FanFiction - Shining Darkness

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    Re: FanFiction - Shining Darkness

    GOTO Norazul - 09.07.2008, 15:12

    FanFiction - Shining Darkness
    Ahai!

    Nach der E-Mail Alekras, dass das Forum am aussterben ist, hier nun mein Wiederbelebungsversuch :D ...

    Die zweite von drei Kurzgeschichten, die ich über meinen Main-Character geschrieben habe.
    "Shining Darkness spielt knapp 24 Jahre nach den Geschehnissen von Guild Wars und Norazul Lifetaker ist seit einigen Jahren als Meisterarchivar des Nekromantenordens in Shing Jea - mittlerweile die grösste Trainingsanlage für Gildenkrieger der Welt - tätig.

    Dann hängt man seiner Schülerin, für die er weit mehr empfindet als es zwischen Lehrer und Schülerin üblich ist 8) , einen brutalen Massenmord an und so finden er und sie sich plötzlich als Canthas meistgesuchte Personen wieder.

    Und ein Krieg aller Nationen der Welt gegen die Gildenkrieger ist sehr wahrscheinlich...

    Hier die ersten 3 Kapitel - 3 weitere kommen morgen.

    ---------------------------------------------------------------------

    Norazul Lifetaker - Shining Darkness

    I – Shadow Teacher

    So bleibt es mir, der diese Anleitung für Euch geschrieben hat, Wissbegieriger, am Ende nur übrig, Euch erneut zu warnen.

    Der Federkiel tauchte in das kleine Bronzefass mit magisch behandeltem Ettin-Blut, dann kratzte die Spitze erneut über das gelbliche Pergament.
    Es war so leise in der mit riesigen Bücherregalen vollgestellten Halle, dass selbst das Kratzen ein leises Echo erzeugte.

    Es mag Euch als ein beachtlicher Erfolg erscheinen, die Kunst erworben zu haben, auf Eure untoten Diener die Kunst der Zerspitternden Knochen wirken zu können, was in der Tat eine beachtliche Leistung darstellt,

    Der Kiel stiess erneut in das Fässchen.

    aber an jenen Orten dieser Welt, wo es keinen reichlichen Vorrat an fleischlichen Opfern gibt, die Euch als Quelle Eurer Macht dienen können, ist selbst diese Fähigkeit, elitär wie sie sein mag, nutzlos.

    Plitsch!

    So schliesse ich, Wissbegieriger, wie immer mit den Worten:

    Überdenke den Ort, die Feinde und dein Vorhaben, wo immer Du die Welt der Lebenden mit deinen Stiefelabdrücken ehren willst, bevor Du Dich anschickst, den Tod in die Reihen Deiner Gegner zu tragen.

    Plitsch!

    Wir Gildenkrieger mögen zwar wiedergeboren werden können, aber jeder dieser Vorgänge kostet nicht nur Zeit und zehrt an Eurer Kraft, sondern gibt Euren Feinden auch die Zeit, sich auf Eure Wiederkehr auf das Schlachtfeld vorzubereiten.

    Im Namen Grenths, Seiner Geschwister und des Ordens der Nekromanten

    Der Federkiel tanzte schwungvoll über das untere Ende des Pergaments, als der Schreiber seinen Namen druntersetzte.
    Die Schriftzeichen leuchteten noch schwach, als er den Federkiel mit einem dünnen Messer etwas anspitzte und kleine Splitter auf die Platte des wuchtigen Schreibtischs fielen.
    Er legte den Federkiel neben der Pergamentrolle nieder und schloss das Bronzefässchen, da erblickte der Schreiber eine kleine Motte, die im Licht des Kandelabers umherflatterte.
    Ohne weiter hinzusehen, legte er einen kleinen abgeschnitzten Splitter des Federkiels auf seinen ausgestreckten rechten Zeigefinger und schnippte ihn mit dem linken Daumen und Zeigefinger davon.
    Die Motte landete aufgespiesst auf der Tischplatte.
    Aus dem Halbdunkel der Kerzenleuchter und der, von schweren Eisenketten herabhängenden, dunkel glosenden Kupfer-Lampions, wurden leise Schritte hörbar und schliesslich schälte sich eine zierliche Gestalt aus dem Dunkel.
    Nekromanten standen wie Assassinen auch im Ruf, kleiner als Durschnittsmenschen zu sein, aber die Frau in ihrer grauen leichten Rüstung war selbst für Nekromanten-Verhältnisse klein.
    „Meister“, sagte sie, nachdem sie vier Schritte vor dem Schreibtisch stehenblieb, und verneigte sich respektvoll. „Hier sind die Unterlagen, um deren Beschaffung Ihr mich ersucht habt.“
    Mit gesenktem Kopf trat sie näher und hielt ein ledergebundenes Buch in den ausgestreckten Händen.
    Ein kehliges Kichern hallte von den Wänden des Archivs.
    „Ach, meine liebste Kiágara“, antwortete der Nekromant Norazul Lifetaker lächelnd, als er sich von seinem kunstvoll verzierten Stuhl erhob und um seinen Schreibtisch herumtrat. „Unser Orden wird hier in Shing Jea noch immer von Grossmeisterin Kuju geführt und das wird noch Jahrhunderte lang so sein. Du brauchst also nicht so zu tun, als würde die Bürde dieses Amts schon auf meinen Schultern lasten.“ Er lächelte. „Also erhebe dich.“
    Kiágara Fleshreaper, eine der neuen Nekromantinnen des Klosters, hob den Kopf und lächelte den Meisterarchivar an.
    Ihr Lächeln entblöste spitzgefeilte, schwarzgefärbte Zähne mit kleinen, in die Zähne eingesetzten, Rubinen. Ihre Haut hatte den typisch bleichen Touch einer Todesmagierin, aber ihre Haare waren nachtschwarz und standen damit im absoluten Kontrast zu Norazuls schneeweissen Haaren.
    „Ich hoffe“, sagte er und die traditionellen Tätowierungen auf seiner linken Gesichtshälfte tanzten, als er die Augenbraue hob, „es war nicht zu schwer, den Archivar des Ministers zu überreden, mir dieses Buch auszuleihen?“
    Kiágara schüttelte den Kopf. „Als Minister Feng erfuhr, wonach ihr verlangtet, hätte ich seine gesamte Bibliothek herschaffen lassen können.“
    Norazul lachte leise und kleine Eiskristalle platzten von seiner dunklen Robe ab. „Ich kann mich noch daran erinnern, als Minister Cho das Anwesen Fengs bewohnte. An den Geschäftsbüchern, die Generationen von Buchhaltern umschreiben mussten, um die prachtvollen Gelage und Freudenmädchen als `Werbungskosten´ verschwinden zu lassen, habe ich kein Interesse.“
    Kiágara lachte ebenfalls und im Kerzenschein glitzerten zwei Reihen blutrot funkelnder Sterne. „Es gab auf dem Weg zurück zu unseren Hallen einige Probleme, Meister. Ich meine nicht das übliche Ungeziefer, sondern vier Banditen, die uns an der Kreuzung zum Dorf Tsunmei auflauerten.“
    „`Uns´?“ fragte Norazul.
    „Vier Bauern und ein Händler, die Begleitung zum Klostermarkt ersuchten.“
    Der Nekromant legte das Buch auf seinen Schreibtisch, dessen Arbeitsfläche trotz der vielen Türme aus Büchern und Folianten und prall gefüllten Schriftrollenhaltern erstaunlich ordentlich war.
    „Ich hoffe doch“, fragte er leise, „dass deine Wegbegleiter diese Klostermauern sicher erreicht haben, oder?“
    „Der Händler will ab der Morgenstunde seine Waren feilbieten“, antwortete die junge Nekromantin, „und die Bauern haben für die letzten Nachtstunden in der Klosterherberge Lager bezogen.“
    „Und das Schicksal der Banditen?“ fragte Norazul und er spürte die sadistisch-perverse Freude der jungen Frau, die jetzt neben ihm die Reihen der Regale abschritt.
    „Die Blutmagie ist stark, Meister.“ Erneut leuchteten zwei Reihen roter Lichter.
    „Jede Facette unserer Kunst ist stark, Kiágara“, antwortete Norazul, legte seine Hände auf ihre Schultern und drehte sie zu sich hin, „es ist die wahre Kunst, wissen zu können, wann man welche zu verwenden hat.“
    Norazul Lifetakers Hände waren schwanenweiss und seine langen Fingernägel, in Anlehnung an einen canthanischen Prinzen, den er einst persönlich getroffen hatte, waren mit Obsidianstaub geschwärzt und mit Karmesin und Blattgold verziert.
    Alle Finger, bis auf den Daumen und den Zeigefinger.
    So, wie sie jetzt auf Kiágaras Schultern lagen, fühlte die junge Nekromantin ein Schaudern durch ihren Körper laufen.
    „Darf… darf ich Euch eine Frage stellen, Meister?“ Ihre Stimme war nicht ängstlich, sondern eher erwartungsvoll.
    Der Meisterarchivar nahm eine Hand von ihrer Schulter, liess die andere aber an ihrer Stelle, als beide zum Tor der Halle zuspazierten.
    „Die beste Schülerin seit langem fragt ihren eigenen Ausbilder, ob sie ihn was fragen darf?“
    „Ich meine nur“, fragte Kiágara zögernd, „ob es wirklich stimmt, was man sich über das Alter von Euch und… und der Grossmeisterin erzählt.“
    Beide Nekromanten waren vor den Toren des Archivs angekommen und er hielt sie an.
    „Du warst fünfzehn, als du ins Kloster kamst, richtig?“
    „Ja, Meister.“
    „Jetzt bist du siebzehn.“
    „Ja, Meister.“
    Norazul drehte sich zu der jungen Nekromantin um und nahm ihr Gesicht in beide Hände.
    „Noch bevor du in mein Alter kommst, muss dieses Kloster renoviert werden.“
    Kiágaras Augen sahen zwischen seinen Händen noch grösser aus. „Aber Meister! Ich habt doch erst vor drei Jahren…“
    „…und selbst dann könnte ich vielleicht noch da sein“, meinte Norazul lächelnd, drückte Kiágara einen Kuss auf die Wange und auf ein Handzeichen von ihm öffneten unsichtbare Mechanismen die Tore des Archivs.
    „Ich bin siebenhundertsechsundfünfzig Jahre alt. Und jetzt los mit dir!“ Er gab ihr einen Klapps auf den Hintern. „Das Training wartet.“

    Der säbelschwingende Bandit sank mit einem Pfeil in der Brust in die Knie und löste sich in Luft auf, aber die beiden jungen Frauen waren schon an ihm vorbeigerannt.
    Zwei weitere Banditen wurden von einem wirbelnden Insektenschwarm bis auf die Knochen weggefressen und verschwanden ebenfalls, da tauchte ein Trio Nagas auf und gingen auf die Nekromantin und die Waldläuferin los.
    Kiágara Fleshreapers glühender Blick saugte der ersten Schlangenfrau das Blut aus und Juleena Whispershots Tiergefährte, ein stolzer, prächtiger Tiger, sprang die zweite Naga an.
    Die letzte Überlebende Naga, eine Zauberin, riss verächtlich den Pfeil, den Juleena ihr im Laufen in die Brust geschossen hatte, aus ihrer Schuppenhaut, da wurde sie vom aufgetragenen Gift der Pfeilspitze zu einem zuckenden, krampfenden Bündel reduziert.
    Die Nagas verschwanden ebenfalls.
    Die Tore des Hafens von Seitung waren bereits zu sehen, da wühlte sich eine mächtige Klingentermite aus dem Boden.
    Das monströse Insekt, dessen dünner Rückenflügel sie über zwei Meter gross machte, glühte vor Energie und kaum dass ein Pfeil das Chitin am Kopf der Kreatur zersplittert und eine Wunde geschlagen hatte, schloss sich das Loch wieder.
    „Heiler!“ rief die Waldläuferin Juleena und wühlte in ihrem Köcher nach einem speziellen Pfeil, da tauchte Kiágara unter einer schwingenden Klaue des Monsterinsekts hindurch und legte ihre Hand auf den Panzer des Untiers, bevor die dem Viech ihren Stab auf den Schädel drosch und weitersprang.
    An der Stelle, wo die Hand den Panzer berührt hatte, begann sich das schwarze Chitin grau zu färben und Risse zu bekommen und die Infektion breitete sich aus.
    Das Insekt quietschte vor Schmerzen, als der Panzer aufbrach und eine ekelhafte Masse verwesender Innereien und Maden herausspritzte.
    In der nächsten Sekunde sprengte ein mit explosiven Flüssigkeiten gefüllter Pfeil dem Monster den Grossteil ihres Rückenflügels ab.
    Beide Frauen spürten, wie sich um die Klingentermite die übernatürlichen Energien zusammenzogen.
    „Juleena!“ rief Kiágara und, bevor der Stab der Nekromantin auf dem Schädel des Insekts erneut niederkrachte, brachte ein gezielter Schuss der Waldläuferin das Monster von seiner Beschwörung ab und ein Biss des Tigers entfernte seinen Kopf nach dem Schlag endgültig.
    Kiágara und Juleena rannten, der Tiger vor ihnen, auf das Tor des Hafens zu und der Magier-Novize, der sie erwartete, liess einen Feuerball in den Himmel steigen.
    „Nicht schlecht!“ kommentierte Grossmeisterin Kuju, Vorsitzende des Nekromanten-Ordens im Kloster von Shing Jea, die Leistungen der beiden jungen Frauen, die einander abklatschten, als sie die Tore zum Hafen Seitung und damit auch das Ende des Trainingsparcours erreicht hatten.
    Sie stand auf den Klippen von Saoshang, die den Weg überblickten.
    „Beide haben ein unbestreitbares Talent!“ bestätigte Grossmeister Greico, unter dessen weisen Lehren all jene in Shing Jea weilten, die Pfeil und Bogen und die scharfen Zähne eines Tiergefährten den arkanen Energien vorzogen.
    „Hat Juleena schon eine Entscheidung darüber getroffen, welche Lehren sie neben den Künsten der Wildnis lernen will?“ fragte Norazul Lifetaker, der die ganze Zeit respektvoll hinter den beiden Grossmeistern gestanden hatte und jetzt vervortrat.
    Seit der Berg Platinbarren, die er vor vier Jahren dem Kloster gespendet hatte, den Ausbau der Trainingsanlagen ermöglicht hatte, war der einstmals ungezieferverseuchte Saoshangweg, welcher vom Kloster über den Linnok-Hof zum Hafen von Seitung führte, eine massgebliche Trainingsstrecke.
    Wer, nachdem er auch eine gewisse Zeit für die Bedürftigen in Zen-Daijun geopfert hatte, hier durchkam, der war bereit, nach Kaineng zu reisen.
    Und von dort aus wartete die Welt auf die Gildenkriegerinnen und –krieger.
    Juleena noch immer betrachtend, die vor dem Fallgitter des Hafentores einen Freudentanz aufführte, schüttelte Grossmeister Greico den Kopf. „Sie ist noch immer unentschlossen. Die Lehren des Heilens sagen ihr sehr zu, aber – falls ein Gegner einmal nahe genug an sie herankommen sollte – ist sie auch der Kälte des Schwertstahls zugeneigt.“
    „Kiágara wird jedenfalls schon von Grossmeisterin Quin umschwärmt“, antwortete Norazul, der die lachende Nekromantin beobachtete, „denn sie denkt, dass Kiágara, wenn sie schon ihre Gegner zu Geistern macht, sie die auch noch nutzen sollte.“
    Grossmeisterin Kuju lachte leise. „Da will ich hoffen, dass Quins Adjutant, dieser unverbesserliche Charmeur Ruangi, sich beherrschen kann.“ Sie blickte Norazul an. „Ich möchte nicht, dass mein Meisterarchivar denkt, ein Ritualist würde ihm seine Geliebte abspenstig machen.“
    „Grossmutt…meisterin!“ Norazul wich einen Schritt zurück, als Greico zu lachen begann. „Ich würde niemals…“ fuhr er fort, griff sich an den Hals und sank auf die Knie.
    „Ich bin vielleicht alt, Enkelsohn, aber ich bin weder blind noch senil… noch nicht“, antwortete Grossmeisterin Kuju, „es ist in deinen Blicken, in deiner Körperhaltung und in deinen Worten, wenn sie in Deiner Nähe ist.“
    „Wenn Du das noch häufiger machst“, keuchte Norazul und kam hustend auf die Beine, „überlebt Kiágara mich noch.“
    „Kann sein“, meinte Kuju, blickte den Saoshangweg entlang und klimperte ihren Enkel mit den Wimpern an, „was meinst Du?“
    „Das will ich sehen, sagte Grossmeister Greico, als Norazul Lifetaker und Kuju, mit wehenden Roben, von der Klippe hinab auf den Trainings-Parcours sprangen.



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    GOTO Norazul - 09.07.2008, 15:14


    II – On The Hunt

    „Du!“
    Die Bierhalle in Löwenstein war gut besucht und entsprechend laut war die Geräuschkulisse, aber trotzdem fiel ein nervöses Schweigen über die Gäste, die hier ihr Frühstück tranken.
    Kaum einer von ihnen hatte die Stimme über den Radau und das Gelächter gehört, aber der Anblick sagte genug, was gleich passieren könnte.
    „Du!“
    Zu ihrer Ehrenrettung musste man der Frau zugestehen, dass sie am Anfang gar nicht reagiert hatte, sondern sich mit dem Kapitän und dessen ersten Offizier unterhalten hatte.
    „Ähm… ich glaube, das gilt Ihnen“, meinte der Kapitän und ganz sachte legte sein Offizier seine Beine übereinander.
    So war er dichter an dem im rechten Stiefel versteckten Messer dran.
    „Ich habe nur mit Ihnen zu tun, Captain“, antwortete die Frau und ignorierte Norazul Lifetaker hinter sich, als sie einen Beutel mit Goldstücken auf den Tisch warf, „und ich denke, dass das ausreichen sollte.“
    „Julanda die Messerbraut“, fauchte der Nekromant hinter ihr. Einige der Trunkenbolde griffen ihre Weingläser und Bierkrüge und verliessen ihre Plätze. Sowas kannten sie alle. „Achthundert Anzeigen der Piraterie, des Mordes, der Erpressung und der Plünderei.“
    „Hast die Falsche am Wickel, Herzchen“, antwortete die Frau und machte noch immer keine Anstalten, Norazul anzusehen, „mein Name ist Arlia Tagati und ich bin Händlerin aus Elona.“
    Eine Faust knallte einen Steckbrief auf den Tisch und der Kapitän machte grosse Augen.
    Die Zeichnung war das genaue Abbild der Frau.
    „Auf dem Weg zurück nach Cantha, nachdem Margid die Listige Dir Dein Schiff unterm Hintern weggeschossen hatte, nicht wahr?“ Norazul sah zu dem Schiffseigner herüber. „Das war es doch, was sie wollte, oder? Eine Passage nach Cantha. Wohin? Seitung, Kaineng oder eine der Küstenstädte?“
    „Und nur, weil ich zufällig dieser Tussi ähnlich sehe, willst Du jetzt ein Kopfgeld klarmachen?“ Die Frau kicherte und nahm einen Schluck Bier.
    „Das Geld können andere einstreichen“, antwortete Norazul und die Frau hob eine Augenbraue, „draussen lauert bereits ein aufstrebender Kopfgeldjäger. Was ich will“, er lehnte sich vor, „ist das Buch, dass Du von dem canthanischen Botschafter-Schiff `Jadewolf´ gestohlen hast.“
    „Wenn ich das Buch gestohlen hätte, würde es doch bestimmt im Wrack meines Schiffs auf dem Meeresgrund liegen, oder?“ Die Frau zuckte zusammen, als der Nekromant mit seinem Stab gegen ihre Hüfte schlug.
    Ein kleines Buch plumpste auf den Boden der Bierhalle.
    „Anscheinend nicht“, grummelte Norazul und die Frau seufzte.
    „Woher, denkst Du, kommt der Beiname `Messerbraut´, Herzchen?“ meinte sie und explodierte regelrecht.
    Die silbernen Klingen trafen auf Norazuls Stab und er kicherte.
    „Respekt“, kommentierte er, „Kaolin-Dolche.“
    In einem rasenden Tempo hieb und stach die enttarnte Piratin auf Norazul ein, aber wenn sie ihn überhaupt traf, schlugen die Klingen nur Funken auf seiner Rüstung.
    „Ich hatte selber mal welche!“ sagte er und setzte zu einem Gegenangriff an, als Gäste und Personal fluchtartig den Raum verliessen.
    „Du wirst das Kopfgeld nicht bekommen!“ keifte ihn Julanda die Messerbraut an und ihr Gegenüber schüttelte den Kopf.
    „Hast Du mir nicht zugehört? Ich will das verdammte Buch haben! Ich hätte sogar was dafür gezahlt!“
    „Mal sehen, ob es Dir den Verlust Deines Lebens wert ist!“ Julanda griff erneut an und platzierte diesmal einen Treffer, der Norazuls rechte Wange bis auf den Knochen aufschlitzte.
    Schwarzes Blut schoss aus der Wunde.
    „Nicht schlecht“, gestand er seiner Gegnerin zu, „aber mal sehen, wie Du damit zurechtkommst!“
    Nun war es an der Piratin, zurückzuweichen, denn der Nekromant liess einen Hagelsturm von Hieben auf sie los, den sie trotz ihrer in den Assassinen-Künsten geschärften Reflexe kaum bändigen konnte.
    Ein Aufwärtsschlag von Norazuls Zweihandstab schickte einen der Kaolin-Dolche in die Zimmerdecke.
    Den anderen Dolch rammte die Piratin ihrem Gegenüber in die Verbindungsstelle zwischen Brustpanzer und Taille.
    Und dort blieb er stecken…
    Die Piratin schluckte, da packte sie Norazul an den Handgelenken und drehte ihr die Arme nach oben, nachdem er seinen Stab hatte fallenlassen.
    „Ende Gelände!“ sagte er, sprang vor der Piratin in die Luft und platzierte einen knochenbrechenden Tritt in die Brust der Frau.
    Sie flog über den Tresen der Bierhalle und lag still.
    Der Tritt hatte ihren Brustkorb zerschmettert und Knochensplitter durch ihr Herz und ihre Lunge getrieben.
    „Warum müssen alle Menschen immer denken, dass Nekromanten alles mit Tod und Verwüstung lösen wollen?“ murmelte er, hob seinen Stab und das Buch auf und riss Julandas Kette von ihrem Leichnam.
    „Tut mir leid wegen der Scherereien“, sagte er zum hinter dem Tresen wieder hochkommenden Barkeeper und warf ihm fünf Goldstücke hin.
    Draussen drückte er einem jungen Krieger mit den Worten „Leicht verdientes Geld“ die Kette in die Hand und liess ihn nach einem Schulterklopfen mit offenem Mund stehen.
    Es war der Kopfgeldjäger.

