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Roth, Joseph - Radetzkymarsch




Roth, Joseph - Radetzkymarsch

Beitragvon Krümel » 09.04.2008, 14:24

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Ein historischer Roman, und eher eine Männerlektüre!

Der “Radetzkymarsch” erschien 1932 und erzählt eine Familiengeschichte anhand drei Generationen. Der Marsch zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte.

Der Großvater Trotta war ein slowenischer Bauer und Unteroffizier, der in der Schlacht von Solferino dem Kaiser von Ungarn und Österreich, Franz Joseph, das Leben gerettet hat. Er erhielt dafür den Maria-Theresien-Orden, kam in die Geschichtsbücher, und wurde geadelt.
Der Vater, so hatte es Großvater in weiser Vorhersehung bestimmt, sollte die Beamtenlaufbahn einschlagen, da er am eigenen Leib erkannte, dass sich das neue Adelsgeschlecht nicht zum Kriegsdienst eignete; so wurde aus ihm der Bezirkshauptmann in W..
Der Sohn wiederum kam zum Militär, wurde seit dem siebten Lebensjahr zum Soldaten gedrillt, obwohl das nicht seinem Inneren entsprach. Sekündlich wartet der Leutnant auf den oberen Befehl, denn in Friedenszeiten ist ein Soldat nutzlos. Der Alkohol und das Spiel ersetzen diese Leere. Und wenn dann der Befehl endlich ausgerufen wird, ist es paradoxerweise der Untergang der Monarchie!

Ist der Großvater noch der Held der Erzählung, erweist sich die Zeit und die nachfolgenden Generationen als ungeeignet, die dritte Generation scheitert gänzlich.

Es ist ein eiskalter Roman! Nicht dass Roth keine feinfühligen Beschreibungen zu Papier bringen kann, nein, es sind wunderbare Landschaftsbeschreibungen u. a. vorhanden. Der Roman ist gefühlskalt, und spiegelt dadurch die damalige Zeit 1:1 wieder.
Vorherrschend stammt diese Kälte durch die nicht vorhandene Eigenverantwortung, sondern dass die Menschen sich in ihr vorgegebenes Schicksal einfügen, sich führen lassen, darunter leiden, aber nicht den Mut haben daraus auszubrechen.
Früher oder später musste aus dieser Situation die Revolution hervorkommen, denn nichts ist verlockender als die Freiheit!

Insgesamt ist mir das ganze Buch zu männlich und militärisch, diese Thematik sprach mich überhaupt nicht an, dadurch konnte es mich nicht fesseln und begeistern.
Nicht dass ich dadurch sagen möchte, es wäre ein schlechter Roman, nein den Untergang der Monarchie wurde gewiss nie besser beschrieben und deutlicher erzählt, aber in dieser Männerwelt hatten Frauen und auch das Feingefühl noch keinen Platz, was ja ein großes Motiv dieser Erzählung ist.
Vielleicht ist dieses Werk tatsächlich eine Männerlektüre, denn bisher habe ausschließlich männliche Stimmen vernommen, die es anpriesen. Was aber nicht heißen soll, dass wir Frauen es nicht lesen sollten, aber wir werden weniger Vergnügen an dieser Lektüre finden.

Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2005, Hardcover 13 €, 416 Seiten, ISBN: 3-462-03462-6

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern:

Schwierigkeitsgrad: leicht bis mittel
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Karthause » 02.08.2008, 12:23

„Radetzkymarsch“ habe ich als ein ganz wunderbares Buch empfunden. Joseph Roth ist ein wahrer Künstler des Wortes. Seine Beschreibungen haben mich tief beeindruckt. Er kann mit einfachen Worten eine Atmosphäre schaffen, die für den Leser spürbar und erlebbar wird. Ich habe lange kein Werk ähnlicher Brillanz gelesen. Die Charaktere sind hervorragend gezeichnet, die Handlungen dieser dazu stimmig. Joseph Roth vermag aber auch hintergründige Ironie, die stellenweise schon ins Satirische überging, gekonnt und bewusst einzusetzen.

Die Protagonisten symbolisieren mit ihrem Stand in der Gesellschaft die Säulen der k.u.k. Monarchie. Der Großvater, Held von Solferino, steht für das noch „gesunde“ Militär, die funktionierende Stütze der Gesellschaft. Franz von Trotta als Bezirkshauptmann verkörpert das Beamtentum, er ist ein treuer Diener des Staates. Der weichliche Carl Joseph von Trotta fühlt sich in seiner Rolle bei der Armee nicht wohl. Er sehnt sich zurück zu den Wurzeln der Familie und repräsentiert so den Untergang des Systems. Roth zeichnet Bilder mit Symbolcharakter in dieses Buch, am meisten beeindruckten mich die Krähen als Prophetenvögel und die Stimmung am Vorabend des I. Weltkrieges. Und durch die ganz gesamte Handlung zieht sich unaufdringlich der Radetzkymarsch.

