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Capus, Alex - Fast ein bisschen Frühling




Capus, Alex - Fast ein bisschen Frühling

Beitragvon chip » 26.02.2008, 14:04

Capus lässt zwei Bankräuber aus den 1930er Jahren neu aufleben, konstruiert einen existenten Fall nach. Er durchforscht dafür Polizeiarchive, sucht alte Zeitungsartikel heraus, führt Interviews mit den beteiligten Personen, … und so liest es sich im Nachhinein dann auch: Wie ein Protokoll - nüchtern und steril, auf Fakten beschränkt.

Sie fühlen sich vom Pech verfolgt, erweisen sich für Bankräuber als totale Nieten, immer darauf getrimmt, die falsche Entscheidung zu treffen. Im Grunde sind sie doch liebenswerte Herren, die auf der Flucht einen Plattenladen betreten und Sympathie für die Verkäuferin entwickeln; Tango-Schallplatten kaufen, die nicht vorrätig sind und deshalb den Aufenthalt in der Stadt verlängern müssen. Währenddessen führen sie die Verkäuferin spazieren, erschießen zwischendurch ein paar Bankangestellte, nachdem sie eine weitere Bank ausrauben. Die Schießerei wird wie das Abbrechen eines toten Astes beim Spaziergang durch den Wald beschrieben. So unschuldig und belanglos erwähnt wie das Vertreiben einer Mücke an schwülen Sommerabenden. Jedenfalls fühlt der Leser keine Panik oder Bestürzung, keinerlei Reaktion von Seiten der Verbrecher, einfach weil das Romanhafte in dieser Erzählung fehlt. Lieber werden peinlichst genaue Zeitangaben, Straßennamen gemacht und lieber Hubraum und Innenausstattung diverser Fluchtwagen erwähnt.

Die Geschichte scheitert, weil im Buch kein Leben auftaucht. Diese Figuren sind leblose Namen aus einem Karteikasten, zweidimensionale Strichmännchen, die über keinerlei Profil verfügen. Geister einer fernen Vergangenheit, in Erinnerung gerufen wie beim Durchblättern eines Fotoalbums. Leider muss ich sagen, denn Capus hätte aus dieser Geschichte etwas Großartiges schaffen können. Zum Beispiel die Zuneigung zur Verkäuferin intensivieren, durch Tangomusik tanzend und verliebend, um so der brutalen Gegenwart zu entkommen. Aber der Titel deutet es an, der grausame Winter lässt’s nicht zu. Und so werden sie, die Verbrecher, als Märtyrer gegen eine gestörte Weltordnung gefeiert, Täter werden zu Opfer stilisiert, als Produkt einer rohen Gesellschaft entschuldigt.
:stern: :stern:

Gruß,
chip

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chip
 

von Anzeige » 26.02.2008, 14:04

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Beitragvon Krümel » 26.02.2008, 18:48

Ich setze diese Rezi ins Blog, einverstanden? :wink:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Wirbelwind » 27.02.2008, 21:55

Hier kann man mal wieder sehen wie unterschiedlich der Einzelne ein Buch bewertet. Ok es war kein Highlight von Alex Capus. Mit den Protagonisten hatte ich auch so meine Probleme, aber trotzdem fand ich es unterhaltsam. Ein Zerriß - ein ziemlich hartes Urteil.

Liebe Grüsse
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Beitragvon chip » 28.02.2008, 06:56

Wirbelwind hat geschrieben:Ein Zerriß - ein ziemlich hartes Urteil.


Nein, zerrissen hab ich es dann doch nicht. :wink:

Ich kann keine bessere Bewertung geben, weil es in meinen Augen einfach nur schlecht geschrieben ist.
Erstens, Capus hat hier großartige Recherche betrieben, findet gar sehr detailreiche Fakten, vermag sie jedoch nicht in einer Erzählung einzubauen. Es gleicht einem Report. Für ein Sachbuch hätte es vielleicht gereicht.

Zweitens, die Figuren sind keine. Klar, ich weiß, das der Eine 1,72 m groß ist, der andere etwas größer, Haarfarbe und derlei Dinge. Was ich aber vermisse sind die Dinge, die den eigentlichen Menschen ausmachen, Charaktereigenschaften und Gefühlsregung. Aber hier rauben sie eine Bank aus, töten Menschen und flirten hinterher fröhlich mit Dorly, der Verkäuferin. Leser verfolgen nichts als einen Schatten, flüchtig und ungreifbar.
Irgendwie verständlich, weil diese Eigenschaften ja in keinem Polizeiarchiv zu finden sind. Das Problem ist vielmehr, dass er sich zu sehr an der Wahrheit gebunden fühlt. Was er nicht in Erfahrung bringen kann, lässt er fallen. Leider sind es die essentiellen Dinge, die er fallen lässt.

Drittens versucht er den Zeitgeist einzufangen und fairerweise muss ich sagen, es gelingt ihm einigermaßen. Wenn z.Bsp. von Photomatonautomat und Reisegrammophon die Rede ist. Aber wenn im Kino "King Kong" läuft oder in der Zeitung erste geschossene Fotos eines "Ungeheuer von Loch Ness" Erwähnung finden, dann klingt das schon stark nach 'erzwungen'. Das kann man alles im Lexikon nachlesen unter dem entsprechenden Jahrzehnt.

aber trotzdem fand ich es unterhaltsam

Es liest sich leicht und schnell, stimmt, was ich aber nicht mit 'unterhaltsam' gleichsetzen würde.
Sorry, aber meine Enttäuschung lässt sich nicht verbergen. :-|

Gruß,
chip :wink1:
chip
 

Beitragvon Wirbelwind » 28.02.2008, 10:31

Ok chip - einigen wir uns darauf:
Alex Capus hat schon besseres geschrieben. :wink:

Liebe Grüsse
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Beitragvon alixe » 03.10.2008, 21:58

Wirbelwind hat geschrieben:Ok chip - einigen wir uns darauf:
Alex Capus hat schon besseres geschrieben. :wink:

Liebe Grüsse
Wirbelwind


Das kann ich unterschreiben.

Gefallen hat mir der Roman trotz (oder wegen ?) der doch eher romantischen Darstellung der Banditen nicht schlecht, interessant finde ich den gleichzeitigen Ablauf dieser Raubüberfälle mit den reellen Verbrechen von Bonnie und Clyde. Die Ähnlichkeit der Schilderung dürfte kein Zufall sein, die zwei Mörder üben doch eine gewisse Faszination auf den Leser aus, und ich bekenne, während meiner offenkundig nach Identität suchender Adoleszenz, so bezaubert von Bonnie & Clyde gewesen zu sein, dass ich zum Schrecken meiner Eltern, die mir schon eine Verbrecherlaufbahn prophezeiten, die Zimmerwände mit Fotos von Faye Dunaway und Warren Beatty zuklebte und nur im Bonnie-Look das Haus verließ… 8)

Diesem Roman fehlt es leider an Tiefe, wobei ich das Gefühl habe, Capus hätte hier mit seinem Potential gegeizt. Eine nette Lektüre für zwischendurch...

herzlichst: alixe
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Beitragvon Wirbelwind » 04.10.2008, 17:16

Habe alle Capus Bücher gelesen und am besten hat mir "Eine Frage der Zeit" gefallen. Vielleicht schafft er mal wieder so ein Buch. :roll:

Liebe Grüsse
Wirbelwind

:lesen5: Tatiana de Rosnay, Sarahs Schlüssel
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