belegt nämlich, dass nicht nur die Beschneidung als Grundlage für die Erlösung ausscheidet, sondern auch das Gesetz! Wenn man der Überlieferung folgt, dass Abraham das Gesetz bereits hielt, bevor es am Sinai verkündet wurde, könnte man leicht schließen, dass er aufgrund dieses Gehorsams gerechtfertigt wurde. Paulus widerlegt diese Auffassung, indem er Gesetz und Verheißung einander gegenüberstellt. Unmittelbar vor dem entscheidenden Satz in 1. Mose 15,6 ist von einer Verheißung die Rede (V. 5). Gott verspricht Abraham, dass seine Nachkommenschaft so zahlreich sein wird wie die Sterne am Himmel. Beide Verse stehen in Zusammenhang! Daraus leitet Paulus ab, dass Gottes Verheißung der Gnade unabhängig ist vom Gesetz. Diese Verheißung wäre ja auch schlichtweg bedeutungslos, wenn man aufgrund des Gesetzes ein Nachkomme Abrahams sein könnte. In Vers 15 fasst Paulus noch einmal zusammen, was er schon in Römer 1,18 bis 3,20 ausgeführt hat – das Gesetz bewirkt Zorn, nicht Rechtfertigung.
    Den Hinweis: „Wo aber das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Übertretung“ sehe ich in Beziehung zu den Ausführungen über Gottes Zorn gesetzt. Paulus meint ganz gewiss nicht, dass man Gott gegenüber nicht mehr verantwortlich ist, wenn es kein Gesetz gibt. Schließlich hat er bereits in Römer 1 geschrieben, dass selbst diejenigen unter dem Gericht stehen, die außerhalb des Gesetzes leben. Wie in Römer 3,20 geht es Paulus auch hier darum, dass uns das Gesetz die Sünden bewusst macht, dass es uns aber nicht rechtfertigt.

    Vater von allen (Rö 4,16.17)

    Nun geht Paulus auf den zweiten Text ein, den er aus der Abrahamgeschichte zitiert hat. In 1. Mose 17,5 sagt Gott zu Abraham: „Ich habe dich gemacht zum Vater vieler Völker.“ Die Elberfelder Studienbibel machte mir bewusst, dass dieser Vers für Paulus so wichtig ist, weil im Griechischen für „Völker“ und „Heiden“ dasselbe Wort benutzt wird. Deshalb könnte man diesen Vers auch so wiedergeben, dass Abraham der Vater vieler Heiden sein wird. So beweist Paulus aus dem AT, was er bereits in den Versen 11 und 12 angedeutet hat. Gottes Verheißung gilt nicht nur den Juden, sondern allen Nachkommen Abrahams, Juden wie Heiden.
    Deshalb sollte man unbedingt auch die Verse 16 und 17 gebührend berücksichtigen. Kaum ein Begriff im Römerbrief ist wichtiger als das Wörtchen alle. Gottes Gnade gilt allen Menschen, und diese Wahrheit verkörpert bereits Abraham. Er, der Vater der Juden und der Vater der „Völker“ bzw. „Heiden“, empfing diese Verheißung, die Juden und Heiden unter Gottes Gnade vereint.

    Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist (Rö 4,18-22)

    Hier spricht Paulus zum ersten Mal in seinem Brief von der Hoffnung. Allerdings ist noch nicht zu erkennen, wie wichtig ihm dieser Begriff im Blick auf das christliche Leben ist (Details dazu dann in Römer 5 und 8). Auch in Bezug auf Hoffnung dient ihm Abraham als Vorbild. Man kann sich gut vorstellen, dass Abraham genau wusste, was Hoffen heißt. Gott hatte ihm fest zugesagt, dass er der Vater vieler Völker sein würde, als menschlich gesehen kaum noch Aussicht bestand, dass sich diese Verheißung jemals erfüllen könnte. Wie sollte einem Hundertjährigen von seiner 90jährigen Frau noch ein Sohn geboren werden? Für Außenstehende eine lächerliche Idee, aber Abraham glaubte, dass Gott hält, was er zusagt. Schließlich glaubte er an einen Gott, der Toten neues Leben schenken und das nicht Vorhandene ins Dasein rufen kann wann und wie er will (V. 17). Auch dieses unerschütterliche Vertrauen, das sich nicht auf menschliche Gegebenheiten stützen konnte, wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet (V. 22).

    Diese Haltung Abrahams gewährt uns einen zusätzlichen Einblick in das Wesen des Glaubens. Glauben heißt auch heute nichts anderes, als das zu tun, was er tat – Gottes Verheißung bedingungslos zu vertrauen und sich ganz darauf zu verlassen. Wenn wir woanders letzte Hilfe und Zuflucht suchen, ist das im Grunde ein Zeichen mangelnden Glaubens. Paulus betont Abrahams Glauben in einer Art, die schon auf Römer 14 und 15 hindeutet, wo er auf christliches Leben und Handeln eingeht.
    Man fragt sich vielleicht:

    Was geht das uns an? (Rö 4,23-25)

    Am Ende von Römer 4 schreibt Paulus schließlich, was der aufmerksame Leser bereits erkannt hat. Abraham vertraute Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet. Doch das ist kein Prozess, der nur den Stammvater Israels betraf, sondern der auch für uns heute von entscheidender Bedeutung ist. Paulus wollte nicht nur eine spannende Geschichte erzählen oder uns eine Geschichtsstunde halten, sondern am Beispiel Abrahams die Erlösung anschaulich machen, deren auch wir als Christen bedürfen oder die wir bereits erfahren haben. Uns wird es genauso als Gerechtigkeit angerechnet, wenn wir auf Gottes Verheißungen vertrauen und uns auf den verlassen, der Jesus von den Toten auferweckt hat. In Jesus Christus zeigt sich, dass Gottes Zusagen keine leeren Versprechungen sind.

    Gottes „Zorn“ begegnet uns am Ende des Kapitels erneut. Aber! – er richtet sich nicht mehr gegen uns, sondern um unsertwillen gegen seinen Sohn, der für unsere Sünde „dahingegeben“ und für unsere Rechtfertigung von den Toten auferweckt wurde. Weil Christus Gottes „Zorn“ auf sich zog, brauchen Gläubige ihn nicht mehr zu fürchten. Damit wird Abrahams Geschichte zu der Geschichte jedes christlich Gläubigen. Auch sie vertrauen Gottes Verheißung und dürfen erleben, wie ihnen aus Gnade Gerechtigkeit geschenkweise zugerechnet wird.

    ******************

    Wir sind mittlerweile schon beim 5. Kapitel angelangt und ich denke, dass es thematisch in einem Posting behandelt werden kann. Interessant an diesem Abschnitt ist die oftmalige Wiederholung des „Viel mehr“ oder nach meiner Übersetzung das „Wieviel mehr“. Es beschreibt dies ein Nachdenken darüber was Gott bereits für uns getan hat und verweist auf die Verheißung in der Zukunft, die eben viel mehr sind. Den negativen Folgen der Sünde Adams werden die positiven Auswirkungen unserer Erlösung durch Christus gegenübergestellt.

    Aber vorerst mal die Textstelle (EÜ):

    Römer 5/1-21

    5/1 Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, 5/2 durch den wir mittels des Glaubens auch Zugang erhalten haben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes.
    5/3 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch in den Trübsalen, da wir wissen, dass die Trübsal Ausharren bewirkt, 5/4 das Ausharren aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung; 5/5 die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist. 5/6 Denn Christus ist, als wir noch kraftlos waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben. 5/7 Denn kaum wird jemand für einen Gerechten sterben; denn für den Gütigen möchte vielleicht jemand auch zu sterben wagen. 5/8 Gott aber erweist seine Liebe gegen uns darin, dass Christus, als wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. 5/9 Vielmehr nun, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir durch ihn vom Zorn gerettet werden. 5/10 Denn wenn wir, als wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, so werden wir viel mehr, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden.
    5/11 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben.
    5/12 Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben 5/13 - denn bis zum Gesetz war Sünde in der Welt; Sünde aber wird nicht zugerechnet, wenn kein Gesetz ist. 5/14 Aber der Tod herrschte von Adam bis auf Mose selbst über die, welche nicht gesündigt hatten in der Gleichheit der Übertretung Adams, der ein Bild des Zukünftigen ist. 5/15 Mit der Übertretung ist es aber nicht so wie mit der Gnadengabe. Denn wenn durch des einen Übertretung die vielen gestorben sind, so ist viel mehr die Gnade Gottes und die Gabe in der Gnade des einen Menschen Jesus Christus gegen die vielen überströmend geworden. 5/16 Und mit der Gabe ist es nicht so, wie [es] durch den einen [kam], der sündigte. Denn das Urteil [führte] von einem zur Verdammnis, die Gnadengabe aber von vielen Übertretungen zur Gerechtigkeit. 5/17 Denn wenn durch die Übertretung des einen der Tod durch den einen geherrscht hat, so werden viel mehr die, welche die Überschwenglichkeit der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen durch den einen, Jesus Christus. 5/18 Wie es nun durch eine Übertretung für alle Menschen zur Verdammnis [kam], so auch durch eine Gerechtigkeit für alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens. 5/19 Denn wie durch des einen Menschen Ungehorsam die vielen in die Stellung von Sündern gesetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden. 5/20 Das Gesetz aber kam daneben hinzu, damit die Übertretung überströmend werde. Wo aber die Sünde überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwenglicher geworden, 5/21 damit, wie die Sünde geherrscht hat im Tod, so auch die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn.

    Ein Leben unter der Gnade (Rö 5,1-5)

    Paulus hat keinen Zweifel daran gelassen, dass wir durch Christus freigesprochen sind: „… welcher ist um unsrer Sünden willen dahingegeben und um unsrer Rechtfertigung willen auferweckt.“ (Rö 4,25) Es bleibt aber die Frage auf: Was verändert sich dadurch, dass wir gerechtfertigt worden sind? Diesem Gedanken wendet sich Paulus in den ersten Versen von Römer 5 zu. Aus den Worten: „Da wir nun …“ (V. 1) leitet er eine Kausalität ab. Es muss sich was daraus ergeben. In den ersten fünf Versen fasst Paulus diese neue Erfahrung der Rechtfertigung durch den Glauben an Christus zusammen und weist auf die realen Folgen der Rechtfertigung hin.
    Diese wären:

    1. Friede mit Gott durch Jesus Christus.
    Die hebräische Vorstellung von Frieden umfasst mehr als wir gewöhnt sind uns unter Frieden vorzustellen. Friede bedeutet Wohlbefinden und Ganzheitlichkeit im umfassenden Sinne. Ohne die Angst vor Gottes Zorn können wir die erkannte Liebe Gottes ganz sicher in uns haben. Wir leben geschützt in Harmonie mit Gott. Das ist schon sehr viel und doch noch nicht alles. Wir haben als Freigesprochene ja bereits Zugang zur Gnade erhalten. Doch damit nicht genug –

    2. wir stehen nun in dieser Gnade (V. 2). Gnade ist wie neue, reine Luft, die wir atmen, oder eine neue Welt, in der wir leben. Christsein heißt, die Atmosphäre der Gnade zu atmen und als von Gott Angenommene zu leben.

    3. Resultate der RechtfertigungAus der Rechtfertigung ergibt sich ferner {eine neue Einstellung zur Zukunft}, deren Kennzeichen Hoffnung ist. Luther übersetzt: „... [wir] rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird.“ (V. 2)

    Hier stoßen wir auf ein Problem. Hatte Paulus nicht geschrieben, dass der Glaube alles Rühmen ausschließt (Rö 3,27) und dass nicht einmal Abraham etwas vorweisen konnte (Rö 4,5)? Nun schreibt er, dass ein Merkmal christlichen Lebens gerade im Rühmen besteht, insbesondere, dass wir uns der Hoffnung rühmen. Selbstverständlich denkt Paulus hier nicht an Anmaßung oder Stolz, die er kurz zuvor (wir erinnern uns an Rö 3) scharf gerügt hatte. Er schildert vielmehr, was beim gerechtfertigten Menschen an die Stelle „menschlichen Rühmens“ getreten ist. „Sich rühmen der Hoffnung“ setzt ein Vertrauen voraus, das den Christen ohne Angst in die Zukunft schauen lässt. Paulus verwendet den Begriff „sich rühmen“ in diesem Kapitel dreimal. Wir rühmen uns der Hoffnung (V.2), der Trübsale (V. 3), und Gottes (V. 11). Merkwürdig ist allerdings, dass Paulus betont, Christen sollten sich auch der Bedrängnis rühmen. Klingt doch ein wenig krankhaft, oder? Ich fragte mich was meint er damit?
    Paulus will wahrscheinlich sagen, dass Hoffnung, die sich auf Christus gründet, alles andere im Leben übersteigt – selbst Leid und Trübsal. Christen rühmen selbst in schwierigen Lebenslagen Gott, denn sie wissen, dass Gott ihr Geschick in Händen hält. Aus dieser Sicht gewinnt Paulus sogar dem Leid positive Seiten ab, ohne es herbeireden zu wollen, um sich dann neurotisch daran zu weiden.
    Ich denke nämlich nicht dass er an solch ein Rühmen dachte. Vielmehr wusste er, dass im Blick auf Gott angenommenes Leiden Ausdauer bewirkt und einen Charakter formen kann, der seinerseits wieder neue Hoffnung weckt (V. 3.4).

