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Hürlimann, Thomas - Fräulein Stark




Hürlimann, Thomas - Fräulein Stark

Beitragvon Katia » 07.10.2008, 11:19

Thomas Hürlimann: Fräulein Stark

Einen letzten Sommer vor seinem Eintritt in die Klosterschule verbringt der ``nepos praefecti'' im Reich seines Onkels, der Stiftsbibliothekars der wunderschönen Barockbibliothek zu St. Gallen. Es ist ein Sommer zwischen Kindheit und Jugend, ein Sommer indem der Junge seine ``Katzhaftigkeit'' entdeckt - die er auf seine Verwandschaft mit der Familie Katz zurückführt, in Wirklichkeit normale erwachende Sexualität ist. Seine Aufgabe kommt ihm dabei zu Gute: er ist zuständig den vielen Touristen und besonders Touristinnen, die den Barocksaal mit dem ``Geigenbodenparkett'' betreten wollen, die passenden Filzpantoffeln überzustreifen - und dabei so manch einen Blick unter so manchen Frauenrock zu werfen. Frl. Stark, die Haushälterin des Prälaten-Onkels hat da ganz entschieden etwas dagegen - und so wird das zarte Beziehungsgeflecht zwischen den beiden immer wieder erschüttert. Trotzdem bleibt die resolute Appenzellerin ein Haltepunkt im Leben des Jungen, in Erinnerung an alte Ausflüge in die Berge und neue zum ``Porter'', Bedrohung, erste Verliebtheit, Mutterersatz.

Hürlimann ist eine zarte, humorvolle und lesenswerte Novelle gelungen. Wer selbst schon einmal auf Filzpantoffeln durch den wunderschönen Barocksaal in St. Gallen (link) geschlurft ist (heute darf man sich diese banal selbst vom Boden nehmen, nicht mal mehr die drei Größen ``klein, mittel, weit'' gibt es noch :-( ), wird die Atmosphäre wiedererkennen, die die Räumlichkeiten ausstrahlen. Der Autor lässt seinen Protagonisten seine beginnende Pubertät selbst erzählen, in einer ironisch gefärbten, bildhaften Sprache, er lässt ihn in den Tiefen der ``Seelenapotheke'' seine Spannungen zwischen ``Katz'' und ``Klosterschüler'' nachspüren - erzählt uns so ganz nebenbei in knappen Worten die Familiengeschichte bis zum Weltkrieg. Es sind Hürlimann liebenswerte, ganz besondere Charaktere gelungen: Mit dem Prälaten, den anderen Bibliothekaren und Empfangsdienern und natürlich dem wunderbaren Frl. Stark, die notfalls schwarze Kniestrümpfe nicht nur zum Protest strickt, sondern auch ''Vernunftspermien`` (wie der Prälat sagt: ''Was raus muss, muss raus``) auswäscht :-) Katholische Frömmigkeit trifft in ihr und dem Stiftsbibliothkear auf Lebensweisheit und Menschlichkeit.
Bref: Eine unterhaltsame, lohnende Lektüre von knapp 200 Seiten.

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