Frieden (noch nicht vollendet)

Fantasy4ever
Verfügbare Informationen zu "Frieden (noch nicht vollendet)"

  • Qualität des Beitrags: 0 Sterne
  • Beteiligte Poster: Graf Asfaloth
  • Forum: Fantasy4ever
  • Forenbeschreibung: Fantasy Forum
  • aus dem Unterforum: Eigene Geschichten
  • Antworten: 1
  • Forum gestartet am: Montag 03.09.2007
  • Sprache: deutsch
  • Link zum Originaltopic: Frieden (noch nicht vollendet)
  • Letzte Antwort: vor 16 Jahren, 3 Monaten, 24 Tagen, 5 Stunden, 39 Minuten
  • Alle Beiträge und Antworten zu "Frieden (noch nicht vollendet)"

    Re: Frieden (noch nicht vollendet)

    Graf Asfaloth - 04.01.2008, 22:06

    Frieden (noch nicht vollendet)
    Der Regen, der so lange nur auf Stein gefallen war, traf auf Metall. Anders als der raue Stein, hielt das Metall das Wasser nicht fest und ließ es wohlig an sich herabrinnen, bis es rotgefärbt heruntertropfte. Die Form des Metalls war spitz zulaufend, an einer Seite war es scharf, an der anderen jedoch stumpf. Beinahe halbmondförmig wand es sich in den blutverkrusteten Händen, die es hielten. Auf seiner Oberfläche glitzerte der Mond, verschwommen tanzend im herabrinnenden Wasser.
    Nur knapp einen Handspann von dem Schwert entfernt, schien ein Gesicht zu schweben. Wasser mischte sich auf seinem Gesicht mit Tränen, die wie zwei Bäche aus seinen tiefen, schwarzen Augen rannen. Das Haar klebte in Nassen, schmutzig wirkenden Strähnen an der eigentümlich schimmernden Haut... Der Mund des Gesichtes zitterte. „Ich habe es geschafft...“, wisperte der Mund.

    Er hatte Wasser geholt. Tennyo war krank, Fieber, und ihr war heiß. Mit dem kalten Gebirgswasser wollte er ihr einen Umschlag machen, damit es ihr besser ging und sie bald wieder gesund war. Der Eimer in seinen Händen war nass und schwer, die Luft roch nach Kirschblüten. Die Bäume protzten in ihrem wunderbarsten Rosa und die Sonne funkelte über allem, verlieh ihm eine gewisse Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Es war einer jener ganz seltenen Tage, an denen er sich kompromisslos glücklich gefühlt hätte, wenn Tennyo nicht krank gewesen wäre... Normalerweise gingen sie an solchen Tagen immer spazieren. Hand in Hand unter dem weiß-rosanen Regen der Kirschblüten, so hatten sie sich damals auch kennengelernt... Seine Gedanken flogen wieder und kamen dann ganz plötzlich in die Realität zurück. Er hatte einen Schrei gehört. Schnelle Schritte. Hastiger Atem. Eine unbestimmte und doch grausam exakt scheinende Gewissheit. Die Tür stand offen, im Vorraum waren dreckige Abdrücke und unglaublich vielen Schuhen. Wie in Trance rannte er durch sein Haus (Unser Haus, schrie er sich selber an, es ist UNSER HAUS!) und mit jedem Schritt und jedem Atemzug den er tat, wurde seine Ahnung gewisser. Fußabdrücke. Noch ein Schrei. Blut an der Wand. Das nächste, woran er sich im Nachhinein erinnern konnte war, wie er vor Tennyos blutverschmierter Leichte kniete und weinte. Weinte. Weinte. Stundenlang (Wochen, Tage, Monate) verharrte er so, vor ihrem reglosen Leib der sein Weinen nicht beantwortete. Ihre Hand blieb schlaff und reglos wie eine Seerose im Wasser, benetzt von (Tränen) Tautropfen, die sanft im Licht der Sonne funkelten. Ihre Hand legte sich nicht auf seine, drückte sie sacht, spendete ihm Trost. Es war nichts mehr da, keine Wärme mehr, keine sanften Berührungen mehr, kein Trost. Nur noch Leere.
    Ihren Körper hatte er unter einem Kirschbaum bestattet. Nur ein leichter Erdhügel mit dem Zeichen „Frieden“ darauf deutete jetzt an, dass unter diesem schönen, unberührten Baum jemand begraben lag. Leise weinten einige Äste Kirschblüten auf das Grab, deckten es mit rosa-weißen, winzigen Leichendecken zu. Sogar der Wind schien mit ihr gestorben, keine einziger Hauch von ihm störte die tiefe Ruhe, die sich über alle Dinge zu legen schien. „Tennyo...“. Als er seine Stimme benutzte, zum ersten Mal seit vielen Tagen in denen er nur geweint, gekniet und geschaufelt hatte, schauderte es ihn unwillkürlich. Aller Hass, alle Wut, aber vorallem alle Trauer schien sich in diesem ersten Wort festgebrannt zu haben, das eher wie ein unmenschliches Krächzen als wie eine artikulierte Sprache klang. „Ich räche dich... Sowahr ich hier kniee, sowahr ich dich immer noch liebe, ich räche dich.“. Er richtete sich auf, Kirschblüten fielen von seinem Mantel, sein Schwert funkelte in der Sonne und schien ihm Trost spenden zu wollen. Dann drehte er sich um, dem Grab den Rücken zu und ging mit bestimmten Schritten das grüne, von Tau benetzte Gras entlang. Er wusste nicht wer und er wusste auch nicht wieso, aber dennoch würde er Tennyos Mörder finden... Und er würde sie zur Rechenschaft zwingen, jeden einzelnen, er würde ein blutiger Rachegeist werden, dessen einziger Daseinszweck und dessen einzige Lebensberechtigung die Rache sein sollte, so wie es vor wenigen Tagen noch die Liebe gewesen war. Entschlossen umklammerte er sein Schwert. „Niemals mehr,“, flüsterte er leise, das Krächzen aus seiner Stimme war jetzt verschwunden und einer unnachgiebigen Härte gewichen, „Niemals mehr, Tennyo, werde ich guten Gewissens schlafen, bis ich nicht alle deine Mörder gefunden und zur Strecke gebracht habe.“.
