Eine kleine Nachtmusik

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    Re: Eine kleine Nachtmusik

    Anonymous - 01.12.2005, 21:10

    Eine kleine Nachtmusik
    Entzückt strichen Marias raue Hände über einen Stein, den sie auf dem Weg des Jagdschlosses gefunden hatte, als sie die schwungvollen Musikklängen des Klaviers hinter den geöffneten Fenstern hörte. Sie ließ sich bezaubern, die Töne erfüllten sie mit freudiger Erregung. Das Mädchen vergaß alles um sich herum, hörte nicht die singenden Vögel, nicht den rauschenden Bach. Ein missglückter Ton ließ sie zusammenzucken wie ein Paukenschlag, doch dann fiel sie wieder in eine Art Trance zurück und ließ ihre Arme über Äste und Dornen des Gebüsches streichen, in dem sie sich verkrochen hatte. Sie wusste, dass sie die anderen nicht sehen konnte, sie aber trotzdem leicht auf den Wiesen des Schlosses zu sehen war. Mit ihrem langem Stock, den ihr der Bauer gegeben hatte, fuchtelte sie auf dem Boden vor sich und suchte das Gebüsch, das sie schon so oft gefühlt hatte, während sie durch den Park schlenderte. Sie wusste, dass es ihre Mutter erzürnte, denn sie fürchtete sich vor dem Jähzorn der Schlossherrin, doch Maria konnte nicht widerstehen, sich in ihrer unendlichen Langeweile dem genüsslichen Schlendern durch die Natur, die sie hörte, roch und um sich fühlte, hinzugeben.
    Da hielt die Musik inne. Maria erschrak und duckte sich tiefer. Hoffentlich konnte man sie in ihrem Versteck nicht sehen! Doch spürte sie einen fremden Körper, der nah neben ihr stand. Angsterfüllt schluckte sie. Ihr Gegenüber räusperte sich. Es klang unbeholfen und kindlich.
    „Hallo?“, flüsterte das Mädchen. „Mein Name ist Peter. Und deiner?“ Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, auch wenn sie nun wusste, dass es sich um einen Jungen ihres Alters handeln musste. „Ich heiße Maria.“, sagte sie leise. „Ich habe der Musik gelauscht. Ich hoffe, ich habe nicht gestört. Ich wusste wirklich nicht, dass ich das nicht darf. Ich werde sofort gehen. Ich bitte vielmals um Verzeihung.“ Sie griff nach ihrem Stock, der neben ihr am Boden lag und wollte gehen, doch der Junge griff sie am Arm. „Bleib ruhig hier. Ich hab nichts dagegen, wenn du mir zuhörst.“ Verblüfft fragte Maria: „Du hast gespielt?“ Es kam keine Antwort, wahrscheinlich hatte er nur mit dem Kopf genickt. „Und ich darf wirklich hier bleiben?“ „Von mir aus ja, aber du solltest nicht unbedingt in Mutters Rosensträuchern sitzen. Sie hütete sie wie ihren Augapfel.“ „Verzeihung. Ich wusste nicht, dass das die Rosen deiner Mutter sind. Um ehrlich zu sein wusste ich nicht einmal, dass es Rosen sind. Ich konnte den hübschen Duft keiner Pflanze zuordnen.“ Sie lächelte zaghaft.
    Peter gefiel das schlanke Mädchen, dass er vor sich sah, auch wenn er sich wunderte, wieso sie sich so unbeholfen bewegte und starr aus ihren grauen Augen sah. „Ja, aber siehst du denn nicht, dass es Rosen sind?“, fragte er verständnislos. „So schöne Rosen wie Mutter hat sonst niemand!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin blind seit ich 2 Jahre alt war.“ „Entschuldige, das wusste ich nicht, Maria.“ Doch sie winkte ab. „Macht ja nichts. Spielst du noch etwas?“
    „Wenn du gerne möchtest. Kennst du Mozarts ` Eine kleine Nachtmusik`? Mein Vater brachte mir letzte Woche die Noten von einer Reise mit.“ „Mozart? Davon habe ich noch nie etwas gehört. Aber der Titel hört sich sehr schön an.“ „Ich werde es dir vorspielen.“
    Er sprang mit einem Satz über die Büsche und setzte sich an seinen Flügel. Die Melodie berauschte Maria und sie ließ ihren Körper dazu hin und her schwingen. Viel zu schnell waren die klingenden Töne vorüber und Peter stand wieder bei ihr. „Schön, nicht? Vater sagt, Mozart hat es zur Unterhaltung nach dem Abendmahl komponiert.“ „Wunderschön. Wirklich, du kannst toll spielen.“ Peter wurde rot und strich sich durch die weiße Perücke, die er zu seinem Leidwesen auf Anweisung der Mutter tragen musste. „Danke. Hör zu, ich muss jetzt leider zum Essen, es ist schon ziemlich spät. Möchtest du morgen wiederkommen? Nach dem Tee übe ich immer am Flügel.“ Ich weiß, dachte Maria. „Gerne. Bis morgen.“ Während Peter im Schloss verschwand ging Maria mit ihrem Stock in der Hand über die große Wiesen. An dieser Seite des Jagdschlosses waren keine Fenster, hatte ihre Mutter gesagt und ihr deshalb gezeigt, wo sie ungesehen in die Küche, in der sie arbeiteten kommen konnte.
    Vormittags musste Maria Kartoffeln schälen, Bohnen öffnen oder in großen Schüsseln rühren. Nachmittags, wenn das Abendmahl vorbereitet und angerichtet wurde, konnte sie nicht helfen und stand dem Dienstpersonal oft im Weg, was ihre Mutter immer wieder veranlasste, sie hinauszuwerfen. „Steh nicht im Weg herum, Kind. Schlimm genug, dass du nicht helfen kannst, bei der schweren Arbeit! Musst du auch noch den anderen im Weg herumstehen. Geh raus und mach etwas sinnvolles.“ Maria nahm ihrer Mutter schon lange nicht mehr krumm, was sie sagte. Sie wusste, die Mutter hatte es in ihrem Leben schwer gehabt. Ihre Tante Ortrun hatte ihr es erzählt, als sie zusammen an den Kartoffeln saßen. „Marichen, du weißt doch, deine Mutter hat es ja alles andere als leicht gehabt, nicht? Vier ihrer Sechs Kinder sind gestorben, bevor sie zwei Jahre zählten. Das eine von den beiden Lebendigen wird ganz plötzlich krank und verliert sein Augenlicht und das andere fällt vom Erntewagen. Und den Bauernhof, den die Anna Maria, deine Mutter, dann nachdem dein Vater weg war, allein hatte, musste sie verkaufen und dann hab ich ihr die Anstellung im Schloss besorgt, wo ich ja schon seit ich junge Frau war bin. War gar nicht so leicht, die oberste Küchenfrau wollte ja gar keine Küchenmagd mehr haben. Ja, ja, sollte sie mir mal dankbar sein. Nichts als Undank in dieser Welt.“
    So verzog sich Maria, wenn die Luft in der Küche dick wurde und sie der süße, lockende Duft des Sommers und Frühlings oder die reinigende, klare Luft des Herbst und Winters rief. Und dann konnte sie die Musik, Peters Musik, hören. Um nichts in der Welt wollte sie das verpassen.

