Mia

Anmeldungsdatum: 04.06.2007 Beiträge: 144 Wohnort: im schönen Bayern
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Verfasst am: 16.06.2007, 17:00 Titel: ein trauriges Ende und ein wunderschöner Anfang |
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| Ich stand immer noch an das Stallgebäude gelehnt, spürte den kühlen Wind in meinen Haaren und blickte zu der mächtigen Eiche auf, die sich vor mir erstreckte. Die Anstrengung des vergangenen Tages überkam mich plötzlich mit einer bleiernen Schwere und am liebsten wäre ich vor Erschöpfung gleich hier und jetzt zusammengesunken und eingeschlafen. Ich zwang meine Beine, nicht nachzugeben und blickte weiterhin in die sich leicht hin und herwiegende Krone. Der braune Stamm, die säuselnden Blätter. Ich liebte Bäume, diese großen, starken und sanften Freunde, die mir mehr Vertrautheit und Sicherheit gaben als sonst irgendwas auf der Welt. Abgesehen vielleicht von Büchern. Während mein Körper schmerzte und verzweifelt nach Schlaf schrie, hatte ich das Gefühl, mein Verstand wäre nie wacher gewesen. Ich fühlte den Stich in mir, wenn ich an den Abschied dachte, an den Abschied von meinen Probepferd. Ich hatte von Anfang an gewusst das es eine Freundschaft auf Zeit war, aber dennoch . . . . Ich schloss die Augen und spürte, wie langsam Ruhe in meine Gedanken kehrte. Ich musste nicht mehr nachdenken, alles war geklärt, alles war sicher. Als ich die Augen öffnete und die Eiche vor mir sah, erinnerte ich mich an eine Ethikstunde in meiner alten Schule und urplötzlich viel mir ein Zitat ein, was ich seither niemals vergessen habe: "Eine Disfunktionalität aller Dinge erschließt eine absolute Freiheit. Sie kann Angst auslösen; denn sie setzt in Widerspruch zur Dynamik des leibhaften Wünschens. Durch Angst und abgründige Unsicherheit - durch ein Gefühl, als verlöre man den Boden unter den Füßen - muss das Ich in diesem Prozess seiner Selbstbildung gewiss hindurch; immer am Rande der Verzweiflung, wo jede Geste, mit der man indirekt das Leben bejaht, wie die Teilhabe an Beckettschen Endspielen erscheint. Anders als in diesem Ausgesetztseins in die nicht verdrängte Angst kann ein wahrhaftiger und darum in bestimmter Hinsicht auch enttäuschungsresistenter Mut zum Sein gar nicht gewonnen werden. Wer es dagegen in Wahrheit erlernt, sich zu ängstigen, er wird wie im Tanze schreiten, wenn der Endlichkeit Ängste aufzuspielen beginnen, und der Endlichkeit Lehrlinge Verstand verlieren und Mut." Was es bedeutete? Es bedeutete, dass wir alles um uns beschränkten, in dem wir Dingen Namen gaben. Wir hatten uns eine Konstitution in einem Nichts erbaut, um Sicherheit zu erlangen, um Dinge erklären zu können. Alles hatte einen Zweck und eine Funktion, alles, jedes noch so kleinste Ding. Nur den wenigsten Menschen war klar, dass dies eine zur Sicherheit erschaffene Welt war, die eigentlich nicht wirklich wichtig war, sogar falsch. Die meisten verspürten eine unglaubliche Angst, wenn sie merkten, dass das Ganze, dass, was wir nicht beschreiben konnten, unser eigentlicher Lebensraum war. Diese Angst ist so allumfassend, so unbeschreiblich, dass Ängste, die in dieser kleinen Konstitution stattfanden, unwichtig wurden. Ich hatte dies schon lange begriffen und mich beruhigte es. Einfach mal aus der Welt des Beschränktseins ausbrechen und das Absolute sehen, das Ganze, das Unbeschreibliche und zu merken, dass der Boden mir unter den Füßen weg glitt, dass eigentlich nichts wichtig war. Nicht die Liebe, nicht der Schmerz, nicht die Trauer, nichts, was wir einem Namen geben konnten. Genau daran erinnerte ich mich in diesem Moment und es erleichterte mich. Es würde mir natürlich Schmerzen kosten, unglaubliche Schmerzen, Luca abzugeben, aber angesichts dessen, dass sowieso alles zweifelhaft war, war es nicht der Schmerz, der mich zerstören würde. Ich richtete mich langsam auf, ging zu der Eiche hin und berührte ihren rauen Stamm mit meinen klammen Fingern. Nie mehr wollte ich diesen Schmerz haben, nie mehr. Ich legte mein Gesicht an den Stamm und schloss die Augen, hörte nur noch das Rauschen der Blätter und spürte nur noch den kalten Wind. Nun war es also so weit. Der Moment des Abschiedes war gekommen und obwohl mir noch nie im Leben etwas schwerer gefallen war, spürte ich dennoch eine Last von mir abfallen, die Last der Verantwortung. In der Dämmerung ging ich zu meinem Fahrrad, was wie immer geduldig auf mich wartete. Liebevoll strich ich mit meinen vor Kälte rauen Fingern über den Ledersattel, hielt einen kurzen Moment inne und fuhr dann zum Hof. Die Außenlichter waren an und ließen ein warmes Licht über den Hof gleiten. Das verschnörkelte Schild glitzerte wie pures Gold, als ich "Birkenhof" darauf las und sofort traten Bilder in meinen Kopf, als ich es das erste Mal gesehen hatte. Ich öffnete das Hoftor und schob mein Fahrrad zu den anderen. Ich betrat das Büro wo schon Sarah wartete. Sie saß an ihrem Schreibtisch und blickte mich unverwandt an, als ich eintrat. "Unterschreib hier", sagte sie und deutete auf eine leere Linie. Ohne den Zettel auch nur anzublicken, setzte ich meine Unterschrift darunter. Meine Hand zitterte so heftig, dass es fast unleserlich wurde. „ na dann ist alles geregelt. Miramis gehört dir“ sagte Sarah fröhlich. Dann wurde sie ernst. „ du kannst dich ja davor noch von Luca verabschieden“ sagte sie liese. Ich schluckte und nickte. Ich warf ihr im Rausgehen einen Blick zu und war entsetzt über den leidenden Ausdruck in ihren Augen. Keiner fühlte so mit mir, wie sie. Mit jedem Schritt, den ich dem stall näher kamen, wurde das Grauen in mir größer. Ich konnte Luca nicht rufen, oder irgendwas sagen. Stumme Tränen rollten über mein Gesicht, als ich durch den Zaun schlüpfte, auf ihn zu ging, ihm sanft an den Nüstern berührte und mich in seiner zotteligen Mähne verkroch. Dieser Geruch, dieser vertraute Geruch, der mir schon so oft Sicherheit und Geborgenheit gegeben hatte, löste jetzt in mir einen solchen unerträglichen Schmerz aus, dass ich herzzerreißend schluchzte und auf die Knie sank. Sofort senkte Luca den kopf und stupste mich an. Ich stand wankend auf und stützte mich an dem Fuchs ab. Ich weiß nicht, wie lange ich in ihre Jacke geschluchzt habe, aber die Trauer hörte einfach nicht auf. Aber ich war bereit für was neues, einen neuen Lebenseinsschnitt. Ein neues Pferd. Mit einem letzten wehmütigen Schluchzen drehte ich mich um und ging zur Hengstweide. Zu meinem neuen Pferd. Fast Schwarz, stark, schnell, treu, sanftmütig, dennoch rebellisch. Miramis. Ein junger Hengst. Mit ihr würde ich eine Freundschaft aufbauen, die Höhen und Tiefen hat die aber ewig bleibt. Ich wollte ihn selbst einreiten. Und so was verbindet auf Lebzeiten. Wer das leugnet, der lügt. Ich blickte auf. Die Weide war weit, und man konnte nicht ihr Ende entdecken. Doch das was mich hierhin zog das sah ich. Miramis. Er stand im dem warmen Wind und seine lange Mähne spielte mit ihm, so kam es mir vor. Nein. Miramis spielte mit dem Wind. Mit dem Sturm. Das war das, was ihn vollkommen machte. Er beschrieb genau seinen Charakter. Plötzlich schnellten seine Hufe in die Höhe und im nächsten Moment donnerten sie die Wiese entlang. Die anderen Pferde schreckten ängstlich zur Seite. Doch Miramis galoppierte leicht über die Weide und stoppte vor mir. Er schnaubte laut in die Luft und wieherte schrill. Irgendwie sah er bedrohlich aus, doch das war, das was mich faszinierte. Diese bedrohliche und trotzdem anscheinend so zerbrechliche Art die er ausstrahlte. Dieses Pferd vertrat einfach alle Eigenschaften und der wildesten Zusammensetzung. Ich streckte die Hand aus um ihn zu streicheln, doch er warf aufgeregt den Kopf in die Luft und trabte davon. Ich grinste und beobachtete ihn eine ganze Weile. Ich setze mich dafür auf den Boden. Noch immer zitterte ich, aus Ehrfurcht vor diesem Pferd. ich konnte mich nicht lösen von diesem anmutigen Tier. Erst als ich merkte wie der Abend dämmerte stand ich auf, reckte meine steifen Glieder und ging, mit einem letzten Blick zurück, nach hause. |
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