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Koeppen, Wolfgang - Der Tod in Rom




Koeppen, Wolfgang - Der Tod in Rom

Beitragvon chip » 25.05.2008, 20:37

Das große Finale der „Trilogie des Scheiterns“ feiert Koeppen in Rom, die Hochburg der Pfaffen, die Stadt der Götter. Hier brechen die Dämme restlicher Befangenheit, hier poliert Koeppen seinen Stil auf Hochglanz, mit Elan schwingt er sich hinauf in Apollos Schoß und liefert eine grandiose Darbietung ab, die die ersten beiden Kapitel bestenfalls als Aufwärmübung degradieren lassen.

Wieder sind einige Jahre vergangen, der Markt floriert, das Land beseitigt die letzten Trümmer, die Menschen finden ihr Lächeln wieder. Deutschlands Wirtschaftswunderzeit ist angebrochen. Der Mensch richtet seinen Blick geradeaus und übt sich im Vergessen. Diese Nachlässigkeit wird von den Ratten der Vergangenheit ausgenutzt, sie trauen sich wieder an die Oberfläche, scheuen das Licht nicht weiter. Die SS-Schergen kriechen aus ihren Löchern, mischen sich unters Volk. Sie besetzen wieder politische Posten und träumen Hitlers Traum weiter.

Gottfried Judejahn ist einer von ihnen. Nachdem seine Hinrichtung in Deutschland verkündet wurde, trennte er sich von seiner Familie, trennte sich von Deutschland und versteckte sich im entlegenen Orient, wo er mit gefälschten Papieren seine Zeit mit Waffenschmuggel und Rekrutieren neuer Soldaten überbrückte. Nun sitzt er in Rom und zittert einem Familientreffen entgegen. Ja, er zittert, fürchtet sich, seine frühere Macht hat ihn verlassen. Hier in Rom wird er von der Menschenmenge geschubst und wundert sich, hier ist er ein Mensch unter Menschen, ein Sandkorn unter vielen.

„Er wollte über die Piazza S. Silvestro gehen, er wollte Rom erobern, da knisterte und krachte es, und war Lärm wie von Krieg und Schlacht, es schmetterte und brach, und Entsetzensgebrüll erhob sich und Todesschrei, ein Neubau war eingestürzt, sein Fundament war falsch berechnet worden, aus einer Wolke aus Staub ragten verbogene Träger, Menschen rannten kopflos herbei, und Judejahn kommandierte ‚absperren, zurückbleiben, absperren’, er wollte Disziplin in den Tod bringen, aber niemand hörte auf seinen deutschen Ruf, niemand verstand ihn, und dann kamen schon Sirenen und Glocken, die Polizei kam und Rettungswagen und Feuerwehr, und aus der Kirche am Platz kam ein Priester, die mischten sich überall ein, und Judejahn erkannte, dass er fremd hier war und lästig und im Wege stand oder bestenfalls unbeachtet blieb, …“

Sein Schwager Pfaffrath, mittlerweile mit dem Amt des Oberbürgermeisters bekleidet, fiebert ebenfalls dem Wiedersehen der durch unterschiedliche Denkmuster entzweiten Familie entgegen. Wird Judejahn immer noch mit derselben Aura eines Parteigenerals, mit durchgestrecktem Rückgrat seine Befehle erteilen oder hat die Zeit ihn erweicht? Auf die Unterstützung der neuen Generation brauchen sie jedenfalls nicht zu hoffen. Adolf, Judejahns Sohn, hat sich zum Priester ausbilden lassen. Er fühlte sich nach dem Sturz verloren und war auf einen neuen Führer angewiesen. Siegfried, Pfaffraths Sohn, übt Kritik mit seinen Symphonien aus, füllt europäische Konzertsäle, wird als Dirigent gefeiert, distanziert sich von der Weltsicht der Alten.

Koeppen fügt in diesem Band eine neue Komponente hinzu. Mit einem ordentlichen Maß an Dynamik lässt er Spannung aufkommen, in einer maßgeschneiderten Inszenierung lässt er alle Figuren mit den unterschiedlichsten Grundeinstellungen zusammentreffen. Die meisten Duelle werden aber weiterhin gedanklich bestritten, auch mit sich selbst. Durch mehrere Begegnungen werden die abweichenden Ideologien verankert, bestärkt, die zwangsläufig in Streit enden werden.

„Siegfried: ‚Mich lass in Ruhe. Ich lebe, wie ich will. Ich brauche niemand.’ Adolf: ‚Gut, du willst für dich leben. Du meinst, deinen Weg gefunden zu haben. Das genügt dir. Aber warum bist du dann so unversöhnlich? Mit dem gleichen Recht könnten auch unsere Eltern sagen, sie hätten ihr Leben gelebt, seien ihren Weg gegangen, es hätte ihnen Spaß gemacht.’ Siegfried: ‚Das werden sie auch sagen.’ Adolf: ‚Aber du billigst ihr Leben doch nicht?’ Siegfried: ‚Nein, weil sie andere durch ihre Auffassungen gequält haben, weil sie mir eine militärische Erziehung aufbrummten, weil sie einen Krieg anfingen, weil sie Leid brachten, weil sie unendlich zerstörten, weil sie aus unserer Heimat ein Land der Intoleranz, der Dummheit, des Größenwahns, des Zuchthauses, des Richtblocks und des Galgens machten. Weil sie Menschen getötet haben oder behaglich in ihren Häusern blieben, obwohl sie wussten, dass Menschen getötet wurden.’ Adolf: ‚Und glaubst du, das kann nicht wiederkommen?’ Siegfried: ‚Und ob ich das glaube! In Tag- und Nachtträumen sehe ich die Bräunlinge und die nationale Dummheit marschieren. Und darum will ich mein Leben leben, solange der nationalistische Gott noch entkräftet ist und mich nicht hindern kann. Es ist meine einzige Chance.’ Adolf: ‚Und warum versuchst du nicht, eine dir so verhängnisvoll erscheinende Entwicklung zu bekämpfen?’ Siegfried: ‚Wie soll ich sie bekämpfen?’ Adolf: ‚Versuche die Menschen zu ändern!’ Siegfried: ‚Sie sind nicht zu ändern.’ Adolf: ‚Du musst es versuchen!’ Siegfried: ‚Versuche du es doch! Deine Kirche versucht es seit zweitausend Jahren.’ Adolf schwieg. Wusste er nicht weiter? Sah er ein, dass es keine Hoffnung gab? Aber dann hob er an: ‚Und deine Musik? Willst du mit deiner Musik nicht die Welt ändern?’ Siegfried sagte: ‚Nein. Du bist ein Phantast.’ Aber Adolf blieb hartnäckig und fragte beharrlich: ‚Warum machst du Musik, warum komponierst du?’ Siegfried: ‚Ich weiß es nicht.’

„Der Tod in Rom“ ist angelehnt an Thomas Mann „Der Tod in Venedig“. Beide spielen in Italien, beide weisen auf Pädophilie und auf den Disput zwischen rationaler Vernunft und leidenschaftlicher Hingabe hin. Gustav Aschenbach wird ersetzt durch den schizophrenen, den unterschiedlich denkenden und agierenden Judejahn, der einmal als vernünftiger „kleiner Gottfried“ und einmal als träumender „mächtiger Judejahn“ in Erscheinung tritt. Und natürlich schimmert in jeder Szene der Tod durch, fließt spürbar die Wände hinab.

Zum dritten Mal mittlerweile sei erwähnt, dass Koeppen hauptsächlich die Gedankengänge seiner Protagonisten durchleuchtet, mit ihnen spielt und so eine fühlbare Atmosphäre hinterlässt. Er spielt mit unterschiedlichen Stilarten, jede Figur erhält somit eine eigene Handschrift. Auch hier werden Gedanken unterbrochen, um aus einer weiteren Perspektive fortgesetzt zu werden. Im Gegensatz zu den anderen Teilen schafft er homogenere, geschliffene Übergänge. Neu hinzugekommen ist die Spannung, die unerträglich, kritisch und nicht zuletzt anziehend auf den Leser wirkt. Der beste Teil der Reihe! Koeppen ist ein schreibender Gott!

Gruß,
chip
:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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chip
 

von Anzeige » 25.05.2008, 20:37

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