    Paulus schreibt auch weiters, dass Hoffnung keine Schande verursacht („...zuschanden werden lässt...“). Die damaligen Wertmaßstäbe im Hinblick auf Ehre und Schande waren wesentlich stärker ausgeprägt als in unserer heutigen, individuelleren Zeit. Deshalb betont Paulus diesen Aspekt. Hoffnung wirkt vielmehr Vertrauen. Diese kurze Darstellung von der Erfahrung der Christen schließt mit einem wunderschönen Bild, nämlich der Ausgießung des Heiligen Geistes und Gottes Liebe in unser Herz (V. 5). Gott liebt uns und gießt seine Liebe in unsere Herzen aus. Indem wir auf seine Liebe reagieren, gelangen wir zu einer neuen Art zu leben im Hier und Heute. Gleichzeitig schöpfen wir Hoffnung für die Zukunft. Das ist die gute Nachricht des Apostels.

    die Grundlage seines Evangeliums (Rö 5,6-8)

    Paulus ist das Fundament des Evangeliums so wichtig, dass er immer wieder darauf zu sprechen kommt und wie genervt wir von dieser oftmaligen Wiederholung auch sind, es ist dies eine, wenn nicht DIE Kernaussage des Römerbriefs. In den Versen 6 bis 8 betont er aufs neue, dass unsere Rechtfertigung und Erlösung mit Jesu stellvertretendem Sterben steht und fällt. Und das Besondere daran ist, dass er „Denn Christus ist, als wir noch kraftlos waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben“. Paulus benutzt an dieser Stelle die drei Begriffe Zeit, kraftlos und Gottlose.

    Ich habe mich ein bisschen in diese Begriffe hineingelesen. Im Griechischen gibt es mindestens zwei verschiedene Ausdrücke für Zeit. Der erste Begriff (chronos), von dem sich das Wort Chronologie ableitet, bezeichnet – im chronologischen oder mengenhaften Sinne – eine Zeitspanne bzw. einen Zeitraum. Paulus verwendet hier (und an anderen Stellen des Römerbriefs) allerdings ein anderes Wort (kairos), das – mit einer wertigen Sinnrichtung – den günstigen Zeitpunkt meint. Manchmal benutzt Paulus dieses Wort zusammen mit nun bzw. jetzt, um deutlich zu machen, dass es sich auf die Gegenwart bezieht (Rö 3,26; 8,18; 11,5). Hier und in Römer 9,9 verknüpft er diesen Begriff mit einem Verhältniswort. Damit meint er eine festgesetzte Zeit bzw. den richtigen Zeitpunkt (zur bestimmten Zeit).
    Jesu Tod war demnach kein Unfall der Geschichte, ein unvorhergesehenes Missgeschick, sondern gehörte zu Gottes Plan und geschah zum festgesetzten Zeitpunkt.

    Zu dieser Zeit waren wir noch „kraftlos“. Paulus verwendet diesen Begriff mehrmals im Römerbrief. Von Abraham heißt es in Kapitel 4, dass sein Glaube nicht „schwach“ wurde. Damalige Christen, die im Blick auf die Ernährung übertrieben ängstlich waren, bezeichnet er in Römer 14 als „schwach“ im Glauben. In Römer 5,6 betont Paulus unsere Ohnmacht und absolute Unfähigkeit, uns selbst aus der Verlorenheit zu befreien. Als wir uns in eben dieser ausweglosen Lage befanden, starb Christus für uns. Diese grundlegende Wahrheit ist Paulus so wichtig, dass er immer wieder zu der einen Aussage zurückkommt:

    Unsere einzige Hoffnung auf Erlösung beruht auf dem Tod Jesu Christi.
    Dieser Tod hat eine universale und eine persönliche Dimension. Universal insofern, weil Christus für alle Menschen starb, ja sogar der Engelwelt hier endgültig klar wurde, dass Gott gerecht ist. An dieser Stelle legt Paulus jedoch mehr Wert auf die persönliche Dimension.
    Jeder soll für sich selbst begreifen: Ich war der Sünde gegenüber völlig machtlos, aber Christus ist für mich gestorben. Verdienen konnte ich meine Erlösung nicht, aber gerade meine Schwachheit zeigt Gottes Stärke.

    Von Abraham hieß es, dass er dem Gott vertraute, der die Gottlosen rechtfertigt (Rö 4,5). Nun zeigt Paulus die Grundlage für diese Rechtfertigung: Christus starb für die Gottlosen (V. 6). Mit diesen „Gottlosen“ sind aber nicht irgendwelche Voodoo-Anhänger oder Massenmörder gemeint - wir alle werden aufs Korn genommen. Er bekräftigt erneut, dass keiner von uns etwas zu seiner Erlösung beitragen kann. Spätestens jetzt dürfte der Sachverhalt klar sein: Wir waren schwach. Wir waren gottlos. Wir waren Sünder. Christus ist für uns gestorben. Es steht außer Frage, dass Christus für uns starb und dadurch ohne unser geringstes Zutun unsere Erlösung bewirkte.

