Master of darkness

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  • Forenbeschreibung: Der zweite Meister überzieht London mit Tod und Verderben
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    Re: Master of darkness

    Andrew Simmons - 14.01.2007, 18:19

    Master of darkness
    Master of darkness schließt direkt an die Ereignisse in Reign of evil an und bildet damit den zweiten Pfeiler der Vorgeschichte zu Master of death.

    Viel Spaß damit!



    Re: Master of darkness

    Andrew Simmons - 21.01.2007, 14:51


    Master Of Darkness

    Kapitel 1: Windstille

    Richard lief schweigend durch die Strassen Londons. Links und rechts von ihm hatten sich Schneewehen gebildet, da am Morgen der Bürgersteig frei geräumt worden war. Wenn der Mann seinen ernsten und irgendwie gramvollen Blick hob, wichen die Menschen, welche ihm entgegen kamen, von selbst aus. Seine Schuhe fanden mühelos Halt, auch wenn einige Stellen des Steins bereits vereist waren. Nach außen hin wirkte Richard auf den ersten Blick eindrucksvoll und dominant. Hätten die Menschen nicht instinktiv das Bedürfnis gehabt ihm auszuweichen, hätten sie jedoch schnell erkannt, dass der Mann von einer Unruhe besessen war, die ihm nicht erlaubte innezuhalten.
    Wortfetzen drangen an die Oberfläche von seinem Bewusstsein. Die Bilder des Vorfalls, der seinen Freund in einen nicht zu unterbrechenden Tiefschlaf geschickt hatte, hatten sich in sein Bewusstsein eingebrannt und immer wieder tauchten Fredericks dunkle Augen vor ihm auf, die ihn resigniert ansahen.
    Er hätte handeln müssen! Er hätte einschreiten müssen! Er hätte Frederick ein einziges Mal vertrauen müssen. Richard hatte nichts davon getan und in seiner Lebensauffassung geglaubt, dass ein Mensch wie Andrew niemals Gefahr laufen konnte an einen Punkt zu kommen, der ihn verzweifeln lassen würde. Seitdem er ihn kannte, war der Mann nicht gestolpert, hatte keine unsinnigen Umwege genommen, war immer extrem fokussiert gewesen und hatte einfach alles richtig gemacht, um bei seinem Ziel anzukommen. Andrew hatte ihn aus den Depressionen geholt, aus dem selbstzerstörerischen Kreislauf von Weltschmerz und Verzweiflung herausgeholt, ihm die Sicherheit eines klaren Verstandes gegeben und damit die Grundlage geschaffen, auf der Richard arbeiten konnte. Doch Andrew selbst war niemals der Hoffnungslosigkeit anheim gefallen. Zorn war in ihm gewesen, aber niemals Verzweiflung.
    Was hatte er geglaubt? Konnte er wirklich so abgrundtief sarkastisch sein anzunehmen, dass ein Mann, den er einst verletzt hatte, von ihm kein Mitgefühl mehr erfahren konnte? Hatte er wirklich geglaubt, dass jemand, der etwas Derartiges einmal überlebt hatte, von nichts anderem mehr angegriffen werden konnte?
    Oder spielte er überhaupt keine Rolle? Wäre trotzdem alles seinen Weg gegangen wie es geschehen war? Hätte er nichts daran ändern können?
    Richard hielt vor dem Krankenhaus inne, in welchem Andrew nun schon seit Tagen schlief. Es war geschehen, was geschehen war. So sehr er Andrew auch schätzte und mochte, was er einst durchgemacht hatte, würde er nicht noch einmal durchmachen. Der Mann war krank und es schien keine Heilung in Sicht zu sein, doch Richard hatte sich selbst geschworen sich dadurch nicht in seinem Bestreben bremsen zu lassen. Nichts sollte ihn daran hindern, nach vorne zu blicken. Nichts durfte die Macht erhalten, ihm sein Handeln entgleiten zu lassen. Er würde nicht aufhören an eine Lösung zu glauben. So wie Andrew es ihn vor vielen Jahren gezeigt hatte. Es gab immer einen Weg und die wirklich Mächtigen waren die, die diese einfache Regel nicht nur erkannt, sondern auch gemeistert hatten.
    Richards Blick hatte sich geklärt und der Gram war daraus verschwunden. Das leichte, arrogante Lächeln war auf seine Züge zurückgekehrt und mit gemäßigten Schritten überquerte er die Strasse, um in das Hospital einzutreten.
    Sein Freund brauchte Hilfe und er würde sie ihm gewähren, denn im Gewähren war Richard schon immer gut gewesen.

    Frederick kniete neben der grauenvoll zugerichteten Leiche und seine Fingerspitzen strichen über das weiße Tuch, welches sie vor den Blicken der Anwesenden schützte.
    Der Inspektor war verzweifelt, doch diese Tote war nur einer der vielen Gründe dafür. Innerhalb von wenigen Tagen hatte sich sein Leben verändert und Frederick fragte, ob er einfach zu blind gewesen war, die Vorzeichen zu erkennen oder sein Vorgehen zu sanft gewesen war.
    Er hatte Andrews Wahnsinn erkannt, doch seine Ausmaße unterschätzt. Er hatte einen Fehler gemacht, gerade er, der immer zu wissen schien, was wann wo wie geschehen würde. Er hatte sich verkalkuliert.
    „Was halten Sie davon?“ fragte Valentine und Frederick erhob sich hier.
    „Ich habe keine Ahnung, welcher Irre hier seine Spielchen spielt.“ Entgegnete er. Der Satz war schon fast zu einer Standardantwort geworden, denn die letzten Leichen hatten ihn zum selben Ergebnis geführt.
    „Wir brauchen eine Lösung!“ sagte Valentine überflüssigerweise und Frederick wirbelte herum. „Das weiß ich selbst! Haben Sie eine?“
    Seine dunklen Augen funkelten zornig und verzweifelt. Er hatte das Gefühl, dass ihm alle Fäden, die er einst in den Händen gehalten hatte, aus den Fingern glitten und er nichts tun konnte außer zuzusehen.
    „Ich meine ja nur…“ begann Valentine, doch Frederick ließ ihn einfach stehen. Angewidert starrte er auf das brackige Wasser einer Pfütze, in welches sich ein wenig Blut gemischt hatte. Wer nachts durch die Strassen schlich und wahllos Männer und Frauen schlachtete, blieb ihm ein Rätsel. Frederick hatte schon oft in das finstere Gesicht der Menschheit gesehen, doch solch eine blinde Mordlust war selbst ihm fremd. Sie zerrte an ihm, vergrößerte seinen Schmerz und fraß langsam jedes bisschen an Kraft, das er noch besaß.
    Morgen würden sie Lisa begraben und ihren Ehemann währenddessen weiterhin unerreichbar in dem hässlichen, weißen Krankenbett schlafen lassen müssen. Es war für ihn nahezu unfassbar. Zornig schlug Frederick mit einer Hand gegen eine schmutzige Hauswand und senkte den Blick.
    Was war geschehen und wer war dafür verantwortlich? Das waren die Fragen, die den Inspektor beschäftigten und nachts nicht schlafen ließen. Sein kriminalistisch geschulter Verstand ging die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen immer wieder durch, aber es wollte sich ihm keine Lösung zeigen. Alles, was vorgefallen war, blieb ihm verschlossen und ein Rätsel.
    „Ich sah, dass du besessen warst.“ Sagte er leise, während er sich von der Wand abstieß und langsam in Richtung Strasse schritt. „Aber ich konnte nicht begreifen, welcher Dämon es gewesen war. Ich weiß es noch immer nicht.“
    Fredericks Augen glitzerten kummervoll.
    „Hilf mir, Andrew…“

    Lea sah nachdenklich auf den Mann der Frau, die sie bis zu ihrem Tod gepflegt hatte. Die Familie Simmons schien wahrlich nicht vom Glück gesegnet zu sein. Wie zuvor bei Lisa, so empfand sie auch jetzt tiefes Mitgefühl für den Patienten, auch wenn er weder Schmerz noch Leid zu verspüren schien in seinem Schlaf.
    Lea arbeitete noch nicht lange als Krankenschwester und der Wandel von dem energiegeladenen, enthusiastischen Mann zu diesem blassen und kraftlosen Wesen erschreckte und berührte sie. Bei Mrs. Simmons hatte die Veränderung langsam stattgefunden. Es war genauso schmerzhaft gewesen sie langsam verblassen zu sehen, aber nicht so erschreckend wie der plötzliche Wandel ihres Mannes.
    Die Krankenschwester breitete eine weitere Decke über die bereits vorhandene weiße aus und machte sich dann daran, dass Zimmer zu verlassen. Als sie die Tür leise hinter sich schloss, konnte sie bereits die hoch gewachsene Gestalt von Richard Concord erkennen, der zielstrebig auf sie zukam.
    Der Mann war ihr seit dem Vorfall nicht sympathischer geworden. Es handelte sich eher um das Gegenteil, da sein Blick an Intensität und Hitze zugenommen zu haben schien. Lea versuchte eine Begegnung zu vermeiden, doch das war nicht möglich.
    „Irgendetwas neues?“ fragte der Okkultist, ohne ihr einen guten Tag zu wünschen. Er schien es gewohnt zu sein, dass man tat, was er wollte.
    „Guten Tag, Mr. Concord.“ Entgegnete sie kühl, verärgert über sein Verhalten. Sie hob ihren Blick und wagte es den grünen Augen zu begegnen, doch wohl war ihr dabei nicht.
    Sein Lächeln vertiefte sich ein wenig, als er ihrer Kritik lauschte, doch es wurde auch eine Spur abfälliger.
    „Es hat sich nichts verändert.“ Fügte sie schließlich hinzu, als sie bemerkte, dass die Pause zu groß wurde, um natürlich zu wirken. Ihre Stimme hatte deutlich an Schärfe verloren.
    „Das hatte ich auch nicht erwartet.“ Erwiderte der Okkultist gedankenverloren und schritt dann ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei.
    Lea blieb einen Augenblick lang wie gelähmt stehen, bis sie begriff, dass er genau das getan hatte, was er getan hatte und wirbelte dann herum, um die Hände in die Hüften zu stemmen. Was glaubte dieser Mensch eigentlich, wer er war?!
    In diesem Moment verschwand Richard Concord in dem Krankenzimmer und ihr blieb nicht viel anderes übrig, als fassungslos die Hände zu öffnen und zu schließen, sich dann auf dem Absatz umzudrehen und davon zu wirbeln.



    Re: Master of darkness

    Andrew Simmons - 21.01.2007, 14:52


    Kapitel 2: Wind

    Schweigend und mit unbewegten Zügen verfolgte Richard die Zeremonie, mit welcher Lisa zur letzten Ruhe gebettet wurde und er glaubte, dass diese Frau niemals schöner gewesen war.
    Unbewegt, nicht mehr erreichbar für die Qualen des Lebens lag sie in dem geöffneten Sarg, die Haare gerichtet, das blasse Gesicht mit Farbe zu trügerischem Leben erweckt.
    Richard wusste, dass nicht Frederick und er neben Sir LeCarrie stehen sollten, doch es gab sonst niemanden, der es tun konnte und so verharrten sie schweigend, wo sie waren und nahmen still Abschied von einer Frau, die ihre Freundin gewesen war.
    Sie war ein Sonnenschein im trüben London gewesen und Richard wusste, dass er sie vermissen würde. Gillian verfügte über alles, was ein Mann sich an einer Frau wünschen konnte, doch Lisas Qualitäten waren weitaus tiefer gegangen. Sie ähnelte nicht dem Blatt im Wind, das Gillian mit all dem, was sie besaß, war, sondern hatte mehr Beständigkeit und Geduld, Ausdauer und Ehrlichkeit besessen, als die Femme Fatale. Richard hatte sie Zeit ihres Lebens sehr geschätzt und das nicht nur, weil sie wusste, wie man ihm die Stirn bot, was sie oft und gerne mit ihrem feinsinnigen Humor getan hatte. Die Welt hatte mit Lisa einen vortrefflichen und liebenswerten Menschen verloren . Richard selbst eine Freundin.
    Die Beerdigung war auch das erste Mal nach dem Vorfall, dass er Frederick wieder sah. Der Inspektor selbst wirkte krank und geplagt und Richard meinte sich daran erinnern zu können, dass in der Nacht nach dem Unfall eine Serie recht blutrünstiger Morde begonnen hatte. Es war wahrscheinlich, dass es sich dabei um Fredericks neues Aufgabengebiet handelte.
    Nach der Zeremonie und der anschließenden Beerdigung trat Richard zu Frederick und dessen Frau, deren herbschönes Gesicht blass und verhärmt war. Die Kleine war gut, in dem was sie tat, aber wenn sie vertraute, ließ sie alle Masken fallen. Ihr kriminalistischer Mann sollte ihr irgendwann einmal klar machen, dass das genauso gefährlich war, wie die Masken gegenüber Fremden fallen zu lassen.
    Frederick hob kraftlos den Blick und Richard konnte in den dunklen Augen die Verzweiflung und den Schmerz erkennen, den er selbst empfunden hatte. Der Mann war schon immer sensibler gewesen als er selbst. Er würde sich zusammenreißen müssen, aber Richard wusste, dass die Disziplin dafür vorhanden war.
    „Es ist nicht gerecht.“ Sagte er leise und Richard nickte.
    „Wann ist es das schon mal, Frederick?“ entgegnete er und machte eine Bewegung in Richtung des Kiesweges, den viele weitere Trauergäste bereits betreten hatten.
    „Wie geht es jetzt weiter?“ fragte Frederick leise und der Okkultist kniff die blassen Augen zusammen, so dass sie aufblitzten. Das war die entscheidende Frage. Sie konnten nicht einfach zu ihrem Alltag zurückkehren. Er hatte sich verändert und der Wind hatte viel Neues zu ihnen getragen. Wie aber sollten sie dem Herr werden, wenn es sich ihnen nicht offen zeigte?
    „Ich fürchte, dass uns nichts als abzuwarten bleibt.“ Meldete sich Laras klare Stimme zu Wort und Richard streifte sie mit einem nachdenklichen Blick.
    „Wir haben noch immer eine Fledermausleiche und Kuttenträger.“ Entgegnete er einfach und störte sich nicht im Geringsten daran, dass andere Menschen um sie herum waren. Man hatte ihn ohnehin den ganzen Tag bereits abschätzig taxiert. Richard jedoch war die Meinung der anderen so gleichgültig, dass er das schon lange nicht mehr bemerkte.
    „Nicht jetzt.“ Sagte Frederick leise und Richard nickte schließlich. Es war noch immer eine Beerdigung. Danach war noch genug Zeit sich über die Zukunft den Kopf zu zerbrechen.
    Der Okkultist hob den Kopf und spürte den Wind seine Wange streifen. Einen Moment lang gab er sich der Illusion hin, dass einer der schwarzgekleideten Menschen sein Freund Andrew war und der Wind seine Worte des Abschieds zu dem Grab tragen würde, doch er wusste, dass es immer ein Gedankenspiel bleiben würde.
    „Morgen.“ Sagte Frederick und strich sich eine der dichten Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Lasst uns morgen darüber sprechen.“
    Richard stimmte ihm zu, dachte kurz nach und sagte dann süffisant lächelnd: „Ich werde nach meinem Besuch bei Andrew meine Aufwartung machen. Macht euch auf eine Menge unschöner Gerüchte gefasst.“
    Seine Augen streiften die beiden Menschen mit einer Spur milden Spotts, doch er musste innerlich zugeben, dass sie verloren wirkten. Frederick und auch Lara waren beide Leid geprüft und doch bleiben ihre Gemüter so verletzlich. War das die richtige Beschreibung? Richard wusste es nicht, doch es fiel ihm keine bessere ein.
    Er verabschiedete sich von dem Inspektor und seiner Frau und schritt den Kiesweg hinauf. Richard streifte ein paar dunkle Handschuhe über und warf einen abschätzenden Blick zum Himmel. Es würde heute noch einmal schneien.
    Als er nach vorne sah, stockte ihm einen Moment lang der Atem, doch dann malte sich ein Lächeln auf seine Züge. Inmitten der schwarzgewandeten Menschen stand hoch aufgerichtete ebenfalls in schwarz und doch betörend anders Gillian Jennings. Ihr rotes Haar war hochgesteckt und von einem Hut bedeckt, dessen dezenter schwarzer Schleier es fertig brachte ihre Züge gleichzeitig züchtig zu bedecken und noch anziehender zu machen.
    Er trat auf sie zu und betrachtete voller Wohlgefallen die schwarzen, bestickten Handschuhe, deren dunkle, winzige Perlen matt schimmerten und welche schließlich unter den engen Ärmeln des schwarzen Mantels verschwanden, mit dem sie angetan war.
    „Du bist sicher nicht wegen der aufregenden Mode hier oder?“ fragte er und machte eine einladende Bewegung den Bürgersteig hinab, woraufhin sie sich in Bewegung setzte und neben ihm her schritt.
    „Ich dachte, ich könnte mit meiner eventuell ein wenig Einfluss nehmen, doch wohin man auch sieht, überall dieselben, langweiligen Schnitte.“ Entgegnete sie ruhig mit ihrer sinnlichen Stimme. Richard lächelte ein wenig und wartete, bis sie sich ein wenig entfernt hatten, bevor er fragte: „Was also treibt dich an einem solchen Tag nach draußen?“
    Ihre dunklen Augen sahen über seine Schulter in Richtung des Friedhofs. „Hat es also doch ein schlimmes Ende genommen mit Mrs. Simmons.“ Sagte sie stattdessen und Richard spürte das altbekannte Gefühl von Nervenkitzel und Gefahr, als er sie reden hörte.
    „Es war ein Ende, das abzusehen war.“ Entgegnete er vorsichtig, da er nicht genau wusste, worauf sie hinaus wollte.
    „Vielleicht.“ Erwiderte Gillian und schien das Thema dann beenden zu wollen.
    „Ein Vorfall, der uns allen bekannt ist, ist Grund dafür, dass ich dich nicht früher zu packen bekam.“ Erklärte sie und Richard war über den Themenwechsel überrascht.
    „Weshalb solltest du das wollen?“ fragte er grinsend und sie schenkte ihm einen schwer zu deutenden Blick.
    „Ich habe mich mal ein wenig in unserer Bibliothek umgesehen und tatsächlich etwas gefunden.“
    „Hast du?“ Jetzt war Richard neugierig.
    „Ja, aber die Quelle stellt sich als fraglich dar. Es handelt sich dabei um ein Compendium von Volksmythen.“
    Seine Neugier ebbte langsam wieder ab. Volksmythen waren nicht unbedingt das, was er erwartet hatte.
    „Du glaubst also, dass Geschichten, die sich Bauern um ihren Kamin herum erzählen weiterhelfen können?“ fragte er tonlos. Auf einmal verspürte er eine tiefgreifende Müdigkeit. „Das ist lächerlich, Gillian.“
    „Es ist mehr, als du bislang zustande gebracht hast.“ Sagte sie zuckersüß, aber er gewahrte durchaus den schneidenden Unterton in ihrer Stimme. Er gefiel ihm nicht.
    „Hör zu, Gillian. Ich komme gerade von der Beerdigung der Frau meines besten Freundes.“ Sagte er und blieb stehen. Die Ungeduld war nun deutlich in seinem Tonfall zu vernehmen, doch sie beeindruckte die junge Frau nicht im Geringsten. Gillian hob das Kinn ein wenig und ihre Augen begannen hinter dem Schleier zu funkeln.
    „Ich bin nicht blind und auch nicht taub.“ Drang ihre Stimme an sein Ohr. Sie nahm ein paar Pergamentstücke aus ihrer Handtasche, während sie sagte: „Jeder weiß, was heute für ein Tag ist. Man müsste schon von einem anderen Stern kommen, um nicht zu begreifen, dass Mrs. Lisa Simmons heute begraben wird.“
    Sie drückte ihm die Pergamente in die Hand.
    „Studiere sie, wenn deine Zeit es zulässt. Du weißt, wo du mich finden kannst.“ Sagte sie. „Mein Beileid, Richard.“
    Mit diesen Worten wandte sie sich um und ließ ihn mit den Schriftstücken allein zurück.
    Richard spürte den Schmerz des Verlustes kurz in sich aufkommen. Er hätte ihre Gesellschaft gerne länger genossen, doch er wusste, dass es besser für ihn war, wenn sie ging. Er hatte nicht die nötige Geduld, jetzt ihr sorgfältig vorbereitetes Spiel aufzunehmen.
    Nachdenklich blickte Richard auf seine gefüllte Hand und ging dann mit langsamen Schritten in Richtung seiner Kutsche davon.

    Lea öffnete vorsichtig die Fensterläden in dem Krankenzimmer und ließ sich die Gardinen von dem scharfen Nachtwind ins Gesicht wehen.
    „Ihre Frau wurde heute begraben.“ Begann sie zu sprechen, obwohl sie wusste, dass Andrew sie nicht hören konnte. „Ich denke, dass die Zeremonie das gewesen ist, was Sie gewollt hätten. Ihr Freund und Ihr Schwiegervater haben alles in die Hand genommen… Nur Sie“. Sie blickte zu Andrew, der wie erwartet ruhig schlief. „Haben gefehlt.“
    Lea wandte sich um und lehnte sich gegen die hüfthohe Wand, während die Kälte des Winters ihren Rücken hinaufkletterte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Mein Vater hat mir immer erzählt, dass man Verstorbene loslassen muss innerhalb der nächsten drei Tage ihres Dahinscheidens. Sonst finden sie den Weg wohin auch immer nicht mehr… Ich weiß nicht, ob das stimmt… aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie im Moment gar nichts finden, Mr. Simmons. Sie wissen weder, ob sie nach vorne schreiten oder umkehren sollen… Das ist sehr schade, wissen Sie, denn es gibt hier noch so viele Menschen, die alles dafür geben würden, dass Sie zurückkommen.“
    Sie seufzte leise und der Wind spielte liebevoll mit einer ihrer Haarsträhnen.
    „Sie haben Ihre Frau verloren und schreckliches erlebt, da bin ich mir sicher. Dass Sie diese Welt nicht unbedingt reizt, kann ich verstehen. Aber… Sehen Sie… hier sind noch so viele unbehandelte Wunden… Das sollte Sie als Arzt nicht kalt lassen. Ihre Freunde suchen nach Antworten… und das Suchen würde ihnen sicherlich leichter fallen, wenn Sie ihnen dabei helfen.“
    Sie lächelte kurz.
    „Nach allem, was ich gehört habe, sollen Sie eigentlich ein sehr fröhlicher Mensch sein. Schade, dass ich Sie in einer traurigen Phase Ihres Lebens kennen gelernt habe. Ich hätte mich gerne von der Richtigkeit dieser Aussage überzeugt. Das ist wie ich finde übrigens noch ein Grund, weshalb Sie sich noch einmal überlegen sollten, in welche Richtung Sie jetzt gehen. Nicht immer ist zurück auch schlecht. Manchmal muss man umdrehen und den eigenen Fortschritt hinten an stellen, um anderen zu helfen, weiterzukommen. Ich denke mir, dass Sie das durchaus für Ihre Freunde tun würden… Oder?“
    Lea wandte sich um und schloss die Fensterläden wieder. Die Luft in dem Raum war nun kalt, aber frisch und damit genau das richtige für eine lange Nacht voller Schlaf.
    Sie trat zum Nachttisch und nahm die Öllampe an sich, welche weiche Schatten an die Wände warf.
    „Bis morgen, Mr. Simmons.“ Verabschiedete sie sich und verließ mit dem Licht den Raum, schloss leise die Tür und ließ den Mann allein zurück in seinem Schlaf.



    Re: Master of darkness

    Andrew Simmons - 21.01.2007, 14:53


    Kapitel 3: Sturm

    „Warum hat mir keiner Bescheid gesagt?“ fauchte Richard wütend und starrte den jungen Arzt vor sich an. Er war hochgewachsen und schlank, seine Gesichtsfarbe war sehr blass und die braunen Augen funkelten in nicht zu bestreitender Intelligenz, während sein kurzes, dunkles Haar in alle Richtungen vom Kopf abstand. Ganz offensichtlich fochten die beiden Parteien jeden Morgen einen Kampf aus und Doktor Immanuel Brack hatte diesen verloren.
    „Damit Sie was genau tun?“ erkundigte sich der Mediziner höflich, aber eine Spur zu ungeduldig, um echt zu sein.
    Richard erinnerte sich daran, dass Andrew den Mann sehr schätzte, was der einzige Grund dafür war, der dagegen sprach ihn auf der Stelle in der Luft zu zerreißen.
    „Es geht ums Prinzip. Da drin liegt mein Freund und wenn sich etwas an seinem Zustand ändert, dann will ich das wissen!“ fauchte Richard.
    Brack zog eine Augenbraue hoch.
    „Vielleicht sollten Sie es dann einrichten erreichbar zu sein, Mr. Concord.“
    „Ich bin IMMER erreichbar!“ tobte Richard und hätten Blicke töten können, wäre er wohl zum Massenmörder geworden. Brack zuckte auf jeden Fall zusammen, wurde aschgrau im Gesicht und wankte einige Schritte zur Seite.
    Richard kümmerte sich nicht darum, ließ ihn achtlos links liegen und betrat das Zimmer, in welchem ein mittlerweile fiebernder Andrew lag.
    Das Bild erinnerte Richard schmerzlich an das letzte Mal, als er seinen Freund wach gesehen hatte. Das Haar klebte ihm an Schläfen und Stirn, das Gesicht war weiß und die dunklen Ränder unter den Augen besorgniserregend. Dennoch konnte Richard nicht umhin eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Andrew zu entdecken, der wie von Sinnen durch sein Haus gerannt war und in seinem Labor schließlich… etwas getan hatte.
    Richard runzelte die Stirn, als er sich an die Augenblicke im Keller erinnerte, an das grüne Licht, Schreie. Worte? Der Okkultist versuchte sich genauer zu entsinnen, doch es fiel ihm schwer. Obwohl er sich ständig mit derlei Dingen umgab, erschien ihm die Szene jetzt, bei Tageslicht, betrachtet seltsam unwirklich und wie aus einem Albtraum genommen.
    Andrew vor ihm war allerdings sehr real und Richard spürte wie Trauer ihn erfüllte. Ihn beschlich der Gedanke, dass das, was er jetzt sah, letztendlich der Grund war, weshalb niemand von ihnen so eingeschritten war, wie es nötig hätte sein müssen. Andrew hatte sich nur gewünscht etwas für den Menschen tun zu können, den er liebte. Richard konnte dieses Gefühl im Moment sehr gut verstehen. Seine Fingerspitzen berührten geradezu scheu die weiße Bettdecke, als wollte er sich selbst nicht gestatten die Geste auszuführen. Es war sein ewiger Tanz um die Persönlichkeit des Mannes herum, der ihn so handeln ließ. Sie waren sich einst sehr nah gewesen und hatten die gleichen Ideen und Visionen gehabt, doch er hatte es nicht für nötig gehalten, dieses zerbrechliche Gebilde mit der Vorsicht zu behandeln, die ihm zugestanden hätte. Er hatte es zum Einsturz gebracht, anstatt sich höflich und bescheiden aus dem Glashaus zurückzuziehen.
    Richard wünschte sich noch einmal an diesen Punkt zurückkehren zu können, doch er wusste, dass es keine Möglichkeit gab, Andrew das wiederzugeben, was er so freimütig mitgenommen hatte. Jetzt glaubte der Wissenschaftler jeden Weg alleine gehen zu müssen und war überzeugt, dass Schmerz nicht von Freunden mitgetragen oder verstanden werden konnte, doch das war nicht immer so gewesen.
    Richard senkte den Blick und klopfte sanft auf die Decke. Andrew würde wohl immer das Mahnmal für ihn bleiben bei all seinem Selbstbewusstsein und seiner Arroganz niemals zu vergessen, wie schwach er letztendlich blieb.
    Ohne sich noch einmal umzudrehen verließ er den Raum und begab sich auf den Weg zu Frederick und Lara, die mit seiner Ankunft rechnen würden.

    Lara beobachtete Richard genau, der sich mit gleichzeitig lässigen und raubtierartigen Bewegungen in den Salon bewegte, in einer fließenden Geste den Mantel abstreifte und sich in einen der Sessel niederließ. Der Mann legte die Fingerspitzen aneinander und fixierte Frederick und sie über die Hände hinweg. Seine Züge wirkten gewohnten unbewegt und um seine Lippen lag das leicht spöttische Lächeln, welches typisch für ihn war. Seine Augen wirkten allerdings alles andere als belustigt.
    „Ich war gerade im Krankenhaus.“ Begann er das Gespräch und sparte sich eine Begrüßung. „Andrews Zustand hat sich verschlechtert.“
    Lara konnte sehen wie sich Fredericks Hände fester um die Sessellehnen schlossen, auch wenn er versuchte zu verbergen, wie sehr ihn diese neutral vorgetragene Information berührte.
    „Schlechter?“ fragte er nach.
    „Er fiebert und scheint schwächer zu werden. Es…“ Richard wirkte einen Moment lang gedankenverloren. „Sieht so aus, als ob… etwas an… seinen Kräften zehrt…“
    Lara runzelte kurz die makellose Stirn, während sie den Okkultisten verstohlen ansah.
    „Richard?“ fragte Frederick, dem ebenfalls aufgefallen sein musste, dass der Okkultisten in Sekundenschnelle verschiedensten Möglichkeiten durchzuspielen schien.
    Richard schüttelte jedoch nur unwillig den Kopf und sah sie stattdessen herausfordernd an.
    „Das ist die Lage.“ Sagte er nur tonlos. „Aber, wie euch sicherlich aufgefallen sein wird, können wir Andrew… nicht ein bisschen helfen.“
    Frederick schien protestieren zu wollen, doch er unterließ es, was ein selbstzufriedenes Lächeln auf Richards Züge zauberte, für das Lara ihn hätte ohrfeigen können. Die Situation war alles andere als leicht und trotzdem schien sich der Okkultist immer noch mit ihrem Mann messen oder ihn zumindest herausfordern zu wollen. Ihre Züge verhärteten sich kurz, doch sie hatte sich gut unter Kontrolle. Ihre Vergangenheit als Freudenmädchen hatte ihr neben viel Schmerz auch einige Fähigkeiten gebracht.
    „Was haben wir also wirklich?“ begann Richard und sah Frederick auffordernd an. „Du bist der Inspektor. Sag du es mir.“
    Frederick sammelte sich und setzte dann an: „Begonnen hat es mit dieser ominösen Fledermausleiche… von der wir immer noch nicht wissen woher sie eigentlich stammt.“ Richard nickte und der Kriminologe fuhr fort: „Wir haben außerdem die Kuttenmenschen, von denen wir zumindest wissen, wo sie sich treffen.“
    „Wissen wir das?“ unterbrach Richard ihn. „Könnten sie ihre Aufenthaltsorte nicht regelmäßig wechseln? Und sind sie überhaupt wichtig?“
    „Meine Intuition sagt mir, dass sie es sind.“ Entgegnete Frederick ruhig.
    Richard schien das nicht in Frage stellen zu wollen.
    „Was den Aufenthaltsort angeht, so könnte ich mich wohl umhören. Ich arbeite zwar nicht mehr in dem Viertel, aber das heißt ja nicht, dass… es dort für mich nichts mehr zu holen gibt.“ Warf Lara ein und erntete damit einen missbilligenden Blick von ihrem Mann. Frederick war allerdings klug genug, das Thema nicht jetzt zu erörtern.
    „Was haben wir noch?“ fragte Richard weiter.
    „Einen Besessenen.“ Entgegnete Frederick tonlos und sein Blick wurde beängstigend leer.
    „Oder etwas in der Art. Wir wissen nicht, ob dieser Zustand nur temporär ist oder anhalten wird.“ Klinkte sich der Okkultist ein. Lara gefiel die erste Möglichkeit deutlich besser, doch das war nun wirklich nicht ihr Gebiet.
    „Das können wir erst herausfinden, wenn er wieder aufwacht.“ Fügte Richard hinzu und keiner wagte auszusprechen, dass dies vielleicht nicht der Fall sein würde.
    „Was ist mit den Morden?“ fragte Lara schließlich, da sonst niemand das Thema ansprach. Sie sah wie ihr Mann ein wenig in dem Sessel zusammensank und empfand Mitgefühl für ihn, aber besprochen werden musste das Thema trotzdem.
    „Was sagt denn deine… Intuition?“ fragte Richard spöttisch und Frederick erhob sich langsam. Seine Bewegungen waren zaghaft und wirkten schleppend. Lara konnte förmlich sehen, welches Gewicht auf Frederick lastete und sie wünschte sich, ihm wenigstens einen Teil davon abnehmen zu können.
    In der letzten Zeit war er schweigsamer geworden und sein Blick nachdenklicher. Irgendetwas beschäftigte ihn und Lara glaubte nicht daran, dass es etwas mit Lisa oder Andrew zu tun hatte. Ihr Mann machte sich über sich selbst Gedanken. Daran war erst einmal nichts Schlechtes, doch wenn man es übertrieb, führte es einen nirgendwo hin außer in die Verzweiflung. Menschen waren nicht zu ergründen und es bei sich selbst zu probieren, hatte bislang erst recht nicht geklappt.
    „Es… ist nicht meine Intuition, die mir hilft…“ sagte er schließlich und Richard zog eine Augenbraue hoch. Lara spitzte ebenfalls die Ohren, sah ihren Mann aber weit unverblümter an. Frederick Resnick war berühmt berüchtigt unter den Kriminologen und dafür verantwortlich war sein nahezu untrügliches Gespür für Opfer, Täter und Tathergang. Wenn er nun sagte, dass es nicht seine Intuition war, die ihm half, war Lara gespannt darauf, was es sonst sein konnte.
    „Nicht?“ stellte Richard die offensichtliche Frage und Frederick schüttelte den Kopf, ohne sich zu den beiden umzuwenden.
    „Es ist etwas anderes… weit mehr als ein Gefühl… es sind nahezu… gestochen scharfe Bilder… Motive… ich kann sehen, was geschehen ist… irgendwie, doch ich begreife es nicht. Es ist zu wild und unbezähmbar. Ich kann nicht kontrollieren, was der Ort mir sagen will…“
    Lara starrte ihn an und Furcht keimte in ihr auf. Das klang nicht nach Frederick, sondern eher nach dem Andrew der letzten Wochen. War ihr Mann nun womöglich auch im Begriff irgendetwas… Schreckliches zu tun?
    Richards Augen glitzerten nachdenklich. Er verbarg seine Überraschung gut. Zumindest glaubte Lara, dass er überrascht war.
    „Es sind also diese Bilder, die dir sagen, dass auch die Morde etwas mit all dem hier zu tun haben?“ fragte er nach und faltete die Hände. Frederick nickte, doch er tat es sehr widerwillig. „Es ist die Tatsache, dass ich… die Kuttenmenschen in diesen Bildern sehe. Immer und immer wieder. Sie waren auf jeden Fall am Tatort, wenn nicht sogar…“
    „Wenn sie nicht sogar Täter waren?“ fragte Richard nach und Lara spürte wie ihr ein Schauder den Rücken hinab lief. Die Stimme des Okkultisten gefiel ihr nicht.
    Frederick wandte sich um und seine dunklen Augen glitzerten.
    „Exakt, Richard.“
    Stille senkte sich über den Salon, die mit klammen Fingern nach ihren Seelen griff und langsam schloss Lara die Augen.
    Es war noch lange nicht vorbei.



    Re: Master of darkness

    Andrew Simmons - 21.01.2007, 14:53


    Kapitel 4: Orkan

    Lea fuhr Andrew mit einem Tuch über das Gesicht. Schweiß lief ihm in Bächen von Stirn und Schläfen, seine Züge waren vor Anstrengung verzerrt und immer wieder drangen schmerzerfüllte Laute über seine Lippen, auch wenn Lea noch nicht hatte ausmachen können, was die Quelle seiner Qual war. Doktor Brack ging es in diesem Punkt ähnlich. Er konnte nichts finden, was darauf schließen ließ, dass sich der Zustand hätte verschlechtern müssen.
    Lea seufzte und ließ das Tuch zurück in die Schüssel mit kaltem, klarem Wasser gleiten. Sie wollte sich gerade abwenden, als sich plötzlich einem Schraubstock gleich eine Hand um ihr Handgelenk legte. Lea stieß einen leisen Schrei aus und blickte zu Simmons zurück, der unvorhergesehen die Augen aufgeschlagen hatte und sie panisch ansah.
    Lea versuchte beruhigend zu lächeln, doch etwas in diesem Blick machte ihr fürchterliche Angst. Andrew wirkte gehetzt wie ein Tier und war ihre Angst schon groß, so war seine nahezu unbeschreiblich.
    „Helfen Sie mir!“ Hauchte er und die Stimme war so belegt, dass sie kaum zu verstehen war. Lea nahm all ihren Mut zusammen und legte ihre andere Hand über die des Arztes.
    „Doktor Simmons.” Sagte sie und ihre Stimme klang ein wenig hysterisch. Lea wunderte sich über sich selbst, aber wenn sie dem Mann ins Gesicht sah, wusste sie wieder wovor sie sich fürchtete. „Ich bin froh, dass Sie wieder wach sind. Doktor Brack hätte fast begonnen zu beten.“ Sie versuchte zu lächeln, doch es misslang ihr. „Sie wissen selbst wie unwahrscheinlich das klingt…“
    „Hören Sie auf zu reden!“ fuhr der Arzt sie an und Lea begriff, was ihr solche Furcht bescherte. Der Mann stand Todesängste aus. Simmons war durch irgendetwas in die Enge gedrängt worden und sah in ihr den einzigen Fluchtweg, den es noch gab. Er zitterte am ganzen Körper und Lea versuchte verzweifelt sich von ihm zu lösen, doch sein Griff war unbarmherzig und nicht zu ändern.
    Plötzlich schrie der Mann auf und Lea schnitt die unendliche Qual ins Herz, die sie in seiner Stimme vernehmen konnte. Andrew stieß sie von sich und begann sich vor Schmerz zu krümmen. Seine Hände pressten sich auf seinen Leib und der ausgebildete Verstand der Krankenschwester fragte sich, was sie übersehen hatten, während der Mensch in ihr nur noch eines wollte. Fliehen!
    „Es tötet mich!” rief der Wissenschaftler verzweifelt, bevor seine Stimme sich wieder in schmerzerfüllten Schreien verlor.
    Lea glitt schluchzend an der Wand hinab und zitterte wie Espenlaub. Sie wusste nicht, was genau sie sah, aber dass es etwas zutiefst Unheiliges war, spürte sie instinktiv. Andrews Qual war so unmenschlich, dass sie die Festen ihres vernunftdiktierten Verstandes angriff und Lea wünschte sich, einfach den Blick abwenden und gehen zu können, doch sie konnte sich nicht rühren, war vollkommen gelähmt von dem, was vor ihr geschah.
    „Bitte…” wimmerte sie und wusste selbst nicht, an wen ihr Flehen gerichtet war. „Hilfe!“
    In diesem Moment schrie Simmons erneut schmerzerfüllt auf, doch Lea konnte hören, wie sich seine Stimme veränderte. Am Anfang standen nur Schmerz und Agonie, doch plötzlich wandelten sie sich und wurden zu Zorn und Triumph. Der Mann sank in sich zusammen und blieb bewegungslos auf dem Bett liegen. Lea schluchzte auf und presste dann eine Hand auf den Mund, um jedes weitere Geräusch zu unterdrücken.
    Ein tiefes Knurren entrang sich dem menschlichen Bündel vor ihr und der Mann hob langsam den Kopf. Sein langes, braunes Haar hing ihm in die feinen Züge und gaben ihm ein wildes, ungezähmtes Aussehen. Die Augen waren vollkommen schwarz geworden und glitzerten wie die eines bösartigen Raubtiers. Seine Bewegungen waren kraftvoll und geschmeidig, verrieten aber gleichzeitig eine unterschwellige Brutalität und Lea spürte, wie ihr die Luft zum Atmen blieb, als das Wesen sich auf sie zu bewegte.
    „Nein.“ Wisperte sie verzweifelt und Tränen perlten ihr aus den grünen Augen, liefen die blassen Wangen hinab und tropften auf ihre Hände. „Bitte nicht!“
    Der Mann, der einst Andrew Simmons gewesen war, baute sich vor ihr auf, ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten und packte dann blitzschnell zu. Seine Hand schloss sich unbarmherzig um ihre Kehle und langsam zog er sie auf ihre Beine.
    „Hallo, kleine Miss.“ Begrüßte sie eine wesentlich tiefere Stimme als zuvor in dem Körper gewohnt hatte und Lea versuchte nicht aufzuschluchzen, doch es gelang ihr nicht. Weitere Tränen der Furcht und des Schmerzes liefen über ihre Wangen und als der Fremde, denn als Andrew Simmons wollte sie diesen Mann nicht mehr bezeichnen, ihren Körper rücksichtslos gegen die Wand presste, schloss sie verzweifelt die Augen und flehte, dass alles nichts anderes als ein dunkler Albtraum war.
    „Er kann dich nicht hören, weißt du?“ wisperte die dunkle, samtene Stimme und Lea spürte sein Gesicht nah an ihrem. „Gott hat sich lange von mir abgewandt und verbirgt Sein Antlitz vor mir. Du hast leider nichts von Ihm zu erwarten.“
    Die Hände des Fremden legten sich auf ihre Brüste und Lea schluchzte auf, bevor der Mann ihren Mund mit einem erzwungenen Kuss verschloss. Sie senkte die Lider und etwas zerbrach in ihr.
    Seine eiskalten Lippen wichen von ihren und sie spürte, wie der Mann zurücktrat. „Schmeckt süß.“ Sagte er und lachte leise. Lea öffnete die Augen, presste die Hand auf den Mund und fühlte ihre Beine unter sich nachgeben. Hilflos sank sie an der Wand herab und blickte paralysiert zu dem Mann, der nun über ihr aufragte. Das leise Lachen schwoll zu einem triumphalen Gelächter an und der Fremde streckte die Atme zu beiden Seiten aus. Lea konnte sehen wie sich vom Haaransatz aus die einstmals warmen, braunen Strähnen in ein Meer aus Schwarz verwandelten und sich die Fingernägel zu einer Art Krallen veränderten.
    „FREI!“ rief das Wesen triumphierend und legte den Kopf in den Nacken, während es erneut zu lachen begann.
    Lea weinte hemmungslos und wurde von Panik und Angst geschüttelt. Sie hatte sich auf die Lippen gebissen und schmeckte salziges Blut auf ihrer Zunge. Hätte sie eine Waffe besessen, so hätte sie sie eher gegen sich selbst als gegen das Wesen gerichtet, so erstickt war der Überlebensinstinkt der Frau.
    Durch die geschlossenen Fenster prallten formlose, schwarze Schatten, die sich in dem Raum als Fledermäuse entpuppten und ihren offensichtlichen Herrn zu umfliegen begannen. Ihre rotglühenden Augen fixierten Lea, die kurz davor stand einfach den Verstand zu verlieren, während um sie herum die Hölle aufgerissen wurde. Bevor es jedoch soweit kommen konnte, ließ der Fremde die Arme wieder sinken und sah sie verächtlich lächelnd an. Er tätschelte ihr herablassend den Kopf, was ihr einen erneuten, erstickten Schrei entlockte und schritt dann einfach an ihr vorbei aus der Tür hinaus.
    Lea schluchzte auf und zog sich mit schleppenden Bewegungen auf dem Boden entlang, um einen Blick aus dem Raum zu werfen und sicher zu gehen, dass der Fremde fort war.
    Ihre Augen hefteten sich auf die hoch gewachsene, nun schwarzhaarige Kreatur, welche den schmalen Flur entlang schritt und mit Entsetzen sah sie, dass links und rechts neben dem Fremden Flammenwände emporschossen und ihn flankierten. Unfähig mehr zu ertragen brach Lea auf dem Boden zusammen. Ihr letzter Gedanke war, dass selbst wenn sie verbrennen würde, alles besser war, als sich noch ein einziges Mal an diese pupillenlosen, schwarzen Augen erinnern zu müssen.


    Heut Nacht raub ich den Himmel aus
    Stehle Gottes Macht!
    Heut Nacht nehm ich die Menschheit aus
    Bis der Teufel lacht!
    Und ich fühl, ich leb immer weiter
    Mit Satan persönlich im Leib
    Und ich weiß als Vermaledeiter
    Dass jeder mich kennen wird!



    Re: Master of darkness

    Andrew Simmons - 21.01.2007, 14:54


    Kapitel 5: Meister der Dunkelheit

    Richard saß in seiner Kutsche und starrte gedankenversunken aus dem Fenster. Draußen senkte sich die frühe Winternacht über die Stadt und tauchte sie in Finsternis. Der Besuch bei Frederick hatte viel Neues und zugleich wenig Ergiebiges gebracht. Was der Kriminologe über seine Bilder zu sagen gehabt hatte, war durchaus sehr interessant. Frederick fürchtete sich davor, doch Richard empfand nur wissenschaftliche Neugier für diese Entwicklung der Dinge. Ihm selbst war aufgefallen, dass seine Blicke eine neue… intensivere Wirkung auf andere hatte und immer wieder erinnerte sich der Okkultist an das grüne Licht, welches ihn überspült und erfasst hatte. Irgendetwas war mit ihnen geschehen und nun galt es herauszufinden, ob dieses Etwas gut oder eher schlecht war.
    Seine Hand streifte seine Manteltasche und als er etwas rascheln hörte, runzelte er die Stirn. Er griff hinein und seine Finger schlossen sich um ein Pergamentstück. Es erinnerte ihn nicht nur an eine Beerdigung, sondern auch an eine wunderschöne Frau mit dunklen Augen und rotem Haar.
    Langsam zog Richard das Pergament hervor und begann es zu glätten. Es verwunderte ihn nicht auf dem Papier Gillians gestochen scharfe und saubere Handschrift zu erkennen. Wenig interessiert begann der Okkultist zu lesen und runzelte die Stirn, während er die Zeilen ein zweites Mal studierte.
    Er hob irritiert den Kopf, als die Kutsche plötzlich zum Stehen kam und er draußen Stimmen vernehmen konnte. Neugierig streckte er den Kopf aus dem Fenster und erkannte eine vermummte Gestalt vor dem eisernen Gittertor seines Anwesens. Anhand der Stimme konnte er ausmachen, dass es sich um eine Frau handelte und mehr belustigt, als irritiert stieg er aus. Nur wenige Leute wagten sich bis hierher vor und Frauen gehörten normalerweise nicht dazu, es sei denn sie hießen Jenings.
    Richard trat also auf die Gestalt zu und fragte mit seiner dunklen Stimme: „Gibt es hier ein Problem?“
    Die Gestalt hob den Kopf und fahles Mondlicht erhellte die außergewöhnlich perfekten Züge der Krankenschwester Lea Rubenstein. Richard war bislang nicht aufgefallen über welche Klarheit sie verfügten und mit welcher Brillanz die grünen Augen in die Welt hinaus sahen. Sie war vielleicht nur eine Krankenschwester, aber sie attraktiv zu nennen wäre noch eine Untertreibung.
    „Mr. Concord,” sagte sie atemlos und er zog eine Augenbraue hoch.
    „Ja, der bin ich. Was wollen Sie von mir?“
    „Doktor Simmons…“ Ein Zittern durchlief ihren gertenschlanken, aber verhüllten Körper. Sie musste frieren, wenn sie tatsächlich den ganzen Weg zu Fuß zurückgelegt hatte. Richard verspürte jedoch eine ganz andere Kälte in sich aufsteigen, als sie Andrews Namen erwähnte.
    „Was ist mit ihm?” fragte er daher schärfer nach als beabsichtigt.
    „Er ist… er ist… nicht mehr er selbst… er…“
    Ihre Lippen bebten. „Hat sich verändert und ist aus dem Krankenhaus geflohen. Ich sah es in Flammen aufgehen, aber als ich erwachte, hatte sich nichts verändert… außer dass Doktor Simmons… nun… er ist weg.“
    „Wie? Weg?” fragte Richard ungehalten. “Er hat tagelang geschlafen ohne ein einziges Mal aufzuwachen! Wie kann er jetzt einfach fort sein?“
    Hilflos zuckte Rubenstein mit den Schultern und Richard erkannte, dass sie den Tränen nah war.
    „Kommen Sie!” befahl er und hielt die Tür der Kutsche auf. „Erzählen Sie mir alles haargenau, Miss!“
    Zu seinem Kutscher gewandt, sagte er: „Zurück nach London. Sofort.“
    Dann verschwand er erneut in der Kutsche und gesellte sich zu Lea Rubenstein, die langsam und mit bebender Stimme zu berichten begann.

    Frederick wusste, dass es nichts Gutes bedeuten konnte, als ihm gemeldet wurde, dass Richard erneut vor seiner Haustür stand. Der Kriminologe schob also den Stuhl zurück, stand auf und verließ sein Arbeitszimmer, um seinen Freund in Empfang zu nehmen. Überraschenderweise war der Mann nicht alleine gekommen, sondern hatte eine junge Frau mitgebracht, von der Frederick zu wissen glaubte, dass sie Krankenschwester in dem Haus war, wo Andrew lag.
    Er spürte wie sich ein eisiger Klumpen in seinem Magen bildete und sah unschlüssig von einem zum anderen. Beide wirkten blass und die Züge waren ernst.
    „Was ist geschehen?“ fragte er daher direkt, während er ihnen durch eine Handbewegung zu verstehen gab, dass sie sich setzen sollten. Keiner der beiden nahm das Angebot an.
    „Wir haben ein Problem.” Sagte Richard ohne Umschweife. „Was auch immer von Andrew Besitz ergriffen hat, es hat ihn immer noch in seiner Gewalt. Er ist aus dem Krankenhaus geflohen.“
    „Er ist was?!“ fragte Frederick ungläubig und ignorierte Richard vorangegangenen Halbsatz. „Er ist also wach?“
    „Ja, er ist heute aufgewacht.“ Merkte die junge Frau mit heller und filigraner Stimme an.
    „Sagtest du nicht, dass es ihm schlechter gehe?“ fragte Frederick verwirrt nach und Richard sah, wie ein Schatten durch die spaltbreit geöffnete Tür geschlüpft kam. Fredericks Frau.
    „Ja, das sagte ich.“ Erwiderte er ohne sich zu erklären.
    Frederick starrte ihn verwirrt an. Was wollte Richard ihm sagen? Was wusste er? Wusste er überhaupt etwas? Und wo trieb Andrew sich derweil herum?
    Die Köpfe der Anwesenden führen herum, als ein dumpfes Geräusch vom Fenster aus zu ihnen herüber drang. Eine Fledermaus hing in der oberen Ecke der Glasscheibe und sah sie mit rot glühenden Augen an, bevor sie ihre Zähne bleckte und sie anzufauchen schien.
    Frederick wich einen Schritt zurück und kniff die Lider zusammen. Er glaubte in der Dunkelheit einen ganzen Schwarm der Tiere entdecken zu können, die einer Seuche gleich in eine bestimmte Richtung flogen.
    „Mr. Unknown ruft seine Gefolgschaft zusammen.“ Sagte Richard leise und abfällig. Frederick schenkte ihm nur einen kurzen Seitenblick, ging aber auf die Äußerung nicht ein.
    „Was…?“ begann Lara für ihn, doch der Okkultist unterbrach sie unfreundlich.
    „Das würden Sie ohnehin nicht verstehen. Wichtig ist nur, dass dort, wo diese Viecher hinfliegen, auch Andrew sein wird.“
    „Nicht Doktor Simmons.“ Sagte die Krankenschwester leise. „Irgendetwas anderes.“
    Der Okkultist bedachte sie mit einem vernichtenden Blick und Frederick zog eine Augenbraue hoch. Er begriff nicht wirklich, weshalb die Frau da einen Unterschied machen wollte. Andrew war aus dem Krankenhaus geflohen. Also suchten sie auch ihn und nicht irgendetwas anderes. Oder?
    Richard bedachte sie alle mit einem bezeichnenden Blick und wirbelte dann herum. Überrascht sah Frederick ihn an, zuckte dann mit den Schultern und folgte dem Mann.
    Kaum hatte er das Haus verlassen, spürte er, dass etwas im Begriff war zu geschehen. Das diffuse und irgendwie rötliche Licht, welches sich über das nächtliche London ergoss erinnerte ihn eher an die Wetterverhältnisse vor einem Gewitter, als an diejenigen einer Winternacht. Frederick richtete seinen Blick zum Himmel und gewahrte den noch immer fließenden Strom an Fledermäusen, der über sie hinweg zog. Was war hier nur los?
    „Beeilt euch!“ herrschte Richard sie an und als sie in die Kutsche einstiegen, stellte Frederick unzufrieden fest, dass sein Frau gemeint hatte sich ihnen anschließen zu müssen. Lara hatte keine Vorstellung davon, dass er sich vielleicht um sie sorgen könnte. Ihr entschlossener Blick sprach Bände und trotzig reckte sie das Kinn vor, als er sie missbilligend ansah. Keiner von ihnen verlor ein Wort darüber, doch sie wussten beide, dass der andere mit dem Tun des Partners nicht einverstanden war.
    Die Kutsche setzte sich ruckartig in Bewegung und Frederick starrte zum Fenster hinaus. Als ob die Bewohner Londons spüren würden, dass etwas vor sich ging, hatten sie sich alle in ihre Häuser zurückgezogen und hielten die Fensterläden geschlossen. Nicht einmal streunende Hunde waren auf dem Kopfsteinpflaster zu sehen. Die Stadt schien vollkommen ausgestorben zu sein. Frederick schauderte angesichts dieses ungewöhnlichen Anblicks und das Geräusch der klappernden Hufe auf dem Asphalt bescherte ihm ein ungutes Gefühl. Es war zu leer und zu still. Das war nicht normal!
    Die Fledermäuse begannen die Kutsche zu umfliegen und bald schon befanden sie sich in einer Wolke aus geflügelten, schwarzen Tieren, die wie kleine Dämonen anmuteten. Ihre roten Augen und das feindselige Fauchen schienen sie gleichsam warnen wie verspotten zu wollen und Frederick spürte Wut in sich aufkommen. Die Tiere sollten so etwas nicht tun! Das alles hier war falsch! Falsch!
    Die Kutsche kam abrupt zum Stehen und noch bevor er wusste, was er tat, stieß Frederick die Tür auf und stieg aus. Was er vor sich sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
    Er kannte das Etablissement vor dem sie gehalten hatten. Ein paar Stufen führten zu dem Eingang, der auf Kellerebene lag und sie wie ein finsterer Schlund empfangen zu schien. Das Gebäude selbst erhob sich einem hässlichen Schandfleck gleich in die Höhe und Frederick folgte den architektonischen Konturen des Hauses ohne zu wissen weshalb. Als er beim Dach angekommen war, stieß er einen erschrockenen Laut aus. Eine Gestalt zeichnete sich gegen das rötliche Licht des verfluchten Mondes ab und es kostete Frederick einige Momente zu begreifen, dass es sich dabei tatsächlich um seinen langjährigen Freund Andrew handelte. Der Mann trug einen schwarzen, langen Mantel, der seinen schlanken Körper umflatterte und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Seine bleichen Züge erinnerten auf eine verzerrte Weise an diejenigen von Andrew, waren dieselben und gehörten doch einem vollkommen Fremden. Das lange Haar hatte die Farbe von Ebenholz angenommen und fiel untypisch offen über Schultern und Rücken. Der Zug von Fledermäusen erhob sich in einiger Entfernung zu dem Mann über dessen Gestalt und zog immer größer werdende Kreise. Das Licht schien intensiver in seiner Farbe zu werden und ein Schleier von bösartigem Rot legte sich über die gesamte Szenerie. Frederick spürte Furcht in sich aufkeimen und sehnte sich danach umdrehen und fliehen zu können. Das war Teufelswerk!
    Aus dem Eingang der Behausung quollen schwarzgekleidete Gestalten hervor und begannen sich in Halbkreisen mit dem Gesicht zu Andrew vor diesem aufzustellen. Dieser blickte mit Genugtuung und Herablassung auf sie hinab und hatte ein sardonisches Lächeln auf den Lippen.
    Er streckte die Arme zu beiden Seiten aus. Die Schwingen der Fledermäuse erzeugten einen heftigen Wirbelwind um ihn herum. Das schwarze Haar umwehte seine Züge wie ein unheiliger Schatten, der Mantel öffnete sich und erinnerte an unheimliche Schwingen, während die Gestalt zu lachen begann und die Kuttenträger einen grauenhaft triumphalen Gesang anstimmten.
    Frederick presste die Hände auf die Ohren, doch die Laute drangen auf unnatürliche Weise in seinen Geist vor und malträtierten ihn. Ohne nachzudenken zog er seine Waffe, kniff die Augen zusammen und ließ zu, dass Hass und Schmerz seine Züge verzerrten. Er streckte den Arm aus und zielte auf die Gestalt, die er die längste Zeit als seinen Freund bezeichnet hatte. Die Stimmen der Sänger raubten ihm den Verstand und Frederick wusste, dass wenn es eine Hölle gab, sie sicherlich so oder so ähnlich aussehen mochte. Rotes Licht überflutete die Szenerie, der Gesang des Verdammtenchores hallte durch das Rauschen der Schwingen und über alles triumphierend ragte Andrew über ihnen auf, schien sie mit pupillenlosen, dunklen Augen zu mustern und hemmungslos bösartig zu lachen.
    Sein Finger spannte sich um den Abzug, doch bevor es soweit war, hatte Richard ihm in den Arm gegriffen und spießte ihn mit Blicken auf, denen Frederick sich nicht entziehen konnte.
    „Das wirst du nicht tun!“ herrschte er ihn an und der Inspektor glaubte, dass inzwischen alle um ihn herum den Verstand verloren haben mussten. Sahen sie denn nicht, was er sah?!
    Seine Chance war vertan, als die Fledermäuse begannen den Körper des Fremden einzuhüllen und ihn vor Blicken und Kugeln schützten. Als sich das geflügelte Chaos zu lichten begann, war Andrew verschwunden.
    Frederick ließ den Arm sinken und blickte zitternd zu Boden. Er bemerkte kaum wie er am Arm gepackt und in Richtung der Kutsche gezerrt wurde, als die Kuttenträger auf sie aufmerksam wurden.
    Er begriff nicht, was er gerade gesehen hatte oder Zeuge welchen Grauens er geworden war. Er wusste nur, dass er einen Freund verloren hatte und der Schmerz, den diese Erkenntnis mit sich brachte, war nahezu mehr, als er ertragen konnte.

    Heut Nacht raub ich den Himmel aus
    Stehle Gottes Macht!
    Heut Nacht nehm ich die Menschheit aus
    Bis der Teufel lacht!
    Und ich fühl, ich leb immer weiter
    Mit Satan persönlich im Leib
    Und ich weiß als Vermaledeiter
    Dass jeder mich kennen wird!

    Welch Gefühl so behände zu sein
    Welch Gefühl so lebendig zu sein
    Es ist einfach die Bösartigkeit!
    Es ist einfach das Sein …



    Re: Master of darkness

    Andrew Simmons - 21.01.2007, 14:55


    Kapitel 6: Interregnum

    Richard tigerte in dem Salon auf und ab. Lara hielt mit zitternden Händen eine Teetasse umfasst. Miss Rubenstein sah aus, als ob sie jeden Moment zusammenbrechen würde und Frederick blickte seit geschlagenen zehn Minuten zu Boden, ohne ein Wort zu sagen.
    „Was… ist da passiert?“ fragte Lara schließlich. Sie hasste Stille, wenn eigentlich gesprochen werden sollte.
    Richard blieb stehen und spießte sie mit seinen grünen Augen auf. Lara spürte wie sie sich unbewusst tiefer in das Sesselpolster drückte und krampfhaft versuchte den Mann nicht anzusehen.
    „Er ist besessen.“ Sagte der Okkultist knapp.
    „Er ist wahnsinnig.“ Fiel ihm Frederick tonlos ins Wort und Richard schenkte ihm einen verächtlichen Blick. Lara sah von einem zum anderen.
    „Was… denn nun?“ fragte sie und konnte nicht verhindern, dass sich ein leicht ungeduldiger Ton in ihre Stimme schlich.
    „Hast du schon einmal einen Irren gesehen, der Riesenfledermäuse rufen kann?“ fragte Richard kalt, doch Frederick gab ihm keine Antwort.
    Lara schwieg, aber sie war nicht zufrieden. Sie wollte begreifen, was hier vorging, aber ganz offensichtlich gab es keine einfach Erklärung für das Geschehene.
    „Was auch immer es war… es hat nichts mehr mit Doktor Simmons zu tun.“ Sagte Lea ruhig und wenigstens in diesem Punkt waren sich alle einig.
    „Heißt das,“ fragte Lara langsam und hob den Blick. „Dass er… nicht mehr wiederkommen wird?“
    Schweigen legte sich über die kleine Gruppe. Niemand wagte darauf eine Antwort zu geben.
    „Hast du schon einmal erlebt, dass jemand, der den Verstand verloren hat wiederkommt?“ fragte Frederick, hob den Blick und sah sie mit glitzernden Augen an.
    Richard gab ein knurrendes Geräusch von sich. „Könntest du wohl aufhören, die Tatsachen zu verdrehen?“
    „Könntest du damit aufhören, mir erklären zu wollen, dass unser Freund besessen ist?!“ Frederick erhob sich und Lara spürte wie die Spannung in dem Raum unerträglich wurde.
    Sie winkte Rubenstein zu und sagte dann: „Wir lassen euch einen Augenblick alleine.“
    Die Männer reagierten nicht auf sie, so dass die beiden Frauen schulterzuckend den Salon verlassen konnten.
    Sie schwiegen, während Lara die junge Frau in ihr kleines Privatzimmer führte. Entgegen den Herren hatte sie überhaupt kein Problem damit, dass Lara Krankenschwester und „nur“ Krankenschwester war. Sie selbst stammte aus einer viel niedrigeren sozialen Schicht und störte sich generell nicht an den Berufen anderer.
    „Jonathan, zweimal Schwarztee, bitte.“ Wies sie den schweigenden Butler auf dem Flur an, bevor sie durch den Türspalt schlüpfte und Lea anwies sich zu setzen.
    Die junge Frau war noch immer sehr blass, was jedoch nicht über die perfekt proportionierten Züge hinwegtäuschen konnte, die dank des streng zurückgenommenen Haares gut zur Geltung kamen. Leas grüne Augen blickten gleichsam sanft wie streng in die Welt hinaus und Lara konnte sich gut vorstellen sie zu mögen.
    „Wenn Frederick und Richard aneinander geraten, kann man als Außenstehender ohnehin nichts mehr tun.“ Lächelte Lara und ließ sich mit eleganten Bewegungen auf dem anderen Sessel nieder. „Warum also sollten wir unsere Zeit mit Schweigen vergeuden. Ich bin übrigens Lara Resnick. Ich glaube, dass wir einander noch nicht wirklich vorgestellt worden sind.“
    Die junge Frau nickte langsam und lächelte schwach, als sie erwiderte: „Lea Rubenstein. Ich habe mich um Mrs. Simmons gekümmert.“
    Lara erinnerte sich sehr wohl an die junge Frau, die im Hause Simmons angestellt gewesen war, als Andrew die Pflege seiner Frau und seine Arbeit nicht mehr unter einen Hut bekommen hatte.
    „Lisa war… eine gute Freundin von mir.“ Gestand Lara leise und ihre Finger strichen gedankenverloren über die Spitze ihres Kleides. „Daher… würde ich Andrew ungern nur… auch weggeben müssen.“
    Lea rutschte unbehaglich auf dem Sessel hin und her. Der Stoff ihres Kleides war schlicht, aber nicht grob und der Schnitt entsprach auch nicht mehr der Mode, stand ihr dafür aber umso besser.
    „Das, was ich gesehen habe… ich… kann es nicht erklären. Er war er und dann… nicht mehr.“ Sie hob kurz die schlanken Hände und Lara kniff die Augen ein wenig zusammen. Die junge Frau suchte nach Worten, um etwas zu beschreiben, was ihr vollkommen fremd war.
    „Es schien, als kämpfe er um die Kontrolle… aber wie… und gegen was?“
    Ihre blauen Augen waren von Furcht erfüllt, doch Lara konnte sehen wie sie versuchte das Problem mit Logik anzugehen und sie mochte diesen Zug.
    Lara spreizte kurz die Finger. „Ich kann es Ihnen nicht sagen, Miss Rubenstein. Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, wer von beiden Recht hat.“
    Leas Augen funkelten in dem Halbschatten des flackernden Kamins. „Besessenheit oder geisteskrank? Es gibt Menschen, die behaupten, dass das dasselbe sei.“
    Laras Finger wurden zu kleinen Fäusten.
    „Vielleicht ist es das… aber Richard und Frederick scheinen das anders zu sehen.“
    Lea Rubenstein stand auf und wanderte bedächtig durch den Raum, um zum Fenster zu treten. Ihre schlanken Finger berührten die Spitzengardine und hoben sie ein wenig an. Lara stellte sich vor wie die glitzernden blauen Augen auf die verschneite, einsame Strasse hinunterblickten und fragte sich, was Lea wohl sehen mochte.
    „Vielleicht tun sie das… weil es einen wichtigen Punkt gibt, der die beiden Einstellungen unterscheidet.“ Sagte Rubenstein leise ohne sich umzuwenden. Lara blickte auf und ihre Augen bohrten sich tief in den Rücken der anderen. Sie wollte sie durch ihre pure Willenskraft dazu bringen sich umzuwenden, doch die Krankenschwester regte sich nicht.
    „Welcher Punkt?“ fragte Lara angespannt und die Sekunden, die verstrichen, bevor Lea antwortete, erschienen ihr wie eine Ewigkeit.
    „Mr. Concord hat die Hoffnung eine Besessenheit rückgängig machen zu können. Ihr Mann glaubt nicht daran, dass eine Geisteskrankheit heilbar sein könnte.“
    Laras Hände legten sich krampfhaft um die Sessellehnen. „Was… meinen Sie damit?“
    Lea drehte sich langsam um und ihr blasses Gesicht glich einer Maske, so unbewegt war es.
    „Ich möchte damit andeuten, dass es um Hoffnung geht und nicht so sehr um das, was wirklich ist.“
    „Frederick würde Andrew niemals aufgeben!“ wisperte Lara leise und ihre Züge nahmen eine eisige Härte an. Sie glaubte aber sehen zu können, dass Rubenstein davon nicht beeindruckt war. Sie zuckte mit den Schultern und ließ sich wieder in dem Sessel nieder. Bevor eine der Frauen noch etwas sagen konnte, erschien Jonathan und brachte ihnen den Tee, der sie glücklicherweise davor schützte die Diskussion zu vertiefen.

    Richard und Frederick sahen einander abschätzend an.
    „Andrew ist nicht geisteskrank.“ Sagte der Okkultist einfach und der Inspektor glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Frustriert winkte er ab und drehte sich um.
    „Frederick.“ Sagte Richard ungewöhnlich sanft und dem Kriminologen lief ein Schauder den Rücken herab. Es klang so ungewohnt und erwischte ihn daher unvorbereitet.
    „Ich kann verstehen, dass dir das alles seltsam vorkommen mag. Nach einer Erklärung zu suchen, die du verstehen kannst, ist nur natürlich.“
    Frederick wandte sich langsam wieder um. Die unbewegten Züge des Okkultisten wirkten sanfter als gewöhnlich. In den grünen Augen schimmerte tatsächlich so etwas wie Mitgefühl.
    „Aber die richtige Erklärung ist keine, die du begreifen kannst.“
    „Richard, es gibt keine Dämonen!“
    Der Mann seufzte und schritt zu seinem Sessel zurück, um sich darin niederzulassen.
    „Vielleicht gab es sie bis vor einigen Tagen noch nicht. Vielleicht war unsere Welt vor dem Unfall genau so wie du und Andrew mir immer zu erklären versucht habt. Vielleicht gab es vorher keine Dunklen Geheimnisse und Mächte. Vielleicht.“
    Die grünen Augen glitzerten.
    „Aber jetzt gibt es sie mit Sicherheit. Du hast sie selbst gesehen, Frederick. Das wirst du nicht abstreiten können.“
    „Ich habe gar nichts gesehen.“ Entgegnete der Inspektor scharf.
    „Frederick…“ begann Richard erneut, hielt inne und setzte dann noch einmal an. „Du bist derjenige von uns, der hinter das Offensichtliche blicken kann und muss. Du weißt, was sich hinter dem aristokratischen Gesicht Londons wirklich verbirgt. Du kennst die Abgründe dieser Gesellschaft und was sie aus einigen Menschen werden lässt. Mörder. Vergewaltiger. Diebe. Das alles kannst du sehen und akzeptieren. Du kannst begreifen, dass die Seele des Menschen durch Umstände korrumpiert werden kann. Du weißt das.“
    Frederick nickte langsam und spürte wie viel Schmerz ihm Richards Worte bereiteten. Er hatte vor langer Zeit schon einen Teil von sich selbst in dem Sumpf der Stadt verloren und fand ihn nicht wieder so sehr er auch suchte. Andrews schimmernder Glaube an das Gute, Richards undurchdringlicher Panzer aus Sarkasmus würden unter dem, was er erlebt und gesehen hatte, zu Staub zerfallen. Es gab nichts, was einen Menschen davor schützen konnte, seine Hoffnung zu verlieren. Frederick hatte sie seit langem verloren und schaffte es nicht, sie zurück zu gewinnen.
    „Andrew wurde korrumpiert, aber durch nichts, das wir kennen, Frederick. Das heißt aber nicht, dass wir ihm nicht helfen können.“
    „Du hast gesehen, was er getan hat. Wie willst du ihm helfen?“ fragte der Inspektor tonlos und wandte sich ab. Er sah nicht, wie Richard aufgrund seines leeren Blickes schauderte. Er spürte nur, dass das Verlieren des Menschen von dem er niemals geglaubt hätte, dass er etwas anderes als gutmütig und fröhlich sein konnte, seine Resignation gewinnen ließ. Die Bösartigkeit schien vor niemandem Halt zu machen.
    „Frederick, gib Andrew eine Chance!“ sagte der Okkultist eindringlich und der Inspektor fühlte, dass der andere sich ihm näherte.
    Er schwieg.
    Die Bewegungen erstarrten und sie glichen einem Bild, das in Eis eingefroren war. Richard würde die Grenze der Kälte, welche er um sich herumgezogen hatte, nicht überschreiten können. Er würde ihn nicht erreichen. Er nicht.
    Frederick konnte nicht sehen wie die Hand, die sich erhoben hatte, um sich ihm auf die Schulter zu legen, auf halbem Wege innehielt und langsam wieder zu sinken begann.
    „Wir werden morgen noch einmal darüber sprechen.“ Schloss Richard das Gespräch, welches schon lange keines mehr war.
    „Gute Nacht, Frederick.“
    Der Kriminologe lauschte den Schritten, welche sich langsam von ihm entfernten und starrte weiterhin stumm auf das kalte, abweisende Winterszenario, welches sich seinem Blick in voller Pracht präsentierte.



    Re: Master of darkness

    Andrew Simmons - 21.01.2007, 14:56


    Kapitel 7: Nestor

    Mit ausladenden Schritten fegte er durch die schmalen, dunklen Korridore. Er fühlte die Geister seiner menschlichen Diener unter seiner Knechtschaft ächzen. Sie erinnerten ihn an flüssiges Wachs in seinen Händen, das nur darauf wartete von ihm geformt zu werden. Nestor lächelte leicht und seine dunklen Augen glitzerten in der Finsternis, während sie sie mühelos durchdrangen. Das lange, schwarze Haar umwehte seine feinen Züge und kam erst zur Ruhe, als der menschliche Körper, den er als den seinigen auserkoren hatte es ebenfalls tat.
    Sein schwerer Mantel schmiegte sich sanft um seine schlanken Beine und der Fürst der Finsternis hob das Kinn. Seine blassen, weißen Züge stachen aus dem weichen Licht der Fackeln hervor, die entzündet worden waren.
    Langsam und mit deutlich würdevollen, aber nichtsdestotrotz raubtierartigen Bewegungen schritt er auf den Kreis aus Kuttenträgern zu und musterte jeden einzelnen von ihnen. Der Stock, den er in der Hand trug, klackte regelmäßig auf den unbehauenen Stein und verursachte ein verzerrtes, unheimliches Echo. Der dunkle Stein, aus welchem sein Knauf bestand, schien jegliches Licht in sich aufzusaugen und in ein tiefrotes Glitzern zu verwandeln.
    „Nestor.“ Drangen vier unterschiedliche Stimmen synchron an sein Ohr und er nickte selbstsicher, während er seinen Platz einnahm. Er schlug die Beine übereinander und der vermeintlich schwarze Samt der Hose offenbarte, dass er tiefrot changieren konnte, wenn das Licht auf ihn fiel.
    „Die Zeit deiner Herrschaft hat begonnen.“ Sagte der Kuttenträger ihm gegenüber. Nestor konnte von keiner der Gestalten das Gesicht erkennen und wusste, dass da nichts war, das erkannt werden konnte. Die Kutten waren alles, was sie real erscheinen ließ. Wenn er versagte, würde es ihm genauso ergehen, aber Nestor wusste, dass das nicht geschehen würde.
    „Das hat sie in der Tat.“ Entgegnete er mit seiner tiefen Stimme und lächelte finster.
    „Begonnen heißt nicht gesiegt.“ Meldete sich einer der anderen Kuttenträger zu Wort. „Einen Körper zu übernehmen ist sehr gewagt. Du weißt nicht, wie stark der Geist ist, der in ihm wohnt.“
    „Der Geist, der einst in dieser Hülle lebte, ist zerstört. Ich habe ihn zerrissen und vernichtet. Er wird mir nichts mehr anhaben können.“ Fuhr Nestor scharf dazwischen.
    „Wir werden sehen.“
    Nestors Augen funkelten auf und seine Hand schloss sich fester um seinen Stock.
    „Ich habe uns hierher gebracht! Ich habe uns so weit kommen lassen! Ich habe den alten Meister des Gleichgewichts getötet und ihr unterstellt mir ich wäre nicht in der Lage dazu einen einfachen menschlichen Geist zu zerstören?“
    „Etwas ist schiefgelaufen.“ Sagte die dritte Kuttengestalt. „Wo sonst ist der Kristall? Wärst du erfolgreich gewesen, müsste er komplett sein.“
    Unzufrieden ließ Nestor die Finger seiner linken Hand auf die breite Lehne des steinernen Sessels trommeln. Musste er sich das wirklich bieten lassen?!
    „Woher soll ich wissen, wo das letzte Stück ist?“ fragte er lauernd und der dritte Kuttenträger wandte ihm seine gesichtslose Kapuzenöffnung zu.
    „Du hast ihn erschaffen.“
    „Ich konnte nicht vorhersehen, welchen Verlauf das Ganze nehmen würde.“ Sagte Nestor schließlich. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich es gefunden haben werde. Ich… spüre seine Nähe.“
    Dieses Mal nickten die Kapuzen einstimmig.
    „Dass der Kristall sich in unserer Nähe befindet, ist offensichtlich.“ Sagte derjenige, der zuerst gesprochen hatte. „Es ist an dir, ihn zu finden.“
    Nestor nickte und erhob sich.
    „Das werde ich.“ Sagte er und seine dunklen Augen glitzerten entschlossen. „Es wird nicht mehr lange dauern.“
    Mit diesen Worten wandte er sich ab. Das samtige Haar geriet wieder in Bewegung, als seine Schritte ihn aus dem Raum trugen. Der schwarze Mantel umwirbelte seine Beine und der Gehstock traf unregelmäßig auf Stein, während er unheilverkündend in der Dunkelheit blutrot schimmerte.
    Das Gefühl der Nähe seiner menschlichen Diener wurde wieder stärker und Nestor lächelte hinterhältig, als er spürte wie sich ihre Seelen in seinem Griff wanden.
    Er stieg die steinerner Stufen des Refugiums hinauf und fühlte seine Stärke zunehmen, als die Dunkelheit der Nacht ihn umspülte. Es war ein berauschendes, erhebendes Gefühl. Das war sein Element und niemand konnte ihn hier schlagen! Niemand!
    Nestor breitete die Arme aus und lachte leise. Mit einem unmenschlichen Sprung beförderte er sich auf das nächste Häuserdach und begann auf ihm entlang zu schreiten. Der Nachtwind frischte auf und schien ihm unter die Arme greifen zu wollen. Nestor wurde in die Luft erhoben, lachte erneut und verwandelte sich dann in einen kaum sichtbaren, finsteren Schatten, der ungesehen über Londons Dächer hinwegschwebte und seine Ruhestätte aufsuchte.

    Richard blickte gedankenversunken in die Dunkelheit hinaus. Das Glas mit dem blutroten Wein stand unberührt neben ihm auf der Fensterbank. Der Mond schien sich verhüllt zu haben, als ob er nicht wissen wollte, was in der Weltstadt vor sich ging. Richard hätte dafür seine rechte Hand gegeben. Er verstand einfach nicht, was genau geschehen war und wie er seinen Freund hatte verlieren können- und dass er Andrew verloren hatte, war keine Tatsache, die einer Diskussion bedurfte.
    Richard ging es dabei gar nicht so sehr um die Besessenheit, die ihn von ihm weggerissen hatte, sondern um die Zeit davor. Vor einigen Jahren hätte eine solche Veränderung nicht möglich sein können. Sie hatten sich jeden Tag gesehen und einen derartigen regen Austausch an Gedanken und Wissen betrieben, dass jede Frage, jede Sorge, jede Veränderung und jeder falsche Weg sofort vom anderen aufgenommen und entdeckt worden wäre.
    Richard seufzte leise und ein mildes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er an den jungen Mann dachte, den er damals kennen gelernt hatte. Brillant in dem was er tat, war Andrew schon immer ein wenig zu fasziniert von seiner Arbeit gewesen, so dass gesellschaftliche Konventionen ihn meistens in ein liebenswürdiges Straucheln gebracht hatten. Selbst zu seiner Verlobungsfeier war er zu spät gekommen. Dabei hatte gerade der Sohn des angesehenen Chirurgen George Simmons immer versucht es allen und jedem Recht zu machen. Auf der einen Seite also ein Musterbeispiel für Brillanz und dem Versuch angepasst zu sein. Auf der anderen ein vielleicht unbewusstes, aber starkes Aufbegehren gegen all das, was ihm Fesseln anlegte, die er nicht tragen wollte.
    Richard hatte es sich einfacher gemacht und darauf gepfiffen, was andere Leute über ihn dachten- was ihn allerdings auch komplett gesellschaftsuntauglich machte. Er war jedoch nicht auf eine Reputation angewiesen und im Gegensatz zur Familie Simmons hatte sein Vater einen gänzlich anderen Ruf gehabt- den Richard vortrefflich auszufüllen verstand.
    Frederick hingegen hatte sich mit der Wahl seines Berufes von vornherein einen exzentrischen Anstrich gegeben, gab es doch erst seit ungefähr sechzig Jahren überhaupt eine Polizei in London. Richard schmunzelte ein wenig mehr, als er daran dachte, dass gerade der Freiheitsgedanke und die Ablehnung von allem, was in irgendeiner Weise militärisch anmuten konnte, die Ober- und Unterschicht in England verband.
    Ein leises Klopfen riss ihn aus seinen Überlegungen und irritiert runzelte Richard die Stirn. Wer sollte ihn um diese Zeit aufsuchen? Außerdem hatte er keine Türglocke gehört… Dementsprechend misstrauisch wandte er sich um, kniff die blassgrünen Augen ein wenig zusammen und sagte äußerlich ruhig: „Die Tür ist offen.“
    Lautlos schwang sie auf und trat eine Gestalt ein. Richards Hand entglitt das helle Glas und fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, wo es seinen Inhalt vergoss. Das Herz des Okkultisten setzte einen Moment aus und sein Mund wurde trocken. Das war unmöglich!
    Mystisch und geheimnisvoll, wie eine süße Dissonanz, die sich langsam in eine Harmonie aufzulösen schien, wie ein Hauch von kaltem Wind, das Glitzern von Schnee im silbernen Mondlicht trat Lisa Simmons in das Zimmer ein und noch während er die Frau ansah, wusste Richard, dass sie nicht wirklich da war.
    Sie trug das wunderschöne burgundrote Ensemble, mit dem sie beerdigt worden war, ihre Frisur war die selbe, nur ihr Gesicht wies nicht die porzellanartige, bemalte Blässe auf, die das letzte war, an das er sich erinnern konnte. Aus ihren grünen Augen schien das Leben so sehr zu sprühen, wie an dem Tag, als er sie das erste Mal gesehen hatte, ihr Mund schien wie immer ein wenig zu lächeln und die hohen Wangenknochen waren von einem Hauch Rot überzogen, das dem ovalen, schönen Gesicht Leben gab.
    „Lisa?“ fragte er leise und unfähig seiner Stimme Klang zu verleihen. Er wusste nicht, wie er jemanden ansprechen sollte, bei dessen Beerdigung er gewesen war. Das überstieg selbst seine Fähigkeiten und Wissen.
    „Du tust gut daran, mich in Frage zu stellen.“ Sagte sie und senkte die Lider ein wenig, während ihre Hand geräuschlos über die Kopflehne eines Sessels strich.
    „Denn eigentlich bin ich nicht hier.“
    „Doch.“ Entgegnete Richard, der einem inneren, ihn verzehrenden Schmerz nachgab. Jetzt, wo Andrew ebenfalls verloren schien, war ihm die Anwesenheit einer Gestalt, die den Mann besser kannte, als jeder andere lieb, mochte sie auch noch so unwahrscheinlich sein.
    Ihre Augen weiteten sich kurz, was sie strahlen ließ, doch die Melancholie erwarb sofort wieder die Gewalt über die Frau, die offensichtlich selbst im Tod keine Ruhe gefunden hatte.
    „Würdest du mich berühren, würdest du keine Wärme spüren. Könntest du mir lauschen, würdest du keinen Herzschlag hören. Ich bin ein Bild deiner Erinnerung, Richard und nur Kraft deiner Vorstellung fähig hier zu stehen. Auch wenn ich mir wünschte…. Dass es anders wäre.“
    Lisa sah ihn an und Richard glaubte sich nicht zu täuschen, wenn er Tränen in ihren Augen glitzern sah.
    „Was tust du hier?“ fragte er leise, als sich der logisch denkende Teil seines Verstandes wieder einstellte.
    „Ich habe seinen Herzschlag gespürt.“ Sagte Lisa seltsam abwesend und ihr Blick glitt in die formlose Dunkelheit hinaus. „Ich habe seinem Atem gelauscht, wenn er schlief. Ich war so sehr er, wie er ich gewesen ist.“ Jetzt fixierte sie ihn und Richard nickte sacht, als er verstand, dass sie von Andrew sprach.
    „Ich weiß.“ Sagte er. „Jeder, der euch sah, wusste es.“
    Lisa hob eine Hand und lächelte ein wenig. Es war ein merkwürdig wissendes Lächeln und Richard legte erwartungsvoll den Kopf ein wenig auf die Seite.
    „Ich kann es noch immer, Richard. Ich spüre denselben Herzschlag und höre dieselbe Seele atmen.“ Ihre eigene Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, was die Worte aber nur noch intensiver an Richards Herz trug.
    „Aber ich werde ihn nie wieder sehen… nie wieder berühren dürfen. Was mir bleibt, sind Dunkelheit und Erinnerung. Aber das ist mehr, als ihr vielleicht haben werdet.“
    Lisa trat auf Richard zu und so sehr er sich auch wünschte, dass sie niemals gestorben wäre, fühlte er sich doch abgestoßen von der Gestalt der Frau, die einst Lisa gewesen war und nun etwas darstellte, das er nicht verstand. Sie schien das nicht zu verstören.
    Lisa streckte ihre rechte Hand aus und als ihre Fingerspitzen Richards Haut berührten, wünschte er sich sie wegstoßen und laut schreien zu können, doch nichts davon lag in seiner Macht. Er konnte nur stumm in die grünen Augen starren, die einerseits so voller Leben und andererseits entsetzlich traurig und leer wirkten.
    Ihre Berührung war eisig und Richard glaubte fühlen zu können, wie sich ihre Kälte langsam in seinem Körper ausbreitete.
    Gleichzeitig jedoch erfüllte ihn ein Empfinden von süßem Schmerz, die Erinnerung an eine vollkommene Liebe, die nie wieder würde vollkommen sein können und die gleichzeitig Kraft und Verzweiflung schenkte. Er lauschte einer Melodie, die nicht ihm gebührt hatte, sondern diesen zwei Menschen, die ihm so viel bedeuteten. Richard wurde innerlich ruhig und ließ den Strom an filigranen Momenten zu, die ihm die Botschaft von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis brachten.
    Richard verstand, weshalb Lisa bis zum Ende an Andrew geglaubt hatte, er begriff welches Band die beiden Menschen zusammengehalten hatte und ihm wurde klar, dass Lisa ihm dieses Geschenk gab, damit er niemals auch nur einen Moment damit zubringen musste, zu glauben, dass sein Freund den Kampf gegen das, was in ihm war, aufgeben würde- so tragisch Lisas erster Irrtum auch gewesen war, ihr Glaube blieb unerschütterlich.
    „Zweifle nicht.“ Sagte sie leise und zog die Hand zurück. Richard schwankte ein wenig und sah sie flehentlich an.
    „Du wirst nicht zurückkehren?“
    „Nein.“ Entgegnete sie leise. „Ich werde keinen von euch jemals wieder sehen. So ist es richtig.“
    „Ist es nicht.“ Flüsterte Richard und senkte den Blick.
    „Es wird eine Zeit geben, in der du verstehen wirst, Richard, aber sie ist noch fern.“ Lisas Stimme und ihr Blick verloren sich in der Dunkelheit. „Sehr fern.“
    „Gibt es einen Zeitpunkt an dem man den Tod verstehen kann?“ fragte er bitter und wie erwartet schüttelte die schöne Lisa den Kopf, während sie geräuschlos durch den Raum schritt.
    „Nein, den Tod selbst wird wohl niemand je verstehen. Aber warum er kommen musste… seinen Sinn… wirst du erkennen können und müssen.“
    An der Tür angekommen, wandte sie sich noch einmal zu ihm um und sah ihn an.
    „Vielleicht wird dir dieses Wissen dann ein wenig Linderung verschaffen.“
    Richard schwieg, prägte sich jedes Detail ihres Gesichtes genau an, versuchte das Bild ihres Lächelns festzuhalten und musste doch tatenlos dabei zusehen wie sie ging.
    Er war wieder allein in dem Raum und bemerkte dass sich an der Innenseite des Fensters Eiskristalle gebildet hatten. Während er sie berührte und damit an das Gefühl von Lisas Hand auf seiner Wange erinnert wurde, vergoss er schweigend einige helle Tränen, denn plötzlich hatte dieser Verlust eine neue, noch tiefere Note erhalten, die er vorher nicht hatte verstehen können.
    Niemals vorher war Andrews Fehlen ihm ein solcher Strick gewesen, hatte er die Persönlichkeit seines Freundes mehr vermisst als jetzt. Lisa hatte in ihm das ausgetrocknete Flussbett einer zur Ruhe gekommenen Freundschaft wiederbelebt und den Schmerz jetzt zu ertragen, war gleichsam grauenhaft wie schön.
    Hatte er vorher bereits versucht sich aus der Starre zu lösen und den Schutzkreis zu verlassen, in den er sich begeben hatte, so hatte sie ihm dabei nun wissentlich oder unwissentlich geholfen. Sie, eine kristallklare, wunderschöne Persönlichkeit, war unwiederbringlich fort, aber Andrew war es nicht.
    Und er war im Moment der einzige, der das begriffen zu haben schien.



    Re: Master of darkness

    Andrew Simmons - 21.01.2007, 15:05


    Kapitel 8: Willenlos

    Frederick glitt durch die Menschenmenge hindurch, als ob sie nicht da wäre. Hoch aufgerichtet schritt der Mann mit den asketischen Gesichtszügen zwischen den Bewohnern Londons hindurch und konnte doch nichts anderes als geschminkte Gesichter sehen, die ihn mit beängstigend leeren Augen ansah. War denn wirklich gar nichts zu finden hinter all diesen Fassaden, die auf so notwendige Weise zur Schau getragen wurden? Oder war es gerade die Tatsache, dass dahinter noch etwas zu finden war, das sie dazu brachte, alles in sich abzutöten?
    Frederick runzelte die Stirn als eine Ahnung am Rande seiner Aufmerksamkeit zupfte. Er kniff die dunklen Augen ein wenig mehr zusammen und glaubte kurz das Aufblitzen von einer Gestalt in Schwarz zu sehen, doch er vermochte es nicht, diesen Eindruck festzuhalten. Es handelte sich dabei um eines jener Bilder, die ihn seit einiger Zeit verfolgten. Frederick wollte es nur ungern zugeben, doch sie erschreckten ihn. Es war eine Sache ein Gefühl für etwas zu haben, auch wenn es mit schlafwandlerischer Sicherheit meistens zutraf, aber es war eine ganz andere, Dinge zu sehen bevor oder nachdem sie geschehen waren, obwohl das nicht möglich sein durfte!
    Derartig mit seinem Innenleben beschäftigt, hätte Frederick fast das Glitzern nicht gesehen, welches ihm aus einiger Entfernung zusah. Es stammte von zwei Augen und einem beängstigend weißen Gesicht, was ihn vorerst nicht weiter verwundert hätte, wenn dieser Mensch nicht in diesem Moment eine schwarze Kapuze übergezogen hätte und versuchte in den Schatten einer Seitengasse zu verschwinden. Frederick biss die Zähne zusammen und nutzte sein Talent sich schnell durch Menschenmassen bewegen zu können aus, schlüpfte in die Seitengasse hinein und sah an deren Ende den schwarzgekutteten Menschen sich umwenden.
    „Ich krieg dich!“
    Der Mann fuhr zusammen und warf sich herum, um zu flüchten. Frederick spannte Muskeln und Sehnen an und verfiel in einen erstaunlich schnellen Sprint, um seinem Opfer hinterher zu setzen. Er fegte die Gasse entlang und bog an deren Ende nach links ab. Der Inspektor hatte Glück erkennen zu können, dass der Flüchtende an der nächsten Kreuzung sich nach links wandte- nur noch der Schatten seiner Kutte war zu erkennen. Frederick versuchte auf dem von Schnee glitschigen Boden Halt zu finden, was sich als nicht leicht herausstellte und setzte dem Mann hinterher. Immer wieder rutschte er weg und konnte nur mit Mühe sein Gleichgewicht halten, doch dem Kuttenmann ging es nicht anders. In einem halsbrecherischen Tempo wichen sie allzu unsicheren Stellen aus, umgingen auf der Straße vergessene Eimer und landeten wieder in einem belebteren Viertel der Stadt. Frederick fluchte verhalten, sein Atem malte nebelige Wolken in die bitterkalte Luft, doch er schwitzte unter dem warmen Mantel, den er trug. Jetzt galt es nicht nur feinen Damen und Herren auszuweichen, sondern auch Laternenpfählen und Kutschen. Der Inspektor konnte sehen, dass sein Opfer sich auf die breite Verkehrsstraße zubewegte und folgte ihm verbissen.
    Sie lösten ein heilloses Chaos aus, als sie sie überquerten. Pferde scheuten, Kutschen kamen rasselnd zum Stehen, Flüche und Beschimpfungen wurden laut. Frederick ignorierte sie geflissentlich, wenn er sie bereits kannte und merkte sich jene Redewendungen, die ihm fremd waren, fixierte den Kuttenmann vor sich und jagte ihm mit neu gewonnener Energie hinterher. Im wilden Zickzack versuchte der Verfolgte erneut in das verflochtene Gassengewirr von London zu entkommen, doch Frederick hatte nicht vor, ihm diesen Gefallen zu tun. Er flitzte um eine Ecke, setzte zum Sprung an und riss den Kuttenträger zu Boden. Dieser gab einen erschrockenen Laut von sich, drehte sich auf den Rücken und trat Frederick ins Gesicht, der daraufhin zurücktaumelte und mit einer Hand das Blut fortwischte, welches aus seiner Nase zu schießen begann. Der Fremde war längst wieder auf den Beinen und in Kampfhaltung gegangen. Der Inspektor seufzte innerlich. Das konnte nicht gut gehen.
    Frederick erwartete den ersten Schlag und tauchte darunter weg. Er hatte den Vorteil seiner Schnelligkeit und schaffte es den anderen durch einen gezielten Stoß aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sofort setzte der Inspektor nach und packte ihn- recht wenig gentlemenlike- an den Haaren, um seinen Kopf nach hinten zu reißen. Er hatte Glück gehabt, dass der Mann bei der Flucht keine Zeit gehabt hatte die Kapuze wieder aufzusetzen. Er war sehr jung und hatte dunkles, wirres Haar. Seine Züge waren noch nicht voll ausgereift und der Glanz der großen, blauen Augen sprach von der Jugendlichkeit, die er besaß. Er war unnatürlich blass, die Lippen nicht viel mehr als ein grauer Strich. Frederick näherte sich ihm soweit, dass er fast die kalte Haut des Gesichts berühren konnte.
    „Wer bist du?“ flüsterte der Inspektor leise und es schien augenblicklich noch kälter zu werden als es ohnehin schon war. Der Fremde aber antwortete nicht, sondern lachte nur. Irgendetwas an diesem Lachen ließ Frederick vorsichtig werden, doch er war sich nicht sicher, was es war.
    „Wo ist dein… Meister?“ herrschte er den Fremden an und verstärkte seinen Griff, während er ihn an eine der schmutzigen Hauswänden presste. Irgendwo wurde geräuschvoll ein Fensterladen zugeschlagen. Solche Szenen wollten nicht einmal die sehen, die den Bodensatz der Gesellschaft bildeten. Frederick konnte das gut verstehen.
    „Ihr werdet ihn nicht aufhalten können!“ sagte der junge Mann schließlich ruhig und versuchte Frederick in die stechenden Augen zu blicken. Dann lief plötzlich ein Schauder durch seinen Körper und der Inspektor erkannte mit tragischer Verspätung, was ihn hatte aufmerksam werden lassen.
    Der Geruch von Bittermandel.
    Hilflos musste er dabei zusehen wie der Körper in Zuckungen verfiel, der Mann langsam erstickte und schließlich kraftlos an der Wand zusammensank, um mit leeren, toten Augen in eine unbestimmte Richtung zu sehen.
    Stumm sah der Inspektor auf das halbe Kind herunter, welches vor ihm zusammengesunken auf der Straße lag und versenkte sich eine Zeit lang in den Blick der glasigen Augen. Er konnte nicht verhindern, dass er glaubte einen solchen Ausdruck heute schon einmal gesehen zu haben und wandte sich schließlich langsam ab.
    Wo lag der Unterschied zwischen Leben und Tod in dieser Zeit?
    Oder gab es womöglich gar keinen mehr?
    Schweigend schritt Frederick durch den beginnenden Schneefall zurück in Richtung Straße und wandte sich nicht ein einziges Mal zu dem noch warmen Körper um, der es vermochte noch einige Minuten lang die Schneeflocken auf seiner Haut zu schmelzen, doch schließlich mehr und mehr von der weißen Decke in Beschlag genommen wurde.

    Gillian Jenings kniff die dunklen Augen zusammen, als sie vor sich die schlanke Gestalt von Andrew Simmons zu erkennen glaubte. Sie war verwundert den Mediziner auf der Straße zu sehen. Die letzte Information, die sie von ihm gehabt hatte, war, dass er in irgendeinem Krankenhaus vor sich hinvegetierte und daher auch nicht auf die Beerdigung seiner geliebten Frau hatte gehen können. Offensichtlich war sie in diesem Punkt nicht auf dem neuesten Stand.
    Sie erhöhte ihr Tempo ein wenig, was nicht schwierig war, da man ihr für gewöhnlich ohnehin respektvoll aus dem Weg ging- in erster Linie deshalb, weil man sie dann besser und wie die meisten fälschlicherweise glaubten unbeobachteter anstarren konnte und schloss bis auf einige Meter zu dem Wissenschaftler auf.
    Gillian runzelte flüchtig die glatte Stirn. War er nicht mal blond gewesen? Oder zumindest dunkelblond oder irgend so eine unbestimmbare Farbe? Ganz sicher aber nicht schwarz.
    Es war jedoch nicht nur die Veränderung der Haarfarbe, die sie davon abhielt den Mann anzusprechen. Er hatte irgendetwas an sich, das ihr nicht gefiel, was bemerkenswert war, da nur wenige Dinge ihr wirklich Unbehagen bereiteten und der stets zahme Doktor Simmons eigentlich nicht dazu gehörte. Jetzt aber strahlte er mit jeder Faser seines Körpers eine Skrupellosigkeit und unterschwellige Gewaltbereitschaft aus, die sie verwirrten.
    Gillian ließ sich bewusst wieder einige Meter zurückfallen, kniff die Augen unter ihrem modischen Hut zusammen und folgte ihm so unauffällig wie sie es vermochte, was nicht einfach war, da sie von Natur aus viele Blicke auf sich zog. Das beklemmende Gefühl von Gefahr wich augenblicklich und Gillians Verwunderung und Skepsis wuchsen.
    Eigentlich war die junge Frau nicht übermäßig davon überrascht, dass Simmons offensichtlich den Weg zu seinem Haus einschlug und vorhatte es aufzusuchen. Wohin sollte er auch sonst zu Fuß unterwegs sein? Sie blieb an einer Ecke des umzäunten Vorgartens stehen und ihre schlanke Hand legte sich um einen der Stäbe des eisernen, hohen Gitterzauns, hinter dem sich verträumt das große, schmucke Haus in einem Meer von Grün erhob. Interessiert sah sie dabei zu, wie Simmons auf dem Kiesweg direkt zur Haustür gelangte und diese öffnete, um in dem Haus zu verschwinden. Daran wäre eigentlich nichts verwunderlich gewesen, hätte er sich nicht kurz bevor er eingetreten war umgesehen, als ob er einen stillen Beobachter vermuten und fürchten würde.
    Was also ging in dem Hause Simmons oder dessen Besitzer tatsächlich vor?

    Nestor stand in dem hellen Foyer des Hauses, konnte diesem aber wie erwartet kaum etwas abgewinnen. Er konnte deutlich das Sehnen der Präsenz spüren, deren Körper er übernommen hatte und freute sich darüber ihr allein durch seine Anwesenheit hier Schmerz zufügen zu können.
    Zielstrebig ging der Meister der Finsternis auf die Tür zu, welche ihn in das Labor des armseligen Menschen führen würde, den er dazu auserkoren hatte, ihm den Weg zu bereiten. Er öffnete die Tür und schritt langsam die sorgfältig bearbeitete Steintreppe hinunter. Licht brauchte er keines. Die Augen des Menschen waren dank seiner Fähigkeiten in der Lage dazu auch das tiefste Dunkel zu durchdringen und mit Sinn zu füllen.
    Nestor wartete darauf, dass sich ein ganz bestimmtes Gefühl einstellte, doch er wurde enttäuscht und das gefiel ihm nicht. Unsanft stieß er die schwere Tür auf, welche zu Andrews Labor führte und sah sich langsam in dem Raum um. Mit einer Vorsicht, die man eher dem Arzt als dem Meister zugetraut hätte, schritt er in das Zimmer hinein und um die Scherben, die am Boden lagen herum. Er blickte zu dem massiven Holztisch, auf welchem in nervenraubender Kleinarbeit das Tor entstanden war, welches sie gebraucht hatten, um hierher zu gelangen und trat darauf zu. Die feinfühligen Hände des Mediziners taten wie selbstverständlich ihren Dienst, als er ihnen befahl über die Arbeitsfläche zu gleiten und jede noch so winzige Unebenheit in sich aufzunehmen. Hier irgendwo musste es doch sein! Nestor untersuchte jeden Zentimeter des Raumes, sehnte sich nach dem vertrauten Kitzeln seines Bewusstseins, musste sich aber schließlich eingestehen, dass er keinen Erfolg haben würde. Ein zorniges Funkeln trat in die gänzlich schwarzen Augen und voller Wut hob er die Arme, um den Raum in einer einzigen Bewegung vollkommen zu vernichten. Er griff hinaus nach der Finsternis und spritzte sie wie einen Eimer Farbe gegen die Wände, wo sie sich langsam von selbst ausbreitete und schließlich den gesamten Raum ausfüllte. Tisch, Stühle, Arbeitsgerät, Aufzeichnungen, alles fiel seiner hemmungslosen Wut zum Opfer und wurde in einer einzigen Sekunde zu schwarzem Nichts verbrannt, so dass nur ein finsterer Raum, der nie wieder würde Licht in sich aufnehmen können zurückblieb und Nestor mit einem perfiden Lächeln aus der Tür hinaustrat, sich ergötzend an dem Wissen, dass Andrew Simmons bei der Vernichtung seines Lebenswerk hatte zusehen dürfen.
    Diese Freude half ihm aber nicht darüber hinweg, dass er auch hier nicht gefunden hatte, was er suchte und sie alle so dringend brauchten.



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