    Die nächsten Tage verbrachte er fast ausschließlich in (ihrem) seinem Haus. Unermüdlich durchsuchte er jede Ecke und jeden Winkel nach Hinweisen, die ihn zu Tennyos Mördern führen würden. Er wusste nicht wer, er wusste nicht wieviele und er wusste erst recht nicht, warum. Umso mehr war er bestärkt, all das herauszufinden. Kein Schrank blieb unangetastet, kein Gemälde unberührt, während er seiner Suche nach Hinweisen nachging. Die Spuren im Gras vor seinem Haus hatte er bereits registriert, aber sie waren zu viele und zu durcheinander, um daraus irgendwelche absoluten Schlüsse ziehen zu können. Und er wollte sich bei seiner Jagd nach den Schuldigen nur auf absolut hundertprozentige Hinweise verlassen. Sonst gab es nichts.
    Niemand hätte sagen können, wie lange seine Suche gedauert hatte. Er hatte buchstäblich jeden Zentimeter seines Hauses abgesucht, hatte Haare, Spuren im Staub und verschiedene kleine Schwerteinstiche im Boden untersucht, wo sie vermutlich ihre Klingen kurz abgestützt hatten, bevor sie Tennyos Leben beendet hatten... Doch am Ende hatte er soviel herausgefunden: Es waren vier Leute, vermutlich allesamt Männer. Sie waren schnell geflüchtet und vermutlich hatten sie in Tesujaira Halt gemacht. Es war die einzige Stadt in der Nähe, wo sie sich vor und nach ihrem blutigen Werk hätten ausruhen können. Dort würde er einige Leute befragen, notfalls mit Gewalt. Er war wild entschlossen, sein Versprechen gegenüber Tennyo nicht zu brechen. Und er war bereit, dafür sogar über Leichen zu gehen. Keine Person zählte so viel, dass sie es nicht wert war, für seinen Schwur getötet zu werden. Denn mit Tennyo war in ihm noch etwas anderes gestorben: Seine Gnade. Er kannte jetzt nur noch den Durst nach Rache und den Wunsch, diesen zu stillen, koste es, was es wolle.
    Mit schnellen, entschlossenen Schritten ließ er sein Haus hinter sich. Er hatte nicht viel mitgenommen, seine Kleidung, etwas Proviant und sein Schwert, aber er würde nichts vermissen. Diese Gegenstände hatten mit Tennyos Tod gleichzeitig auch ihre Seele verloren. Nur einmal sah er sich noch um, als ein feines, beinahe unhörbares Knistern an sein Ohr drang. Weit, weit entfernt sah er sein Haus, das nun von orangeroter Glut verzehrt wurde, von einem Feuer, das wütend über das Holz tanzte. Zufrieden lächelte er. Nun hatte er keine Gelegenheit mehr Schwäche zu zeigen und nach Hause zurückzukehren. So war es das Beste. Dieser Blick war der letzte, den er jemals zurück geworfen hatte. Danach hatte er nie wieder innegehalten und nach hinten gesehen, auf das was hinter ihm lag, sondern immer nur nach vorne, zu seiner Zukunft, zu den Plänen, die er für diese Zukunft gefasst hatte.
    Nur wenige Stunden Fußmarsch hatte er hinter sich gebracht, als das Dorf in seine Sichtweite kam. Er war nicht häufig hier gewesen und trotzdem langweilte ihn diese öde Fassade schon wieder. Selbst der Staub schien sich hier nicht niederzulegen, alles was immer tadellos geputzt und strahlte eine unnatürliche, beinahe zeremonielle Sauberkeit aus. Er hasste diesen Ort. Die Leute hingegen, die in diesem Ort wohnten, waren zum Teil wirklich nette Personen, einige von ihnen sogar Freunde. Sie hatten sich nur den gänzlich falschen Platz ausgesucht, um ihr Leben zu verbringen, fand er.
    „Sogar sein Haus hat sich nicht verändert.“, dachte er unfreiwillig in einer Art kurzem Ausbruches, als er sich der Behausung seines alten Schwertkumpanen genähert hatte. Tatsächlich waren fast vier Jahre vergangen, seitdem er das letzte Mal hiergewesen war, um mit Kengo zu tranieren, aber immer noch sah alles genauso aus, wie er es sich eingeprägt hatte. Er schloss die Augen und ließ seine Erinnerungen kurz zurückgleiten... Er und Kengo hatten sich kennengelernt, als sie beide beim Kaiser gedient hatten. Beide waren hervorragende Schwertkämpfer gewesen, aber Kengo schien ihm irgendwie immer vorraus zu sein, ganz gleich wie sehr er sich anstrengte... Nicht zuletzt deswegen hatte er zu diesem sehr freundlichen und redseligen Mann eine tiefe Freundschaft aufgebaut, die auch auf sehr großem gegenseitigen Respekt begründet war. Warum Kengo seine Schwertfähigkeiten so schätzte, konnte er sich indes nicht erklären... Sicher, er war gut, einer der besten Schwertkämpfer in der gesamten Armee, aber Kengo hatte ihn mit einem Bambusrohr entwaffnen können. Als er ihn einmal danach gefragt hatte, hatte Kengo nur geantwortet: „Du verstehst den waren Weg des Schwertes. Ich bin nur ein Werkzeug des Kaisers zum töten und zum sichern seiner Besitzansprüche, aber du bist ein wahrer Kämpfer.“. Diese Worte hatte er bis heute tief in seinen Gedanken bewahrt und sich vorgenommen, ihnen irgendwann nachzugehen. Aber nicht jetzt, sagte er sich. Nicht jetzt.