    Darüber hinaus war auch unser Vater im Himmel am Opfer Christi beteiligt. Gott handelte in Christus. Der Tod Christi ist eine Demonstration der unbegreiflichen Liebe Gottes zu uns. Wenn man sich hier den bekannten Vers aus Joh. 3,16 hinzudenkt, dann wird klar welches Opfer Gott-Vater hier gebracht hat.
    Mitten in diesem Abschnitt stellt Paulus einen interessanten Vergleich an zwischen dem, was Christus für uns tat, und dem, wozu Menschen bereit sind (V. 7). Während sich Gottes Sohn für schwache, gottlose Sünder opferte, wird man unter den Menschen nicht einmal einen finden, der sein Leben für einen Gerechten hingeben würde. Ein deutlicher Kontrast. Die folgende Zwischenbemerkung ist ein bisschen seltsam. Warum sollte sich jemand für einen gütigen Menschen opfern, wenn er es für einen Gerechten niemals täte? Wie unterscheiden sich gerechte und gute Menschen voneinander? Hierzu gibt es verschiedene theologische Kommentare. Die meisten denken dabei an einen ansprechenden, liebenswerten Menschen. Andere versuchen die Wendung aus der Zeit und den gesellschaftlichen Gegebenheiten damals zu erklären. Sie meinen, Paulus habe sagen wollen, am ehesten setze jemand (ein Sklave?) sein Leben für seinen Herrn ein, wenn er ihn liebt und verehrt oder zu dessen Schutz verpflichtet ist. Es ist nicht endgültig auszumachen ist, was Paulus wirklich meinte, so ist doch die grundsätzliche Aussage unstrittig: Als Christus für uns Gottlose starb, tat er etwas, was menschliche Selbstlosigkeit bei weitem übersteigt.

    „… um wieviel mehr“ (Rö 5,9-11).

    In Vers 9 beginnt eine Reihe von Vergleichen zwischen der Gegenwart und dem „um wieviel mehr“, das wir in der Zukunft erwarten können. In den ersten beiden Vergleichen stellt Paulus unsere schon jetzt positive Erfahrung den noch großartigeren Zusagen für die Zukunft gegenüber. Die letzten beiden Gegensätze beziehen sich auf das negative Vermächtnis Adams in der Vergangenheit und die positiven Aussichten in Christus. Die folgende Übersicht lässt diese Gegensätze deutlich werden:

    Nach Luther

    Vers 9:
    (Jetzt) Nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht(fertigt) worden sind, Um wieviel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn Gottes.

    Vers 10:
    (Jetzt) Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, Um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind.

    Vers 15:
    (Adam) Denn wenn durch die Sünde des Einen die vielen gestorben sind, Um wieviel mehr ist Gottes Gnade und Gabe den vielen überreich zuteil geworden durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus.

    Vers 17:
    (Adam) Denn wenn wegen der Sünde des Einen der Tod geherrscht hat durch den Einen, Um wieviel mehr werden die, welche die Fülle der Gnade und die Gabe der Gerechtigkeit empfangen, herrschen im Leben durch den Einen, Jesus Christus.

    Die ersten beiden Gegensätze schauen wir uns mal genauer an. Mit den beiden anderen beschäftigen wir uns später. Die ersten beiden Gegensätze sind wichtig, um das Denken des Paulus in Bezug auf die letzten Dinge zu verstehen.
    Für Paulus hatten schon Tod und Auferstehung Jesu eine Art endzeitlicher Bedeutung. Das entscheidende Ereignis für die endgültige Erlösung ist bereits geschehen. In Jesus Christus hat Gott schon die Entscheidungsschlacht gewonnen, die den zukünftigen Ausgang der Weltgeschichte im Sinne Gottes garantiert. Paulus sah ein starkes „Schon jetzt“ in der christlichen Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen), das sich nicht nur auf die ganze Welt bezieht, sondern auch auf den einzelnen Christen. Ein Christ ist schon jetzt durch Jesu Blut gerecht geworden (V. 9). Er ist bereits mit Gott versöhnt (V. 10). Sein gegenwärtiges Leben ist bereits so überwältigend neu und endgültig, dass es als eschatologische Erlösung bezeichnet werden kann. Man darf allerdings dieses „endgültig“ nur in der steten Beziehung des Gläubigen zu Christus als beständig ansehen. „Einmal gerettet“ bedeutet nicht automatisch „für immer gerettet“ – durch Anfechtungen und Prüfungen kann jeder Mensch seinen richtigen und wichtigen Weg mit Jesus auch wieder verlassen.

    Der gegenwärtige Aspekt der Erlösung und der Eschatologie drängt bei Paulus die Hoffnung auf die Zukunft jedoch nicht in den Hintergrund. Im Gegenteil! Das, was wir jetzt und hier erleben, gibt der Zukunft Schärfe und Sinn. Mehr noch, aus unserer gegenwärtigen Erfahrung können wir Gewissheit für die Zukunft schöpfen. In diesem Zusammenhang wird das „um wieviel mehr“ besonders deutlich. Denn wer bereits gerechtfertigt und mit Gott versöhnt ist, darf für die Zukunft noch viel mehr erwarten. Wenn das Leben des Erlösten schon jetzt so überwältigend ist, um wieviel mehr kann er dann auf Gottes Zusagen für die Zukunft vertrauen?

    Für Paulus ist die eschatologische Hoffnung nicht trügerische Spekulation auf die Zukunft, weil bereits das gegenwärtige Leben mit Christus berechtigten Anlass gibt, das Zukünftige zuversichtlich zu erwarten (V. 9.10). In dieser Weise verknüpft Paulus in seiner Eschatologie stets Gegenwart und Zukunft miteinander. Im NT begegnet uns dieser Zusammenhang am deutlichsten bei Johannes. Im AT ist diese Vorstellung aber auch schon vorhanden, besonders bei Hosea. Die objektive Tatsache der Versöhnung muss persönlich angenommen werden um Wirkung für den einzelnen Sünder zu haben.

    In den Versen 10 und 11 begegnen wir dem gedanklichen Konzept des Apostels in bezug auf Versöhnung. Ähnliches finden wir auch noch in Kapitel 11 im Vers 15 sowie im zweiten Brief an die Korinther Verse 17 – 20. Es gilt als geschichtlich wahrscheinlich, dass Paulus den 2. Korintherbrief vor dem Römerbrief verfasst hat. Einige Versöhnungsmodelle sprechen von einem Gott, der den Menschen feindlich gesinnt ist und durch Christi Tod beschwichtigt werden musste. Das erinnert uns ganz an Götter- und Götzenglauben in der Geschichte der Menschheit, die in ihrer abscheulichsten Ausartung sogar Menschenopfer zur Beschwichtigung der Götter verlangten. Paulus sieht das ganz anders. Wenn er davon spricht, dass wir „Gottes Feinde“ waren (V. 10), heißt das nicht, dass Gott uns feindlich gesinnt war. Wir waren Feinde, nicht Gott.

    Hier bietet sich auch 2. Kor 5,18.19 an:
    5/18 Alles aber von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat, 5/19 [nämlich] dass Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnt hat, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und in uns das Wort von der Versöhnung gelegt hat.

    Das klingt nicht doch absolut nicht so, als wenn Gott-Vater unser Feind gewesen wäre, den Christus unter Einsatz seines Lebens davon überzeugen hätte müssen, sich uns Menschen wieder zuzuwenden. Von Anfang an war Gott-Vater am Werk der Versöhnung voll beteiligt. Die bildhafte Ausdrucksweise im Römerbrief ist tatsächlich häufig missverstanden worden. Man braucht nur mal die Probe aufs Exempel zu machen und Christen zu fragen, welche Vorstellungen sie in ihrer Kindheit oder Jugend von Gott und Jesus Christus hatten. Fast immer werden sie antworten, dass ihnen Jesus wesentlich freundlicher erschien als Gott. Aber gerade für solche Vorstellungen lässt Paulus im Römerbrief keine Chance. Gott selbst war es, der uns durch Christus mit sich versöhnte. So grausam das ganze Kreuzesgeschehen auch sein mag, es zeigt zugleich Gottes überwältigende Liebe und Gnade.

    Adam und Christus – ein Vergleich (Rö 5,12-21)

    Den zweiten Teil von Römer 5 benutzt Paulus, um Adam und Christus miteinander zu vergleichen. Dabei geht es ihm aber nicht so sehr um die Personen an sich, sondern um die Konsequenzen, die sich aus deren Verhalten für uns ergeben.

    schematische Übersicht (Gegenüberstellung):

    Adam..................................................................................... Christus
    " Durch ihn kam die Sünde in die Welt (V. 12).
    " Durch seine Sünde starben die Vielen (V. 15).
    ..............................................................................." Durch ihn ist Gottes Gnade und Gabe .................................................................................überreichlich zuteil geworden (V. 15).
    " Er bringt Verdammnis (V. 16).
    ..............................................................................." Er bringt Gerechtigkeit (V. 16).
    " Durch ihn herrscht derTod (V. 17).
    ..............................................................................." Durch ihn herrschen wir im Leben (V. 17).
    " Durch ihn ist Verdammnis über alle gekommen (V. 18).
    ..............................................................................." Durch ihn ist zu allen das Leben .................................................................................gekommen (V. 18).
    " Durch seinen Ungehorsam sind die Vielen
    zu Sündern geworden (V. 19).
    .............................................................................. " Durch seinen Gehorsam wurden die Vielen .................................................................................zu Gerechten (V. 19).