    „Der einzige Ort an Deck, wo die Sonne nicht hinscheint und natürlich suchst Du ihn Dir aus.“
    Norazul sah zu Margid der Listigen auf und grinste seine langjährige Weggefährtin an.
    Er hatte seine Rüstung abgelegt und Trug nur noch eine knielange Hose und ein ärmelfreies Netzhemd.
    Die alten Narben, die er vor dreissig Jahren erhalten hatte, schimmerten blass durch den Stoff.
    „Ich will schliesslich keinen Sonnenbrand. Kannst Du Dir einen gebräunten Nekromanten vorstellen?“
    Margid die Listige, ehemalige Piratin, schüttelte kichernd den Kopf, als sie sich neben Norazul setzte. „Deine ältere Schwester.“
    Vor einigen Jahren hatten Margid und der Nekromant einen Piraten, Tragin der Herzlose, zur Strecke gebracht, dessen Sadismus und Grausamkeit legendär waren.
    Nachdem er den Bruder von Herzog Petrov Zu Heltzer ermordet und dessen Tochter grauenhaft verstümmelt hatte, verbündeten sich sogar die Luxon vom Jademeer mit den Kurzick und in einer Gegend des Jademeers, die man die Stumme Brandung nannte, fiel der Vorhang für Tragin.
    Es war der Krieger Koss gewesen, der Tragins Leben mit einem mächtigen Hammerhieb beendete und somit den Löwenanteil des Kopfgelds bekam, aber Tragins Seele wurde von Norazul vernichtet und es war eine List von Margid, die den Piraten aus der Deckung gelockt hatte.
    Am Ende stand mit ihrem Anteil an der Belohnung die ehemalige Piratin vor der Wahl, was sie tun sollte.
    Keine grosse Freundin des Festlands, entschied Margid sich zu einer absoluten Neuigkeit.
    Sie gab fünfzehn Schiffe, die mit ihrer aktuellen `Goldener Stern´ baugleich waren, in Auftrag und hatte in den Häfen dieser Welt fähige Seemänner und Kämpfer angeheuert.
    Wo sie ehemals selbst säbelschwingend Jagd auf Händlerschiffe gemacht hatte, patroullierten die Schiffe Margids jetzt die Seewege zwischen den drei Kontinenten und sorgten für Sicherheit.
    Wenn es aber darum ging, unter vollen Segeln von Punkt A nach Punkt B zu kommen, war sie gerne bereit, Norazul und seine Begleiter im nächsten Hafen aufzusammeln.
    „Ist das das Buch, für das Du Julanda umgehauen hast?“ fragte sie ihn und der Nekromant nickte.
    „Ich versuche noch immer, die Reisestrecke meiner Eltern nachzuvollziehen. Meine Schwestern haben mir zwar viel erzählt, aber der Schaden an meinem Gedächtnis ist unheilbar.“ Er tippte an seine Stirn. „Also sehe ich zu, dass ich dieses Schwarze Loch wieder füllen kann.“
    „Und was ist an diesem Buch so wichtig für Dich?“
    Norazul klappte das Buch zu und zeigte Margid die Schriftzeichen auf dem Einband.
    Es war definitiv Canthanisch, aber die Schriftzeichen sahen extrem alt aus.
    „Als der Kaiser Canthas die Bürgerarchive in Kaineng zusammengelegt hatte, hat man auch von Shing Jea die Unterlagen zusammengetragen – und prompt war Julanda die Messerbraut auf dem Plan und hat das Schiff hoppgenommen.“
    Margid lachte. „Eine Schiffsladung Bücher und Schriftrollen! Julanda hatte nie den Ruf genossen, eine grossartige Piratin zu sein, aber das… „
    „War ihr Schiff ein Problem?“ fragte Norazul und Margid lachte erneut.
    „Zwei Minuten vor dem Wind und der Pott ist hochgegangen. Du kannst ja Akim fragen, der erzählt die Sache immer wieder gerne.“
    Akim war Margids neuer Chef-Kanonier und behauptete immer, er könne mit einer Kanonenkugel auf tausend Schritt Entfernung eine Mücke treffen.
    „Jedenfalls ist dieses Buch das letzte Exemplar einer Aufzeichnung der Expedition, bei der meine Eltern mitgemacht haben. Hier… „, er deutete auf eine Textpassage, „das ist der Geburtsname meines Vaters und hier steht der meiner Mutter. Meine Grossmutter, Grossmeisterin Kuju, hat meine ältere Schwester Sheddim Tayne aufgezogen, denn Tyria und die Zittergipfel waren für ein kleines Baby nicht das Wahre.“
    „Wieviel Jahre älter als Du ist Sheddim“, fragte Margid und dachte an die dunkelhäutige Nekromantin.
    „Zweihundertneunzehn Jahre. Ilarya und ich sind ja Zwillinge.“
    „Nekromanten lassen sich viel Zeit, oder?“ meinte Margid lächelnd und stubste Norazul an.
    „Geht ja nicht anders. Wir Nekromanten leben vielleicht nicht so lange wie die Elementarmagier, aber stell Dir mal vor, wenn wir uns so schön regelmässig fortpflanzen würden. Meine Eltern waren ja schon eine Ausnahme, weil sie drei Kinder hatten. Solche Dinge sind in unserem Orden streng ritualisiert und das Umwerben dauert mitunter Jahrzehnte.“
    „Bei den Fünf Göttern!“ meinte Margid lachend und schlug Norazul auf die Schulter. „Da ist mir das Korsaren-Leben aber wirklich lieber. Ich mach den Kerl besoffen, er säuft sich mich schön und dann ab in die Federn!“
    „Wie oft warst Du schon verheirat?“ witzelte Norazul zurück und Margid die Listige dachte kurz nach.
    „Du erinnerst mich jedenfalls an meinen zwölften Ehemann.“
    „Den Zwölften? Wie oft warst du denn jetzt verheiratet?“
    „Elfmal.“



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    GOTO Norazul - 09.07.2008, 15:15


    III – Swords And Hearts

    Die `Goldener Stern´ knirschte sanft in der Dunkelheit und der Klang der Schiffsglocke weckte Norazul Lifetaker aus seinem Halbschlaf.
    Wann er letztmals nachts geschlafen hatte, wusste er gar nicht mehr so richtig.
    Nur in seiner knielangen Hose bekleidet, verliess er seine Kabine und ging barfuss durch den Hauptkorridor des ersten Decks.
    Ein Drittel der Besatzung des Schiffs ging auf ihre Posten, der Rest schlief in ihren Hängematten oder soff sich in den Schlaf.
    Margid vergnügte sich in ihren Gemächern mit ihrem ersten und zweiten Offizier und der Nekromant lächelte dünn, als er die Geräusche hörte.
    Er bemerkte eine Bewegung im Dunkel vor sich und der Küchenjunge, der durch das Schlüsselloch in die Kabine seiner Kapitänin blickte, erschrak sich zu Tode, als Norazul ihm auf die Schultern klopfte.
    „Ich kenne mich mit Krankheiten aus“, flüsterte er den bleichen Jungen an, „und Diskretion ist keine.“
    Der Junge hastete davon.
    „Schlücksch´n gefällig?“ lallte einer der Matrosen der zweiten Wache Norazul kurz darauf auf dem Wetterdeck an und hielt ihm eine kleine Amphore hin.
    „Danke“, meinte er, nahm einen Schluck und, nachdem die Explosion in seinem Rachen verklungen war, keuchte er mit selbst für seine Verhältnisse leiser Stimme: „Das Rezept musst Du mir zukommen lassen. Wir Nekromanten stehen auf Gifte aller Art.“
    Der Matrose lachte meckernd und kehrte zu seinen ebenfalls übelst angetrunkenen Kumpanen zurück, die unter einer Schiffslaterne Karten spielten.
    Es ging ein ziemlich kalter Wind über das Deck, aber das störte den Nekromanten nicht weiter. Seine Körpertemperatur stieg selten über die Zimmertemperatur an.
    Trotzdem gingen ihm die Worte von Margid und zuvor auch seiner Grossmutter nicht aus dem Kopf.
    Geheiratet hatte Norazul nie, aber er war schon mal kurz davor gewesen, doch die Schergen von Tragin dem Herzlosen hatten seine Lebensgefährtin vor über fünfzehn Jahren ermordet und es wie einen Selbstmord aussehen lassen.
    Margid die Listige hatte ihm eindeutige Avancen gemacht und er war ihr durchaus nicht abgeneigt, aber die Beziehung zu ihr war wohl eher freundschaftlich im Sinne, dass sie schon auf vielen Schlachtfeldern gemeinsam gestanden hatten.
    Kiágara hingegen…
    Sie besass zweifelsohne eine rabenschwarze Seele und den Tod unter ihren Feinden zu verbreiten machte ihr ebensoviel Spass, wie es bei ihm selbst der Fall war.
    Trotzdem zollte sie dem Totengott Grenth ehrfürchtig Respekt und erntete nur jene Seelen, die es verdient hatten.
    Immerhin war sie auf dem besten Wege, Gildenkriegerin zu werden und keine der zig tausenden Gilden, deren Mitglieder „die Gabe“ hatten, nahm psychotische Massenmörder auf.
    Zugegeben, es gab Situationen, das musste Norazul sich selbst eingestehen, bei denen er selbst etwas zu sehr in seiner Arbeit aufgegangen war, aber vor allem die Zeit mit Thika, seiner Geliebten und die anschliessenden Jahre, die er in den Archiven verbracht hatte, hatten ihn ruhiger werden lassen.
    Natürlich scheute er sich nicht davor, ohne zu zögern erneut zu töten, sollte sein Leben oder das von Schutzbefohlenen in Gefahr sein, aber handfestere Pläne für die Zukunft zu machen, hatte auch etwas für sich.
    Und war sein Alter anging… niemand der nicht seine Lebensgeschichte, oder die Wahrheit über Nekromanten kannte, würde erraten, dass er über siebenhundertfünfzig Jahre alt war.
    Ende zwanzig, Anfang dreissig wurde er meistens geschätzt und bis auf seine weissen Haare hatte er kaum ein Anzeichen auf sein wahres Alter.
    Obwohl Ilarya Deathwynd, seine vier Minuten ältere Zwillingsschwester ihm gesagt hatte, dass er früher blond gewesen war, als er Tyria verliess.
    Jetzt war er älter als selbst seine Eltern zu dem Zeitpunkt waren, als sie heirateten, aber was machte das für einen Unterschied?
    Grossmeisterin Kuju hatte dreiunddreissigmal geheiratet und sie war bei der letzten Heirat über fünfzehn Jahrhunderte alt!
    Aussehen tat sie wie Mitte fünfzig.
    Norazuls Vater und eine vor Jahrhunderten in Elona verstorbene Tante waren zwar ihre einzigen Kinder, aber das reichte ja auch.
    „Ey! Narbenrücken!“ Die Stimme eines Matrosen riss ihn aus seinen Gedanken.
    Er wandte sich zu den Männern und ihrem Kartenspiel um und präsentierte ihnen dabei seine Tätowierungen, die seine linke Gesichtshälfte, Schulter und Brust verzierten.
    Die meisten anderen Wunden hatte er sich zugezogen, als sein altes Leben endete.
    „Eine Schönheit sind wir beide nicht“, antwortete der Nekromant und die Matrosen lachten.
    Der Mann, der ihn `Narbenrücken´ geheissen hatte, hob einen Stapel achteckiger Karten empor.
    „Na? Wie sieht´s aus? Ein Goldstück pro Blatt, drei zum Einstieg.“
    Lan Hanh Tin, übersetzt soviel wie „Das Glück ist mit den Dummen“ war ein in Cantha entstandenes Kartenspiel, deren magisch behandelte Karten in unregelmässigen Abständen den Wert welchselten.
    Ziel war es, schnellstmöglich am dichtesten an fünfzig Punkte heranzukommen und die Gegner zur Aufgabe zu bewegen, bevor die Karten ihren Wert änderten.
    Mehr als fünfzig Punkte und man hatte verloren, unter fünfzig und man rannte in die Gefahr, dass der Gegner eine bessere Hand hielt.
    Der Wert der normalen Karten reichte von eins bis fünfzehn, aber es gab auch Sonderkarten, die ihren Wert nicht änderten, die das Ergebnis beeinflussten.
    „Ich habe kein Gold dabei“, antwortete Norazul und die Matrosen lachten, als er zu ihnen ging.
    „Macht nix, ich schiess Dir was vor. Den Rest kannste mir am Morgen nachzahlen.“
    `Wenn die Typen so spielen, wie sie Schnaps saufen, habe ich ein Problem´, dachte der Nekromant, liess sich nieder, nahm drei Karten auf und schmiss das erste Blatt.

    „Und was schuldet Trakmuhr Dir?“ fragte Margid am nächsten Morgen, als Norazul noch das Gefühl hatte, sein Gehirn sei für seinen Schädel einige Nummern zu gross.
    Warum hatte er sich breitschlagen lassen, von diesem selbstgebrannten Gesöff eine ganze Amphore zu trinken.
    „Hmm… lass mich mal nachdenken… als die Dritte Wache zuende war… seinen erstgeborenen Sohn, seine unsterbliche Seele und zwei Barren Platin.“
    Margid lachte und meinte: „So, wie ich dich kenne, hast Du ihm bis auf seine Seele die Schulden erlassen. Aber ich wusste gar nicht, dass Du so ein Kartenhai bist.“
    „Bin ich auch nicht, aber die Körpersprache Deiner Jungs ist leichter zu lesen als das Charr-Fell, das sich vor dem Angriff aufstellt.“
    Die Kapitänin gab dem Nekromanten einen Trinkschlauch und er nahm einen grossen Schluck. Bei dem Nachdurst, den er hatte, hätte er selbst Brennspiritus akzeptiert, obwohl diese Plörre nicht weit davon entfernt war.
    „Ich habe auch nicht gewusst, dass Du ein Künstler bist“, meinte sie und deutete auf das Bild, dass er zu zeichnen begonnen hatte.
    Die Frau hatte die pupillenlosen Augen einer Nekromantin und die traditionellen Tätowierungen im Gesicht und hielt ein mächtiges Schwert in der Hand.
    „Nun ja“, meine Norazul etwas verlegen und wedelte das Buch von Julanda der Messerbraut vor Margids Augen, „ich habe die Beschreibungen meiner Mutter gelesen und weiss, dass sie nebenbei auch im Handwerk der Krieger geschult war.“
    Er blickte auf das Bild, das er gezeichnet hatte. „So stelle ich mir sie vor.“
    „Hast Du eine Ahnung, wann Deine Eltern gestorben sind? Ähm… ich will nicht aufdringlich sein.“
    Norazul schüttelte den Kopf. „Es gibt viele Berichte über Nekromanten, auf die die Beschreibung meiner Eltern passt, aber ausser, dass sie bei einem Angriff der Steingipfel-Zwerge getötet wurden und in der einen Höhle im Tal des Reisenden für die Reise in Grenths Arme gebettet wurden – nichts.“
    Margid nahm einen grossen Schluck aus dem Schlauch und hustete kurz.
    „Und was ist mit Deinen Schwestern?“
    Der Nekromant schüttelte erneut den Kopf. „Wir haben uns Jahrhunderte nicht gesehen. Sheddim ging nach Elona, um an Tulai Ossas Seite gegen Palawa Joko zu kämpfen und Ilarya hatte die Lehren der Assassinen schon Jahrzente, bevor ich an die Pforte von Shing Jea stolperte, absolviert.“
    „Also bist Du in Ascalon in den Orden der Nekromanten eingetreten?“ fragte Margid und Norazul hob die Schultern.
    „Ich habe keine Ahnung. Ich bin in den Ruinen von Rinn und Fort Ranik gewesen und habe jeden Gelehrten in Alt-Ascalon befragt, aber es gibt keinerlei Aufzeichnungen. Grossmeisterin Kuju hat die Vermutung geäussert, dass es früher eine geheime Nekromanten-Akademie in den Nördlichen Zittergipfeln gab, aber ich habe, ohne zu übertreiben, tausende Bücher, Folianten und Schriftrollen gewälzt und nichts, aber auch absolut gar nichts gefunden.“
    Margid klopfte ihm auf die Schulter. „Egal, wo Du herkommst. Du ziehst Dein Ding durch und die Fünf Götter mögen denjenigen beistehen, die diesen Dingen im Wege stehen. Du hast deine Schwestern, Du hast Deine Grossmutter und wenn Du pfeifst, kommen ich und der Rest der Truppe angerannt, um die Welt wackeln zu lassen. Von daher also… „ Sie blickte nach achtern, sah nochmal genau hin und zog ihr Fernrohr aus dem Gürtel. „Oder wir lassen einen Sturm aufziehen.“
    „Was ist los?“ fragte Norazul und blickte durch das Fernrohr, nachdem Margid es ihm gegeben hatte.
    Einen halben Horizont hinter der `Goldener Stern´ folgte ihnen ein Schiff.
    „Dir war klar, dass Julanda die Messerbraut noch einen älteren Bruder hatte, als Du sie getötet hast, oder?“
    Mit einem lauten Aufstöhnen stützte sich Norazul Lifetaker auf der Reeling ab und legte den Kopf in die Hände.
    „Bitte nicht schon wieder!“
    „Besser, Du gehst nach unten und steigst in Deine Rüstung, mein Freund. Diesesmal, machen wir es auf meine Art.“
    Sie ging an die Schiffsglocke und läutete Sturm.
    „Klar Schiff zum Gefecht!!“ brüllte Margid die Listige und Getrampel wurde unter Deck hörbar. „Hart Steuerbord und bringt den Wind in unseren Rücken! Raus mit den Entermessern und Säbeln!“
    Norazul rannte unter Deck und keine zwei Minuten schlossen sich klickend und klackend die Verschlüsse seines Körperpanzers.
    Sein goldener Stab erwachte zum Leben und seine Augen begannen zu leuchten.
    „Showtime!“

    Die Breitseite aus den Kanonen fegte gleich reihenweise die Waffen des anderen Schiffs weg, als die `Goldener Stern´ unter Margids fähigem Kommando der kleinen Schaluppe zeigte, wie sehr sie ausserhalb ihrer Liga war.
    Mit einem ohrenbetäubenden Krachen ging der Hauptmast der `Säbelkatze´ entzwei und die `Goldener Stern´ legte sich nach Steuerbord auf die Seite, als der Holzstamm auf ihr Deck stürzte.
    „Und jetzt los!!!“ brüllte Margid und angeführt von Norazul Lifetaker stürmten ihre Männer über den gebrochenen Mast auf das Deck des anderen Schiffs. Der erste Pirat, der ihn mit einen Breitschwert angehen wollte, hielt sich nach dem Streich des Stabs den zertrümmerten rechten Unterarm und flog nach einem wuchtigen Tritt in den Hintern über Bord ins Meer.
    Aus den Leichen zweier vom beginnenden Pfeilhagel gefällter Piraten brachen unförmige, verbogene Monster hervor, als sich die zerschlagenen Knochen und das tote Fleisch zu Knochendienern zusammensetzten.
    Allerdings hatte Norazul mit der Erschaffung dieser klauenbewehrten Ekelpackete nichts zu tun, sondern die von Margid rekrutierte Bordnekromantin hatte sich in der Todesmagie soweit geschult, wie er sich der Kunst der Fluchanwendung zugewandt hatte.
    Ein weiterer Pirat ging keuchend in die Knie ein zweiter verlor den Grossteil seines Unterkiefers unter dem wuchtigen Schlag des Stabes, den der Nekromant führte.
    Ein Pfeil schlug in seine Rüstung ein und er brüllte zurück zur `Goldener Stern´: „Das Kommandodeck!!!“
    Ein Pfeilhagel von der Fregatte räumte ein Dutzend Piraten ab und selbst der Oberarm des Kapitäns wurde durchschlagen, als dieser an Deck kam.
    Der Schädel eines Piraten platzte unter einem Schlag seines Stabs und Norazul wandte sich dem Kapitän zu.
    „Ihr wisst nie, wann Schluss ist, oder?“ brüllte er den Piraten an und stampfte auf den Kerl zu, doch er kam nicht dazu den tödlichen Streich zu landen.
    Eine Hand um das Seil der Takelage gewickelt, schwang Margid die Listige heran und Julandas Bruder hatte noch Zeit für einen überraschten Blick, als sein Kopf auch schon seinen Körper verliess.
    „Mit dem wäre ich auch selbst fertig geworden!“ raunte der Nekromant, aber Margid tötete einen weiteren Piraten und hob die Schultern.
    „Sind noch genug übrig!“

    Die Seeschlacht dauerte noch zehn Minuten, bis die demoralisierte Mannschaft erkannte, dass mit dem ins Meer geplumpsten Schädel ihres Anführers die Moral der Mannschaft der `Säbelkatze´ einen mehr als herben Dämpfer erhalten hatte.
    Die Überlebenden knieten schliesslich auf dem Deck der `Goldener Stern´ nachdem ein Schuss ins Pulvermagazin die `Säbelkatze´ in die Tiefen zwischen der Maguma-Küste und der Feuerinsel geschickt hatte.
    „Hast Du Hunger?“ fragte Margid und einer der Piraten nässte sich ein, als Norazul die Ränge der Männer abging.
    „Nein!“ röchelte die Stimme. „Ich fresse auch nicht alles. Aber vielleicht finden wir zwischen Tyria und Cantha eine schöne Insel, an deren Gestaden wir diese Männer absetzen können, bevor ich gezwungen bin, Meisterin Satsume und Grossmeisterin Kuju diesen menschlichen Müll zu übergeben.“
    Er kniete sich vor einem Matrosen nieder und nahm dessen Gesicht in beide Hände. Der Mann schrie vor Schmerzen, als Eiskristalle sein Gesicht bedeckten.
    „Ich bin zwar schon etwas älter, aber noch nicht taub!“ fauchte der Fluch-Nekromant. „Gibt es irgendwelche Geheimnisse, die Dein Herz loswerden will, damit Margids Klinge es verschont?“



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    Alekra [VDra] - 09.07.2008, 15:25


    So und für diejenigen die es nicht wissen, es gibt eine Vorgeschichte dazu:

    http://www.iphpbb.com/board/ftopic-98664504nx107490-56.html


    *den Rest mir daheim durchles* :)



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    GOTO Norazul - 10.07.2008, 18:17


    Ahai!

    Weiter geht´s mit den nächsten 3 Kapiteln - und ab sofort geht´s rund!
    Minister Feng, der Nachfolger Minister Chos, wird brutal ermordet und als man in einer Intrige Norazuls Schülerin, mittlerweile seiner Verlobten 8) , den Mord anhängen will, tritt der Nekromant eine Lawine los.

    Den Mördern mit Kiágara und seinen Begleitern auf der Spur, finden Norazul und seine Gruppe schliesslich alte Freunde wieder - und mit deren Hilfe Unglaubliches heraus.

    Und währenddessen müssen die zurückgebliebenen Gildenkrieger in Shing Jea herausfinden, ob es sich bei ihrer Heimat tatsächlich um eine Klosterfestung handelt.

    ---------------------------------------------------------------------------------

    IV – Of Pain And Darkness

    „Bei den Fünf Göttern! Ich glaub´s ja nicht!!“ rief Norazul und flog regelrecht in die Arme seiner beiden Schwestern, als ihre Grossmutter Kuju sich wissend zurücklehnte.
    Sheddim Tayne, Nekromantin wie ihr jüngerer Bruder und nebenbei den Künsten der Derwische zugeneigt, war Norazuls ältere Schwester und Ilarya Deathwynd, die den Klingen einer Assassinin eher zusagte, ohne bisher eine weitere sekundäre Kunst gewählt zu haben.
    Ihre gemeinsame Grossmutter sah der Szene lächelnd zu und hinter ihrem Thron weilte Kiágara Fleshreaper und betrachtete die Familienzusammenkunft, die für ihren Lehrmeister mehr als überraschend kam.
    „Und das ist Deine Schülerin?“ fragte Ilarya und mit einem Lächeln trat die junge Nekromantin nach vorne. Selbst Ilaryas Grossmutter erhob sich.
    „Meisterin Deathwynd!“ sprach die Nekromantin. „Die Schärfe Eurer Klingen ist vom Auge Des Nordens bis an die Häfen Gandaras bekannt.“
    Noch bevor Ilarya antworten konnte, blicke Kiágara zu Sheddim Tayne und verbeugte sich sogar noch tiefer.
    „Du brauchst nichts zu sagen“, antwortete die Nekromantin, „mein kleiner Bruder nimmt keine Unfähigen als Schüler an.“
    „Kleiner als ich konnte er kaum werden“, sagte Kiágara als Antwort und erschauderte, als Sheddim eine Hand an ihre Schulter legte.
    „Blutmagie“, sagte die Nekromantin, „weise gewählt. Wenngleich es Unseresgleichen nicht vergönnt ist, die besten Rüstungen zu tragen, um unsere Gegner im Nahkampf zu fällen.“
    „Vielleicht ist es mir vergönnt“, meinte Kiágara, „von den Schwestern meines Meisters zu lernen?“
    „Aber sicher doch!“ antwortete Sheddim und auf einen Wink von ihr führten acht Klosterwachen vier strampelnde Personen vor Kujus Thron. „Aber zuerst… „ Sie deutete auf den ersten Mann. „Dieser hier hat seine Frau erschlagen. Dieser hier… „ Sie ging zum Zweiten. „Hat seine eigene Tochter ermordet. Diese Frau hier… „ Sie war die einzige Frau. „Hat ihre eigenen Schwiegersöhne vergiftet, um deren Erbe einzustreichen und was dieses Scheusal… „ sie deutete auf den Letzten „mit einem Dutzend Knaben und Mädchen im Echowald gemacht hat, willst selbst Du nicht wissen. Welchen willst Du?“
    Norazul sprang den Kinderschänder an.

    „Meister?“
    „Hmm?“
    „Ist es… ist es immer so?“
    Norazul blickte zur Seite und streichelte Kiágara eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    „Ist was immer so?“
    „Ihnen die Nebel zu verwehren? Sie in unsere schwarzen Herzen zu schliessen?“
    Er packte den nackten Körper seiner Schülerin und zog ihn auf seinen Körper, dann küsste er sie. „Nein. Wann immer jemand auf dem Schlachtfeld fällt, ernten wir ihre restliche Lebensenergie, bevor sie in die Nebel gehen, aber es gibt Möglichkeiten, deine Opfer zu bestrafen.“
    „Bestrafen?“
    Norazul lehnte sich zurück und genoss die Umarmung des eiskalten Frauenkörpers. „Manchmal sind die Taten von Männern und Frauen derartig schlimm und derartig grausam, dass sie die vollständige Ausrottung verdient haben. Ich habe das einmal getan und wie oft Olias seine Gegner ausradierte, hat er nie gesagt.“
    „Und danach ist nichts mehr übrig?“ fragte die junge Nekromantin und strich mit einem Zeigefinger die Tätowierungen auf Norazuls Brust entlang.
    „Absolut nichts! Wenn Du weißt, wie es geht, ist die Zerstörung vollkommen!“
    „Und darf ich diese Kunst lernen, Meister?“ Kiágaras Finger spielten über den Körper ihres Lehrers.
    „Nur, wenn Du zwei Voraussetzungen erfüllst.“
    „Und die wären?“
    Norazul blickte sie an.
    „Erstens: Du redest mich nicht mehr mit `Meister´ an.und zweitens:… „
    Er hielt eine elonische Verlobungskette vor ihre Augen. „Wir tragen ab heute das.“

    Ohne das kleinste Geräusch von sich zu geben, glitt Ilarya Deathwynd in die Schatten zurück und stand einen Augenblick später vor den Toren des Nekromanten-Archivs, in dem auch ihr Bruder wohnte.
    Grossmeisterin Kuju und Sheddim Tayne erwarteten sie und die alte Nekromantin zuckte fragend mit den langen Wimpern.
    Grinsend nickte Ilarya und Sheddim musste sich den Mund zuhalten, um nicht laut loszulachen.
    „Hattest den richtigen Riecher, Grossmutter“, sagte Ilarya und schnippte der Grossmeisterin ein Goldstück zu.
    „Grossmütter wissen sowas eben.“
    Das Trio Frauen stahl sich in die Dunkelheit des ruhenden Klosters zurück.

    „Ich gebe zu, dass diese Trainingsdolche vielleicht nicht so hübsch wie meine sind, aber für den Anfang reichen sie aus.“ Ilaryas Stimme klang gedämpft durch ihren Mundschutz, als sie vor der Reihe Assassinen-Anwärter stand und ihre goldenen Dolche präsentierte. „Wenn Ihr Eure Lektionen lernt und mit der Zeit weiter an Erfahrung sammelt, kommt aber auch der Tag, an dem ihr prächtiges Werkzeug finden werded.“
    Ilarya, die normalerweise nicht selbst unterrichtete, aber natürlich im Kloster von Shing Jea ausgebildet worden war, liess ihre Waffen zurück in ihren Gürtel gleiten und klatschte in die Hände. „Und jetzt zeigt mal, was ihr gelernt habt.“
    Die Anwärter stürmten auf den Trainingsparcours neben dem Hauptplatz und wurden fortan von ihren Ausbildern überwacht.
    Sie drehte sich um und sah Norazul auf sich zukommen.
    Wie immer lächelte er dünn und gab seiner Schwester einen kurzen Kuss, bevor er ihr ein Buch in die Hand drückte.
    „Hier bitte, Schwesterherz. Die gesamten Lebensläufe der Assassinen Tao Din und Samaria Darkblade. Mit besten Empfehlungen von Archivar Leoniras aus dem Assassinen-Tempel. Und hier“, er gab ihr noch ein Buch, „die Abhandlungen über die Nekromanten-Künste als Ausbautraining. Mit besten Empfehlungen Deines Bruders.“
    „Danke Dir!“ sagte die Assassinin und musterte ihren Bruder von oben bis unten. „Heute nicht in Rüstung unterwegs?“
    Der Nekromant schüttelte den Kopf. „Kiágara hat mir von Minister Feng ein Buch über die Anfänge der Todesmagie-Nekromanten besorgt und ich will zusehen, ob es einen Hinweis auf weitere Familienmitglieder von uns gibt.“
    Beide schlenderten zur Nekromanten-Halle zurück und Ilarya meinte beiläufig: „Hattest Du damals nicht gesagt, Du würdest kein Interesse daran haben, nach Deiner Vergangenheit zu forschen? In den letzten Jahren hast Du hunderte Hinweise verfolgt und ich will nicht wissen, wieviele Leute dabei draufgegangen sind.“
    „Die Nachforschungen sind nur ein kleiner Bonus, Schwesterherz. Die Ausbilder in Elona wollten eine Kopie des Buchs, also schreibe ich eine Kopie auf Elonisch. Das Buch war auf Alt-Canthanisch.“
    „Du hattest schon immer ein Talent für Sprachen“, meinte Ilarya lächelnd, dann setzte sie nach. „Und wo ist Deine Schülerin? Trainiert Sie?“
    „Nein“, antwortete Norazul, „am Hafen von Seitung geht ein Raubmörder um und sie geht mit drei Freunden der Sache nach. Danach bringt sie das Buch zurück.“
    „Hältst Du das nicht für gefährlich?“ fragte seine Schwester. „Immerhin ist Kiágara keine voll ausgebildete Nekromantin.“
    Norazul zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Sie ist mit erfahrenen Leuten unterwegs und einer ist Heiler.“
    „Du liebst die Kleine, richtig?“ Sie waren vor dem Archiv angekommen und die Tore öffneten sich.
    Der Nekromant wartete eine Sekunde länger, als üblich, dann trat er in das Gebäude ein. Ilarya folgte ihm.
    „Ja. Warum sollte ich es leugnen, wenn Grossmutter die ganze Zeit richtig lag.“
    Er sah zu seiner Schwester herüber und lächelte sie an, als er auf das andere Ende der Halle deutete, wo sich hinter einer eisenbeschlagenen Holztür seine Gemächer befanden.
    „Wie wäre es mit einem Tässchen Tee, Schwesterherz? Die Gifte, die ich brauen kann sind zwar besser, aber mein Tee ist ganz passabel.“

    „War er ein harter Brocken?“ fragte Norazul seine Schülerin, als sie beide sich im Schneidersitz gegenübersassen.
    „Etwas, er hat Duncan mit einem einzigen Pfeilschuss umgelegt und ich musste gleich zu Anfang mein Siegel benutzen, um unseren Heiler wieder auf die Füsse zu stellen.“
    Sie zuckte kurz zusammen, dann hielt sie wieder still und Norazul fuhr fort, mit der dünnen Klinge ihre Haut unter dem linken Auge einzuritzen.
    Neben dem Teppich in Grossmeisterin Kujus Audienzsaal stand ein kleiner, qualmender Bronzekessel und ein schwerer Geruch von Weihrauch und Kräutern lag in der Luft.
    Grossmeisterin Kuju sass auf ihrem Thron und beobachtete mit Sheddim Tayne an ihrer Seite, wie Norazul Lifetaker ein weiteres Muster den Tätowierungen von Kiágara Fleshreaper hinzufügte.
    Ilarya Deathwynd kniete neben dem Teppich und beobachtete die Prozedur interessiert.
    „So, das wär´s“, sagte Norazul und wischte die schwarze Farbe von der kleinen Hohlklinge, dann hielt er Kiágara einen kleinen, reich verzierten Spiegel hin, den er aus der vor ihm liegenden Schatulle genommen hatte.
    Die Nekromantin lächelte ihren Lehrer und Geliebten freudig an und drehte sich zu Grossmeisterin Kuju um.
    Diese überprüfte mit fachmännischem Blick die neue Linienführung und lächelte anerkennend.
    „Du bist sehr viel stärker von deiner Mission zurückgekehrt, Schülerin“, sagte sie zu der kleinen Nekromantin und blickte dann zu Norazul, „und Dein Talent mit den Werkzeugen von `Grenth´s Auge´ ist tadellos, Enkelsohn.“
    Der Nekromant verneigte sich respektvoll, nahm Kiágara den Spiegel ab und legte ihn sorgfältig zusammen mit den Farbtöpfen und den Klingen zurück in die Schatulle.
    Seine Augen blitzten kurz auf und die Schatulle schloss sich so passgenau, dass sie aus einem soliden Block gefertigt zu sein schien.
    „Wieso nennt man diese Schatulle `Grenth´s Auge´?“ fragte Ilarya interessiert und Sheddim trat einen Schritt vor, als Grossmeisterin Kuju sich erhob.
    „Damit wir dereinst dem Gott des Todes und der Kälte standesgemäss entgegentreten können“, antwortete die dunkelhäutige Frau mit den weissen Haaren.
    „Jeder Nekromant bekommt ein `Auge´, wenn er ein vollwertiges Mitglied unseres Ordens und ein Gildenkrieger wird“, fügte Kuju hinzu, ging zu einem der prächtig mit Schnitzereien verzierten Wandschränke und zog ein schwarzes Obsidian-Kästchen mit goldenen und rubinroten Verzierungen hervor und präsentierte es ihrer Enkeltochter.
    Der Name Kuju war auf der Oberseite eingraviert.
    Sheddim griff in ihre Gürteltasche und holte eine kleine Schatulle aus vaabischen Marmor heraus.
    „Also könnt Ihr beiden auch Tatoos stechen?“ fragte Ilarya und ihre Schwester und ihre Grossmutter nickten.
    „Nur Nekromanten, die Gildenkrieger sind, dürfen Schüler ausbilden und es ist nicht unüblich, dass der Lehrer heutzutage“, Norazul deutete auf sich, „den Schüler selbst tätowiert.“
    „Von wem habt Ihr Drei dann Eure bekommen?“ Ilarya sah in Kujus Schatulle, die sich geöffnet hatte.
    „Ich habe mein Ordenszeichen von Grossmeister Rakesh in Elona zu meinem fünfhundertsten Dienstjahr erhalten“, antwortete Sheddim und die fast eintausendjährige Nekromantin kicherte. „Damals war die Grosse Halle der Sonnenspeere noch eine Baustelle.“
    Kuju kicherte ebenfalls. „Ich kann mich noch an die Einweihung erinnern. Alle Grossmeister der Welt waren anwesend. Ich wurde übrigens von Meister Inok dem Ersten tätowiert.“ Sie fuhr sich in Gedanken über die dunkelblauen, uralten Muster.
    „Und an mir hat Kuju selbst gearbeitet“, fügte Norazul zu und Ilarya hob eine Augenbraue, als sie ihre Schatulle genauer untersuchte.
    „Machst Du sowas nicht mehr, Grossmutter? Ich sehe hier drinnen keine Tätowier-Klingen, nur noch die Farben.“
    Die drei Nekromanten lachten und Norazul sah zu der Grossmeisterin herüber, nachdem er auch Kiágaras fragenden Blick sah und fragte: „Zeigst Du es ihnen, Grossmutter?“
    Kuju sah sich um und packte einen einfachen Kupferteller, der auf einem niedrigen Beistelltisch stand.
    Sie hielt ihn mit einer Hand fest und zog mit dem langen Fingernagel darüber.
    Es knirschte laut und eine Sekunde später präsentierte die Grossmeisterin den Anwesenden die beiden Hälften.
    „Nicht nur ihre Zunge und ihr Verstand ist scharf“, kicherte Sheddim, als die Tür zur Audienz-Halle aufflog und ein Soldat der Klosterwache hereinstürmte.
    „Den Fünf Göttern sei Dank, dass ich Sie beide hier finde“, keuchte der Mann und verneigte sich vor Kuju und Norazul, „Grossmeisterin, Meister. Es gibt ein ziemliches Problem.“
    „Wo diesesmal?“ fragte Kuju.
    „Hier auf der Klosterinsel, Mylady.“

    „Das war definitv keine Nekromanten-Magie“, sagte Kuju, als sie zusammen mit Norazul, Sheddim, Kiágara und zwei weiteren Nekromanten im Saal stand.
    „Ich vermag einen zehn Fuss hohen Fleischgolem zu beschwören“, sagte einer der beiden, Rakas Fleshcrafter, „aber selbst der hätte nicht dieses Gemetzel erzeugen können.“
    Minister Feng und dessen gesamte Familie waren über das gesamte Zimmer regelrecht verspritzt worden und keine einzige der sechs Leichen war noch in einem Stück.
    Kiágara schien in der hintersten Ecke ihres Herzens Mitleid mit den vier Kindern zu haben.
    „Könnt Ihr mit den Symbolen etwas anfangen?“ fragte der andere Nekromant Norazul und dieser, seine Rüstung tragend und seine Waffe über die Schulter geschlungen, sah die Kritzeleien an, die mit Blut auf Boden, Wände und sogar die Zimmerdecke gepinselt worden waren. Frostiger Dampf stieg von seiner Rüstung auf.
    „Definitiv ein Beschwörungs- oder Binderitual, aber die Zeichen kenne ich nicht.“ Er deutete auf eine Rune. „Das erinnert mich an eine Formel, um dem Opfer, oder den Opfern, die Seele zu entreissen.“
    „Wozu dieses?“ fragte einer der Soldaten im Raum.
    „Um die Körper empfänglich für Besessenheit durch Dämon zu machen“, antwortete Norazul und stieg über eine Blutpfütze hinweg. „Wenn ich richtig liege, dann hat man den Minister rituell geopfert, aber etwas ist entweder schiefgelaufen – oder läuft jetzt frei herum.“
    Norazul griff ein Buch mit leeren Seiten, stellte ein Tintenfass daneben und begann, die Symbole abzuzeichnen. „Aber das kann ich erst sagen, wenn ich wieder im Archiv bin.“
    Grossmeister Sousuke betrat den Raum und biss sich auf den Handrücken, als er das Gemetzel sah. „Keine Brandspuren, also scheidet Feuermagie aus“, murmelte er.
    „Wieviele bisher?“ fragte Kuju ihn.
    „Bis jetzt zweiundvierzig“, sagte der Magier, der die Untersuchungen anführte, „die Bediensteten-Quartiere sind eine Leichenhalle. So, wie es aussieht, sind die Täter zuerst auf die Heiler und Ritualisten des Ministers losgegangen.“
    „Wissen wir, wieviele es sind?“ fragte Norazul, da betraten Grossmeister Greico und Ilarya Deathwynd den Raum.
    „Mindestens zwölf“, antwortete die Assassinin, „und sie sind über die Nordmauer gekommen und haben sich erst über alle Etagen verteilt, bevor sie losgeschlagen haben. Ich kann allerdings keine Spuren finden, dass jemand das Gelände auch wieder verlassen hat.“
    „Ich habe Spurenleser ausgeschickt und aus dem Kloster nach Verstärkungen geschickt“, antwortete Greico und betrachtete das blutige Zimmer. „Ich habe Gegner gesehen, die innerhalb von Sekunden von Sprengpfeilen, Feuerbällen und unzähligen anderen Dingen erwischt wurden, aber das hier setzt neue Massstäbe.“
    Bis auf Norazul, der noch immer mit den Zeichnungen beschäftigt war, verliessen die anderen den Raum und traten nach draussen auf den Rasen. Dort erwartete sie ein Ritualist, der mit einem Nekromanten, Gorhan Blooddrinker, sprach.
    „Grossmeister Sousuke“, sagte er respektvoll. „Ich habe das gesamte Anwesen abgesucht und auch die Geister dieses Ortes befragt, aber diese waren extrem verängstigt. Die wenigen, die mit mir sprachen, berichteten von einer unglaublichen emotionalen Entladung, aber keiner der Menschen hier ist trotz seines gewaltsamen Tods im Geisterreich angekommen.“
    „Sind sie alle sofort in die Nebel gegangen?“ fragte Kuju aber der Nekromant vor ihr, der Rüstung nach ein Ascalonier, schüttelte den Kopf. „Versucht selbst, sie zu spüren, Grossmeisterin Kuju, aber hier ist nicht einmal ein Funken von Restenergie mehr vorhanden.“
    Kuju schloss die Augen, dann nickte sie. Wenn eine Seele die Welt der Lebenden verliess, selbst wenn sie von einem Nekromanten verschlungen wurde, blieben immer noch Restspuren mitunter Stunden zurück.
    „Es ist, als ob sie komplett ausgelöscht wurden“, sagte sie, da mischte sich eine neue Stimme ein.
    Der kaiserliche Chefinvestigator aus Zen Daijun war eingetroffen. „Soweit meine Berater mich informiert haben, beherrschen Fluch-Nekromanten diese Fähigkeit, oder?“ Der Investigator war ein grosser, leicht übergewichtiger Mann, dessen schneidende Stimme Ilarya an ihre Klingen denken liess.
    „In der Tat, mein Herr“, bestätigte Kuju und erhob einen Zeigefinger, „aber solche Prozesse sind schwer zu erlernen und alles andere als schnell durchzuführen. Vor allem bei so vielen Opfern.“
    Ihr Gegenüber hielt einen Brief empor. „Hier steht, dass das Dienstpersonal vergiftet wurde. Das würde Nekromanten doch alle Zeit der Welt geben, oder?“
    „Wie Grossmeisterin Kuju gesagt hat“, antwortete Sheddim Tayne und trat vor, „beherrschen nur wenige von uns diese Fähigkeit. Die Mörder müssten also fähige und damit bekannte Todesmagier in ihren Reihen haben.“
    „Und was ist mit dem Kloster von Shing Jea?“ fragte der Mann schneidend. „Wieviele der hochgelobten Nekromanten dort beherrschen diese Kunst?“
    Kujus Stimme wurde eisig. „Nur vier und zwei von ihnen sind in Elona unterwegs.“
    „Und wer sind die anderen beiden?“
    „Ich natürlich selbst, als Grossmeisterin des Nekromanten-Ordens… „
    „Und ich ebenfalls“, sagte Norazul Lifetaker, der aus der Villa trat und das Buch in der Hand hielt. „Ich habe alle Symbole abgezeichnet und denke, dass es Schriftzeichen sind. Aber sicher kann ich erst sein, wenn ich die Klosterarchive abgesucht habe.“
    Der Investigator wollte etwas erwidern, da kam ein Heiler aus der Villa gelaufen und wedelte mit etwas in der Luft herum.
    „Grossmeister, Grossmeisterin“, sagte er und übergab Sousuke einen kleineren Glas-Gegenstand, „das hier hatte einer der Köche im Mund.“
    „Eine Giftphiole?“ fragte der Investigator und Sousuke nickte.
    Kuju roch an der zerbrochenen Phiole und zog angewiedert den Kopf zurück, dann gab sie sie an Norazul weiter. „Denkst Du auch, was ich denke, was da mal drin war?“
    Der Nekromant roch daran und hob die Augenbrauen. „Definitiv Eisblumen-Sud.“
    „Und was sagt Ihnen das, Nekromant?“ fragte der Investigator kühl.
    „Das sagt mir, Normalsterblicher“, antwortete Norazul, den Tonfall des Mannes immitierend, „dass die Täter viel Geld haben müssen, da die schwarzen Eisblumen nur in einer Region wachsen und schwer zu bekommen sind. Sie werden von den Charr als Giftquelle für vergiftete Pfeile benutzt. Den Charr, die an den Ausläufern der Nördlichen Zittergipfel leben.“
    Die versammelten Leute sahen sich gegenseitig an und Norazul trat einen Schritt auf den Investigator zu und blätterte vor dessen Augen die Seiten mit den Schriftzeichen durch.
    „Aber wie das hier dazu passt, weiss ich noch nicht. Wollen Sie mich zum Kloster begleiten?“



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    GOTO Norazul - 10.07.2008, 18:19


    V – Dark Savant´s Crusade

    „Verblödete Bürokraten!“, murmelte Norazul Lifetaker beim Gedanken an den Chefinvestigator und die ständigen Verhöre, die ihn die letzten zwei Tage von seinen eigenen Ermittlungen abgehalten hatten.
    Es war weit nach Mitternacht und er hatte eine Stunde mit der Reinigung seiner Rüstung zugebracht, bevor er sich aus den weiten Reihen der Bücherregale ein halbes Dutzend Werke geholt und sich vor seine Notizen gesetzt hatte.
    „Der Kerl und seine Männer waren wirklich nervtötend“, antwortete Kiágara, die neben Norazuls Schreibtisch auf dem dicken Teppich sass und eine Schriftrolle las, „aber die rituelle Hinrichtung eines Ministers – wenn sie nicht vom Kaiser selbst angeordnet wurde – wird wohl eine Menge Wind im Palast machen.“
    „Aber mich zu verdächtigen?“ fragte Norazul zurück. „Ich hätte dem Investigator am liebsten gesagt, dass wir uns in der Mordnacht hier geliebt haben, dann hätten sie in Zen Daijun nicht meine Rüstung solange mit Pulver eingestaubt, bis ich weiss wie ein Paragon aussah.“
    Kiágara grinste leicht. „Die Paragons sind doch auch ehrenwerte Kämpfer und dieses Fingerabdruck-Zeug ging mit dem Öl der Meisterköchin gut ab.“ Sie schloss die Augen, konzentrierte sich und legte eine Hand auf den faustgrossen Fleischklumpen auf der Messingplatte vor sich.
    Er verfaulte sofort.
    „Schon ganz gut“, kommentierte Norazul und blätterte die Seiten eines verstaubten Buchs durch. Zuvor hatte er die Seiten aus seinem Notizbuch geschnitten und legte sie daneben.
    Kiágara erhob sich fliessend und spielte mit ihrer Verlobungskette, als sie neben ihren Geliebten trat und das Buch betrachtete.
    Die Verlobungskette lag eng um ihren Hals und sie konnte sie nicht mehr ablegen, da sich die Kette nach dem ersten Schliessen nur noch mit einer Klinge würde durchtrennen lassen.
    Und es gab nur einen Anlass, an dem das passierte.
    Die Seiten des Buchs auf dem Tisch waren mit von rechts nach links verlaufenden, kruden Runen beschrieben, von denen manche nur aus wenigen Strichen und Haken bestanden.
    „Kannst Du das lesen?“ fragte sie und Norazul nickte langsam. „Ja, aber es war sehr schwer, sie zu übersetzen und wie man es ausspricht, weiss heute niemand mehr. Das“, er deutete auf die Schriftzeichen, „war die erste Schrift der Menschen, die sich in Tyria niederliessen. Jahrzehnte, bevor die Königreiche von Ascalon, Kryta und Orr überhaupt gegründet wurden.“
    „Einfach, aber hübsch anzusehen“, kommentierte Kiágara, „und was steht da?“
    „Es ist eine Abhandlung aus der Zeit, als sich die Alten Götter anschickten, diese Welt zu verlassen und den Menschen die Magie zu überlassen. Hier übrigens“, er blätterte einen dicken Haufen Seiten weiter, „wird beschrieben, wie zweihundertzwanzig Jahre später Forscher aus Cantha in Tyria erschienen. Die Namen stehen zwar nicht explizit drinnen, aber es war die Expedition, bei der meine Eltern mitmachten und die dazu führte, dass ein Jahr später die ersten canthanischen Händler in Tyria ankamen und umgekehrt.“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Ich weiss aus dem Verbotenen Buch des Hardim“, er deutete auf die dicke Stahlplatte im Boden vor dem Teppich, auf dem sein Schreibtisch stand, „dass die Menschen mit der Magie die wildesten Dinge ausprobierten und es selbst noch Jahrhunderte später zu schrecklichen Katastrophen kam, weil sich viele Menschen zu viel vornahmen. Denke doch mal daran, wie der Weise des orrianischen Königs eigenhändig das komplette Königreich vernichtete – oder welche Dummheit Lord Odran im Riss anstellte.“
    Kiágara blickte zu der schweren Eisenplatte und den fünfundvierzig magischen Vorhängeschlössern hinüber und spürte die Verderbtheit, die unter ihr lauerte.
    Alle anderen Hallen in Shing Jea besassen in ihren Archiven gleiche Verliesse für verbotenes Wissen.
    „Können wir nicht das Buch konsultieren?“
    Norazuls Augen begannen zu leuchten. „Als ich das Buch erstmals geöffnet hatte, das war vor über zehn Jahren, waren vier Heiler im sechstägigen Dauereinsatz, einige von Kujus mächtigsten Beschwörungen, zwölf Menschenopfer und vier Monate Erholungszeit notwendig, um mich wieder auf die Beine zu stellen.“ Er schüttelte den Kopf bei den Erinnerungen, öffnete seine schwarzen Roben und zeigte Kiágara die Brand- und Schnittnarben auf seiner Brust. „Die Spuren der Brandwunden trage ich seit meiner Wiederauferstehung, als mein Gedächtnis ausradiert wurde. Die Schnittwunden hingegen hat mir das Buch zugefügt.“ Er blickte zu der Panzerplatte und Kiágara glaubte fast, ein Zittern seines Körpers zu sehen. „Selbst wenn Kuju und sechs voll ausgebildete, erstklassig erfahrene Nekromanten mir helfen würden – je zwei für die Künste der Todesmagie, der Blutmagie, der Fluchmagie und des Seelenerntens – würden die Schutzrituale einen Monat benötigen, um das Buch sicher lesen zu können.“ Er schnaubte verächtlich. „Und ich glaube nicht, dass dieser paranoide Popanz von Chefinvestigator uns so lange in Ruhe lassen wird. Für diesen in den Wegen der Gildenkrieger absolut ungebildeten Schreibtisch-Weisen sind vor allem schon wir Nekromanten eine herzlose Mörderbande.“
    „Aber unsere Herzen hören doch auf zu schlagen, sobald wir Nekromanten werden“, antwortete Kiágara und trat an Norazul heran. Sie ergriff die canthanische Verlobungskette um seinen Hals, ein genaues Abbild derer, die er ihr geschenkt hatte und strich danach über seine Brust. Den tätowierten Teil, ebenso, wie der Vernarbte.
    „Vielleicht haben wir keinen Monat“, flüsterte sie und strich über Norazuls Wange, „aber bestimmt noch diese Nacht.“

    „Ist es gewiss?“ fragte der Chefinvestigator seinen unmittelbaren Untergebenen im Kerzenschein seines Büros und liess die Schriftrolle sinken.
    „Jawohl, Exzellenz“, antwortete der leichendünne Mann, „sowohl Grossmeisterin Kuju, wie auch Meisterarchivar Lifetaker haben uns angelogen. Die beiden anderen Nekromanten, Meisterausbilder Zeheron Cursewielder und Waffenmeisterin Airya Deathqueen befinden sich in Elona, aber unser Informant im Kloster hat bestätigt, das Lifetaker nicht nur seine Schülerin die Kunst der Seelenvernichtung zu unterweisen begonnen hat.“
    „Was noch?“
    „Sie sind erstens ein Liebespaar und zweitens wurde die als Tioban Mereketh geborene Kiágara Fleshreaper zur Tatzeit im Anwesen gesehen.“
    „Was ist mit ihren Eltern?“ fauchte der Investigator und sein Mitarbeiter schüttelte den Kopf. „Beide tot.“
    „Dann wisst Ihr, was auf kaiserlichen Befehl zu tun ist!“ sagte der Mann kühl.

    Norazuls Hand tastete sein Bett ab und er öffnete ein Auge, als er Kiágaras Körper nicht mehr neben sich fühlte. Sie war fort.
    Wahrscheinlich zum Training, also erhob er sich aus dem Bett und wickelte sich in seine schwarze Bettdecke ein, bevor er seine Wohnung verliess.
    Die Tür schwang auf und traf ihn so schwer am Kopf, dass er nach hinten auf den Boden plumpste.
    Kiágara stand, nur in ihrem Nachthemd bekleidet, aufgeregt vor ihm und rief: „Komm´ schnell!“ Sie packte ihn an der Hand, zerrte ihn auf die Beine und schleifte ihn, wobei sich seine Decke in der Tür verfing und zurückblieb, zu seinem Schreibtisch.
    „Bei den Fünf Göttern! Was ist denn los?“ fragte er und sie drückte ihm ein leeres Blatt Pergament in die Hand.
    „Wie schreibt man auf Alt-Canthanisch `Schwert´?“ fragte sie aufgeregt.
    Norazul hatte keine Ahnung, was sie bezweckte, aber er tunkte seinen Federkiel in das Bronzefass und setzte ein schwungvolles Schriftzeichen auf das Pergament.
    „Was hast Du denn damit… „ fragte er, aber sie klopfte schnell mit dem Finger auf das Pergament und fragte: „Und was muss man dazuschreiben, wenn es, von mir aus, `Mächtiges Schwert´ heissen soll?“
    Norazul fügte dem Schriftzeichen einige weitere Linien zu. „So schreibt man das. Was ist denn nur los mit… „
    Kiágara zeigte ihm die Seiten, auf die er die Schriftzeichen des Gemetzels im Anwesen des Ministers kopiert hatte.
    „Du hast doch gesagt, dass Du die Schriftzeichen, wenn es welche sind, nicht kennst, oder?“ fragte sie freudig und Norazul nickte, da klappte sie ein Buch auf, das der Nekromant erkannte, denn er hatte es selbst geschrieben.
    Es hiess „Kameraden Des Auges“ und handelte von seinen Erlebnissen im Lande der Norn, Charr, Asura und Menschen – beim Auge des Nordens.
    Sie blätterte zum Ende des ersten Kapitels vor und deutete auf die Zeichnung des runden Teleport-Tors, durch dass er und seine Mitstreiter damals von Tyria zum Norden gereist sind.
    „Du hast das Tor hier gezeichnet, oder?“ fragte sie und Norazul nickte erneut.
    „Pass mal auf“, sagte sie, nahm eine der Zeichnungen vom Anwesen und hielt sie vor die Kerzenflamme. „Macht alleine nicht viel her, oder?“ sagte sie zu ihm, griff eine weitere Zeichnung und hielt sie vor die Flamme.
    „Ich werd´ verrückt!“ keuchte der Meisterarchivar.
    Auf den übereinanderliegenden Pergamentstücken war im Kerzenschein eines der Zeichen vom Teleport-Tor zu sehen.
    „Ha!!“ lachte Norazul laut auf und drückte Kiágara einen Kuss auf den Mund. „Das ist es! Es war keine Beschwörung von Dämonen, oder so, sondern die Mörder sind durch ein Tor geflohen!“ Er schnellte von seinem Stuhl hoch und rannte los. „Das müssen Kuju, Sousuke und der Investigator erfahren!“
    „Norazul!“ rief ihm Kiágara hinterher und er stoppte auf dem Marmorboden.
    „Was denn noch?“ fragte er zurück und seine Verlobte deutete mit dem Finger auf ihn.
    „Hoppla“, sagte der splitterfasernackte Mann und rannte zurück in seine Gemächer.

    Eine Gruppe Junior-Archivare stand am Eingang der Halle und blickte ihrem Vorgesetzten mit grossen Augen hinterher.
    „Die nackte Wahrheit“, murmelte einer und die jungen Nekromanten prusteten los.

    „Also doch ein Auftragsmord“, meinte Grossmeister Sousuke mit aneinandergelegten Fingerspitzen und sah von der eilig zusammengekritzelten Zusammenfassung Norazuls auf.
    Sein langjähriger Freund stand, umgeben von Grossmeisterin Kuju und Kiágara Fleshreaper vor seinem Thron.
    Die schweren Doppeltüren zum Saal öffneten sich und Meisterin Satsume, die seit dem Tod Meister Togos das Kloster leitete, trat mit ihren Beratern und Leibwächtern ein.
    „Wie ich sehe“, sagte die Meisterin mit einem Lächeln, „hat eine junge Nekromanten-Schülerin ihren eigenen Lehrmeister übertrumpft.“
    Norazul grinste und legte eine Hand auf Kiágaras Schulter. „Sie hat mich im höchsten Masse beeindruckt.“
    „Ist der Chefinvestigator unterrichtet?“ fragte Meisterin Satsume und Kuju nickte. „Ich habe sofort, als der Meisterarchivar früh morgens zu mir kam, eine Gruppe nach Zen Daijun geschickt, um ihn zu holen. Wenn wir die Runen reaktivieren, können wir Gildenkrieger hinter den Mördern herschicken, wo immer sie hingereist sind und sie der canthanischen Gerechtigkeit zuführen.“
    Die Doppeltüren des Saals flogen auf und beide Flügel krachten lautstark gegen die Wand.
    Der Chefinvestigator, in Begleitung seiner Berater und vollen drei Dutzend bewaffneter Wachen trat ein und seine Arroganz schob er wie eine Schockwelle vor sich her.
    „Hat man in Zen Daijun das Anklopfen verlernt?“ donnerte Grossmeister Sousuke und flog von seinem Thron auf die Beine. Der Chefinvestigator hatte ihn noch übler mit seinen Fragen drangsaliert als Kuju und Norazul.
    „Was haben Sie eben gesagt?“ fragte der Investigator Kuju verächtlich und ignorierte Sousuke komplett. „`Die Mörder der canthanischen Gerechtigkeit zuführen´? Exzellent! Deshalb bin ich hier!“
    Er stiess einen Finger in Kiágaras Richtung und rief: „Wegen ihr!“
    „WAS!!!“ Alle im Saal blicken zu Norazul Lifetaker herüber, der vor Zorn zu beben begann. Niemals hatte einer von ihnen den Nekromanten so laut gehört.
    „Halten Sie den Mund, Lügner!“ fauchte der Investigator und liess sich von einem Berater eine Schriftrolle geben, die er ausrollte und vorlas.
    „Es liegen bestätigte Zeugenaussagen vor, dass nicht nur die als Tioban Mereketh geborene…“
    „Woher kennen Sie meinen Geburtsnamen?“ rief Kiáraga wütend, denn Aussenstehenden, vor allem jenen, die keine Gildenkrieger waren, erklärten Gildenkrieger niemals ihre Geburtsnamen in der Öffentlichkeit.
    Der Mann ignorierte auch sie. „… dass nicht nur die als Tioban Mereketh geborene Nekromantin Kiágara zur möglichen Tatzeit in Minister Fengs Anwesen gesehen wurde, sondern auch sie die verbotene Kunst der Seelenauslöschung beherrscht.“
    „Blödsinn!“ schrie Kiágara zurück. „Ich habe noch nicht einmal die Grundkenntnisse erlernt.“
    „Also leugnen Sie es nicht, Nekromantin?“ säuselte der Chefinvestigator.
    „Es steht jedem Nekromanten frei, jede beliebige Kunst zu erlernen, für die er einen geeigneten Lehrmeister findet“, knurrte Grossmeisterin Kuju, „das sollten selbst Sie wissen!“
    „Ich weiss genug, Kuju, um eine potentielle Mörderin nach Kaineng vor Gericht und auf den Hackklotz des Henkers zu bringen.“
    Norazuls Augen leuchteten so hell, dass niemand diese endlos tiefen Brunnen des Hasses erkennen konnte. „Einen verdammten Haufen Charr-Scheisse haben Sie, sie Idiot!“
    Der Investigator sog entrüstet die Luft ein, aber der Nekromant, auf dessen Rüstung sich eine Eisschicht bildete, liess ihn nicht zu Wort kommen. „Ich bin nach den in aller Welt von allen Menschen und Gerichten akzeptierten und ratifizierten Gilden-Gesetzen der Lehrmeister dieser Schülerin und somit auch ihr gesetzlicher Vertreter! Ich habe somit das Recht, von einer Verhaftung, über eine Verhandlung bis hin zu einer Verurteilung ALLES abzublocken, solange nicht auch von Unseresgleichen die Untersuchung des Verbrechens VOLLSTÄNDIG abgeschlossen ist!“ Er deutete auf die Unterlagen auf Sousukes Tisch. „Wir wissen, wie die Mörder das Anwesen nach dem Mord verlassen haben, wir wissen, wie wir ihren Fluchtweg erneut öffnen können und wir haben hier im Kloster die Resourcen, um die Mörder zu finden!“
    Der Chefinvestigator schüttelte lächelnd den Kopf. „Um dieses Recht haben Sie Sich durch Ihre Herumhurerei mit dieser Mörderin gebracht, Lifetaker!“ Er spuckte Norazuls Namen regelrecht aus. Kuju musste Kiágara zurückhalten, während Sousuke nervös mit den Fingern zu spielen begann. „Wir wissen durch unsere Quellen, dass Sie und diese Mörderin ein Liebespaar sind und somit sind sie befangen und es steht für mich ausser Frage, dass Sie die Beweise fingiert haben!“
    „Was für `Quellen´?“ fragte Meisterin Satsume ärgerlich. War das Kloster kompromitiert worden? Aber der Chefinvestigator ignorierte sie schon wieder und deutete auf Kiágara.
    „Diese Mörderin ist festgenommen und wird vor Gericht von einem Pflichtverteidiger vertreten. Und sollte einer von Euch Übermenschen“, er umschloss die Gildenkrieger im Saal der Magierhalle, „auf die Idee kommen, die Festnahme verhindern zu wollen, dann stellen Sie Sich gegen die Canthanischen Gesetze, die Sie ebenfalls beachten müssen!“ Er schnippte mit den Fingern und vier Soldaten traten vor. „Führt diese bestialische Mörderin ab!“
    Die versammelten Gildenkrieger röhrten vor Empörung auf, sodass einige Magier-Akolyten angerannt kamen.
    „Nimm´ deine Pfoten weg!“ schrie Kiágara den einen Soldaten an, der sie zu packen versuchte, da versuchte ein zweiter Soldat, sie zu greifen und zu Boden zu zerren.
    Mit einem lauten Knirschen fuhren die Klingen an Norazul Lifetakers Unterarmen und Handrücken aus, als er mit einem animalischen Wutschrei die Soldaten und den Investigator ansprang.
    Der Raum explodierte in pures Chaos.

    Sheddim Taynes Sense pfiff im Halbkreis herum und drei Soldaten stürzten, an der Taille gespalten, zu Boden.
    Waffenlos, aber im Nahkampf unschlagbar, prügelte Ilarya Deathwynd ihre Gegner bewusstlos.
    „Bewegt Euch, verdammt nochmal!“ schrie Sheddim zu Norazul Lifetaker, der, Kiágara an der Hand hinter sich herziehend, auf das Nekromanten-Archiv zurannte.
    Auf dem Klosterhof war die Hölle los.
    Gildenkrieger aller Altersklassen und Erfahrungsstufen waren von dem Kampflärm in der Halle der Magier angelockt worden und als sie sahen, wie alleine schon Meisterin Satsuke und zwei Grossmeister von einer Gruppe Soldaten angegriffen wurden, schritten sie ein.
    „Haltet die Mörder auf! Im Namen des Kaisers!“ schrie der Chefinvestigator, seine linke Hand auf den rechten Armstumpf gepresst, vom Eingang der Halle aus.
    „Das ist das letztemal, dass ich ohne meine Waffen die Halle verlasse!“ rief Norazul Kiágara zu und rammte die Klingen seines rechten Arms einem Soldaten in die Brust.
    Die sechsunddreissig Krieger, die mit dem Chefinvestigator die Halle betreten hatten, waren ja schon eine beachtliche Anzahl, aber in der Halle hatte niemand wissen können, dass fast einhundert weitere noch draussen warteten.
    „Was machen wir jetzt?“ rief Kiágara und stürmte hinter Norazul in das Archiv.
    „Wir schlagen uns zu Fengs Anwesen durch und aktivieren das Teleport-Tor“, antwortete er und rannte an seinen Untergebenen vorbei. Er stiess die Tür zu seinen Gemächern auf und im nächsten Augenblick riss Norazul seine Waffen von den Wandhalterungen.
    „Bedien Dich!“ rief er zu Kiágara, schwang seinen Gildenmantel um, hängte sich diverse Klingen in den Gürtel, legte Giftphiolen in die Gürteltaschen und packte noch seine Siegel und Runen ein.
    Seine Schülerin rüstete sich neben ihrem Nekromanten-Stab mit Kurzschwertern aus.
    „Und jetzt los!“ sagte Norazul und lief hinter ihr aus seiner Wohnung, hielt inne und formulierte einen Zauberspruch, der seine Wohnung magisch verriegelte und die geheimen Fallen aktivierte.
    Er drehte sich um und bemerkte im Oberlicht einen Schatten über seiner wartenden Schülerin. Einen menschlichen Schatten.
    „Kiágara!!!“ brüllte Norazul und fegte sie mit einem Sprung von den Beinen, als auch schon ein Hagel aus Wurfmessern und Wurfsternen durch das zerbrechende Glas zischte und dort in den Teppich einschlug, wo die Nekromantin eben noch gestanden hatte.
    Norazul feuerte einen Energieball aus seinem Stab nach oben und ein Mann stürzte schreiend in die Halle herein. Er brach sich bei der Landung alle Knochen.
    „Das darf doch wohl nicht wahr sein“, keuchte Kiágara und deutete auf das Wappen an der Schulter des Toten.
    „Die persönliche Leibgarde des Kaisers selbst?“ murmelte Norazul, der jetzt erst das ganze Ausmass der Situation erkannte. „Seit dem ersten Kaiser Canthas hat sich seine Leibgarde nie ausserhalb des Palasts oder des Erntetempels gezeigt. Geschweige denn, dass sie bei einer solchen Aktion noch vor der Urteilsverkündig tätig wird?“
    Er begann wieder mit Kiágara loszurennen und rief: „Du bist verladen worden!“
    „Da seit ihr ja endlich!“ begrüsste Ilarya die beiden. Die Schlacht war beendet und in der Ferne konnte Norazul den Chefinvestigator und die Reste seiner Soldaten sehen, die fluchtartig das Kloster verliessen.
    Eine Gruppe Knochendiener, Knochenteufel und sogar zwei Fleischgolems verfolgten sie.
    „Was im Namen aller Fünf Götter war das für ein Wahnsinn?“ verlangte Meisterin Satsume zu wissen. Die Heilerin blutete aus einer Stirnwunde, die sich zu schliessen begann.
    „Meisterin“, sagte Norazul, „offensichtlich versucht man, Kiágara Fleshreaper die Ermordung Minister Fengs anzuhängen.“
    „Wieso ausgerechnet ihr?“ fragte Sheddim Tayne, die die Klinge ihrer Sense reinigte.
    Grossmeisterin Kuju, Grossmeister Sousuke und eine Gruppe hochrangiger Gildenkrieger kamen hinzu.
    „Sie war im Anwesen des Ministers, am Tage, als er ermordet wurde, um ihm ein Buch, dass ich erbeten hatte, zurückzubringen“, begann Norazul und deutete auf seine Unterlagen, die einer von Sousukes Akolyten ihm reichte, „Kiágara hat herausgefunden, das die blutigen Zeichen in den Gemächern Runen zur Aktivierung eines Teleporter-Portals sind und ich bin mir sicher, dass es sich um einen politischen Mord handelte, den man jetzt uns in die Schuhe schieben will.“
    „Aber wieso ausgerechnet den Nekromanten?“ fragte ein Gildenkrieger.
    „Vielleicht weil wir von allen Gildenkriegern für die dunkelste Klasse gehalten werden“, meinte Grossmeisterin Kuju, „oder weil es auch Nekromanten waren, die während Der Seuche Minister Cho erschlagen haben, nachdem er zum Monster wurde.“
    „Das warst Du doch?“ fragte Ilarya und Norazul nickte.
    „Um mich geht es aber nicht“, sagte er und deutete nach hinten zum Archiv. „Da drinnen liegt ein Attentäter, der auf dem Hallendach auf Kiágara gewartet hat. Als ich meine Gemächer verriegelt habe, stand ich mit dem Rücken zu ihm und er hätte mich nicht verfehlen können. Sie wollen den Mord meiner Schülerin anhängen und somit den Orden diskreditieren. Vielleicht sogar das ganze Kloster, aber jedenfalls trägt der Attentäter das Wappen der Kaiserlichen Leibgarde.“
    „Das ist unmöglich!“ begehrte der Meisterarchivar der Waldläufer auf und einige Leute liefen in das schwarze Gebäude, um das nachzuprüfen.
    „Und wie geht´s jetzt weiter?“ fragte Kuju und Norazul deutete nach Nordwesten in die Richtung, in der das Anwesen lag.
    „Kiágara und ich gehen durch das Tor im Anwesen und sehen zu, wo es uns hinbringt. Dann nehmen wir die Spur der Mörder auf und versuchen Beweise zu finden, wer der Initiator ist.“
    „Okay!“ sagten Ilarya Deathwynd und Sheddim Tayne aus einem Mund und traten zu den beiden.
    Zur allgemeinen Überraschung traten auch Grossmeister Sousuke und Greico nach vorne.
    „Wie in den alten Zeiten“, sagte Sousuke und Greico fügte hinzu: „Ihr braucht einen guten Fährtenleser.“
    „Crassus!“ rief Grossmeister Zhan nach hinten und ein riesiger Krieger in silberner Rüstung mit einem grossen Zweihandhammer sah sich zum Meister der Krieger um. „Es besteht Aussicht auf noch mehr Blutvergiessen. Interessiert?“
    Der schwere Helm verwandelte das grausame Lachen Crassus von Ascalons zu einem dunklen Grollen, als er den Hammer zum Gruss hob.
    „Ich komme auch mit“, sagte eine Heilerin in elonischen Roben.
    „Pai Din?“ fragte Norazul. „Ich dachte, Du wärst unterwegs.“
    Die zierliche Heilerin hob die Schultern und meinte: „Ich habe Dich damals nach diesem Verboten Buch wieder zusammengeflickt, ich schaffe Deine Freunde auch noch.“
    „Damit steht Eure Gruppe also“, sagte Meisterin Satsume und wandte sich zu den anderen Gildenkriegern um. „Und wir hier wissen auch, was wir zu tun haben.“
    „Was denn?“ fragte ein Mesmer und die Heilerin lächelte ihn kalt an. „Wir bereiten Shing Jea auf die Belagerung vor.“



