Wenn du mich noch einmal fertig machst...

STOP THEM
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    Re: Wenn du mich noch einmal fertig machst...

    Lexa - 20.02.2008, 21:43

    Wenn du mich noch einmal fertig machst...
    Dies ist eine Geschichte von Alwaha und mir:

    Wenn du mich noch einmal fertig machst…

    „Wenn du mich noch einmal fertig machst, dann schlag ich dir Eine; mitten ins Gesicht. Ja, wenn du mich noch einmal fertig machst… Wag es dich bloß nicht!“

    Zu viert kamen sie auf sie zu. Bildeten eine Reihe und schauten sie drohend an. Lena fragte sich, was das jetzt sollte. Sie war erst seit wenigen Tagen auf dieser Schule und hatte ihnen nichts getan. Allerdings stellte sie sich die Frage, ob die einen Grund brauchen würden. In der Schule erzählte man sich die abenteuerlichsten Geschichten, was die Clique mit neuen Schülern machen würde. Lena hatte das alles nicht geglaubt. Wieso sollten die ihr etwas tun, sie hatte ja gar nichts mit ihnen zu schaffen!
    Doch in diesem Moment zweifelte sie stark daran. Sie drehte sich um und ging langsam davon, immer darauf bedacht nicht zu eilig zu wirken. Doch die Clique lief schneller. Schon bald hörte sie die gleichmäßigen, schweren Schritte hinter sich. Sie lachten. Lena beschleunigte ihre Schritte, die Gang hinter ihr auch. Sie blickte aus den Augenwinkeln nach hinten und sah ein Mädchen in einer dunkelbraunen Lederjacke. Das musste Sima sein.
    „Hey was rennst du denn so?“, rief da jemand von hinten. Nicht reagieren… Einfach weiter laufen…
    „Sima, könntest du unserer kleinen Freundin vielleicht mal einige der Grundregeln beibringen?“
    „Aber mit Vergnügen, Max!“, antwortete diese schadenfroh. Schnell holte sie zu Lena auf und riss sie an der Schulter herum. Lena senkte den Kopf, doch Sima drückte mit ihrem Zeigefinger Lenas Kinn hoch, so dass die beiden Mädchen sich in die Augen blickten.
    „Erste Grundregel: Du schaust uns an! Verstanden?“ Lena sagte nichts.
    „Ob du sie verstanden hast?!“, rief der Junge, der Max genannt wurde, von hinten. Das Mädchen nickte langsam.
    „Geht doch… Dann die zweite Grundregel: Es wird grundsätzlich das getan, was wir sagen, verstanden?“ Wieder nickte Lena.
    „Also geht doch… Wir werden dir noch einige, weitere Sachen beibringen müssen, aber für den Anfang reicht das… Wiederhol jetzt bitte die Grundregeln noch einmal!“ Lena senkte den Kopf, doch als Sima ‚Kopf hoch!’ rief schaute sie sie wieder an.
    „Na los wird’s bald?“
    „Ich soll euch anschauen und grundsätzlich das tun was ihr sagt…“, murmelte sie.
    „Nächstes Mal etwas deutlicher… Und mit mehr Motivation! Das üben wir noch!“ Für Sima schien die Sache beendet, doch jetzt trat Max nach vorne.
    „Morgen in der großen Pause kommst du zu den Mülltonnen! Und frag gar nicht erst nach, warum! Das ist die dritte Grundregel: Alles was wir befehlen, wird nicht hinterfragt! Generell werden keine Fragen gestellt. Verstanden? Gut, dann kannst du jetzt gehen! Und sei pünktlich morgen!“ Max und Sima zogen mit ihrer Clique ab und Lena schaute ihnen hinterher. Tränen traten ihr in die Augen. Wieso ausgerechnet sie?

    Sie lief so schnell sie konnte nach Hause. Was würde morgen von ihr verlangt werden?

    Liebes Tagebuch,
    jetzt bin also auf der neuen Schule und schon läuft alles schief… Liegt es an mir? Ich glaube, ich ziehe Probleme magisch an! Gerade habe ich die erste knappe Woche an der neuen Schule hinter mir, schon kommt diese Sima und macht mich fertig.
    Und sie ist auch noch in meiner Klasse, jetzt werden die anderen sicherlich alle von ihr gegen mich aufgestachelt…
    Na ja, mal sehen, was ich morgen bei den Mülltonnen soll…
    Lg
    Lena

    „Guten Morgen! Aufstehen!“, wurde sie am nächsten Morgen von ihrer Mutter geweckt. Lena brummte etwas Unverständliches und drehte sich auf die andere Seite.
    „Hey, du musst aufstehen! Was ist denn los? Sonst bist du doch nicht so muffelig morgens…“
    „Ich will nicht zur Schule… Schule ist blöd!“ Ihre Mutter, Frau Rheines lachte.
    „Ach Lena, stell dich nicht an! Jetzt steh auf!“ Die Vorhänge wurden zur Seite geschoben und Sonne flutete in das Zimmer. Gähnend stand sie auf und tapste ins Bad.
    Beim Frühstück war Lena still, sodass ihre Mutter nochmals fragte, ob etwas sei. Einen kurzen Moment überlegte ihre Tochter, ob sie ihr alles erzählen sollte, doch dann entschied sie sich dagegen.
    „Nein… Es ist alles in Ordnung…“
    „Dann ist ja gut…“

    Als sie das Klassenzimmer betrat, wurde sie nicht weiter beachtet. Freunde hatte sie noch keine in der Klasse.
    „Hallo Lena!“, ertönte hinter ihr eine Stimme. Es war Sima. Wer auch sonst? Mit einem Mal schien es Lena, als würden alle Mitschüler zu ihr herüber schauen.
    „Na, wie geht es dir? Du kommst doch heute sicherlich zu uns, zu den Tonnen, nicht wahr? Sieh es als Ehre an, von uns eingeladen zu werden…“ Sima grinste ihr ins Gesicht und wandte sich dann ab. Lena setzte sich auf ihren Platz und wartete darauf, dass der Unterricht anfing. Wenn ein Lehrer da war, würde sicher niemand etwas sagen.
    Aus der Ecke, in der Sima saß, hörte sie Getuschel. Sie fühlte Blicke auf sich ruhen. Lena riskierte einen Blick in die Richtung und sah die halbe Klasse um Sima herumstehen und lachen. Schnell senkte sie ihren Blick wieder. Sie musste nicht auch noch mit ansehen, wie die sich das Maul über sie, Lena, zerrissen.
    „Was guckst du denn so blöd?“, rief Markus.
    „Genau! Glotz nicht so doof hier rüber!“ bekam er Zustimmung von einem Mädchen namens Tessa. Lena atmete tief durch. Sie würde das überstehen, die Schule war ja schließlich nur ein Teil des Tages… Mittags konnte sie ja Heim gehen und brauchte ihre Klassenkameraden nicht zu sehen. Kein Grund zur Sorge also. So schlimm würde es schon nicht werden…

    Lena kam pünktlich zu den Mülltonnen. Sima stand schon da mit ihren Freunden. Wieder machte sich dieses flaue Gefühl in ihrer Magengegend breit. Ihr kamen die Tränen. Was hatte sie ihnen denn nur getan? Verzweifelt kämpfte sie gegen den Drang an, sofort loszuweinen. Sie wusste zwar nicht, was dann passieren würde, aber sie hatte auch nicht vor, es auszuprobieren. Sie schaffte es nicht zu weinen, doch sie fühlte sich miserabel. Wie so oft wünschte sie sich, es möge sich ein Loch im Boden auftun und sie verschlingen. Hauptsache war, dass sie diese Demütigungen nicht wieder über sich ergehen lassen musste. Schon gestern hatte sie sich so winzig klein und machtlos gefühlt.
    „Ich bin da.“, murmelte sie leise und mit kleinlauter Stimme. Wäre Sima nicht so blind gewesen, sie hätte eigentlich merken müssen, dass sie kurz vorm weinen war.
    „Halt uns nicht für blöd.“, knurrte Nüzhet. „Wir sehen, dass du da bist!“
    „Nüzhet!“, schimpfte Sima, doch jeder konnte sehen, dass sie sich lustig machte und alles ironisch meinte. „Sei nicht so aufbrausend.“ Sie grinste.
    Nüzhet schaute sie blöd an, offenbar war er sehr unsicher in Simas Gegenwart und traute sich nicht etwas zu entgegnen. Sie haben zu viel Angst, wusste Lena. Sie trauen sich nicht, gegen Sima etwas zu sagen, deswegen haben sie sich ihr auch angeschlossen!
    „Und da du nun da bist!“, wendete Sima sich von einer Sekunde zur anderen an Lena. Es war fast unheimlich. Man wusste nie, wie lange Sima freundlich zu einem bleiben würde, wie lange man nicht angesprochen wurde. Lena zuckte zusammen, als Sima sich drohend vor ihr aufbaute.
    „Wollen wir auch schnell zur Sache kommen und dir sagen, was wir von dir wollen.“ Lena blickte eingeschüchtert hoch. Max trat vor.
    „Du wirst uns das nächste Mal 5€ mitbringen.“ Lena schluckte und sie wusste in dem Moment auch ganz genau, dass es bei diesem kleinen Betrag nicht bleiben würde… Sie wollte schon gehen, doch Sima rief sie zurück.
    „Was ist denn noch?“, fragte Lena ein wenig genervt. Sima schaute sie missbilligend an.
    „Du gibst uns gerade den Beweis, dass du noch viel lernen musst! Gestern haben wir dir nur einen Bruchteil unserer Regeln genannt. Heute wirst du noch ein paar mehr kennen lernen.“
    Wieder trat Max vor und stellte sich vor Lena. Eigentlich hatte sie gehofft, so davon zu kommen, ohne irgendwelche Regeln aufzusagen. Es war ihr peinlich, sie fühlte sich dabei so bloßgestellt und ihrer Würde bestohlen.
    „Gestern waren wir bis zur dritten gekommen oder?“ Sie antwortete nicht.
    „Oder?“, hakte Max nach. Sima stieß Lena in den Rücken und ein zaghaftes „Ja“ kam ihr über die Lippen.
    „Gut, dann machen wir mit der vierten weiter. Du redest nur, wenn du dazu aufgefordert wirst! Verstanden?“ Lena nickte, doch Sima trat ihr in die Kniekehle und fuhr sie an.
    „Du sollst antworten! Reden! Den Mund auf machen und nicht irgendwelche Kopfzeichen geben! Hast du deine Zunge verschluckt?“ Am liebsten hätte Lena wieder genickt, doch sie tat was man von ihr verlangte.
    „Na also, geht doch! Da du offenbar zu den ganz Blöden gehörst, wollen wir dir heute nicht zu viel zumuten…“ Max tat so, als habe er Mitleid mit ihr, doch sie sah, wie er grinste und alle anderen kicherten auch schon.
    „Du lernst nur noch eins: Du gehst erst, wenn wir dich dazu auffordern! Verstanden?“ Lena bejahte.
    „Gut, dann kannst du jetzt gehen“, beendete Sima das Treffen. Lena verließ fluchtartig diesen Teil des Schulhofs und setzte sich allein in eine Ecke. Freunde hatte sie hier keine. Weder in der Klasse, noch auf dem Hof.

    Woche für Woche verging, jeden Tag kamen Sima und ihre Gang zu Lena und machten sie fertig. Lena zog sich immer mehr zurück, sprach kaum noch, auch mit ihrer Mutter nicht mehr. Sie erzählte auch niemandem, was Sima mit ihr anstellte, denn die Gang hatte ihr das verboten. Jeden Tag weinte Lena und sie fühlte sich schlecht. Ihr ging es jeden Tag schlechter…

    Auf dem Schulhof sah sie sie kommen. In einer riesigen Gang. Wenn sie nachzählte waren es doch nicht so viele, aber es reichte. Allein hatte man keine Chance gegen sie und auch, wenn sie nicht zu mehreren gewesen wären, hätte sich Lena vermutlich auch nicht getraut, etwas zu sagen. Die Gruppe steuerte genau auf sie zu und spuckte vor ihre Füße. Eingeschüchtert schaute sie auf.
    „Na, du Schleimerin“, meinten sie verächtlich und spuckten noch einmal.
    „Wie geht es dir?“, fragte Sima obercool und warf Max einen Seitenblick zu.
    „Ich hoffe schlecht.“ Die Gang lachte laut. Sima grinste in die Runde. Ihr schien es zu gefallen, im Mittelpunkt zu stehen. Am liebsten hätte Lena ihr gesagt, wie asozial sie sie fand, doch sie bekam ihren Mund nicht auf, sondern stand nur da, klein und eingeschüchtert und ließ sich die Anspielungen der Gang gefallen. Sima gab das Zeichen. Da nahm Max Lenas Ranzen und schmiss ihn in den Dreck. Lena wollte eingreifen, doch sie traute sich nicht. Wieso eigentlich? Was hatte die Clique denn für eine Macht? Max spuckte wieder vor Lenas Füße, die wie angewurzelt da stand. Wieso kriegt eigentlich niemand etwas mit? Immer schauen alle weg, sobald es irgendwie ein Problem geben könnte…
    „Wag es bloß nicht, uns zu verpfeifen. Dann kommen wir…“ Wie oft hatte sie in den letzten Wochen diesen Satz gehört… Die „Schultaschen-Szene“ wurde jeden Mittag gespielt, es war praktisch normal, etwas mit dem man sich abzufinden hatte. Genauso wie man sich mit seiner Rolle als Unterlegene abfinden musste, wenn man Sima gegen sich hatte.
    Lena wollte sich langsam umdrehen, um ihren Ranzen aus dem Dreck zu nehmen. Doch Sima trat wie eine Königin vor und stellte ihren Fuß auf eine noch saubere Stelle der Tasche. Siegerpose, was sonst? Sie hatte gewonnen und niemand widersprach ihr.
    Nüzhet, kam hinter Sima und trat ebenfalls auf den Ranzen, dann kamen Max und Lester. „Echt geil, ey.“, sagte Nüzhet. „Echt geil, ey.“
    Nüzhet hatte Spaß daran, andere zu quälen, das sah man. Außerdem fühlte er sich cool und hatte Ansehen in der Klasse. Wie würde er bei seinen Mitschülern stehen, wenn er sich nicht auf diese Art Respekt und ‚Freunde’ verschaffen würde?
    Endlich zogen sie ab und ließen Lena und ihren dreckigen Ranzen zurück.
    Die Schulglocke klingelte.
    Hilfe, was soll ich jetzt tun? Meine Mutter wird mir den Kopf abreißen, wenn sie sieht, dass mein neuer Ranzen so dreckig ist! Aber das mit Sima kann ich ihr unmöglich sagen!

    Sima gab das Zeichen. Da nahm Max Leons Ranzen und schmiss ihn in den Dreck. Er spuckte ihm vor die Füße.
    „Wag es nicht uns zu verpfeifen. Dann kommen wir…“ Leon drehte sich langsam um, um seinen Ranzen aus dem Dreck zu nehmen. Sima trat wie eine Königin vor und stellte ihren Fuß auf eine noch saubere Stelle des Ranzens. Siegerpose, was sonst? Sie hatte gewonnen, und niemand widersprach ihr. Wieso eigentlich nicht? Sie sollte vielleicht mal gesagt bekommen, wie beschissen das war, was sie jeden Tag mit verschiedenen Schülern abzog!
    Nüzhet, der Türke, kam hinter Sima und trat ebenfalls auf den Ranzen, dann kamen Max und Lester.
    „Echt geil, ey.“, sagte Nüzhet. „Echt geil, ey.“
    Endlich zogen sie ab und ließen Leon und seinen dreckigen Ranzen zurück. Es war eigentlich immer dasselbe. Und das Harmloseste. Die Schultaschenszene wurde jeden Tag durchgeführt, vermutlich um den Opfern zu zeigen, wie klein und hilflos sie waren. Normalerweise waren die ‚Spielchen’ von Sima und ihrer Gang noch viel gemeiner und auch sehr brutal.

    „Wir müssen etwas tun!“, meinte Lena und ballte ihre Fäuste. Sie hatte aus der Entfernung beobachtet, was die Gang mit Leon gemacht hatte. Der Junge war so alt wie sie und ging in eine der Parallelklassen. Lena hatte eigentlich nichts mit ihm zu tun, doch jetzt wollte sie, dass sie zusammenarbeiteten. Zu zweit würde man sich gleich viel besser fühlen!
    „Ja.“, sagte Leon. Er schaute das Mädchen verwundert an. Er hatte sie bislang immer für zu schüchtern gehalten, um jemanden einfach anzusprechen, doch offenbar hatte er sich getäuscht.
    „Aber was? Du kennst doch Sima… Die ist gut in der Schule, beliebt bei allen, auch bei den Lehrern… Da kann man nichts machen...“ Leon hatte Recht, das wusste Lena auch. Doch sie wollte nicht einfach so aufgeben.
    „Ja, aber so kann das doch nicht weiter gehen!“, protestierte sie.
    „Schon, aber wir können einfach nichts gegen die tun. Jeder hat Angst vor denen, also würde sich niemals jemand trauen, sich zu wehren!“ Irgendetwas ging von dieser Lena aus, ein eiserner Wille, etwas zu unternehmen. Er fand sie sympathisch und ließ sich von ihrer Motivation anstecken.
    „Wie viele Opfer hat sie? Vielleicht können wir sie schützen…“, schlug er vor.
    „Ich glaube, sechs oder sieben…Also mit uns… Aber wir sind die ältesten. Die anderen sind aus der sechsten und siebten Klasse.“
    „Ok… Mal sehn’, vielleicht können wir dann wenigstens die Kleinen etwas schützen… Und was wir sonst noch machen können, werden wir dann überlegen… Jetzt ist erstmal wichtig, dass Sima merkt, dass sie nicht überall so durch kommt!“, entschied Leon.
    „Ich werde mal mit meiner Mutter reden, vielleicht fällt der was ein… Ich finde wir sollten es beide unseren Eltern sagen, sie können sicher auch irgendwie helfen…“ Lena sah Leon an und er nickte.
    „Ok… Ich muss dann jetzt nach Hause“, verabschiedete er sich und ging.

    Zu Hause ging Lena sogleich auf ihr Zimmer und drehte die Musik voll auf.
    „Lena!“, rief ihre Mutter. „Dreh die Musik leiser.“
    Lena tat ihr ausnahmsweise den Gefallen. Dann legte sie sich aufs Bett, die Arme im Nacken verschränkt, den Blick zur Decke.
    Wieso macht sie das? Hat sie einfach nur Spaß daran, andere zu quälen? Nein… Das kann es nicht sein… Vermutlich ist es ein Schrei nach Aufmerksamkeit…Vielleicht hat sie zu Hause ein Problem… Lena durchdachte jede Möglichkeit, was Sima dazu bringen könnte andere Leute so zu tyrannisieren. Doch sosehr sie sich auch den Kopf zerbrach, eine Lösung dagegen vorzugehen fand sie nicht. Mal sehen, was das Internet dazu sagt… Lena fuhr den PC hoch und tippte in der Suchmaschine „Mobbing“ ein.

    Am nächsten Tag in der Schule hatten sich Sima und ihre Gang den kleinen Tobias vorgenommen. Er trug eine Brille und wurde von ihnen grundsätzlich nur ‚Brillenschlange’ genannt. Das war cool, zumindest ging Sima davon aus. Sie schritt durch die Klasse und warf ihr langes, pechschwarzes, gelocktes Haar zurück. Sie fühlte sich, als wäre sie etwas Besseres und das ließ sie jeden spüren.
    „Nüzhet!“, befahl sie. „Nimm die Brillenschlange. Wir spielen Gericht.“
    ‚Das Gericht’ war ein Prozess, der auf der Toilette stattfand. Ein Opfer wurde von Nüzhet auf eine Toilette geschleppt. Sima saß auf der Toilette und Max und die Anderen lehnten an der Wand. Dann musste das Opfer alles tun, was Sima wollte.
    Lena schaute zu, wie Sima und ihre Gang den kleinen Tobias an den Armen packten.
    Los jetzt, das ist die Chance etwas zu unternehmen! Doch sie traute sich nicht. Und so sah sie tatenlos zu.
    „Los Tobias! Küss mir die Füße!“ Der Kleine schaute ängstlich zu Sima hoch und als diese ihm kurzerhand eine schallende Ohrfeige gab, tat er, was sie sagte. Lena wurde wütend und trat an Sima heran.
    „Was denkst du eigentlich, wer du bist?“, fragte sie sie.
    „Das frage ich dich! Man unterbricht mich nicht, wenn ich beschäftigt bin!“
    „Es interessiert mich aber nicht!“ Sima schaute sie perplex an. Als könne sie nicht glauben, was sie soeben gehört hatte. Doch sie fasste sich schnell und auch Lena kassierte eine Ohrfeige. Sie zuckte zusammen und schaute auf dem Boden. Wie sollte sie jemandem anderen helfen, wenn sie selbst schon nicht gegen Sima ankam?
    „Halt dich gefälligst aus Dingen heraus, die dich nichts angehen! Und nur zu deiner Information: Das wird noch Konsequenzen haben! Nüzhet, kümmerst du dich bitte um sie?“ Damit war diese Sache für Sima beendet. Nüzhet packte Lena am Kragen und schob sie auf dem Schulhof. Dort boxte er sie in den Magen und trat ihr gegen das Schienbein.
    „Heut Mittag gibt’s mehr, jetzt sind die Lehrer da!“, zischte er und verschwand. Lena starrte ihm nach. Sie hatte Tränen in den Augen. Und ihre Hände ballten sich wie automatisch.

    Die Schule ging schnell vorbei, mit noch mehreren Vorfällen. Der kleine Tobias hatte noch geweint, als er mit dem Gericht-Spielen fertig gewesen war. Lena und Anne hatten ihn getröstet und waren dann zu den Lehrern gegangen und hatten sich beschwert. Doch Sima und die anderen hatten alles abgestritten. Sie stritten grundsätzlich alles ab. Das machte Lena unglaublich wütend. Sie wollte sich wehren können. Sie wollte Mut haben wie Sima, und Muskeln wie Nüzhet. Und dann würde sie sie fertig machen. Au ja! Dann würde Sima weinen, und niemand anderes! Sima würde dann weinen…
    Doch es sollte alles ganz anders kommen. Lena wohnte sehr nah an der Schule und lief zu Fuß. Sie hatte Nüzhet’s Drohung schon vergessen, doch plötzlich kam die ganze Clique auf sie zu. Lena sah sich entsetzt um und wollte weg laufen, doch Sima schaute sie böse an. Es wirkte wie eine Hypnotisierung.
    „Na, haste etwa schon vergessen was ich dir versprochen habe?“, fragte Nüzhet. Die anderen lachten hämisch.
    „N… n… nein…“, stotterte Lena.
    „Kannst du auch schon richtig sprechen?“, fuhr Sima sie an. Lena senkte den Blick.
    „Na los, Nüzhet! Versprechen soll man halten, oder was meinst du dazu, Lena?“ Das Mädchen sagte nichts, doch Sima schien es als Bestätigung zu nehmen. Die Clique bildete einen Kreis um Lena und begann sie herum zu schubsen. Es waren viele, mindestens zehn, offenbar hatte Sima noch ‚versteckte’ Helfer. Lena wurde von einem zum Anderen geschubst und ihr wurde schwindelig. Sie strauchelte und fiel hin. Sie richtete sich schnell an der Mauer, gegen die sie gefallen war, wieder auf.
    „Bitte, hört auf!“, flehte sie.
    „Gut, sie sagt, sie ist aufgewärmt! Dann kommen wir jetzt zum eigentlichen Versprechen!“, verkündete Sima. Sie schubste Lena so stark, dass sie hinfiel. Nüzhet stellte seinen Fuß auf ihren Bauch und belastete ihn stark. Lena bekam fast keine Luft mehr, doch sie sagte keinen Ton. Sima und die Anderen stellten sich um sie herum und schauten sie drohend an. Tränen stiegen Lena in die Augen.
    „Ohhh, sieh mal! Die arme Kleine weint!“, grinste Sima und trat ihr in die Seite.
    „Gut, das reicht. Ich hoffe, es war dir eine Lehre, Lena! Halt dich aus Sachen raus, die dich nichts angehen!“

    Als Lena schon fast zu Hause war, hörte sie Schritte hinter sich. Sie lief schneller, doch die Person hinter ihr rannte.
    „Jetzt warte doch mal, Lena!“, hörte sie Leons Stimme. Sie drehte sich um und blickte ihn an. Er wirkte erschrocken. Hatte er etwa gesehen, was Sima und die andren getan hatten?
    „Ach Lena… Irgendetwas muss jetzt wirklich geschehen! Wenn sie schon anfangen, gewalttätig zu werden…“ Lena setzte sich auf eine kleine Bank, die am Weg stand und Leon setzte sich neben sie. Erst jetzt wurde ihr bewusst, was passiert war.
    „Mist!“, murmelte sie und seufzte. Leon schaute sie an und als er sah, dass sie weinte, nahm er sie, ohne ein Wort zu sagen, in den Arm.
    „Uns fällt etwas ein… Ganz sicher…“, redete er auf sie ein und langsam beruhigte sich Lena wieder. Wann war sie das letzte Mal so im Arm gehalten worden? Das war schon lange her… Als ihr Vater noch bei ihnen lebte, doch der war bei ihrer Geburt abgehauen. Sie konnte sich deswegen nicht an ihn erinnern.… Sie musste kichern und löste sich aus Leons Umarmung.
    „Was ist denn jetzt los?“, fragte er sie.
    „Ach… Ich hab nur gerade festgestellt, dass du genauso gut trösten kannst wie meine Eltern“, meinte sie und stand auf.
    „Kommst du noch mit zu mir nach Hause?“, frage Lena, doch Leon schüttelte de Kopf.
    „Tut mir Leid… Ich muss meiner Mutter noch helfen… Erbsen schälen…“ Er verdrehte genervt die Augen. Lena grinste. Mütter…
    „Na ja, wir sehn uns morgen…“

    Als sie zu Hause ankam, ging sie wieder sofort in ihr Zimmer, so würde sie nicht mit ihrer Mutter reden müssen. Und so würde sie ihr auch nicht sagen müssen, was heute wieder einmal passiert war. Immer machte Sima ihr das Leben zur Hölle. Und sie hatte auch nicht vor, das aufzuhören, es sei denn… Lenas Gedanken stockten. Sie hatte gerade ihre E-Mail-Box geöffnet und sie hatte zwei neue Nachrichten bekommen. Sie öffnete die eine. Den Absender kannte sie nicht, doch als sie den Inhalt las, wusste sie sofort, von wem sie war:

    „Warg es dich nimals, uns zu ferpfeifen!“, stand da in Großbuchstaben.

    „Oh Gott.“, dachte Lena. „Ihre Rechtschreibung war miserabel!“
    Sie öffnete die nächste E-Mail.

