Recherchen

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    Re: Recherchen

    saskat - 02.09.2005, 20:49

    Recherchen
    Ich weiß, wenn ich diese Geschichte erzähle, werden mich alle für verrückt halten. Aber ich werde sie erzählen, und sei es nur, weil ich sonst glaube, den Rest meines Verstandes zu verlieren. Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. Ich kann ja noch nicht einmal sagen, wie es eigentlich begann. Alles was ich mit Sicherheit weiß ist, das die Sonne bald unter geht und ich mich beeilen muß.
    Meine Zuflucht hat nur ein kleines Fenster, das die letzten Sonnenstrahlen durch das schmierige Glas läßt. Ich habe Angst, aber ich werde mich zusammenreißen.
    Solange wie ich es schaffe, werde ich bleiben. Was dann kommt? Nur Gott weiß es.
    Alles begann vor drei Monaten auf einer Internettour. Ich hatte vor, für eine neue Geschichte, die ich zu schreiben gedachte, ein paar Informationen zu sammeln. Ich schreibe für mein Leben gerne Geschichten, wissen Sie.
    Diesmal wollte ich nachvollziehende Tatsachen mit einbringen. Alles sollte so authentisch wie möglich wirken.
    Ich wollte eine Vampirgeschichte schreiben. Ich war schon immer fasziniert von den Geschöpfen der Finsternis. Ich gebe sogar zu, ein regelmäßiger Buffy Gucker zu sein.
    Nun, wie dem auch sei, hatte ich in einer Suchmaschine einfach das Wort Vampir eingegeben. Es taten sich Unmengen von Seiten auf. Normalerweise verliere ich schnell die Lust daran, aber es war nahezu unglaublich, was für eine Fülle von Informationen sich zusammen trugen. Ich verbrachte den ganzen Tag damit, hier und da Textzeilen zu kopieren um sie später zu verwenden, bzw. aus dem Wissen zu schöpfen. Die Zeit verging wie im Flug und als ich auf die Uhr schaute, stellte ich fest, das ich über acht Stunden das Net geschröpft hatte.
    In der darauf folgenden Nacht träumte ich. Ich träumte vom Mond und von grauen Wiesen, auf die das Sternenlicht fiel.
    Als ich am nächsten Tag weiter recherchierte landete ich auf Seiten, auf denen angeblich echte Vampire miteinander kommunizierten. Es war witzig, ich habe mich in Foren auf Diskussionen und Debatten über Vampirismus eingelassen. All die Aussagen der User hatten schon einen festen Platz in meinem Hirn, um sie zu verwenden.
    Ich kann gar nicht sagen wie, aber ich rutschte immer tiefer hinein. Ich traf auf Menschen, die sich genau so lustig darüber machten wie ich es tat, aber ich traf auch auf andere, deren fester Glaube mich tief erschütterte.
    Die Welt um mich herum hatte bald keine wirkliche Bedeutung mehr. Zeit war nicht mehr relevant. Besessen von der Faszination der Abgründe, die sich auftaten, trat ich aus dem Licht meiner Welt, in den Schatten einer anderen, ohne es wirklich zu merken. Nur der kalt gewordene Kaffe und die verrauchten Kippen an meiner Seite ließen mich ahnen, wieviel Zeit verging.
    Freunde, die zu mir kamen, speiste ich mit einer fadenscheinigen Erklärung, das es mir nicht gut ginge, wieder ab. Genau machte ich es bei meinem Arbeitgeber.
    Und wissen Sie was. Ich sah auch wirklich krank aus. Meine Haut war fleckig geworden, meine Augen rot unterlaufen. Mein Blick hektisch. Ich hatte mich nach kurzer Zeit verloren. Ich suchte nun nicht mehr nach Informationen ÜBER Vampire...ich suchte NACH Vampiren.
    Und Sie glauben ja nicht, was das Net alles bietet für ein krankes Hirn.
    Sie glauben es nicht.
    Ich versprach mir immer wieder das das alles ein Ende haben wird, wenn ich erst mal mit meiner Geschichte fertig bin. Wenn ich erst einem angefangen hätte, sie überhaupt zu schreiben.
