Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Gstrein, Norbert - Das Handwerk des Tötens




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Gstrein, Norbert - Das Handwerk des Tötens

Beitragvon Dr.Who » 20.08.2008, 19:14

Bild

Ich halte nun das Büchlein Das Handwerk des Tötens von Norbert Gstrein in den Händen und wähnte mich am Anfang einen Fehlkauf getätigt zu haben. Ursprünglich war ich in der Buchhandlung auf der suche nach den Memoiren eines Brüderpaares, die von einem der Brüder verfasst wurden und über das Leben des anderen Bruders handelten der einer der letzten Henker der Nachkriegszeit war. Und in Anbetracht des trefflichen Titels ersparte ich mir einen Blick in die Inhaltsangabe zu werfen. Pech gehabt. Oder doch nicht?

Es ist kein Roman im eigentlichen Sinne.
Den Ausgangspunkt der Erzählung bilden 3 Journalisten.
Einer davon ist der namenlose Ich-Erzähler der sich, mehr oder weniger regelmäßig, mit Paul dem zweiten Journalisten (Reisereporter) trifft. Und bei einem jener Treffen kam die Sprache auf den dritten Journalisten der im ehemaligen Jugoslawien als Kriegsberichterstatter arbeitet. Oder besser gesagt, gearbeitet hat. Den gestern wurde er aus einem Hinterhalt heraus erschossen.
Das war etwas das Paul völlig aus der Bahn geworfen hat. Er brachte dem Namenlosen unzählige Zeitungen mit um ihm den Schrecken dieser Tat vor Augen zu führen.
Für Paul schien jener ermordete Journalist, Christian Allmayer, aber mehr zu sein als nur ein Kollege. Er berichtete dem Ich- Erzähler davon das er ebenfalls aus Österreich kam und man war deswegen zwar keine guten Freunde aber man kannte sich...irgendwie.
Paul verfiel recht schnell auf die Idee Allmayers Leben in einem Roman wiederzugeben. Es würde sicher genug erzählenswerter Stoff vorhanden sein, allen voran Pauls eigene Frau in Graz, von der er schon seit einiger Zeit getrennt lebt, kannte sicher einige gute Geschichten. Hat sie sich doch schließlich, während seiner meist beruflich bedingten Abwesenheit, des öfteren mit Allmayer getroffen.
Lilly, Pauls Frau, wusste natürlich einige erzählenswerte Geschichten über Christian. Und nicht nur jene aus dem Krieg sondern auch solche die ihn privat, unter der Oberfläche, zeigten.
Mit Lillys Schilderungen bekommt der Leser einen ersten Eindruck mit welcher Wucht der Krieg eigentlich über die Zivilbevölkerung gekommen sein muss. Unvorstellbares Leid, und eine Grausamkeit die man nie in TV oder Zeitung zu sehen oder lesen bekam. Welcher Wahnsinn sich bereits nach wenigen Wochen nach Ausbruch des Krieges, vor der Haustür Europas, verselbstständigt hatte kann selbst in der noch so ausführlichsten Schilderung, in diesem Buch, nicht begreifbar gemacht werden.

Paul hatte vor, sich 12-24 Monate für das schreiben des Romanes Zeit zu nehmen, was er jedoch nicht wusste war das er kurz nach Beginn seiner Recherchen einen schlimmen Unfall haben sollte der ihm Wochenlangen Aufenthalt im Krankenhaus und REHA einbringen sollte.
In jener Zeit lernte der Namenlose Ich-Erzähler Helena näher kennen. Sie war schon seit einiger Zeit Pauls feste Freundin und stammt ursprünglich aus dem ehemaligen Jugoslawien und mit ihr beginnt sich das Erzählerische Rat neuerlich zu drehen. Sie kannte zwar den Verstorbenen Allmayer nur flüchtig, wusste aber davon zu erzählen wie es war als "Deutsche" nach Bosnien zu kommen. Obwohl sie die Sprache beherrschte, und auch gern sprach, und sich bemühte eine von "jenen" zu sein, wurde sie dennoch in ihrer Heimat beschimpft und ihr wurde von manchen sogar vorgeworfen sich um die Probleme zu drücken und davongelaufen zu sein.
Hier beginnt das Buch eine etwas neue Richtung zu bekommen. Es bleibt zwar steht's der Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen präsent aber der imaginäre Erzähler und Helena scheinen sich sympathisch zu sein. Und Details wie ihr schöner Hals -der sich zum streicheln und küssen darbot- scheinen im aufzufallen. Und nicht zu vergessen ihre wunderschönen Augen. Beide sind jedoch noch zu feige um sich an den Händen zu Fassen.

