Shortstory: Graue Stille

Kokoro No Senshi
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    Re: Shortstory: Graue Stille

    <3LittleSweetChii<3 - 11.08.2007, 15:50

    Shortstory: Graue Stille
    Die Geschichte war eigentlich für den Wettbewerb in der Daisuki bestimmt ist dann aber ein Bisschen zu lang geworden (etwa 2 Seiten^^). Ich finde sie trotzdem nicht schlecht und wollte mal fragen, was ihr davon hält und was ich besser machen kann.


    Graue Stille

    Ruhig und leer lag die reichste Straße der Stadt Hannover im Regen. Kein Sonnenstrahl erhellte den grauen, kalten Morgen, kein Klang durchbrach die Stille. Nur einige verwirbelte Wolkenfetzen rasten wie im Wettlauf über die leeren Straßen und Gärten. Es war später Herbst und man konnte das Sterben fast fühlen, wenn man zwischen den nunmehr kahlen Eichen auf der großen Allee stand. Das Sterben der Bäume, das Sterben der Wärme, das Sterben des Lichtes... und das eines Mädchens. Die großen, grauen Augen huschten über die Menge unter ihren Füßen. Wie viele dort wohl standen, fragte sie sich. Zehn, vielleicht zwanzig Leute, sie kannte keines dieser ängstlichen Gesichter; sie wusste nicht, ob sie Kinder hatten oder ob sie überhaupt hier lebten. Alles, was sie wusste war, dass es diesen namenlosen Menschen dort unten egal wäre, was mit ihr geschehen würde. Selbst, wenn sie von dieser alten Brücke springen würde, wäre sie wahrscheinlich schnell vergessen worden. „Das Mädchen, das damals sprang, wie traurig das war. Aber an ihren Namen erinnere ich mich nicht, tut mir leid.“ Keiner dort unten kam hoch, um sie zu retten. Sie wollten sie nur alle sterben sehen. Wissen, wie es ist, bei einem Selbstmord live dabei zu sein. Sollte sie ihnen diese Genugtuung geben? Die weißen Stiefel schoben sich langsam nach vorne und die kleinen Hände umschlossen lose das Eisengeländer. Es war egal, was sie tat. Nichts konnte sie jetzt noch mehr verletzen. Sie schaute in die Tiefe, sah die Regentropfen, wie sie auf die Passanten fielen. Wie sie sich wünschte eine von ihnen sein zu können, einfach ein kleiner Teil eines ganzen. Plötzlich hörte sie schnelle, laute Schritte. Ihre Hand löste sich vom Geländer und ihr Körper schwang ein wenig zur Seite. Sie musste es jetzt tun, bevor sie jemand „retten“ konnte. Bevor sie diesen Menschen zum Helden werden ließ und er sie zu ihrer Mutter und ihren unzähligen Weinflaschen zurückbrachte. Langsam ließen ihre Finger das kalte, schroffe Metall los. Für einen Moment hing ihr Oberkörper frei in der Luft, dann stieß sie sich mit voller Kraft von der Betonplatte ab. Sie fühlte den freien Fall, spürte den Adrenalinschub, während Farben und Geräusche an ihr vorbei flogen. Jetzt war sie frei! Jetzt hatte sie keine Angst mehr, keine Schmerzen, nur das Gefühl unendlicher Freiheit, das in ihr immer weiter wuchs. Auf einmal erfasste sie ein Windstoß und sie wandte sich im Fall dem dunklen Himmel zu. Sie sah zur Brücke, von der sie gesprungen war und bemerkte einen kleinen Jungen. Sein schwarzes Haar flog ihm ins Gesicht, als er sich gegen die Metallbrüstung warf und seine Hand nach dem Mädchen ausstreckte. Seine grünen Augen waren weit aufgerissen und zum ersten Mal in ihrem Leben, sah das kleine Mädchen jemanden um ihretwillen weinen. Der Junge auf der Brüstung schrie ihr nach und schloss die Augen. Es gab einen fürchterlich dumpfen Ton und das Gekreische der Masse verstummte mit einem Schlag. Alles war ruhig, die Zeit schien für einen Moment den Atem angehalten zu haben. Es war vorbei. Alles, was zurückblieb war der schwere Regen... und eine kalte, graue Stille.