    Irgendwann bekam ich eine E-Mail von einem Mädchen, das ich nicht kannte, und mit dessen ich auch nie gechattet hatte.
    Die Mail enthielt folgende Wort
    VORSICHT!
    Sie wissen das du sie suchst.
    LEBE deine Leben, bevor es zu spät ist.
    Wende dich ab.
    Wach auf!
    Gruß Tascha.
    Ich war so durcheinander. Wer die Frau und wie kam sie an meine E-Mail Addy? Nun, letzeres dürfte sicher kein Problem gewesen sein, da ich, um auf verschiedenen Seiten überhaupt mitreden zu könne, mich registrieren mußte. Dazu gehörte auch die Mail Adresse. Ich ärgerte mich über meine Unwissenheit und schrieb ihr zurück.
    Tascha,
    melde dich bei mir. Ich glaube, du kannst mir etwas erzählen!
    Gruß Babsy
    Ich schrieb meine Telefonnummer unter die Mail und wartete vier Tage, an denen sich gar nichts tat. Es war furchtbar. Immer wieder durchsuchte ich meine Post nach einer Meldung von Ihr. Ich nahm mein Handy überall mir hin
    Ich machte mir über alles und jeden Gedanken. Ich war wie besessen von der Hoffnung auf einer Nachricht von ihr. Alles, was sonst so alltäglich war, wurde anstrengend und ich schaffte es nur mit aller größter Mühe durch meinen Alltag. Dinge, die ich sonst mit links erledigte, wurden zu einem schier unüberwindbarem Hindernis. Das Geschirr zu spülen, oder ein Telefonat zu führen. Die Realität war verzerrt und entglitt mir aus den Händen.
    Routine war Höllenqual und Höllenqual Routine.
    So schlurfte ich durch meine Tage bis ich eine weitere Mail bekam.
    Sie strebte ein Treffen mit mir an, um mir ein paar wichtige Hinweise zu geben. Sie gab mir eine Adresse in der Nähe ihrer Stadt da sie sich nicht wagte, mich bei sich zu Hause zu entfangen.
    Es war das letzte Wochenende im April und ich nahm alles Geld, das ich für den Monat noch zur Verfügung hatte, um mir eine Zugfahrkarte zu kaufen. Wie ich wieder zurück kommen sollte, wußte ich bis dahin noch nicht.
    Ich fuhr mit der Bahn zum abgesprochenem Bahnhof und wartete zwei Stunden in der Kälte des Abends.
    Während die Sonne sich langsam dem Untergehen neigte, beobachtete ich die Menschen um mich herum, da ich keine Ahnung hatte, wie sie aussah. Nicht zu wissen, auf was man sich einläßt, hat einen gewissen Reiz und mein Herz und mein Verstand führten einen Krieg, den mein Verstand unmöglich gewinnen konnte.
    Man mußte sich nur mal vorstellen, warum ich hier in einer fremden Stadt stand und fror, die Leute um mich herum betrachtete und nicht einmal mehr Geld für Zigaretten hatte. Letzteres erwies sich als äußerst problematisch. Langsam aber sicher bekam ich es mit der Angst zu tun. Mir wurde bewußt, wie Idiotisch es war. Ich war 340 Kilometer von zu Hause entfernt, hatte keinen Pfennig in der Tasche und Hunger hatte ich zudem.
    Da klopfte mir jemand auf die Schulter und ich fuhr zusammen, wie noch nie in meinem Leben.
    Mein Herz donnerte einen mir unbekannten Rhythmus und das Blut jagte durch meine Adern.
    Da stand sie nun und sah mich an. Eine junge Frau von nicht einmal fünfundzwanzig Jahren. Haare so blond das sie selbst der Sonne Konkurrenz machten. Große, blaue Augen, die ebenso gezeichnet waren von durchmachten Nächten wie meine. Zittrige Hände fasten meinen Arm und wortlos führte sie mich aus dem Bahnhof in eine kleine Kneipe direkt daneben.
    Ich ließ mich mitziehen. Ebenso still wie sie.