Die Dritte Person, die zu Allmayer befragt wurde, war seine Witwe, Isabella. Geheiratet haben beide bereits 3 Monate nach dem man sich kennen gelernt hatten. Sie schildert ihren Mann als eine Person die bereits emotional vom Krieg gezeichnet war. Jemand der mit den Gegensätzlichkeiten, die seine Situation mit sich brachte, immer schwerer zurechtgekommen ist. Es schien ihm eine Perversion, den ganzen Tag nur Tot und Leid zu sehen um sich am Abend in sein Auto zu setzen und über die Grenze nach Österreich zu fahren um mit seiner Frau zu Abend zu essen. Oder in "freien" Tagen nach was weis ich wo hinzufahren um sich zu erholen, um ein paar Stunden später schon wider Granatfeuer und Gewehrsalven um die Ohren gedonnert zu bekommen. Es kremte ihn, für sich selbst die Möglichkeit zu haben den Krieg beenden zu können wann immer er Lust dazu hatte, während so viele Tausende dies nicht konnten.
Der Beobachter sieht das Isabella ein wenig als emotionaler Rammbock herhalten muss. Wenn er Nachhause kommt, und bei ihr ist, leistet er sich manchmal den Luxus sie zu ignorieren. Er redet nur mit ihr wenn er will, und er kennt auch keine Skrupel einfach zu ihr ins Bett zu steigen um nach zweimaligen Murren, als Begrüßung, dann einfach ein- und bis zum nächsten Nachmittag durchzuschlafen. Schnell nen Happen gegessen und weck war er.

All diese Aussagen und Puzzlestücke ergeben einen Mann der im Laufe der Jahre von diesem Krieg abhängig wurde. Er hielt es keine zwei - drei Tage lang aus ohne Gewehrfeuer und Granatgetöse als ständige Begleiter. Sein Körper war bereits so stark auf Stress, und wohl auch Furcht, konditioniert das er gar nicht anders konnte als nach einigen Tagen wider zurück zu fahren.
Das nächste Kapitel, das sich mit der Suche nach der Person des Christian Allmayer beschäftigt, hat mich etwas irritiert.
Paul, Helena und der namenlose Ich-Erzähler, brechen in den Kosovo auf, um kreuz und quer durch das Land zu fahren und Leute zu finden die ihnen was vom Krieg erzählen können. Meist ist jedoch Paul derjenige gewesen der sich auf den Weg zu den verschiedensten Personen gemacht hat, und Helena und der Ich- Erzähler blieben alleine zurück.
Zu diesem, und zum Finalen Kapitel möchte ich nur so viel schreiben.
Es veranschaulicht wider einmal mehr, das der Krieg vielleicht in physischer Hinsicht schon längst vorbei sein mag, aber in den Köpfen der direkt/indirekt Beteiligten ist er nach wie vor sehr präsent.
Und das ist vielleicht auch der Grundkontext dieses Buches. Der Krieg wird erst mit dem Aufspüren von Informationen und den anstellen von Recherchen wieder lebendig. Aber eben nur in den Köpfen der Menschen.

Norbert Gstrein hält seinen Roman Das Handwerk des Tötens in einer sehr sauberen und lesbaren Sprache die jedoch vom Leser durchaus eine Gewisse Aufmerksamkeit erfordert. Da es schnell mal passieren kann das die Zeitebenen, oder auch der Erzähler selbst, gewechselt werden und man immer erst einige Sätze später drauf kommt das eine ganz andere Person in das Gespräch involviert war als jene die man im Kopf hatte.
Trotz einer schwierigeren Thematik, wie dem Konflikt im Kosovo, schreibt der Autor sehr gekonnt, mit Sachverstand und ohne zu patzen. Er verkneift sich auch sich für eine der beteiligten Parteien stark zu machen so das er weithin Wertfrei an diese Erzählung heran geht.
Der gute Eindruck wurde für mich erst in den letzten beiden Kapiteln etwas getrübt. So aufschlussreich das Letzte auch gewesen sein mag, so mangelte es mir doch etwas an Konsistenz. Es fehlte mir, gegen Ende hin, das kleine Quäntchen Herzblut des Autoren selbst. Etwas persönliches, wenn man so will.
Den Krieg nämlich pauschal herzunehmen und ihn, egal in welcher Form, zu verurteilen ist bei weitem nicht neu und gerade da hätte ich mir vom Verfasser wirklich mehr erwartet.
Genauso hätte der Handlungsstrang mit der Tonbandkassette bereits z.T. am Anfang des Buches stehen müssen. Was dem Werk einen durchaus Dramaturgischen Touch, wie vielleicht auch oberflächlichen Sinn, gegeben hätte ohne es jedoch in die reißerischen Untiefen der Populärliteratur zu ziehen.

Sieht man von diesen beiden Mankos ab, erwartet den geneigten Leser, ein interessantes und gut geschriebenes Buch das durchaus als ein positiver Vertreter der Sparte Erinnerungsliteratur gesehen werden kann.
Und das macht es schon fast wider sympathisch. Denn es hat hier keinen Architekten mit sechsstelligem Jahresgehalt gebraucht um es zu entwerfen. Keine Quader, keine Tafel oder auch kein Obelisk der den Menschen einfach, ohne groß zu fragen, vor die Nase gestellt wird. Um sie, mit in Stein gehauenen Formen für die Ewigkeit, an Ereignisse längst vergangener Jahrzehnte zu erinnern.
Nein, das Buch ist, im Gegensatz dazu, flexibel und jeder kann sich selbst seine Gedanken darüber machen.
Dr.Who
 

von Anzeige » 20.08.2008, 19:14

Anzeige
 


Ähnliche Beiträge


Zurück zu Zeitgenössische-Literatur

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron