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Licht, Fred - Villa Ginestra




Licht, Fred - Villa Ginestra

Beitragvon Krümel » 07.08.2008, 12:17

Ein sehr beeindruckender Debüt-Roman, weil der Autor wirklich etwas zu erzählen hat. Er ist reich!

Zwischen den Weltkriegen wird der Protagonist Harry, der zugleich der Ich-Erzähler ist, geboren. Er wächst in einer Welt des Geldes auf. Der Clan, der ursprünglich aus Amerika stammt, siedelt sich in ganz Europa an. Es gibt nur zwei Devisen in dieser Familie: Geld vermehren! Und Geld vermachen!
Erster Satz: “Kodizill, Nießbrauch, Nacherbe, Zusatzklausel, Testierfähigkeit, Ersatzvermächtnis - all diese Begriffe waren meiner Schwester, mir und unseren Cousinen und Cousins von frühster Kindheit an so geläufig wie anderen Kindern biblische Geschichten.”
Dieser Reichtum ist inhaftiert auf Geldkonten der Bank der Familie. Ihre Mitglieder leben sehr spartanisch, nur ein Minimum an Luxus wird ihnen vergönnt, gerade so viel, dass es zur Vermehrung förderlich ist, aber nie sinnlos vergeudet wird.

Harrys Tante Renée, die schillernde Figur im Roman, rebelliert gegen diese Traditionen. Sie entzieht ihr Geld der Hausbank, lebt in der extravaganten “Villa Ginestra” in Florenz und verschwendet ihren Reichtum an Kunst und Kultur. Sie ist dem Clan ein Dorn im Auge, und Harrys Vater versucht durch seinen Sohn, indem Renée ihm ihr Vermögen vermacht, wieder an das Familien eigene Geld heranzukommen. Und so besucht Harry seine Tante mit 14 das erste Mal, womit der Roman beginnt.

In der “Villa Ginestra” lebt ein ständiger Gast, Craig Perrin, der “Hausgeist”, ein Engländer mit spitzer Zunge. Künstler jeglicher Art kommen und gehen, und Renée als vorbildliche Gastgeberin gewährt allen ihre Individualität. Oft dient der Aufenthalt in der Villa für die Künstler als eine Zeit der Erholung aus der Schaffenskrise heraus, als eine Zuflucht. Bis dann der nächste Krieg vor der Türe steht.

Die Atmosphäre des Werkes ist sehr intensiv und wird von der einzigartigen Figur Renée getragen: Erhaben und gesättigt.
Durch diese Eigenschaften kann sie anderen Menschen ihre Persönlichkeit lassen, insbesondere Craig, der ihr nicht offenbart, warum er als dauerhafter Gast in der Villa lebt.

Aber die Erhabenheit und Sättigung findet sich auch in den anderen Ebenen wieder. Nicht nur die Handlungsebene bedient sich dieser Stimmung, auch die Ebene des Geldes, Anspielungen auf die jüdische Geschichte und deren Traditionen, und darüber hinaus die Ebene, die dem Leser den Spiegel vorhält.

Mit jeder Schicht der Charaktere, die der Ich-Erzähler offenlegt, offenbaren sich menschliche Schwächen. Aber nie mit erhobenem Finger, sondern stets im Stillen, was sehr nachdenklich stimmt.
Und so habe ich dieses Buch sehr ruhig und langsam genossen. Habe das Treiben der männlichen Figuren, das Buhlen um die Alleinherrschaft an der großen Lady verfolgt, und all ihre Züge in mir aufgesogen und reflektiert.

Fred Licht, der ein erfahrungsreiches Leben hinter sich hat (In Berlin 1928 geboren, nach Amsterdam, dann nach Paris verzogen, um 1936 zurück nach Deutschland zu ziehen. Doch 1940 mussten sie durch ihre jüdische Herkunft wieder über Paris und Italien nach New York umsiedeln. 1947 kehrte Licht zurück nach Europa, studierte in Basel Kunstgeschichte, und lebt seit 1959 verheiratet in Italien, Venedig. Bisher galten seine Veröffentlichungen kunsthistorischen Themen, dies ist sein erster Roman.), schreibt wie dieses reich!
Seine Sprache ist gediegen, und ich hoffe, dass ihm noch genügend Zeit verbleibt um weitere Romane schreiben zu können.

Eine wirkliche Empfehlung!

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Krümel



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