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    GOTO Norazul - 10.07.2008, 18:24


    VI – Ancient Lanes

    „Deine Theorie wird immer haltbarer, mein Freund“, sagte Sousuke, „keine Menschenseele hier, um das Anwesen zu bewachen, geschweige denn, weitere Untersuchungen zu machen. Na, immerhin haben sie die Leichen entfernt.“
    Norazul Lifetaker wühlte durch seine Unterlagen und verglich die Zeichnungen an den Wänden.
    „Hoffentlich kommen unsere Freunde in Shing Jea auf die Idee, das Anwesen auch abzuriegeln.“ sagte Sheddim und Ilarya fügte hinzu: „Wenn wir die Sache beendet haben, wird es schwierig werden, unsere Hälse aus canthanischen Schlingen zu ziehen.“
    „Da macht Euch keine Gedanken, Schönheiten“, dröhnte Crassus´ Stimme aus dem Helm hervor, „elonische Galgenstricke sind kratziger.“
    „Sehr beruhigend“, murmelte Kiáraga und blickte aus dem Fenster. Sie konnte Shing Jea in der Ferne sehen. „Eine Frage“, sagte sie an Norazul gewandt, „als Du das Kloster damals hast ausbauen lassen, hattest Du damals schon sowas erwartet, als das Kloster Festungsanlagen bekam?“
    „Nein“, antwortete Norazul und zog mit einem Pinsel voll Naga-Blut die Linien einer Rune nach, „das war Grossmeister Zhan, der sie vorgeschlagen hat. Das Kloster sollte bei Banditen- und Piratenangriffen den Bürgern der Umgebung besseren Schutz bieten. Daher auch die Kanonen, Katapulte und der ganze Kram.“
    „Und die zusätzlichen Tore aus Deldrimor-Stahl und die vergrösserten Lagerhallen“, fügte Ilarya hinzu.
    Dann erzitterte Sousuke kurz und fragte: „Habt Ihr das gespürt?“
    „Ja“, antwortete Norazul, der soeben das sechste der zwölf Zeichnungen nachgemalt hatte.
    „Fast, wie ein Knistern in der Luft“, fügte Kiágara hinzu, die sich vom Fenster abgewendet hatte und die Zeichnungen betrachtete.
    „Wisst Ihr eigentlich“, fragte Pai Din, „wie man das Tor öffnet? Es ist ja so, dass wir hier keine tragende Struktur wie die Portale haben.“
    „Die gab es zu der Zeit, als diese Runen ersonnen worden sind, auch noch nicht“, sagte Sousuke, „also laden wir sie selbst auf. Ich denke, dass Norazul, Kiágara, Sheddim und ich ausreichen sollten. Was mir aber mehr Sorgen macht, ist die Behauptung des Chefinvestigators in meiner Audienzhalle, dass er Informanten im Kloster hat. Wie hätte er sonst Kiágaras, zugegeben sehr hübschen, Geburtsnamen gewusst?“
    „Ich habe meinen Kampfnamen vor weniger als zwei Jahren angenommen“, sagte die Nekromantin zum Magier, „als Norazul mich als Schülerin annahm.“
    „Und wie lange seid Ihr beiden schon ein Liebespaar?“ fragte Crassus und Kiágara sah zu dem riesigen Krieger hoch.
    „Weiss das etwa schon das ganze Kloster?“ fragte sie und Crassus lachte rumpelnd.
    „Nein, nur das halbe Kloster“, kicherte Ilarya, „aber die Hälfte erzählt es fleissig der Anderen.“
    „Hey, Ihr da unten!“ tönte Grossmeister Greicos Stimme von draussen durch die offenen Fenster. Er hatte auf dem Dach der Villa Stellung bezogen. „Ihr solltet mal aus dem Fenster sehen!“
    Kiágara blickte heraus und wurde noch bleicher, als sie es ohnehin schon war. „Oh nein!“
    „Was ist?“ fragte Norazul, der eben das neunte Zeichen nachgemalt hatte. Der Raum knisterte vor Energie.
    „Wie kamen die so schnell hierher?“ fragte Sheddim erstaunt.
    „Die waren schon hier, bevor die Sache begann, kein Zweifel!“ rumpelte Crassus.
    „Was ist?“ wiederholte Norazul und begann das zehnte Zeichen. Seine, Sousukes und Sheddims Augen leuchteten mittlerweile und die von Kiágara flackerten.
    Grossmeister Greico kletterte von oben herab durch das Fenster und nahm seinen Mundschutz ab. „So wie es aussieht, rückt die gesamte canthanische Armee auf Shing Jea zu.“
    Norazul sah zum Fenster heraus.
    Tausende Soldaten, mindestens zehn Regimenter mit schwerem Gerät, marschierten in geordneten Reihen von Osten heran. Am Horizont des Meers konnte man Segel näherkommen sehen.
    „Also sollten wir nicht trödeln“, meinte Crassus, „auch wenn das Kloster dem Ansturm einige Tage wiederstehen können wird.“
    Norazuls Augen waren dünne Schlitze, als er sich wieder an die Arbeit machte.
    „Trödeln dürfen wir wirklich nicht“, sagte Sousuke und deutete mit seinem prächtigen Zauberstab nach Süden, „ein Regiment kommt hier her.“
    „Verdammt“, fauchte Pai Din, „wenn diese Soldaten hier sind, werden sie alle Beweise vernichten.“
    „Da kann ich vielleicht helfen“, sagte Kiágara und verschwand mit den Worten „Ich bin gleich zurück“ aus dem Raum.
    Das zehnte Zeichen war fertig und Sousuke pfiff leise. „Bei dieser Energiemenge kommen wir mit dem Tor faktisch überall hin.“
    „Und es wird stärker und stärker“, sagte Norazul, als draussen Kiágara durch den Korridor rannte und er das elfe Zeichen ansetzte. „Übrigens“, fuhr er fort, „gibt es bei der gesamten Sache etwas, das mir Kopfschmerzen macht. Kiágaras Geburtsname.“
    „Wieso denn?“ fragte Ilarya.
    „Die Geburtsnamen von uns Nekromanten werden, wenn wir einen neuen Namen annehmen im sogenannten `Folianten Des Todes´, einem verschlossenen Buch im Archiv vermerkt.“
    „Da bin ich wieder“, rief Kiágara über das lauter werdende Knistern und Rauschen. Der Raum verfärbte sich rot, als Norazul das letzte Zeichen ansetzte und Greico ihn fragte: „Und wer hat den Schlüssel dazu?“
    „Nur ein Nekromant im Kloster“, rief Norazul über den beginnenden Sturm im Zimmer.
    Eins nach dem anderen begannen die Zeichen hell zu leuchten, als das zwölfte Zeichen fertig war und Norazul seinen Stab erhob.
    „Der Meisterarchivar!!“ brüllte Sheddim im Lärm und ihr Bruder hieb den Stab abwärts.
    „Er!!!“
    Der Stab krachte auf die Meisterrune und nach einem blendenden violetten Blitz war das Zimmer leer und absolut ruhig.

    Die Kälte war beissend und angenehm, als Norazul wieder erwachte, aber sie kam von dem Schnee, in dem er lag.
    „Ganz schön ruppig, die Reise“, grummelte Crassus, erhob sich und nahm erstmals seinen Helm ab, um Schnee auszuspucken. Der Krieger hatte ein gegerbtes Gesicht mit langen braunen Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte und trug einen kurzen Vollbart.
    „Die normalen Tore sind mir auch lieber“, meinte Sousuke und streckte sich.
    „Wo sind wir hier?“ fragte Pei Din und sah sich um.
    „Ich glaube, dort, wo ihr hinwolltet“, sagte eine rauhe Frauenstimme hinter Kiágara und als diese herumwirbelte, sah sie eine wuchtige Gürtelschnalle auf Augenhöhe.
    „Hallo Jora“, sagte Norazul, „sind wir weit weg vom Auge?“

    „Du scheinst Dich wirklich mit dem Alter zu verbessern, Du Sorgenkind.“ Gwen schüttelte den Kopf, als sie alle zusammen mit Jora im Auge des Nordens in der Halle der Monumente standen. „Ich bin es ja gewohnt, dass meistens jemand Dir als Leder will, aber einen kompletten Krieg zwischen Cantha und Shing Jea anzuzetteln!“ Die Mesmerin atmete aus. „Das ist Dein Meisterstück, selbst wenn Du noch zweitausend Jahre leben solltest.“
    Norazul deutete auf Kiágara, die staunend die ausgestellten Trophäen und Wandteppiche betrachtete. Sie hatte natürlich vom Auge des Nordens gehört und gelesen, war aber selbst nie dort gewesen.
    „Es geht um meine Schülerin. Man hat ihr einen grausamen Massenmord angehängt, um das Kloster in Misskredit zu bringen. Minister Feng wurde mitsamt seiner Familie und allen Bediensteten ermordet. Was den Minister und seine Frau und Kinder zugerichtet hat, wissen wir nicht, aber es sollte nach einem Ritualmord aussehen. Seine Bediensteten hingegen wurden mit dem Sud der Schwarzen Eisblume vergiftet. Deshalb sind wir hier.“
    „Schwarze Eisblume?“ fragte Jora. „Die ist mittlerweile sogar hier sehr selten, seitdem die Charr für den letzten Grenzstreit die Blumen bündelweise für ihre Pfeilspitzen abgeerntet haben.“ Sie biss in ihre grosse Bratenkeule.
    „Wieviele Bedienstete hatte dieser Minister?“ fragte Gwen und Norazul schnaubte.
    „Zweiundvierzig dauerhaft im Anwesen arbeitende und wohnende Männer und Frauen, sowie zweiundzwanzig Arbeitskräfte aus der Umgebung. Bis auf zwei sind auch die vergiftet worden.“
    „Zweiundsechzig tötliche Dosen?“ staunte Gwen. „Wie viele Blumen braucht man für eine tödliche Dosis?“
    „Für einen erwachsenen, gesunden Mann vier normalgrosse Blumen“, antwortete der Nekromant und Gwen keuchte.
    „Was zahlt man hier für zweihundertachtundsechzig Blumen“, fragte Norazul und Gwens Antwort überraschte ihn. „Nicht unter fünfzehn Platinbarren – pro Blume.“
    „Dreitausendsiebenhundertzwanzig Platinbarren?“ fragte Sousuke staunend. „Soviel findet man nur in den Schatzkammern der Nationen.“
    „Mal abgesehen davon, dass man eine wahre Karawane für den Geldtransport braucht, gibt es da eine wichtige Frage“, brummte Crassus, „wer kann eine solche Menge Blumen beschaffen?“
    „Hier im Auge des Nordens niemand“, sagte Jora, die ihre Keule bis auf den Knochen abgenagt hatte.

    „Schwarze Eisblumen? Oh, Norazul, damit handle ich nicht mehr.“ Der glatzköpfige Mann trug trotz der klirrenden Kälte nur kurze Hosen und Sandalen, als er vor der Höhle im Schneefall stand. Dafür war sein Körper flächendeckend mit unglaublich kunstvollen Tätowierungen bedeckt.
    „Die Welt ist ein Dorf, Olias, und ich mache anscheinend grosse Schritte“, sagte Norazul grinsend und folgte seinem Nekromanten-Freund in die Höhle.
    „Siehst gut aus“, sagte Sheddim im Vorbeigehen zum Höhlen-Nekromanten.
    Drinnen erwartete die Leute eine Überraschung, denn nach zehn Metern standen sie in einen riesigen Felsendom, dessen Einrichtung, dunkel und morbide wie sie zwar war, auf den ersten Blick ein Vermögen gekostet haben musste.
    „Ich werde Dir nie genug dafür danken können, dass Du mich mit auf die Jagd nach Tragin dem Herzlosen mitgenommen hast, mein Freund. Endlich konnte ich mir diesen Palast leisten und ein Geschäft für gefährliche Substanzen eröffnen.“
    Er blickte zum Höhleneingang, an dem Kiágara auf Pai Din gestützt hereinkam und deutete auf eine grosse, fellbedeckte Liege.
    Pai Din legte die kleine Nekromantin auf die Liege und begann, ihre Wunden zu behandeln.
    Norazul ging an einem schwer beladenen Bücherregal vorbei, starrte auf einen Buchrücken und zog einen mit Gold und Jade verzierten Wälzer heraus.
    „Wie bist Du denn an dieses Meisterwerk herangekommen?“ fragte er Olias und dieser lächelte einfach. „Als ich von dem grossartigen Geschäft mit den Eisblumen meiner alten Akademie in Ascalon einen fetten Batzen gespendet habe, hat man mir einen Tipp gegeben, wo ich einen der Feuer-Folianten von Orr finden konnte.“
    „Darf ich den auch mal sehen?“ fragte Sousuke und Norazul gab ihm das mächtige Zauberbuch in die Hand, das er kurz ehrfürchtig durchblätterte und dann zurückgab.
    „Wo wir bei den Eisblumen sind, Olias“, sagte sein Nekromantenfreund, „wer hat diese Unmenge an Pflanzen bestellt?“
    Olias liess sich in einen steinernen Sessel ohne Polster nieder und legte die Finger aneinander, besann sich dann aber eines besseren und ging zu einer Schatztruhe, aus der er einen Platinbarren nahm und ihn Norazul gab. „Er hat damit gezahlt. Die ganze Lieferung und er hatte einhundert Träger für die Truhen und das Zehnfache an Wachen dabei. Was sagst Du zu dem Barren?“
    Norazul prüfte das teure Zahlungsmittel. „Zu gross für Elona, zu kurz und breit für Cantha und dieses Prägesiegel kommt nicht aus Ascalon. Abgesehen davon sind die Ecken nicht rundgefeilt.“
    „Und er passt auch zu keiner privaten oder staatseigenen Giesserei“, sagte Olias und setzte sich jetzt doch, nachdem er den Barren auf einen Beistelltisch gelegt hatte. Sousuke ging erneut zum riesigen Bücherregal und die geheilte Kiágara gesellte sich zu ihm. „Jedenfalls war der Käufer eigenartig. Er hatte mit keiner Wimper gezuckt, als ich ihm den Preis pro Blume genannt habe und dann hat er meine gesamten Bestände aufgekauft sofort gezahlt und ist abgezogen.“
    „Von wo denkst Du, kam er her?“ fragte Jora und Olias dachte lange nach.
    „Schwer zu sagen. Ein bisschen was von Allem und doch nichts Eindeutiges. Seine Haut hatte einen leicht elonisch-dunklen Touch, Vaabi vielleicht, aber von dem stämmigen Körperbau würde ich auf Kryta tippen.“ Er lehnte sich nach vorne. „Seine Augen waren blau, aber leicht mandelförmig. Cantha eben.“
    „Ein Gildenkrieger, oder ein Normaler?“ fragte Sheddim, im Stehen auf ihre Sense gestützt.
    „Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung. Normalerweise bin ich sehr gut darin, Unseresgleichen zu erkennen, aber bei dem Burschen war meine Menschenkenntnis nichtexistent.“ Olias strich mit Daumen und Zeigefinger über seinen spitzen Kinnbart. „Aber ich könnte schwören, dass er, wenn er ein Gildenkrieger sein sollte, einer von uns ist.“
    „Ein Nekromant?“ fragte Kiágara vom Bücherregal und Olias zeigte ihr seine spitzgefeilten Zähne, als er grinsend nickte.
    „Oh!“ sagte er, als Kiágara das Lächeln erwiderte und ebenfalls ihre spitzen und verzierten Zähne präsentierte. „Deine Schülerin weiss, wie man die eigene Schönheit perfektioniert.“
    Die junge Nekromantin wollte weiter durch die dunkle Höhle schlendern, blieb aber an dem Beistelltisch stehen, auf dem der fremde Platinbarren lag und sagte: „Moment, dieses Symbol auf dem Barren da, steht auch hinten auf einem der Bücher.“
    „Auf welchem?“ fragte Olias und sie zeigte zu dem Buch, das Norazul und Sousuke betrachtet hatten.
    „Das dort. Ihr erlaubt?“, sagte sie, hob den Barren auf, ging zu dem Folianten, zog ihn heraus und präsentierten das Symbol auf dem Buch und des Barrens.
    „Orrianisches Platin?“ fragte Norazul erstaunt, als sie alle das identische Zeichen sahen.

    „Das kann ich mir nicht vorstellen“, meinte Grossmeister Greico schliesslich, „Orr wurde vollständig in der Charr-Invasion zerstört. Wie kann eine solche Menge Reichtum nach all diesen Jahren wieder auftauchen?“
    Olias hatte ihnen allen was zu trinken gebracht, aber anscheinend war das bittere Zeug von Nekromanten für Nekromanten gebraut. „Es steht nirgendwo geschrieben, dass man nicht bei der drohenden Invasion begonnen hat, die Staatsschätze zu evakuieren.“
    „Ich bin zwar nicht Margid die Listige“, sagte Sousuke, „aber selbst in einem schnellen, mittelgrossen Schiff kann man ein wahres Vermögen unterbringen.“
    „Und die Welt ist gross“, sagte Ilarya, „aber die Frage besteht weiterhin, wer eine der tödlichsten Pflanzen dieser Welt mit Geld aus einem Land bezahlt, das sich selbst mit einem Schlag vernichtet hat?“
    „Hat noch jemand ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt?“ frotzelte Olias und Norazul schüttelte dünn lächelnd den Kopf.
    „Kein so hohes, das es die Ermordung eines canthanischen Politikers rechtfertigt, um Cantha gegen eines der grössten Ausbildungszentren für Gild… „ Der Nekromant stockte.
    „Au verdammt!“ murmelte Kiágara und die Gildenkrieger sahen sich gegenseitig an.
    „Dann wäre es nur logisch, wenn auch die anderen Gildenzentralen demnächst Ärger bekommen“, meinte Crassus.
    „Aber wer würde gegen die Gildenkrieger losschlagen und wichtiger noch – wer hat die Resourcen dazu?“ fragte Sousuke und begann aufzuzählen. „Gehen wir mal optimistisch davon aus, dass dieses orrianische Platin alles war. Mit den Charr herrscht Frieden, auch wenn er brüchig ist und selbst dann hätten sie nicht die personellen Möglichkeiten.“
    „Die Steingipfel-Zwerge müssten Jahrtausende nach Edelmetallen graben, um weitere solche Aktionen durchzuführen und ihr Clan ist übel dezimiert“, fuhr Jora fort.
    „Mal ganz abgesehen davon“, fuhr Sousuke wieder fort, „das wir anhand der Spuren am Anwesen wissen, dass die Mörder Menschen gewesen sein müssen. Also scheiden auch die Zentauren und die Asura aus und zwischen die Menschen und die Norn passt keine Pergamentseite.“
    „Dann ist es eine der Nationen dieser Welt“, sagte Greico, „und die letzten Anhänger Varesh Ossas haben sich endgültig aufgelöst.“
    „Wieviele Blumen hast Du dem Mann verkauft?“ fragte Norazul und Olias überdachte das kurz. „Es waren fünfhundertelf Blüten, aber sie waren relativ klein. Ich würde sagen… einhundert Eintrittskarten in die Nebelwelt. Wenn überhaupt.“
    „Wir müssen die Regierungen und unsere Gildenzentren warnen, dass eine unbekannte Gruppierung wohl versuchen wird, oder schon dabei ist, Konflikte zwischen uns zu säen“, sagte Jora, „denn einen Krieg gegen alle vereinigten Armeen und Völker dieser Welt können selbst wir Gildenkrieger nicht gewinnen.“
    „Und ich werde niemals fliehen!“ donnerte Crassus.
    „Eine Sache wundert mich noch“, murmelte Norazul leise, „wieso sind die Mörder wieder hierher geflohen, wo sie doch schon hier ihr Gift gekauft haben. Haben sie hier ihren Stützpunkt? In einer der Höhlen oder den Dungeons?“
    „Wie seid Ihr eigentlich so schnell hierhergekommen?“ fragte Olias und die anderen erzählten es ihm. Auch das Problem mit Kiágara.
    Als sie geendet hatten nickte Olias wissend und blickte reihum. „Dieses Teleport-Tor ist definitiv eine Einwegverbindung und solange Ihr nicht die exakten Runen und Symbole kennt, kommt Ihr nicht mehr zurück, sondern würdet hier im Kreis hüpfen.“
    „Dann gehen wir durch die unterirdischen Tore. Ich habe gute Freunde in Löwenstein und Kamadan, die uns schnell überall hinbringen können“, sagte Crassus aber Olias winkte ab.
    „Da habe ich was besseres“, meinte der flächendeckend tätowierte Todesmagier und erhob sich, um zu einem mit Papieren überladen Schreibtisch aus Maguuma-Mahagoni zu gehen.
    „Du sagtest, Norazul, dass die Symbole erstens aus der Zeit vor der Gründung der tyrianischen Königreiche stammen und zweitens nur in der richtigen Konstellation zueinander funktionierten, richtig?“
    „Das stimmt.“
    Olias sprach, während er durch die Papierstapel wühlte: „Segment-Runen-Teleportation. Extrem alt und heute überholt, weil es ziemlich üble und auch nicht ungefährliche Reisen waren. Ah, da!“ Er zog ein abgewetztes Buch unter den Papieren hervor, wobei einige Schriftrollen auf dem Boden landeten.
    „Hier, Du bist der Magier“, sagte Olias und gab Sousuke das Buch, „eine ascalonische Abhandlung über Runen-Teleportation von Giovanni di Anjati aus dem dritten Jahrhundert. Ohne Segmentierung. Damit reist es sich viel angenehmer. Das nachträglich eingelegte Blatt ist mein Domizil hier.“
    Norazul blickte Sousuke über die Schulter in das alte Buch, während Olias zurück zu seinem Schreibtisch ging.
    „Na sieh´ mal einer an. Glück muss man haben“, sagte er zufrieden, als er auf eine Schriftrolle blickte und er erhob sich lächelnd.
    Alle sahen ihn an, als er, mit der Schriftrolle wedelnd zurückkam. Er drückte sie Norazul in die Hand und sagte: „Das ist der Bestellzettel und meine Kopie der Quittung für die Eisblumen. Der Mann hat da unten unterschrieben.“
    Norazul schnellte von seinem Hocker hoch und las die Bestellung quer.
    „Du führst Buch darüber, an wen Du deine Mordwerkzeuge verkaufst?“ fragte Sousuke und Olias hob die Schultern.
    „Ich verkaufe samt und sonders legale Materialien. Nichts von all dem in meinem Sortiment ist ohne entsprechende Behandlung… „
    Norazul Lifetakers Wutschrei liess die Höhle beben und die Zittergipfel ihren Namen alle Ehre machen.

