Während er im ersten Teil der „Trilogie des Scheiterns“ die Scheuklappen des deutschen Volkes nur bedauert, reicht Koeppen eine Bestandsaufnahme für seinen zweiten Teil nicht mehr aus und krempelt seine Ärmel hoch. Er greift an, die Politik im Nachkriegsdeutschland unter der Regierung Adenauer. Auch wenn Koeppen im Vorwort versucht zu beruhigen, seine Figuren seien fiktiv.
Die Ära der Aufrüstung ist angebrochen, die Zeit, in der der Abgeordnete Keetenheuve sich in den Glauben verliert, seine Vorträge und pazifistische Einstellung könnten die Welt verändern. Er, Kriegsgegner und Exilant, kehrt nach Kriegsende nach Deutschland zurück, in der Hoffnung, den lang geforderten Frieden durchs Parlament zu bringen. In seiner Vorstellung eine Bagatelle, selbstverständlich dürfte wohl jeder Bürger sich das Gleiche wünschen. Mit soviel Widerstand für sein Anliegen, wie ihm hier widerfährt, hatte er niemals gerechnet.
„Das Kriegsende hatte ihn mit Hoffnungen erfüllt, die noch eine Weile anhielten, und er glaubte, sich nun einer Sache hingeben zu müssen, nachdem er so lange abseits gestanden hatte. Er wollte Jugendträume verwirklichen, er glaubte damals an eine Wandlung, doch bald sah er, wie töricht dieser Glaube war, die Menschen waren natürlich dieselben geblieben, sie dachten gar nicht daran, andere zu werden, weil die Regierungsform wechselte, weil statt braunen, schwarzen und feldgrauen jetzt olivfarbene Uniformen durch die Straßen gingen und den Mädchen Kinder machten, und alles scheiterte wieder mal an Kleinigkeiten, an dem zähen Schlick des Untergrundes, der den Strom des frischen Wassers hemmte und alles im alten stecken ließ, in einer überlieferten Lebensform, von der jeder wusste, dass sie eine Lüge war.“
Keetenheuve gilt als Außenseiter in den eigenen Reihen, gilt als unberechenbar, weil er gegen die Spur seiner Partei fährt. Er gilt als bedrohlich, gefährlich, so sehr, dass sie ihn abschieben wollen. Doch er ist auch angreifbar, schwach, verkümmert. Seit seine Geliebte gestorben ist, fehlt ihm ein Ansprechpartner. Isoliert und ausgeschlossen von der Gesellschaft, unfähig zu genießen, untauglich zu zwischenmenschlichen Beziehungen - nicht fähig, Spaß am Leben zu empfinden. Er ist eine tragische Figur, die mir selbst am Ende noch fremd geblieben ist.
Er ist eine gescheiterte Figur, die sich einer rühmenswerten Sache hingibt, sich einredet, er könne das Parlamentsgebäude mit seiner Rede verzaubern. Oben auf dem Podest jedoch zieht er den Schwanz ein, sein Mut verlässt ihn, das Selbstwertgefühl bröckelt. Er glaubt, es höre ihm ja doch niemand zu, fragt sich, was er dort oben treibt?
Er schwankt, er fällt... Gedanklich trägt er seine Ideologien ins Feld, im Gespräch allerdings fehlen ihm die entscheidenden Argumente und muss sich geschlagen geben. Er verurteilt die Regierung, die wie vor dem Krieg handelt, sieht sie in die gleichen Fallen tappen, die Geschichte scheint ohne Lehre am Menschen vorüber gezogen zu sein und doch fehlen ihm die entsprechenden Alternativen, Gegenvorschläge. Für mich ist klar: Keetenheuve lebt einen Traum, beschäftigt sich mit einer Illusion, die ihn ins Verderben führen wird.
Obwohl Koeppen im Gegensatz zu „Tauben im Gras“ diesmal nur aus einer Sicht schreibt und beschreibt, wird die Lektüre keineswegs einfacher. Seine Sätze sind Gedankenflüge, jedoch wieder mit der gleichen empfehlenswert kraftvollen Sprache. Seine Hauptfigur ist eine schwankende Gestalt, ein Pfahl im weichen Boden, der beim kleinsten Gegenwind umzufallen droht. Ich konnte mich mit dieser Figur nicht anfreunden, in gewisser Weise eine lächerliche Erscheinung, jemand, der sich im Selbstgespräch aufplustert und sich für den Besten hält, der meint, die Regierung müsse eigentlich ihm gehören und in Wirklichkeit nichts auf die Reihe bekommt. Allerdings passt er zur Trilogie. Er ist in der Tat ein Paradebeispiel für das „Scheitern“.
(:stern:)
Gruß,
chip