    Das Essen in Peters Familie verlief wie immer schweigend, bis auf das Schmatzen des Vaters und das vornehme Hüsteln der Mutter. Erst als alle ihr Besteck niedergelegt hatten, erhob er seine Stimme. „Vater, erzählst du mir mehr über Mozart?“ Peters Vater hob erstaunt eine Augenbraue. „Es freut mich, dass die Noten dieses wunderschönen Liedes dich neugierig auf mehr machen. Ich kann dir allerdings auch nicht viel sagen. Der Mann trug den Namen Wolfgang Amadeus Mozart und muss schon als kleines Kind äußerst begabt gewesen sein.“ „So, wie du, Peterlein.“, flötete ihre Mutter dazwischen. Ihr Vater nickte. „Mehr weiß ich auch nicht, außer dass er ist vor ein paar Jahren gestorben ist.“ Peter lächelte. „Danke. Das ist ja schon mal etwas. Seine „kleine Nachtmusik“ hat mir außerordentlich gefallen. Ich werde sie jetzt regelmäßig üben.“ Peters kleine Schwester Johanna zupfte an seinem Hemd und flüsterte aufgeregt: „Spielst du mir das Lied einmal vor?“ Peter nickte halbherzig während die Eltern lachten. Wenn Johanna dabei war, konnte er unmöglich Maria dazu holen. Wer wusste schon, ob die neunjährige dichthalten konnte. „Ich will nur erst noch etwas alleine üben, einverstanden?“ Sie nickte. Peter wusste, seine Schwester liebte die Musik nicht, sie konnte sie nicht fühlen. Sie war nur interessiert, weil Mutter ihr befahl, interessiert zu sein. „Eine außerordentliche Idee, Johanna. Peter wird sie dir sicher auch auf deiner Geige beibringen können. Und wenn wir dann ein Fest geben, werdet ihr beide es als Duett spielen. Schön!“ Die Mutter raffte ihr Kleid zusammen und stand auf um nach den Angestellten zu Klatschen. „Schnell, schnell. Ich mag das dreckige Geschirr nicht länger sehen.“ Zwei Küchenmädchen liefen eilig herbei und stapelten Teller und Gläser, Tassen und Schüsseln um sie zum Abwasch zu bringen.
    In seinem Zimmer, dass er mit den Brüdern Adelbert und Sebastian teilte, ließ er sich auf sein breites Bett fallen und schloss für einen Moment die Augen. Vor sich sah er die junge blinde und er stellte sich vor, wie es wäre, wenn er ihr wieder das Lied vorspielen würde. Er lächelte, als Adelbert an ihn herantrat und in den Bauch boxte. „Hei, Mozart, hast du Lust mit mir einen Ausritt zu machen?“ Peter riss die Augen auf. „Wir sollen um diese Uhrzeit nicht mehr alleine ausreiten, verstanden?“ Adelbert zuckte mit den Schultern. „Wenn du Angst vor der Dunkelheit hast, nicht mein Problem. Wenn jemand fragt, ich bin... ach keine Ahnung, denk dir was aus.“ Weg war er. Peter ging ans Fenster und sah ihn kurz darauf auf einem von Vaters Schimmeln in den Wald reiten. Verdrossen schüttelte er den Kopf. Er hasste Pferde und seinen Bruder konnte er auch nicht mehr leiden. Der ging ihm auf die Nerven, mit seinem ständigen Herumblödeln.