Auffällig war auch, dass es in diesem Buch kaum Frauen gab, die in die Handlung eingriffen. Das empfand ich jedoch nicht als Mangel, sondern als direkte Folge der doch recht militärlastigen Handlung.

Mein Fazit: „Radetzkymarsch“ ist ein äußerst gelungenes Werk, das den Niedergang der k.u.k. Monarchie auf sehr einprägsame Weise beschreibt. In meiner persönlichen Bestenliste wird es ganz weit oben einen Platz finden. „Kapuzinergruft“ werde ich in kürze lesen. Die Erwartungen daran sind entsprechend hoch.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern: ( :love: )
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon Coco » 02.08.2008, 14:09

Fünf in liebe entbrannte Sterne :D .... na, da hoffe ich doch, dass ich bald die nötige Ruhe habe, dieses Buch zu lesen!
Liebe Grüsse
Coco

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Beitragvon chip » 01.11.2009, 19:07

Der Radetzkymarsch - ein Abgesang auf die Donau-Monarchie, das letzte Stück des Orchesters auf dem sinkenden Schiff. Pauken und Trompeten fordern zum Gleichschritt auf. Mit Disziplin, Ordnung und Zucht wird das Volk geführt, mit strenger Hand lenken die Väter ihre Söhne über die ausgetretenen Pfade zu einer erfolgreichen Zukunft. Gefühlsregungen lenken ab, sind unerwünscht und werden unterdrückt. Solch formellen Defizite nimmt das Volk in Kauf, ist doch der Dienst am Kaiser eine lobenswerte Auszeichnung. Achtbar und patriotisch, dass man für ihn das Leben opfern würde. Der Enkel des Helden von Solferino leidet an diesem System, an dieser Selbstverständlichkeit, eigene Wünsche und Ansprüche hintan zu stellen. Immerhin liegt ihm und seiner Familie die Welt zu Füßen, seit sein Großvater dem Kaiser auf dem Schlachtfeld das Leben rettete. Kaiserliche Dankesbezeugungen erreichen nun schon die dritte Generation, selbst als der greise Herrscher sich kaum noch an diese Zeit erinnern kann.
Es ist die gleiche Epoche, in die auch Effi Briest hineingeboren wurde. Erwartungen einer Gesellschaft stehen im Vordergrund eines jeden handelnden Menschen. Wie Fontanes von Instetten müssen auch Roths Helden sich einem Duell stellen, auf die sie nicht die geringste Lust verspüren. Der Mensch hat seine Ehre, die doch verteidigt werden will; die aber scheinbar nicht mehr den gleichen Stellenwert einnimmt, wie noch zur Blütezeit der Österreich-Ungarn-Ära, als das Volk noch peinlich genau in zivilistische und militärische Klassen gespalten wurde. Der Großvater war noch mit Elan und Überzeugung in den Dienst getreten, sein Enkel hingegen füllt die gleiche Rolle als unumgängliche Pflichtübung aus. Der Krieg der Landsleute gilt als einzige sinnvolle Zerstreuung, der aber ausbleibt. Soldaten langweilen sich, entschädigen sich stattdessen mit Alkohol und Spiel. Die Disziplin lässt nach, die Verehrung am Kaiser zerfällt im Verhältnis zu seinem Lebensalter.

„Unsere Großväter haben uns nicht viel Kraft hinterlassen, wenig Kraft zum Leben, es reicht gerade noch, um unsinnig zu sterben.“

Die Geschichte lässt an Manns „Buddenbrooks“ denken. So richtig kann man beide Romane dennoch nicht vergleichen, da die ganze Art der Herangehensweise eine andere ist. Roths kraftvolle Sprache intensiviert die Einsamkeit und Orientierungslosigkeit der einzelnen Figuren. Er spielt sehr eindrücklich mit Kontrasten und Metaphern. Bloß hat er die unangenehme Neigung, seine Absichten mit großen Gesten auszudrücken. Während Thomas Mann mit einem subtilen Ton zum Ende führt, fordert Roth eine stampfende Marschkapelle an, um die Monarchie während ihres Abstiegs zu begleiten.
:stern: :stern: :stern: :stern:

Gruß,
chip
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