    „Wenn du uns nur einmahl ferpfeifst, dann bekomst du ein gewaltiges Problehm! Denn wir sind wie Got, und Got ist mächtig, sehr mächtig! Und dass sind wir auch!“

    „Wenn sie genauso mächtig sind, wie sie Rechtschreibfehler machen, dann sind sie tatsächlich sehr mächtig!“, seufzte Lena. Doch sie konnte darüber noch nicht einmal lachen. Sie fragte sich, woher sie ihre Emailadresse hatten und was sie noch über sie wussten.
    Niedergeschlagen ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Es war eh alles umsonst. Plötzlich hellten sich ihre Gedanken auf. Sie hatte eine Idee bekommen. Sie erinnerte sich, dass Sima jeden Morgen um viertel vor 8 zur Schule kam und dann an den Fahrrädern der 6.klässler vorbeischlenderte. Lena hatte sie schon oft dabei beobachtet, wie sie die Luft aus den Reifen ließ und den Sitz verdrehte. Das würde ihr diesmal zum Verhängnis werden. Lenas Blick schweifte ihre Kommode, auf der ihre nagelneue Videokamera lag. „Ja.“, dachte sie. „Das würde ihr zum Verhängnis werden.“
    Lena ging grinsend aus ihrem Zimmer. Sie wiederholte diese Worte mehrmals voller Schadenfreude. Das würde ihr zum Verhängnis werden!

    Am nächsten Morgen schien alles nach Plan zu laufen. Sima hatte keine Ahnung, dass sie gefilmt wurde und Lena hatte sie wirklich gut drauf. Scharf und sogar so aufgenommen, dass sie Ton hatte.
    „Na also, du Ziege! Dir wird dein mieses Spiel noch vergehen!“, murmelte Lena. Sie zoomte heran, als Sima mit einem kleinen Taschenmesser in einen Fahrradreifen schnitt. Dann passierte gar nichts mehr. Lena macht die Kamera wieder aus und hockte sich ins Gebüsch. Als Beweis hatte sie nicht viel… Doch dann kamen Nüzhet und die anderen Jungs zu Sima. Schnell schaltete Lena die Kamera wieder ein.
    „Und, wie fandet ihr es, wie wir die kleine Neue gestern fertig gemacht haben?“, fragte Sima in die Runde.
    „Ja, war voll fett, ey!“, rief Nüzhet und lachte.
    „Habt ihr geseh’n wie die geflennt hat? Voll affig! Wie so ’n kleines Kind!“ Alle lachten. Sima ergriff wieder das Wort.
    „Ob sie wohl verstanden hat, dass sie sich raushalten soll?“
    „Natürlich! So blöd ist nicht mal die!“, meinte Max.
    „Also ich bin mir da nicht so sicher… Vielleicht sollten wir ihr heute nach der Schule noch einmal zeigen wie sie sich zu benehmen hat…?“ Zustimmendes Gemurmel ertönte und Sima lachte. Plötzlich fuhr sie mit der Hand durch die Luft und deutete den anderen an still zu sein. Sie lauschte.
    „Was war das?“, fragte sie.
    „Was?“
    „Hier hat etwas gesummt… Etwa wie eine Kamera die ran oder wegzoomt… Durchsucht die Büsche!“, befahl sie. Lena blieb fast das Herz stehen. Alles hatte so gut geklappt! Und jetzt das… Da blickte sie auf ein paar alte, schmutzig graue Adidas Turnschuhe. Langsam richtete sie den Blick in die Höhe. Und schaute Nüzhet in die Augen. Eine schallende Ohrfeige traf sie. Taumelnd stand sie auf. Nüzhet schubste sie aus ihrem versteck, direkt zu Sima.
    „Ach, sieh mal da, wen haben wir denn da? Und was haben wir denn da?“, setzte sie hinzu als sie die Kamera in Lenas Hand erblickte.
    „Gib sie mit wieder!“, protestierte Lena, als man ihr den Apparat wegnahm. Doch Sima lachte nur.
    „Du kannst sie gerne wieder haben, Schätzchen! Die Bruchstücke!“ Mit diesen Worten pfefferte sie die Kamera auf den Boden und sprang darauf. Das Gehäuse zerbrach und als sie noch weiter darauf herum sprang, war die Kamera bald flach getreten. Die Tränen liefen Lena nur so die Wangen herunter, heiß und sie wollten nicht enden. Es war ein Geschenk gewesen! Und außerdem waren ihre tollen Beweise jetzt hin! Wortlos drehte sie sich um und rannte davon.

    „Nein, nein, nein!!!“ Lena konnte gar nicht mehr aufhören zu schreien. Sie war nach diesem Erlebnis sofort nach Hause gerannt. Sie hätte die Schule nicht mehr ertragen können. Dann musste ihre Mutter sie halt krankschreiben. Sie war ja eh arbeiten. Lena wurde hysterisch und schlug wild in ihr Kissen rein. Ihr ganzes Gesicht war von ihren Tränen verschmiert und die Worte aus der E-Mail spukten ihr im Kopf herum. …Denn wir sind wie Gott.
    „Nein!“, schrie sie. „Ihr seid nicht wie Gott!!! Gott ist gerecht, und ihr seid- ihr seid…“ Sie schlug wieder in ihr Kissen und der Weinkrampf schüttelte sie. Ihr hysterischer Anfall endete erst sehr viel später. Langsam stand sie auf und schaute in den Spiegel. Eine völlig verweinte Lena schaute zurück. Sie wischte sich mit einem Tuch die Tränen fort. „Nein.“, flüsterte sie wieder. „Ich muss sie stoppen! So können sie nicht ewig weiter machen. Wie ich sie hasse!“ Eine Reihenfolge von wüsten Beschimpfungen folgte, und sie prasselten nur so auf ihr Spiegelbild nieder. Sie schnitt sich selbst Grimassen. Dann holte sie aus ihrer Tasche die Restteile ihrer Kamera raus. Als sie diese sah, musste sie wieder weinen. Ihre neue Kamera war völlig kaputt, nicht mehr zu gebrauchen. Und Lena hatte sich doch so lange auf dieses Geschenk gefreut. „Ich hasse dich, Sima!“, schrie sie. „Du bist das allerletzte!“ Doch sie wusste, dass sie sich nie wagen würde, das in Simas Gesicht zu sagen. Sie würde sich es nie wagen. „Doch!“, meinte sie eher zu sich selbst.
    Sie stand langsam auf und machte ihren Computer an. Sie hatte wieder eine Mail bekommen. Ihr war klar, wer ihr geschrieben hatte. Doch woher haben sie meine Nummer?, fragte sie sich abermals. Sie öffnete die Mail, und da stand:

    Komme am Mohntag um halb acht zu denn Mültonnen! Und wehe du kommst nisch!

    „Ich bin am Montag krank!“, beschloss Lena mit einem Blick auf die Uhr. Es war schon 2 Uhr. Ihr war gar nicht aufgefallen, wie schnell die Zeit vergangen war. Ihre Mutter würde jeden Moment nach Hause kommen. Lena warf einen Blick in den Spiegel. Sie sah schrecklich aus! Schnell ging sie in das Badezimmer und wusch sich gründlich das Gesicht, damit ihre Mutter nichts bemerkte. Lena stiegen wieder die Tränen in die Augen. Sie würde es eh merken, wegen der Kamera. „Ich werde es ihr sagen müssen!“, murmelte Lena geistesabwesend. Plötzlich ging ihre Zimmertür auf. „Lena!?“ Ihre Mutter schaute sie verwirrt an. „Hast du heute nicht 8 Stunden?“ „Mir war nicht gut, Mama!“, meinte Lena. „Warum denn nicht, was ist mit dir los, Lenakind?“

    Lena’s Mutter machte sich schon länger Sorgen um ihre Tochter. Das früher so fröhliche und aufgeschlossene Mädchen war seit einiger zeit verschlossen und abweisend. Sie musste ein Problem haben, doch offenbar wollte sie nicht darüber reden. Ihre Mutter war fast ein wenig verletzt. Wieso vertraute Lena ihr denn nicht?
    „Nichts ist mit mir los! Ich fühl mich halt nicht so gut, kann doch mal vorkommen!“, schrie sie. Sie reagierte aggressiv, ziemlich ungewöhnlich für sie. Ihre Mutter setzte sich zu ihr aufs Bett und legte den Arm um ihre Tochter. Lena wehrte sich erst, doch dann gab sie den Widerstand auf und legte den Kopf an die Schulter ihrer Mutter und fing hemmungslos an zu weinen.
    „Ist ja gut mein Schatz…“, wurde sie getröstet und eine Hand streichelte ihr über den Kopf. Lena kauerte sich dicht an ihre Mutter. Nie wieder wollte sie hier weg! Doch sie wusste, dass das albern war und so setzte sie sich auf und wischte sich entschlossen mit dem Handrücken über die Augen.
    „Lenakind… Was ist denn los?“ Und alles brach aus Lena heraus. Stockend und unter Tränen erzählte sie alles, was passiert war und was Sima und ihre Gang mit ihr angestellt hatten.
    „Zuerst wollten sie nur Geld, dann mal ein Buch oder eine CD… Aber dann reichte es ihnen nicht mehr Erst wurden die Summen größer, dann fingen sie an mir auf zu lauern, mir zu schlagen, oder einfach runter zu machen. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie das war! Und in der Klasse ging es dann noch weiter… Das war fast noch schlimmer.“ Lenas Mutter war entsetzt. Dass so etwas mit ihrem Kind passierte und sie davon nichts mit bekam!
    „Aber wieso hast du denn nichts gesagt mein Schatz? Ich hätte dir doch geholfen, das weißt du auch!“
    „Ja aber… Ich durfte nichts sagen… Ich habe Drohmails bekommen und… Ich habe mich einfach nicht getraut…“ Lena sah ihre Mutter verzweifelt an.
    „Jetzt wird alles besser meine Kleine! Wir kümmern uns… So geht es nicht weiter… Das werde ich nicht zulassen, nein! Gleich am Montag werde ich mit den Lehrern reden!“
    „Nein Mama! Das Darfst du nicht! Du machst alles nur noch schlimmer!“, rief Lena erschrocken.
    „Aber so kann es doch nicht weiter gehen Lenakind! Oder siehst du das anders?“
    „Nein…“, murmelte sie und gab sich geschlagen. Am Montag würde Mutter mit den Lehrern reden.

    Diese Nacht hatte Lena einen seltsamen Traum. Sie steht in ihrem Zimmer und schaut aus dem Fenster. Plötzlich steht da Frau Triebitz – Lenas Klassenlehrerin – mit Sima. Frau Triebitz klingelt an der Haustüre und Lena öffnet diese. Sima grinst spöttisch. Plötzlich greift sie mit langen Fingern nach Lena und hält sie in die Luft. „Hilfe!“, schreit Lena, doch Sima lacht laut und übertönt ihren Schrei. Frau Triebitz lacht mit! Sima nimmt Lena und schleudert sie weit vom Haus weg. Nur mühevoll rappelt sie sich wieder auf und rennt auf das Haus zu. Als sie hinein kommt, sind Sima und Frau Triebitz nicht mehr da. Lena rennt in ihr Zimmer und sieht, dass ihre 20 neuen Hightech-Kameras zerstört sind. Der ganze Boden ist von Einzelteilen übersäht. Weinend kehrt Lena die Reste zusammen. Plötzlich steht da Frau Triebitz. Sie lacht und ruft:
    „Du bist es selber Schuld! Warum musstest du das auch deiner Mutter sagen? Sima ist nämlich meine Tochter! ...“
    Schweißgebadet wachte Lena auf und lief sofort ins Bad. Sie ließ sich eiskaltes Wasser über das verschwitzte Gesicht laufen. Das tat gut. Lena ging wieder in ihr Zimmer und machte sich ernsthaft Gedanken darüber, ob Sima wirklich die Tochter von Frau Triebitz war. Sima Triebitz. Aber das stimmte ja nicht! Sima hieß mit Nachnamen schließlich „Johnen“. Erleichtert, einen guten Grund gefunden zu haben, dass Sima nicht die Tochter von Frau Triebitz war, machte sich Lena ab in die Küche.

    Dieses Wochenende ging schnell vorbei. Lena genoss die Erholung von Sima und ihrer Gang. Doch der Gedanke, am Montag wieder in die Schule gehen zu müssen, bereitete ihr Bauchschmerzen.

    Doch der Montag kam leider wieder. Lena wälzte sich im Bett umher und stand schließlich auf. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Oh Gott! Sie hatte verschlafen, aber mächtig! Lena rannte die Treppe zu ihrem Zimmer wieder hoch und zog sich in Windeseile an. Danach putzte sie sich genau so schnell die Zähne. Fluchend packte sie ihren Ranzen und hetzte aus der Türe. Sie bekam den späten Bus nur knapp, aber immerhin! Irgendwo musste sie ja mal Glück haben. In der Schule angekommen musste sie Herrn Kohler, ihrem Deutschlehrer, erst einmal lange Erklärungen leisten, warum sie denn nur zu spät war. Sie konnte ihm ja schlecht sagen: „Ich habe schlecht geträumt.“! Außerdem hörte Sima ihr die ganze Zeit zu und grinste dämlich.
    Lena fühlte sich furchtbar.

