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Boyle, T. Coraghessan - Wassermusik




Boyle, T. Coraghessan - Wassermusik

Beitragvon Susannah » 23.01.2009, 10:05

Kurzbeschreibung:
Zocker und Voyeure, Hexen und Sadisten, Huren, fremdartige Schönheiten und schottische Kleinbürger: T. C. Boyle erzählt von den zwei Westafrika-Expeditionen des schottischen Entdeckers Mungo Park, der sich um das Jahr 1800 auf die Suche nach dem Niger machte, beide Male in Begleitung eines ehemaligen Sklaven und Butlers. Verwoben in diese Geschichte ist das Schicksal eines Londoner Trunkenbolds und Trickbetrügers namens Ned Rise. Eine weitere Parallelhandlung spielt in Schottland, wo Parks Geliebte und spätere Frau Ailie Anderson auf die Rückkehr des Weltenbummlers wartet. Boyle stützt sich auf dabei auf Mungo Parks Reiseberichte, etwa Travels in the Interior of Africa (1803), die sich unterhaltsam lesen und für damalige Zeiten eine enorme Menge von ethnologischem Material auf unvoreingenommene Weise präsentieren. In einer knappen Vorbemerkung stellt Boyle jedoch fest: Ich habe den historischen Hintergrund aus der Freude und Faszination genutzt, die er mir bereitete, keinesfalls aber in dem Wunsch, die darin festgehaltenen Ereignisse genauestens zu rekonstruieren oder für einen Roman zu bearbeiten.


Dieses Buch fasziniert, überwältigt, überrascht und begeistert. Die Charaktere, die Handlungsstränge sind völlig komplex und doch überschaubar und nie verwirrend.

Im Wesentlichen gibt es drei Schauplätze: Westafrika, London und die schottischen Highlands Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts und drei Protagonisten: den Entdeckungsreisenden Mungo Park, den Londoner Gauner Ned Rise und Parks Verlobte und spätere Frau Ailie Anderson.

Wie es Boyle gelingt, Afrika als exotischen und der weißen Kultur feindselig gestimmten Kontinenten zu beschreiben, sucht ihresgleichen.

Park sucht gleich zweimal das Abenteuer, diesen Kontinent und vor allem den Niger zu erforschen. Beide Male mit einem ehemaligen Sklaven, dem hochgebildeten Johnson. Dass er es nur Johnsons Intelligenz und seinem Scharfsinn verdankt, dass er die erste Expedition überlebt, begreift er nicht.

Der zweite Handlungsstrang ist mindestens genauso spannend und hat mich anfangs sogar noch mehr gefesselt: Der peinharte Überlebenskampf von Ned Rise in der Londoner Unterwelt. Sein Schicksal als Kind und Jugendlicher, seine Missgeschicke während seines jungen Erwachsenenlebens, seine große Liebe, die ein tragisches Ende nimmt bis hin zu seiner Verurteilung als Mörder.

Als Mungo Park zum zweiten Mal loszieht, seine verzweifelte Frau und vier Kinder in Schottland zurücklässt, treffen die beiden Zweige der Geschichte aufeinander. Ned Rise kommt zufällig als Häftling in die Crew von Park und begleitet ihn auf der zweiten Expedition. Auf dieser Reise gelingt es Park immer nur durch glückliche Zufälle und der Hilfe der wenigen ihm wohl gesonnenen Menschen, nie durch seinen Verstand oder seiner Urteilskraft, tatsächlich den Niger zu erforschen.

Das Ende des Romanes ist eine Symphonie in der sich der Kreis aller Schicksale schließt.

Meine Berwertung: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: und ein Highlight-*

Wie ihr seht, hat sich mein erster Eindruck nicht gehalten. Ca. ab Seite 150 - 200 hat mich das Buch gefesselt und mindestens so begeistert wie alle anderen "Boyles", die ich bisher kenne.
Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!
(Kurt Tucholsky)
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Beitragvon wolves » 23.01.2009, 10:17

Puuh. *Schweiß-von-der-Stirn-wisch". Bin ich froh, dass dir das Buch letztendlich doch so gut gefallen hat. Irgendwie hatte ich ja erst so meine Bedenken und man wünscht sich doch immer insgeheim, dass ein Geschenk gut ankommt. :wink:
Liebe Grüße
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Re: Boyle, T. Coraghessan - Wassermusik

Beitragvon marilu » 23.01.2009, 11:05

Susannah hat geschrieben:[color=darkred]
Meine Berwertung: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: und ein Highlight-*

Wie ihr seht, hat sich mein erster Eindruck nicht gehalten. Ca. ab Seite 150 - 200 hat mich das Buch gefesselt und mindestens so begeistert wie alle anderen "Boyles", die ich bisher kenne.

Danke für die aufschlussreiche Rezi, Susannah!
Ich habe "Wassermusik" vor 6 Jahren begonnen und nach ca. 50 Seiten frustriert zur Seite gelegt. Ich wollte damals gar nicht glauben, dass so ein toller Autor etwas so zähes geschrieben hat... Du machst mir Hoffnung, dass ich mich tatsächlich geirrt habe. "Wassermusik" kommt zurück auf meine Wunschliste. :lesen3:
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Beitragvon Susannah » 23.01.2009, 11:26

Ja, Wolves, das Geschenk war wirklich ein Volltreffer! Vielen Dank nochmal dafür!!

Marilu gib dem Buch unbedingt noch eine Chance. Wenn du Boyle magst, bin ich sicher, dass auch dieser Roman dich letztendlich erwischen wird. :wink: Wie gesagt, muß man sich eben durch den ersten Teil kämpfen, aber es lohnt sich unbedingt.
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Beitragvon Monika » 23.01.2009, 12:58

„Wassermusik“ ist nach wie vor mein Lieblings-Boyle. Er mag keine große Literatur sein und mit historischen Fakten sehr frei umgehen, er ist meiner Meinung nach auch hundert Seiten zu lang (wie fast alle Romane des Autors), aber er hat mir ein Leseerlebnis beschert, wie ich es nur in der Kindheit kannte. Ihr erinnert Euch: Man liegt mit heißen Backen bäuchlings auf dem Bett und um sich herum versinkt die ganze Welt, während man mit Winnetou, dem letzten Mohikaner oder den drei Musketieren die gefährlichsten Abenteuer erlebt. So ähnlich erging es mir „Wassermusik“. Für Stunden hat mich der Roman aus meinem schnöden Alltag weit fort in eine ferne Welt voll spannender, haarsträubender und sehr unterhaltsamer Abenteuer entführt. Ich glaube, es ist heutzutage nicht leicht, einen wirklich fesselnden Abenteuerroman mit Niveau zu schreiben. Danke, T.C.Boyle!
Gruß Monika


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Beitragvon Krümel » 23.01.2009, 13:21

Oh, mal so völlig eintauchen in eine Lektüre so wie bei der "Unendlichen Geschichte" von zwanzig Jahren (oder mehr :grübel2: ), das passiert mir leider auch nur noch sehr selten.
Aber "America" gefiel mir ja überhaupt nicht :oops:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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