    Dunkelheit. Schwere, warme Dunkelheit. Wie er sie liebte, diese Dunkelheit und diese Stille. Er hätte ewig in der Dunkelheit ruhen können, wenn dieses laute, scharfe Piepsen nicht gewesen wäre. Er wollte nicht aufstehen, er wollte hier in seinem warmen Bett bleiben und die Dunkelheit genießen. Aber der schrille Ton seines Weckers machte das Weiterschlafen unmöglich und so öffnete er schließlich die Augen und ließ seinen Frust mit einem gezielten Schlag an dem Verursacher des Lärmes aus. Es war eisig kalt an diesem Morgen und es fröstelte Yonathan, als er die Bettdecke zurückschlug und sich ins Bad begab. Er wusch und kämmte sich, putzte sich die Zähne und suchte sich eine Jeans und ein gestreiftes Hemd aus dem Schrank. Während er sein verfranstes, strähniges Pony nach unten gelte und mit ein paar gezielten Handgriffen seine übrigen Haare ein wenig abstehen ließ, fragte er sich, was ihn heute erwarten würde. Wahrscheinlich ,dachte er, das Übliche: Er würde zur Schule gehen, Komplimente für sein neues Hemd bekommen, eine gute Note im Chemietest zurück kriegen und das am Abend mit seinen unzähligen Freunden im Altstadtviertel feiern. Jeder andere würde ihn für dieses Leben beineiden, aber für Yonathan war das alles so ermüdend. Jeden Tag dasselbe. Dieselben Freuden, dieselben Zweifel. Er wollte nicht mehr die neidischen oder bewunderten Blicke ertragen. Er hatte das alles doch gar nicht verdient! Bis vor zwei Jahren war er so wie alle anderen gewesen. Ein ganz normaler, glücklicher Junge. Er hatte Streit mit einigen Mitschülern, brachte auch manchmal schlechte Noten nach Hause und interessierte sich mehr für Computerspiele, als fürs lernen oder weggehen. Aber eines Tages hatte sich an und in ihm alles verändert. Er achtete plötzlich peinlich genau darauf, was gerade in Mode war, lernte als würde er jeden Tag eine wichtige Arbeit schreiben und versuchte sich mit allem und jedem gut zu stellen. Zuerst waren die anderen misstrauisch gewesen, aber dieses Misstrauen wurde bald vergessen, war der neue Yonathan doch in jeder Hinsicht besser als der vorherige. Nur eines hatte sich ins negative entwickelt. Seine Augen, so sagten ihm viele Mädchen, wenn sie ihn verließen, seien anders, als früher. Kalt, leblos, manchmal sogar traurig oder abweisend. Wenn sie wüssten! In den Augen sahen sie seine Traurigkeit, aber, wenn er lächelte, obwohl ihm zum weinen zu mute war, da sagten sie nichts. Das fiel niemandem auf! Yonathan trat einen Schritt näher an den Spiegel. Ja, seine Augen waren von einem unnatürlich hellen Grün, aber wie konnte man darin seine wahre Stimmung erkennen? Er trat direkt an den Spiegel und starrte sich selbst in die Augen. Sie sahen so traurig aus, so einsam. Langsam legte er die Hand auf das kalte Glas. War das wirklich er? So kannte er sich doch gar nicht. Seine Hand strich über die glatte Oberfläche und Yonathan hatte das Gefühl jeden Moment die Unebenheiten seines Gesichtes zu spüren. Das Bild, das jeder von ihm sah, das war nicht er! Er war nicht außergewöhnlich, er war nichts Besonderes! Dieses Gesicht im Spiegel, diese traurigen, kalten Augen, das war er wirklich! Wieso erkannte das denn keiner?! Wieso befreite ihn denn keiner von diesem Fluch, den er sich selbst auferlegt hatte?! Und auf einmal fühlte er wieder diese unbändige Wut. Wut darüber, SICH SELBST nicht helfen zu können, Wut darüber, IHR damals helfen nicht zu können, Wut darüber, das IHM keiner half. Seine Fingernägel kratzen über den Spiegel und hinterließen tiefe Furchen. Seine Hand ballte sich zu einer Faust. Wie sehr er doch dieses Bild im Spiegel doch hasste. Er wollte diese Augen nicht mehr sehen müssen! SEIN LEBEN WAR JETZT EIN ANDERES!
