Auf die Mitleidstour

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    Re: Auf die Mitleidstour

    methu - 06.07.2008, 11:25

    Auf die Mitleidstour
    Auf die Mitleidstour

    Otto betrat das protzig eingerichtete Wartezimmer. Erleichtert atmete er auf, denn außer ihm gab es keine weiteren Patienten. Es war gut, dass er auf einem Termin so spät bestanden hatte. Er durchschritt mehrmals nervös den Raum, bevor er sich setzte.
    ‚Warum schiebt mir der Chef immer die schwersten Fälle zu?’ , seufzte der nicht mehr junge Mann. Er war es einfach leid, diese dauernden Vorhaltungen seines Vorgesetzten, dass er seine Quote nicht erfülle und bald mit seinem Ausscheiden aus der Firma rechnen solle, wenn er sich nicht am Riemen reiße. Natürlich meinte sein Chef die drohenden Sprüche nicht wörtlich, aber er nervte damit schon. Aus seiner Tasche holte er einen gelben Zettel, las aufmerksam die drei aufgelisteten Namen und steckte das Papier schließlich wieder ein. Otto schloss seine Augen und schrak erst auf, als die durchdringende Stimme des Psychiaters den Raum füllte.
    „Herr Seraphim? Bitte, treten Sie ein.“
    Beflissen betrat dieser das Sprechzimmer und setzte sich auf den ihm zugewiesenen Stuhl.
    Mit Kennerblick musterte Otto sein Gegenüber. Er sah einen großen, wohlbeleibten Mann in seinen besten Jahren, einen Siegertyp, wie er im Buche stand. Jede Geste strahlte Selbstgefälligkeit und Ruhe aus. Die feinen roten Äderchen auf der Nase und der, wenn auch gut kaschierte, Bauchansatz ließen darauf schließen, dass der Mann den irdischen Genüssen zugeneigt war. Weißes, volles Haar kontrastierte prächtig mit dem gebräunten, vollen Gesicht. Ein Frauenmagnet, der bestimmt jeden Tag in vollen Zügen genoß.
    ‚Genau diese Typen machen mir mein Leben so schwer’, dachte Otto sich.
    „Also, was liegt Ihnen auf der Seele, Herr Seraphim?“ Der Psychiater wandte seine ungeteilte Aufmerksamkeit nun dem hageren Mann zu.
    Der Angesprochene rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Es dauerte einige Zeit, bis er antwortete.
    „ Da ist so Vieles, was mir Kummer bereitet. Zum einen ist es der Druck meines Arbeitgebers, zum anderen lehnen die Menschen mich ab.“
    Otto wich dem Blick des Arztes aus, als dieser fragte:
    „Erklären Sie mir, weshalb Sie meinen, von allen gemieden zu werden? Wie lange haben Sie dieses Gefühl schon?“
    Otto holte tief Luft.
    „Oh, schon ewig. Seit ich meinen Beruf auszuüben begonnen habe.“
    Der Weißhaarige überlegte, nickte dann.
    „Also hängen ihr schlechtes Befinden und ihre Arbeit zusammen. Warum suchen Sie sich nicht einen Job, mit dem Sie besser zurechtkommen?“
    Nun schaute Otto dem Arzt direkt in die Augen. Seine Stimme schien vor Aufregung zu beben.
    „Das ist unmöglich. Diese Arbeit ist meine Lebensgrundlage. Ohne sie könnte ich nicht existieren.“
    Der Arzt machte eine beschwichtigende Handbewegung.
    „Bitte, erklären Sie mir doch was genau Sie tun, damit ich alles besser verstehen kann. Arbeit als Existenzgrundlage klingt all zu sehr wie ein Klischee.“
    In Ottos Augen blitzte es auf.
    „Klischee? Wenn Sie wüssten!“, knurrte er ärgerlich.
