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Rahimi, Atiq – Erde und Asche




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Rahimi, Atiq – Erde und Asche

Beitragvon tom » 14.12.2008, 00:00

Original: Khâkestar-o-khâk (persisch, 2000)

Nach der Zerstörung seines afghanischen Dorfes durch einen russischen Angriff und dem Tode seiner Frau, seiner Tochter, eines Sohnes mit seiner Familie, ist der Großvater zusammen mit dem taub gewordenen Enkel auf dem Weg zur Mine, in der sein nunmehr einziger Sohn arbeitet. Wie aber ihm diese Nachrichten zumuten? Oder ist es besser, ihn unbenachrichtigt zu lassen? Oder weiß er Bescheid, ist nun von Hass und Rachegefühlen erfüllt? Wie mit dem eigenen Schmerz umgehen? Zwischen Wachen und Nachdenken, in Gesprächen und Sorgen um den Enkel quält sich der schmerzerfüllte Trauernde. Sie warten irgendwo an einer recht einsamen Brücke, wo der Weg abzweigt zur Mine…

Voriges Jahr hatte ich zuerst seinen Film "Terre et cendres" gesehen, der auf das Buch gründet und ihm sehr folgt. Er ist ja selber Regisseur und konnte also im Film sich selbst treu bleiben. Damals war ich sehr beeindruckt von diesem Warten, dem quälenden Schmerz, der Begegnung mit einer sicherlich universalen, aber eben auch hier historisch eingebetteten Geschichte. Es ist auch die Frage der Trauerarbeit, der man aus dem Weg geht, bzw. die man aus Angst und Isolation und Schmerz nicht teilen kann.
Zitat aus einem Interview mit Rahimi: „Da schrieb ich meinen Roman "Erde und Asche" darüber, wie die Zukunft - in der Person des jungen Yassin (=der Enkel) - taub ist, die Gegenwart - in der Figur Murad (=Sohn) - verraten, die Vergangenheit (Großvater) mit ihrem Schmerz und ihrem Leiden unterdrückt.“

Der Film spielt noch mehr als das Buch mit der Länge und dem Warten: dem sich Hinausziehen des entscheidenden Moments.
In der Begegnung mit einem recht geheimnisvollen Händler wird ein Weg angedeutet, der unvermeidlich und eventuell heilsam sein könnte.

Erst später erfuhr ich dann von den Büchern. Inzwischen hat Atiq Rahimi in diesem Jahr also den begehrten Goncourt Literaturpreis gewonnen, was diesem Land hier eine erneute Aufmerksamkeit eingebracht hat. Und während er offiziell komplimentiert wurde, bereitete man gleichzeitig einen Charterflug für Asylanten vor...

Gestern konnte ich hier in der Nähe bei einer Projektion des Films beiwohnen und einem anschließenden Austausch mit Rahimi selbst, einem sehr sympathischen Mann, der bei aller Schwere der von ihm angerührten Themen doch auch eine Zugänglichkeit sich bewahren konnte.

Daraufhin nahm ich eben dann erstmals das Buch (auf Französisch) und las es in einem Rutsch. Glatte Empfehlung!!!

:stern: :stern: :stern: :stern: / :stern:

Atiq Rahimi (* 26. Februar 1962 in Kabul) ist ein französischer Schriftsteller und Filmregisseur afghanischer Herkunft. An der Universität Kabul begann er ein Literaturstudium und war als Filmkritiker tätig. Während des Bürgerkriegs in Afghanistan suchte Rahimi Zuflucht in Pakistan und floh 1984 nach Frankreich. An der Sorbonne in Paris promovierte er in audio-visueller Kommunikation. Sein erster Roman, Erde und Asche, erschien 2000 und thematisiert den Krieg in Afghanistan; Rahimi hat ihn 2004 auch selbst erfolgreich verfilmt. Sein weiteres Œuvre kreist ebenfalls um die kulturellen und politischen Verhältnisse in Afghanistan, vorrangig um die (Selbst-)Befreiung der Frauen in Afghanistan aus ihrer traditionellen Rolle.

Rahimi ist afghanischer und französischer Staatsbürger und seit den 2000er-Jahren auch wieder in Afghanistan kulturell aktiv. Für seinen ersten Roman in französischer Sprache Syngué Sabour. Pierre de patience („Der Stein der Geduld“) erhielt Rahimi 2008 den Prix Goncourt.

Sehr interessantes Interview mit Atiq Rahimi: http://www.gazette.de/Archiv/Gazette-Fe ... ahimi.html

Gebundene Ausgabe: 104 Seiten
Verlag: Claassen Verlag
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3546003144
ISBN-13: 978-3546003148

Link zum Film: http://www.amazon.fr/Terre-cendres-Atiq-…29205448&sr=1-2

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tom
 

von Anzeige » 14.12.2008, 00:00

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Beitragvon Pippilotta » 14.12.2008, 09:40

Danke für die Rezi, Tom. Ich hatte mir das Buch schon vor längerer Zeit - nach der Rezension von Marie im BT- notiert.

Habe ich das richtig verstanden, du hast den Autor gestern persönlich getroffen und mit ihm gesprochen?
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Karthause » 14.12.2008, 09:51

Wie schön, dass du dieses Buch vorgestellt hast. Ich habe es vor längerer Zeit gelesen und kann dir nur zustimmen. Im Regal steht bei mir noch "Der Krieg und die Liebe" vom gleichen Autor und wartet auf Lesezeit.
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon tom » 14.12.2008, 12:32

Pippilotta hat geschrieben:Danke für die Rezi, Tom. Ich hatte mir das Buch schon vor längerer Zeit - nach der Rezension von Marie im BT- notiert.

Habe ich das richtig verstanden, du hast den Autor gestern persönlich getroffen und mit ihm gesprochen?


Ich habe die Rezi von Marie erst gestern gefunden als ich den Autorennamen eingab...

Nein, ich habe ihn nicht "persönlich" getroffen! Er war hier zu dieser Projektion des Filmes und anschließend gab es eine Debatte (Fragen aus dem Publikum) mit ihm. Ich hätte gerne auch was gesagt, doch der Saal war gerappelt voll (ich saß im Gang auf den Stufen) und einige ältere Leutchen hatten schnell das Mikro monopolisiert.
Hinterher signierte er noch Bücher (wie auch am Samastagmorgen in "meiner" kleinen Lokalbuchhandlung), doch da kam ich nicht an ihn ran, bzw. am Freitag war es dann auch schon fast Mitternacht, und am Samstagmorgen arbeitete ich zu dieser Zeit...
tom
 



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