    Dann auf einmal holte er aus und schlug mit der Faust in den Spiegel. Das Glas zerbarst und splitterte auf den Boden. Blut tropfte über die reflektierenden Scheiben und färbte Yonathans Augen rot. Yonathan hob den Kopf und besah sich sein Werk mit blutender Faust. Der Spiegel war nur aufgesplittert, aber nicht vollkommen zerstört, man sah noch einen Großteil der gespiegelten Umgebung. Plötzlich bemerkte Yonathan eine Bewegung und blickte genauer in den Spiegel. Er stutzte und trat näher an den zerstörten Spiegel, die Glasscherben knirschten unter seinen Turnschuhen. Das konnte nicht wahr sein! Das musste er sich einbilden! Gerade heute! Er drehte sich zu dem großen Haus hinter ihm um, in dem die alte Frau Pfau wohnte. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen und er trat einige Schritte vom Fenster zurück. Im Wohnzimmer, das man durch ein großes Fenster sah, stand SIE. Das Mädchen von vor vier Jahren. Sie beugte sich über den Lehnstuhl, in dem Frau Pfau zusammengesunken saß. Sie schien zu schlafen. Konnte das sein? War sie wirklich zurückgekehrt, an ihrem vierten Todestag, um zu ihrer Mutter zu kommen? Yonathan ging zum Fenster und drückte seine Stirn gegen das Fenster. Sie sah genauso aus wie damals und doch ganz anders. Sie trug ein leichtes, weiches Kleid, so weiß und glänzend, wie Seide, das fast lose um ihre schmale Schulter hing. Ganz anders als damals. Er erinnerte sich noch genau an den weißen Knierock, den sie damals getragen hatte. Er war so gestärkt gewesen, dass man die schwarze Strumpfhose unter den weißen Plüsch-Boots hatte sehen können. Auch ihr Gesicht war anders, reifer, weiblicher. Sie war dennoch unverändert schön. Das Mädchen machte einige Schritte seitlich zum Sessel und drehte Yonathan den Rücken zu. Ungläubig starrte er auf das Unglaubliche, das ihm gerade enthüllt wurde. Zwei Schwingen lagen zusammengefaltet auf den zierlichen Schulterblättern, die unter dem Kleid zu erahnen waren. Es waren jedoch nicht die weißen, strahlend makellosen Flügel, wie man sie von den Bildern der klassischen Engel zu sehen bekam. Sie waren pechschwarz und merkwürdig zerzaust. Die Federn waren stumpf und splittrig und ragten spärlich in alle Richtungen, als wären sie auf groteske Weise verbogen worden. Ein Dämon, schoss es Yonathan plötzlich durch den Kopf. Sie ist ein Dämon! Und sie ist gekommen, um sich an ihrer Mutter zu rächen! Ihm schwindelte plötzlich und er musste sich am Schreibtisch neben dem Fenster abstützen. Überall im Zimmer sickerte Blut in den Teppichboden und hinterließ rot-braune Schlieren und Flecken. Yonathan starrte auf seine Hand. Die Wunde war größer, als er gedacht hatte. Sie musste dringend versorgt werden, er hatte schon zu viel Blut verloren. Aber Yonathan konnte jetzt nicht von hier weg! Er sah zum Fenster hoch, doch die schwarzen Schwingen des Mädchens waren verschwunden. Nur Marron Pfaus Mutter saß immer noch friedlich schlafend in ihrem Sessel.

    Yonathan ging dieses Bild von Marron nicht mehr aus dem Kopf. Die schwarzen Federn schienen in seine Gedanken eingedrungen zu sein und schwebten nun um ihn herum. Auch als er die Haustür öffnete und seine Schultasche in eine Ecke im Flur warf, war er so in Gedanken vertieft, dass er das Gespräch seiner Eltern kaum wahrnahm.
    „Aber wieso ist der Anfall so plötzlich gekommen? Ich meine... die Ärzte haben doch gesagt Jasmin hätte nichts zu befürchten. Da kann was nicht stimmen.“
    Yonathan, der gerade auf dem Weg in sein Zimmer die Treppe hochgehen wollte, blieb plötzlich stehen und horchte. Hatte er da richtig gehört? Er ging einige Schritte zurück zur Küchentür und fragte seine Eltern ungläubig:
    „Jasmin ist doch der Vorname von Frau Pfau von gegenüber, oder? Was ist denn passiert?“ Yonathans Mutter sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an. War es Trauer? Nein, bestimmt nicht, sie hatte diese merkwürdige Frau von gegenüber doch kaum gekannt. „ Sie hatte heute Mittag einen epileptischen Anfall, anscheinend als sie schlief. Die Ärzte meinen sie sei nicht sofort tot gewesen, aber es wäre wohl unvermeidbar gewesen...“schloss sie mit belegter Stimme. Yonathan starrte seine Mutter an. In seinem Inneren fiel plötzlich etwas zusammen. Er hatte sie also wirklich gesehen. Und sie hatte ihre Mutter umgebracht. Oder hatte sie sich nur verabschieden wollen? Kaum hatte er den Gedanken zu ende gebracht kamen ihm die Flügel wieder ins Gedächtnis. Nein, Marron hatte sie umgebracht, um sich zu rächen! Yonathan traute sich kaum in sein Zimmer zu gehen. Was sollte er tun, wenn er Marron wieder sehen würde? Wenn sie kommen würde, um ihn zu holen... Er schloss die Augen und sagte seiner Mutter, dass er in sein Zimmer gehen würde, um zu lernen. Sollte er sterben müssen, dann wollte er es wenigstens nicht unnötig herauszögern. Eigentlich war es ihm egal, ob sie da war, oder nicht... sein Leben war so oder so schon längst zu ende. Langsam, in Erwartung des Schlimmsten öffnete er die Tür und sah sich in seinem leeren Zimmer um. Glasscherben, Blutflecken und sonstiges hatte seine Mutter schon, ohne ein Wort darüber zu verlieren, beseitigt. Alles war wie immer. Leer, sauber und still. Erleichtert ließ er sich auf sein Bett fallen und starrte auf das Poster einer Nachtlandschaft, das an der Decke über ihm hing. Aber etwas stimmte nicht. Nicht mit diesem Zimmer, sondern mit ihm. War er wirklich erleichtert? Ein merkwürdiges Gefühl in ihm sagte Yonathan, dass er es nicht wahr. Im Gegenteil. Er schloss die Augen und versuchte herauszufinden, was das für ein Gefühl in ihm drin war, dass ihn hierher gedrängt hatte. Vergebens. Er schlug die Augen auf und seufzte. Vielleicht war das ganze auch nur Zufall gewesen. Er richtete sich auf und sah zum Fenster, wo er sie zuletzt gesehen hatte. Nichts. Nur leere, nicht einmal der Sessel, in dem Frau Pfau gesessen hatte stand noch dort. Auf einmal spürte Yonathan ein unangenehmes Kribbeln im Nacken und ein seltsames Gefühl von Angst überkam ihn. Er drehte sich zur Tür und stieß einen leisen Schreckensschrei aus. Dort stand Marron. In ihrem weißen Kleid, die schwarzen Flügel fest an den Körper geschmiegt und beobachtete Yonathan, wie eine mäßig spannende Fernsehsendung. Yonathan stieß sich zum Kopfende seines Bettes und starrte Marron mit weit aufgerissenen Augen an. Sie neigte den Kopf nur ein wenig zur Seite und sah ihn aus unergründlich kalten, grauen Augen an. Langsam beruhigte Yonathan sich und versuchte wieder normal zu atmen. Dann fragte er sie so ruhig, wie er nur konnte: “Bist... bist du Marron, Marron Pfau?“ Die Angesprochene schien einen Moment zu überlegen und nickte dann langsam, ganz so, als sei sie selbst nicht ganz von ihrer Antwort überzeugt. Yonathans Angst steigerte sich zunehmends. War dieses Mädchen wirklich Marron? Die Stille um sie beide schien wie ein riesiger Ballon immer weiter anzuschwellen, bis sie in einem unausstehlichen, unhörbaren Knall in Yonathans Gedanken explodierte. Er hielt das einfach nicht aus! Er wollte Antworten!
    „Warum bist du hier?“ Marron blickte ihn nur weiterhin stumm an. Yonathan fuhr sich mit der Hand durch die Haare und stand langsam auf.
    „Ich meine nur... es muss doch... irgendeinen Grund geben, dass du hierher kommst.“ Er ging mit jedem Wort näher an diese merkwürdige Erscheinung heran, bis er nur noch einige Schritte von ihr entfernt war. Obwohl Yonathan nicht außergewöhnlich groß war überragte er Marron um einige Zentimeter. Von Nahem wirkte Marron gar nicht mehr Furcht einflössend oder ängstigend. Ganz im Gegenteil... sie wirkte zart und verletzlich, was die zerstörten Flügel nur noch verstärkten. Sie war so blass, fast weiß, wie eine Porzellanpuppe und wirkte genauso gebrechlich. Erst jetzt bemerkte Yonathan die schwarzen Seidenbänder, die um die schmalen Gelenke und den zierlichen Hals geschlungen waren. Sie wirkten wie dünne, schwarze Verbände. Es war irgendwie unheimlich, wie Schönheit und Dunkelheit sich in dieser Person vereinten. Yonathan bekam es nun doch ein wenig mit der Angst zu tun. Marron raschelte auf einmal mit den Flügeln und einige schwarze Federn vielen auf den Boden.
    „Du kannst mich also tatsächlich sehen?“ Die Gefühllosigkeit in Marron’ s Stimme ließ Yonathan erschaudern und er ging unwillkürlich einen Schritt rückwärts, bevor er leicht nickte.
    „Dann ist es also wahr...“, sagte Marron mehr zu sich selbst, als zu Yonathan.
    „ Was? Was ist wahr? Wieso bist du hier. Wer... oder besser, WAS bist du?“ Marron’ s Blick wirkte auf einmal gar nicht mehr kalt, sondern traurig, ja sogar verletzt, obwohl sie keine einzige Regung gezeigt hatte.
    „ Ich bin ein Sündiger, eine gestrafte Person, die sich dem wichtigsten aller Gesetze widersetzt hat.“
    „ Was... was für ein Gesetz?“ Der graue Blick wurde auf einmal wieder kalt und leblos und Marron antwortete:
    „ Du sollst nicht töten...“
    „ Aber... du, du hast nie jemandem etwas getan... ich meine wieso bist du...?“ Langsam spreizte sie die Flügel wieder ein wenig und noch mehr der schwarzen Federn flogen durch die Luft.
    „ Ich dachte du wärst dabei gewesen... mir kam dein Gesicht bekannt vor. Ich dachte ich hätte es an... diesem Tag gesehen...“Und auf einmal fiel es Yonathan wie Schuppen von den Augen. Sie wurde dafür bestraft, dass sie sich selbst umgebracht hatte! Auf einmal und ohne Vorwarnung überkam Yonathan wie schon am Morgen eine Welle siedend heißer Wut. Sie wurde dafür bestraft, dass sie ihrem Leben ein Ende gesetzt hatte, weil sie den Schmerz und die Enttäuschung nicht mehr ausgehalten hatte! Sie wurde dafür bestraft, dass sie so sehr gelitten hatte, dass sie bereit war ihr restliches Leben aufzugeben! Was war das für eine verdammte „Gerechtigkeit“, wenn jemand, wie Marron, die so viel durchgemacht hatte noch mehr bestraft wurde?! Tränen des Zornes und des Mitleids rannen über seine Wangen, ohne, dass er es merkte. Alles um ihn herum verschwamm zu einem dunklen Schleier aus Tränen und Wut. Auf einmal hörte er ein merkwürdiges Geräusch, ein heiseres Keuchen, als würde jemand große Schmerzen ertragen. Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sah Marron, wie sie an die Tür gedrückt, mit geschlossenen Augen zusammengesackt dastand. Es waren nur einige Sekunden, die Marron in dieser Stellung verbrachte, aber Yonathan wagte aus Angst kaum zu atmen. Langsam entspannte sich ihre Haltung wieder und Yonathan atmete erleichtert auf. Marron richtete sich vorsichtig und schwer atmend wieder auf. Sie hob den Blick an und sah ihn direkt in die melancholisch grünen Augen. Und als hätte dieser Blick etwas in ihrem Inneren gesprengt wich auch die letzte Kälte aus ihren Augen und sie fing heftig an zu weinen. Yonathan stand hilflos und verwirrt vor ihr und sah zu, wie die dicken Tränen aus den Augen dieses dunklen Engels rannen. Allmählich gewann Marron wieder an Fassung und wandte sich an Yonathan.
    „ Es tut mir leid, aber, als ich dich weinen gesehen habe... ich habe mich einem Schlag wieder erinnert... und ausgerechnet diese eine Erinnerung...
    “ Jede Gefühllosigkeit war aus der zarten Stimme verschwunden. Es lag nun etwas, wie Trauer und Freude gleichzeitig darin. Yonathan bestärkt durch diese Veränderung ging einige Schritte auf Marron zu und fragte sie sanft:
    „ Was für eine Erinnerung?“ Marron lächelte schwach und matt, als hätte sie schon seit langer Zeit nicht mehr gelächelt.
    „ Von dir... du warst doch dieser... Junge. Der Erste, der je um mich geweint hat.
    “ In Yonathan drehte sich alles im Kreis. Das war doch keine Antwort gewesen. Er hatte noch so viele Fragen!
    „ Wieso hast du dich erst jetzt wieder an mich erinnert? Wieso bist du hier und was hast du heute Morgen bei deiner Mutter gemacht?“ Marron’ s Lächeln schwand so schnell, wie es gekommen war.
    „ Wie ich dir schon gesagt habe, bin ich eine gestrafte Sündigerin.“, antwortete sie dennoch ruhig, wenn auch mit leicht zitternder Stimme.
    „Ich denke ihr würdet mich einen Todesengel nennen...“ Yonathan ging unwillkürlich einen Schritt zurück, was Marron beflissen übersah.
    „Es ist aber nicht so, dass ich die Menschen töte...Sterben würden sie auch, wenn ich nicht zu ihnen käme. Nein, ich bin mehr so etwas, wie ein... Bote... oder ein Begleiter. Wenn ein Mensch stirbt, dann lässt er etwas zurück... einen Teil seiner selbst... man könnte es Seele nennen. Ich trenne diese Seele vom Körper, bevor er endgültig stirbt und begleite sie in ihre Welt. Tue ich das nicht, oder kann ich die Seele nicht bändigen, weil sie noch zu stark an ihr irdisches Leben gebunden ist, dann wird sie zu einer ruhelosen Energie. Man könnte es einen Geist nennen. Und heute Morgen... da ist meine Mutter gestorben... und ich wusste nicht einmal, dass sie meine Mutter ist. Sie versuchte ein ironisches Lächeln, das jedoch sehr verletzt aussah.
    „ Als Todesengel verlierst du alles, was dir früher wichtig war. Als erstes deine Erinnerungen. Du weist nicht einmal mehr deinen Namen. Ich kenne meinen auch nur durch einen Zufall... Von Zeit zu Zeit jedoch gewinnst du jedoch eine zurück. Nur sehr selten, bei starken Erlebnissen. Du bist auch nicht mehr in der Lage, so zu...fühlen...wie früher.“ Sie sprach dieses Wort merkwürdig ungläubig aus.
    „ Auch dein Aussehen verlierst du. Du siehst mich so, wie du dir einen Todesengel vorstellst. Wie du dir MICH vorstellst. Dir wird einfach alles genommen... damit du weist, dass du bestraft wirst.“
    Ihre Augen verengten sich und es trat ein Moment der melancholischen Stille ein. Yonathan verspürte ein solches Mitleid, dass er selbst litt. Er konnte nur zu gut verstehen, wie sie sich fühlen mochte. Aber eine Frage brannte ihm immer noch auf der Zunge.
    „Wieso bist du hier?“ Marron zuckte ein wenig zusammen. Ihr Blick streifte Yonathan flüchtig und wanderte dann zu Boden.
    „Ich bin mir nicht sicher, ob du das hören willst... Du... Ich bin gekommen, weil du auf meiner Liste stehst.“
    „Wieso... ich liege nicht im Sterben, oder etwa doch?“ Er sah sich um, als erwartete er seine Leiche irgendwo auf dem Boden liegen zu sehen. Marron schüttelte leicht den Kopf und fuhr fort. „Nein... es ist etwas Außergewöhnliches. Du stehst zwar auf meiner Liste, aber der Grund und der Zeitpunkt deines Todes fehlen. Das ist mir noch nie passiert. Also bin ich hierher gekommen... um dich zu beobachten. Ich konnte ja nicht wissen, dass du mich siehst. Es muss etwas mit heute Morgen zu tun haben, denn da hast du mich doch auch gesehen.
    “ Yonathan jedoch nickte wissend. Er wusste, wieso er Marron sehen konnte.
    „ Weist du, heute ist dein fünfter Todestag und ich soll auch sterben... durch deine Hand sozusagen.“ Marron starrte weiter zu Boden und sagte nichts. Dann auf einmal sah sie hoch und sagte:
    „Das wird wahrscheinlich das letzte Mal sein, dass wir uns sehen.“ In Yonathans Brust stach es auf einmal heftig. Ja, er würde sie nie wieder sehen. Könnte er damit leben, dass er hier war, glücklich und unbeschwert, während Marron in ihrem Käfig aus Schmerz gefangen war? Marron kam einige Schritte auf ihn zu, bis sie direkt vor Yonathan stand.
    „ Weißt du“, sagte sie leise. „ Ich habe dich schon damals geliebt. Von dem Zeitpunkt an, als du nur wegen mir geweint hast.“ Yonathan traf die Wucht dieser Worte, wie ein Faustschlag ins Gesicht. Marron kam langsam näher. Er konnte jeden dunklen Fleck in ihren grauen Augen sehen. Es war sein erster Kuss. Marron löste sich als erstes von ihm und sah ihn mit Tränen in den Augen an. „Leb wohl.“ hauchte sie und verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war. Nur eine gebrochene, schwarze Feder lag vor Yonathan auf dem Boden.

    Yonathan stand auf der regenfleckigen Betonplatte der alten Brücke, während die dicken Tropfen erbarmungslos auf ihn niederprasselte. Dieses Mal standen keine kreischenden Menschen auf dem Gehweg unter ihm, alles war ruhig. Er stand genau dort, wo vor genau fünf Jahren Marron gestanden und ihren Entschluss gefasst hatte. Yonathan sah in den grauen Himmel. Auch er hatte seinen Entschluss gefasst. Seine Hände lösten sich vom Eisengeländer und er kippte nach vorne. Genau wie vor fünf Jahren jagte ein kleiner Körper durch die Luft und wurde von einem Luftstoß erfasst. Genau wie vor fünf Jahren drehte er sich und sah zu der Brücke hoch, von der er gesprungen war. Genau wie vor fünf Jahren stand dort oben jemand und weinte um diesen Menschen, der zu Boden viel. Marron stand, eine schwarze Sense in der Hand auf der Brücke und sah Yonathans Ende zu. Seine grünen Augen blieben an ihr hängen. Er wollte allem endlich ein Ende bereiten und er wusste, dass er nicht alleine sein würde. Auf einmal verzogen sich Yonathans Lippen zu einem Lächeln. Und zum ersten Mal seit fünf Jahren war es ein echtes, glückliches Lächeln, dass die Kälte aus seinen Augen vertrieb. Langsam schloss er die Augen und genoss die unendliche Dunkelheit. Er sah sie ganz genau vor sich, ihre großen, grauen Augen.
    Genau wie vor fünf Jahren war ein dumpfer Aufschlag im sterbenden Tag zu hören. Und genau wie vor fünf Jahren blieb nichts zurück, als der schwere Regen... und eine kalte, graue Stille.

    ENDE



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