    Kaum das er die Tür geöffnet hatte, fühlte er sich um fast fünf Jahre zurückversetzt. Die Eingangshalle war nach wie vor schlicht, ein kleiner Schrank für die normalen Schuhe, ein weiterer für die Hausschuhe, darüber ein Schriftzug: „Wa hei“. Zwei Schriftzeichen, die zusammengelesen „Frieden“ bedeuteten. Kengo hatte diese Arbeit selbst gefertigt und war mächtig stolz auf sie. Und auch er fand, dass sie dieser sonst tristen und unerträglichen Stadt zumindest einen kleinen Flecken Schönheit spendierte, ein einziges Glühwürmchen, schwebend über einem dunkelen und toten See. Sogar sein Gedankenlauf war genau gleich, es schien sich alles wie immer zu wiederholen. Jetzt müsste gleich Kengos Frau kommen, ihn begrüßen und ihm wie immer aus den Schuhen helfen, wobei er ihr mürrisch erklären würde, dass er das nicht brauchte und sie ihre Zeit irgendwo anders zubringen sollte. Dann wäre dieses lange erhaltene Ritual wieder komplett gewesen. Aber Kengos Frau kam nicht. Alles blieb still. „Hallo?“, rief er nach einer Weile. Ein ungewohnter Laut, der die Stille, den Frieden, durchbrach. Kurz wurde es wieder still und in seinem Kopf begannen sich erste Befürchtungen breit zu machen... Sicher, Kengo war stark, aber kein Mann war unbesiegbar... „Was? Wer ist da?“. Auch wenn Kengos Stimme unhöflich klang, so war sie ihm doch willkommen. So war Kengo nun einmal. Mit schnellen Bewegungen, er brauchte wirklich keine Hilfe, zog er seine Schuhe aus. „Ich bin es!“, rief er. Und mehr brauchte er auch nicht mehr zu sagen.
    Dafür, dass sie sich so lange nicht gesehen hatten, sprachen sie wenig. Kengo versuchte zwar immer wieder, etwas zu erfahren, aber scheiterte. Er wollte nicht darüber reden, was vor wenigen Tagen passiert war, was Tennyo zugestoßen war, er wollte es niemandem erzählen. Zumindest jetzt noch nicht. „Ich wollte dich nur fragen, ob du mir vielleicht ein paar Tage ein Quartier geben könntest.“, sprach er irgendwann endlich aus. Bis er Informationen über Tennyos Mörder bekommen hatte, würde es dauern, da machte er sich jetzt keine Illusionen mehr und in dieser Zeit musste er unterkommen. Primär war es diese nüchterne Überlegung gewesen, die ihn zu Kengo gebracht hatte. Ein Gasthaus gab es hier nicht und andere Freunde in der Umgebung hatte er auch nicht. Insofern war es nur logisch, dass er zu Kengo ging und ihn um ein Nachtlager bat. Das sie sich so lange Zeit nicht gesehen hatten und Kengo ihn vielleicht sogar vermisst hatte, das waren für ihn höchstens Gründe, die seinen Entschluss noch bestätigten, da sein alter Freund ihn so höchstwahrscheinlich nicht abweisen würde. Diese nüchterne Denkweise hatte er schon früher besessen, aber seit Tennyos Ermordung war sie in ihm übermächtig geworden. Genau wie sein Durst nach Rache...
    Natürlich schlug Kengo ihm seinen Wunsch nicht aus. Seine Frau richtete für ihn ein Nachtlager her, das genau neben Kengos Schlafkammer lag und das für eine derart notdürftig hergerichtete Schlafstätte sehr wohlig und bequem aussah. Auch wenn er nicht vorhatte, sie mehr als absolut nötig zu benutzen. Als er wieder hinausging, um sich umzuhören, sah er wieder auf die Schriftzeichen... „Wa hei“. Ob Kengo diese Zeichen ernst gemeint hatte? Hatte er wirklich seinen Frieden gefunden, nach all dem, was sie erlebt hatten, nach all den Jahren? Er beschloss, Kengo danach zu fragen. Irgendwann. Eines Tages.
    Die Kneipe war immer ein guter Ort für Informationen gewesen. Früher hatte er hier oft mit Kengo gesessen und sich unterhalten, wenn sie einmal zusammen etwas unternommen hatten. Auch Tennyo war bei ihnen gewesen, auch wenn sie seine Antipathie gegenüber der Stadt teilte... Und insbesondere der Kneipe. Für ihn schien sie all das zu verkörpern, warum er diese Stadt hasste: Die Kneipe war nahezu zeremoniell sauber, so als sollte hier demnächst den Kamis etwas geopfert werden und schon die Fassade strahlte eine unglaubliche Langweiligkeit aus, die durch den Eindruck im Inneren nur noch bestätigt wurde: Alles war tadellos sauber und alles an seinem richtigen Platz. Man hätte eine Karte vom Inneren der Kneipe zeichnen können, ohne sie jemals von innen gesehen zu haben, nur anhand der Fassade. Und auch die Gespräche hier drin waren in der Regel nichts überraschendes .Typisches Kneipengewäsch, das Gebrabbel von Besoffenen und der typische Dorftratsch. Aber ausnahmsweise hatte er es diesmal auf genau diesen abgesehen. Fremde fielen hier im Dorf schnell auf und solche, die das (Töten) Kämpfen beherrschten sicherlich ganz besonders. Nur wenige hier im Dorf wussten über Kengos Vergangenheit etwas und noch weniger sprachen darüber. Die Meisten kannten ihn einfach als etwas zurückgezogen lebenden Maler, der sehr schöne Landschaftsporträits und Schriftzeichen malen konnte. Das hatte Kengo früher schon mit Inbrunst getan und jetzt wo er seine Klinge nicht mehr dem Kaiser zur Verfügung stellen musste, hatte er umso mehr Zeit, diese musische Ader von sich auszuleben.
    Tatsächlich musste er nicht lange suchen, um etwas auffälliges zu finden. Eigentlich sprang es ihm sofort ins Auge: Am Tisch saß jemand, der hier nicht hingehörte. Nicht nur, dass er von den Dorfbewohnern offensichtlich gemieden wurde, nein, er trug sogar ein Schwert. Das zeigte wohl eindeutig, dass es sich hier zumindest um einen Krieger handelte, vielleicht einen Söldner... Überraschend war jedoch, dass er keine Rüstung trug, sondern lediglich ein Tuch um die Hüften, dessen grellorangene Farbe einen förmlich anzukreischen schien. Seine Haut war dunkel, erinnerte an altes, halb verwittertes Holz und war über und über mit seltsamen Malereien verziert, sogar die Glatze des Mannes war von seltsam verschnörkelten, orangeroten Strichen verziert. So jemand war hier nicht angesehen, nicht einmal als Kuriosität. Jemand, der es wagte so anders auszusehen, sich so abzuheben und das sogar noch im Beisein einer Waffe, das ging zu weit, um noch beachtet zu werden. Nicht das ihn das viel gekümmert hatte, aber die Waffe konnte nur eines bedeuten: Er war ein Krieger. Und egal, ob er Tennyo ermordet hatte oder nicht, er war potenziell gefährlich. Nicht das ihn das gekümmert hätte, aber solange auch nur der Hauch einer Möglichkeit bestand, dass dieser Mann Tennyo getötet hatte oder dazu beigetragen hatte, dann durfte er ihn nicht einfach gehen lassen. Das war er ihrem Andenken schuldig. Und sich selbst.
