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Carpentier, Alejo - Explosion in der Kathedrale




Carpentier, Alejo - Explosion in der Kathedrale

Beitragvon Katia » 02.03.2008, 23:07

[center]Alejo Carpentier: Explosion in der Kathedrale[/center]

Er sei "Bäcker, Kaufmann, Freimaurer, Antifreimaurer, Jakobiner, militärischer Held, Rebell, Gefangener, Losgesprochener von Gnaden derer, die den töteten, der mich groß machte, Agent des Direktoriums, Agent des Konsulats ...." gewesen, sagt Victor Hugues auf den letzten Seiten von Carpentiers Roman und umreißt damit seine reichhaltige Handlung.
Hugues ist eine historische Person, ein Teil der Geschichte der französischen Revolution, der meist nicht beachtet wird, weil er so weit von Europa spielt: Die Revolution in der Karibik und den französischen Übersee-Departements Guadeloupe und Guyana.
Carpentier verflicht Hugues Lebensgeschichte mit dem Schicksal von drei Kubanern: den im jugendlichen Alter verwaisten Geschwistern Sofia und Carlos und deren Cousin Esteban.
Eine Abends klopft es an die Tür und Victor betritt das Haus in dem die drei ein freies, unkonventionelles und unsicheres Leben geführt haben und wird es für immer verändern.
Esteban - geheilt vom Asthma der Kindheit - folgt Victor ins revolutionäre Frankreich und kehrt als Übersetzer mit ihm und einer Guillotine in die Karibik zurück, um die französische Revolution und die Sklavenbefreiung nach Guadeloupe zu bringen.
Doch wie auch die Geschichte in Frankreich, so wendet sich in der Karibik das Blatt zwischen Revolutionären und Reaktionären hin und her, Victor immer mittendrin.

Carpentier erzählt in metaphernreicher und farbenfroher Sprache. alleine die erste Szene - die auf dem Schiff fast als Galionsfigur reisende Guillotine - ist furios und beeindruckend in ihrer Wort- und Symbolgewalt.
Leider habe ich unter dieser fast überbordenden Sprache manchmal den Handlungsfaden verloren - die politischen Verhältnisse kippen hin und her, die geographischen Verhältnisse sind mir wenig vertraut, das machte es mir manchmal etwas schwer. Andrerseits entspricht dies auch dem Gefühl der Personen (gerade Esteban), die oft auch nicht mehr wissen, woran sie nun glauben (Titel!) und für was und ob sie kämpfen sollen.
Mit den Geschwistern und Esteban baut Carpentier eine "menschliche" Komponente gegen den Emissär Hugues, der unter der Einsamkeit des politischen Führers, der Entscheiders über Leben und Tod leidet. Bedrückend ist immer wieder, wie die Menschen ihr "Fähnlein nach dem Wind" hängen, mal für, mal gegen die Sklaverei sind, Menschen verfolgen, verachten, die gerade eben noch bewunderte Vordenker waren. So gesehen ist die Revolution in der Karibik nicht viel anders als in Paris verlaufen, nur mit zeitlicher Verzögerung.

Carpentier ist Kubaner, so dass sich sein Roman auch als Kritik am Sozialismus lesen lässt, allerdings habe ich diesem Aspekt nicht viel Beachtung geschenkt. Zu sehr hat mich die damalige Situation, das Schicksal Sofias, Estebans, Carlos und Victors interessiert.
Ich habe Vieles gefunden, was mich fesselte: eine reiche Sprache, karibisches Lebensgefühl, geschichtliche Hintergründe, Persönlichkeiten, über die sich nachzudenken lohnt.
In diesem Sinne geben ich dem Roman
:stern: :stern: :stern: :stern: (:stern:) und gebe zu, dass die Klammern eher meiner Konzentrationsfähigkeit als Carpentiers Erzählkunst geschuldet sind.

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Katia
Zuletzt geändert von Katia am 03.03.2008, 18:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon wolves » 03.03.2008, 09:12

Das hört sich sehr interessant an. Danke @Katia für die Rezi.
Liebe Grüße
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Re: Carpentier, Alejo - Explosion in der Kathedrale

Beitragvon alixe » 13.09.2008, 18:46

Hallo Katia,

hab vielen Dank für deine interessante Besprechung. Ein Ansporn wieder zu Carpentier zu greifen.

Diese Aussage erstaunt mich:

Katia hat geschrieben:Carpentier ist Kubaner, so dass sich sein Roman auch als Kritik am Sozialismus lesen lässt, (...)


Carpentier ist ein Anhänger und persönlicher Freund von Castro gewesen und stand hundertprozentig hinter ihm.

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Beitragvon wolves » 14.09.2008, 09:07

Ich stelle immer wieder fest, wie vergesslich ich scheinbar bin. Seit ewigen Zeiten, um genau zu sein seit dem 03.03.08, steht das Buch auf meiner Wunschliste und irgendwann hatte ich vergessen von wo der Tipp kam. *über mich den Kopf schüttel*
Vor ein paar Tagen war ich dann auf ein günstiges Angebot gestolpert und hatte "zugeschlagen".
Liebe Grüße
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Beitragvon alixe » 14.09.2008, 09:53

wolves hat geschrieben:Ich stelle immer wieder fest, wie vergesslich ich scheinbar bin. Seit ewigen Zeiten, um genau zu sein seit dem 03.03.08, steht das Buch auf meiner Wunschliste und irgendwann hatte ich vergessen von wo der Tipp kam. *über mich den Kopf schüttel*
Vor ein paar Tagen war ich dann auf ein günstiges Angebot gestolpert und hatte "zugeschlagen".


Das wär doch was für eine Leserunde....? :dance:
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Beitragvon wolves » 14.09.2008, 15:31

alixe hat geschrieben:Das wär doch was für eine Leserunde....? :dance:

Da braucht man im Moment bei mir viel Geduld :oops: Ich bin schon froh, wenn ich an der Fontane Leserunde teilnehmen kann. Ansonsten bin ich zur Zeit nur "leserundentauglich", wenn es ganz spontan ist bzw. wenn meine Mitleser sich viel Zeit beim lesen nehmen.
Wenn dich das alles nicht stört, dann gerne :D
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon alwin03 » 14.09.2008, 15:42

Ich könnt mich hierfür wohl auch mal erwärmen.
Danke @Katia :!:
Ich lese zur Zeit:

--------------------------------------- ???


wENN nUr meinE sCHleChte recht(s)SchreIbunG nICHT wÄr :cry:
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Beitragvon alixe » 14.09.2008, 16:28

wolves hat geschrieben:
alixe hat geschrieben:Das wär doch was für eine Leserunde....? :dance:

Da braucht man im Moment bei mir viel Geduld :oops: Ich bin schon froh, wenn ich an der Fontane Leserunde teilnehmen kann. Ansonsten bin ich zur Zeit nur "leserundentauglich", wenn es ganz spontan ist bzw. wenn meine Mitleser sich viel Zeit beim lesen nehmen.
Wenn dich das alles nicht stört, dann gerne :D


Aber, liebe Wolves,

Lesen soll kein Stress sein :wink: Ich bin auch ein Langsamleser, also, wenn du Lust und Zeit hast, melde dich einfach. :-)

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