    Wir ließen uns an einem Tisch in einer der hintersten Ecken nieder, und ehe ich ihr von meinem finanziellen Dilemma erzählen konnte, hatte sie schon zwei Altbier-Cola bestellt.
    Mit einer beiläufigen Handbewegung wischte sie meinen Einwand des Geldes wegen fort.
    „ Ich komme nicht einmal mehr nach Hause,“ sagte ich ihr, aber sie lächelte nur und zuckte mit den Schultern.
    „ Mach dir darüber keine Gedanken, wenn wir die Nacht überleben, gebe ich dir das Geld.“
    Ich mußte sie sehr verblüfft angeschaut haben, denn sie lachte.
    Dann, nachdem wir unsere Getränke auf dem Tisch hatten, erzählte sie mir ihre Geschichte.
    Ihr Name war Tascha und sie war Theologiestudentin an der hiesigen Uni. Durch eine Aufgabe, die sich mit dem christlichen Mythen beschäftigte, kam sie auf dieselbe Thematik wie ich.
    Nur das sie nicht mehr suchte, sondern gefunden hatte, was ich in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen wagte.
    „ Es gibt sie,“ flüsterte sie nach ihren Ausführungen.
    Ich wollte etwas sagen, konnte es aber nicht. Die Umgebung zoomte sich von mir weg und wurde von dem Zeitpunkt an unerreichbar.
    Sie erzählte, wie sie durch einen Zufall in einem unterirdischem Tunnelsystem, das sie durch das durchstöbern der Stadtgeschichte gefunden hatte, dutzende von Kammern entdeckt hatte. Das Tunnelsystem erreiche man durch einen Zugang der Kanalisation.
    Die Kammer, so erklärte sie, seine nichts weiter als Vorratskammern. Sie konnte die Überreste von Menschen darin ausmachen, außerdem ganze Kisten, die in der Kühle der Kanalisation Blut lagerten. Sie suchte nach diesem Vorfall die Polizei auf, aber als sie in die von ihr beschriebenen Räume kamen, waren alle Spuren beiseite geschafft und auch die Reste der Leichen waren fort. Die Polizei fühlte sich von einer Irren verarscht. Es blieb ihr nichts anderes übrig als ihren Professor von ihrer Entdeckung zu berichten, aber dieser wies sie scharf zurück, mit der Begründung, das sie ärztliche Hilfe benötige. Niemand wollte ihr Glauben schenken. Nach einigem hin und her wurde sie zu guter letzt auch noch der Uni verwiesen.
    Irgendwann entdeckte sie mich dann in einem der Foren und las meine Unterhaltungen mit den Menschen dort mit.
    Sie hatte genug Wissen über das Internet und über Computer, um meine Spur zu verfolgen und mich ausfindig zu machen. Nun, so sagte sie, werde sie beweisen, das sie nicht gelogen hatte. Wir beide, sie und ich, würden die Höhlen aufsuchen und den Menschen die Wahrheit präsentieren.
    „ Aber du hast mich gewarnt,“ brachte ich ein mit dem Versuch, ihren Sinneswandel nachzuvollziehen.
    Sie nickte und umklammerte ihr Glas.
    „ Aber jetzt bist du so weit wie ich es war, und genau so hartnäckig. Alleine schaffe ich es nicht. Niemand anders will mir glauben.“
    „ Wer sagt dir das ich dir glaube?“ fragte ich sie.
    Sie sah mich an und mir wurde heiß und kalt.
    „ Du bist doch hier, oder?“
    Das konnte ich nicht leugnen, das konnte ich nun wirklich nicht.
    Nachdem wir die Getränke bezahlt hatten, erklärte sie mir ihren Plan.
    Wir würden uns mit Taschenlampen und Waffen ausrüsten, die sie von ihrem Vater gestohlen hatte.
    Mit einem Fotoapparat, den sie ebenfalls geklaut hatte, war sie fest entschlossen, Beweise festzuhalten.
    Danach würden wir wieder verschwinden. Ohne, das irgend jemand auch nur eine Ahnung davon bekommen würde, was passiert war.
    Ich war zu abgedriftet, um einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Ich sagte tatsächlich zu, denn die Gier nach dem Unfaßbaren durchzog meinen Körper wie eine Krankheit ohne Hoffnung auf Heilung.
    Wir verließen das Lokal und sie wies mich an, in einem Hotelzimmer, das sie gemietet hatte, zu warten, bis sie mich holen würde.
    Das Zimmer war klein und schäbig. An einer Wandbefestigung hing ein kleiner schwarzweiß Fernseher und ich zappte mich durch das verrauschte Programm. Meine Augen wurden schwer und ich hatte Mühe wach zu bleiben.
    Tascha hatten ihren Laptop in dem Zimmer und weil ich nicht wußte, was ich machen konnte, damit ich nicht einschliefen würden, schaltete ich ihn ein und durchstöberte ihre Dateien. Ich weiß, das tut man nicht, aber sei’s drum. Eine Datei kam mir besonders seltsam vor.
    Sie ließ sich nur mit einem Paßwort öffnen und trug den Namen „ Preis“
    Tascha kam nach einer Stunde dreißig Minuten wieder und hatte einen Rucksack mit allen was sie besorgt hatte, dabei.
    Wir machten uns auf den Weg.
    Die Nacht war klar und herrlich. Es war zwar noch kalt, aber die ersten Anzeichen des bevorstehenden Frühlings beruhigten unsere Nerven.
    Die frische Luft klärte meinen übermüdeten Verstand und berechtigte Zweifel keimten in mir auf. Doch Tascha war fest entschlossen, und ich konnte sie verstehen. Ihre Ehre stand auf dem Spiel, nicht nur das, Ihr Verstand und ihr Glaube standen auf dem Spiel. Sie mußte diesen Weg gehen, ein Blick in ihre Augen sagte das besser als tausend Worte, die ich hier schreiben könnte.
    Sie hatte ihr blondes Haar im Nacken zusammen gebunden und ihre blauen Augen waren groß und hektisch.
    Wir gingen eine Straße entlang, die uns unweigerlich zu einer Brücke führte. Die verrosteten Brückenpfeiler und das darum gespannte Draht ragten wie verstümmelte Tiere in den Nachthimmel. Sie stieß mich an und rutschte den kleinen Abhang daneben runter. Als ich das Geräusch ihres Reisverschlusses am Rucksack hören konnte, folgte ich ihr.
    Ich schlitterte einer matschigen Spur entlang und landete unsanft auf meinem Hintern.
    Tasch sah mich an und kicherte leise. Selbst ich rang mir ein Schmunzeln ab. Meine Hose war völlig verdreckt und vergeblich wischte ich mir über den Hosenboden.
    Tasche kicherte wieder und hielt sich dabei ängstlich die Hand vor den Mund. Ihre Augen waren in Panik geöffnet und wir hatten mehr Angst als man ertragen konnte.
    Doch wir standen da, kicherten und starrten auf meinen Hintern.
    Der Mond über uns betrachtete das unbeteiligt.
    Unter der Brücke lag der Zugang zu dem Kanalisationsystem. Eine, fast zwei Meter hohe, vergitterte, runde Tür.
    Überzogen mit Unkraut und wildem Efeu. Doch die Spuren ihrer regelmäßigen Benutzung waren unübersehbar.
    Dort, wo einst ein Schloß gewesen sein mußte, waren die Ranken des Efeus abgerissen und der Stahl der Tür darunter beinahe blank.
    Tascha kramte immer noch kichernd in dem Rucksack herum und beförderte eine Taschenlampe zu Tage, die sie nachdem sie diese ein paar mal geschüttelt hatte, auch an bekam. Das Licht, das auf den blanken Stahl fiel, ernüchterte uns ein wenig und wir hielten inne.
    Tasche rüttelte an dem Tor und es knarrte in seinen Angeln.
    Erschrocken drehten wir uns nach allen Seiten um. Das Geräusch schien so laut. Aber vielleicht nur in unseren Ohren.
    Tascha trat als erstes in die Dunkelheit. Der Strahl der Lampe fiel auf die gammligen , nassen Wände. Sie waren mit einer Art Kopfsteinpflaster gemauert. Grünes, schimmeliges Zeug, das ich nicht einordnen konnte, bedeckten die Wände und die abgerundete Decke, die ca. einen Meter über unseren Köpfen lag. Der Boden war naß und schlammig. Jeder unserer Schritte verursachte ein Platzgeräusch, das aus dem langen Gang, in dem wir uns befanden, hallend zurückgeworfen wurde.