    Sein Schwert war so lautlos aus der Scheide geglitten, wie es nur irgendwie wünschenswert war. Er hatte nicht vor, sich auf ein langes Duell mit diesem Mann einzulassen, er würde ihn einfach schnell und effizient töten, dann wäre es auch schon getan. Solche Taten ließen sich zwar eigentlich nicht mit seiner Ehre als Samurai vereinbaren, aber was für eine Ehre hatte ein Mann, der zusammen mit drei Spießgesellen eine wehrlose Frau umbrachte? Solche Mörder verdienten keine Gnade und hatten erst recht nicht das Privileg auf einen ehrenvollen Tod im Kampf. Schnell und leise wie ein Schatten trat er einen Schritt auf diesen Mann zu, sein Rücken war breit und deutete auf viel Traning hin, und stieß zu. Ein schneller, geübter Stoß, der das Herz direkt durchbohren musste und ihm keine Chance zur Gegenwehr gab. Gleich würde er vielleicht einmal kurz aufschreien, dann aber würde er zusammenbrechen und Blut würde fließen. So kannte er das aus zahllosen Schlachten und er sah keinen Grund, warum es sich diesmal anders abspielen sollte.
    Aber es geschah nichts. Für einen Moment schien die Zeit aus den Fugen zu geraten, als wäre sie selbst überrascht, was da geschah. Dieser Mann blutete nicht, er schrie nicht, nein, er zuckte nicht einmal. Die Klinge fuhr durch ihn hindurch wie durch jeden anderen Menschen auch, aber es schien ihn nicht zu stören. Dann drehte er sich langsam um. Seine Augen hatten einen tiefen Braunton und wirkten entspannt, fast träumerisch. „Bist du der Mann dieser Frau, die wir getötet haben?“. Diese Frage, in einem Ton gestellt wie bei einem gewöhnlichen Gespräch, machte ihn nur noch wütender. Er zog sein Schwert aus dem Körper des Mannes und führte einen schnellen Hieb aus, der ihm den Kopf abtrennen würde... Dagegen war niemand gefeit. Bis auf dieser Mann. Kurz, bevor die Klinge seinen Hals berührte, fing er sie ab, mit der bloßen Hand, ohne eine Miene zu verziehen und ohne, dass Blut floss. „Du kannst mich nicht verletzen...“, flüsterte er, immer noch wie bei einem völlig normalen Gespräch, „Es sind nicht die Waffen, die einen Menschen verletzen, auch nicht die Hand, die sie führt... Es ist die Angst. Die Angst zu sterben, zu gehen, verletzt zu werden, alles zu verlieren. Diese Angst habe ich nicht mehr. Und darum kannst weder du noch irgendein anderer mich auch nur streifen.“. Immer noch schien das Leben selbst den Atem anzuhalten. Kein Windhauch regte sich, niemand sagte ein Wort. Dieser Mann, der ungewöhnlichste Tavernengast, der hier je gesehen worden war, hatte die Realität selbst ausser Kraft gesetzt und das einzige Gesetz gebrochen, von dem er, der Rachesucher, immer geglaubt hatte, dass sich ihm jeder beugen müsste: Das Gesetz des Schwertes. „Deine Frau... Sie hatte Angst. Sie wollte nicht gehen. Es ging schnell, sie hat nicht gelitten, keine Sorge.“. Seine Hand zitterte. Das Schwert schabte an fremdartiges Fleisch, ohne es zu verletzen. Denn dieses Fleisch kannte keine Angst, war losgelöst davon.
    „Warum hast du sie getötet?“. Minuten später zerriss er mit dieser Frage die Stille. Als der Fremde nicht antwortete, schrie er ihn an: „WARUM?“. „Ich habe sie nicht getötet.“. Die Stimme des Fremden klang so ruhig wie zuvor, beinahe sogar noch ruhiger. „Daigoro hat sie getötet... Ich habe nur zugesehen. Wenn du mich aus Rache töten willst, so versuchst du es am Falschen...“. Wieder kochte seine Wut hoch. Das war zuviel. Eindeutig. Sein Schwert raste durch die Luft wie ein wahnsinnig gewordener Stahlvogel, sein Schrei war nicht mehr als ein hohes Sirren und die Hiebe, die er austeilte, waren allesamt tödlich: Er spaltete den Schädel des Mannes, er bohrte sich durchs ein Herz, er schlug ihm beide Arme ab und durchtrennte seine Halsschlagader, alles Treffer, die bisher noch jeden Gegner zu Fall gebracht hatte, jeden noch so übermächtigen Feind bezwangen. Nur diesen nicht. Die Hiebe berührten ihn zwar, aber sie verletzten ihn nicht, drangen durch ihn hindurch wie durch Butter oder Wachs, ohne dabei jedoch Spuren zu hinterlassen. Immer noch lächelte der Fremde milde, ganz so, als könnte er die Emotionen seines Angreifers irgendwie noch verstehen. Selbst Masse schien er für die Streiche der Klinge nicht zu besitzen, sie raste ungebremst durch ihn hindurch und traf auf das Holz, durchschnitt es sauber und klar. Das Holz, egal wie, empfand Furcht. „Hör zu...“, unterbrach der Fremde nach einer Weile schließlich die sinnlose, blinde Raserei. „Du kannst mich nicht töten. Niemand kann das. Aber ich kann dich töten... Wenn du willst, dann tragen wir es morgen aus, auf dem Kampfplatz, nach den alten Regeln. Würde dich das glücklich machen?“. Immer noch diese Ruhe, diese Gelassenheit in der Stimme des Fremden. Das machte ihn verrückt. Aber das der Fremde ihm ein Duell anbot, das machte ihn stutzig. Er schien kein Kämpfer zu sein. Was also führte er im Schilde? „Also gut, abgemacht.“, hörte er sich selber sagen, „Morgen auf dem Kampfplatz, drei Stunden nach Sonnenaufgang. Es gelten die alten Regeln.“. Noch bevor er die Antwort des Fremden abwarten konnte, bevor er es noch einmal widerrufen konnte, drehte er sich um und verließ die Bar. Der Fremde lächelte immer noch.
