Krankheitsgewinn?

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    Re: Krankheitsgewinn?

    Tjure - 28.02.2005, 18:18

    Krankheitsgewinn?
    Hallo Leute,

    In dem Heft mit dem Titel "Stottern, ein Problem für alle", von Theo Schönaker habe ich aus dem Vorwort von Prof.Dr. med.E.Kruse, Direktor einer Uni-Klinik für Phoniatrie u. Pädaudiologie folgende Zeilen gefunden.


    Zitat:
    .. Woher meint man eigentlich so genau zu wissen, daß Stottern erst zum Stottern wird, weil man Stottern vermeiden möchte und hiergegen ankämpf? Könnte nicht umgekehrt jemand, der stottert, sein Stottern brauchen?, zumal in bestimmten Situationen? Warum haben denn Betroffene dieses Problem nicht mit sich allein, sondern immer nur im kommunikativen, sozialen oder beruflichen Umfeld. Macht also möglicherweise das Stottern als Kommunikationsstörung doch einen Sinn, könnte man Stotternde oder können auch Stotternde sich selbst verstehen lernen in der Sinnhafigkeit ihres Stotterns?
    Zitat Ende:

    Mich würden eure Ansichten und Meinungen zum Thema Krankheitsgewinn interessieren.

    es grüßt euch der

    Tjure

    Bitte beachte unsere Nettiquette
    http://iphpbb.com/board/ftopic-25317487nx6939-2.html



    Re: Krankheitsgewinn?

    Anonymous - 01.03.2005, 12:37

    krankheitsgewinn
    Hallo Tjure,

    ich habe bei Theo Schoenaker eine Individuale Stotterer Therapie gemacht.
    Am anfang meiner Therapie konnte ich die Worte nicht begreifen.
    Im Laufe meiner Therapie habe ich zwar begriffen was Theo damit meint
    bzw was die Zeilen bedeuten sollen oder was das heißen soll, aber ich selber sehe das nicht so.
    Ich werde demächst etwas ausführlicher davon berichten.

    Viele Grüße
    lola



    Re: Krankheitsgewinn?

    Müri - 02.03.2005, 23:05


    Hallo Tjure,

    ich schreib mal was zum Krankheitsgewinn. Nicht unbedingt nur aufs
    Stottern bezogen.

    Ich denke, jede Krankheit hat Nachteile aber auch "Vorteile". Wobei
    im Normalfall die Nachteile überwiegen.

    Beispiel:
    Mandelentzündung:
    Nachteile: tut weh, muss operiert werden
    Vorteile: Man muss nicht zur Schule, man darf Eis essen
    Klar, Mandelentzündung ist doof. Aber hat auch was für sich.

    Es gibt jetzt sicher viele Krankheiten, wo man keinen wirklichen Vorteil
    hat (Fußpilz oder so...)
    Aber ich denke, auch stottern ist eine "Krankheit" wo es Vorteile geben
    kann, wie Aufmerksamkeitserregung, als Beispiel. (Und nein, ich unter-
    stelle keinem von euch, durch das Stottern Aufmerksamkeit erregen zu
    wollen.)

    Ich habe als Kind nicht gestottert, ich kann nicht beurteilen, ob ich auch
    einen Vorteil darin hätte entdecken können. Aber dass man es komplett
    verneint, finde ich übertrieben.

    Ich glaube nicht, dass man Stottern in der Regel erhält um sich irgend-
    welchen verkorksten Vorteile zu erhalten. Vielleicht war das mal ein
    kleiner Teil der Ursprungsenergie. Aber für erwachsene Stotterer halte
    ich es eher für unwahrscheinlich, dass sie einen psychischen Anreiz/Antrieb
    haben, das stottern zu erhalten.

    So, ich hoffe, ich hab mich jetzt nicht allzusehr verstrickt.
    Schöne Grüße
    Müri



    Re: Krankheitsgewinn?

    mi - 03.03.2005, 10:24


    Hallo!

    Mit dem Krankheitsgewinn ist das, denke ich, so eine Sache.....
    Als Kind und Jugendlicher hätte ich einen Krankheitsgewinn glatt verneint, aus voller Überzeugung. Ich kann mich nicht einmal in der Schule erinnern, nennenswerten Krankheitsgewinn erhalten zu haben. Unter den Gleichaltrigen hatte ich natürlich Schwierigkeiten, mich einzubringen, und bei Mädchen hatte ich überhaupt keine Chance.
    Als ich lange später erfuhr, dass mein Bruder eine lebensgefährliche Krankheit hatte, war ich so froh um mein Stottern wie nie zuvor: Im Gegensatz zu ihm hatte ich durch das Stottern ein zwar unangenehmes, aber relativ harmloses Ventil für meine nicht bewältigbaren Probleme. Irgendwann erkannte ich auch, dass mein Stottern auch so zu beschreiben war: "Ihr könnt mich vielleicht zwingen, zu sagen, was ihr wollt (und nicht, was ich will), aber wie ich es sage, das ist immer noch meine Sache!" Stottern konnte man in meinem Fall also auch als subtilen Widerstand sehen. (Wobei ich dazu sagen möchte, dass auch andere sinnvolle Erklärungen in meinem persönlichen Fall genauso passen. Keine davon ist richtiger oder falscher, jede erklärt nur einen Zusammenhang auf einer Ebene.)

    Allgemein sehe ich den Krankheitsgewinn als sehr schwieriges Thema:
    Er kann Ursache für das Stottern sein. (Und muss daher später in der ursprünglichen Form keine Rolle mehr spielen, ich z.B. muss mich nicht mehr wehren und stottere immer noch leicht.)
    Einige Zusammenhänge, die als Krankheitsgewinn beschrieben werden können, entstehen oft erst später: Wer sich z.B. selbst v.a. im Zusammenhang mit seinem Stottern als hilflos ausgeliefert erlebt (was oft naheliegt), kann sich zurückziehen und die Welt als eine erleben, die Ihm/ihr Böses will. Der Krankheitsgewinn wäre dann in etwa: "Das Stottern ist an meiner unangenehmen Situation schuld, ich kann da gar nichts machen." Stottern kann so also auch vor der Eigenverantwortung "retten" um unangenehme Beschäftigungen (nämlich die Beschäftigung mit den eigenen Strategien) zu vermeiden.
    Solche und andere Möglichkeiten gibt es viele.
    Wir haben wohl alle irgendwo einen Krankheitsgewinn, kleiner oder größer (wie verquer der im Einzelfall auch immer sein kann). Wer sich mit ihm beschäftigt, hindert ihn, sich mit ihm ein Bein zu stellen.

    In einer Therapie kann (und sollte auch, finde ich!!!!) überprüft werden, ob und wie Krankheitsgewinn besteht: Denn wenn dieser übergangen wird, wird sich der Erfolg meistens in Grenzen halten. Niemand lässt sich einfach so etwas nehmen, auch wir nicht.
    Problematisch sehe ich diese Suche nur, wenn jemand den Ansatz verfolgt, dass Stottern nur durch den Krankheitsgewinn entstanden ist und daher nur durch die Arbeit daran zu therapieren ist. Wer krampfhaft sucht, wird auch krampfhaft finden, egal, ob zu Recht oder nicht.

    lg
    mi :lol:



    Re: Krankheitsgewinn?

    thyrza - 05.03.2005, 21:04


    Hallo,

    das ist eine sehr interessante Diskussion.
    Zum einen, kann man hier von Krankheit sprechen?
    Eine Krankheit, die einen überfällt, wie ein Grippevirus oder ein Krebs?
    Was ist das für eine Krankheit (sofern wir stottern so bezeichnen), die an oder in der Welt liegt? Diese Frage habe ich mir sehr lange gestellt, ich kapierte nicht, warum ich stotterte, wenn ich "in Kontakt" war, allein, auf mich gestellt stotterte ich nicht (oder ganz wenig). Ich konnte reden wie ein Wasserfall.
    Wenn ich davon ausgehe, dass das Stottern idR nur dann auftritt, wenn ich mich in der Welt bewege, mich somit verhalte (gleich wie) käme nun die nächste Frage: ist stottern eine Verhaltensauffälligkeit?

    Wie dem auch sei ( das ist ein eigenes Thema wert) -


    was gewinnt man, wenn man stottert?

    Ich bin auch der Ansicht, dass ich persönlich zu einem bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben mein stottern benötigte - für was auch immer.
    Ich begann richtig zu stottern mit 8 Jahren, als ich zur Kommunion kam und erfuhr, dass ich ein adoptiertes Kind bin. Ich weiß noch, wie chaotisch meine Gedanken waren...Eltern, Mutter und Vater sind wie Götter, gut und die Besten, man hinterfragt sie nicht. Als ich die Wahrheit erfuhr, machte es mit mir - Eltern sind böse und geben Kinder ab! Ich hasse sie!

    Meine Adoptiveltern wohlgemerkt nicht - ich hatte eine schöne Kindheit, abgesehen von dem stottern und liebte, liebe meine jetzigen Eltern sehr.

    Ich glaube (denn ich weiß es nicht) damals war mein stottern für mich gut, auch wenn die Auswirkungen (Hänseleien) schlecht waren. Ich hatte einen "Ausdruck" für mein persönliches Chaos.
    Immer noch hüte ich mich davor, mit Bestimmtheit anzunehmen, das dem so war - die Thorwald Detlefsen Methode ist mir zu simpel - aber, insgesamt kann ich sagen, ja, das stottern hat zu mir gepasst, zu meinem Leben. Und die Wahrheit ist auch - ich hätte kein anderes Leben haben wollen, eines ohne stottern...:-)

    Zu der Zeit hätte ich das nie sagen können, auch noch nicht lange Zeit danach - heute aber weiss ich, was ich alles durch mein stottern erlebt, gelernt und überwunden habe. Ich kenne meinen Krankheitsgewinn somit - und ich bin gespannt, was noch kommen wird.

    Hermann Hesse schrieb einmal -Krankheiten sind Auszeichnungen - vielleicht dient dieser Satz als Anreiz für einen jeden von uns, für was er sein stottern getragen hat, oder noch tragen muss und wird?

    Worin kann das Gute liegen?

    Offensichtlich scheint ja - dass es anders macht- gegen die Norm -
    und noch vielmehr. Kennt ihr einen Stotterer, der nicht die Worte liebt?
    Nicht die gesprochenen - eher die gelesenen, geschriebenen oder gedachten?
    Überhaupt die Gedanken? Hätte man je soviel gedacht, wenn man nicht auch so viel geschwiegen hätte?

    Damit will ich nicht sagen, dass stottern hip ist - oder dass man sich darum prügeln sollte. Nein!

    Es ist ein fantastisch weites Feld - darüber weiter zu denken und zu schreiben.

    In diesem Sinne
    herzlichst Helga



    Re: Krankheitsgewinn?

    Tjure - 06.03.2005, 11:19


    Hallo,

    eure Beiträge finde ich sehr interessant und wirklich lesenswert.

    Einen Krankheitsgewinn konnte ich bezüglich meines Stotterns noch nie sehen. Außerdem empfinde ich das Stottern - so wie ich das mache - als Behinderung/starke Einschränkung und nicht als Krankheit.

    Ich wurde von aussen (Therapie, soziales Umfeld) öfter auf das Thema "Krankheitsgewinn" gelenkt. Das scheint etwas in Mode zu sein ;)

    Bei mir, sowie bei ca. 50% der Stotternden liegt eine genetische Disposition vor - dies ist für mich ein Indiz, das gegen den Krankheitsgewinn spricht - zumindest gegen ein "ich will mit dem Stottern etwas erreichen". Ich unterscheide auch zwischen "Kranheitsgewinn" und "das beste draus machen". Ja, ich habe in der Schule keine Referate halten müssen und ich war froh darüber. Aber noch viel froher wäre ich gewesen, wenn ich Normalsprecher wäre, und ein Referat nach dem anderen halten könnte. Ich habe mein Stottern immer als Qual, Anstrengung und mühevolles "von Wort zu Wort kämpfen" empfunden.

    Das Phänomen, dass alles flüssig läuft wenn ich mit mir selber spreche ist für mich einfach erklärt.

    Wenn ich mit mir selber spreche, habe ich keinen Anspruch auf meine Flüssigkeit/Unflüssigkeit - es hört mich ja niemand! (klingt ziemlich nach Abhängigkeit, ich weiss ;) )
    Für mich habe ich folgenden Satz gefunden:
    Je geringer mein Anspruch auf meine Sprechflüssigkeit, desto weniger stottere ich.
    Ich habe (fast immer) ein starke Vorahnung, dass es jetzt gleich zum Stottern kommen wird, und natürlich verhalte(reagiere) ich mich auf eine bestimmte Weise auf diese Antizipation. Insofer möchte ich thyrza völlig recht geben - was die Reaktion auf das Stottern bzw. die Antizipation auf das Stottern betrifft - habe ich ein "Verhaltensproblem".

    Ich denke, bei mir verursacht dieses Reagieren mindestens 90% meiner (nicht zielführenden)Stottersymptomatik . Auch deshalb, weil ich starke tonische Symptome zeige.
    Wenn ich einfach "nur" stottern würde - ohne diese abnormalen Verhaltensweisen - das wär schon eine tolle Sache - und genau das ist auch mein Ziel ;)

    Mich verärgern solche Aussagen wie sie im Zitat stehen.

    Das "Urstottern" ist meinerAnsicht nach eine motorische Fehlleistung - die Reaktion auf diese Fehlleistung macht mir das Leben schwer - und dagegen kann ich was tun - auch ohne mich mit dem Verlust meines Krankheitsgewinns auseinandersetzten zu müssen :)
    liebe Grüße

    Tjure



    Re: Krankheitsgewinn?

    thyrza - 06.03.2005, 13:02


    Lieber tjure,

    ich gebe dir Recht, wenn du schreibst - du mußt keinen Krankheitsgewinn erkennen. Wichtiger ist, wie du mit deiner Behinderung, die ich persönlich immer gern als VERhinderung bezeichne, umgehst.
    Du sprichst von einer "genetischen Disposition". Ein, wie ich finde, sehr gelungener Ausdruck für das stottern.
    Man begibt sich auch auf Glatteis, wenn man versucht, sein stottern erklären zu wollen oder sogar müssen. Ein wenig wäre es so, als bekäme man eine "Strafe" oder eine "spezielle Herausforderung" mit für sein Leben und Schicksal und man wüßte nicht wofür und warum.

    Auch bei mir ist stottern genetisch bedingt, mein Sohn hat ja auch gestottert.
    Es geht mir auch so wie dir, wenn ich mal blocke bei meinen Kindern (vertrautes Umfeld), so stoppe ich, fange relaxt neu an - ohne Streß oder Druck. Es ist leicht.
    In meinem normalen Umfeld (Job) erzeugt das schon ein anderes Gefühl.
    Darum habe ich ja verschiedene Strategien oder besser tools, die ich anwenden kann - was besser geht in dem Moment.

    Man verhindert sich gern selbst - man traut sich nicht - man schämt sich -
    richtiger ist die Akzeptanz seiner selbst- ich bin so, ich agiere so.
    Weg von einer Erwartungshaltung von der wir vielleicht nur denken, sie sei so oder so.
    So wie du selbst mit deinem stottern umgehst, können es auch die anderen lernen. Bin ich offen und lächle anstatt ängstlich versuchen, zu vermeiden. Ich bin meiner sicher, egal wie ich gerade reden kann.

    Das gelingt mir oft aber nicht unbedingt immer. Es ist ein Weg, der immer leichter wird - so sehe ich mich heute.
    Wir Menschen denken gerne in dualen Systemen.
    Vielleicht braucht man deshalb so Begriffe wie "Krankheitsgewinn"?
    Es ist wichtig, herauszufinden, wie man selber funktioniert.
    Für mich war/ist es wichtig, beide Seiten betrachten zu können.
    Sonst wäre ich heute noch sauer, enttäuscht, wütend und ich hätte nur über meine verpassten Chancen nachgedacht.

    Ich brauchte auch die "positiven" Aspekte meines stotterns um die Mitte kennenzulernen -

    In diesem Sinne fürs erste

    Helga



    Re: Krankheitsgewinn?

    Tjure - 07.03.2005, 11:14


    Hallo,

    Will das Zitat unterstellen ,daß wir Psychotiker sind? - Unser Stottern eine Reaktion auf eine Psychose ist ? Oder dass Stottern eine psychosomatische Angelegenheit ist ?
    liebe Grüße
    Tjure



    Re: Krankheitsgewinn?

    mi - 07.03.2005, 16:13


    Hallo!

    Ich freue mich über eure Antworten! Es ist ein echter Genuss für mich, sie zu lesen.

    Ein paar Ideen gehen mir dazu noch durch den Kopf:
    Das Zitat finde ich interessant als Ansatzpunkt für den Versuch, Stottern zu verstehen (oder nur Teilbereiche des Stotterns) und damit für manche oder viele einen therapeutischen Weg zu öffnen. Wenn ich implizit darin einen Anspruch, Stottern NUR SO zu verstehen lese (war das Zitat vielleicht anders gemeint? ich vermute eher nicht) herauslese, wird mir wieder übel: Wer nur etwas Bestimmtes sucht (und damit nicht für Anderes offen ist!) findet nur Anzeichen dafür, das liegt in der Art der menschlichen Wahrnehmung.
    Nur weil manche von uns auf diesem Weg weiterkommen können, braucht er nicht für alle richtig sein. Und niemand muss unbedingt einen Krankheitsgewinn bei sich suchen, um für diverse Therapeuten (oder andere) ein "guter" Stotterer mit Krankheitseinsicht und vielleicht noch mehr Schuldgefühlen sein, weil er/sie ja selber schuld ist.