    Anhand der Gegenüberstellung wird deutlich, dass alles Schlechte von Adam und alles Gute, das hier aufgezählt wird, von Christus kommt. Bleibt die Frage, auf welche Weise unsere Sünde und unser Tod von Adam herkommen. Die größte christliche Kirche debattiert hier besonders hinsichtlich des Vers 12 seit langem heiß herum. Die Erbsünde wird hier hineininterpretiert. Sprachwissenschaftler wird der Satz als Anakoluthie bezeichnet. Hab ich noch nie gehört dieses Wort, aber es ist so. Mein Lexikon sagt mir, dass eine Anakoluthie die nicht folgerichtige Konstruktion eines Satzes ist. Dadurch entsteht ein Satzbruch, oder einzelne Satzteile werden ohne Zusammenhang bzw. unpassend aneinandergereiht. Ich plädiere dafür dieses Wort zum Unwort des Forenjahres zu nominieren.

    Der Satz endet also nicht so, wie er eigentlich sollte. Aber wie sollte er denn enden? Es kann vorkommen, dass man selbst einen Satz beginnt, dann aber zu einem anderen Gedanken übergeht, ohne den Satz zuvor korrekt beendet zu haben. Passiert mir sogar dann wenn ich es aufschreibe oder abtippe. Sicher leicht zu lesen und vor allem raten dann was ich wohl gemeint habe. Paulus macht es hier ähnlich. Er fängt an: „Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist ...“ – dieser Ansatz schreit ja förmlich nach dieses einem Gegensatz, aber dazu kommt Paulus nicht mehr, obwohl sich der Satz im griechischen Text bis zum Ende von Vers 14 erstreckt. Man kann aber die kommenden Gegensätzen, die Paulus in diesem Kapitel aufstellt, heranziehen um zu verstehen, was Paulus sagen wollte: Wie Sünde und Tod durch einen Menschen in die Welt kamen, so wurden auch Erlösung und Leben durch einen Menschen, Jesus Christus, gebracht. Vers 12 zeigt deutlich, dass Sünde und Tod durch Adam kamen.

    Wie es dazu kam, ist nicht ersichtlich. Der Gedanke Erbsünde und Erbschuld, die Adam auf all seine Nachkommen übertragen habe ist mir persönlich fremd. Wir alle sollen Sünder sein, weil Adam gesündigt hat. Und zwar nicht nur in dem Sinne, dass wir die Folgen der Sünde Adams mittragen müssen, sondern so, als hätten tatsächlich {wir} gesündigt und damit Schuld auf uns geladen. Daraus ergeben sich ja auch die Schlussfolgerungen, die zur Säuglingstaufe führen.
    Konsequent zu Ende gedacht hieße das: Wir werden als Sünder und schuldig geboren, weil uns Sünde und Schuld von Adam her – sozusagen genbedingt – als Erbmasse mitgegeben sind. Kann’s nicht sein, oder? Widerspricht der Sicht göttlicher Gerechtigkeit – zumindest der Gerechtigkeit wie ich sie aus der Bibel interpretiere.

    Andere Bibelkommentatoren – einschließlich fast aller modernen Bibelübersetzungen – deuten diese grammatikalischen Komponenten, als weil. Gemäß dieser Variante sind wir Sünder, aber nicht „in“ Adam, vielmehr „weil“ wir selbst gesündigt haben. Paulus verwendet dieselbe Wendung noch an drei anderen Stellen (2 Ko 5,4; Phil 3,12; 4,12). Jedesmal bedeutet sie „weil“, und das trifft hier im Römerbrief wohl auch zu. Das klärt allerdings nicht die Frage, wie unsere Sünde mit Adams erster Sünde zusammenhängt. Aber im Endeffekt geht Paulus hier nicht wirklich auf diesen Aspekt ein, da er auf etwas anderes zielt. Er nimmt es als Tatsache hin, dass Adams Sünde die Welt und uns alle ins Verderben gestürzt hat. Seine Sünde brachte die tödliche Macht der Sünde in die Welt, vorher war sie ja nur außerhalb seitens Satans und der gefallen Engel präsent. Paulus geht es in diesem Zusammenhang wahrscheinlich darum, zwei unterschiedliche Lebensarten einander gegenüberzustellen, für die Adam und Christus als Modelle stehen.

