Das bin ich - eine Suchtgeschichte

Die Macht der Sucht
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    Re: Das bin ich - eine Suchtgeschichte

    tommy - 02.10.2005, 19:54

    Das bin ich - eine Suchtgeschichte
    Hallo, mein Name ist Thomas,
    ich bin 37 Jahre alt und Alkoholiker. Ich habe ca. 20 Jahre getrunken. Dass ich ein Problem mit dem Alkohol habe, bemerkte ich relativ früh, wollte es aber nicht wahrhaben. Den ersten Versuch etwas dagegen zu unternehmen machte ich 1998 mit einer Entgiftung. Danach war ich ca. 1,5 Jahre "trocken", habe aber ausser die Flasche wegzustellen, nichts für mich getan. Gruppen brauchte ich nicht, Langzeittherapie wollte ich nicht, ich war ja so stark, dachte ich.
    Im Jahr 2000 dann beantragte ich eine psychosomatische Kur, weil es mir (natürlich auch alkoholbedingt) wieder sehr schlecht ging. Mittlerweile hatte ich auch meinen Job aufgegeben. Ich bekam die Kur und landete dort mit über 2 Promille im Kopf natürlich in der Suchtabteilung. Und wieder wehrte ich mich mit Händen und Füßen gegen eine Langzeit. Nach 6 Wochen fuhr ich mit einer Flasche Sekt im Gepäck nach hause, und hatte noch immer nichts verstanden, bzw. verstehen wollen.
    Im Jahr 2003 dann wurde mein Zustand zusehends schlechter. Ich kam im Februar in die Entgiftung, und begriff erstmalig, dass sich mehr ändern müsste. Ich dachte darüber nach, wie ich zukünftig mit meiner Partnerschaft umgehen sollte und beantragte eine Langzeittherapie. Bis April war ich dann "trocken", ging regelmäßig in Gruppen und durchlief die Prozedur zum Sozialbericht etc. Nach einem dieser Gespräche, die natürlich anfingen, in die Tiefe meiner Vergangenheit zu gehen, baute ich einen schlimmen Rückfall, aus dem ich 4 Wochen nicht mehr rauskam und in dem ich schlimmste Angstzustände und Panikattacken erleben musste. Ich war zum Schluss soweit, dass ich 2 Promille körperlich brauchte, um zu funktionieren. Ich begab mich wieder in die Entgiftung und von da aus direkt nach Lindow.
    Dort war ich von Mai bis September Patient der Salus-Klinik und für mich begann hier eine Zeit, von der ich vorher nicht mal wusste, dass es sie gibt. Gezeichnet von meinem letzten Rückfall, der schlimmer als jeder vorher war, unsicher, ob mir das hier was bringen würde, nur mit der Gewissheit, dass irgendwas passieren musste, saß ich im Erstgespräch vor meinem Therapeuten, Herrn Schneider. Was mir klar war, wenn ich hier drin bin, hat es was endgültiges. Irgendeine Kraft hatte es geschafft, mich durch die - mittlerweile 5. - Entgiftung zu bringen und hierher zu leiten. Hier sollte ich nun 16 Wochen Zeit haben, mich nur mit mir, mit meiner Vergangenheit und meiner "Geisteskrankheit" - was Alkoholismus ohne Frage ist - zu beschäftigen. Ich hatte keinen Schimmer von einer Zukunft: Meine Beziehung stand vor dem Aus, meine berufliche Selbständigkeit konnte ich in die Tonne treten und es gab keine Erfahrungen mit trockenem Leben. Denn die 11/2 Jahre die ich 1998/99 schon mal ohne Alkohol verbracht hatte, sind mir leicht gefallen. Denn damals bildete ich mir noch ein, irgendwann kann ich wieder trinken - mäßig und kontrolliert. Ein fataler Trugschluss, wie ich heute weiß.
    Mittlerweile sind seit meinem Aufenthalt über 2 Jahre vergangen. Jetzt stehe ich hier, bin bis heute trocken und habe trotz aller Schwierigkeiten die schönsten zwei Jahre meines bisherigen Lebens hinter mir.