    Zur Vererbung des Stotterns: Wissenschaftlich ist eigentlich ziemlich wenig über das Stottern abgesichert, einige Faktoren lassen sich aber statistisch so gut nachweisen, dass wir wohl davon ausgehen können, dass sie eine Rolle beim Stottern spielen.
    Die meisten Wissenschafter gehen davon aus, dass einige Faktoren als Dispositionen (das sind Faktoren, die beim Entstehen von Stottern beitragen können, aber nicht müssen) mitspielen.

    Ich selbst habe z.B. Schwierigkeiten mit der Lateralität (also der klaren Händigkeit), habe ein Problem mit der akustischen Figur-Hintergrund-Wahrnehmung (das heißt, ich höre z.B. schlecht einzelne Stimmen aus allgemeinem Gemurmel heraus, obwohl ich an sich gut höre), habe ein Problem in der Serialität (werfe also Buchstaben und Zahlen durcheinander) und wahrscheinlich hatte ich auch eine idiomotorische Dyspraxie (wunderbares Wort, nicht? es heißt, dass ich als Kind sehr ungeschickt war, durch Training aber lernen konnte.). Zusammen mit sehr belastenden Familienstrukturen waren meine Probleme zu viel und ich begann zu stottern.
    Das heißt für andere nun einmal gar nichts. Ich fine eine Behauptung der Art, dass jemand mehr oder weniger einen psychischen Knacks haben muss, um stottern zu beginnen, blödsinnig.

    Solche Dispositionen können (müssen nicht) weiter vererbt werden. Irgendwelche Dispositionen haben alle (egal, ob sie stottern oder nicht) und vererben alle weiter. Die meisten fallen im Leben nicht wirklich auf, weil das menschliche Gehirn ein Meister im Kompensieren ist.
    Tjures Unterscheidung zwischen Krankheitsgewinn und "das Beste daraus machen" gefällt mir sehr gut: Vielen so genannten "Krankheitsgewinn" haben wir auch dann, wenn wir von der Krankheit nichts haben, es reicht, wenn wir weiter sitzen bleiben dürfen, während jemand anderer zum Telefon hetzen muss... So etwas ist natürlich kein echter Krankheitsgewinn, sondern nur ein kleiner Vorteil in einer riesigen Serie von Nachteilen. Da er nicht an der eigenen Entwicklung hindert, denke ich, brauchen wir nicht weiter darauf herumzureiten. Wenn für jemanden aber immer nur das Stottern und alle anderen an seinen Problemen schuld sind, schaut das anders aus.

    Stottern = Krankheit?
    Naja, rechtlich irgendwo, soweit ich weiß, schon. Sonst würde die Krankenkasse auch nicht bei einer Therapie mitzahlen.
    Nach der neuesten Definition im Behindertenbereich, die ich kenne, ist Stottern auch keine Behinderung, sondern eine Beeinträchtigung. Wie wir es selbst sehen, bleibt, denke ich, unsere persönliche Sache. Ich habe mich nie, auch nicht in meinen dunkelsten Zeiten, behindert oder krank gesehen. Ein (inzwischen nur mehr kleines) Problem habe ich natürlich schon.

    Psychotiker sind wir wegen unseres Stotterns sicher nicht, auch sonst nicht psychisch krank. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang aber die Frage, ob uns vielleicht die hindernde Situation, in der wir mit unserem Stottern aufgewachsen sind, psychische Probleme beschert hat. Je nach Einzelfall kann da ein Schritt aus dem Stottern zu finden sein, muss aber nicht.

    Den Ausspruch "Krankheiten sind Auszeichnungen" sehe als Aufforderung, das Beste aus dem Problem zu machen. Ich weiß nicht, warum gerade ich dieses Problem "geschenkt" bekommen habe (ich habe mich nicht gerade um das gane Ursachenbüdel für das Stottern gerissen!), da ich es aber einmal habe, will ich auch damit möglichst gut umgehen, weil ich mein Leben gut leben will.

    liebe Grüße!!!
    mi :lol:



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