    „Na, hast du gedacht, nur weil du ein bisschen rumheulst, dass wir dich jetzt in Ruhe lassen!?“ Sima protzte nur förmlich vor Schadenfreude.
    „Lasst mich in Ruhe!“
    Sima setzte einen traurigen Dackelblick auf. „Sie sagt, wir sollen sie in Ruhe lassen.“ Ihre Gang brach in schallendes Gelächter aus. „Bitte wiederhole für uns noch einmal die reizenden Regeln“
    „Ich muss euch immer anschauen.“, fing Lena an.
    „Geht das auch ein bisschen motivierter?“, zischte Max.
    „Ich muss euch immer anschauen.“, sagte Lena noch einmal. Sie unterdrückte die Tränen.
    „Das ist schon besser!“, meinte Max sachte lächelnd.
    Lena fuhr schnell fort: „Alles, was ihr befehlt, wird nicht hinterfragt.“
    „Gut so.“, kommentierte Nüzhet.
    „Und…“ Lena suchte nach den Worten. „Äh… Ich muss grundsätzlich all das tun, was ihr sagt. Außerdem darf ich nur reden und gehen, wenn ich dazu aufgefordert werde.“
    „Wo wir jetzt schon einmal dran sind, können wir ihr auch gleich die fünfte Grundregel beibringen.“, lächelte Sima. „Nüzhet?“
    „Nun, Kleine. Ab jetzt wird in unserer Anwesenheit nicht mehr geheult. Das gibt Strafpunkte.“ Lena nickte. „Das ist die fünfte Regel: Nicht heulen.“, wiederholte Nüzhet. Er schaute Sima fragend an. „Ja.“, meinte diese. „Jetzt kommt noch die sechste Regel.“
    Max fuhr fort: „Du wirst niemals deine Freundinnen mit zu unserem Treffen nehmen oder ihnen überhaupt davon erzählen, hast du mich verstanden?“ Lena spürte einen Kloß im Hals, doch sie nickte brav.
    „Gut.“, meinte Sima. „Lasst uns gehen. Ich glaube, die Kleine hat uns verstanden.“
    Sima und ihre Gang gingen davon und Lena stand alleine. Sie ging mit zitternden Beinen auf die Bäume zu und brach darunter zusammen.

    „Leeeenaaa!“, rief ihr jemand ins Ohr. Sie drehte sich um, spürte einen Schmerz in der Hüfte. „Leeena? Bist du wach?“, schrie wieder jemand. Langsam öffnete Lena die Augen. Zu erst waren die Bilder unscharf, doch dann nahm alles Umriss an. „Geht es dir gut?“, fragte Anne. „Nein.“, meinte Lena. „Mir ist übel. Und außerdem tut meine Hüfte weh!“ „Du arme!“, kommentierte Julius. „Wir haben dich auch schon die ganze Zeit auf dem Schulhof gesucht.“, fügte Leon hinzu. Du wirst niemals deine Freundinnen mit zu unserem Treffen nehmen oder ihnen überhaupt davon erzählen. „Ja.“, sagte Lena. „Ich hab auf einmal dieses Schwindelgefühl gehabt.“ „Weißt du, warum?“, fragte Herr Kohler. Lena schüttelte schnell den Kopf, wahrscheinlich zu schnell. „Du weißt, dass du mir vertrauen kannst!“, sagte Anne. „Ja.“, wandte Lena ein. „Ich weiß. Aber das ist es nicht… Es ist etwas… anderes.“
    „Aha.“, machten Leon und Julius gleichzeitig. Sie tauschten einen Blick, den Lena nicht zuordnen konnte. War es etwa Besorgtheit?
    „Ja.“, fuhr sie schnell fort. „Ich war einfach… einfach in Gedanken, bin so auf dem Schulhof rum gegangen, dann plötzlich wurde es schwarz. Na ja, mir war extrem schwindelig…“
    „Gut. Wenn es weiter nichts ist…“, meinte Herr Kohler erleichtert. Ausgerechnet Herr Kohler…

    Die Schule ging ohne weitere Vorfälle vorüber. Und ohne dass Herr Kohler daran gedacht hatte, sie nach Hause zu schicken. Als ob er sie im Auge behalten wollte, dachte Lena. Wahrscheinlich hatte Sima Lenas Zusammenbruch abgeschreckt, aber Lena wusste, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde.
    Als sie zu Hause ankam, war sie sich bewusst, dass ihre Mutter jeden Moment bei der Schule bei Frau Triebitz auftauchen würde. Dann würde sie mit ihr sprechen, und dann Frau Triebitz mit Sima… Und danach…
    Lena fühlte sich, als würde sie jeden Moment wieder zusammenbrechen. Sie fühlte sich richtig krank. Schlechter als krank. So elend hatte sie sich noch nie mit einer richtigen Krankheit gefühlt.
    Da klingelte das Telefon. „Hallo, Schatz.“, ertönte die Stimme ihrer Mutter aus dem Telefon. „Nur damit du dich nicht wunderst: Ich bin jetzt bei deiner Lehrerin. Äh, Frau Triebitz, oder wie heißt sie? Ja. Gut, ich werde auf jeden Fall jetzt mit ihr sprechen und gleich auch schon wieder zu Hause sein. Es dauert also nicht lange. Benimm dich, Schatz. Wenn du vor Hunger stirbst, schmier dir ein Brot. Ich bin gleich zu Hause…“ „Ja!“, ging Lena dazwischen, um den Redefluss ihrer Mutter zu stoppen. „Bis gleich.“ Dann legte sie auf.

    Frau Rheines knallte die Autotüre zu. Mit schnellen Schritten stieg sie die Treppe der Schule hoch und ihre Schritte hallten auf dem Boden. Sie schaute sich um. Irgendwo hier war Lenas Klassenraum und dort wartete auch ihre Klassenlehrerin auf sie. 219, oder was hatte Lena ihr eben noch gesagt? Ja, sie war sich ganz sicher, dass es 219 sein musste. Sie marschierte zu der Tür vom Raum 219 und klopfte an.
    „Bitte?“, fragte eine weibliche Stimme. Frau Rheines öffnete die Tür und trat ein.
    Eine junge Frau saß hinter dem Pult und schien etwas in ein Heft zu schreiben. Sie schaute auf, als Frau Rheines den Raum betrat. „Frau Rheines?“, vergewisserte sie sich. Lenas Mutter nickte. Sie atmete das intensive Parfum der Lehrerin ein und fühlte sich gleich elend. Sie verstand sofort, warum Lena diese Person nicht mochte. „Mir ist schlecht.“, dachte Frau Rheines und würgte kurz. Schnell riss sie sich zusammen, sie hatte schließlich etwas anderes vor, als Frau Triebitz den Tisch aus unangenehmen Gründen zu beschmutzen.
    „Frau Triebitz?“, fragte sie mit erstickter Stimme und reichte der Dame ihre Hand. Diese nickte und sie reichte ebenfalls ihre Hand. Dann bot sie Frau Rheines den Stuhl auf der anderen Seite des Pultes an. Frau Rheines setzte sich.
    „Sie wollten mich sprechen.“, fing Frau Triebitz an und faltete die Hände auf dem Tisch.
    „Allerdings.“, antwortete Lenas Mutter. „Ich kann nicht mehr mit ansehen, wie meine Tochter von einer bestimmten Person gemobbt wird.“ Frau Triebitz zog die Stirn kraus.
    „Gemobbt?“ Sie lächelte arrogant. „Davon kann doch keine Rede sein. Meine Klasse ist so brav. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so etwas machen würden.“
    Frau Rheines wurde wütend. „Dann kennen sie ihre Klasse nicht.“ Frau Triebitz lächelnder Mund verzog sich zu einem Strich. „Ich sollte wohl am besten wissen, wie ich meine Klasse einzuschätzen habe, meinen Sie nicht, Frau Rheines? Und wenn sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich habe zu tun.“ Sie wandte sich wieder ihrem Heft zu und notierte eifrig etwas mit einem roten Stift.
    „Ich bin noch nicht fertig!“, erklärte Frau Rheines mit ruhiger Stimme. Sie konnte sich nur schwer zusammen reißen. Diese aufgeblasene Lehrerin! Für was hielt sie sich eigentlich?
    „Ich aber!“, meinte Frau Triebitz und lächelte abgehoben.
    „Sie müssen mit mir reden, wenn ich das will!“, sagte Frau Rheines und beugte sich über das Pult zu Frau Triebitz. „Sie haben keine andere Wahl.“ Frau Triebitz schluckte und verstand, dass sie jetzt besser nichts Falsches sagte.
    „Ich weiß.“, meinte sie schließlich mit trockener Stimme. „Doch ich sehe kein Problem. Ihre Tochter ist wahrscheinlich selber schuld, dass sie gezankt wird.“ Frau Rheines verlor die Geduld und bemerkte, wenn sie jetzt noch länger mit dieser aufgeblasenen Lehrerin reden würde, dann würde sie explodieren. Deswegen stand sie auf, atmete tief durch, reichte Frau Triebitz die Hand und meinte mit boshafter Stimme: „Auf Wiedersehen, Frau Triebitz. Sie werden schon noch von mir hören.“ „Das hoffe ich.“, antwortete Frau Triebitz steif und setzte wieder ihr gekünzeltes Lächeln auf. „Das hoffe ich, Frau Rheines. Auf Wiedersehen.“
    Frau Rheines ging zur Tür, und als sie sich noch einmal umdrehte, sah sie, wie Frau Triebitz, über ihr Heft gebeugt, den Kopf schüttelte und etwas murmelte. Dann öffnete die wütende Frau Rheines die Tür und verließ den Raum.

    Kopfschüttelnd überquerte sie den Schulhof und stieg in ihr Auto. Wie konnte eine einzige Person nur so blöd sein? Innerlich kochte sie, doch dass das auch nichts bringen würde wusste sie auch.

    „Hallo Schatz! Ich bin wieder da!“, rief Frau Rheines, als sie das Haus betrat. Lena kam die Treppe herunter und schaute ihre Mutter erwartungsvoll aus. Doch ihr Gesichtsausdruck wechselte schnell als sie sah wie niedergeschlagen ihre Mutter dreinblickte.
    „Es hat nicht geklappt, oder?“
    „Nein… Sie hat mich total abgewimmelt…“
    „Das war klar… Und jetzt kommt das alles auf mich wieder zurück…“ Lena kämpfte mit den Tränen. Sie schaffte es nicht anzufangen zu weinen. Ihre Mutter nahm sie in den Arm.
    „Ach mein Schatz… Uns fällt schon was ein…“ Zweifelnd schaute Lena ihrer Mutter in die Augen und erwiderte das aufmunternde Lächeln. Ja, sie würden einen anderen Weg finden!

    Lena saß in ihrem Zimmer am Schreibtisch und stützte ihren Kopf mit dem Arm ab. Sie grübelte die ganze Zeit vor sich hin. „Warum war sie nur so machtlos, Sima gegenüber?“ Die Antwort war leicht. Sima hatte zu viele Freunde. Gegen die kam man nicht an. Hätte Lena genauso viele Freunde, käme sie locker gegen Sima an, aber so…
    Plötzlich erklang die Stimme von ihrer Mutter. „Lena-Schatz, es ist jemand am Telefon für dich!“ Oh mein Gott, jetzt rufen sie mich schon an!, war Lenas erster Gedanke.
    Doch als sie runter kam, meinte ihre Mutter: „Wer ist denn Leon?“ Lena grinste. Da hatte er tatsächlich im Telefonbuch nach ihrer Nummer gesucht! Wie nett!
    Wenigstens gab es noch nette Menschen auf dieser Welt!
    Lena griff nach dem Hörer und formte mit dem Mund: „Erzähl ich dir gleich.“ Dann sagte sie „Hi, Leon!“ in den Hörer. „Hi, Lena!“, kam es zurück. „Wie geht es dir?“ Lena blieb bei der Wahrheit und meinte mit erstickter Stimme: „Schlecht.“
    „Was ist geschehen?“, fragte Leon. Doch er wusste, dass es etwas mit Sima zu tun hatte.
    „Naja.“, fing Lena an. „Sima lässt mich nicht in Ruhe, und Frau Triebitz, meine Klassenlehrerin, glaubt mir das nicht…“
    „Hast du etwa mit der gesprochen? Mit der Triebitz?“
    „Meine Mutter war heute bei ihr.“, erklärte Lena.
    „Was hat die gesagt?“, fragte Leon interessiert weiter. Lena erzählte ihm alles. Dann musste sie wieder weinen.
    „Lena?“, fragte Leon. Doch als Lena keine Antwort gab, sondern weiter weinte, fügte er hinzu: „Am besten, wir treffen uns mal. Die ganze Zeit am Telefon zu kleben, ist ja auch nicht besonders interessant.“ Trotz Lenas Weinkrampf musste sie lachen.
    „Ist doch so.“, lachte Leon mit. „Also, wenn es dir nichts ausmacht, fährt meine Mutter mich jetzt zu dir!?“
    „Mir macht es ganz bestimmt nichts aus.“, sagte Lena. Sie erklärte Leon noch kurz, wie er zu ihr kam, dann legte sie auf.
    „Wer ist denn nun Leon?“, fragte Lenas Mum neugierig.
    „Ein Schulfreund.“, erklärte Lena kurz.
    „Freund?!“, wiederholte Frau Rheines und zog eine Augenbraue hoch.
    „Ein Kumpel!“, fügte Lena schnell hinzu, um die Missverständnisse ihrer Mutter aus der Welt zu schaffen. Sie musste lachen. „So kenn ich meine Lena.“, rief Frau Rheines und küsste ihrer Tochter auf die langen, blonden Haare. Lena grinste und lief die Treppe hoch in ihr Zimmer.