    Als ich im September 2003 nach hause kam, waren natürlich alle Probleme noch da. Mein Partner und ich mussten uns neu kennen lernen, was bis heute nicht vollständig gelungen ist. Glaubt mir, das wird nicht etwa einfacher mit Dauer der Trockenheit, im Gegenteil, die wirkliche Krise hatten wir erst jetzt, nach zwei Jahren. Warum? Weil wir viel gemeinsame Arbeit in der Zeit nicht gemacht haben. Weil viel falsche Rücksichtnahme von seiner Seite (übrigens nicht vorsätzlich sondern eher aus Unwissenheit) zu einer dauerhaften Unzufriedenheit geführt haben. Weil ich mir Hilfe gesucht habe und so meinen Weg der Selbsterkennung ständig weiter gehe, mein Partner aber auf jegliche professionelle Hilfe ablehnend reagiert. Und auch, weil ich es im Laufe dieser Zeit öfter mal mit meinem Egoismus übertrieben und meinen Focus nur noch auf meine Bedürfnisse ausgerichtet habe. All das hat mittlerweile dazu geführt, dass unsere Trennung nach 11 Jahren in Arbeit ist und ich nun den weiteren Weg allein gehen werde.
    Beruflich habe ich ja das letzte Jahr vor Lindow im Haustürgeschäft für die Johanniter-Unfallhilfe in Berlin gearbeitet. Meine Selbständigkeit war längst gescheitert, denn ich konnte nicht mal mehr meine Krankenversicherung bezahlen. Und so war es an mir, den Grundstock für einen Neuanfang zu legen. Dabei hat mir das allseits verpönte und auch von mir ungeliebte, - weil schon hundertfach erlebte -Bewerbungstraining geholfen. Denn unter der fachkundigen Anleitung von Frau Hortig und Herrn Hennigs - vielen Dank dafür - entdeckte ich die Urwurzeln meines Könnens wieder. Ich wusste, dass ein neuer Beruf meine Fähigkeiten fordern musste, wie Organisationstalent, Kreativität usw. Das hatte ich in jahrelangen Ehrenämtern bewiesen und hatte auch noch Spaß dabei. Neu zu entdecken galt es, dass ein gewisses Maß an Genialität auch ohne Alkohol möglich ist und dass ich nicht mehr der Perfektionist sein muss, den ich immer darzustellen versuchte. Das Einzige, was ich auch hier noch nicht glauben wollte, war die Tatsache, dass sich ein Kampf um eine erneute Ausbildung in meinem Alter, ich bin jetzt 37, lohnen würde. Aber auch da sollte ich eines besseren belehrt werden. Ich schaute mich also auf dem Arbeitsmarkt um und entdeckte das neue Berufsbild des Veranstaltungskaufmanns. Und ich wusste genau, hier konnte ich Arbeit und Hobby vereinen, konnte einen Job finden, der alle meine Interessen und Fähigkeiten fordert.
    Mit diesen Vorstellungen trat ich den Kampf gegen die Behörden an. Und es sollte Kampf werden. Warum erzähle ich das? Weil ich weiß, wie viele Betroffene, vielleicht auch unter euch, die teilweise noch jünger sind als ich, Angst vor diesem Krampf haben. Ich kann nur sagen, traut euch. Geht mit genauen Vorstellungen zu den Ämtern und zeigt Ihnen - "hey, ich bin bereit, etwas zu tun. Gebt mir die Chance" Ich hatte mir vorher schon einen Bildungsträger gesucht, den Eignungstest abgelegt und bin mit dem vorbereiteten Vertrag zum Arbeitsamt gegangen. Und, um zu unterstreichen, dass es mir sehr ernst war, habe ich auf einem Vorbereitungslehrgang bestanden, um meine Lernfähigkeit zu testen. Trotzdem dieser Kampf mit Amtsärzten, hickhack zwischen LVA und Arbeitsamt um die Finanzierung, usw. ein Jahr dauerte, heute habe ich diese Ausbildung und bin, was das berufliche angeht, einer der glücklichsten Menschen auf der Welt.
