Der glückliche Jackl

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    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 03.06.2005, 23:10

    Der glückliche Jackl
    Hier kommt eine Geschichte, die ich schon vor einer Weile geschrieben habe. Sie ist nicht fertig, aber vielleicht arbeite ich mal dran weiter. Ich will sie euch jetzt mal zeigen, damit ich etwas Feedback kriege. Also lest mal, wobei ich hoffe, dass ihr mit dem Lokalkolorit zurecht kommt:

    Zitat: Den glücklichen Jackl nennt man mich. Vielleicht zu Recht, denn seit vielen Jahren herrscht nun eitel Sonnenschein in meinem Leben. Aber immer war das nicht so.
    Geboren wurde ich im Jahre 1836 als Sohn einer armen Bauerndirn, der Anna Maria Feichtinger. Sie mußte aus dem Hof raus, auf dem sie arbeitete, als offenbar war, daß sie ein Kind erwartete. Achtzehn Jahre war sie da gerade. Ihre Eltern waren beide längst tot, die Mutter an Lungenentzündung gestorben, nachdem sie mitten im Winter am Bach hatte waschen müssen, obwohl es grimmig kalt war. Von ihrem Vater wußt' ich fast nix, Mutter hat einmal gesagt, daß ihm beim Bäume umschneiden einer draufgefallen ist. Andere Verwandte hatte sie nicht. Eine schwere Zeit war es für sie, denn wer wollte schon eine Dirn nehmen, die einen illegitimen Bankert mitbrachte? Aber mich wollte sie nicht weggeben und sie hat mich immer lieb gehabt.
    Wir wohnten am Rande des Dorfs in einem armseligen Schupfen neben dem Bach, wo meine Mutter für andere Leut die Wäsche waschen hat müssen. Geld hat sie nicht viel dafür gekriegt, denn die Bauern waren knausrig und der Großbauer hatte ein eigenes Waschhaus. Mit Müh und Not konnte sie die Miete an den Hieberlbauern zahlen, dem das Häusl gehörte. Und dazu mußte sie diesem Schlawiner auch noch die Wäsche gratis waschen, was nicht wenig war, denn der Hieberl nützte diese Möglichkeit natürlich weidlich aus.
    Nebenbei arbeitete die Mutter noch, wenn Erntezeit war, auf dem Acker, zum Garben binden und auf den Wagen auflegen oder zum Kartoffelklauben. Das brachte ihr noch ein bisserl zusätzliches Geld, denn das Waschgeld wär doch sehr arg knapp gewesen. Nachdem ich sieben Jahr alt geworden war, mußte ich auch immer mit aufs Feld.
    Unser Häusl war sehr ärmlich eingerichtet. Da gab es ein schmales Bett mit harter Strohmatratze, auf dem wir beide, meine Mutter und ich, schlafen mußten. Neben dem Bett stand ein wackliger Holztisch, bei dem ein Fuß durch einen groben Holzstecken ersetzt war. Zusätzlich gab's noch einen Stuhl, der auch schon ganz wacklig war, eine uralte Truhe, die wohl einmal bunt bemalt gewesen war, aber die Farbe war längst abgewetzt. Mehr Möbel hatten nicht Platz bei uns, und wenn wir unser mageres Essen hinunterwürgten – mehr als Rübenmus und altbackenes Brot war selten drin –, mußte einer von uns auf dem Bett sitzen. Auf dem Bett saß normalerweise meine Mutter, denn das Bett war niedrig und sie noch größer als ich. Ich kann mich noch erinnern, als ich ganz klein war, legte sie auf den Stuhl immer ein dickes Holz, damit ich auf den Tisch heraufschauen konnte.
    Mit sechs Jahren wurde ich wie alle Kinder in die Schule geschickt. Das Lernen fiel mir nicht schwer, aber mit den anderen Kindern gab's Probleme. Sie lachten mich aus, weil ich kaum mehr als Lumpen anzuziehen hatte, außerdem wußten sie wohl, daß ich keinen Vater hatte und daß man mich somit als gottloses Kind betrachten sollte. Und drittens hatschte ich. Als ich vier Jahre alt war, war der Großbauer mit seinem Vierspänner durch das Dorf gerast, wie er das manchmal tat, wenn er betrunken war. Ich hatte gerade auf der Straße gespielt und war nicht mehr rechtzeitig auf die Seite gesprungen. Dadurch wurde ich von der Kutsche überrollt, wobei mein rechtes Knie zerschmettert wurde und ich eine Platzwunde am Kopf kriegte. Als ich wieder aufwachte, lag ich in unserer Hütte im Bett und meine Mutter und der Bader beugten sich über mich. Einen Arzt hätte sich Mutter nie leisten können, und auch den Bader mußte sie abstottern. Dieser taugte allenfalls zum Haare schneiden, aber von Medizin verstand er wahrscheinlich nicht mehr als alle anderen Leute im Dorf, wenn nicht sogar weniger. Deshalb wuchs mein Knie schief zusammen und blieb steif.
    Gottseidank war der Lehrer ein guter Mann und behandelte mich einigermaßen gerecht. So machte mir die Schule Spaß und ich kam gut voran, wenn ich auch erst immer in allerletzter Minute hineinging und mich nach Schulschluß schnell entfernte, um nicht von den anderen gehauen zu werden.
    Eine Mitschülerin schien es allerdings nicht zu stören, daß ich so zerlumpt war und daß meine Herkunft „unklar“ war. Kunigund hieß sie, ihre Haare waren blond, ihre Augen blitzten blau. Sie kam in die Schule, als ich mein drittes Jahr dort antrat. Zum ersten Mal sah ich sie, als ich gerade damit beschäftigt war, im Zweikampf mit einem Buben aus der Vierten festzustellen, wer der Stärkere war. Der war letztendlich ich, weil ich schon kräftige Muskeln hatte, denn ich mußte oft meiner Mutter bei der Arbeit helfen. Als der andere Bub das Weite gesucht hatte, sagte sie zu mir: „Das hast' gut g'macht, den mag i auch ned, den großen Buben.“ Dann errötete sie wegen ihres Muts mich anzusprechen und lief davon.
    Einige Tage später fand ich einen Maikäfer, nein, aber nicht irgend einen, sondern ein Prachtexemplar, einen Kaiser wie man ihn bloß alle paar Jahre mal findet. Dieses Exemplar nahm ich mit in die Schule und danach, als wir wieder hinausgingen, da zeigte ich ihn der Kunigund. Sie hatte gar keine Angst vor dem Krabbeltier, wie manche andere Madeln und Frauen; sie streichelte es sogar.
    „Wo hast'n den her?“, fragte sie. „So an schönen hab ich noch nie gsehn.“
    „Gfundn, drunt bei der großn Eich’ am Stockacker, auf der krabbeln noch an Haufen davon rum...“, war ich gerade dabei zu erzählen, da drischt mir doch einer von hinten mit der Goaßl eins drüber daß es grad so pfeift. Mich haut’s hin und wie ich mich wieder aufrappeln will, da steht der Großbauer über mir, der war nämlich der Vater von der Kunigund.
    „Ja, glei hau i dir’s Kreuz ab!“, tobte er. „Laß bloß deine dreckatn Lumpnpfotn von meiner Tochter, Du Dreckhaufa! Mext woi mei Tochter mit deine Armeleidssgschichtn verderbn. Aber net mit mir, i bin der Fäustlbauer, der größte Bauer im ganzn Gäu! Mei Tochter hat mit arme Leid koan Umgang, mir san nämlich wer! Schleich Di, bevor i Di totschlag!“ Das hab ich mir nicht zweimal sagen lassen und ich bin davongehatscht, so schnell wie’s ging. Er hat mir nämlich während er geschimpft hat, immer weiter die Goaßl drübergezunden. Das hat vielleicht gezogen! Wie ich hernach zurückgeschaut hab, sitzt die Kunigund schon auf dem Wagen von ihrm Vatern und schaut noch mal zu mir her, mit einem ganz traurigen Gesicht, so als wenn sie gar nicht so froh ist, wie mich der behandelt hat.
    Der Fäustlbauer hieß eigentlich Korbinian Obermayr. Fäustl ist nämlich der Hofname. Die Familie Obermayr ist erst seit ungefähr fünfzig Jahr, vielleicht ein bißl mehr, auf dem Hof gesessen, seitdem der Großvater vom Obermayr Korbinian hineingeheirat‘ hat.
    Der Fäustlbauer ist ein Riesenmannsbild gewesen, der sich bei fast jeder Tür hat bücken müssen, wenn er durch wollte. Eine Kraft hat er gehabt wie keiner außer ihm. Einen vollen Bierbanzn vom Postwirt hat er einmal bei der Tür nausgechmissen, daß der beinahe bis auf die andere Seite von der Straße geflogen ist. Aber auch das, was in den Banzn drin war, das hat er gern mögen. Fuchzehn Maß am Tag, so redeten die Leut, hat er am Tag gebraucht. Und gefressen hat er, das glaubst Du nicht! Der konnte gleich eine ganze Ente oder Gans auf einmal reinstopfen oder einen Berg Schweinernes und dazu auch noch einen Haufen Knödeln und Kraut. Deswegen hat er auch eine Riesenwampn gehabt. Drei Zentner hat er bestimmt gewogen. Und er war’s auch gewesen, der mir damals den Haxen hingemacht hat. Da wo der hinfuhr mit seinen Rössern, die solche Brackeln waren wie er selber, da wuchs nämlich kein Gras nicht mehr.
    Wie ich dann heimgekommen bin, war die Mutter sehr traurig, Sie sah ja gleich, daß ich verdroschen worden bin, weil mir’s Blut runtergeronnen ist. Und sie mochte das gar nicht, wenn ich in eine Rauferei hineinverwickelt war. Aber ich hab’s ihr gleich erzählt, was los war. Und da hat sie einen Zunderschwamm genommen, den sie im Wald gefunden und weichgeklopft hatte und legte mir die Fetzerln davon auf die Wunden, damit sie’s Blut stillen sollten.
    Ich hab das gar nicht gern gehabt, wenn die Mutter sich hat aufregen müssen. Sie war sowieso schon nicht so ganz gesund. Sie hat oft husten müssen, vor allem bei der Nacht. Einmal hat sie so viel gehustet, da bin ich am nächsten Tag am Heimweg von der Schule an einem Platz vorbei, wo ganz viel Kamillentee gewachsen ist, der echte, nicht der gstingerte, und hab ihr einen mitgebracht. Und Minze hab ich auch gepflückt, unten beim Weiher, und ein Lungenkraut drüben im Eichet, so wie die alte Haniglin es mir g’schafft hat. Die hat sich nämlich auf die Kräuter verstanden, die hat schon gewußt, was man nehmen hat müssen. Auch wenn die Leut manchmal gesagt haben, daß sie eine Hex wär, hab ich sie trotzdem immer mögen.
    Die Mutter hat sich sehr gefreut über die Kräuter und ich glaub, er hat ihr auch gut getan. Aber auf Dauer hat’s ihr nicht geholfen. Sie ist immer kränker und kränker geworden. Sie hat dann sogar Blut herausgehustet. Gemeint hat sie, daß ich’s nicht merk, aber ich hab einmal ihr Tücherl mit den Blutflecken gefunden. An einem Tag in der Früh, ungefähr ein Jahr nachdem mich der Großbauer verdroschen hat, ist sie dann nicht aufgestanden. Sie sagte zu mir, daß sie sich noch ein bisserl ausruhen wollte und daß ich ruhig in die Schule gehen soll. Hab ich dann auch gemacht.
    Wie ich dann wiederkomm, nach der Schule, da liegt sie immer noch im Bett. Der Korb mit der Wäsche von der Brunnhuberin steht noch da wie in der Früh. Dabei hat die Brunnhuberin doch die Wäsche dringend gebraucht. Ich geh also zur Mutter ans Bett hin und will mit ihr reden. „Mutter, is da need guad?“, frag ich sie. Aber sie sagt nix. Da rühr ich sie an – und sie ist ganz kalt. Ich schüttel sie, aber sie rührt sich nicht. Ich renn raus aus dem Häusl. Zuerst will ich den Bader holen, aber da fällt mir ein, daß der schuld an meinem schiefen Knie ist. Den Doktor können wir uns nicht leisten. Also bin ich zur alten Haniglin, und die ist auch gleich mitkommen. Sie hat den Kopf geschüttelt und gesagt: „Da is nix mehr zum machen. Das Feichtinger Annerl is‘ tot. Derweil weiß ich noch, wie ich’s auf’d Welt bracht hab, seinerzeit. Ja ja, die Schwindsucht ist schon eine Geisel der Menschheit!“ Tränen hat’s in den Augen gehabt, die alte Frau. Da ist sie aber, von mir mal abgesehen, die einzige im Dorf blieben.
    Was die nächsten Tag war, das weiß ich bloß noch wie durch einen Nebel durch. Erst einmal ist die Totenfrau gekommen, die hat meine Mutter hergerichtet für die Beerdigung. Ich wusch derweil die Wäsche von der Brunnhuberin. Ich wußte halt einfach nicht, was ich sonst tun sollte. Und richtig denken konnte ich auch nicht mehr, sonst hätt ich’s vielleicht gar nicht gemacht. Die Brunnhuberin hat mir nämlich hinterher nicht einmal das Geld für die Wäsch gegeben. Weil’s so lang hat warten müssen, hat’s gesagt.
    Zwei Tage nachdem sie gestorben war, ist die Mutter dann beerdigt worden. Eine ganz einfache Holzkiste mußte als Sarg herhalten, mit dem sie in ein Armengrab am Rand vom Friedhof gelegt wurde. Ich war auch fast allein auf der Beerdigung. Bloß die Haniglin war noch dabei und hat wieder feuchte Augn kriegt. Wie der Pfarrer dann von der Mutter als eine arme, irregeleiteten Seele geredet hat, die sich einen Bankert hat aufhängen lassen, weil sie sich nicht hat der Sünde enthalten können, da wär ich ihm beinahe an die Gurgel gegangen, daß er so bös über meine Mutter spricht. Sie hatte mir nämlich einmal gesagt, daß das alles gar nicht freiwillig war, sondern daß sie einer gezwungen hat. Wer, das hat sie nicht gesagt.
    In die Schule hab ich von da an nicht mehr gehen dürfen. War ja keiner mehr da, der das Schulgeld für mich hätte zahlen sollen. Und am Nachmittag nach der Beerdigung, da kam der Hieberl und sagte zu mir, daß ich jetzt aus dem Häusl hinaus muß, weil er’s für was anderes brauchen tät. Ich hab ihn gefragt, wo ich schlafen soll, und ob ich nicht doch in dem Häusl bleiben könnt’, ich würd auch für ihn arbeiten. Da hat er nur geantwortet: „I hab genug Leut, was soll i mit am hatscherten Krüppel wie Dir anfangen? Kannst ja doch need gscheit arbeitn. Bis heut auf’d Nacht bist weg!“ und hat mich stehen lassen.
    Ich bin erst einmal dagehockt und wußte nicht, wie mir geschieht. Dann fing ich an, meine sieben Zwetschgen zusammenzusuchen und ein Bündel daraus zu machen. Ich fand sogar das Bildchen, das ich vor einer Weile von der Mutter gezeichnet hatte. Ich konnte zwar nicht so übermäßig gut zeichnen, aber auf dem Bild, da war sie direkt zu erkennen.