    „Wenn Du die genaue Position von Shing Jea nicht bestimmen kannst, dann bringe ich uns eben so dicht wie möglich dran“, fauchte Norazul Sousuke an, der mit Olias das Buch durchwälzte.
    „Aber Shing Jea“, sagte Sheddim, „das ist Wahnsinn! Du und Kiágara seit die meistgesuchten Menschen Canthas!“
    „Wäre die Neue Akademie in Elona nicht besser, Bruder?“ fragte Ilarya.
    „Nein! Um die können wir uns später kümmern! Aber wenn wir nicht sofort Grossmeisterin Kuju und Meisterin Satsume warnen, geht das Kloster unter und jeder einzelne Gildenkrieger mit ihm!“ zu Olias gewandt fragte er: „Hast Du auch Assassinen-Schriftrollen im Angebot?“
    „Der liebe Olias hat alles, was man so braucht“, antwortete der Nekromant und deutete auf einen Archivschrank am anderen Ende der Höhlenwand, „viertes Regal von rechts.“
    Als Norazul zu dem Archivschrank ging, schloss er leicht die Augen und konzentrierte sich. Er verdrängte die Heilerlehren, mit denen er zuletzt seine Fähigkeiten ausgebaut hatte.
    Die würde er nicht brauchen, wenn er scheiterte.
    Er kehrte zu seinen Anfängen als Nekromant zurück, in die Zeit, als er besonders tödlich sein wollte. Zu den Lehren der Dolche, der Schatten, der tödlichen Künste.
    „Was willst Du für diese Schriftrolle?“ rief er Olias zu, doch der winkte nur ab. „Geht auf Kosten des Hauses. Ist ja ein Notfall.“
    „Norazul?“ Kiágara kam zu ihm gelaufen, doch er reagierte nicht, als er die Schriftrolle las.
    „Norazul?“ fragte die Nekromantin erneut ohne Ergebnis. Also gut.
    „MEISTER!!!“ Norazuls Kopf ruckte überrascht hoch.
    „Tut mir leid, aber Du kannst beginnen“, sagte sie.
    Er marschierte zu seinen Kameraden und überprüfte seine Waffen. Die violetten Sicheln fühlten sich wesentlich vertrauter an.
    „Ich habe die sechs Punkte am Boden markiert“, sagte Sousuke und zeigte auf die kleinen Kieselsteine am Boden. Fünf bildeten einen groben Kreis, der sechste Stein lag zwei Meter abseits.
    „Das ist die Richtung in der Shing Jea liegt, so präzise, wie ich es bestimmen konnte“, sagte Olias und drückte ihm ein goldenes Fässchen und einen Pinsel in Norazuls Hand, „die Farbe ist aus meinem eigenen Blut gefertigt und der Pinselbusch ist aus dem Haar eines Zentauren-Meistermagiers. Haut garantiert rein.“
    Der Nekromant trat zurück und beobachtete seinen langjährigen Freund, wie dieser von den Seiten, die Sousuke ihm vorhielt, die Symbole zu malen begann.
    „Ein Symbol für die Fünf Götter, das immer je nach Situation und Tageszeit variiert“, erklärte Norazul, als er das erste Zeichen abgeschlossen hatte, „und das sechste gibt das Ziel, die Entfernung und Schutzsymbole an.“
    „Norazul?“ fragte Crassus von Ascalon und benutzte erstmals nicht dessen Titel. „Ich glaube, ich spreche für alle menschlichen Bewohner dieser Gegend der Zittergipfel, wenn ich gerne wissen würde, was los ist.“
    „Ich habe den Namen auf dem Verkaufsvertrag schon einmal gelesen“, fauchte er, als er das dritte Symbol begann, „ihn sogar eigenhändig geschrieben.“
    „Wann und wo hast Du Ihn getroffen?“ fragte Grossmeister Greico.
    „Rein in den Kreis mit Euch“, befahl Norazul und seine Begleiter traten in den Symbolkreis. Olias blieb draussen, denn er hatte erklärt, dass diese Technik nur eine begrenzte Masse transportieren könne und meinte: „Pass´ beim sechsten Symbol auf. Zu schwach und ihr landet im Hafenbecken bei Seitung, zu stark und ihr landet mitten in der canthanischen Armee. Oder in den Klostermauern.“
    Sheddim umklammerte ihre scharfe Sense fester. „Klasse Vorstellung.“
    „Dann lieber zu stark, als zu schwach“, grummelte Crassus, „ich kann nicht schwimmen.“
    „Das wird ein Gemetzel, wenn wir mitten in der Armee landen“, sagte Ilarya, überprüfte den Sitz ihrer Wurfmesser und –sterne, dann zog sie ihre Dolche.
    „Wenn das klappt“, sagte Norazul, ohne aufzusehen, „töten wir keinen einzigen Soldaten.“
    „Eine Frage, Olias“, drehte sich Kiágara zu ihm um, „wenn mehr als nur einer von uns seine Energie hierfür spendet, würde das die Genauigkeit erhöhen?“
    „Weiss ich nicht“, antwortete der Nekromant, „ich reise immer nur alleine.“
    „Kann losgehen“, sagte Norazul, trat in den Ring und drehte sich auf das sechste Symbol zu.
    Seine Augen begannen zu leuchten, als er den Stab hob und hinter seinem Rücken, leuchteten auch die Augen Sousukes, Sheddims und Kiágaras, während die anderen beteten.
    „Woher kennst Du den Namen auf dem Vertrag?“ fragte Kiágara leise.
    „Ich schrieb ihn in Sing Jea selbst in den `Folianten Des Todes´ - es ist einer von uns!“ fauchte Norazul und hieb mit seinem Stab auf den Boden.



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    Goto Taronis-Chris - 10.07.2008, 23:14


    sei mir nicht böse das ich es nicht jetzt lese,aber dafür hab ich dann morgen auf arbeit etwas ablenkung, danke schonmal im vorraus :)



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    GOTO Norazul - 11.07.2008, 17:31


    Goto Taronis-Chris hat folgendes geschrieben: sei mir nicht böse das ich es nicht jetzt lese,aber dafür hab ich dann morgen auf arbeit etwas ablenkung, danke schonmal im vorraus :)

    Ahai!

    Absolut kein Problem! Wenn jemand hier nur 1% der Freude beim Lesen hat, wie mir das Schreiben machte, bin ich glücklich :D :D :D !!

    (Obwohl ein fetter Lottogewinn auch was für sich hätte...)

    Anyway!

    Hier der Rest von Shining Darkness und - um es an "Red Heat" anzulehnen - für die Gildenkrieger aus Shing Jea spritzt die Schei*se nicht nur an die Decke. Sie sprengt das Dach!

    Wie geht die Sache wohl aus?

    Bevor wir live auf die Schlachtfelder vor Shing Jea umschalten noch ein Wort in eigener Sache:

    Jede der bisher veröffentlichten Kurzgeschichten, "With Death Amongst The Living" und "Shining Darkness", ist auf Wunsch auch als virenfreie Wörd-Datei per E-Mail erhältlich.
    "Ancient Kingdoms", die letzte Kurzgeschichte ist auf Wunsch verfügbar, sobald ich sie Mitte der Woche hier im gewohnten Rhythmus reinstelle.

    Und nun: `Ere We Go!!!!

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    VII - Glory Roar

    „Im Anflug!!“ brüllte Grossmeisterin Lee, als eine weitere Gruppe Steine aus den Katapulten der Armee vor den Mauern Shing Jeas angeflogen kam und bevor einer sie treffen konnte, sprang die Assassinin mit dem Zauber des Rückrufs in den Hof zur Meisterin davon.
    „Bei den Göttern! Was für ein grausames Gemetzel!“ keuchte Meisterin Satsume, als die Heilerin einen gefallenen Waldläufer wieder auferstehen liess und die schweren Verletzungen einer Mesmerin heilte.
    Shing Jea war in den letzten Jahren wahrlich eine Klosterfestung geworden, aber selbst seine dicken Mauern standen unter schwerem Druck.
    Elementarmagier bombardierten die angreifenden Truppen im Norden und die Schiffe im Süden mit allem, was sie aufzubieten wussten.
    Gruppen von Assassinen teleportierten sich mit dem Schattenmarsch mitten in die feindliche Armee, wüteten mit ihren Klingen einige Sekunden unter den Soldaten und sprangen mit dem Rückruf wieder ins Kloster hinein zurück.
    Währenddessen kauerten Waldläufer hinter der Brüstung und verschossen ihre Pfeile fast schneller, als Gehilfen sie neu herbeischaffen konnten.
    Und natürlich standen an der ersten Reihe auf den Mauern die Krieger in ihren mächtigen Rüstungen, deren Kriegshämmer die angelegten Sturmleitern zertrümmerten und deren Schwerter und Äxte die wenigen Soldaten, die emporkamen, mit mächtigen Hieben wieder zurück in ihre sechzig Fuss tiefer stehenden Kameraden schickten.
    Und dazwischen, unter dem Donner der Kanonen und den ächzenden Katapulten, eilten natürlich Mönche, Mesmer und Ritualisten umher und halfen, wo sie konnten.
    „Meisterin!“ kam einer der jungen Waldläufer zu Satsume gerannt und deutete zuerst Richtung Süden, dann Osten. „Meisterin! Der Chefkanonier der Hafengeschütze meldet, dass sich die canthanischen Schiffe zurückziehen. Er meldet, dass acht Schiffe brennen, beziehungsweise schon gesunken sind. Sie konnten keine Truppen anlanden.“
    „Und was aus dem Osten?“ fragte die Leiterin des Klosters.
    „Der Feind hat begonnen, sich den Saoshangweg hinab abzuseilen. Grossmeister Zhan und Grossmeister Kaa haben starke Truppen verschanzt, aber das Osttor nach Seitung steht schwer unter Bedrängnis.“
    Die Meisterin wollte etwas antworten, aber in Windeseile, hob der Waldläufer den Bogen und schoss einen Pfeil zu den Zinnen des Klosters empor.
    Der Soldat, der über einen gefallenen Krieger steigen wollte, kippte in den Klosterhof.
    Der tote Soldat zuckte mehrmals, dann brach ein gewaltiger Fleischgolem aus ihm hervor und sprang brüllend mit einem Satz über die Mauern in die feindliche Armee.
    Die Nekromanten Rakas Fleshcrafter, Gorhan Blooddrinker und Grossmeisterin Kuju eilten herbei.
    Ein zerfetzter Soldatenkörper flog über die Mauern in den Hof, Rakas Fleshcrafter wirkte seine Todesmagie und einen Augenblick später rannte die Leiche als neu erschaffener Splitterschreck zu den Zinnen empor und sprang in die Schlacht.
    „Satsume!“ rief Kuju über den Kampflärm. „Das Haupttor hält sich bis jetzt vortrefflich, aber das Osttor zum Trainingsparcours von Saoshag ist ein Problem.“
    „Der Grossteil der canthanischen Armee scheint sich dort zu versammeln, Meisterin“, sagte Rakas Fleshcrafter, „und sie haben exakt die richtige Ausrüstung dabei, um sich abzuseilen und nebenbei unsere Verteidiger niederzuhalten.“
    „Sie scheinen sogar zu wissen, wo unsere schweren Waffen hinter unseren Mauern stehen!“ rief Gorhan Blooddrinker und wie zur Bestätigung seiner Worte, landete ein grosser Felsen auf einem der Klosterkatapulte.
    In das näher an Satsume und den Nekromanten stehende Katapult luden die Meisterköchin Hiami des Klosters und deren Gehilfen, mit dicken Handschuhen ausgerüstet, dünnwandige Metallkugeln in die Schale des Katapults.
    Jede der mit einem dicken Korken verschlossenen Kugeln war bis zum Rand mit siedendheissem Bratenöl gefüllt und mit Hiamis Worten „Wohl bekomm´s, ihr Herzchen! Mutti hat gekocht!“ zog eine Klosterwache den Abzug durch und die Kugeln schossen über die Mauer davon.
    Ohne das Ergebnis abzuwarten, rannten Hiami und ihre Gehilfen zurück zur Klosterküche zurück, um ein Dutzend weiterer Geschosse aufzusetzen.
    „Ich ziehe jedenfalls meine Nekromanten von der Hafenmauer ab“, verkündete Kuju, „und schicke sie nach Saoshang, jetzt wo die Gefahr an der Hafen-Front gebannt ist.“
    „Grossmeisterin“, fragte Gorhan Blooddrinker, „was ist mit den Kanalschächten am Hafen? Sie sind zwar halb geflutet und vergittert, aber mindestens drei canthanische Schiffe sind im Hafen gesunken und wir wissen nicht, ob und wenn ja, wieviele Soldaten von den Schiffen sich dort unten zu schaffen machen.“
    „Nimm Dir ein Dutzend Männer von den Hafenmauern mit und prüfe die Schächte nach, Gorhan“, befahl Kuju und der Nekromant hastete davon, dann, zu Rakas, sagte sie: „Du nimmst den Rest mit und verstärkst das Osttor. Ich tue hier, was ich kann.“
    Ein weiterer Felsbrocken krachte in die Zinnen der Klosterwände und eine der neuen, modernen Kanonen wirbelte mitsamt der Bedien-Mannschaft durch die Luft.
    `So viel Nahrung für Nekromanten´, dachte Grossmeisterin Kuju und rannte zu den Zinnen.
    Oben angekommen beschwor sie einen boshaften Geist auf die Feinde unter sich und blickte auf die restlichen Truppen, die jetzt seit drei Tagen in Folge mehrmals anrückten.
    Die Verluste der canthanischen Armee waren vierstellig, aber niemand konnte sagen, wieviele Truppen die Schiffe, die jetzt von Shing Jea nach Osten flohen und zweifellos in Seitung anlegen würden, an Bord hatten.
    Und wieviele weitere dieser disziplinierten und eisenharten Männer waren noch auch dem Weg von Kaineng hierher?
    Plötzlich wurde vor ihr eine neue Sturmleiter hochgewuchtet, auf deren oberen Ende sich ein Krieger mit erhobenem Schwert Mut anbrüllte.
    Dieser Schrei stieg um eine Oktave, als der Krieger die letzten zwei Meter auf Kuju selbst zusprang und sie ihm, kaum, dass er gelandet war, mit ihren rasiermesserscharfen Fingernägeln das halbe Gesicht wegriss.
    Der erste Schlag mit ihrem Zweihandstab schickte den geblendeten Soldaten purzelnd die Leiter hinab, wobei er seine Kameraden mitriss, der zweite Schlag spaltete die Sturmleiter in zwei Hälften.
    „Grossmeisterin!!“ schrie jemand, da sprang sie ein Waldläufer an und trug sie aus der Gefahrenzone.
    Ein mächtiger Felsbrocken, grösser als alle anderen bisherigen, schlug eine zehn Fuss tiefe Bresche in die Mauer. „Danke, Junge“, sagte sie und blickte über die Zinnen, „sie haben ihre schweren Katapulte einsatzbereit.“
    Noch vor dem ersten Angriff hatten die Canthaner bereits begonnen, diese mächtigen Belagerungswaffen ausserhalb der Reichweiter aller Waffen und Gildenkrieger im Kloster aufzubauen. Jetzt waren sie bereit.
    Der Waldläufer hatte eine exzellente Sehkraft und deutete auf die drei grossen Waffen. „Sie bereiten Brandbomben vor, Grossmeisterin!“ Dann legte er einen Pfeil in seinen Bogen ein, der zwischen den Soldaten explodierte und rannte weiter.
    Plötzlich erschollen Kriegshörner und die Armee zog sich im Schutz ihrer Schilde langsam zurück, aber die Katapulte, die leichten und die schweren, schossen weiter.
    Es dauerte keine Minute, da schlugen drei brennende Riesenkometen in Shing Jea ein.
    Die Klosterherberge explodierte regelrecht, als ihr Holzdach durchschlagen wurde und an den dicken Steinmauern der Kriegerakademie zerplatzte das zweite Geschoss zwar, setzte aber die umliegenden Strassen in Brand.
    Die dritte Bombe zwang zwanzig Gildenkrieger dazu, sich mit Hechtsprüngen in Sicherheit zu bringen, als die Zinnen erneut getroffen wurden.
    „Was ist das dort?“ fragte ein Elementarmagier und Kuju sah ein schwaches Glimmen, das von einem der Belagerungskatapulte verdeckt wurde.
    „Keine Ahnung!“ rief ein Waldläufer über die brüllenden Flammen hinweg und jagte einen Doppelschuss hinter der zurückmarschierenden Armee her, was einen Soldaten fällte.
    Man konnte die über den Boden rasende Schockwelle regelrecht sehen, als ein gigantischer Feuerball das östliche Belagerungskatapult zerfetzte. Der Knall war enorm.
    Die Armee stoppte überrascht und die Soldaten rannten auf die brennende Ruine zu, da explodierte das mittlere Katapult und wenige Augenblicke später das Westliche.
    Die canthanischen Soldaten machten auf der gesamten Front kehrt und rannten zu dem Schauplatz des Desasters.
    „Was bei den Fünf Göttern… ?“ fragte Meisterin Satsume, auf den Zinnen ankommend.
    Aus der Gegend der brennenden Ruine von Minister Fengs Anwesen flog ein Pfeil an und hinterliess ein schrilles Pfeifen.
    „Das ist ein Nachrichten-Pfeil von Grossmeister Greico!“ rief ein Waldläufer, der den Klang erkannte und prompt sah man eine Gruppe Menschen, die, so schnell sie konnten, auf das Kloster zurannten.
    „Tor auf!!“ schrie der ankommende Grossmeister Zhan und eine Gruppe Männer und Frauen zerrten die Riegel weg und kaum war das Tor einen Spalt weit offen, rammte es Crassus von Ascalon weit genug auf, dass er hindurchpasste.
    Hinter ihm rasten Kiágara Fleshreaper und die Grossmeister Greico und Sousuke hindurch, gefolgt von Pai Din, Sheddim Tayne und, zur allgemeinen Überraschung, Jora von den Norn.
    Diese drehte sich sofort um und stemmte sich gegen das Tor, als jemand rief: „Tor zu!! Die Soldaten kommen zurück!“
    Grossmeisterin Kuju lief die Treppen von den Zinnen hinab und musterte die Gruppe, dann zögerte sie.
    „Wo sind Norazul Lifetaker und Ilarya Deathwynd?“
    Sheddim Tayne deutete schwer atmend über die Schulter. „Das glaubt Ihr nicht.“

    „Und? Macht´s Spass?“ rief Norazul seiner links neben ihm rennenden Schwester zu.
    „Prächtig!“ rief Ilarya. „Achtung! Jetzt gilt´s!“
    Die canthanischen Soldaten hatten kehrt gemacht, als sie sahen, dass die explodierenden Katapulte nur eine Ablenkung waren, damit Gildenkrieger das Kloster erreichen konnten und so ignorierte ein Teil der Armee den Rückruf ins Feldlager.
    Im letzten Augenblick, bevor ein Pfeilhagel Norazul und Ilarya erreichen konnte, lösten beide sich in Rauch auf und erschienen neben einem im Sterben liegenen Soldaten einhundert Schritt von den Klostermauern entfernt und rannten weiter.
    Ein weiterer Pfeilhagel flog heran und der Nekromant und die Assassinin rannten im Zickzack.
    „Schlechtes Wetter heute!“ rief Ilarya und vollführte eine Reihe kunstvoller Sprünge und Rollen, als um ihr herum die Pfeile in den Boden einschlugen.
    „Sowas passiert mir andauernd!“ antwortete Norazul, von dessen Rüstung drei Pfeile abprallten, einer jedoch in seiner Schulter steckenblieb. „Aua!“
    Ein dritter Hagel aus Geschossen pfiff durch die Luft, doch die Entfernung war dicht genug.
    Norazul und Ilarya waren verschwunden und tauchten neben Grossmeister Greico auf den Zinnen auf, der zusammen mit seinen Waldläufern das Feuer auf die Gruppe Soldaten eröffnete.
    Ohne sich besondere Mühe um die Treppe zu machen, sprang Norazul fünf Stufen auf einmal hinab und landete neben Grossmeisterin Kuju.
    „Na, Du scheinst Dich ja amüsiert zu haben“, sagte sie und riss den Pfeil aus Norazuls Schulter.
    „Wo sind deine Adjutanten?“ fragte Norazul und diese Frage schien die Grossmeisterin zu iritieren.
    „Rakas ist am Osttor und treibt die Armee ins Meer und Gorhan kontrolliert die Kanalisation“, sagte sie.
    „Oh, Scheisse!“

    Gorhan Blooddrinker kam ausser Atem angerannt und bremste überrascht ab, als er in der Gruppe um Grossmeisterin Kuju, Norazul Lifetaker und Kiágara Fleshreaper stehen sah.
    „Hey! Habt Ihr zwei es geschafft? Den Fünf Göttern sei Dank!“
    „Ja“, antwortete Norazul, dem Pai Din eine Schulterwunde heilte, „und wir bringen ziemlich unglaubliche Neuigkeiten mit.“
    „Ich auch“, sagte Gorhan, „die Kanalisation ist sauber, aber wir müssen sofort zum Osttor, Grossmeisterin. Es steht kurz davor, durchbrochen zu werden und Rakas braucht alle entbehrlichen Gildenkrieger dort!“
    „Das dachte ich mir!“ knurrte Kuju. „Also los! Im Laufschritt!“
    Zweihundert Gildenkrieger stürmten los und Norazul rannte neben Gorhan.
    „Was hattest Du denn in der Kanalisation zu schaffen?“ fragte Norazul, seinen Zweihandstab in einer Hand haltend.
    „Einige Cantha-Schiffe sind im Hafen gesunken und ich habe nachgesehen, ob deren Truppen vielleicht versucht haben könnten, durch die Kanalisationsgitter im Hafen ins Kloster zu kommen“, antwortete Gorhan und Norazul schlug ihm auf die Schulter.
    Einhundert der Gildenkrieger brachen nach rechts aus und rannten zur Hafenmeisterei.
    „Wo wollen die denn hin?“ fragte Gorhan und schrie überrascht auf, als ihm Norazul im Laufen seinen Stab zwischen die Beine schlug und ihn so zu Fall brachte.
    Die restlichen Gildenkrieger rannten weiter, aber die Grossmeister der Orden, Meisterin Satsume und Norazul samt dessen Gefährten blieben bei Gorhan stehen.
    „Diese Gildenkrieger sehen in der Kanalisation nochmal nach, ob sie vielleicht Kanalratten finden“, sagte Norazul eisig und plötzlich erklang aus Richtung der Hafenmeisterei Geschrei und Kampflärm. „Und prompt sind sie fündig geworden.“
    „Was soll das?“ fragte Gorhan Blooddrinker aufstehend und Grossmeisterin Kuju lächelte, als sie eine Pergamentrolle überflog.
    „Mein lieber Junge“, sagte sie, den Blick nicht hebend, „bei Deiner Einkaufsliste weiss man ja gar nicht, ob Du Hobby-Botaniker, Hobby-Chemiker oder Hobby-Assassine bist. Stimmt´s Yulan Teradij?“
    Der Nekromant zuckte zusammen, als er seinen Geburtsnamen aus dem Mund der Grossmeisterin hörte.
    „Einen schriftlichen Kaufvertrag für die Materialien zu einem Massenmord aufzusetzen, ist dumm“, raunte Norazul, „diese Materialien bei einem Nekromanten zu kaufen, der einer meiner ältesten Freunde Olias ist, ist Pech. Mit orrianischem Platin zu zahlen, ist ungewöhnlich.“ Seine Stimme wurde so kalt, wie die Eiskristalle auf seiner Rüstung. „Aber meine eigene Schülerin eines politischen Mordes zu beschuldigen, um einen Krieg loszubrechen, ist eine Schweinerei!“
    „Was ist Deine kleine Hure schon im Vergleich zu den Plänen der `Söhne von Arah´?“ knurrte Gorhan/Yulan und für das Wort „Hure“ hätte ihm Norazul am liebsten den Schädel eingeschlagen, doch Sousuke fragte: „`Söhne von Arah´?“
    „Ja, genau, Arah“, fauchte Gorhan, „die Hauptstadt von Orr! Dem Königreich, das von den Gildenkriegern im Krieg gegen die Charr vernachlässigt und zerstört wurde.“
    „Durch die Dummheit des Weisen des Königs von Orr selbst“, konterte Sousuke und am liebsten hätte Gorhan sich auf ihn gestürzt.
    „Du hast noch einen weiteren Fehler gemacht“, ging Norazul dazwischen, „als diese schleimige Ratte von Chefinvestigator Kiágaras Geburtsnamen genannt hat“, er legte eine Hand um ihre Taille, „habe ich mir den Kopf zermartert, woher er ihn kennen konnte, zumal er sich mit seinen `Quellen´ verplappert hat. Ich und nur ich als Meisterarchivar hatte den Schlüssel zum `Folianten Des Todes´ und seit den sechzehn Jahren, in denen ich dieses Amt bekleide, habe ich ihn nie abgelegt!“ Er holte einen schweren Schlüsselbund aus seinem Umhang hervor und liess ihn wieder verschwinden. „Bis auf eine Ausnahme: als ich das Verbotene Buch des Hardim gelesen und sechs Tage im Koma gelegen habe. Du“, er deutete mit seinem Stab auf Gorhan, „hast die ersten zwei Nächte die traditionelle Ehrenwache für mich gehalten, weil niemand wusste ob ich überlebe, und somit hattest Du Zugriff auf alle Schlüssel und die geheimen Unterlagen!“
    Gorhan setzte zu einer Frage an, aber da würgte Norazul ihn mit einer Geste ab. „Ja, ich weiss! Kiágara ist erst seit zwei Jahren bei uns, aber sie hat bereits in ihrer Kindheit so viel Talent bewiesen, dass ihre Zukunft seit damals insgeheim besiegelt war!“
    „Hast Du eine Ahnung, wie lange es für meine Brüder allein gedauert und was es gekostet hat, das Verbotene Buch des Hardim für Shing Jea zu beschaffen?“ fragte Gorhan und Kuju und Norazul sahen sich an, aber Gorhan sprach weiter. „Selbst, wenn es fünfhundert Jahre dauern sollte, werden die `Söhne von Arah´, die letzten Orrianer, die arroganten Gildenkrieger und die schwachen Nationen dieser Welt ausrotten und uns unser neues Reich erschaffen!“
    „Leider nur“, sagte Kuju mit kaltem Blick, „wird nicht mehr viel Zeit vergehen, bis Du und der Chefinvestigator vor den Kaiserlichen Scharfrichter stehen werden und danach warten Strick oder Henkerschwert.“
    Gorhan lachte verächtlich. „Der Chefinvestigator ist in Kaineng und berichtet von den Grausamkeiten, die die Gildenkrieger seiner Armee antun und dann wird es ein leichtes sein, diesen Vertrag als eine Fälschung abzustempeln“, er kicherte gehässig, „ausserdem habt Ihr Gildenkrieger offiziell das Anwesen des Ministers niedergebrannt, so dass sich keine Beweise mehr finden lassen. Weder für, noch gegen Euch.“
    Gorhans Lachen erstarb, als sich Kiágara aus Norazuls Griff befreite und auch dieser schaute verblüfft zu, wie die Nekromantin die Arme in den Himmel erhob, die Augen schloss und in die Knie ging. Sie beugte das Kreuz durch und als sie diese Bewegung zweimal wiederholt hatte und wieder auf die Füsse kam, standen drei durchsichtige Geister um sie herum.
    „Als Eure Armee auf das Anwesen zumarschierte, habe ich“, sie deutete reihum auf die Geister, „Yeedun, Farhad und Heskan an den Tatorten im Anwesen beschworen, damit sie, als ehemalige Chefinvestigatoren vergangener Jahrhunderte, die Tatorte nochmals sichten und auch hinterher beeiden können, wer das Anwesen niederbrannte.“ Sie blickte zu den Geistern. „Habt Ihr alles, was Ihr wissen wolltet?“
    Jeder der Geister nickte.
    „Wann bist Du denn nebenbei noch Ritualistin geworden?“ fragte Norazul verdutzt und blickte die Geister an, die diese Versammlung interessiert beobachteten.
    „Sie hat sich nur an die Anweisung ihres Lehrmeisters gehalten, Norazul Lifetaker“, sagte Grossmeisterin Quin vom Orden der Ritualisten lächelnd, „dass der Schüler erst soviel lernen soll, wie er kann, bevor er seinen Meister erstmals in die Welt begleitet.“ Die humorvolle Grossmeisterin winkte beschwichtigend ab. „Aber seid unbesorgt, mein Freund. Kein Ritualist hat in Eurem Revier gewildert.“
    „Äääh… „ begann der Nekromant und Kuju sagte lächelnd: „Das ganze Kloster weiss es jetzt schon und ausserdem“, sie deutete auf die Hälse von Norazul und Kiágara, „sind Eure identischen Verlobungsketten ja nicht zu übersehen.“
    Ein heller roter Stern erschien neben der Gruppe, weitete sich zu einem rot leuchtenden Tor aus und plötzlich standen sechs Sonnenspeere, einer von ihnen ein Magier mit noch leuchtendem Zauberstab, auf dem Hof.
    In rascher Folge öffneten sich dutzende solcher Tore und über dreihundert Sonnenspeere standen im Hof von Shing Jea. Einige begannen sofort, bei den Löscharbeiten zu helfen.
    „Es tut uns leid, dass wir nicht schneller kommen konnten“, sagte ihr Anführer, Kastellan Puuba, und gab Norazul die Hand, „aber der Nekromant Olias musste erst unsere Magier einweisen.“
    „Olias?“ fragte Norazul überrascht, da entstand ein weiteres Tor und der grinsende Olias warf, umgeben von sechs Elitekriegern der Kaiserlichen Leibgarde, die Arme in die Luft.
    „Schade, jetzt habe ich alles verpasst, aber ich hatte einen engen Zeitplan.“ Sein Blick fiel auf den bebenden Gorhan Blooddrinker und er sprang lachend auf ihn zu klopfte ihm kräftig mit der linken Hand auf die Schulter. „Ha!“ jubelte er, „mein bester und liebster Kunde! Kann ich bescheidener Händler etwas für Euch tun? Rindenextrakt von Maguma-Blutlianen vielleicht? Oder Balthasar-Wasser von der Feuerinsel? Richtig behandelt ein potenter Sprengstoff.“
    Mit einem wütenden Knurren stiess Gorhan Olias weg, was dieser mit einem lockeren „Dann eben ein Andermal“ quittierte.
    „Was treibt Dich hierher?“ fragte Kuju den Nekromanten und er machte eine allumfassende Handbewegung.
    „Das alles hier“, sagte er. „Als Norazul plötzlich vor meiner Höhle stand und mir erzählt was passiert sei und wonach er suche, habe ich“, er tippte an seinen Kopf, „mal das hier spielen lassen. Ich habe mir gedacht, dass wenn jemand die Regierungen dieser Welt gegen die Gildenkrieger aufstacheln würde, dann würden die Verantwortlichen bereits an kaiserlichen, königlichen und fürstlichen Höfen herumschleichen und Lügen verbreiten. Deshalb habe ich das Teleport-Tor selbst benutzt, bin nach Istan zur Grossen Halle der Sonnenspeere gereist und habe den Generälen und Kastellanen erzählt, was ich denke und tatsächlich: bereits in Elona brodelte es. Na, immerhin habe ich ihren Magiern gezeigt, wie die Runen-Technik funktioniert und bin sofort weiter nach Kaineng, um dort nach dem Rechten zu sehen.“
    Gorhan Blooddrinker wurde bleich, während Olias unbekümmert weitersprach. „Da mich der Oberste Minister des Kaisers prompt am Ende meiner Worte wollte meucheln lassen, hat sich der Kaiser selbst eingeschaltet und siehe da: er hat dafür sogar seine laufende Audienz mit seinem Chefinvestigator von der Klosterinsel unterbrochen und hat sich meine Version angehört und meine Beweise angesehen. Am Ende wurden der Oberste Minister und der Chefinvestigator in Ketten ins Untergeschoss des Palasts gezerrt. Vielleicht schaue ich morgen im Kerker auf einen kleinen Happen vorbei.“
    „Was ist mit den anderen Nationen?“ fragte Meisterin Satsume und Kastellan Puuba antwortete prompt. „Darum, verehrte Meisterin, haben wir Sonnenspeere uns gekümmert. Nachdem Meister Olias unsere Magier in der Kunst der Runen-Teleportation unterwiesen hat, haben wir die grössten Helden unter den Gildenkriegern kontaktiert und informiert, damit sie Führer der einzelnen Nationen warnen.“ Er zählte an seinen Fingern ab. „General Morgahn ist nach Kourna unterwegs, Gwen nach Ascalon, Koss der Prächtige ist in Vaabi, Meistermagier Vekk ist bei den Asura und so weiter und so fort. Wir gehen davon aus, dass die Kriegstreiber mittlerweile in die Kerker gehen.“
    Gorhans schallendes Gelächter liess wieder alle Augen zu ihm blicken. „Denkt Ihr dreimal verfluchten Narren wirklich, dass die `Söhne von Arah´ so leicht aufzuhalten sind? Ein kleiner Rückschlag, weiter nichts! Rein gar nichts!“ Die Hände in den Taschen, senkte er den Kopf und schüttelte ihn. „Aber keine Sorge“, der Nekromant blickte zu Olias hinüber, „Dank Eures Talents, Verräter, werdet Ihr keinen weiteren von uns lebend bekommen!“
    Die Elite-Leibwächter stürmten nach vorne und auch Norazul und die anderen wollten ihn aufhalten, aber Gorhan Blooddrinker, oder eben Yulan Teradij, hatte bereits die kleine Glasphiole in den Mund gesteckt und zerbissen.
    Er schwankte leicht, geriet ins Stolpern… und nichts weiter passierte!
    Prompt hatten ihn die Kaiserlichen Elite-Leibwächter gepackt und Norazul und Kiágara standen vor dem verdutzten Mann.
    „Wie kann das sein? Eisblumen-Sud ist absolut tödlich!“ stammelte Gorhan und mit einem lauten „Oh je!“ schlug sich Olias, der als Einziger stehengeblieben war, mit der flachen rechten Hand gegen die Stirn.
    „Ich glaube“, sagte er und hob die linke Hand, „ich habe statt meinem Giftring, aus Versehen meinen Gegengiftring mitgenommen. Ich Schussel, ich.“ An Olias´ linkem Ringfinger steckte ein prachtvoller Goldring, mit einer nach unten gerichteten kleinen Nadel. „Aber das Schulterklopfen“, sagte er und deutete auf Gorhans Schulter, „kam von Herzen.“
    Der `Sohn von Arah´ begann vor Zorn und Verzweiflung zu brüllen und kämpfte so sehr gegen die ihn haltenden Leibwächter an, dass die Männer ihn kaum bändigen konnten.
    „Verzeiht bitte, verehrte Leibwächter“, sagte Kiágara und trat mit Norazul vor die Leibwächter, die sich gegen ihren Gefangenen stemmten und mit knallrotem Kopf beruhige sich Gorhan kurz.
    „Auch wenn ich meines kaum noch nutze, kommt das hier auch von Herzen“, sagte Kiágara und trat dem verräterischen Nekromanten mit solcher Wucht in den Schritt, dass dieser zwei Zoll in die Luft hüpfte und zusammensackte.
    Dabei traf ihn Norazuls rechter Haken an der Schläfe.
    „Und der hätte bei meinem Ableben damals mein Nachfolger werden sollen!“
    Einige der Umstehenden lachten und einige andere applaudierten sogar.
    „Jetzt, wo das wohl zur allegemeinen Zufriedenheit gelöst wurde“, sagte Kastellan Puuba, „müssen wir sofort jemanden zu den Kommandanten der canthanischen Armee schicken und die Sache beilegen, bevor… „
    Von den übel zugerichteten Zinnen des Klosters rief ein Waldläufer in den Hof hinab: „Meisterin Satsume! Meisterin! Die canthanische Armee! Sie haben die Waffenstillstands-Fahnen gehisst und ziehen sich zurück! Eine kleine Gruppe marschiert auf das Kloster zu und sie führen das Parlamentärs-Banner!!“
    „Heisst es das, was ich denke, dass es heisst?“ fragte Crassus von Ascalon und nahm seinen Helm ab.
    Wenige Sekunden später hallten das Kloster von Shing Jea vom Haupttor im Westen bis zum Hafen von Seitung vor lautem Gejubel wider.
    Zwischen dieser Freude und den sich einander umarmenden oder abklatschenden Gildenkrieger marschierten Norazul Lifetaker und Kiágara Fleshreaper Arm in Arm auf das Nekromanten-Archiv zu.
    Es war zwar noch nicht einmal Mittagszeit, aber für den Rest des Tages und der Nacht würde das Archiv geschlossen bleiben.

    In den folgenden Tagen begann man mit den Reparaturarbeiten am Kloster und die Heiler des Klosters bemühten sich nach besten Fähigkeiten, den Verletzten – Freund wie Feind – zu helfen. Der General der Canthaner berichtete von den Marschbefehlen in Kaineng, die die Expeditionsarmee in Marsch schickte, Tage bevor das Blutbad im Anwesen des Ministers überhaupt stattgefunden und man Kiágara denunziert hatte.
    Schliesslich schiffte die canthanische Armee in Seitung wieder ein und machte sich, hinter den bereits beidrehenden Schlachtschiffen der canthanischen Flotte, auf den Weg zurück nach Kaineng.
    Angeführt würde der Konvoi aus achzig Schiffen von drei schnellen Fregatten in Keilformation, die durch die Wellen pflügten.
    An Backbord die `Drache von Ascalon´, an Steuerbord die `Stolz von Löwenstein´ und vor ihnen, unter vollen blutroten Segeln, die `Goldener Stern´.



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    GOTO Norazul - 11.07.2008, 17:36