    Eine große Hilfe war übrigens auch meine Offenheit gegenüber den potenziellen Arbeitgebern. Denn ich wusste genau, wie alkoholbesetzt die Veranstaltungsbranche ist. Ich hatte zu über 100 Firmen Kontakt, bevor ich die Firma hatte, die auch meine Suchtvergangenheit akzeptierte und bereit war, mein Arbeitsfeld so zu gestalten, dass ich kaum größeren Gefahren ausgesetzt bin. Jetzt ist das Risiko auf ein Minimum begrenzt.
    Und nach bestandener Ausbildung bin ich sogar bereit, unter bestimmten Voraussetzungen wieder in die Selbständigkeit zu gehen. Denn ich weiß, dass ich es kann. Die Organisation von Ehemaligentreffen in Suchtkliniken zum Beispiel wäre doch ein schönes Aufgabenfeld.
    Ja und dieses eine Jahr dazwischen drohte anfänglich zur Hölle zu werden. Ich saß untätig zu Hause, hatte außer Gruppen, Therapie und Nachsorge keine Highlihgts und verbrachte Tage und Nächte vor sinnlosen Computerspielen. Arbeiten gehen durfte ich nicht, weil dann meine Umschulung in Gefahr gewesen wäre. Also musste Beschäftigung her, denn die Rückfallgefahr wuchs. So suchte ich mir ein Ehrenamt in einem alkoholfreien Cafe in Berlin und begann hier Veranstaltungen zu initiieren. Und auch dort konnte ich in Lindow gelernte Sachen wieder auffrischen. So gestaltete ich unter Mithilfe von Frau Leicht - vielen Dank nochmals - ein monatliches Genusstraining, führte einen Sonntagsbrunch ein und organisierte Grill- und andere Feste. Und die Gäste dankten es.
    Alles in allem kann ich rückblickend sagen: Natürlich war die Zeit nach Lindow nicht nur schön. Ich habe gerade im ersten Jahr leiden müssen und Zustände bis hin zum sogenannten "Trockenrausch" ertragen - übrigens war mir da neben Telefonlisten, Notfallplan auch eine Erfahrung aus der unter Experten umstrittenen Expositionsübung sehr hilfreich. Ich wusste genau, es geht vorbei !!!
    Ich weiß aber auch, dass ich es allein nicht geschafft hätte, heute hier so nüchtern und weitestgehend zufrieden zu stehen. Deshalb möchte ich noch einmal Danke sagen, Danke an das gesamte Salus - Team, insbesondere an meinen Therapeuten, Herrn Schneider, der mit seiner mühevollen Arbeit vor allem bewirken konnte, dass ich wieder an meine Stärken glauben kann. Danke an meine Freunde aus der Samstaggruppe des VAL in Berlin, die mir durch sehr klare Worte jede Woche wieder begreiflich machen, wie klein ich in meinem Innersten wirklich bin und was wichtig ist im täglichen Leben. Und die auch Fehler in meinem Verhalten aufdecken, bevor sie für mich zur echten Bedrohung werden. Mit ihnen konnte ich mittlerweile auch in der Freizeit erleben, wie schön gemeinsame Erlebnisse ohne Alkohol sein können. Übrigens ist auch das eine Erfahrung, an der ich vorher immer gezweifelt habe - geh in die Gruppen und deine Chance auf Trockenheit vervielfacht sich.
    Danke an Herrn Bartmann, ebenfalls ehemaliger Salus-Therapeut, der mich bis heute therapeutisch begleitet und großen Anteil daran hat, dass ich mit Teilen meiner Vergangenheit einen anderen, besseren Umgang gelernt habe und mit den Tücken des Alltags besser

    Warum erzähle ich das hier so ausführlich? Weil auch dieses hier eine Suchtseite ist und ich das Rauchen aufgeben möchte. Und ich glaube, dass jeder, der hier her gefunden hat, sich mit dem Gedanken beschäftigt, das Rauchen aufzuhören und diese Geschichte liest, Gedankenregungen oder Verhaltensweisen finden wird, die er im Zusammenhang mit seiner Nikotinsucht auch schon hatte.

    lg tommy



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