    „ Ich bin Bote und Vollstrecker in einem. Als altgedienter Mitarbeiter setzt mein Boss mich auf die hartnäckigsten Fälle an. Das ist enorm stressig, denn die Klientel versucht, mit allen möglichen Tricks, mir ein Schnippchen zu schlagen. Im Lauf der Jahre sind die Menschen immer erfinderischer geworden um sich meinem Zugriff zu entziehen.“ Otto hatte sich in Rage geredet.
    „Früher sah man mich als zugehörig an und empfing mich mit Würde, nahm meinen Handschlag ergeben entgegen. Heute hingegen, mit den Neuerungen und all den technischen Errungenschaften...
    Kaum einer will mein Kommen akzeptieren.“ Nichts hielt ihn mehr auf seinem Stuhl.
    „Wenn ich meine Quote nicht mehr erfülle, tauscht mein Vorgesetzter mich aus, sagt er zumindest. Dann ist’s mit mir aus und vorbei.“ Mit hängenden Schultern stand er da, wirkte niedergeschlagen.
    Der Arzt hatte sich nun ebenfalls erhoben.
    „Sind Sie in der Inkassobranche tätig? Ich weiß, da geht es manches mal ziemlich hart zur Sache. Aber,Sie können die Kunden doch öfter aufsuchen.“
    Otto schüttelte nur den Kopf und murmelte, während er zur Tür ging:
    „Sie werden das jetzt nicht verstehen, aber ich habe nur immer diesen einen Versuch.“
    „Warten Sie.“ Der Psychiater trat zu Otto, legte ihm, Mitleid heuchelnd, seine Hand auf die Schulter.
    „Auch wenn ich nicht alles nachvollziehen kann...
    Wenn ihr Vorgesetzter Sie wegen eines neuerlichen Misserfolges rausschmeißt oder Sie einfach mal mit jemandem reden wollen, biete ich meine Hilfe an. Würde es Ihnen helfen, wenn ich mit ihrem Chef spräche?“ Mit diesen Worten reichte er dem Hageren seine Hand.
    Dieser nahm die ausgestreckte Hand fest in die seine. Ein kleines Lächeln huschte ihm übers Gesicht.
    „Das,“ Ottos Blick war auf einmal beinahe fröhlich, während er weiter die Hand des Arztes festhielt, „wird nicht mehr nötig sein. Mein Auftrag ist hiermit erfüllt.“
    Emotionslos sah Otto, wie Erkenntnis die Züge des Arztes prägte, bevor dieser Sekunden später tot zusammenbrach.
    Er löste seine Hand von der des Daliegenden und verließ, ohne sich auch nur noch einmal umzusehen, gemächlich den Raum.
    'Erfinderisch muß man sein', frohlockte er, fies grinsend. 'Die alte Mitleidstour zieht eben immer wieder.'
    Wieder auf der Straße, entnahm er nochmal den Zettel aus seiner Tasche. Zwei Namen befanden sich noch darauf, eine Opernsängerin und ein Handwerksmeister. Ein wenig Kultur konnte nicht schaden.
    Auf zur Nächsten.
    Ende

    (c) Rita Springer 2006
    _________________



    Re: Auf die Mitleidstour

    ElKroet - 08.09.2008, 11:50


    Ich sage es doch immer wieder und die Story bestätigt mich: Man kann einfach niemandem trauen, selbst dem Tod nicht. Es ist ja ganz schön hinterhältig, wie er, der Mann füe die schweren Fälle, sich sein Opfer holt. Am Anfang hatte ich fast Mitleid mit dem "Patienten", aber das war ja nicht nötig.
    Du hast den Arzt schön ins gängige Klischee gepresst. Sein Ableben ging mir auch nicht nahe.
    Aber der Schluß ist wieder so schön böse.



    Re: Auf die Mitleidstour

    methu - 09.09.2008, 10:25


    So sollte es auch rüberkommen. Danke Dir, mein Kleiner.
    :big_give5



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