    Das Wasser, das am Boden ca. Handtief war, drang in unsere Schuhe und unsinniger Weise mußte ich an das gute Leder denken, das nun sicherlich versaut war. Tascha bestrahlte die Wände und schwang die Taschenlampe hin und her um einen genauen Überblick über die Örtlichkeiten zu bekommen. Hier und da zweigte ein Tunnel vom Hauptgang ab, durch den wir nun schon gut und gerne fünf Minuten liefen. Aber Tascha war zielstrebig und blieb auf unseren Kurs. Nach einer Ewigkeit so schien es mir, fiel der Tunnel ein wenig ab und auch die Beschaffenheit der Wände hatte sich geändert. Sie waren nun größtenteils trocken und aus einer Art Fliesenstein. Der Boden war zwar noch schwammig, aber bei weiten nicht mehr so naß, was sicherlich auch daran lag, das das Wasser nach unten abfließen mußte.
    Der Gang wurde deutlich höher.
    Ich hatte eine der Taschenlampen an mich genommen und folgte mit ihrem Strahl die Wände bis hoch zur Decke. Kathedralenartig wölbte sie sich gut drei Meter über unseren Köpfen und in regelmäßigen Abständen konnte ich Öffnungen ausmachen, die in den Stein gelassen waren. Manche mußten seit Jahren trocken sein, an anderen lief ein dünner Rinnsal Wasser herab und sammelte sich nach verworrenden Pfaden auf dem Stein in einer Pfütze am Boden. Überall sang das Wasser Lieder. Es platschte und plätscherte mal gedämpft durch die Rohre, mal laut und fröhlich zu unseren Füßen.
    Die Luft war stickig und feucht, aber man hatte nicht das Gefühl, das seit Jahren keine Frischluft mehr hier herunter kam. Offensichtlich gab es Verbindungen nach Draußen an die Oberfläche. Wenn wir an Abzweigungen vorbeiliefen, fiel mir hier und da ein Hauch von Zugluft auf, an dem ich frösteln vorbei huschte.
    Tascha blieb stehen und ich wäre ihr beinahe in den Rücken gelaufen.
    Sie stand an einem Eingang zu einem weiterem Hauptsystem und blickte sich um.
    „ Sind wir noch richtig?“ fragte ich und war besorgt. Immerhin waren wir schon Minuten, wenn nicht schon eine halbe Stunde unterwegs, und obwohl wir beinahe immer geradeaus gelaufen waren, hatte ich das Gefühl für Orientierung schon verloren. Ich konnte mir nicht einmal ausmalen, wie tief wir schon unter der Erde waren. Das seltsamste war, das es nicht völlig dunkel war. Sicher spendeten unsere Taschenlampen viel Licht, aber mir was bewußt, das es nicht die einzige Quelle war, von der aus der Tunnel beleuchtet wurde. Er schien von Innen heraus zu leuchten. Die Wände wirkten phosphoreszierend.
    Tascha nickte und legte einen Finger auf ihre Lippen um mir zu deuten still zu sein.
    Sie zeigte in den Eingang rechts von ihr und winkte mich rein.
    Ich folgte ihr. Wir liefen mal links, mal rechts. Mal waren die Wände hoch, mal wieder so niedrig, das wir uns bücken mußten. Meine Jacke und meine Hose waren schlammverkrustet. Meine Füße konnte ich kaum noch spüren, so kalt und naß waren sie. Tascha wurde immer rascher. Ich hatte Mühe ihr zu folgen. Wie sie in diesem Irrgarten den Überblick behalten konnte, war mir schleierhaft. Plötzlich standen wir vor einer Verengung in der eine Tür eingelassen war. Tascha stoppte und gab mir den Rucksack. Während ich ihn in den Händen hielt, holte sie den Fotoapparat raus und nahm außerdem eine Waffe an sich, die ich nicht kannte. Nun, ich kenne sowieso keine Waffen. Aber sie machte mich nervös.
    „ Bist du sicher, das du weißt, wie man damit umgeht?“
    Tascha guckte mich entgeistert an und schüttelte mit großen Augen den Kopf. Ihre Lippen waren zu einer schmalen Linie verzogen und in dem Schein der Taschenlampe konnte ich Schlammspuren auf ihrem Gesicht erkennen.
    „ Ich hab keine Ahnung. Ich hoffe sie macht Eindruck.“
    Ich nickte. Auf mich machte sie großen Eindruck.
    Tascha öffnete die Tür einen Spalt breit und lugte hinein. Dann drehte sie sich nach mir um und auf ihren Gesicht war pure Erleichterung zu lesen. Ich entspannte mich und folgte ihr. Hier herrschte eine ganz andere Atmosphäre. Die Räumlichkeiten wirkten bewohnbar. In einer Art Flur, in dem wir uns befanden standen einige zwar veraltete aber dennoch brauchbare Möbelstücke. Die Wände waren trocken und verputz. Stromleitungen waren mit behelfsmäßigen Lampen und verschiedenen Fassungen versehen, in denen bunte Birnen hingen. Rechts vom Flur aus gesehen lagen die Kammern, wie Tascha sie nannte. Aber als ich eine der schweren Holztüren aufstieß, lag dahinter ein eingerichteter Raum mit einem Bett, einer Kommode, und einem kleinem Teppich davor. Auf der Kommode stand sogar ein Nachtlicht. So öffnete ich eine Tür nach der anderen, insgesamt fünf und alle waren im selben Stil eingerichtet. Auf einem der bezogenen Betten lag sogar ein aufgeschlagenes Buch. Alle Zimmer waren leer.
    Tascha stand im Flur und fand einen Lichtschalter.
    Augenblicklich durchflutete das Licht den dunkeln Ort und machte unsere Taschenlampen unsinnig. Einen geblendeten Moment lang hielt ich schützend die Hand für die Augen, bis sie sich an das Licht gewöhnt hatten.
    „ Das ist unglaublich,“ sagte ich und schaute Tascha mit Verwunderung an. Sie stand an der Tür zu diesem eigenartigem Ort und lächelte.
    „ Das ist wie ein Hotel,“ murmelte ich und stellte mit Verwunderung fest, das in dem letzten Zimmer sogar eine Tapete an der Wand war.
    Ich betrat das Zimmer und fuhr mit der Hand über das Bett. Es war frisch bezogen. Langsam keimte in mir ein ungutes Gefühl auf.
    „ Ich sagte doch, es wird dir gefallen.“ hörte ich sie hinter mir.
    Erschrocken drehte ich mich um. „ Mach deine Fotos, Tascha, wir müssen gehen.“
    Tascha kicherte und hielt sich die Hand vor dem Mund. „ Ich habe gar keinen Film drin,“ sagte sie gackernd und in der selben Sekunde wurde mir bewußt, was ich hätte schon merken müssen, als mich Tascha zielstrebig durch das Labyrinthensystem führte, aus das ich unmöglich alleine raus finden konnte. Ich fühlte die Angst wie eine Spinne meinen Rücken raufkriechen.
    „ Das war eine Falle,“ hauchte ich und nach einem Blick in Taschas Augen brauchte ich keine Antwort.
    „ Du verstehst das nicht,“ sagte sie und nahm die Waffe aus dem Hosenbund. „ Ich habe sie gefunden, du bist der Preis den ich zu zahlen habe.“
    Ich machte den Mund auf um etwas zu sagen, doch etwas anderes erregte meine Aufmerksamkeit. Schritte klangen von außerhalb des Flurs und in Taschas Gesicht zeigte sich etwas wie Angst.
    Ich ging zwei Schritte auf sie zu und packte sie, ohne auf die Waffe in ihren Händen zu achten. Ich legte meine Hände wie Schraubzwingen um ihre Arme und suchte ihren Blick.
    Sie zitterte und in ihrem Gesicht hatten sich hektische Flecken gebildet. Sie starrte mich an und ihre Lippen formten stumme Worte.