    Jeder Mensch lebt das eine oder andere dieser Modelle. Adam steht für eine Lebensart, die sich an der Sünde orientiert (obwohl das nicht bedeutet, dass Adam nicht gerettet sein kann – Gott entscheidet natürlich auch hier souverän), Christus steht für ein Leben, das sich an der Erlösung ausrichtet. Eins der beiden Modelle trifft in jedem Fall auf einen Menschen zu. Wir identifizieren uns entweder mit dem einen oder mit dem andern.

    Für Verwirrung sorgt aber vielleicht noch der geschichtliche Aspekt im Blick auf Gesetz, Sünde und Tod. Im vorigen Kapitel (Rö 4,15) schrieb Paulus, dass es ohne Gesetz keine Übertretung gibt. Daraus könnte man schließen, dass Sünde erst zum Problem wurde, nachdem das Gesetz eingeführt worden war – nicht wenige begründen so ja ihre Abneigung gegenüber dem Gesetz. Nun ergänzt Paulus, dass die Sünde schon in der Welt war, bevor Gott durch Mose das Gesetz gab, auch wenn sie nicht „zugerechnet“ wurde (Rö 5,13). In Römer 5,20 heißt es, dass das Gesetz „daneben hinzugekommen“ ist, damit die Sünde mächtiger wurde. Wie passen all diese Aussagen unter einen Hut? Paulus lehrt, dass das Problem der Sünde mit Adam begann. Adam übertrat ein bestimmtes Gebot Gottes. Die Folge der Sünde ist Tod. Die Tatsache, dass der Tod in der Zeit von Adam bis Moses bereits über die Menschen herrschte (V. 14), ist der beste Beweis dafür, dass die Sünde bereits in der Welt war. Als das Gesetz gegeben war, deckte es das Wesen und das ganze Ausmaß der Sünde auf. Obwohl die Sünde immer verheerender um sich griff (Höhepunkt Sintflut), wurde erst klar, worum es geht, als das Gesetz genau definierte, was Sünde ist. Was erkennen also diejenigen, die das Gesetz für obsolet erklären wollen? Das Gesetz offenbart die Sünde in ihrem spezifischen Carakter. (Zitat Genfer Studienbibel) So gesehen machte das Gesetz die Sünde „mächtiger“ (überströmender). Aber auch hier ist Paulus scheinbar nicht an der Macht der Sünde interessiert, sondern will sagen: Selbst wenn das Gesetz die Sünde mächtig macht, Gottes Gnade ist viel mächtiger. Deshalb gibt es für uns keinen Grund, in Adams Fußtapfen zu gehen und auf die Sünde fixiert zu leben. Gottes Gnade, die er für alle in Christus überreichlich bereithält, überwindet das Problem der Sünde bei weitem. Aber wenn es wirklich so ist, dass Gottes Gnade mehr als ausreicht, jede Menge Sünden zuzudecken, warum sollten wir da nicht einfach drauflos sündigen, damit die Gnade um so mächtiger werden kann? Diese Frage liegt nahe und sie hat doch eine gewisse Logik in sich. Paulus geht jedenfalls in Römer 6 darauf ein. Das wird dann hoffentlich ein bisschen Licht auf diese scheinbare Logik werfen.

    Grüße

    Tricky



    Mit folgendem Code, können Sie den Beitrag ganz bequem auf ihrer Homepage verlinken



    Weitere Beiträge aus dem Forum Nachtperle's Plauderecke



    Ähnliche Beiträge wie "Kommentar zum Römerbrief von Tricky"

    Paris Hilton ey kein Kommentar so eine Blöde Kuh - Leni (Montag 16.01.2006)
    kommentar zum thema - Lance (Dienstag 28.11.2006)
    Alle kanacken hier ein kommentar abgeben !!!! - sunnyboy66 (Mittwoch 03.01.2007)
    Ohne Kommentar - Schwarzer (Donnerstag 25.10.2007)
    Der Witz mit der Schachtel + Kommentar - Midian (Donnerstag 28.12.2006)
    HL² Kommentar - heyDude (Samstag 22.01.2005)
    Kommentar zu Schalkes GAZPROM Deal - Claus (Mittwoch 11.10.2006)
    THEMA: OLLIS ANNA´s Kommentar... - jan0 (Freitag 16.06.2006)
    Kommentar - pourquoi (Freitag 10.03.2006)
    Kommentar - nataliearnhold (Freitag 25.08.2006)