    VIII – Hero Villain

    „Norazul Lifetaker, begebt Euch nunmehr vor uns!“
    Der Nekromant erhob sich von seinem Ledersessel und seine schweren Stiefel erzeugten ein Echo und Eiskristalle auf dem Boden der Halle.
    Der Halle des Obersten Kaiserlichen Gerichtshofs von Kaineng.
    Seine Rüstung war auf Hochglanz poliert und man hatte ihm einen Gildenumhang aus feinster Seide und widerstandsfähigen Stoffen aus aller Welt auf den Leib geschneidert. Er trug sämtliche Abzeichen, die, entweder in die Rüstung geschmiedet, oder als Tressen von der Schulter hängend, seine Ränge und Titel verkündeten.
    Das Einzige, was ihn an seiner Kleidung interessierte, war seine Verlobungskette.
    Der Gerichtssaal war riesig, mehr als doppelt so gross, wie die Magier-Archive von Shing Jea, die noch grösser als das Nekromanten-Archiv waren.
    Zu seiner Linken sassen die sechs Ankläger und drei Nebenkläger, alle, bis auf die Nebenkläger, in prächtige Roben gekleidet und mit neutralen, ausdruckslosen Gesichtern.
    Die Nebenkläger waren Tien May, der den Titel Chefinvestigator nicht mehr tragen und auch während der Verhandlung nicht benutzen durfte. Man hatte seine abgetrennte Hand nicht wieder heilen können, also hatte man die andere schwere Eisenhandschelle an eines seiner Stuhlbeine gekettet.
    Alle Nebenkläger hatte man ins Eisen gelegt.
    Der andere Nebenkläger war Yulan Teradij, ehemals Gorhan Blooddrinker. Er trug, wie Tien May, ein Gewand aus dreckigen roten Sackleinen, dass ihr Einsitzen im Gefängnis des Scharfrichters zur Schau stellte. Norazul wusste nicht, was für ihn schlimmer gewesen sein mag. Das Ritual, in dem man seine exquisite Sektierer-Rüstung vor allen versammelten Gildenkriegern Shing Jeas eingeschmolzen hatte? Man hatte das gesammelte Material auch nicht wieder ins Lager gebracht, sondern, als Geste des ewigen Ausschlusses aus dem Orden der Nekromanten und der Gildenkrieger, im Meer versenkt. Oder das Ritual, dem neben Norazul nur Grossmeisterin Kuju in den Archiven zugegen war, bei dem der Meisterarchivar den `Folianten des Todes´ aus einem zehnfach verriegelten Schrank, sowie eine klare Flüssigkeit in einer kleinen Phiole holte und mit einem Federkiel in exakter Kopie des damaligen Eintrags die Namen Yulan Teradij und Gohran Blooddrinker nachzeichnete? Beide Namen verschwanden aus dem Buch.
    Wer anscheinend mit einem schartigen Schlachterbeil die Tätowierungen aus Teradijs Gesicht entfernt und eine entzündete, blutige Masse zurückgelassen hatte, wusste Norazul nicht.
    Und es war ihm auch egal.
    Der dritte Nebenkläger war der ehemalige Oberste Minister des Kaisers, auf dessen Befehl Tien May und Teradij gehandelt hatten und der sich als einer der Anführer der `Söhne von Arah´ herausstellte.
    Mit ihm hatte Norazul nichts zu schaffen gehabt, ausser, dass sie beide sich vor Jahren einmal kurz getroffen hatten, aber der Oberste Minister, Kenbo Gati war sein Name, war sowieso nur noch pro forma anwesend. Neben Olias und Grossmeisterin Kuju hatten die besten Nekromanten, Ritualisten und Folterknechte den Verstand des Mannes sequestriert und jedes, aber auch wirklich jedes Geheimnis geborgen.
    Wieviele `Söhne von Arah´ es gab, wo sie ihre Verstecke hatten und auch wieviel Gold und Material ihnen noch zur Verfügung stand.
    Die geistigen Schäden waren unheilbar, aber das Gericht hatte darauf bestanden!
    Zu Norazuls Rechten befanden sich seine beiden Verteidiger und – gemäss den Gildengesetzen – fünf hochrangige Gildenkrieger in ihren prächtigsten Rüstungen.
    Ebenfalls laut Gesetz durfte er niemanden zuvor näher gekannt haben, aber das war in dieser Welt nicht schwer.
    Gegen ihre Abzeichen und Titelmarkierungen sah seine Rüstung unscheinbar aus.
    Es waren eine Kriegerin und eine Nekromantin aus Tyria, ein Assassine und ein Heiler aus Cantha und ein Derwisch aus Elona, die seinen Erzählungen gelauscht hatten und ob der Unvorstellbarkeit der Verschwörung zur Vernichtung der Gildenkrieger streckenweise Schwierigkeiten hatten, einen kühlen Kopf zu bewahren.
    Norazul schritt jetzt auf das zur Mitte hin immer höher werdende Marmor-Podium unter dem Wappen Canthas zu. Auf der obersten Ebene sassen die drei Obersten Kaiserlichen Richter, in Gewänder aus Jadegrün und Gold gekleidet. Sie waren in ganz Cantha nur dem Kaiser Rechenschaft schuldig. Links davon, auf der tieferen Ebene, die Provinzrichter aus Shing Jea und Kaineng, rechts jene aus dem Jademeer und dem Echowald. Jeweils in ihren traditionellen Gewändern. Auf der tiefsten Ebene zwar, aber immer noch so weit über dem Mamorboden, dass man zu ihnen aufsehen musste, zu beiden Seiten je drei aus dem Volk bestellte Schöffen.
    Obwohl er sie, als er auf dieses Podium zuschritt, nicht sehen konnte, spürte er die Anwesendheit seiner Gefährten in seinem Rücken. In den Zuschauerrängen, die für fünfhundert Personen ausgelegt waren, sassen alle Gefährten, mit denen er jemals auf dieser Welt unterwegs gewesen war. Alle bis auf Koss, denn der hatte etwas vorzubereiten.
    Vor dem Holzgeländer standen fünf Gildenkrieger in zeremonieller Kleidung und jeder trug eine Waffe auf einem Seidenkissen.
    Es waren die Waffen, die Norazul Lifetaker in seinem bisherigen Leben geführt hatte und die Tatsache, dass vier dieser Waffen von Grossmeistern getragen wurden, war noch nie vorgekommen.
    Grossmeisterin Lee, links aussen, trug seine Sicheln und ihr direkt gegenüber Grossmeisterin Amara mit einem einfachen Mönchsstab. Neben Amara stand Grossmeister Greico mit einem goldenen Langbogen. Neben Lee stand Grossmeister Sousuke mit einem Feuermagie-Stab, samt Juwelenkelch.
    In der Mitte stand Kiágara Fleshreaper und sie trug als einzige zwei Waffen nicht auf Kissen, sondern in den Händen. Den Stab des Todesmagiers Ghial Bonedancer und die goldene Seelenzacke.
    Kiágaras Augen leuchteten vor unverborgener Wut, aber sie würde sich beherrschen.
    Sie war zwar vollumfänglich freigesprochen worden, aber dann hatte Tien May, damals noch als beurlaubter Chefinvestigator, seinen letzten Trumpf ausgespielt.
    Bei dem Versuch, Kiágara in Shing Jea zu verhaften, hatte Norazul vor seiner Befreiungsaktion darauf hingewiesen, als ihr Lehrer für sie verantwortlich zu sein, also hatten Tien Mays Anwälte erklärt, dass Norazul selbst für dieses Blutvergiessen und die Schlacht als Hauptschuldiger verantwortlich zu machen sei!
    Unter dem Protest der anwesenden Gildenkrieger, die fast zu einem diesmal echten Krieg zwischen den Gilden und Cantha geführt hätte, führte man Norazul in den Inneren Palast ab.
    Keine der Wachen hatte es aber gewagt, ihn anzurühren.
    Ohne Waffen und Rüstung und dem kribbelnden Gefühl im Hinterkopf, dass eine Armee Mesmer ihn blockierte, fand sich der Nekromant unter Stubenarrest in Gemächern wieder, die selbst einen vaabischen Fürsten vor Neid hätten erblassen lassen.
    Die Anwälte und seine Gilden-Fürsprecher waren im gleichen Gebäude untergebracht, aber seine Kameraden durften ihn in den folgenden zehn Tagen nicht sehen.
    Jetzt schritt Norazul Lifetaker durch die Halle eines Tribunals, wie es in dieser Magnitude selten eins in der canthanischen Geschichte gegeben hatte.
    Da er es mit dreizehn Richtern und Schöffen zu tun hatte, blieb er dreizehn Schritte vor dem Richter-Podium stehen und knallte im offiziellen Gruss die Hacken seiner Stiefel zusammen und schlug mit der rechten Faust gegen seinen linken Schulterpanzer.
    In der Stille klang es wie ein Schuss, auf den ein Klirren folgte.
    Norazul verbeugte sich respektvoll, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und blickte mit nichtssagendem Blick zu den Richtern empor.
    Die drei Richter erhoben sich simultan und traten einen Schritt vor.
    „Norazul Lifetaker“, sprach der mittlere Richter, „geboren im canthanischen Jahr 828 im Tempel der Zeitalter in Tyria. Seit nicht mehr ermittelbarer Zeit als Gildenkrieger im Orden der Nekromanten tätig. Seit siebzehn Jahren in Shing Jea auf der Klosterinsel als Meisterarchivar der Nekromanten-Archive tätig. Dieses Gericht legt Euch, nach der ausführlichen Anhörung aller beteiligter Parteien folgendes zur Last.“ Der Richter entrollte eine ziemlich lange Schriftrolle.
    „Widerstand gegen einen vom Kaiser persönlich bestellten Vertreter der Justiz, sowie die mutwillige Verstümmelung eben jenes besagten Vertreters.
    Mord an siebzehn kaiserlichen Soldaten, eines Agenten der kaiserlichen Leibwache, sowie die Verstümmelung, schwere oder leichte Körperverletzung von einundsechzig weiteren Soldaten wärend der Flucht vor den legitimen Vertretern der canthanischen Justiz und der canthanischen Armee.
    Vorenthaltung einer legitim des Mordes in achtundsechzig Fällen, zweiundsechzig von diesen durch Gift, verdächtigten, aber weder angeklagten, noch verurteilten Person namens Kiágara Fleshreaper.
    Aufwiegelung der fünfhundertdreizehn Gildenkrieger, die sich in Shing Jea befanden.
    Anstiftung zum bewaffneten Widerstand eben jener Gildenkrieger gegen die Armee Canthas.
    Aus diesem Grunde schuldig am Tod von insgesamt zweitausendvierhundertundneunundneunzig Soldaten und Offizieren der Armee Canthas, die nicht mehr wiederbelebt werden konnten.
    Der mutwilligen Zerstörung von canthanischem schweren Kriegsgerät im Wert von zusammengerechnet einhundertfünfzig Barren Platin, zusammen mit der Assassinin Ilarya Deathwynd, deren Fall gesondert behandelt wurde.
    Abschliessend der Zerstörung von acht Truppenkreuzern der canthanischen Flotte im Wert von je zweihundertfünfzig Barren Platin.“
    Der Richter rollte die Schriftrolle zusammen, der linke Richter ergriff das Wort.
    „Man hat die Anklage gehört, ihre Zeugen vernommen und die Beweise gewürdigt.“
    „Man hat die Verteidigung gehört, ihre Zeugen vernommen und die Beweise gewürdigt“, wiederholte der rechte Richter.
    „Norazul Lifetaker“, sprach der mittlere Richter erneut, „wie bekennt Ihr Euch zu den Anklagepunkten, die dieses Gericht verlesen hat?“
    Der Gerichtssaal war leiser als das Nekromanten-Archiv.
    „Schuldig in allen Punkten der Anklage.“
    Das Echo von Norazuls Aussage ging im aufbrausenden Tumult unter. Seine Verteidiger sprangen auf und riefen ihm zu, ob er wahnsinnig sei und seine Fürsprecher tauschten überraschte Blicke aus.
    Die Ankläger lachten überrascht auf und nur der ehemalige Oberste Minister reagierte nicht.
    Hinter Norazul mussten Sousuke und Greico die Waffen fallen lassen, um Kiágara zu Boden zu zwingen.
    Norazul Lifetaker rührte sich keinen Millimeter.
    „RUHE“
    Die Stimme war sowohl akustisch, als auch magisch und sie verfehlte ihre Wirkung nicht.
    Es wurde totenstill, als die Anwesenden sich nach der Quelle umsahen.
    Keiner der Richter hatte den Mund bewegt, doch der Mittlere von ihnen entrollte eine erneute Schriftrolle, während ein Gerichtsdiener neben das Podium trat.
    „Norazul Lifetaker. Ihr habt Euch in allen Punkten für schuldig befunden. Vernehmt nun Euer Urteil. Für die von Euch begangenen Taten sieht seit der Gründung der canthanischen Dynastie das Gesetz nur eine Strafe vor. Die Todesstrafe.“
    Jetzt mussten auch noch die Grossmeisterinnen Lee und Amara die ausrastende Kiágara auf dem Boden festhalten, damit sie nicht die Richter ermordete.
    Die Zuschauer im Saal, vor allem Norazuls Kameraden, tobten.
    „RUHE“
    Es wirkte erneut sofort und der Richter sprach weiter.
    „Aufgrund der geprüften Beweise beider Seiten, sowie die sich daraus ergebende politische, kulturelle und wirtschaftliche Situation für die Nationen Canthas… „er machte eine Pause“ …wird die Todesstrafe ausgesetzt.“
    Die vier Grossmeisterinnen und –meister wären fast davongeflogen, als Kiágara mit unmenschlicher Kraft auf die Beine sprang. Sie knisterte vor Energie, aber auch Überraschung. Die Kläger und Nebenkläger brüllten ihre Entrüstung heraus.
    Der Richter sprach weiter.
    „Die Todesstrafe wird daher in Verbannung aus Cantha umgewandelt.
    „Da diesem Gericht die lange Lebensspanne der Gildenkrieger im Allgemeinen und die extrem lange Lebensspanne der Nekromanten im Besonderen, bekannt ist, wird die Verbannungszeit auf fünfhundert Jahre festgesetzt.“
    Die Grossmeister aus Shing Jea und canthanische Kameraden von Norazul tauschten besorgte Blicke aus.
    „Es wird dem Verurteilten lediglich gestattet, sich innerhalb der Mauern des Klosters von Shing Jea auf canthanischem Grund und Boden aufhalten zu dürfen“, Sousuke drehte sich nach hinten um und schüttelte Grossmeisterin Kuju die Hand, „es sei denn, Er befindet sich auf einer Mission, die direkt vom Kaiserpalast erteilt wurde. Sollte der Verurteilte vor Ablauf der fünfhundert Jahre auch nur einmal ohne kaiserlichen Auftrag ausserhalb der Klostermauern aufgegriffen werden… so wird die Todesstrafe unverzüglich vollstreckt!“
    Der Richter liess das wirken. Ein Raunen ging durch den Saal.
    Norazul hatte sich noch immer nicht bewegt.
    „Um die Fähigkeit des Verurteilten zu prüfen, sich an dieses Urteil zu halten, wird er hiermit mit einer Mission auf Probe betraut, die er zur vollumfänglichen“, der Richter betonte das Wort mit einem erhobenen Finger, „Zufriedenheit des Kaisers zu erfüllen hat.“
    Der Richter machte ein Zeichen und der Gerichtsdiener trat respektvoll auf Norazul zu, der sich jetzt erstmals bewegte, wobei kleine Eissplitter von seiner Rüstung rieselten.
    Er verbeugte sich leicht vor dem überraschten Diener und akzeptierte den schwarzen Marmor-Zylinder mit dem kaiserlichen Wappen von Cantha mit beiden Händen.
    Er drehte sich tonlos zu den Richtern um und verbeugte sich tiefer.
    Niemand bemerkte, wie in der Verbeugung Norazuls Blick auf das canthanische Kaiserwappen fiel und weder das kurze Aufblitzen seiner Augen, noch das sekundenbruchteile andauernde Lächeln fiel auf.
    Als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht erneut eine unbewegliche Maske und er trug den Zylinder unter dem linken Arm geklemmt.
    Der Richter sprach weiter.
    „Da der Verurteilte keinen Einspruch zu erheben scheint, kommt dieses Gericht zur Abschluss-Klausel. Diese Sitzung endet mit dem dritten Gongschlag und die in anderer Sache inhaftierten Nebenkläger sind unverzüglich und direkt dem Kaiserlichen Scharfrichter vorzuführen. Dort werden alle weiteren Fragen geklärt.“
    Der Gong hinter dem Podium erklang einmal und bis auf den ehemaligen Obersten Minister sprangen alle Kläger auf und fingen an, lautstark zu protestieren.
    Ein zweiter Gongschlag und ohne eine Bewegung der Richter traten die Gerichtswachen an die Kläger heran und zwangen sie auf ihre Sitze.
    Auf der anderen Seite berieten sich Verteidiger und Fürsprecher untereinander und quittierten das Urteil mit Kopfschütteln.
    Der dritte Gongschlag fiel und Norazul machte auf dem Absatz kehrt.
    Er verlor fast den Marmor-Zylinder, als Kiágara in seine Arme flog und seine Rüstung mit schwarzen Tränen zu befeuchten begann.
    Seine Weggefährten und Freunde wollten ihn mit Fragen bedrängen, aber beim Anblick des Arm in Arm stehenden Paares stufte jeder von ihnen Diskretion und Privatsphäre als der Neurgierde überlegen ein.
    Aber es war ein weiter Weg vom Raisu-Palast zum Bejunkan-Pier – zumindest, wenn es darum ging, Fragen zu stellen.
    In der Zwischenzeit mussten die Gerichtswachen selbst die normalen Kläger mit Klingen an den Hälsen durch die Seitentür herausbefördern, damit sie Ruhe gaben.
    Norazul hielt Kiágara solange fest, bis sie zu schluchzen aufgehört hatte und streichelte ihr mit der freien Hand durchs Haar.
    „Was…“, fragte sie und hustete krampfhaft, „was sollte das denn? Ich dachte, Du wärst verrückt geworden.“ Sie trommelte mit den Fäusten gegen seinen Brustpanzer.
    „Ich dachte, Du liebst mich nicht mehr!!“ schrie sie ihn an und sein dünnes Lächeln heizte ihre Rage noch an.
    Sie würde ihn töten! Irgendwann!!
    Sobald sie mit dem erneuten Heulkrampf fertig war!!!
    Anstelle einer Antwort hielt er ihr danach den Marmorzylinder vor die Augen und sie riss ihn ihm rüde aus den Händen. Sie schraubte den Deckel auf, zog die Pergamentrollen heraus und entrollte sie.
    Der Wortlaut beider war identisch.
    Ihre Augen wurden riesig und ihr Unterkiefer klappte herab und begann zu zittern.
    Sie blickte Norazul an, unfähig, nur einen Ton zu sagen und fühlte den Boden unter sich schwanken, als er mit einer speziellen Handbewegung das kaiserliche Wappen von dem Zylinder entfernte und umdrehte.

    Auf die Entfernung für niemanden im Gerichtssaal sichtbar, gab es ein kleines Gitterfenster im grossen Wappen Canthas über dem Richterpodium. Der Mann, der die stundenlange Gerichtsverhandlung beobachtet hatte, sah nun Norazul Lifetaker und der lachenden Kiágara Fleshreaper zu, wie sie Arm in Arm den Gerichtssaal verliessen.
    Er trat von dem Gitterfenster zurück und ein Bediensteter eilte aus seinem respektvollen Abstand heran und schloss das Fenster, bevor er zurück auf Abstand ging.
    Der Mann war von Kopf bis Fuss in teuerste zeremonielle Gewänder aus dunklem Pupur mit schwarzen Bestickungen gekleidet und er war derjenige, mit dem Norazul nach dem Empfang für einen Wimpernschlag Augenkontakt hatte.
    Als der Mann sich erhabenen Schritts entfernte und mit dem Siegelring am Finger spielte, klimperten die goldenen Medallions, die er über seinen Gewändern trug.
    Eines der Medallions war das Wappen Canthas, in das aber auch die Abzeichen von Shing Jea, Kaineng, Luxon und Kurzick eingraviert waren.
    Das andere Medaillon trug das Wappen der kaiserlichen Familie von Kaineng.
    Und das durfte nur der Kaiser selbst tragen.

    Die Schlacht war geschlagen, der Krieg in seinen Ansätzen erstickt.
    Auf beiden Seiten gab es die Söhne und Töchter von trauernden Eltern.
    Auf beiden Seiten gab es die Väter und Mütter von trauernden Kindern.
    Aber so war die Welt eben.

    Die Welt jener, die morgens aufstanden und ihr Tagwerk verrichteten, um abends wieder in ihre Häuser zurückzukehren.
    Die Welt jener Individuen, die sie beschützten und neben ihnen in den Krieg zogen.

    DIE WELT DER GILDENKRIEGER



    Re: FanFiction - Shining Darkness

    GOTO Norazul - 11.07.2008, 17:41


    Epilogue – Vast Shores Of Gold

    Norazul Lifetakers Augen hätten, würden sie nicht bereits grell leuchten, boshaft gefunkelt, als er die dünne Klinge hob.
    Ihm gegenüber fand sich im Gesicht Kiágara Fleshreapers eine ähnliche Situation, als sie tänzelnd ihre Klinge in der Hand wirbeln liess.
    Das war es also, wohin alles geführt hatte!
    So endete also ihre gemeinsame Vergangenheit und Zusammenarbeit!!
    Wo sie unlängst noch Seite an Seite durch Horden von Gegnern gewatet und mit ihrer Todesmagie und ihren Flüchen die Seelen geerntet hatten, da standen sie sich jetzt Auge in Auge, Klinge in der Hand, auf dem warmen Sandsteinboden gegenüber!!!
    „Jeder nur einen Streich?“ fragte Kiágara giftig.
    „Jeder nur einen Streich.“ antwortete Norazul kühl.
    Sie umtänzelten einander kurz weiter.
    Die Leute, die diese Konfrontation beobachteten, hielten kollektiv die Luft an. Keiner von ihnen würde es auch nur wagen, einzugreifen.
    Dann kam die Entscheidung!
    Norazul täuschte nach links an, nur um dann stattdessen geradeaus zuzustechen und Kiágara stach in Richtung der Leber ihres Ziels und riss dann die Klinge empor.
    Die Leute keuchten laut auf.
    Beide Kämpfer hatten Volltreffer gelandet.
    Norazul riss die Klinge nach links, Kiágara in die Gegenrichtung.
    Beide sauber durchtrennten Verlobungsketten flogen im hohen Bogen davon und die Hochzeitsgemeinde brach in schallendes Gelächter und Jubel aus, als sich Norazul und Kiágara grinsend umarmten und die zeremoniellen Heiratsdolche in die Halfter ihrer unter den rituellen Hochzeitgewändern verborgenen Rüstungen steckten.
    Beide trugen lange, beige Kapuzenroben, mit blauen Rändern über ihren Rüstungen.
    Hand in Hand gingen sie die letzten beiden Schritte zum Priester, der, umgeben von den Statuen der fünf Götter, im Atrium von Koss´ mächtigem Palast beim Beknurhafen stand und sich, noch immer mit grossen Augen, den Schweiss abtupfte.
    Da Norazul und Kiágara beides Nekromanten waren, stand hinter dem Priester die Statue des Todesgotts Grenth, umgeben von Balthasar und Lyssa auf der einen und Melandru und Dwayna auf der anderen Seite..
    „Die Schwüre sind geleistet“, intonierte er den letzten Teil der zeremoniellen Worte, „und die alten Bande sind durchtrennt.“
    Raan und Tuga, die vierjährigen Zwillingssöhne von Koss und Rahi kamen anmarschiert, in prächtige Gewänder gekleidet, deren stahlgraue, quadratische Bestickung und die Blechhelme und –schwerter den beiden den Eindruck geben sollte, sie seien echte Krieger.
    Ganz der Papa.
    Sie trugen, mit stolz-grimmigen Gesichtern, auf weissen Kissen je eine elonische Ehekette und Norazul und Kiágara mussten ihre Überraschung verbergen, als sie beide sahen, was Koss da für sie in Auftrag gegeben hatte.
    Der Priester deutete lächelnd mit einer Hand auf Norazul und dieser nahm die Kette von Tugas Kissen und legte das Schmuckstück aus Gold- und Platinplättchen um Kiágaras Hals, nachdem sie den Schleier aus Perlenketten beiseite zog.
    Sie selbst wiederholte den Vorgang bei ihm mit Raans Kette und der Priester hob lächelnd die Arme, als sich die beiden Jungen zurückzogen.
    „Im Namen Grenths, des Gottes des Todes und des Eises. Im Namen Balthasars, des Gottes des Krieges und des Feuers. Im Namen Melandrus, der Göttin der Erde und der Natur. Im Namen Lyssas, der Göttin der Schönheit und der Illusion. Im Namen Dwaynas, der Göttin des Lebens und der Luft. Ab heute seid Ihr beiden auf alle Zeiten in dieser Welt, der nächsten Welt und allen, die noch kommen mögen, unzertrennlich verbunden. Lasst es in aller Welt verkünden, dass ab heute Kiágara Freshreaper und Norazul Lifetaker zusammen sind.“
    Auf diesen letzten Satz hin rissen die über vierhundert geladenen Gäste die zeremoniellen Hochzeitsglöckchen empor und begannen ein Gebimmel ein Gejubel und Gepfeife, das den Palast von Koss erbeben liess und wohl wirklich bis in den letzten Winkel der Welt zu hören war.
    Die Geräuschkulisse stieg sogar noch an, als Norazul seine und Kiágaras Kapuze zurückschlug, sich beide umarmten und küssten.

    Als die Sonne am nächsten Morgen Elonas Ruf als „Land der Goldenen Sonne“ wieder bestätigte, betrachteten Norazul und Kiágara aus dem grossen Fenster, dessen Vorhänge wehten, den über den Meereshorizont steigenden Morgen vom Bett aus.
    Sie waren schon aneinandergekuschelt, aber nach einer kühlen Morgenbrise rückte Kiágara etwas näher an Norazul heran.
    Eigentlich untypisch, für eine Nekromantin, aber…
    „Darf ich Dich was fragen?“ wollte sie wissen und er kicherte, als er antwortete: „Das ist die häufigste Frage, die mir Frauen seit jeher gestellt haben.“
    Kiágara blickte zur aufgehenden Sonne zurück. „Hast Du es jemals bereut, ein Gildenkrieger zu sein?“
    Norazul strich ihr einige Haare aus dem Gesicht und küsste sie auf die Wange.
    „Bei dem, was es mich einst kostete: Ja!“ Er küsste sie auf den Mund und Norazul Lifetaker sagte zu Kiágara Fleshreaper: „Aber jetzt – niemals. Niemals.“

    Auf dem Tisch neben dem riesigen Bett lagen die beiden Schriftrollen, die in dem Marmor-Zylinder gesteckt hatten.

    Im Namen des Kaisers und der Herrscherdynastie Canthas sei verlautet, was hier folgt:

    Dem Träger dieser einen Schrift sei auf Befehl des Kaisers auferlegt, bis zum Ende seiner Tage als Gildenkrieger für die Sicherheit Canthas und des Rests der Welt zu sorgen.
    Dem Träger dieser einen Schrift sei in keinem Haus, keiner Herberge, keinem Tempel und keiner Burg auf Canthas Grund und Boden jegliche Unterstützung verwehrt.
    Dem Träger dieser einen Schrift sei gewiss, dass hinter jeder seiner Forderungen, so er sie zum Wohle dieser Welt stellt, das Wort des Kaisers und der Nation der Berge, des Jademeers und des Echowalds steht.

    In Verfolgung dieser Tätigkeit sei es dem Träger dieser Schrift erlaubt, das Siegel der Kaiserlichen Geheimpolizei zu tragen.

    Im Namen Der Fünf Götter, Der Kaiserlichen Familie, Canthas und der Völker dieser Welt.

    Hong-Lung 32. Kaiser von Cantha, Sohn des Kisu, Enkel des Kintah


    Neben den Schriftrollen lagen zwei kaiserliche Abzeichen, die jenen, die sie erblickten, entweder Furcht oder Hoffnung gaben.
    Denn nur dem Kaiser Canthas persönlich waren die Agenten der Kaiserlichen Geheimpolizei für ihre Taten Rechenschaft schuldig.
    Insgeheim reichte nicht einmal die Autorität der Obersten Richter soweit.

    Die Sonne schien in das Zimmer und erstmals waren sowohl Norazul Lifetaker, als auch Kiágara Fleshreaper zu erschöpft, um sich vor ihr zu verstecken.
    Beide fühlten, wie ihre Herzen fünfmal schlugen.
    Besser konnte diese Ehe nicht werden.




    The End





    (For How Long??)



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