Krümels-Bücherwelt ...

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Flor, Olga - Kollateralschaden




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Flor, Olga - Kollateralschaden

Beitragvon Dr.Who » 24.08.2008, 14:10

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Menschen kommen, Menschen gehen.
In keiner Einrichtung ist dies so gut zu beobachten wie in einem Supermarkt.
Genau 60 Minuten lang leuchtet die Autorin Olga Flor das Leben verschiedenster Charaktere bis hin zu den tiefsten Winkeln ihrer Seelen aus.
Zufällige Menschen mit den unterschiedlichsten Lebenshintergründen treffen hier als Unbekannte aufeinander. Sei es eine allein lebende Singlefrau, eine Politikerin, ein abgehalfterter Journalist oder auch nur der Kaufmannslehrling des Supermarktes. Jede dieser Figuren hat ihre Geschichte, eine mehr die andere weniger. Und durch dieses Gewirr von Gedanken, Wünschen und Ansichten windet sich der Leser ohne erkennbare Handlung bis sich gegen Ende hin alles zu verdichten scheint und mit einem Knall alles umgeworfen wird und die Charaktere zu kollidieren beginnen.

Wie bereits geschrieben gibt es in Olga Flors neuen Roman Kollateralschaden keine eindeutige Handlung im herkömmlichen Sinne. Der Leser folgt eher vielen kleineren Handlungen gleichzeitig deren einziger Dreh- und Angelpunkt die Zeitebene ist auf der sich alles zur selben Zeit abspielt.
Minute für Minute, Absatz für Absatz schreitet das Buch voran.
Gerade in dieser -ich nehm jetzt 6 Kurzgeschichten und tu alles in den Mixer- Schreibweise sehe ich als Leser auch das größte Manko des Buches. Auch wenn die Geschichten zum Teil ineinander fließen und sich überschneiden muss man des öffteren nachdenken mit wem man es nun wieder zu tun hat und bei welcher Geschichte man den Faden wieder aufnehmen muss.
Verschmerzt man dies und hat sich mal daran gewöhnt erwartet den Leser mit Kollateralschaden ein überraschend scharfsinniges und mit guten Blick für Details geschriebenes Buch dessen Sprache sich von Charakter zu Charakter ändert.

Wie eine Fotografin scheint Flor einfach mit ihrer Kammara draufzuhalten und abzudrücken ohne jedoch vorher durch den Sucher geblickt zu haben. Was auf den Bildern zu sehen ist sind zufällige Menschen von denen jeder seinen eigenen Weg geht. Manchmal sind die Bilder etwas unscharf was aber nicht störend wirkt da die Feder der Autorin die scheinbar banale Realität so preziese einfängt das ich mir als Leser immer wieder sagen musste -das kennst du doch von wo-.
Dies ist auch die große Stärke des Buches. Charaktere wie auch Handlung völlig zufällig wirken zu lassen. Nicht jetzt eine Hand voll Personen mit Problemen und Komplexen in einen Supermarkt zu sperren sondern alles völlig freiwillig wirken zu lassen. Schon fast so als ob Flor keinen Einfluss mehr auf ihre Charaktere hätte.
Und jene vielgeschriebene Zufälligkeit ist es dann auch am Ende des Buches daß einen auffahren und die Soziale/Gesellschaftliche Kritik wahrnehmen lässt die sich schon die ganze Zeit über, bitterböse und makaber, in den Unterton der Erzählung gemengt hat.

Mit Präzision und scharfer Klinge häutet Olga Flor hier diese Zwiebel. Für Freunde deutscher Literatur äußerst empfehlenswert.
Dr.Who
 

von Anzeige » 24.08.2008, 14:10

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Beitragvon Krümel » 27.08.2008, 15:19

Das kommt morgen ins Blog, okay, ist doch von der Liste :D
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Pippilotta » 26.01.2009, 20:14

Ich habe dieses Buch am Wochenende gelesen und bin restlos begeistert! Schön, dass es immer wieder AutorInnen gibt, die meine ganze Aufmerksamkeit wecken!

So ganz kann ich Dr. Who nicht zustimmen, ich fand gerade das Hin- und Herschwenken zu den einzelnen Personen besonders reizvoll.

Hervorragend beschrieben fand ich die Personen - allesamt der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts entnommen. Eine ambitionierte Jungpolitikerin, die aufgrund eines populistischen Ausländer-Sagers über Nacht berühmt wurde und nun ihre Erfüllung in einer rechten Partei finden möchte (solange man nicht ihr "turbulentes" Privatleben bloßlegt) , der unter Pensionsschock stehende Rentner, der mit der Krebserkrankung seiner Frau nicht zurecht kommt, die diplomierte Logopädin, die mit Putzen den Lebensunterhalt für sich und ihren unehelichen Sohn verdient,, der Sohn, den sie in der Schule wähnt und der stattdessen im Supermarkt eine Aktion plant ....

All diese Schicksale und Leben werden in einem Rahmen von 60 Minuten beleuchtet, ausgebreitet, dargelegt, Verbindungen geknüpft, Gemeinsamkeiten aufgezeigt.

Ein großartiges Buch, großartige Szenen großartig in Wort und Schrift gebracht!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Olga Flor:

Geboren 1968 in Wien, aufgewachsen in Wien, Köln und Graz, wo sie heute lebt. Studium der Physik, Reinhard-Priessnitz-Preis 2003, Otto-Stoessl-Preis 2004. Ihr erster Roman Erlkönig erschien 2002, Talschluss folgte 2005 bei Zsolnay.
Herzliche Grüße
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