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Zamir, Michal - Das Mädchenschiff




Zamir, Michal - Das Mädchenschiff

Beitragvon dubh » 06.02.2008, 20:01

Michal Zamir, Das Mädchenschiff
(marebuchverlag, August 2007)
ISBN 978-3-86648-065-0
220 Seiten; € 22.00 (HC)
Originaltitel: Sfinat ha-Banot



Zur Autorin (von www.marebuch.de):

Michal Zamir wurde 1964 in Tel Aviv geboren und ist die Tochter von Zvi Zamir, der zur Zeit des Münchner Attentats von 1972 den Mossad führte. Sie hat als Achtzehn- bis Zwanzigjährige ihren Armeedienst abgeleistet. Das Mädchenschiff sei nicht autobiographisch, sagt sie, aber trotzdem habe sie zwanzig Jahre gebraucht, ehe sie dieses Buch schreiben konnte.
Michal Zamir lebt mit ihrer Tochter in Tel Aviv.

Klappentext (ebenfalls von www.marebuch.de):

Eine junge Israelin tritt ihren Wehrdienst auf einem Fortbildungsstützpunkt für höhere Offiziere an. Die Kaserne gleicht einem Schiff, das die Mädchen für zwei Jahre auf ein fremdes Meer entführt. Träume von Karriere, Liebe und Familie sind an der Gangway abzugeben – denn in den Waffenkammern, Schreibstuben und Schlafsälen sind die jungen Rekrutinnen den Offizieren schutzlos ausgeliefert. Michal Zamirs unerhörter Roman "handelt nicht nur von S.e.x.ueller Belästigung, sondern berichtet von einer umfassenderen weiblichen Erfahrung – existenzieller Belästigung –, und das mit Mut und Humor" (Schiri Lev Arie, Ha’aretz)

Meine Meinung:

Ganz vorweg: Humor habe ich bei diesem Buch ehrlich gesagt keinen entdeckt, dafür aber jede Menge Situationen und Momente bei denen ich kräftig schlucken musste. Mutig ist Michal Zamir aber sicherlich: sie kritisiert mit diesem Buch indirekt die Zustände von vermutlich nicht wenigen Frauen bei der israelischen Armee.
Aus der Sicht einer jungen Israelin, die ihren Armeedienst als Büroangestellte bereits angetreten hat, wird erzählt - gleich zu Beginn in ziemlich rüden Sätzen vom Selbstmord ihrer Vorgängerin. Man ahnt auch schon auf den ersten Seiten um was es eigentlich geht: die jungen Rekrutinnen sind den höheren (männlichen) Offiziersrängen schutzlos ausgeliefert, Schwangerschaftsabbrüche sind an der Tagesordnung, nach deren drei man von der Armee entlassen wird. Pikanterweise läuft das Ganze relativ problemlos ab, wenn man sagt, dass es sich um eine Vergewaltigung durch einen Araber handelt - Standardausrede sozusagen, auch bei unserer Erzählerin. Die bringt es im Buch auf sage und schreibe fünf Ausschabungen.
Heftig sind die Szenen, bei denen deutlich wird, dass es sich bei den jungen Frauen um Freiwild für viele der oberen Soldaten handelt, dass sie es gewissermaßen in Kauf nehmen, ständig angebalzt oder gar gleich mißbraucht zu werden. Auch die Hauptperson des Romans (die im übrigen namenlos bleibt) stellt sich auf diverse Geschlechtsverkehre ein, hofft eigentlich nur, dass es 'nett' sein/werden könnte. Nur wenige Phantasien oder tatsächliche Szenen sind dann aber 'nett' - das meiste lässt sie einfach über sich ergehen...

Die Sprache ist sehr plakativ-provokant, die Schilderungen an sich sind eher eine Bestandsaufnahme rund um die Hauptfigur - die S.e.x.szenen sind häufig und sehr derbe geschildert. Aber was mich wütend gemacht hat, ist diese schicksalsergebene Akzeptanz der jungen Frau. Sie weiß von vorne herein (eben auch durch Beispiele ihrer Freundinnen), was bei einem Besuch des jeweiligen Offiziers passiert und geht trotzdem hin (obwohl sie es nicht müsste) - und dies macht meine Einschätzung, ob man tatsächlich von Vergewaltigungen sprechen könnte so schwierig. Naiv sind viele der Protagonistinnen, aber man kann sie nie ganz nachvollziehen - vor allem die Hauptfigur bleibt erstaunlich schlecht ausgeleuchtet. Und so wirken viele der Situationen konfus aneinandergereiht: ich war erstaunt über die Naivität der Hauptperson und verwirrt wie planlos sie auch mit ihrer Familie, die während ihres Militärdienstes auseinanderbricht, umgeht, wie ahnungslos mit ihrer Zukunft.
Warum konzentriert sich die Autorin nicht auf die psychischen Folgen sowohl eines solchen männlichen Machtverhaltens wie auf dem beschriebenen Stützpunkt als auch auf die, die meist mit Schwangerschaftsabbrüchen (die jede/r der KameradInnen mitbekommt) einhergehen?
So wirkt das Ganze jedenfalls sehr traurig, resigniert (und deshalb auch nicht wirklich so sehr mutig) und resignierend, an manchen Stellen sicherlich auch provozierend, schlußendlich aber auch ein Stück ratlos machend.

Fazit: Eigentlich ein mutiges Buch um ein wichtiges, vermutlich totgeschwiegenes Thema, das aber leider eine konfuse, triste Bestandsaufnahme bleibt.

:stern: :stern:

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Liebe Grüße
dubh
dubh
 

von Anzeige » 06.02.2008, 20:01

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Beitragvon wolves » 07.02.2008, 09:41

Ui, das war ja derbe Kost die du gelesen hast. Mich würde ja interessieren, was die israelische Armee dazu gemeint hatte. Das sind ja schon heftige Vorwürfe.
Schade dass letztendlich das Thema so schlecht dargestellt wurde. Das hätte ein mutiges Buch sein können.
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon dubh » 07.02.2008, 10:02

wolves hat geschrieben:Ui, das war ja derbe Kost die du gelesen hast. Mich würde ja interessieren, was die israelische Armee dazu gemeint hatte. Das sind ja schon heftige Vorwürfe.


Hallo wolves,

eine Reaktion der israelischen Armee hätte mich auch interessiert. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, habe ich auch im Internet ein wenig gesucht, ob es irgendwas zum Thema gibt. Leider habe ich auch jetzt nichts derartiges gefunden - vermutlich hat die Armee das Buch offiziell ignoriert, denn alles andere müsste ja eigentlich weitreichende Konsequenzen haben, oder?
Dafür habe ich aber einen interessanten Artikel vom Deutschlandradio gefunden: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/700335/

Liebe Grüße
dubh
dubh
 

Beitragvon wolves » 07.02.2008, 12:41

Hallo dubh,

das hätte ziemlich weitreichende Folgen gehabt! Das glaube ich auch. Dann wohl lieber das Deckmäntelchen des Schweigens darüber geworfen. :roll: Der Artikel, den du im Deutschlandfunk gefunden hast, ist wirklich sehr interessant. Danke für den Link!
Das ist überhaupt eine interessante Seite. :D
Liebe Grüße
wolves


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