    Bald schon klingelte es an der Tür und Lena rannte die Treppe wieder hinunter.
    Leon stand da und lächelte sie an. „Das ist Leon!“, erklärte Lena ihrer Mutter, die sie fragend anblickte.
    „Ach so.“, machte diese und verschwand in das Wohnzimmer mit den Worten: „Macht euch noch einen schönen Tag.
    Lena und Leon grinsten sich an und Lena führte ihn in ihr Zimmer.
    „Also, was machen wir jetzt mit Sima?“, fragte er.
    „Ich hab schon so viel versucht, aber nichts hat geklappt!“, seufzte Lena.
    „Aber wir müssen einfach irgendetwas tun!“
    „Bei diesem Punkt waren wir schon.“
    „Ja.“ Sie seufzten wieder.
    „Mensch!“, sagte Lena nach einer Schweigeminute. „Es muss doch etwas geben, womit wir Sima stoppen können! Sie kann das doch nicht alles so gut geplant haben!“
    „Sie ist perfekt…“
    „Nein. Perfekt ist sie auf keinen Fall! Jeder hat einen Schwächepunkt. Wir müssen den von Sima nur noch heraus finden!“
    „Wie wäre es…“, überlegte Leon. „Wenn wir mal zu Simas Haus gehen…“
    „Um uns da von ihr erwischen zu lassen?!“, rief Lena. „Niemals!“
    „Aber ihre Gang begleitet sie doch garantiert nicht überall hin!“, führte Leon den Gedanken weiter.
    „Du hast Recht.“ Lena geriet ins Grübeln. „Wenn wir eine Schwäche von ihr finden wollen, können wir dies am Besten bei ihr zu Hause tun.“
    „Aber ob das geht…?!“
    „Bleib optimistisch!“, lachte Lena. Und diesmal war es ein aufrichtiges Lachen.

    Lena und Leon redeten noch lange. Doch schließlich musste Leon auch mal nach Hause gehen. Er verabschiedete sich von Lena mit einer Umarmung. „Ciao, Lena! Bis Morgen in der Schule!“ Als Leon weg war, drehte sich Lena wieder um, um in ihr Zimmer zu gehen, da stand ihre Mutter im weg und grinste sie an. „Netter Junge.“ Dabei betonte sie besonders das letzte Wort. „Ja.“, meinte Lena und quetschte sich an ihrer Mutter vorbei, um die Treppe hoch zu rennen.

    Schweren Herzens stand Lena auf und zog die Vorhänge an ihrem Fenster auf Seite. Grelles Licht flutete in ihr Zimmer und sie kniff verschlafen die Augen zusammen. „Och, nee! Schule! Sima!“, dachte sie. Mit Schule brachte sie nur noch Folterkammer in Verbindung.
    Langsam torkelte sie die Treppe hinunter und setzte sich an den Frühstückstisch. „Morgen, Lena-Schatz.“, begrüßte ihre Mutter sie. Lena rieb sich die Augen. „Morgen, Mum!“
    „Lust auf Spiegelei?“ Am Morgen waren ihre Sätze immer kurz. „Ja, Mum.“ Doch die Länge Lenas Sätze übertraf die ihrer Mutter noch. „Ich begleite dich heute zur Schule.“, bot Frau Rheines an. „Danke, Mum. Doch sie werden eh in der Schule genug Gelegenheit finden, mich fertig zu machen.“ Dieser Satz verblüffte Lena. Nicht nur wegen seiner Länge, sondern auch einfach so. Sonst drückte sie sich nie so aus.
    Das Frühstück ging viel zu schnell vorbei, so fand Lena. Doch sie war schon erleichtert, dass ihre Mutter sie zur Schule brachte.
    In der ersten Stunde hatten sie wieder Deutsch mit Herr Kohler. Lena mochte Herr Kohler, und Deutsch machte mit ihm sehr viel Spaß. Mitten in seiner Stunde kam ihr die Idee. Sie würde mit ihrer Mutter einmal zu Herr Kohler gehen! Der würde ihr garantiert zuhören, so nett wie der war! Da war sie sich ganz sicher. Herr Kohler würde sie nicht abwimmeln, so wie Frau Triebitz!

    In der Pause kam Sima wieder zu Lena, natürlich mit ihrer Gang. Sie lachten laut und bauten sich vor Lena auf. „Hallo, Lena-Mäuschen!“, rief Sima und grinste spöttisch. „Hallo, Sima-Schatz!“, gab Lena zurück. Sie musste sich das Grinsen verkneifen, als ihr auffiel, was sie gerade gesagt hatte. Sie hatte nicht vorher nachgedacht, ehe sie das gesagt hatte.
    „Wie schön, dass du mich auch so gerne magst!“, lächelte Sima, obwohl Lenas Worte sie sehr überrascht hatten. „Lena-Mäuschen, es wird mit dir langweilig. Immer fragen wir dich die Regeln ab, doch nun, da wir dir alle beigebracht haben, ist das langweilig geworden. Wir haben uns überlegt, auch mit dir einmal Gericht zu spielen.“ Sie grinste. „Wir sind uns sicher, es wird dir gefallen!“ Noch ehe Lena protestieren konnte, wurde sie von Nüzhet und Max zur Toilette geschleppt. Sie trat und schlug um sich. „Hilfe! Lasst mich los!“ Plötzlich kam Herr Kohler. „Lasst Lena sofort los!“, schrie er Sima und die Gang an. Nüzhet und Max ließen die strampelnde Lena fallen. „Was denkt ihr euch dabei? Das gibt Nachsitzen!“
    Die Gang trottete hinter Herr Kohler her. Sima warf Lena einen wütenden Blick zu und flüsterte im vorbeigehen: „Das wirst du noch büßen!“ Lena lief es eiskalt den Rücken hinunter.
    Die Schule ging vorbei, ohne dass Sima Lena noch einmal belästigte.
    Auf Lenas Nachhauseweg begegnete sie wieder Leon und bemerkte, dass sie einen Teil des Weges zusammen gehen konnten. Lena erzählte Leon, was sie heute wieder erlebt hatte. Auch Leon erzählte Lena, dass er auch wieder von Sima fertig gemacht wurde. „Und dann haben sie meine Tasche ausgekippt und meine Hausaufgaben zerrissen!“, meinte er zum Schluss. Lena nickte stumm. „Das tut mir echt leid!“, meinte sie.
    „Du tust mir auch leid.“
    Den restlichen Weg gingen sie stumm nebeneinander. Als Lena zu Hause war, kam ihre Mutter ihr schon entgegen. „Hallo, Lena-Schatz! Wie war es in der Schule? Ging es mit Sima?“
    „Nein.“, nuschelte Lena und setzte sich an den Tisch. „Warum warst du heute nicht auf der Arbeit?“
    „Frei.“, strahlte Frau Rheines.
    „Toll! Wenigstens du hast Glück!“, meinte Lena.
    „Was ist denn heute wieder geschehen?“, fragte Frau Rheines besorgt.
    „Naja. Herr Kohler hat Sima daran gehindert, mit mir ‚Gericht’ zu spielen.“, stöhnte Lena. Dann erklärte sie, was ‚Gericht’ ist.
    Plötzlich meinte Lena: „Wir hätten von Anfang an nicht zu Frau Triebitz gehen sollen, sondern zu Herr Kohler! Der würde uns bestimmt helfen!“
    „Dann machen wir das doch, Lena-Schatz!“, sagte Frau Rheines.
    „Ja!“, meinte Lena. „Er ist heute sogar noch am Nachmittag in der Schule!“
    „Sollen wir dann zu ihm gehen?“, fragte Lenas Mutter und packte schon ihre Tasche.
    „Ja!“, rief Lena wieder und sprang auf. Ihre Mutter lachte. „Na, dann los!“

    Sie fuhren sofort los. Die Schule war nicht so weit entfernt, deswegen waren sie schnell da. Lena blieb in der großen Halle in der Schule stehen und überflog eine Liste. „Herr Kohler, Herr Kohler.“, flüsterte sie. „Ah, da steht’s! Raum 240!“ Sie stiegen die Treppen hinauf.
    Raum 240 lag im Ost-Flügel und war schnell erreicht. Lena klopfte an und als sie ein „Herein.“ hörte, trat sie ein. Herr Kohler saß am Pult und beugte sich über eine Lektüre. Frau Rheines schloss die Tür. „Hallo, Herr …“, sagte sie, doch als Herr Kohler aufblickte, stockte sie.
    „Hallo, Ingrid!“, meinte dieser überrascht. Lena blickte ihre Mutter an.
    „Ihr kennt euch?“
    Plötzlich bekam Frau Rheines die Fassung wieder und stürmte aus dem Klassenzimmer. Herr Kohler sprang vom Pult auf.
    „Ingrid, warte!“ Er lief an Lena vorbei, die immer noch geschockt im Klassenraum stand. „Was zum Teufel…?“, fragte sie sich, dann rannte auch sie aus dem Raum raus. Da sie wusste, wo ihr Auto stand, nahm sie einen anderen Weg, und war noch vor ihrer Mutter da. Diese kam erst nach ihr am Auto an, riss die Türe auf und startete sofort den Motor. Herr Kohler kam angelaufen. „Ingrid, so warte doch! Ich kann dir alles erklären.“
    Was wollte er ihr erklären?
    Doch Frau Rheines hörte nicht auf den Lehrer und fuhr los. „Ingrid!“, schrie Herr Kohler ein letztes Mal, ehe er begriff, dass Frau Rheines sowieso nicht anhalten würde.
    „Mum!“, rief Lena. „Woher kennst du bitteschön Herrn Kohler?“
    „Gleich!“, presste ihre Mutter zwischen den Zähnen hervor. Erst jetzt merkte Lena, dass sie weinte.
    „Mama, was ist los?!“, fragte Lena. Frau Rheines fuhr das Auto an den Rand, machte den Motor aus, beugte sich über das Lenkrad und fing hemmungslos an zu weinen.
    „Mama!“, rief Lena und beugte sich zu ihrer Mutter, um sie zu trösten. Sie strich ihrer Mutter über die Haare und redete beruhigend auf sie ein.
    „Mum, was ist denn los? Sag es mir doch!“ Erst nach einer Zeit fing Lenas Mutter an zu erzählen.

    „Du kannst dich nicht an ihn erinnern?!“
    „An wen?“, fragte Lena.
    „An deinen Vater.“ Ingrid, Lenas Mutter putzte sich die Nase.
    „Nein.“, sagte Lena. „Nicht viel.“ Ihre Augen weiteten sich, als sie eine Vorahnung traf. „Herr Kohler, er ist doch nicht… Er ist doch nicht wirklich…“
    „Doch.“, schluchzte Ingrid. „Ich habe ihn sofort wieder erkannt. Er hat sich nicht viel verändert. Herr Kohler, oder: Dein Vater.“ Nun kamen auch Lena die Tränen. Deswegen hatte sich Herr Kohler immer um sie so gesorgt! Er hatte gewusst, dass sie, Lena, sein Kind war! Lena wusste nicht, ob sie wütend oder traurig sein sollte. Doch irgendwo in ihr war sie ein wenig erleichtert. Sie wusste wer ihr Vater war. Sie kannte ihren Vater! Den, von dem sie gedacht hatte, sie hätte ihn noch nie gesehen. Sie konnte ihm gar nicht böse sein. Er war schließlich ihr Vater.
    Als Ingrid sich wieder beruhigt hatte, fuhr sie weiter nach Hause. Auch Lena hatte noch geweint. Zu Hause ging Lena auf ihr Zimmer und dachte über alles nach…

    Sima und ihre Gang standen auf dem Schulhof. Nüzhet rauchte eine Zigarette und fühlte sich cool, als Herr Kohler auftauchte.
    Er drückte sie schnell aus und stellte seinen Fuß darauf. Erwartungsvoll schauten sie dem Lehrer entgegen.
    „Was will der denn hier?“, flüsterte Sima. „Wetten, wir kriegen jetzt nen Anschiss oder so…?“
    „Vermutlich… Dann kann unsere kleine Lena aber was erleben!“
    „Hallo Herr Kohler! Wie kommen wir denn zu der Ehre, dass Sie uns einen Besuch abstatten?“, säuselte Sima.
    „Genau Herr Kohler… Es gibt doch hoffentlich kein Problem, oder?“, hakte Max nach. Der Lehrer seufzte innerlich. So viel Geschleime auf einem Ort hatte er noch nicht erlebt. Aber es gab ihm sofort das Gefühl, das Richtige zu tun, denn dass Sima und ihre Freunde nicht gerade ‚harmlos’ waren, das wusste er. Und wenn sie ihm jetzt so sehr versuchten Honig um den Bart zu schmieren, mussten sie ja irgendetwas befürchten.
    „Nun ja, vielleicht erinnert ihr euch ja noch daran, dass ich euch gestern dabei erwischt habe, wie ihr eine Mitschülerin fertig gemacht habt…“ Die ganze Clique stöhnte genervt und Herr Kohler musste sich ein Grinsen verkneifen.
    „Tja liebe Leute… Wer Mist baut, muss auch selbst zusehen wie er ihn wieder ausbügelt… Ich wollte euch nur sagen, dass ihr morgen Nachmittag alle, und ich betone alle, zu mir ans Lehrerzimmer kommt und eure Strafen abholt!“
    „Morgen? Aber – da hab ich keine Zeit!“, sagte Nüzhet trotzig.
    „Trotzdem. Ich bestehe darauf, dass ihr alle kommt! Seht zu wie ihr euch Zeit verschafft, Hauptsache ihr habt sie!“ Mit diesen Worten ging Herr Kohler und ließ Sima und die anderen stehen.
    „Das wird Lena uns büßen!“, beschloss Sima wütend.

    Lenas Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie den Schulhof betrat. Nun musste sie darauf achten, dass sie zwei Personen nicht über den Weg lief. Sima und Herrn Kohler, ihrem Vater. Wie würde er darauf reagieren, jetzt wo er plötzlich wusste, dass seine Tochter hier auf der Schule war?
    Er wusste selbst nicht wie er sich verhalten sollte. Es war ihm zwar bewusst gewesen, dass er eine Tochter hatte, doch er hatte nie damit gerechnet ihr irgendwann mal gegenüber zu stehen. Überhaupt hatte er nicht erwartet, dass sie hier leben würde. Lena war das Kind einer Jugendliebe, nicht wirklich gewollt und noch weniger erwartet. Damals hatte seine Frau ihm nicht erzählt, dass sie schwanger war, doch als das Kind kam, hatte er die damals knapp neunzehnjährige damit allein gelassen. Es war ihm zu viel Verantwortung, die er hätte tragen müssen, als Vater.
    Nun wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte, als er Lena und ihre Mutter alleine gelassen hatte, doch er konnte es schließlich nicht mehr rückgängig machen.
    Er hörte, wie Sima und ihre Gruppe weg trotteten. Sie ließen ihn deutlich spüren, wie sehr sie mit seiner Reaktion auf das Geschehene einverstanden waren, doch darüber wollte er sich nicht den Kopf zerbrechen, das war ja nicht sein Problem.
    Langsam setzte Herr Kohler sich wieder in Bewegung. Im Augenwinkel sah er Lena, die sich nach irgendjemandem umschaute. Zuerst hatte er das Bedürfnis, zu ihr zu gehen, und ihr alles zu erklären – womöglich hatte ihre Mutter alles ganz anders geschildert - doch schon im zweiten Moment verließ ihn der Mut.
    Lena drehte sich um die eigene Achse. Bislang war sie Sima und Herr Kohler noch nicht begegnet, worüber sie sehr erleichtert war. Sie sah Leon bei den Bäumen stehen und steuerte langsam auf ihn zu. Im anderen Augenwinkel entdeckte sie ihren Vater und wünschte sich augenblicklich, unsichtbar zu sein oder im Erdboden zu versinken.
    Ihre Schritte wurden schneller, bis sie fast schon über den Schulhof hetzte.
    „Hallo, Lena!“, rief Leon ihr schon von weitem zu.
    „Hallo!“, rief sie zurück.
    „Warum rennst du denn so?“ Leon schaute Lena fragend an.
    „Lange Geschichte…“, erklärte Lena.
    „Ich hab Zeit!“ Leon grinste sie an und schaute sich um.
    „O.K.“, gab Lena nach. „Ich erzähl’s dir…“ Sie fummelte nervös an ihrer Jacke herum. Dann berichtete sie langsam, was passiert war, und am Ende meinte sie: „Herr Kohler ist mein Vater.“
    Leon schaute irritiert, dann sammelte er sich wieder. „Du meinst, dein Deutschlehrer ist dein Vater?“ Lena nickte.
    „Oh Gott!“, stieß Leon aus, was wie ein Seufzer klang.
    „Ja…“ Lena schaute sich wieder um. Das tat sie schon die ganze Zeit.
    „Aber dann darf er dich ja gar nicht unterrichten!?“, informierte sich Leon weiter. Lena zuckte die Achseln. „Eigentlich nicht…“, fügte sie schnell hinzu.
    „Hmmm…“, machte Leon und musterte interessiert seine Füße.
    „Was soll ich denn jetzt tun?“, fragte Lena verzweifelt.
    „Ich weiß nicht…“
    Plötzlich horchte Leon auf. Kurz darauf näherten sich Schritte.
    „Oh nein!“, stieß Lena hervor. „Sima!“
    „Komm!“, rief Leon und zerrte Lena hinter einen breiten Baumstamm. Sie vernahmen Stimmen, die langsam lauter wurden.
    „…Sie wird schon ihre gerechte Strafe bekommen…“ Das war Sima.
    „Du wirst es ihr zeigen!“, rief Nüzhet hämisch und boxte mit der Faust seiner linken in die rechte Hand.
    „Verlass dich drauf!“, mischte sich Max ein. „Sima wird der Kleinen schon zeigen, wo’s lang geht! So was lässt sie nämlich nicht mit sich machen!“
    Sima grinste arrogant über die vielen Komplimente.
    „Damit meinen sie dich, oder?“, flüsterte Leon. Lena nickte und legte den Finger auf die Lippen. „…Und was?“, hörten sie Max fragen.
    „Was weiß ich? Also, hat jemand von euch eine Idee?“, leitete Sima die Frage sofort an ihre Freunde zurück. Sofort ertönte ein aufgeregtes Getuschel und Gerede, leider zu undeutlich, dass Lena und Leon nicht besonders viel davon verstanden.
    „Wie die kleinen Kinder… Alle reden wild durcheinander und man versteht nichts…“, murmelte Lena. Offenbar hatte die Gang viele Vorschläge, was man mit ihr, Lena, machen könnte, allerdings schien Sima an keiner davon Gefallen zu finden.
    „Nein… Nein…“, lehnte Sima die Vorschläge ihrer Gang ab. „Nein, das ist viel zu harmlos!“
    Hinter dem Baumstamm kaute Lena nervös auf ihrer Unterlippe herum und schluckte heftig.
    „Jetzt müsste ich eins dieser tollen, neuen Handys haben!“, wisperte Leon. „Dann könnte ich alles aufnehmen, was Sima mit ihren Freunden bespricht!“ Lena nickte. So ein Handy sollte man haben…
    „In dem Fall…“, hörte sie Sima flüstern, als wüsste sie, wer sich hinter dem Baum befand. „Ist sogar ‚Das Gericht’ eine zu harmlose Strafe!“, vollendete Sima den Satz. Lena hörte Simas Gang laut lachen. Lenas Hände fingen an zu zittern, ihnen folgte der ganze Arm.
    „Hmmm…“,überlegte Sima spitz. „Geldstrafen sind auch zu langweilig geworden!“
    Ein eiskalter Schauder jagte über Lenas Rücken. Ihr Brustkorb begann ebenfalls zu zittern.
    „Ich könnte sie zu mir nach Hause einladen“, schlug Sima hämisch lachend vor.
    Das Zittern hatte schon Lenas Beine erreicht. Bald darauf zitterten sie mit Lenas Armen um die Wette.
    „Lena?“, fragte Leon erschrocken, als er bemerkte, wie sehr seine Freundin zitterte.
    „Geht’s dir gut?“, fragte er weite. Lena lehnte sich zitternd gegen den Baum, da sie befürchtete, sie könne wieder zusammen brechen. Und das würde die Aufmerksamkeit von Sima endgültig auf sie lenken. Einen Moment später schüttelte es schon Lenas ganzen Körper, denn Sima fuhr ihre Gang an, ruhig zu sein.
    „Ich glaub, hier ist jemand…“ Nüzhet lauschte auch auf. „Ja eben hat es dort im Busch geraschelt.“ Er deutete in eine völlig andere Richtung, als in der sich Lena und Leon befanden. Lena atmete erleichtert auf und das Zittern wurde weniger.
    Sie lauschte auf, als Sima schallend lachte.
    „Was machst du denn hier?“, fragte sie und zog eine Gestalt aus dem Gebüsch.
    Lena und Leon erkannten die Gestalt nicht, doch sie war relativ klein. Sie zuckte mit den Achseln. Dann umarmten sich Sima und die Gestalt. Leon wollte schon gehen, doch Lena zog ihn zurück. „Warte noch einen Moment!“, flüsterte sie ihm zu.
    „Ich habe mich erschrocken.“, sagte die Gestalt. „Wie du gesprochen hast!“ Sie hatte eine kindliche Stimme.
    „Aber Alina! Das waren doch nur Scherze! Das machen ich und meine Freunde doch immer!“, erklärte Sima schnell. Nüzhet lächelte die Gestalt gequält an. Diese lachte kurz. „Ach so.“ Dann schaute sie sich um und Lena konnte sie erkennen. Es war ein kleines Mädchen mit langen, gelockten, blonden Haaren und einem schmalen Gesicht mit haselnussbraunen, großen Augen.
    „Ja, Schwesterchen, was hast du denn gedacht?“, lächelte Sima. Lena schaute Leon irritier an. „Schwesterchen?“, formten ihre Lippen. Diesmal war es Lena, die Leon wegzog. „Komm!“, flüsterte sie ihm zu. Er schlich ihr hinterher.
    Da klingelte auch schon die Schulglocke. Lena stöhnte. „Wir haben Unterricht…“
    Die beiden gingen auf die Schule zu.
    Lena griff schließlich das Wort wieder auf: „Sima hat eine Schwester und wie ich das gesehen habe, liebt sie diese abgöttisch!“
    „Was willst du damit sagen?“, grinste Leon. Lena zögerte keinen Augenblick bei der Antwort. „Dass ich nachdenken muss!“ Und mit diesen Worten entfernte sie sich von Leon und betrat die Schule.
    Im Foyer traf sie auf Sima und ihre kleine Schwester. Die Kleine hatte sich an die große Schwester gehängt und schluchzte.
    „Alina, geh wieder zu deiner Schule, du kannst nicht bei mir bleiben! Du musst wieder in den Unterricht!“ Doch Alina weinte weiter und bettelte, bei Sima bleiben zu dürfen. Lena wunderte sich über dieses Verhalten, sie schätzte das Mädchen auf etwa 9 oder 10 Jahre. Und dann verhielt man sich doch normalerweise nicht mehr so! Irgendwas war da nicht richtig…
    Sima schaute sich um. „Hoffentlich ist da niemand…“, dachte sie. Im gleichen Augenblick sah sie Lena. „Was willst du denn hier? Hau ab und hör nicht bei den Sachen zu, die dich nichts angehen!“
    „Ist ja schon gut… Entschuldigung. Ich ähhhm… Ich geh dann…“
    „Ja, das will ich hoffen! Hau ab!“, schrie Sima und Lena beeilte sich, wegzukommen. Was ist denn nur mit der kleinen Schwester los? Vor irgendetwas hatte sie Angst gehabt und als Sima meinte, sie solle zurück zu ihrer Schule gehen, flackerte regelrechte Panik in ihren Augen auf.
    Als Lena die Klasse betrat ging sie so schnell wie möglich zu ihrem Platz. Dort zerbrach sie sich den Kopf über das regelrecht panische Verhalten von Simas Schwester. Was hatte das zu bedeuten? Die Kleine hat doch vor etwas Angst… Schreckliche Angst…, dachte sie. In dem Moment betrat Sima die Klasse und schritt schnurstracks an Lena vorbei ohne sie auch nur anzusehen. Sie wunderte sich zwar ein wenig, doch letztendlich war sie froh darüber.
    Lena konnte nicht aufhören sich zu fragen was denn mit dem kleinen Mädchen los war und so nahm sie allen Mut zusammen und schrieb auf einen kleinen Zettel:

    Hallo Sima!
    Ich habe heute in der Pause mitbekommen wie das kleine Mädchen geweint hat und bei dir Schutz suchte… Was ist denn mit ihr los? Ist sie deine Schwester?
    Lena

    Den Zettel faltete sie zusammen und gab ihn zu Sima durch. Diese schaute zuerst etwas verwundert, dann böse.

    Das geht dich überhaupt nichts an! Lass uns beide einfach in Ruhe, verstanden?!
    Sima

    Lena streckte den Arm nach oben und wurde sogleich drangenommen.
    „Darf ich kurz auf Toilette gehen?“, fragte sie und ihre Lehrerin nickte. Lena stand auf und ging aus dem Klassenzimmer hinaus.
    Sie wollte gerade den Flur hinunter laufen, als sie hinter sich ein Schluchzen hörte. Sie drehte sich um und zusammengekauert und an die Wand gelehnt saß Simas Schwester.
    „Was ist denn los?“, fragte Lena und setzte sich zu der Kleinen.
    „Du kannst mir auch nicht helfen! Sima kann das nicht einmal, dann kannst du das sicher auch nicht!“, murmelte die Kleine niedergeschlagen.
    „Aber was ist denn los? Du musst mir nichts erzählen, aber vielleicht würde dir das schon helfen…?“, schlug Lena vor und das Mädchen holte tief Luft, um ihr alles zu erklären.
    „In meiner Klasse sind alle total gemein zu mir! Ich habe ihnen nichts getan, aber sie ärgern mich immer! Und nach der Schule warten sie auf mich…“ Lena stockte fast der Atem. Das war ja das Gleiche, wie Sima mit ihr machte!
    „Und hast du mit deinen Eltern darüber geredet?“
    „Bist du verrückt? Die haben doch sowieso keine Zeit! Die interessieren sich nicht für Sima und mich… Die haben nur ihre Arbeit im Kopf, sonst nichts. Und Sima kann mir auch nicht helfen.“ Tränen traten ihr in die Augen und flehend schaute sie Lena an.
    „Kannst du mir nicht helfen?“, bat sie.
    „Würde ich ja gern, aber was soll ich denn machen?“
    „Kannst du nicht mal mit ihnen reden? Die haben sicher Angst vor dir und lassen mich dann in Ruhe! Bitte!“ Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit und Lena nickte kurzerhand.
    „Natürlich! Ich werde sehen was wir machen können! Vielleicht hilft Leon mir ja!“
    „Leon? Ist das dein Freund?“, fragte Alina neugierig.
    „Ja, mein Freund…“, murmelte Lena und fragte sich als welche Art von ‚Freund’ Alina ihn jetzt sah.
    „Du bist lieb!“, sagte die Kleine und strahlte Lena an. Sie glaubte offenbar wirklich, dass jetzt alles besser werden würde. ‚Hoffentlich mache ich nicht alles nur noch schlimmer…’, dachte Lena und seufzte.



