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Storm, Theodor - Der Schimmelreiter




Storm, Theodor - Der Schimmelreiter

Beitragvon chip » 07.08.2008, 07:16

Als Ursprung dieser Novelle dient eine alte Legende, die im norddeutschen Raum umhergeistert. So tritt vor herannahendem Unwetter ein Schimmelreiter in Erscheinung, der die Deiche entlang reitet und sich anschließend in die Fluten stürzt. Storms Zuneigung für Sagen entstand bei dem Treffen mit Mommsen in Jugendzeiten, die gemeinsam Überlieferungen und Legenden ausgruben um sie in einem Band zu veröffentlichen.

Unser Held Hauke Haien ist von Strebsamkeit geprägt, vergräbt sich in seiner Freizeit in Lehrbücher. Seine Verbissenheit, Wissen zu besitzen, schreckt vor fremdsprachigen Büchern nicht zurück. Er lernt somit kurzerhand niederländisch, um einen Buchfund aus seines Vaters Besitz, seinerzeit Landvermesser, erfassen zu können.

Sein Wunsch besteht allerdings darin, den Deich auszubessern. Er modelliert zuhause kleine Deichentwürfe, um Testversuche zu unternehmen. Er geht bei dem alten Deichgrafen in die Lehre, um seinem Traum näher zu kommen. Dort trifft er seinen späteren Rivalen Ole Peters, der sich ebenfalls für den Posten des Deichgrafen bemüht. Haukes heimliche Verlobung mit der Tochter des Deichgrafen sichert ihm schließlich den Zuschlag.

Sein Fanatismus, den Deich auszubessern bringt ihm böswillige Blicke seitens der Bevölkerung ein, die diesen Akt für reine Geldverschwendung halten. Übles Geschwätz macht sich außerdem breit, als Hauke ein krankes Pferd erwirbt um damit den Deich abzureiten. Seit dieses Pferd in seinem Besitz gelangte, sind auf rätselhafte Weise die Gebeine eines Pferdeskelettes auf verebbten Meeresboden verschwunden. Hauke wird dadurch gar als Teufel beschimpft.

Storm gelingt es auf eindrucksvolle Weise, die mythische Atmosphäre spürbar werden zu lassen. Er lässt sie aus dritter Hand erzählen, um die Authentizität möglichst auszublenden. Das Sickern der Geschichte durch drei Erzählebenen veranlasst den Leser, zu hinterfragen, ob es sich so abgespielt haben könnte, oder ob einer der Erzähler Erfundenes hinzugefügt oder sie durch Hören-Sagen vervollständigt hat.

„[…]»aber der es tat, hat recht getan; soll Euer Deich sich halten, so muß was Lebiges hinein!«
– »Was Lebiges? Aus welchem Katechismus hast du das gelernt?«
»Aus keinem, Herr!« entgegnete der Kerl, und aus seiner Kehle stieß ein freches Lachen; »das haben unsere Großväter schon gewußt, die sich mit Euch im Christentum wohl messen durften! Ein Kind ist besser noch; wenn das nicht da ist, tut's auch wohl ein Hund!«
»Schweig du mit deinen Heidenlehren«, schrie ihn Hauke an, »es stopfte besser, wenn man dich hineinwürfe.«
»Oho!« erscholl es; aus einem Dutzend Kehlen war der Laut gekommen, und der Deichgraf gewahrte ringsum grimmige Gesichter und geballte Fäuste; er sah wohl, daß das keine Freunde waren; der Gedanke an seinen Deich überfiel ihn wie ein Schrecken: was sollte werden, wenn jetzt alle ihre Spaten hinwürfen?“


Trotz Verachtung der Bevölkerung gelingt es Hauke, sie zur Renovierung des Deiches zu mobilisieren. Nach Vollendung jedoch bemerkt er schadhafte Stellen am anderen, unberührten Deich. Er begnügt sich hier mit provisorischen Flickarbeiten, um den Zorn seiner Mitmenschen nicht erneut zu schüren. Der herannahende Sturm handelt bei dieser Entscheidung nicht zimperlich und wütet erbarmungslos über das Land.

Der gelungenste Aspekt dieser Novelle ist die Sprache - mitreißend romantisch und poetisch. Storm spielt mit Gegensätzen. Kontrastreich ist nicht nur seine Geschichte, das sich durch die Gegenüberstellungen „Aberglaube und Wissenschaft“ bemerkbar macht, sie wird sogar stilistisch spürbar, wenn der stürmische Abschnitt im letzten Teil ohne Atempause erzählt wird, während der Rest eher gemächlich, wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm, voranschreitet.

„… denn so ist es, Herr: dem Sokrates gaben sie ein Gift zu trinken, und unsern Herrn Christus schlugen sie an das Kreuz! Das geht in den letzten Zeiten nicht mehr so leicht; aber – einen Gewaltsmenschen oder einen bösen stiernackigen Pfaffen zum Heiligen oder einen tüchtigen Kerl, nur weil er uns um Kopfeslänge überwachsen war, zum Spuk und Nachtgespenst zu machen – das geht noch alle Tage.«
:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Gruß,
chip

Bild
chip
 

von Anzeige » 07.08.2008, 07:16

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Beitragvon Krümel » 07.08.2008, 10:56

Ja, den Schimmelreiter finde ich auch ganz großartig, diese Novelle ist einfach perfekt. Schön, dass du sie uns hier vorstellst :D
BildLiebe Grüße,
Krümel



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