    „ Wir müssen weg,“ zischte ich. „ Warum sollten sie bei Einem halt machen, wenn sie Zwei haben können?“
    Ich schüttelte sie und hörte ihre Kiefer zusammen klappen.
    Die Tür schwang auf und stieß Tascha in den Rücken. Sie stolperte in meine Arme und sah mich überrascht an. Über ihren Kopf hinweg konnte ich die Frau sehen, die in der Tür stand.
    Ihre brauen Haare waren mit Nadeln wild durcheinander gesteckt. Ihr Gesicht war hübsch und ebenmäßig, ihre Haut rein und hell wie reine Seide. Ihre Augen blickten klar und neugierig. Sie war von kleiner und zierlicher Gestalt, die sie mit schönen und weich fallenden Stoffen umschmeichelte.
    „Das hast du gut gemacht, Tascha,“ sagte sie und legte ihre Hände auf Taschas Rücken.
    Sie verkrampfte sich in meinen Armen und drückte ihren Kopf auf mein Brustbein. Ich japste nach Luft. Nicht, das sie mir wegblieb, doch der Schmerz den sie damit verursachte nahm mir kurz den Atem.
    Die hübsche Frau, die ihre Hand immer noch auf Taschas Rücken hatte, grinste und legt damit ihre ersten Zähne frei.
    In diesem Moment änderten sich ihre Gesichtszüge. Die Haut wölbte sich, als ob Würmer darunter krochen. Dunkle Venen traten pulsierend unter ihrer Stirn hervor. Ich hörte etwas knacken, konnte es aber nicht einordnen. Doch dann sah ich, was es bedeutete. Ihre Kiefer verzogen sich. Sie riß den Mund auf und ihr Unterkiefer schon sich grotesk vor. Zähne drückten sich aus ihrem Kiefer und fielen auf dem weichen Boden, um anderen Zähnen, dunkel und gezackt wie das Blatt einer Säge, Platz zu machen. Ihre Lippen stülpten sich nach unten und gaben das fleischig rosa Zahnfleisch preis.
    Augen, die noch vor Augenblicken klar und bedacht auf uns schauten, drehten sich in den Höhlen und sackten tiefer in sie hinein, veränderten ihre Form und wurden trüb als läge Nebel in ihnen. Ihr Kopf ging ruckartig hin und her, verursachte dadurch knackende und knisternde Geräusche im Hals.
    Ich konnte sie nur anstarren. Das bibbernde Bündel in meinen Armen stöhnte und wurde schwerer.
    Sie rutschte an mir herunter und blieb auf den Knien liegen.
    Das Gesicht in den Händen vergraben.
    Ich zwang mich zu denken, zwang meinen Verstand zu arbeiten.
    Das Wesen war offenbar sehr mit seiner Verwandlung beschäftigt. Unter seinen fließenden Stoffen bewegte sich der Körper zu einem bizarren Rhythmus aus Knacken und Knirschen.
    Es warf den Kopf in den Nacken und kreischte.
    Ich fuhr zusammen. Das war der Moment, in dem sich mein Hirn einschaltete. Ich bückte mich, zerrte Tascha hoch und wandte alle Kraft auf um sie auf die Beine zu stellen.
    Ich nahm Anlauf und schubste mein gesamtes Körpergewicht gegen das Etwas, das verwirrt zur Seite taumelte und mich aus verblüfften Nebelaugen anstierte.
    „ WAS?“ krähte eine Stimme, die keinem Menschen mehr gehörte.
    Ich stolperte zur Tür und hievte sie auf. Ich warf Tascha auf den Gang und stolperte hinter ihr her. Aus dem Raum hinter uns donnerte heiseres Gebrüll das den Boden unter unseren Füßen erbeben ließ.
    Tascha hob den Kopf und folgte mit den Blicken dem Gang.
    „ LAUF!“ schrie ich und erschreckte mich über meine eigene Stimme, die von den Wänden zurückgeworfen wurde.
    Tascha sprang auf und rannte, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Ich blickte ihr hinterher und als das Wesen noch einmal schrei stellte ich fest, das sie mich allein ließ in diesem Irrgarten. Ich kroch auf allen Vieren ein Stück weiter, nur um von der Tür und dem Geschöpf, das sich dahinter verbarg, weg zu kommen. Nach ein paar Meter stellte ich mich wankend auf die Füße. Ein tiefes und kehliges Knurren veranlaßte mich, hinter mich zu schauen. Es stand hinter mir und ein bösartiges Grinsen umspielte das, was einmal Lippen gewesen waren. Schauer durchfuhren meinen Körper und drohten mir die Kontrolle über ihn zu nehmen. Ich konnte kaum stillstehen. Immer wieder durchzuckte ein weites Zittern meine Beine und meinen Rumpf.
    „ Hassst duuu gefunden, wonachhh duu gesuchht hasst?“ schnurre es durch unfaßbar lange Zähne, in einer Tonart, die meine Ohren zu hören verweigerten. Es lachte, doch es klang wie ein Knurren.
    Ich stapfte rückwärts und ließ das Ding nicht aus den Augen. Irgendwann spürte mein Rücken einen Widerstand und ich ertastete die Wand hinter mir.
    „ Ich glaube nicht, das du bist, was ich zu finden hoffe,“ entgegnete ich, drehte mich um und rannte.
    Das Etwas kreischte. Meine Ohren vibrierten unter dem laut und mein Kopf wollte zerbersten. Ich konnte ihre schnellen Schritte hinter mir hören, konnte sie fühlen.
    Atemlos rannte ich dem Gang entlang. Links und rechts rauschten Abzweigungen wie Ausfahrten auf einer Autobahn an mir vorbei.
    Mal war es hell, dann wurde es wieder dunkler.
    Ich wagte nicht mich umzusehen. Ich lief nach links und nach rechts, vollkommen Orientierungslos.
    Bis ich das Tösen hinter mir nicht mehr zu hören glaubte.
    Irgendwann gelang ich an eine alte, rostige Leiter die nach oben führte und ich stieg sie hinauf. Der Ausgang war verschlossen, aber ich stemmte mich mit aller Kraft, die ich noch hatte dagegen.
    Unter mir vernahm ich das Klack, Klack, Klack von Schuhen auf den Sprossen.
    Ich hievte mich nach draußen und die Morgensonne strahlte mir in mein verdrecktes Gesicht.
    Auf dem Hinterteil schleppte ich mich von dem Gully, wie ich ihn jetzt erkannte, weg und starrte in das dunkle Loch, aus das ich mich wie bei meiner eigenen Geburt gewunden hatte.
    Zwei helle Augen zeigten sich mir, doch nur ein oder zwei Sekunden, dann war es fort.
    Ich hörte es die Sprossen runter stolpern und legte mich auf den Rücken.
    Es hatte zu nieseln angefangen, aber das störte mich nicht.
    Ich blieb liegen, japste nach Luft und versuchte meine brennenden Lungen zu ignorieren.
    Das Wasser wusch mir den Dreck von den Wangen, während die Sonne höher stieg.
    Wie lange ich dort lag, kann ich nicht sagen.
    Ich weiß nur, das ich mich irgendwann aufrappelte und verzweifelt was über die Situation, in der ich mich befand.
    Ich schleppte mich zurück zu dem Hotel.
    Tascha war nicht dort. Ich weiß nicht, ob sie es schaffte.
    Ich nahm ihren Laptop und vertickte ihn in einem Pfandhaus am Bahnhof. Dann kaufte ich mir eine Kamera. Ich wollte das tun, wozu ich hergekommen bin.
    Vielleicht kann ich den Menschen etwas zeigen, was sie aufweckt.
    Ich habe mich den Rest des Tages in dem Keller eines alten Abrisshauses versteckt. Ich schreibe diese Zeilen hier, um sie später in einem Briefkasten zu werfen.
    Ich werde den Brief an die hiesige Universität adressieren.
    Ich weiß nicht, ob ich die Nacht heute überlebe. Wenn nicht, dann soll das der einzige Beweis sein, den ich vorlegen kann.
    Wie gesagt, ich habe nicht mehr viel Zeit.
    Ich gehe jetzt.
    Meine Angst bringt mich fast um.
    Aber ich gehe jetzt.



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