Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Gstrein, Norbert - Die Winter im Süden




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Gstrein, Norbert - Die Winter im Süden

Beitragvon Dr.Who » 14.09.2008, 18:09

Bild

Marija, fünfzig und in Wien lebend, hat sich mit ihrem Mann auseinander gelebt und sucht Abstand zu ihm in dem sie den Sommer 91 alleine in Jugoslawien verbringt, dem Land ihrer Kindheit aus dem sie und ihre Mutter nach dem zweiten Weltkrieg geflohen waren.
Marija möchte das Land noch einmal sehen, Zagreb wie es mal war bevor es vom nahenden und alles verschlingenden Krieg aufgesogen wird.

Ludwig, ein Ex-Polizist den es nach dem Tod seiner Kollegin und Geliebten nach Buenos Aires verschlagen hat, lernt zufällig Claudia kennen und wird von ihrem Mann als Leibwächter angeheuert. Der alte Mann, wie so viele nach dem letztem Weltkrieg ans Ende der Welt emigriert, ist ein schon etwas älterer Zausel der nicht Nazi genannt werden kann aber dennoch die alten Werte zu schätzen weiß. Aufmerksam verfolgt er die Nachrichten aus der alten Heimat und gebärdet sich wie ein kleiner Junge dem es nicht schnell genug gehen kann auch selber in diesem Konflikt einzugreifen. Den alten Kampf gegen den Kommunismus wieder mit seinen alten Waffenbrüdern aufzunehmen und sein Heimatland Jugoslawien doch noch von diesem Partisanen- Unrat zu befreien.

Während nun Marija ihr Heil in einer schnellen und haltlosen Liebe zu einem Soldaten sucht erlebt Ludwig Monate der Idylle und Ruhe deren einziger Makel der etwas wunderliche alte Mann ist. Doch als jener alte Mann selber in den Krieg zieht und Ludwig mit sich nimmt kollidieren ihrer beider Leben.


Zwei Dinge die beim lesen von Norbert Gstreins Buch Die Winter im Süden gleich auffallen sind zum einen die Thematik des Krieges in Jugoslawien, jener scheint Gstrein, wie auch schon in Das Handwerk des Tötens, nicht mehr loslassen zu wollen und zum anderen die bedächtige Erzählweise mit der er seine Geschichte darbietet. Er vergeht sich nicht in unnützen Betrachtungen und philosophischen Aphorismen wie andere Autoren aber dennoch hält er den Leser zum langsamen lesen und nachdenken an in dem er zeilenlange Sätze ineinander verschachtelt und mit Komata spickt.
Auch findet man in der Charakterisierung von Marijas verschwunden geglaubten Vater Anwandlungen an sein vorhergehendes Buch wieder. Nur durch den indirekten Blickwinkel Ludwigs lernen wir diesen namenlosen alten Mann kennen. Nie tritt er selber als erzählende Figur auf und bleibt dem Leser somit viele Antworten zu seiner Vergangenheit und seiner früheren Familie schuldig.
Norbert Gstreins Sprache ist klar, präzise und verständlich. Obwohl auf blumige Bilder verzichtet wird wirken Worte nie steril und behalten ihre Kraft auch wenn man schon 10 Seiten weiter ist.

Es sind brechende Charaktere in einer zerstörten Welt die durch das erzählerische Geschick des Schreibers zusammengehalten werden. Schwankend zwischen dem Krieg der mal war und dem Krieg der da noch kommt sind es Sünder auf der Suche nach Absolution die ausziehen um vielleicht nicht Erlösung aber vielleicht doch Antworten zu finden, nur um am Ende doch wieder in das Leben zurückzukehren aus dem sie versucht haben auszubrechen.

Ohne Zeigefinger und Moral schreibt Gstrein nicht vom Krieg sondern vom Leben das von ihm verformt und deformiert wird. Und genau so wie jede Zeit ihren eigenen Krieg hat bringt auch jeder Krieg seine eigene Art von Menschen mit sich die vortrefflich gezeichnet in Gstreins Büchern wieder zu finden sind.
Zuletzt geändert von Dr.Who am 15.09.2008, 03:22, insgesamt 1-mal geändert.
Dr.Who
 

von Anzeige » 14.09.2008, 18:09

Anzeige
 

Beitragvon alixe » 14.09.2008, 18:30

Hallo Dr. Who,

das Handwerk des Tötens
habe ich mir vor einiger Zeit gekauft, kam aber nie zum Lesen (der Krieg im früheren Jugoslawien geht mir noch immer zu nahe). Dieser Roman hat jetzt mein Interesse geweckt.
Danke! :D

herzlichst: Alixe
Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. (Erasmus von Rotterdam)


gerade am Lesen: Thomas Wolfe - Schau heimwärts, Engel!
Benutzeravatar
alixe
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 981
Registriert: 06.09.2008, 08:53
Wohnort: auf dem Liegestuhl

Beitragvon Dr.Who » 14.09.2008, 18:49

alixe hat geschrieben:Hallo Dr. Who,

das Handwerk des Tötens
habe ich mir vor einiger Zeit gekauft, kam aber nie zum Lesen (der Krieg im früheren Jugoslawien geht mir noch immer zu nahe). Dieser Roman hat jetzt mein Interesse geweckt.
Danke! :D

herzlichst: Alixe


Bitte, bitte. :wink:
Ich würde dir auch dieses hier eher empfehlen als den Vorgänger.
Dr.Who
 

Re: Gstrein, Norbert - Die Winter im Süden

Beitragvon Krümel » 14.09.2008, 19:12

Dr.Who hat geschrieben:Zwei Dinge die beim lesen von Norbert Gstreins Buch Die Sommer im Süden gleich auffallen sind zum einen die Thematik des Krieges in Jugoslawien, jener scheint Gstrein, wie auch schon in Das Handwerk des Tötens, nicht mehr loslassen zu wollen und zum anderen die bedächtige Erzählweise mit der er seine Geschichte darbietet.


Ansonsten würde ich das morgen ins Blog setzen :wink: Danke!
BildLiebe Grüße,
Krümel



:lesen3: Klaus Mann - Mephisto
Gedankenwelten
Benutzeravatar
Krümel
Chefkrümel
Chefkrümel
 
Beiträge: 13522
Registriert: 18.04.2006, 23:00
Wohnort: Ostfriesland

Beitragvon Nerolaan » 14.09.2008, 19:24

Oh, und ich habe Korrektur gelesen und mir ist es auch nich aufgefallen :oops:
Sommer klingt aber auch schöner als Winter :mrgreen:
Benutzeravatar
Nerolaan
Weltenwandlerin
Weltenwandlerin
 
Beiträge: 2975
Registriert: 08.11.2007, 18:41
Wohnort: Aachen

Beitragvon Krümel » 14.09.2008, 19:30

Nerolaan hat geschrieben:Oh, und ich habe Korrektur gelesen und mir ist es auch nich aufgefallen


Ah, deshalb sind diesmal Kommas vorhanden :lol: Wo der Doc keine setzt, setze ich zu viele :mrgreen:
BildLiebe Grüße,
Krümel



:lesen3: Klaus Mann - Mephisto
Gedankenwelten
Benutzeravatar
Krümel
Chefkrümel
Chefkrümel
 
Beiträge: 13522
Registriert: 18.04.2006, 23:00
Wohnort: Ostfriesland

Beitragvon Nerolaan » 14.09.2008, 19:40

Ne, die Kommas hat er von alleine gesetzt :-)
Benutzeravatar
Nerolaan
Weltenwandlerin
Weltenwandlerin
 
Beiträge: 2975
Registriert: 08.11.2007, 18:41
Wohnort: Aachen

Beitragvon Dr.Who » 15.09.2008, 03:24

Nerolaan hat geschrieben:Ne, die Kommas hat er von alleine gesetzt :-)

Die hab ich, könnte man so sagen, mit reinster Absicht gesetzt. :wink:
Könnte man nu wieder beim Buch bleiben?
Dr.Who
 

Beitragvon Pippilotta » 28.01.2009, 22:23

Marija ist die Tochter eines kroatischen faschistischen Nationalisten, im Buch nur „der Alte“ genannt, der seine Familie nach dem 2. Weltkrieg in Wien gelassen hat und selber nach Argentinien geflüchtet ist. Durch diverse dubiose Geschäfte ist er zu einem vermögenden Mann geworden, ist nunmehr zum dritten Mal verheiratet und hat 2 kleine Kinder. Doch die Zeit in Südamerika sieht er nur als Übergang, er ist felsenfest davon überzeugt, dass seine wahre Berufung – seiner Heimat Jugoslawien zum „richtigen“ Regime zu verhelfen - kommen wird. Als Ende der 80er Jahre der Eiserne Vorhang fällt und sich ein politischer Umsturz ankündigt, sieht er seinen großen Auftritt kommen. Zusammen mit anderen „Ewig-gestrigen“ macht er sich auf die Reise nach Zagreb mit dem Vorhaben, die Geschichte neu zu schreiben und direkt an das Jahr 1945 anknüpfen.

Marija hält ihren Vater für tot. Sie ist in Wien verheiratet mit einem linksgerichteten Journalisten, der sie aber mehr aus politischem Kalkül als aus wahrer Liebe geheiratet hat. Marija hat genug von ihrer Ehe und den Eskapaden ihres Mannes und beschließt, den Sommer in ihrer Geburtsheimat, in Zagreb, zu verbringen.

Der dritte im Bunde ist Ludwig, ein ehemaliger Polizist, der bei einem Einsatz seine Freundin verloren hat. Aus Flucht vor seinen Selbstvorwürfen und auf der Suche nach neuer Orientierung hatte er sich nach Südamerika begeben, wo er den „Alten“ kennenlernt und von ihm als Bodyguard engagiert wird.

Mit sprachlicher Wortgewalt werden die Biografien der Protagonisten erzählt, der Blickwinkel schwenkt von Zagreb über Wien nach Argentinien und wieder zurück. So unterschiedlich die Charaktere von Vater und Tochter sind, so ergeben sich doch immer wieder Berührungspunkte. Marija, begleitet von dem ständigen Gefühl, sie müsse die mutmaßliche Schuld ihres Vaters abtragen, ist zu einer schicksalsergebenen, geduckten Seele geworden. Der Vater hingegen sieht einzig in einem Krieg den wahren Sinn seines Lebens und sieht sich am Ende mit einer großen Enttäuschung konfrontiert.

Es war mein erstes Buch von Norbert Gstrein und ich bin sehr beeindruckt von seinem Schreibstil. In langen, fast mäander-artigen Sätzen voller Metapher schildert die Lebenslinien von Vater und Tochter, die in Zagreb gefährlich nahe kommen, dann aber doch haarscharf aneinander vorbeidriften. Die ersten 150 Seiten las ich fast atemlos, danach musste ich feststellen, dass sich die Personen und die Handlung kaum weiter entwickelten, ich hatte ein Gefühl von „auf der Stelle treten“. Zudem fand ich die Person des Ludwig, die doch einen großen Teil der Geschichte einnimmt und der immer wieder als Mittler und Bote zwischen Vater und Tochter auftritt, irgendwie fehl am Platz.

Aus diesen Gründen gibt es von mir :stern: :stern: :stern: ( :stern: )

Norbert Gstrein (von wikipedia):
Gstrein, geb. 1961, studierte in Innsbruck Mathematik und besuchte dann sprachphilosophische Seminare in Stanford (Kalifornien) und in Erlangen. Er promovierte 1988 mit der Arbeit Logik der Fragen.

Gstreins bisher größte Erfolge waren sein Erstlingswerk Einer und sein Roman Die englischen Jahre, in dem er die Suche nach der Identität des jüdischen Schriftstellers Gabriel Hirschfelder schildert. Dieser war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr aus seinem englischen Exil zurückgekehrt. In Form innerer Monologe und Erinnerungen entwickelt Gstrein die Existenzproblematik seines Protagonisten.
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

Beitragvon Wirbelwind » 29.01.2009, 17:16

Eigentlich hat das Buch bereits im Dezember meine Aufmerksamkeit geweckt, aber mir wurde abgeraten. Um so neugieriger war ich als ich sah, dass Pippilotta am Lesen ist.
Leider hat meine anfängliche Begeisterung erneut einen Dämpfer erhalten. Auf der Stelle treten und fehl am Platz klingt ja auch nicht so toll. Vielleicht leihe ich es in Ferne mal von der Bücherei aus, schade.
Ob die Umbenennung des Titels mehr positive Impulse gebracht hätte? :mrgreen:

Liebe Grüsse
Wirbelwind

:lesen5: Carlos Ruiz Zafón, Das Spiel des Engels
Ein Buch ist ein Sprengsatz, um die Phantasie freizusetzen. (Alan Bennett in "Die souveräne Leserin")
Benutzeravatar
Wirbelwind
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 673
Registriert: 28.03.2007, 21:39
Wohnort: Mannheim

Beitragvon Pippilotta » 29.01.2009, 17:26

Wie schon öfter mal sage ich auch hier, dass ich immer ein ganz schlechtes Gewissen bekomme, wenn aufgrund meiner Meinung ein Buch nicht gelesen wird.

Ich kann nicht einschätzen, wie es Dir gefallen könnte, Wirbelwind, würde mich aber sehr für Deine Meinung interessieren! Eine Ausleihe (mein Exemplar war auch aus der Bib) wäre eine mögliche Variante ....
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

Beitragvon Wirbelwind » 29.01.2009, 17:41

Kein Grund für ein schlechtes Gewissen. Ich wollte deine Meinung schließlich wissen und das Buch ist ja noch nicht ganz aus meinem Kopf. :wink:

Liebe Grüsse
Wirbelwind
Ein Buch ist ein Sprengsatz, um die Phantasie freizusetzen. (Alan Bennett in "Die souveräne Leserin")
Benutzeravatar
Wirbelwind
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 673
Registriert: 28.03.2007, 21:39
Wohnort: Mannheim



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Zeitgenössische-Literatur

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron