Nach dem Studium reist der junge Werther in die Provinz um sich an der Natur zu erfreuen. Täglich sitzt er ohne Verpflichtungen, vogelfrei draußen am Brunnen, beobachtet die Menschen und bemitleidet sie, die doch umher getrieben werden durch die Arbeit. Er selbst bummelt verträumt vor sich hin, zeichnet ein wenig und langweilt sich
"Wenn du fragst, wie die Leute hier sind, muss ich dir sagen: wie überall! Es ist ein einförmig Ding ums Menschengeschlecht. Die meisten verarbeiten den Größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bisschen, dass ihnen von der Freiheit übrigbleibt, ängstigt sie so, dass sie alle Mittel aufsuchen, um's loszuwerden. O Bestimmung des Menschen!“
Auf einem Fest trifft er Lotte, und obwohl man ihn warnt, sie sei bereits verlobt, verliebt er sich in sie. Auch sie scheint nicht verlegen, dass in der Abwesenheit Alberts um sie geworben wird. Nachdem andere Gäste ihre Rolle als Verlobte in Erinnerung rufen, findet sie zur Besinnung zurück. Werther verschreibt sich indessen der Leidenschaft zu, kann seine Liebe zu ihr nicht verdrängen. Erst die Rückkehr ihres Verlobten bewegt ihn dazu, kampflos und ohne Hoffnung das Feld zu räumen.
Er kehrt zurück in die Stadt, nimmt die angebotene Stelle eines Abgesandten an, doch die Normen der Gesellschaft missfallen ihm. Er wird aus einer Gruppe ausgewiesen, weil er nicht dem Gesellschaftskreis angehört. Indem er die Regeln missachtet, wird er zum Gespött der Leute. Er kündigt, besucht die mittlerweile verheiratete Lotte. Die Besuche mehren sich und erst als Albert seinem Unmut Luft macht, kann Lotte sich überwinden, ihm den Zutritt zur Wohnung zu verweigern. Diese Szene bestärkt ihn in seinem Vorhaben, sich umzubringen.
Dieser Briefroman wurde in poetischer, leidenschaftlicher, auf dem schmalen Grat zur Schwülstigkeit verfasst. Das Ende, der Abschiedsbrief klebt förmlich an den Fingern. Im zweiten Teil mischt sich der Herausgeber der Briefe ein, um die Authentizität zu erhöhen und natürlich um den Tragikeffekt zu vergrößern. Ein bemerkenswerter Kniff, der vorher schon Rousseau erfolgreich genutzt wurde.
Werther lebte ohne Perspektive, ohne Ziel im Leben – er lebte in den Tag hinein, fand somit genügend Zeit zum Nachdenken. Er wäre gar nicht in diese Situation geraten, wenn er sich wie die arbeitende Mehrheit, die, die er anfangs bedauerte, angeschlossen hätte. Er hat sich so in einer zufälligen Gunst zu Lotte hineingesteigert, bis es unmöglich wurde, wieder herauszufinden. Es war klar, dass Werther depressiv war, fand er doch keinen geeigneten Platz im Leben. Der einzige Halt schien diese Frau, die sich zum Schluss von ihm abwendet - Abwenden musste, weil sie sich im Gegensatz zu ihm den Normen der Gesellschaft unterwarf – also aus Vernunftgründen. Und weil diese Frau den Mittelpunkt seines Daseins darstellte, konzentrierten sich alle Gedanken auf sie. Die Folge war, dass er darin mehr wahrnahm, als tatsächlich vorhanden war. Selbst die Liebe zu ihr ist meines Erachtens reine Einbildung. Durch die Verdichtung seiner Gedanken wird die Sympathie zu einer Liebe hochstilisiert. (oder wie man aus einer Mücke einen Elefanten macht.) Er war viel zu egoistisch und überheblich veranlagt, um besagte Beziehung zu führen. Alleine dieser Abschiedsbrief an sie ist derart brutal ihr gegenüber, dass Rücksichtsnahme für ihn keine Rolle gespielt hatte. Mit großer Geste vollzieht er seinen Abgang. 'Nach mir die Sintflut!' zu sehr ich-bezogen, ging es ihm nie um Lotte, sondern immer nur um sein kleines unbedeutendes Selbst.
Trotz allem fand ich den Roman herrlich angenehm, denn man braucht dazu ja den Helden nicht sympathisch zu finden. In der Mitte des Buches taucht ein Gespräch zwischen Albert und Werther auf, zwischen der Vernunft und der Leidenschaft und um die Rechtfertigung der Selbsttötung. Mein persönlicher Höhepunkt dieses Büchleins.