    Erst als er wieder an der kühlen, erfrischenden Luft war, wurde ihm bewusst, was er soeben getan hatte. Er hatte aus einem alten Reflex heraus gehandelt, als er damals noch in den Diensten des Kaisers gestanden hatte, hatte er Probleme nahezu immer so geregelt. Insbesondere wenn es um seine Ehre gegangen war, hatte er sich mit seinem Gegner auf dem Kampfplatz verabredet, der in nahezu jeder Stadt zu finden war, selbst in diesem grauen, tristen Dorf gab es einen. Und er hatte diese Kämpfe, die meist auf Leben und Tod hinausliefen, immer gewonnen. Erst jetzt wurde ihm klar, dass selbst diese althergebrachte Methode nichts bringen würde, aber es war schon zu spät. Aufgeben hätte den kompletten Verlust seiner Ehre bedeutet und lieber wollte er sterben, als in Schande zu leben. Und außerdem, so beruhigte er sich, musste selbst dieser Fremde eine Schwäche haben. Jeder Krieger hatte eine Schwäche. Aber was für eine war es diesmal? Welche Schwäche hat ein Mann, der vor nichts mehr Angst hat und durch nichts mehr verwundet werden kann? Er beschloss, diesem Gedanken nachzugehen, bei einem Gespräch mit Kengo bei etwas Sake. Das hatte ihm, wenn er es ehrlich zugab, schon gefehlt.
    Kengo schien damit gerechnet zu haben, denn als er wieder zurückkam, stand bereits Sake auf dem kleinen Holztisch im Wohnzimmer und Kengo hatte sich davor gekniet. Höflich verbeugte er sich vor seinem Gastgeber und setzte sich dann ebenfalls. „Du hast jemanden gefunden, nicht wahr?“. Kengo sah ihn interessiert an, mit jenem Gesichtsausdruck, den er immer aufgesetzt hatte, wenn er sich mit seinem Freund über Schwertkämpfe unterhalten hatte: Ein intelligenter, forschender, aber gleichzeitig irgendwie verlorener Blick, der durch seinen Gesprächspartner hindurchzugehen schien, sogar seine Seele ignorierte um etwas zu schauen, was weit, weit dahinter lag. Dennoch war es unmöglich, seinem Blick auszuweichen, denn so weit er auch fort war, so entging ihm dennoch nichts. „Ja, das stimmt.“, nickte er, gebannt von Kengos Blick, „Deswegen war ich offen gestanden hier... Auch, wenn du mir gefehlt hast, Kengo, der eigentliche Grund, der mich hierhertrieb, ist die Rache. Ich hoffe, du verstehst das.“. Es dauerte eine Weile, bis sein alter Freund antwortete. Wie immer, wenn es um etwas ernsthaftes oder sehr persönliches ging, nahm er sich sehr lange Zeit um zu antworten. Das war eine seiner vielen Eigenheiten und seine Freunde wie auch seine Frau hatten damit zu leben gelernt. Letztendlich führte es dazu, dass Kengo immer das Richtige sagte und es auch sehr gut begründen konnte. Insofern war er seiner stets hastig argumentierenden Umwelt wieder einmal einen Schritt voraus: Anstatt viele schnelle und bedeutungslose Kampfschritte zu machen, die einen nur im Kreis drehten und im Endeffekt zu nichts führten, machte er nach langer Überlegung und Abwägung aller gegnerischen Züge einen einzigen, gründlichen und immer mit absoluter Genauigkeit treffenden Streich. Diese Strategie hatte Kengo auch seinen Beinamen gegeben: „Kamakiri.“, die Gottesanbeterin. „Du sagtest, er kennt keine Angst... Aber vergessen hat er sie nicht. Kann denn nicht auch ein Kind von der Klinge verwundet werden, selbst wenn es diese und ihre Schrecken überhaupt nicht kennt? Hat denn nicht jedes Lebewesen und haben nicht auch sogar tote Gegenstände wie Stoff oder Holz Angst davor, zu gehen oder ihre Form zu ändern? Wenn dem so ist, dann musst du ihn daran packen, dass er diese Angst nicht vergessen, sondern nur verdrängt hat. Du musst sie irgendwie wieder in ihm wachrufen, dann wirst du ihn besiegen können.“. Kengo lehnte sich zurück und schloss die Augen, als hätte das, was er eben gesagt hatte, seine ganze Kraft beansprucht. Dennoch konnte sein alter Freund sehen, dass er zufrieden lächelte.
    Auch, wenn er es versucht hatte, so wich Kengo der erneuten Erwähnung seines Gegners in ihrem Gespräch immer wieder geschickt aus. Egal, was er ihm durch seine Worte sagen wollte, er hatte es ihm gesagt. Daher brach er das Gespräch recht bald ab und legte sich auf seiner Schlafmatte nieder. Unruhig wälzte er sich hin und her. Fliehen konnte er nicht, seine Ehre wäre nicht mehr herstellbar und das konnte und wollte er nach wie vor nicht dulden. Aber was konnte er sonst tun? Dieser Mann war unverwundbar für ihn und es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis er ihn erwischte. Jetzt war guter Rat teuer... Er schloss noch einmal die Augen und dachte genau an Kengos Worte zurück. Sie waren, wie immer, zu überlegt und zu gut formuliert gewesen, um zufällig zu sein. Vermutlich hatte er eine Idee oder zumindest eine Vermutung, wie der Fremde zu besiegen war und wollte, dass er selbst darauf kam. So war Kengo schon immer gewesen. Aber wenn dem so war, was konnte er damit gemeint haben? Noch einmal überlegte er, was exakt Kengos Wortlaut gewesen war, alleine schon darin konnte sich ein entscheidender Schlüssel verbergen. Kengo war oftmals ein fast schon heimtückisch weitschweifender Denker und Stratege gewesen, was die Zusammenarbeit mit ihm zwar lehrreich und interessant, keinesfalls aber einfach machte.
    Wieviele Stunden er so wachgelegen und nachgedacht hatte, konnte er nicht sagen. Vielleicht waren es auch nur wenige Minuten gewesen, bis ihn schließlich die Erkenntnis getroffen hatte. Er hatte sich an eine Schlacht erinnert, an der er und Kengo gemeinsam als Samurai teilgenommen hatten. Es war gegen die „Dämonen der westlichen See“ gegangen, eine Bande von Piraten, die nahezu unbesiegbar schienen, da sie sich furchtlos selbst größten Schiffen näherten, sie blitzschnell ausraubten und wieder verschwanden. Diese Furchlosigkeit war ihre Stärke gewesen, aber Kengo hatte zu einer ebenso einfachen, wie wirkungsvollen Strategie gegriffen: Als die Dämonen am Horizont auftauchten und sich schnell wie ein Fischschwarm näherten, gab er nicht den Befehl, auf sie zu schießen oder anzugreifen, sondern einfach nur da zu stehen und nichts zu tun. Zuerst war die Mannschaft, seinen alten Freund eingeschlossen, irritiert, aber sie leisteten ihm Folge. Kaum das die Piraten an Deck gekommen waren, standen sie einer Truppe gegenüber, die sie ausdruckslos und ohne ein Wimpernzucken ansah. Zuerst johlten sie nur und machten sich, ganz ihrer Gewohnheit nach, daran sie auszurauben, ohne jedoch jemanden anzugreifen. Auch das gehörte zu ihrer Strategie: Kämpfen nach Möglichkeit ausweichen, um ihre eigene Zahl hoch zu halten. Erst nach einer Weile wurde es einigen von ihnen sichtlich unheimlich , sie blickten immer wieder zu den ausdruckslos starrenden Kriegern, die offensichtlich nichts unternehmen wollten, sie an dieser Plünderung zu hindern. Einige von ihnen wichen zurück, ließen die Krieger nicht aus den Augen.. Und dann schließlich brach einer den Bann: Mit einem heiseren Schrei drehte er sich um und sprang über Bord, mitten in eines der Boote, mit denen sie angekommen waren. Viele taten es ihnen gleich und in diesem Moment schrie Kengo: „JETZT!“. Das war das zweite Kommando, was er ihnen gegeben hatte: Auf diesen Schrei hin sollten die Bogenschützen feuern. Ein sirrender Hagel aus tödlichen Pfeilen prasselte in die kopfüber umherrennende Menge, die Schützen hatten gar nicht zu zielen gebraucht, denn dort wo die Pfeile nicht trafen, hatten sie sogar noch größeren Effekt: Schmerzenschreie mischten sich mit Entsetzensschreien, alle Piraten versuchten sich zu retten, schubsten sich gegenseitig aus dem Weg oder ins Wasser, fast genauso viele wie durch die Pfeile gestorben waren starben durch die Hand ihrer eigenen Kumpanen. Zwar gelang es den Dämonen daraufhin zu fliehen, aber das nächste Schiff, das sie ausrauben wollten, war jetzt wo ihre Zahl so stark geschrumpft war zu gut vorbereitet, ihr Einsatz zu unkoordiniert und so fanden sie schließlich alle ein Ende.
    War es nicht auf eine gewisse Art und Weise dasselbe? Hatte er es jetzt nicht auch mit einem Gegner zu tun, dessen einziger Vorteil es war, dass er keine Angst kannte? Die Piraten hatten keine Angst davor, selbst überlegende Schiffe anzugreifen, sie gingen schnell und präzise vor, ohne das sie Bedenken oder Furcht gezeigt hätten und das war ihr großer Vorteil. Und der Fremde war nicht zu verletzen, weil er keine Angst kannte... Die Piraten hatten das Fürchten von Kengo gelehrt bekommen... Warum sollte dann nicht der Fremde das Fürchten von ihm, dem Rachesuchenden, lernen? War es das, was Kengo ihm zu sagen versucht hatte? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Entweder es klappte, oder er würde zumindest ehrenvoll im Kampf sterben. So resigniert dachte er mittlerweile. Aber dennoch, jetzt hatte er zumindest ein kleines Bisschen Hoffnung. Er wusste, jetzt konnte er gewinnen. Wenn sein Plan funktionierte...
    Über seine tiefen, brütenden Gedanken hinweg musste er eingeschlafen sein. Zumindest hatte er, als er aufstand, keine Erinnerung daran, sich die ganze Nacht noch weiterhin in Plänen und Überlegungen gewälzt zu haben. Leise, um Kengo und seine Frau nicht zu wecken, zog er sich an und legte sein Schwert, das Instrument seiner Rache, um und ging aus dem Haus. Jetzt war es zu spät, sich noch Gedanken zu machen. Jetzt hatte er nur noch zwei Optionen: Handeln oder Untergehen. Nervös oder ängstlich war er nicht und auch jegliche Bedenken hatte er abgelegt. Zielsicher ging er auf das Dorfzentrum zu, wo er stand: Der Duellplatz. Wie bei diesem Dorf nicht anders zu erwarten, war auch der Duellplatz langweilig, dröge und unspektakulär und die wichtigsten Kämpfe, die sich dort ereignet hatten, konnte jemand wie er eigentlich nur mit einem unterdrückten Gähnen aufzählen. Aber das würde sich mit dem heutigen Tag ändern. Heute würde auf diesem Kampfplatz Geschichte geschrieben. Ein legendäres, episches Duell, der Stoff für zahllose Geschichten und Legenden. Wie es immer war: Die spektakulärsten Massenschlachten wurden verharmlost, verramscht und vergessen, während hingegen mehr oder weniger spektakuläre Duelle verklärt, verschlungen und verehrt wurden. Es kam den Leuten gar nicht darauf an, wie wichtig, wie groß oder wie entscheidend ein Kampf war, sondern nur darauf, wie klar man die Kontrahenten identifizieren konnte: Gut oder Böse. Stark oder Schwach. Krumm oder Gerade. Sieger oder Verlierer. Leben oder Tod. So einfach war das und genau diese Einfachheit schätzten so viele an Duellen. Aber in diesem Fall würde die Unterscheidung sicher schwer fallen: Auf der einen Seite der Fremde, gehüllt in exotische Gewänder, dem nichts und niemand etwas anzuhaben schien und der eine widernatürliche, fast schon gespenstische Ruhe ausstrahlte. Auf der anderen Seite wiederum er, der Rachesucher, zerfressen von seinem eigenen Schmerz, der ihm einen schmerzverzogenen Abdruck ins Gesicht brannte und ihn wie eine grausame Verballhornung des Begriffes „Mensch“ aussehen ließ. Beide waren hier nicht willkommen und beide kämpften für etwas, was niemand in diesem Dorf je verstanden hatte oder verstehen würde. Das brandmarkte sie beide zu Außenseitern und machte eine klare Gut Böse Definition im Falle dieses Duells schwierig. Aber dennoch fanden sich als Zuschauer trotz der frühen Stunde so viele Zuschauer ein, wie schon lange nicht mehr. Zwei Außenseiter, zwei verhasste Männer traten gegeneinander an und egal, wer leben und wer sterben würde, gewinnen würde im Endeffekt nur einer daran: Die Masse, die nach Blut und Bestrafung der Unnormalität gierte. Deshalb waren sie hier.
    Es war wenige Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt, als der Fremde aufkreuzte. Seine Gewandung wirkte immer noch so bizarr wie am Vortag, ja, es schien fast, als habe sich dieser extreme Widersinn noch verschlimmert. Als er seinen Gegner sah, lächelte er. „Du bist gekommen, wie ich sehe... Nun, ich respektiere das. Auf ein faires Duell.“. Mit diesen Worten verbeugte er sich und stellte sich hin. Einfach nur hin, er hatte keine Kampfpose, er zog keine Waffen. Man hätte ihn beinahe für einen Zuschauer halten können. Und gerade diese Haltung provozierte seinen Gegner noch mehr. Leise singend, wie ein Falke, der nach Blut giert, fuhr das Katana aus der Scheide. Jetzt gab es nur noch sie beide. Das Duell hatte begonnen.
    Wie ein Skorpion umkreiste der Rachesuchende seinen Gegner, versuchte ihn einzukreisen und zu einer Unvorsichtigkeit zu bewegen. Nicht, dass das Nötig gewesen wäre, der Fremde stand immer noch ganz locker da und wippte sogar ein wenig auf seinen Fersen. Es war beinahe schon provokativ, sich in einem Duell so zu verhalten. Andererseits war es bei ihm ja sowieso egal, wie er stand... Mit einem energischen Kopfschütteln vertrieb er den Gedanken aus seinem Kopf. Irgendwo war auch dieser Fremde verletzbar, irgendwie musste es möglich sein, ihn seiner Deckung zu berauben. Solange er so dachte, konnte er diese Lücke auch finden. Leicht knickte er die Hinterbeine ein, sammelte Druck an und stieß sich dann mit einem markerschütternden Schrei vom Boden ab, eine kleine Wolke aus aufgewirbeltem Staub markierte den Punkt, wo er bis gerade eben noch gestanden hatte. Sein Schwert fuhr schnell und elegant vor, blitzte in der Sonne und glitt durch Fleisch, Knochen, Muskeln und Organe, ohne Schaden zu hinterlassen. Kaum war sie aus dem Körper des Mannes herausgetreten, drehte die Klinge sich und machte kehrt, schnitt genau hinter seinem Ohr entlang und traf die dort liegende Schlagader sehr genau, eine geschickte Abwandlung des „Tsubame Gaeshi“ von Sasaki Kojiro, dem legendären Schwertkämpfer. Hätte dieser Streich den Fremden verwundet, so wäre er wohl verblutet. Allerdings tat sich nicht, er stand immer noch seelenruhig und unverletzt da, jeder Technik und jedem Gesetz zum Trotz. „Gar nicht mal so schlecht.“, kommentierte er mit ruhiger Stimme, „Damit hat es schon mal jemand versucht... Unnötig zu erwähnen, dass er gescheitert ist, sonst wäre ich ja nicht hier.“. Immer noch zierte ein selbstgefälliges Grinsen sein Gesicht, das seine Rede noch höhnischer und spöttischer zu machen schien. Aber er hatte Recht. Egal, welche Strategien er benutzen würde, der Fremde kannte sie bereits und war auf seine Art darauf vorbereitet. Er musste seine bisherige Art zu kämpfen aufgeben... Oder sie neu erfinden. Sonst würde er verlieren, denn Altbewährtes funktionierte bei diesem Gegner nicht. Also musste er sich etwas anderes ausdenken...
    Den Schwung eines weiteren Hiebes ausnutzend, der seinen Gegner am Handgelenk traf, sprang er zurück. „Nun, ich werde langsam müde...“, konstatierte sein Gegenüber. „Ich glaube, wir sollten das Kampftempo ein wenig beschleunigen...“. Noch ehe der Rachesuchende reagieren konnte, knickte der Fremde die Beine ein und rannte mit einem unglaublichen Tempo auf ihn zu. Nur wenige Augenblicke, einige Herzschläge, und er stand wieder da, wo er losgelaufen war. Allerdings hielt er jetzt etwas in der Hand... Ein Wakizashi, ein Kurzschwert. Und nicht nur irgendeines. Er erkannte es an dem Drachenkopf, der den Knauf der Waffe zierte, genau dieselbe Machart, wie auch sein Katana, mit dem er gerade eben kämpfte, sie trug: Es war sein Wakizashi. Der Fremde hatte es ihm geklaut. Damit erhielt der Kampf eine völlig neue Dimension... Er hatte seinen Gegner bisher nur defensiv gesehen, zwar als unverletzlich, aber nicht als unmittelbar aggressiv. Jetzt zeigte sich, dass dies ein fataler Irrtum gewesen war. Dieser Mann konnte mit einer Waffe umgehen, sicherlich nicht auf seinem Niveau, aber dadurch das er durch nichts zu verletzen war, wurde er trotzdem ein tödlicher Gegner... Innerlich verfluchte der Rachesuchende seine Unbedachtheit. Jetzt musste er wirklich alles geben oder er würde sterben. Plötzlich hörte er Kengos Stimme in seinem Kopf, die Worte, die er am Abend zuvor noch gesprochen hatte: „Wenn dem so ist, dann musst du ihn daran packen, dass er diese Angst nicht vergessen, sondern nur verdrängt hat. Du musst sie irgendwie wieder in ihm wachrufen, dann wirst du ihn besiegen können.“. Weise Worte, sicherlich, aber sie waren schwer umzusetzen... Eine so perfekt verschüttete Angst konnte man nicht in wenigen Augenblicken wieder freilegen... Wie ein Blitz durchzuckte ihn plötzlich ein Gedanke und die Intensität dieses Bildes hätte ihn fast erschlagen. Seine eigene Dummheit wurde ihm bewusst, wie konnte er nur so blind sein? Wieder fühlte er sich an die Dämonen erinnert und daran, wie Kengo ihnen die Angst wieder gezeigt hatte... Das war es. So würde es klappen.
    Der Angriff des Fremden kam schnell und überraschend für die Zuschauer, nicht aber für seinen Gegner. Ein typischer gerader Stoß, mit viel Wucht ausgeführt, um gleichzeitig schnell wie auch effektiv zu sein, keine große Sache. Er hatte genug Zeit, auszuweichen, streckte allerdings seinen Arm genau in die Laufbahn der Klinge. Der geschliffene Stahl fuhr über seine Haut, ritzte sie auf und ließ Blut hervorquellen, ein scharfer, kalter Schmerz durchfuhr seinen Arm und er schrie auf. Nicht, dass ihm das wirklich wehtat, er hatte schon schlimmere Wunden gehabt, aber das war Teil seines Plans. Er schrie wie von Sinnen, hielt sich den blutenden Arm und brach zusammen. Der Fremde lächelte nur. „Du hast Angst... Sehr viel Angst sogar.“. Keuchend sah er zu dem Fremden hoch. „Ja, das habe ich... Der Schmerz, das Versagen, dieses Gefühl, ehrlos zu sein. Das ist es, was mir Angst macht. Wie hast du sie überwunden?“. Das Lächeln des Fremden nahm einen beinahe ironischen Zug an. „Das zu erklären erfordert mehr Zeit, als dir noch bleibt. Oder vielmehr... Als ich dir zugestanden habe.“. Wieder stieß er zu, aber wieder war der Stoß vorhersehbar gewesen und so rollte sich der Rachesuchende schnell und elegant darunter weg. Der Fremde schien tatsächlich anzunehmen, er wäre auch im Schwertkampf besser als sein Gegner. „NEIN!“, schrie er, bemüht panisch, ängstlich zu klingen. „Das kannst du niemandem antun... Willst du wirklich soviel Schmerz, soviel Leid verursachen? Reicht es dir nicht, zuzusehen wie andere das tun? Willst du wirklich wissen, was für Schmerzen damit verbunden sind?“. Der Fremde antwortete nicht, sondern schritt auf ihn zu, schnell beinahe hastig, als wollte er ihn zum Schweigen bringen. Erneut stieß er zu und diesmal war es wirklich überraschend. Vorhersehbar, immer noch, aber weitaus schneller und gezielter. Und diesmal tat es wirklich weh. Der Stahl bohrte sich durch seine linke Schulter, schrammte am Knochen entlang und trat an der anderen Seite wieder heraus. Sein ganzer Körper schien zu brennen, seine Schulter schmerzte so höllisch, als ob das Messer weißglühend gewesen wäre... Und diesmal war sein Schrei echt. Nicht nur der Schmerz spielte darin mit, sondern auch seine Wut, sein Rachedurst und vor allem: Tennyo. Zwar schrie er ihren Namen nicht, aber dieser Schrei war der so lange unterdrückte Schmerzensschrei darüber, dass sie nicht mehr lebte... Und obwohl seine Schulter wehtat, obwohl sein Arm blutete, umklammerte er sein Schwert und hob es hoch. Er sah es in den Augen des Fremden: Jetzt oder nie. In seinen Augen funkelte die Angst, die er so lange unterdrückt hatte und die ihn, nur für wenige Bruchteile einer Sekunde, verwundbar machte. Ohne groß zu überlegen, ohne den Schmerz wirklich wahrzunehmen, hob er sein Schwert und rammte es dem Fremden mitten durch die Brust.
    Der Kampfplatz lag still da. Selbst der Wind war nicht zu hören. Als das rasselnde Atmen des Fremden einsetzte, wirkte es wie eine Erlösung. „Gar nicht.... schlecht .“, hustete er, Blut quoll aus seinem Mund seine Unterlippe hinab. Wortlos zog sein Gegner das blutbeschmierte Katana aus seiner Brust und fing an, es notdürftig zu säubern. „Verrat mir nur, wo die anderen von euch sind.“, entgegnete er. „Ich sage dir nur... einen.“. Wieder hustete der Fremde. „Aber seinen Namen wirst du kennen und ihn nie wieder vergessen... Er ist.... Lord Tancho.“. Der Rachesucher nickte. „Ja,“, sagte er, „Ich kenne ihn.“. Der Fremde sagte nichts, blieb stehen. Blut tropfte seinen Körper hinab. „Leb wohl.“, flüsterte der Rachesuchende noch. Es lag ein unglaublicher Hass in diesen beiden Worten. Dann schlug er seinem zuvorigen Gegner den Kopf ab.



    Mit folgendem Code, können Sie den Beitrag ganz bequem auf ihrer Homepage verlinken



    Weitere Beiträge aus dem Forum Fantasy4ever

    Filmzitate - gepostet von Arya am Montag 08.10.2007



    Ähnliche Beiträge wie "Frieden (noch nicht vollendet)"

    eventl. jetzt Frieden??? - sir s (Sonntag 30.12.2007)
    Frieden durch Krieg?? - Marille210 (Mittwoch 29.12.2004)
    Vinsels - I Triple HHH I (Dienstag 26.08.2008)
    Bushs Irak-Plan: Fünf Punkte für Frieden und Freiheit - Ne0n (Dienstag 25.05.2004)
    FRIEDEN MIT YY..... - -jaywee (Donnerstag 17.02.2005)
    Kinder brauchen Frieden - Icedsoul (Samstag 21.04.2007)
    PAY BAG in PURPLE/RAIN - Ruhe in Frieden ;-) - Mimi (Freitag 10.08.2007)
    Frieden - kariston (Mittwoch 11.07.2007)
    SJ4- Das Werk ist vollendet! - ghostrider (Sonntag 19.02.2006)
    Krieg & Frieden - kleimo (Donnerstag 08.02.2007)