    Ich nahm unseren Bleistiftstummel (Tinte hab ich keine gehabt, für was auch?) und schrieb hinten drauf auf das Bild: „Anna Maria Feichtinger, gezeichnet von Jakob Eustachius Feichtinger, Sohn“. Dann legte ich’s in ihr Gebetbücherl und wickelte es in ein Tuch ein und packte es in das Bündel mit hinein. Gottseidank war die Packerei bald geschafft, viele Sachen hatten wir ja nicht und Mutters Kleider hätten mir auch nix genutzt. Die hätt‘ ich ja nicht einmal verkaufen können, das war’n ja auch nix anders als Lumpen.
    Dann suchte ich noch einmal das Häusl ab, ob ich nicht noch was wichtiges vergessen hätt. Ich hab dann eine Börse gefunden, die die Mutter unter einem lockern Bodenbrett versteckt hatte. Ich war ganz überrascht, was da alles drin war. Ich hab’s gezählt und es waren fast 37 Gulden! Das ist schon etwas. Die Mutter mußte sich wirklich jeden Heller vom Mund abgespart haben. Ich hab lang darüber nachgedacht, warum die Mutter so viel Geld gespart hat. Ob sie `leicht irgend wann mal mir was Gutes hat tun wollen, die gute Seele? Erfahren hab ich das nie, weil die Mutter ja nichts aufgeschrieben hat. Sie hat gar nicht schreiben können. Ein einziges Mal hat sie einen Brief schicken müssen, den hab ich ihr dann geschrieben. Der war an einen entfernten Verwandten drunten im Chiemgau, ob er nicht eine Arbeit für sie hat. Eine Antwort ist nie kommen.
    Übrigens: Der Hieberl hat nicht lang was von seinem Häusl gehabt. Ein paar Wochen später hat’s ein Wetter gegeben und da ist der Bach übergegangen und hat das Häusl umgerissen.
    Die nächste Zeit bin ich so in der Gegend rum. In die Schule hab ich ja nicht mehr dürfen. Trotzdem, der alte Lehrer Schropp, der wo ein guter Mensch war, der hat mir hin und wieder so ein paar Stunden gegeben und mir auch ein paar alte Schulbücher überlassen. Da hab ich dann manchmal weitergelernt. Und nebenbei hab ich versucht, bei einem Bauern in Stellung zu kommen. Aber das hat nicht geklappt. Die wollten mich alle nicht, weil ich hatsch und weil ich ein lediges Kind war. Zu der alten Haniglin hab ich auch nicht wollen, weil die genauso arm war wie ich auch, und dazu noch viel älter. Sie ist dann auch im nächsten Winter am Fieber gestorben. Ich war der einzige, der wo auf ihrer Beerdigung war. Im Vierundachtzgsten war sie gestanden.
    Ich hab dann gelernt, wie man mit einer Schlinge umgeht, damit ich mir mal einen Hasen oder ein anderes Viech fangen konnte. Hat aber keiner merken dürfen, sonst hätt’s Ärger gegeben, von wegen Wilderei und so. Aber der Braten war irgendwie lätschert, hab ich mir gedacht. Und dann bin ich draufgekommen, daß das Salz gefehlt hat. Ich langte dann schweren Herzens in Mutters Börse, bin zur Kramerin, der Euphrosyna Geißberger, und hab mir um einen Kreuzer Salz gekauft. Da hat mir das nächste Essen, eine Forelle aus dem Bach, schon viel besser geschmeckt. Die Geißbergerin hat mich übrigens ganz komisch angeschaut, wo ich ihr den Kreuzer hingelegt hab, so als wenn sie mir nicht so ganz glaubt, daß das mein eigenes Geld ist.
    In unserem Ort gab’s einen, das war der Herterveitl. Wie sich der richtig geschrieben hat, das weiß ich nicht, das hat keiner gewußt, vielleicht nicht einmal mehr er selber. Wir haben halt immer alle Herterveitl zu ihm gesagt oder einfach nur Veitl. Er war der Viechhirt bei uns im Dorf, der Herter also. Seinerzeit hat nämlich noch jedes Dorf seinen eigenen Hüter gehabt. Inzwischen ist man aber abgekommen davon, weil die Bauern ihre eigenen Leut dafür haben oder einen Drahtzaun um die Weid’ herum hinstellen.
    Der Veitl wohnte in einem kleinen Häusl beim Dorfplatz, an der Friedhofsmauer. Das Häusl war ziemlich klein und schäbig. Er war schon ein bißl älter und nicht besonders hell. Und ziemlich oft war er auch nicht nüchtern, weil er nämlich seinen knappen Lohn meistens in die Wirtschaft getragen hat. Aber auch wenn er nicht in die Wirtschaft hat gehen können, weil er kein Geld mehr gehabt hat und der Wirt ihm nicht mehr angeschrieben hat, war er oft angesoffen. Ich bin ihm draufgekommen warum: Wie ich mir einen Platz zum Bleiben suchen will, da find ich eine kleine Höhle am Hang, wo’s zum Ebergebirg hinaufgeht. Da merk ich, daß das so komisch aus der Höhle herausschmeckt. Also schau ich genauer hinein. Und was ist da drin in dem Loch? Jawohl, der Veitl! Und was hat der da drin stehen? Genau, einen Schnapsbrennapparat! Hat er sich doch tatsächlich heimlich seinen Schnaps selber gebrannt.
    Ich hab ihm dann ein paar Tag zugeschaut und gesehen, daß er immer irgendwo ein bisserl Obst hergebracht hat, Holzäpfel aus’m Wald zum Beispiel oder alle möglichen Beeren. Die hat er vergären lassen und dann hat er’s gebrannt. Das war ihm anscheinend wichtiger als wie die Viecher von den Bauern, auf die er hätt aufpassen sollen (auf die Viecher, nicht auf die Bauern, auch wenn ein paar von denen schon ganz schöne Viecher gewesen sind).
    Wenn der Veitl dann sein Gesöff verkostet hat, dann wars natürlich aus mit dem richtigen Aufpassen auf die Viecher. Da hat’s dann schon mal passieren können, daß ihm welche davon sind und dann gab’s Ärger mit den Bauern, denen wo die gehört haben.
    Einmal war’s dann ganz gach. Ich bin grad mal wieder durch die Gegend, weil ich hab nachschauen müssen, ob in meinen Schlingen vielleicht was drin ist. Ich hab ihn liegen sehen, den Veitl, ganz in der Nähe von seiner Höhle. Der hat vielleicht gesägt, grad als wie wenn er ein ganzes Eichet umschneiden wollt. Ich hab schon gemerkt, daß wieder ein paar Küh weg waren, aber ich hab ihn nicht wachgekriegt, nicht einmal mit einem kalten Wasser, das ich ihm ins Gesicht gespritzt hab. Der Veitl war sternhagelvoll.
    Dann ist auch schon einer von den Bauern gekommen, der Stieber Pankraz. Er hat nämlich eins von den Viechern mutterseelenallein auf einem Acker herumlaufen sehen. Der Acker war der seine und drum war er stocknarrisch. Er hat den Veitl gesehen und ihm einen Riesentritt verpaßt, aber der Veitl hat sich kaum gerührt. Da sagte der Stieber zu mir: „Bua, du fangst jetzt auf der Stell die Viecher zamm, sunst kracht’s! Auf gehts, zackzack!.“ Ich bin gleich los. Einen halben Tag hat’s gedauert, bis die Herde wieder beieinander war – fast. Eine Kuh war am Ufer vom Bach ausgerutscht und hat dann nimmer selber aus dem Bach herauskönnen. Wie ich sie mit viel Mühe dann rausgezogen hab, da seh ich, daß sie sich den Haxen gebrochen hat. Sie hat geschlachtet werden müssen.
    Der Veitl, der inzwischen wieder halbwegs bei sich war, hat sich vom Steineggerbauern, dem die Kuh mit dem gebrochenen Haxen gehört hat, einen Mordskrach anhören müssen. „Du zahlst die Kuh!“, hat er’n angeplärrt. „Sunst bist grichtsmassi!“ Der Steinegger hat laut plärren können, fast so laut wie der Fäustlbauer.
    Zahlen hätt der Veitl die Kuh bestimmt nicht können und vorm Gericht hat er anscheinend eine Angst gehabt, jedenfalls war er am nächsten Tag nicht mehr da, wie der Gendarm zu ihm kommen ist. Ich hab nie mehr was von ihm gehört (vom Veitl mein ich, nicht vom Gendarmen).
    Da standen also in der Früh ein paar von den Bauern mit dem Gendarmen vorm Herterhaus und beratschlagen. Sie haben jetzt keinen Herter mehr, der ihnen das Vieh auf die Weide bringt. Ich hab sie gesehen und bin hin. Einer von den Bauern – wer könnt’s wohl anders gewesen sein als der Hieberl – will mich gleich wieder weiterschicken. Aber ich bleib stehen.
    „Meine Herrn, darf ich untertänigst bitten, daß ich an Moment mal was sagen darf?“, frag ich.
    „Was hast’n Du schon zum schnabeln, wenn Erwachsne reden, dummer Bua!“, sagt der Hieberl.
    „I daad recht schee bitten, daß i jetzt an Herter macha derfert. I brauch ja a Arbeit und i sauf aa need und i konn guad auf die Viecher aufpassen!“ sag ich und schau recht freundlich.
    „Aah, gäh zua, du Grippi, wer wui denn an hatschertn Herter! Du kummst ja dene Viecher går ned nåch, wanns da åbhaun.“, schimpft der Hieberl.
    „Aber er håd uns immerhin die Viecher gestern wieder zamgfangt, wia da Veitl bsoffa war.“, sagt der Gaggenhuber.
    „Und mir brauchan wieda an Herter. Wer soid se denn sunst um unsane Viecher kimmern.“, meldete sich der Steinegger.
    „Wås mach ma denn, wenn da Veitl wiederkummt?“, fragte der Stieber Pankraz.
    „Der soid si bloß traun! Dem schlåg i as Greiz åb, wann i’n dawisch!“, belferte der Steinegger. „Naa, naa, i bi scho lang dafür, daß ma uns an neichn Herter herdean. Aber ees woidz nia auf mi hearn. Und jetz’ is’ bassiert. Denkts an mei Kua und seid’s froh, daß de enkern xund blim han!“
    „Ja, moanst ‘leicht...“
    „Warum nacha need. Wann a nix daugt, kenn man oiwe no zum Deifi haun und an andan suacha.“
    Ja, und so bin ich der Herter geworden. Ich bin gleich mit alle Küh auf die Weid und alles ist gut gegangen. Am Abend hab ich die Kühe wieder heimgebracht in die Ställe und dann bin ich ins Herterhaus. Mei, da hab ich erst mal aufräumen dürfen. Der Veitl hat vielleicht einen Saustall dagelassen. So einen Haufen Glump wie da drin war, das kann sich gar kein Mensch vorstellen. Und gestunken hat’s! Ich hab einen ganzen Berg voll Graffl aus dem Haus hinausgetragen und vergraben. Und dann hab ich ein bisserl Stroh genommen und in die wacklige Bettstatt vom Veitl getan. Wie ein Stein bin ich eingeschlafen.
    Aber dann bin ich aufgewacht. Von der Kirchen her hat’s grad halb zwei geschlagen, da lieg ich wieder wach da. Um mich rum krabbelt was! Schnell zünd ich den Kerzenstumpen an und schau genau hin. Und was seh ich da? Wanzen! Richtige fette Wanzen! Jede Menge von dene greislichn Viechern. Bei uns im Haus, wo die Mutter noch gelebt hat, da hat’s sowas nie gegeben, weil sie eine säuberliche Frau war. Jede Woche hat sie gründlich geputzt. Da hätt's kein Ungeziefer geben. Das hätt die Mutter nie zulassen.

    ...


    Jetzt bin ich mal gespannt, wie das hier ankommt... ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Speedy - 12.06.2005, 14:53


    So, ich hab mir die Geschichte jetzt mal durchgelesen...

    Also, so ganz mein Genre ist es ja nicht unbedingt, aber ich kann jetzt auch nicht sagen, dass es langweilig geschrieben wurde. ;) Der Text liest sich recht flüssig, bis auf die Dialoge, das gestaltet sich für nen' Nicht-Bayern recht schwierig. ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 12.06.2005, 22:12


    Das kann natürlich sein, dass es für einen Nicht-Bayern gelegentlich etwas schwierig ist. Aber ich wollte halt das Lokalkolorit einfangen, ungefähr so wie die bayerischer Volksschriftstellerin Lena Christ. Aber danke für das Lob (auch wenn es nicht dein Genre ist...) ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Speedy - 12.06.2005, 23:49


    Nee, das mit dem Dialekt passt ja auch dazu, das macht's urig und glaubhaftiger.



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 14.06.2005, 18:18


    Na eben... ich schreib vielleicht mal dran weiter... ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Speedy - 15.06.2005, 00:16


    Fände ich gut, mach aber nicht den Fehler es dann unnötig in die Länge zu ziehen. :)



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 19.06.2005, 17:23


    Wär das denn so schlimm, wenn ein Roman draus würde?



    Re: Der glückliche Jackl

    Speedy - 20.06.2005, 00:10


    Ich persönlich fände es bei dieser Geschichte besser, würde sie relativ kurz bleiben und ein offenes Ende haben, das passt besser zum ganzen Drumherum.



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 21.06.2005, 21:30


    Ich habe eigentlich schon recht konkrete Gedanken fürs Ende... ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Speedy - 21.06.2005, 23:16


    Naja, mach halt einfach mal. ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 23.06.2005, 20:46


    Tu ich auch... ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Speedy - 31.10.2005, 17:19


    Wie schaut's denn mit der Fortsetzung aus?



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 31.10.2005, 17:29


    Die ist leider noch nicht geschrieben. :)



    Re: Der glückliche Jackl

    Speedy - 14.11.2005, 13:09


    Schade eigentlich. Wenn du mal wieder Zeit und natürlich Lust hast, dann nur zu. ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 20.11.2005, 15:23


    Ich denk nur die meiste Zeit net dran. :D



    Re: Der glückliche Jackl

    Angie - 22.01.2006, 16:28


    Lieber Josef D.,

    an Deiner Stelle würde ich mich aber mal wieder dran setzen. Bin eben mal wieder reingeschneit und fand dein Werk wirklich sehr gelungen. Besonders die "Bayerisch-Einlagen" :D



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 05.02.2006, 02:54


    Oh, danke, das ist sehr lieb von dir! Ja, ich muss da mal weiterschrieben! Aber erst mal Zeit haben.. ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Speedy - 06.02.2006, 22:40


    Ach, Josef, jetzt tu doch nicht so... :nono: :D :D



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 07.02.2006, 00:35


    Sorry, im Moment bin ich nicht so musengeküsst... (das kann sogar J. K. Rawlins mal passieren... :D )



    Re: Der glückliche Jackl

    Speedy - 07.10.2006, 16:19


    Und, wie siehts aus mit der Muse? ;)



    Re: Der glückliche Jackl

    Josef D. - 08.10.2006, 18:47


    Paar Zeilen hab ich geschrieben, aber bin nicht weit gekommen....



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