    „Mutter, magst du mich denn gar nicht mehr leiden?“ Maria rann verzweifelt die Hände in die Richtung, in der sie ihre Mutter erwartete. „Du närrisches kleines Mädchen! Natürlich mag ich dich noch leiden, bist ja mein eigen Fleisch und Blut, das letzte was ich noch hab. Aber so geht das nicht weiter, du musst eine Arbeit finden, sonst sehen die zu Ernstburgs es nicht ein, dich durchzufüttern. „Kann ich mich denn nicht verstecken, dass sie nicht von mir wissen? Du sagst, ich wäre weggegangen mit einem Jüngling.“ Anna Maria seufzte über die kindliche Naivität ihrer Tochter. „Du weißt doch selber, dass das nicht geht. Nun lass uns mal überlegen, was du gut kannst.“ „Ich kann gar nichts, diese von Gott verhassten Augen lassen mich nichts machen. Ich kann gut Kartoffeln und Gemüse schälen. Alles, wozu man etwas in der Hand hat und nicht recht hinschauen muss, das liegt mir.“
    „Wie wäre es, wenn du den Besen schwingst? Du kennst die Küche, auch ohne dein Augenlicht und mit dem Besen in der Hand hast du etwas zum Orientieren.“ Maria stimmte schluckend zu. Sie fürchtete sich, mit dem langen Stab in der Hand durch die Küche zu laufen. Was wäre, wenn sie jemandem in die Beine schlagen würde, oder etwas beschädigte? Tränen liefen ihr durchs Gesicht. Doch ihre Mutter ließ nicht mehr mit sich reden, sie hatte Recht und das wusste Maria. „Morgen nach dem Aufstehen fängst du auf der Stelle an. Haben wir uns verstanden?“
    Gott ergeben legte sich Maria schlafen, neben ihr im Bett lag ihre dicke Mutter, die schnarchte und sich wälzte im Schlaf. Gerne wäre sie aufgestanden, doch sie fürchtete sich vor den Geräuschen der Nacht und dem Unbekannten.
    Unruhig schlief sie ein und träumte davon, neben Peter an einem weißen Flügel zu sitzen, mit rauschenden Kleidern und verträumt dem Spiel seiner geschickten Hände zu lauschen.

    Am nächsten Morgen drückte Anna Maria ihrer Tochter einen langstieligen Besen in die Hand und führte sie in die Küche. Aufgeregt begann Maria sich vorsichtig an den Ecken und Kanten der Küche zu orientieren und den Besen vor sich herzuschieben. Sie hörte die Mägde, die mit Wasser plätscherten und kicherten, innehalten und sie spürte ihre unverhohlenen Blicke, die sie durch die Küche verfolgten. „So wird das aber nichts, Blindfisch.“, johlte eine von ihnen. Die nächste feuerte Maria an und vor Ärger und Scham ließ Maria den Besen immer schneller durch die Küche wirbeln. Die Anstrengung ließ ihren Kopf rot werden und der Staub, der ihr in Nase und Mund gelang, brachte sie zum husten.
    Tagelang, wochenlang fegte Maria den Boden, immer gehetzt von den Mägden um sie herum. Das Mädchen aß kaum, schlief schlecht und fühlte sich verfolgt. Nur die Stunden in denen sie neben Peters Flügel saß und ihm fasziniert zuhörte, ließen sie ruhen.
    Eines Tages, wirbelte Maria mit dem Besen wieder durch die Küche. Sie rempelte den dicken Koch an, ein Teller fiel klirrend zu Boden. Doch das war nicht genug, in der Gegend der Tür stieß ihr Besen nicht wie üblich gegen das Holz des Türblattes sondern gegen etwas anderes, schmaleres. Da hörte sie einen schrillen Schrei, doch das Mädchen ließ sich nicht abbringen. Rasend schnell eilte der Besen über den kalten, unebenen Boden der Küche. Das Schreien riss nicht ab, es machte Maria nervös, da sie nicht zuordnen konnte, wer es verursachte. „Maria. Um Himmels Willen, halt ein!“, schrie ihre Mutter. „Halt doch ein, Maria!“ Maria begann zu weinen und ließ den Besen auf den Boden fallen. Das Schreien hörte auf, eine zeternde Frauenstimme folgte ihm. „Wer im Namen Gottes, hat dieses wildgewordenen Mädchen hier hinein gebracht. Sie hält die anderen von der Arbeit ab, rennt mich beinahe mit dem dreckigen Besen um und der ganze Dreck, den sie aufwirbelt fliegt auf unser Essen. Kein Wunder, dass es immer so trocken und verdreckt ist. Ihr werdet uns noch alle töten, mit eurer Unsauberkeit.“ Pikiert griff sie nach einem Taschentuch aus ihrem Handtäschchen und presste es vor Nase und Mund. Gekünstelt hustete sie. „Wer bist du, du freches Gör?“ Maria richtete sich auf und wand ihr Gesicht in die Richtung der Stimmen. „Mein Name ist Maria und ich wollte so gerne arbeiten. Es tut mir so schrecklich Leid!“ Immer mehr Tränen flossen aus ihren weit aufgerissen Augen, die ins Leere starrten. „Verschwinde, Maria. Und lass dich hier nie, nie wieder sehen, hast du verstanden?“ Ein Schluchzen drang aus Marias Kehle.
    Ihre Mutter rang nach Luft und warf sich vor die Füße ihrer Herrin. „Ich bitte um Verzeihung, meine Herrin. Meine Tochter ist blind. Sie sah nicht, dass sie etwas falsch machte. Wir wollten doch nur für Euer Essen arbeiten.“ Arrogant wand Elisabeth Annette zu Ernstberg sich ab und hüstelte erneut. „Auch noch einen Krüppel hast du mir da ins Haus gebracht?“ Ihre Stimme wurde leiser, zarter. Maria hielt den Atem an. Mit zuckersüßer Stimme redete die Frau weiter. „Wenn das so ist, werden du und deine Krüppel-Tochter auf der Stelle das Schloss verlassen.“ Ihre Mutter schrie und jammerte, doch es hatte keinen Zweck. Mit ihren Habseligkeiten und einem Brot als Reiseproviant, an der Hand ihrer Mutter lief Maria durch die schwüle Mittagshitze. Ihre Mutter war sauer, sie hatte Maria geschlagen. Ihre Wangen brannten, salzige Tränen liefen hinüber. Kurz vor dem Tor, das man quietschend für sie öffnete, riss sie sich von der Hand der Mutter los und drehte sich wieder zum Schloss um.
    „Peter! Peter!“, schrie sie aus vollem Leibe. „Peter! Peter!“ Immer wieder. Ihre Mutter schrie sie ebenfalls an und wieder gab es Ohrfeigen. Der Hofmeister, der ihnen immer noch das Tor aufhielt, sah sie, teils verwundert, teils ärgerlich, an, als er versuchte sie hinauszuschieben. „Oh Peter!“ Der Hofmeister und Anna Maria zuckten zusammen, als aus den oberen Fenstern des Jagdschlosses eine Antwort kam. „Maria!“, schrie Peter zurück. „Warte!“
    Peter rannte vom Fenster weg die Treppen hinunter, durch die Eingangshalle. Seine Schwester Elisabeth rannte er um, die mit einer Blumenvase in der Hand in ihr Zimmer gehen wollte. Er rannte, wie noch nie in seinem Leben. Peter wusste nicht, wieso Maria so geschrieen hatte, er wusste nur, dass sie in Gefahr sein musste. „Was ist hier los?“, fragte er atemlos, als er am Tor ankam. Anna Maria und der Hofmeister sahen den Jungen sprachlos an. „Peter, deine Mutter hat uns entlassen. Wir müssen gehen, dabei haben wir doch nichts auf der Welt. Ich will hier nicht weg.“ Peter zog sie an sich heran und umarmte sie. Anna Maria ließ die Hand der Tochter ohne Wiederrede los, als sie Peter entgegentaumelte. „Du musst hier nicht weg, das lasse ich nicht zu. Ich rede mit ihr, versprochen.“ „So ein Unsinn.“, murmelte der Hofmeister. „Ich hab Befehl, Eurer Frau Mutter, die Küchenmagd und ihre blinde Tochter vom Gelände zu entfernen, und das werde ich auch tun.“
    Mit einem Ruck riss er Maria am Kragen von Peter weg und warf sie vor das Tor zu ihrer Mutter, die immer noch wie vom Blitz getroffen zu Peter sah. Sie konnte es nicht fassen, dass Peter Wilhelm Wenzel IV mit ihrer Tochter befreundet sein sollte. Das Tor des Schlosses wurde abgeschlossen und so sehr Peter auch daran zog und den Hofmeister anschrie, er öffnete es nicht. Er griff nur nach Marias magerer, rauer Hand und drückte sie. „Warte hier. Du musst hier nicht weg. Das lasse ich nicht zu.“, wiederholte er. Dann lief er los um mit seiner Mutter zu sprechen.
    Anna Maria wollte ihre Tochter vom Tor wegziehen, doch sie hielt die schmiedeeisernen Streben verbittert umklammert. „Wir müssen doch auf Peter warten, Mutter.“, heulte sie. „Ich weiß nicht, wieso mit dem jungen Herrn zu Ernstburg befreundet bist und ich will es eigentlich auch gar nicht wissen. Aber Sie wird uns nicht wieder einstellen, und das ist allein deine Schuld!“ „Wir müssen auf Peter warten.“, jammerte Maria wieder. Da drehte sich ihre Mutter um und ging. „Mutter, wir müssen auf Peter warten. Lass mich nicht alleine. Er wird sicher gleich wieder kommen.“






    Ende erster Teil

    „Mutter! Wieso hast du Maria und ihre Mutter rausgeworfen? Du kannst sie nicht einfach gehen lassen, sie haben dir gute Dienste geleistet!“ Peters Mutter stellte die Flasche teuersten Duftwassers auf ihren Frisiertisch zurück und sah ihren ältesten Sohn mit gerümpfter Nase an. „Maria? Die Küchenmagd? Ich hatte nicht vor, mit dir über den Vorfall heute Vormittag zu reden, denn ich denke, diese Fragen solltest du wohl getrost mir überlassen.“ Peter ballte die Fäuste und verzog das Gesicht. „Was auch immer sie dir getan hat, es kann nicht so schlimm sein, dass du sie entlässt.“ Elisabeth ließ ein abfälliges „Ts“ hören. „Mutter, sie ist blind! Sie kann dir nichts böses getan haben. Und außerdem ... bin ich mit ihr befreundet!“ Sie lachte gehässig. „Das ich nicht lache. Der wohlerzogene junge Edelmann und die lumpige, blinde Küchenmagd. Wie süß!“ Peter wurde rot. „Wenn du sie nicht auf der Stelle zurückholst, verspreche ich dir, dass ich nie wieder – ja nie wieder- solange ich lebe einen Finger auf meinen Flügel lege.“ Das Lächeln ihres Gesichtes erstarb, unter ihrem Puder wurde sie noch weißer, als sie es eh schon war. „Das ist mein voller Ernst.“, bekräftigte er, als er ihren fragenden Blick sah. „Du wagst es mich zu erpressen? Mich, deine Mutter?“ Als er voller Inbrunst nickte, explodierte sie förmlich. „Geh mir aus den Augen. Und wenn ich dich jemals in der Nähe dieses Mädchens sehe, kriegst du es mit mir zutun, das verspreche ich dir.“
    Voller Wut stürmte er aus dem Zimmer, zum Tor, zu Maria.
    Die hockte immer noch zusammengekauert am Boden, blass und sich auf die Lippen beißend.
    „Maria, es tut mir Leid. Sie sah nicht ein, wieso ich etwas mit dir zutun haben sollte. Es tut mir so Leid.“ Maria schluchzte auf und Peter griff durch das Tor nach ihrer Hand. „Und was soll ich nun tun? Mutter ist weg gegangen und du musst mich auch alleine lassen. Oh, Gott im Himmel, was hab ich dir getan, dass ich dieses Unheil erleide?“ Peter drückte ihre Hand und zog sie dann zurück. „Ich muss rein, so sehr es mir auch stinkt. Ich wünschte, ich könnte dir helfen.“ Maria nickte. „Trotzdem Danke für alles!“ Doch er war noch nicht fertig. „Ich finde noch einen Weg, ich verspreche es dir! Komm jeden Abend ans Tor, wenn du das schaffst. Ich gebe nicht auf, keine Sorge.“ Dann wand er sich ohne auf ihre Antwort zu warten um und lief den Weg zum Schloss zurück, wo Maria ihn ein paar Minuten später auf seinen Flügel hämmern hörte. Keine schöne Melodie, noch nicht einmal eine Tonfolge konnte sie erkennen. Es hörte sich an wie eine Katze, die über die Tasten rannte. Erschrocken lauschte sie mit weit aufgerissen Ohren. Und bald darauf vernahm sie auch wieder das helle Kreischen, das heute Morgen vor ihr selber erklungen war. Dann konnte sie keine „Musik“ mehr vernehmen.

    Elisabeth schäumte vor Wut. Ihre sonst so weißen Wangen waren hitzig errötet, als sie dem Sohn mit dem ebenso weißen Handrücken gegen den Hinterkopf schlug, sodass er nach vorne flog. Doch Peter verzog keine Miene und ließ trotzdem die gespreizten Finger auf die Klaviertasten sausen. Die grellen, schiefen Töne klangen in seinen Ohren, aber er bemerkte es nur voller Wohlgefallen. „Hör sofort auf, Peter Wilhelm Wenzel zu Ernstburg!“, schrie ihm seine Mutter direkt ins Ohr. Schweigend, starr nach gerade aus guckend, hielt er inne. „Ist der Teufel in dich gefahren? Entweder spielst du vernünftig, oder du spielst gar nicht. Ab in dein Zimmer.“ Peter stand langsam auf, mit erhobenem Kopf und gerade gerichtet ging er hinauf in sein Zimmer, wo seine beiden Brüder bereits im Nachthemd auf ihn warteten. Die Schlafmütze des kleinen Sebastian war ihm über die Augen gerutscht und als Peter eintrat schob er sie eilig wieder mit den kleinen Händen nach oben. „Was ist denn passiert? Hast du irgendwelchen Ärger gemacht?“, fragte ihn auch Adelbert. „Mama ist ganz doll wütend!“, ergänzte auch Klein-Sebastian mit ängstlich aufgerissenen Augen. Peter schnaubte verächtlich. Dann erzählte er den beiden die ganze Geschichte. Sebastian ergriff sofort seine Partei, nur Adelbert rümpfte verächtlich die Nase, wobei er seiner Mutter erschreckend ähnlich sah. „Ich kann nicht verstehen, dass du eine Familienfehde riskierst für diese dreckigen Mägde!“ „Du kennst sie nicht!“, antworte Peter gereizt. „Will ich auch gar nicht. Mit diesem Gesindel gebe ich mich nicht ab.“ Peter wand sich ab und begann sich auszuziehen. Er und sein Bruder sprachen eine geschlagene Woche nicht mehr als nötig miteinander, auch wenn die Geschwister versuchten, zu vermitteln.
    Inzwischen hatte Peter auch wieder angefangen zu spielen, seine Mutter vermutete nicht als Einsicht dahinter, sein Vater nahm an, dass der Junge es einfach nicht mehr aushielt ohne Musik.

    Maria lief ab nun jeden Tag nach dem Abendessen mit ihrem Stock in der Hand zum Schloss zurück. An dem ersten Abend, nach dem ihre Mutter sie vom Tor abgeholt hatte und mit ihr zu einem Bauernhof gegangen war, auf dem sie Arbeit gefunden hatte, hatte sie noch ein kleines Bauertöchterchen gefragt, ob sie die Blinde dorthin führe. Das Mädchen war fasziniert von Maria und nahm sie an der Hand um sie zum Schloss zu führen. Maria hatte tiefe Dankbarkeit empfunden und sich achtsam jeden Baum am Wegesrand, den sie mit ihrem Stock „ertasten“ konnte gemerkt, bis sie ein paar Tage später alleine dorthin fand.
    Doch zu ihrer Enttäuschung kam Peter nicht wieder. Enttäuscht schluckte sie und rief immer wieder leise seinen Namen. Anna Maria war stocksauer darüber, dass sie immer wieder zurück lief, auch wenn der junge Herr nicht wiederkam.
    Eines Abends hielt Maria die Luft an. Leise hörte sie aus dem Schloss eine Geige. Dann ein Flötenkonzert. Die anderen Musikinstrumente kannte sie nicht. Sie wagte nicht zu atmen, aus Angst, die Geräusche eines Flügels nicht zu überhören. Lange wartete sie. Sie hörte Applaus, Lachen und Geschwätz – aber keinen Flügel.

    Peter saß mit versteinerter Miene an seinem Flügel. Johanna ließ mit ihrer kleinen, harten Hand den Geigenbogen über die Seiten streichen, um sich einzuspielen. Dann nickte sie ihm zu, als Zeichen zum Beginn von Mozarts „Kleiner Nachtmusik“. Der erste Ton von Johannas Geige ertönte, jetzt hätte Peter einsetzen müssen. Stille im Saal. Nur Peters Mutter ließ ihr gekünsteltes Hüsteln hören. Wieder spielte seine kleine Schwester den ersten Ton, doch er reagierte nicht. Er sah sie stumm an. Johanna schüttelte erschrocken den Kopf und spielte ihren Part alleine, während er neben ihr saß und zuhörte. Erst nach ein paar Minuten hob er die Finger über die Tasten. Elisabeth Annette zu Ernstburg wollte schon aufatmen, als sie wieder sein kindisches Katzengejammer hörte. Er hämmerte gnadenlos auf die Tasten ein, während Johanna, der bereits jetzt vor Wut Tränen über die Wangen liefen, die Geige spielen ließ. „Hör sofort auf, Peter.“ Sie zog ihn an den Ohren aus dem Raum auf den Flur. Aus dem Festsaal klang immer noch betretenes Schweigen. Peter dachte, sie wollte ihn schlagen, doch sie zitterte nur vor aufgestauter Wut. „Schäm dich. Und du willst mein Sohn sein?“, flüsterte sie nur. Dann rief sie nach Angestellten. „Packt Peters Sachen für eine längere Reise. Der Kutscher soll die Pferde anspannen.“ Peter klappte der Mund vor Entsetzen auf. „Mutter! Du schickst mich weg? Aber wohin denn?“ Seine Mutter antwortete nicht. Verbissen kniff sie die Lippen aufeinander und zog ihm am Ärmel zur Türe hinaus. Kurz danach kam auch die Kutsche vorgefahren. Sie schubste ihn hinein und ließ die Dienstmädchen sein Gepäck auf die Kutsche laden. Dann ging Elisabeth nach vorne und rief dem Kutscher zu: „Bring ihn zu meinem Bruder Amadeus nach Wien. Du kennst den Weg, du warst bereits einmal dort.“ Der schmale, bärtige Kutscher nickte und ließ die Peitsche über die Pferderücken knallen. Das Tor wurde geöffnet. Das letzte was Peter sah, war seine Mutter, die mit geradem Rücken und ohne einen Gruß zurück in das Jagdschloss ging.
    Die Fahrt dauert lange. Zwischendurch schlief er ein, auch wenn das bei dem Ruckeln kaum möglich war. Peter wachte auf, als die Kutsche langsam hielt und eines der Pferde wieherte. Es war bereits früher Morgen, die ersten Marktleute liefen durch Wiens Gassen.
    Der Kutscher sprang vom Bock, hielt Peter die Türe auf und packte sein Gepäck. Peter folgte ihm die Treppen zu einem hellweißen, großen Haus, wo dieser klopfte und sich dann hinter ihn stellte. Ein Dienstmädchen mit schwarzem Kleid und weißer Schürze öffnete. „Sie wünschen?“, fragte es piepsend. „Ich möchte gerne den Hausherrn sprechen.“, stotterte Peter. Er wusste ja gar nicht, was er hier sollte. „Und Ihr Name ist....?“ „Peter Wilhelm Wenzel zu Ernstburg III. Ich bin sein Neffe.“ „Bitte kommen Sie doch herein!“ Er folgte ihr durch die Tür und wusste, ohne sich umzudrehen, dass der Kutscher seine Sachen in der Diele abstellte und dann wortlos verschwand. Sein Onkel saß mit seiner Familie beim Frühstück. Er pulte sich in den Zähnen und nahm das goldene Stäbchen nicht aus dem Mund. „Herr, Peter Wilhelm Wenzel zu Ernstburg III. Euer Neffe.“, fügte sie auf seinen fragenden Blick hinzu. Ein Schatten huschte über sein Gesicht.
    „Peter. So eine Freude. Wie geht es deiner Mutter und deinem Vater? Und den Geschwistern?“ Seine Worte waren freundlich, aber sein Gesicht war dunkel und verschlossen. „Gut. Danke der Nachfrage. Ich hoffe es geht dir auch gut, Onkel. Und deiner Familie.“ Er nickte. „Man kann sich nicht beklagen. Wir arbeiten noch an der Familie. Er lachte lauthals und legte eine Hand auf den Bauch seiner jungen Frau. Sie war die Schwester von Peters Vater und er war der Bruder seiner Mutter. Als Amadeus sich beruhigt hatte, gähnte er. „Nun gut, mein Junge, wie kann ich dir helfen?“ Peter zuckte die Achseln. „Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, was ich hier soll.“ Amadeus sah ihn fragend an und deutete auf einen Platz neben seiner Cousine Wilhelmine Johanna.

    Peter blieb ein dreiviertel Jahr bei seinen Verwandten in Wien. Seine Mutter schrieb immer wieder Briefe an ihn, dass er doch zurück kommen möge. Sie würde es sehr bereuen, ihn weggeschickt zu haben. Und Peter antwortete auf jeden ihrer Briefe, er würde kommen, wenn sie Maria und ihre Mutter suchen und wieder einstellen würde. Elisabeth Annette wusste keinen anderen Weg, als seinen Wunsch zu erfüllen. An dem Tag, an dem er die Antwort von zuhause erwartete, tigerte Peter unruhig durch das große Haus. Er besuchte seine Tante Wilhelmine in ihrem Schlafzimmer. Sie litt unter ihrem großen Bauch und der Arzt hatte ihr absolute Bettruhe verschrieben. So setzte Peter sich an ihr Bett und hielt ihre Hand. Wilhelmine war blass und schwach, aber sie hörte sich seine Sorgen schweigend an. Dann kam am frühen Nachmittag ein Brief seiner Mutter. Im Schlafzimmer seiner Tante las er aufgeregt die saubere Handschrift der Mutter. Dann ließ er sich neben seine Tante fallen und schloss die Augen. Wilhelmine richtete sich vorsichtig auf und legte eine Hand auf seine Schulter. „Und?“ „Mutter sagt, sie hätte sie überall suchen lassen. Auf einem Bauernhof sagte ihre Mutter dem Dienstboten, den sie geschickt hat, dann, dass Maria bei einem Brand auf dem Hof verbrannt sei.... Tante Wilhelmine, sie hat den Ausgang nicht gefunden, weil sie nicht sehen konnte! Hätte Mutter sie bei uns behalten, wäre sie jetzt noch am Leben.“ Dann liefen stille Tränen aus seinen Augen und Wilhelmine legte ihren Arm um seine zuckenden Schultern. „Sie sagt, ich solle trotzdem zurück kommen, damit wir euch nicht noch weiter belasten.“, presste er heraus. Doch Wilhelmine schüttelte den Kopf. „Du bist doch keine Last. Bleib ruhig hier und schreib ihr, dass es gut für deine Karriere ist. Das wird sie besänftigen.“ Er gab seiner Tante einen Kuss auf die Wange und lief aus dem Zimmer um einen Brief an seine Mutter zu verfassen.

    Peter blieb in Wien, auch wenn seine Mutter noch so bettelte, dass er zurückkomme, bei seiner Tante, die ihr Kind bei der Geburt verlor, und seinem Onkel, der Peter weiter in der Musik lehrte. Nachdem er Kapellmeister an einer privaten Oper außerhalb von Wien wurde, heiratete er seine Cousine Wilhelmine Johanna, die beiden hatten eine Tochter mit dem Namen Maria.

    Ende



    Re: Eine kleine Nachtmusik

    Jasmin - 02.12.2005, 12:32


    Schööön... :shock: :cry:



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