    Re: Wenn du mich noch einmal fertig machst...

    Lexa - 20.02.2008, 21:45

    Zweiter Teil
    „Ich muss aber jetzt zurück in den Unterricht… Aber in der nächsten Pause komme ich mit dir!“, versprach sie bevor sie die Tür zu ihrem Klassenzimmer wieder öffnete.

    „Hallo Lena! Wir wollten schon einen Suchtrupp losschicken… Bist du die Toilette gefallen?“, fragte ihre Lehrerin.
    Lena musste grinsen, als ihr auffiel, dass sie gar nicht auf der Toilette gewesen war. Sie setzte sich wieder hin und spürte, dass jemand sie ansah. Lena hob den Blick und schaute sich um. Sima beobachtete sie und als sie merkte, dass Lena sie nun auch ansah, schaute sie schnell weg. „Du bist so feige!“, dachte Lena bitter.

    Lena war sehr froh darüber, dass sie heute kein Deutsch hatte. Sonst hätte sie Herrn Kohler über den Weg laufen müssen.
    In der Pause lief Lena als erstes aus der Klassentür. Als sie bemerkte, dass Sima ihr folgte, beschleunigte sie ihre Schritte.
    „Warte, Lena!“, rief Sima befehlend. Lena beachtete sie nicht, sondern ging noch schneller.
    „Warte! Sofort!“ Lena blieb stehen.
    „Was ist?“, schnauzte Lena Sima an.
    „Du hast wohl vergessen, wer ich bin!“, empörte sich Sima und stemmte wütend die Hände in die Hüfte.
    „Wenn du mich nicht sofort in Ruhe lässt, dann vergesse ich mich!“, rief Lena.
    Sie war zum Teil erschrocken über ihre Worte, aber zum Teil auch überrascht. Sie hatte sich endlich getraut, in Simas Gegenwart den Mund aufzumachen, ihr zu widersprechen!
    Doch ihre Freude darüber verflog schnell.
    „Max! Nüzhet!“, rief Sima wütend. „Wo bleibt ihr denn?“
    „Ja, nur mit Max und Nüzhet bist du stark, Sima! Aber wohl nicht stark genug, deiner kleinen Schwester zu helfen!“, schrie Lena. Sima warf ihr einen giftigen Blick zu. Wenn Blicke töten könnten…
    „Was weißt du über meine Schwester!“, giftete Sima Lena an.
    „Ich habe genug mitbekommen, um zu wissen, dass deine kleine Schwester in ihrer Schule ständig fertig gemacht wird! Und du stehst hier mit deinen obertollen Freunden, kannst deiner Schwester nicht helfen und machst dafür andere fertig! Was bist du nur für ein Mensch!?“
    „Halt den Mund!“, zischte Sima.
    „Nein, das tu ich nicht! Die ganze Zeit habe ich den Mund gehalten, und zugelassen, dass du mich behandelst wie Dreck! Immer habe ich dir gestattet, mich fertig zu machen, bis ich weine! Was bist du nur… für ein Mensch! So gefühllos kann doch niemand sein. Du solltest deiner Schwester helfen, wenn sie fertig gemacht wird, doch anstatt ihr beizustehen, machst du anderen das Leben zur Hölle! Ich lass mir das nicht mehr gefallen! Was geht bloß in deinem Kopf vor?!“
    „Max! Nüzhet!“, schrie Sima hysterisch zu ihren Freunden, die gerade hinter ihr aufgetaucht waren. „Ihr dürft ihr wehtun!“
    Als Nüzhet und Max nur weiterhin doof rum standen, schrie Sima: „Ihr müsst ihr wehtun! …Das ist ein Befehl!“
    „Nein!“, schrie jemand hinter Lena und Sima. Lena wirbelte herum. Dort stand Alina, Simas Schwester. Die Kleine hatte Tränen in den Augen und stand dort wie angewurzelt.
    „Sima, tu ihr nicht weh! Sie ist meine Freundin!“
    Sima sah Lena irritiert an.
    Als Lena wieder zu Alina schaute, war das Mädchen weg.
    Lena ließ Sima einfach stehen, ohne eine Erklärung und rannte den Gang entlang. Sima folgte ihr nicht…
    Auf dem Schulhof suchte Lena nach Alina. Sie fand die Kleine schließlich dort wieder, wo Lena und Leon sich hinter dem Baum versteckt hatten. Lena setzte sich zu dem Mädchen.
    Sie hatte die Beine angezogen und den Kopf auf die Knie gelegt. Alina weinte.
    „Alina?“, fragte Lena vorsichtig. Die Kleine hob den Kopf, dann senkte sie ihn wieder und schluchzte weiter.
    „Alina?“, frage Lena wieder.
    Alina hob wieder den Kopf und diesmal senkte sie in nicht wieder.
    „Warum hast du mir nicht gesagt…“ Alina schluchzte wieder. „…Dass Sima gemein zu dir ist, wie die aus meiner Klasse zu mir sind!“
    „Sima ist deine Schwester. Ich wollte nicht, dass du sauer auf sie bist.“, erklärte Lena.
    Alina nickte. „Bin ich aber nicht… Ich bin nur traurig. Aber warum macht Sima das?“
    „Ich weiß es nicht…“, antwortete Lena.
    „Hilfst du mir denn trotzdem?“, fragte Alina besorgt.
    „Aber natürlich! Ich habe es dir ja versprochen!“
    „Gut.“ Die Kleine war erleichtert. Die beiden Großen würden ihr helfen, dann sollten sich ihre Mitschüler nur noch einmal trauen ihr etwas zu tun!

    Mittags, als Lena nach Hause kam, saß ihre Mutter am PC und surfte im Internet. Lena betrat das Arbeitszimmer und schaute ihr über die Schulter.
    „Ähm, was machst du da?“, fragte sie leicht verwundert.
    „Ich schaue mir Schulen an!“, bekam sie als Antwort.
    „Aha… Das heißt?“, hakte Lena nach, denn sie sah nicht wirklich einen Sinn in dieser Tätigkeit.
    „Nun, ich dachte mir, dass du vielleicht die Schule wechseln solltest. Die Lehrer unternehmen nichts, diese Sima ist immer noch auf der Schule und zu allem Überfluss unterrichtet dort dein Vater!“
    „Also, das mit Sima könnte sich vielleicht in der nächsten Zeit von selbst regeln…“, meinte Lena und auf den erstaunten Blick ihrer Mutter hin, erklärte sie ihr alles, was heute in der Schule passiert war.
    „Na… Es freut mich natürlich, dass es jetzt im Moment besser ist mit Sima, aber glaubst du wirklich dass das von Dauer sein wird?“ Lena musste zugeben, dass sie das nicht tat und kam selbst zu dem Entschluss, dass ein Schulwechsel vielleicht die beste Lösung wäre.
    Nachdem sie gegessen hatte, führte sie ein langes Telefonat mit Leon.
    „Hmmm, das ist eine gute Idee!“, sagte Leon zu dem Vorschlag ‚Schule-Wechseln’.
    „Ja, das finde ich auch!“, stimmte Lena ihm zu. „Dann können wir zusammen einen Neuanfang machen und haben keine Sima mehr am Hals!“
    „Genau! Das gefällt mir!“, lachte Leon.
    „Das ist ja super! Meine Mutter hat auch schon einige Schulen herausgesucht, auf die wir gehen könnten!“
    „Weißt du was? Ich komme einfach vorbei! Dann kannst du mir die Schulen im Internet zeigen!“
    „Ja!“ Lena war begeistert. „Beeil dich!“
    Diese Worte nahm Leon wortwörtlich. Schon nach knapp fünf Minuten saß er mit Lena vor dem Computer.
    „Meine Favoriten sind…“, erklärte Lena und öffnete eine Internetseite von einer Schule mit dem Namen ‚Alfred-Hitchcock-Schule’.
    „Toll!“, staunte Leon, als Lena ihm die ganzen Fotos von der Schule zeigte.
    „Ja, das finde ich auch!“, strahlte Lena. „Und eine allzu weite Fahrt haben wir auch nicht!“ Leon war von der ‚Alfred-Hitchcock-Schule’ hellauf begeistert und keine andere Schule konnte ihn davon abbringen, auf diese Schule gehen zu wollen.
    „Komm, Lena! Lass uns wenn auf diese Schule gehen!“, begeisterte er Lena.
    „Ich find sie ja auch ganz toll, aber da gibt es kein Latein! Nur Französisch, und das kann ich ja gar nicht!“
    „Aber das kannst du doch lernen! Ich helfe dir dabei!“, erklärte Leon großzügig.
    Lena grinste. „Umgestimmt. Ich fand die Schule eigentlich auch am besten!“ Vor lauter Übermut umarmte Leon sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
    „Du bist die Beste!“, rief er und Lena wurde knallrot. „Na ja…“, stotterte sie.
    „Ich fahre sofort nach Hause und erzähle meiner Mutter von der tollen Schule! Wenn ich sie umgestimmt habe, dann komme ich wieder, O.K.?“ Und Leon gab Lena noch einen Kuss auf die Wange. Wieder wurde Lena so rot wie eine Tomate. „Bis gleich…“
    Als Leon weg war, kam Ingrid, Lenas Mutter, herein. „Na, hast du deinen Leon umgestimmt?“, fragte sie mit einem neckischen Grinsen und einer Betonung auf deinen.
    „Ja!“, zwitscherte Lena und flog an ihrer Mutter vorbei zur Treppe.
    „Welche Schule habt ihr denn ausgesucht?“, fragte Ingrid weiter.
    „Alfred-Hitchcock-Schule!“, rief Lena, die schon in ihr Zimmer rannte.
    Sie konnte noch immer nicht glauben, dass Leon sie eben geküsst hatte! O.K., es war nur auf die Wange gewesen, aber schon dabei hatte Lena Schmetterlinge im Bauch gehabt! Hoffentlich war sie nicht zu rot geworden…
    Leon kam schnell wieder. Mit einem Freudesprung raste er in Lenas Zimmer.
    „Meine Mum ist einverstanden!“, sagte er und umarmte Lena heftig. „Sie sagt, wenn es für uns besser ist, dann sollen wir das machen!“
    „Toll!“, rief Lena und erwiderte die Umarmung.
    Die Schmetterlinge flatterten ihr fast bis zum Hals. Die beiden setzten sich auf Lenas Bett und redeten noch lange über die neue Schule. Vielleicht ihre neue Schule!

    Am nächsten Tag ging Lena mit Leon zur Schule. Sie lachten sehr viel. So viel hatten sie schon lange nicht mehr gelacht und sich gefreut!
    Heute musste Lena in der dritten Stunde ihren Vater in Deutsch ertragen. Sie blickte ihm kein einziges Mal in die Augen, sondern starrte nur in ihr Heft. Herr Kohler war auch so nett, und nahm sie nicht unnötig dran, um seine Fragen zu beantworten.
    „Was ist denn mit dir los?“, fragte Anne. „Du bist in Deutsch so zurückhaltend gewesen!“
    Lena und Anne gingen gerade über den Schulhof.
    „Och, ich weiß nicht…“, meinte Lena. „Mir geht es nicht so gut.“
    „Lena?“, fragte eine Männerstimme. Lena drehte sich um und stand genau vor ihrem Vater.
    „Ich muss mit dir reden…“, erklärte dieser.
    „Dann lass ich euch mal alleine…“, sagte Anne und ging davon.
    „Was willst du?“, fragte Lena gereizt.
    „Ich wollte nur sagen, dass ich es eine gute Idee finde, wenn du die Schule wechselst.“
    „Seit wann hast du dich denn für mich und Mama interessiert?!“, zischte Lena wütend.
    „Hör zu. Es war nicht einfach für mich, ein Kind zu haben…“
    „Das hättest du dir früher überlegen sollen!“
    „Ich weiß, aber es ist alles so schnell gegangen. Deine Mutter sagte mir, dass sie schwanger ist, und ich war damals noch jung! Ich konnte die Verantwortung für dich nicht tragen! Es ging nicht.“
    „Jetzt willst du dich auch noch rechtfertigen!“, meckerte Lena weiter.
    Herr Kohler seufzte. „Du verstehst mich nicht…“
    „Allerdings!“, giftete Lena.
    „Es tut mir Leid. Ich habe meinen Fehler eingesehen! Ich hätte dich damals nie alleine lassen sollen, aber ich kann das jetzt nicht rückgängig machen, so gerne ich das auch wollte!“, erklärte Lenas Vater.
    „Ja, ich weiß. Aber es ist auch nicht einfach für mich!“, sagte Lena. „Auf einmal taucht dein Vater auf, der bei deiner Geburt einfach abgehauen ist. Und er ist auch noch dein Lehrer…“
    „Ich verlange nicht, dass du mir sofort verzeihst!“, meinte Herr Kohler. „Aber ich möchte dir wenigstens einen Gefallen tun. Ich schulde dir etwas… als Vater.“
    Lena hob irritiert eine Augenbraue hoch.
    „Ich werde dir helfen, die Schule zu wechseln. Viel mehr kann ich nicht für dich tun, aber wenigstens das schulde ich dir.“ Er strich sein Hemd glatt. „Es ist besser, wenn du auf einer anderen Schule bist, und… mich nicht mehr sehen musst. Ich bin kein guter Vater, und ich erwarte auch nicht, dass du mich als solchen akzeptierst. Das ist alles, was ich dir sagen wollte.“ Lena traten Tränen in die Augen. „Ich wollte immer einen Vater haben.“ Sie musste lachen. „Im Kindergarten wollte ich sogar einen adoptieren. Ich wollte unbedingt, dass meine Mum ihn heiratet. Natürlich hat sie das nicht getan, denn sie liebte ihn nicht. Damals habe ich dich als Vater sehr vermisst, doch ich habe mich mit der Zeit daran gewöhnt, keinen Vater zu haben, so wie andere Kinder.“ Herr Kohler nickte. „Ich habe dir und deiner Mutter viel angetan. Ich kann das nicht wieder gut machen, das weiß ich.“
    Lena nickte und putzte sich laut die Nase. „Du wärst ein toller Vater gewesen.“, sagte sie. Ihr Vater wischte sich gerührt die Tränen weg. Dann konnte er nicht mehr anders und umarmte seine Tochter. Diese ließ sich das gefallen und war auch gleichzeitig froh, dass sie in einer Ecke des Schulhofs standen, wo sich nicht so viele Kinder rum trieben.
    „Du hast mir gefehlt!“, gestand Herr Kohler. „Mein Kind hat mir immer gefehlt!“
    Lena schluchzte laut, dann löste sie sich aus der Umarmung.
    „Es war mein Stolz, der nicht zuließ, dass ich mit dir rede.“, gestand Lena.
    „Das habe ich mir gedacht. Da hast du etwas von mir. Es war auch für mich schwer, meinen Fehler einzugestehen. Doch ich habe es geschafft…“
    Lena musterte ihre Schuhe. Sie war froh, dass sie sich mit ihrem Vater versöhnt hatte.
    Plötzlich hörte sie eine Stimme hinter sich. „Hallo, Lena!“, sagte Leon. „Hallo!“, meinte Lena und umarmte Leon. Dieser war ganz irritiert, besonders als er Herrn Kohler sah.
    „Ich habe mit meinem Vater gesprochen.“, sagte Lena. „Und ich habe ihm verziehen.“
    „Das ist ja toll…“, freute sich Leon. „Dann ist ja alles paletti!“
    „Noch nicht ganz.“, mischte sich Herr Kohler ein. „Erst müssen wir die ‚Alfred-Hitchcock-Schule’ dazu bringen, euch beide zu nehmen.“
    „Woher weiß er davon?“, grinste Leon.
    „Ich habe euch zugehört, als ihr darüber gesprochen habt.“, gestand Herr Kohler.
    Die Drei lachten.
    „Aber ich kriege das schon hin, dass ihr in die Selbe Klasse kommt!“, erzählte Lenas Vater weiter.
    „Darf ich Sie beim Vornamen ansprechen?“, fragte Leon plötzlich. Lena musste grinsen.
    „Natürlich. Ich heiße Karl.“
    „O.K.“, sagte Leon. „Danke, Karl!“

    Mittags erklärte Lena ihrer Mutter das Gespräch zwischen ihr und Karl bis ins kleinste Detail.
    „Und dann hat er mich umarmt!“, sagte Lena.
    Ingrid freute sich, das zu hören. „Er hat wohl eingesehen, dass er einen Fehler gemacht hat.“
    „Ja, das hat er!“, stimmte Lena ihr zu.
    Nach dem Essen kam ein Anruf. Ingrid ging ran.
    „Hallo, Karl.“, hörte Lena sie sagen.
    Nach einer Weile: „Ja, das hat sie mir erzählt…“
    Schnell huschte Lena zu ihrer Mutter und drückte auf den Lautsprecherknopf.
    „… Ich hatte ja Lena auch angeboten, ihr bei dem Schulwechsel zu helfen.“, kam aus dem Telefon.
    „Ich weiß…“, erklärte Ingrid.
    „Nehmt ihr mein Angebot an?“, fragte Karl.
    Lena suchte den Blickkontakt ihrer Mutter und nickte eifrig.
    „Ja.“, lachte Ingrid. „Lena steht gerade neben mir und nickt.“
    Karl lachte auch, dann trat eine Schweigepause ein.
    „Die ‚Alfred-Hitchcock-Schule’ ist eine tolle Schule!“, durchbrach Karl schließlich das Schweigen.
    „Ich weiß.“, sagte Ingrid. „Ich war selbst 3 Jahre dort.“
    „Wieso hast du mir davon nicht erzählt?“, formte Lena mit dem Mund und stemmte die Arme in die Hüfte. Ihre Mutter grinste und flüsterte: „Das hatte ich noch vor.“
    Lena blieb nur da stehen und zog nicht beleidigt ab, weil sie hören wollte, was ihre Eltern noch besprachen.
    Sie redeten noch viel, über eine Stunde lang, besonders über Lenas neue Schule. Lena war glücklich. Vielleicht würde sie nächste Woche schon auf ihre Traumschule gehen!

    In der ersten Pause kam Karl zu Lena und Leon und sagte: „Es ist geklärt, ihr dürft ab Montag die ‚Alfred-Hitchcock-Schule’ besuchen!“
    Lena und Leon machten einen Freudetanz. „In welche Klasse gehen wir?“, fragte Lena überglücklich.
    „Langsam, langsam…“, sagte Karl, als noch mehr Fragen auf ihn niederprasselten.
    „Ich erzähl es euch von Anfang an. Setzt euch.“ Die Drei setzten sich brav auf eine Bank.
    „Gestern habe ich noch spät abends die Schule angerufen und gefragt, ob noch 2 Schüler in eine Klasse passen.“ Lena lachte. „Passen…“, wiederholte sie amüsiert.
    „Ich hatte sofort die Direktorin am Telefon, die mir sagte, dass nichts mehr frei wäre.“ Lena hielt die Luft an. Das konnte doch nicht wahr sein! So ein Pech!
    „Dann erklärte ich ihr aber die Situation, in der ihr beiden seid“, fuhr er fort „Und schließlich willigte sie ein.“
    „Toll!“, riefen Lena und Leon.
    „Ihr geht dann am Montag in die Klasse 9e! Das heißt, ihr wechselt noch vor den Ferien. An der Schule wird sehr streng gegen Mobbing vorgegangen, deshalb war es der Direktorin dann auch wichtig, dass ihr so schnell wie möglich von der alten Schule wegkommt“, erklärte Karl weiter. Lena und Leon strahlten übers ganze Gesicht.

    Als Lena auf Toilette ging, stupste sie jemand an. Als sie sich umdrehte, stand dort Alina. Oh! Alina habe ich ja schon ganz vergessen!, dachte Lena.
    „Hallo, Lena!“, sagte Alina. „Du wolltest mir ja eigentlich helfen, in meiner Klasse…“
    „Es tut mir so Leid, Alina! Ich kam einfach nicht dazu…“
    „Es ist auch nicht mehr nötig!“, strahlte Alina. „Ich wechsle die Schule!“
    „Echt?“, fragte Lena erleichtert.
    „Ja! Ich komme jetzt hier auf die Schule, zu Sima und dir!“
    „Du, ich wechsle auch die Schule!“, erklärte Lena fröhlich.
    Plötzlich war die Kleine ganz traurig. „Warum denn? Ich dachte, ich könnte dich dann öfter sehen…“
    „Wir sehen uns ganz bestimmt auch so!“, lächelte Lena.
    „Wechselst du die Schule…“, fing Alina an. „Wegen Sima?“
    „Ja.“, sagte Lena traurig. „Ich halte es nicht mehr mit ihr aus. Wir verstehen uns einfach nicht!“
    Die Kleine nickte.
    „Aber du versprichst mir, dass du mich besuchen kommst!“ Jetzt war Alina wieder fröhlich.
    „Ja, ich verspreche es! Aber nun muss ich auf Toilette!“ Lena und Alina lachten.
    „Bis bald!“, strahlte Alina und ging.
    Das ist ja verrückt. Gerade, als ich die Schule wechsle, wechselt Alina auch…Jetzt fehlt nur noch, dass sie auf der ‚Alfred-Hitchcock-Schule’ war! Über den Gedanken musste Lena herzhaft lachen.
    Als die Schulglocke klingelte, machte sich Lena auf den Weg zu ihrer Klasse. Auf dem Flur vor der Klasse traf sie Sima.
    „Hallo, Lena!“, sagte sie.
    „Ach, lass mich in Ruhe, Sima! Du bist mich eh bald los! ...“
    „Äh, ich wollte mich nur entschuldigen…“, erklärte Sima. „Alina hat mir erzählt, dass du die Schule wechselst… wegen mir. Und dann ist mir klar geworden, dass mein Verhalten immer asozial war! Es tut mir Leid! Ich werde so etwas nie wieder machen!“
    Lena war total verdutzt, dass Sima sich entschuldigte!
    „Meinst du das ernst?“, fragte Lena zweifelnd.
    „Ja.“, antwortete Sima. „Tut mir Leid.“ Sie senkte den Kopf und schaute auf ihre Schuhe.
    „Ist O.K.!“, sagte Lena und grinste.
    „Echt? Heißt das, du bist mir nicht mehr böse? Dass ich dich immer so fertig gemacht habe…?“
    „Wir werden zwar nie die besten Freundinnen werden, aber auch keine Feinde mehr sein!“, erklärte Lena achselzuckend.
    „Danke!“, rief Sima und schmiss sich um Lenas Hals.
    „Doch du musst trotzdem meine Kamera ersetzten!“, erklärte Lena. „Die hast du schließlich zerstört.“
    „O.K., mir bleibt wohl nichts anderes übrig…“, seufzte Sima.
    Heute ist echt ein Glückstag. Es läuft alles perfekt…

    In der Klasse verabschiedeten sich alle von Lena. Sogar Sima, Max und Nüzhet! Lena war total überrascht. Und sie freute sich warnsinnig auf die neue Schule. Dann war der Unterricht vorbei, alle drängten sich um Lena und wünschten ihr viel Glück auf der neuen Schule.
    Im Flur traf Lena sich mit Leon und erzählte ihm, dass sich Sima bei ihr entschuldigt hatte.
    „Stell dir vor, bei mir auch!“, sagte Leon. „Ich war total überrascht!“
    „Ich auch!“, rief Lena und sie lachten. Das Leben ist toll, dachte Lena und freute sich auf das Wochenende, das jetzt die nächsten beiden Tage war.
    „Wollen wir nicht Morgen zusammen was unternehmen?“, fragte Leon. „Zum Beispiel Eis essen gehen, oder… ins Kino… Aber nur wenn du willst…“
    „Klar.“, sagte Lena und küsste ihn auf die Wange. Jetzt wurde er rot und sie lachten.

    „Juhu, Wochenende!“, gähnte Lena und streckte sich im Bett aus. Mit einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass es schon 10 Uhr war.
    Schnell zog sie sich an und ging runter zum Essen. Ihre Mutter war schon wach und hatte den Frühstückstisch gedeckt. Am Frühstückstisch begrüßte sie Karl, ihr Vater. Er und ihre Mutter hatten sich wieder vertragen und sich eingestanden, dass sie den anderen jeweils immer vermisst hatten. „Hallo, Lena. Hast du gut geschlafen?“, fragten Ingrid und Karl wie aus einem Mund. Die Familie lachte.
    „Ja!“, sagte Lena und gähnte laut. „Ich muss mich beeilen. Leon kommt mich gleich abholen! Wir gehen ins Freibad!“
    „Das ist eine tolle Idee.“, sagte Ingrid.
    Lena verschlang ein Brot und trank ihren Kakao in Windeseile. Kaum war sie mit allem fertig, klingelte es schon an der Tür und Leon holte sie ab. Er kam mit dem Fahrrad.
    „Fahren wir mit dem Fahrrad? Au ja!“, sagte Lena und schwang sich auf ihr neues Rad. Die Tasche mit den Badesachen, landete in ihrem Körbchen, vorne am Lenkrad.
    Der Wind blies ihr entgegen, als sie losfuhren. Lena hatte ein langes, luftiges Kleid angezogen, denn es war sehr warm. Leon trug ein tolles T-Shirt mit der Aufschrift:
    „Life is Wonderful!“ Da musste Lena ihm zustimmen. Das Leben war toll!
    Im Freibad hatten die Beiden sehr viel Spaß. Leon spritzte Lena ständig mit Wasser nass und sie schwammen um die Wette. Zum Schluss aßen sie ein Eis uns sonnten sich.
    Als Leon Lena zurück nach Hause brachte, blieb sie noch in der Tür stehen und strahlte:
    „Das war der schönste Tag in meinem Leben!“
    „Ja!“, stimmte Leon ihr zu und gab ihr einen schnellen Kuss auf den Mund. Diesmal wurde Lena nicht rot, doch die Schmetterlinge in ihrem Bauch tobten.
    „Bis Montag!“, verabschiedete er sich. Dann ging er zu seinem Fahrrad und fuhr davon. Lena stand noch lange in der Tür und blickte ihm nach. Wie schön das Leben doch war!

    Dann kam der erste Schultag auf der neuen Schule. Lena und Leon trafen sich vor der Schule und gingen gemeinsam hinein. „Ich bin aufgeregt!“, gestand Lena. Leon drückte ihre Hand. „Ich auch.“ Sie standen vor der Tür ihrer neuen Klasse. Es klebte ein Türschild mit der Aufschrift „Hier ‚wohnt die Klasse 9e! Betreten nicht ganz ungefährlich“ dran und Lena musste grinsen. Aus dem Klassenraum hörte man aufgeregtes Gemurmel, offenbar waren alle sehr gespannt auf die neuen Mitschüler. Leon öffnete die Tür ganz langsam und sie traten ein, wo sie von vielen freundlichen Gesichtern empfangen wurden.
    Ende



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