Vita Reducta (Warnung: Teilweise Splatter)

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    Re: Vita Reducta (Warnung: Teilweise Splatter)

    Frederic Grenouille - 28.08.2007, 15:57

    Vita Reducta (Warnung: Teilweise Splatter)
    Das Rauschen des Funkgerätes hatte über die Zeit, die er wartete, langsam etwas Übersinnliches bekommen. Nur ein Wort aus diesem kleinen, schwarz lackierten Kasten würde entscheiden, was jetzt geschah.
    Wenn man genau hinsah, dann konnte man bereits den abgesplitterten Lack sehen, der zeigte, dass dieses Funkgerät nicht mehr ganz neu war. Auf der Rückseite war es beinahe komplett eben, jedoch auf der Oberseite war ein riesiger, Berg, der die Funkantenne war. Gleich daneben war eine Formation von Hügeln, die ein Wort bildeten: „Bird 03“. Die Vorderseite schließlich hatte mehrere Täler und zwei Plateaus: Das Mikrofon und zwei Knöpfe für Senden und Lautstärke. Das Gerät war sichtbar zweckmäßig konzipiert.
    Kurz schloss er die Augen und massierte seine Schläfen. Er hatte seit fast zwei Tagen nicht geschlafen und das machte sich langsam bemerkbar. Seine Haare waren kurz geschoren, weshalb man ihnen die unterlassene Pflege nicht ansah. Sein Bartschatten und sein schmutziges Gesicht hingegen verrieten sehr wohl, dass er sich schon eine Weile von Wasser, zumindest sauberem, ferngehalten hatte. Das war zwar nicht freiwillig gewesen, aber das Ergebnis war dasselbe.
    Ein leises Piepsen ließ ihn plötzlich wie elektrisiert hochfahren. Auf genau dieses Piepsen hatte er gewartet. Schnell nahm er das Gerät zur Hand und sprach in hastigem Tonfall hinein: „Was gibt es?“. Die Stimme, die ihm antwortete klang verzerrt, Rauschen mischte sich unter sie. Keine besonders sympathische Stimme, aber er gab darauf nicht viel. Immerhin bezahlte ihn diese Stimme. Und sorgte für Abwechslung. „Agent Seagull?“. Nur mit Mühe konnte Seagull, wie er genannt wurde, eine bissige Antwort unterdrücken. Natürlich war er es. Aber dieser Code gehörte nun einmal dazu, um Auffliegen irgendwelcher Pläne zu vermeiden. Also sprach er mit seiner langsamen, kratzigen Stimme hinein:
    “Die einsame Möwe fliegt über dem Hügel,
    im goldn’en Wind sind ihre Flügel,
    ein einsam’ Schrei, von weit, weit weg:
    Komm flieg mit mir, komm flieg hinweg.

    Mein Geist zerfließt mit jedem Tag,
    ich hör den einsam’ Herzenschlag,
    Mein Geist, der Vogel, ja wir zwei,
    wir sind nun eins und fliegen frei.

    Der Wind trägt uns, wie’s uns gefiel,
    und meine Seele, ohne Ziel,
    Mein Geist befreit von jeder Zeit,
    Ein Schatz, den ich erhalten heut.

    Der Möwe Flug weit überm’ Hügel:
    Ach könnt ich fliegen, hätt’ ich Flügel...“

    So kitschig das Gedicht auch war: Seagull musste es aufsagen, damit sichergestellt war, dass er am Funkgerät saß und somit keine Spione oder ähnliches die streng vertraulichen Informationen mitbekamen, die der schwarze Kasten regelmäßig preis gab. „Du könntest beim Vortrag des Gedichtes ruhig ein paar mehr Emotionen an den Tag legen.“. Die Stimme klang amüsiert, fast spöttisch. Oder bildete Seagull sich das nur ein? „Ich bin Söldner, kein Poet. Wenn du in Zukunft mit Poeten in Krisengebiete marschieren willst, dann soll mir das recht sein.“, antwortete Seagull leicht gereitzt. Er wollte einfach nur seinen Auftrag haben und dann loslegen. „Ist ja schon gut... Also.“. Die Stimme am Ende der Leitung räusperte sich. „Ungefähr zwei Stunden Fußmarsch östlich von dir befindet sich ein kleines Dorf. Wir haben vor einer Weile einen Hilferuf von dort erhalten und befürchten, dass dieser um einiges zu spät kam. Du sollst dem nachgehen. Geh vorsichtig vor und...“, „Ja, ja“, fiel Seagull dem Sprecher ins Wort, „Keine unnötigen Verletzten oder Toten. Sonst noch was?“. Kurz schwieg das Funkgerät, als dann wieder die Stimme ertönte, klang sie beleidigt. „Ja, sonst noch was. Seagull, ich mache mir Sorgen. Normalerweise verlassen immer irgendwelche Leute diese Stadt. Das ist seit drei Tagen nicht der Fall, aber wir haben nur einen Hilferuf empfangen. Egal, was dort passiert ist, es muss schrecklich gewesen sein... Pass auf dich auf.“. „Hm.“, machte Seagull und stellte das Gerät ab.
    Nachdem er etwa zwei Stunden durch die unwirtliche Gegend gestapft war, geriet ein kleines Dorf in sein Sichtfeld. Eigentlich war sogar Dorf für diese kleine Ansammlung von Häusern etwas hochgestochen. Es war mehr eine Siedlung, vergessen und nie ganz zuende gebaut. Auf einem etwas besseren Hügel, der früher einmal grasbewachsen war, aber jetzt eher an einen riesigen aufgetürmten Berg Matsch denken ließ, stand eine kleine Kirche. Seagull kannte diesen Ort, zumindest vom sehen. Ein paar Mal war er hier vorbeigekommen, aber hatte sich niemals sonderlich darum gekümmert. Die Leute hier waren Fremden immer ein wenig misstrauisch gegenüber und in einem derart kleinen Ort, wo vermutlich jeder jeden kannte, schlug so etwas manchmal schnell in offenen Hass um. Dennoch hatte irgendjemand hier einen Hilferuf gesandt... Was Seagull etwas misstrauisch stimmte. Wer in einem so kleinen Ort hatte die nötigen Kontakte, die nötig waren, um die Nummer der „Birdseye“ Söldnerarmee zu bekommen, bei der er angestellt war? Noch dazu musste dieser jemand ein guter Kunde sein, denn Seagull war einer der besten und wurde nicht gleich für jeden losgeschickt. Kurz kämpften Neugier und Misstrauen wegen all dieser Fragen und Gedanken in Seagull gegneinander, bis schließlich seine Neugier gewann. „Dann wollen wir mal.“, sagte er zu sich selbst und stapfte auf den Ortseingang zu.
    Seagulls Mantel flatterte leicht im aufkommenden Wind und verlieh der Szene einen dramatischen Anstrich. Hätte er seinen MP-3 Player dabeigehabt, dann hätte er jetzt vermutlich Industrial-Metal angehabt, das wäre diesem Eindruck nur gerecht geworden. Der einsame Held betritt die kleine Stadt. Im Gegensatz zu dem melodramatischem einsamen Helden hatte Seagull jedoch ein ganzes Waffenarsenal dabei. Das war jedoch unter seinem Umhang verborgen, damit es nicht gleich jeder sah. Das Einzige, was hier noch mehr Misstrauen erregen würde als ein Fremder, war ein Fremder mit Waffen. Kurz blickte Seagull sich um. Niemand war zu sehen, keine Menschenseele. Durchaus nicht seltsam, es war fast Mitternacht, da war in kleinen Orten nicht viel los. So fiel er zumindest nicht ganz so schnell auf. Mit langsamen, gemäßigten Schritten ging er über den Asphalt der Straße, die mitten durch den Ort verlief. Seine Schuhe hallten wider, erzeugten ein pochendes Geräusch, das Leuten mit schwächeren Nerven wohl einen Schauer über den Rücken gejagt hätte. Aber Seagull hatte starke Nerven. Stärker als fast alle anderen in der Söldnerarmee. Er ließ sich von solchen Dingen nicht einmal im Ansatz nervös machen.
    Nachdem er fast eine Stunde durch diesen Ort geirrt war, hielt er langsam inne. Er musste etwas gesonderter vorgehen. Warum hatte er sich eigentlich nicht erkundigt, woher der Hilferuf gekommen war? Er stellte das Funkgerät an, aber bis auf ein eintöniges Rauschen vernahm er nichts. Vermutlich war er in einem Funkloch. Er musste noch einmal zurück zu seinem Standpunkt, damit er sich genauere Informationen abholen konnte. Gerade, als er sich umdrehen wollte, fiel eine Gestalt in sein Blickfeld. Es handelte sich offenbar um einen etwas älteren Mann, der früher einmal groß und breitschultrig gewesen sein musste. Jetzt jedoch war die Haltung gebückt, seine Kleidung, soweit das im kalten Licht der Straßenlaternen zu sehen war, hatte unzählige Risse und war von Schmutzkrusten übersäht. Innerlich war Seagull ein wenig dankbar. So musste er sich zumindest nicht die Predigten seines Vorgesetzten anhören, dass er gründlicher arbeiten sollte. „Entschuldigen sie? Sir?“. Er ging langsam auf den Mann zu. Dieser sah nicht einmal zu ihm sondern hielt sein Gesicht nach unten, als würde er auf seine Füße starren, die langsam vorwärts schlurften. „Entschuldigung. Ich bin auf der Durchreise und wollte sie fragen, ob sie mir vielleicht kurz helfen könnten?“. Das war seine Standartgeschichte, wenn er Ortsfremd war und sich zurechtfinden wollte. Er konnte ja schlecht jedem auf die Nase binden, dass er ein Söldner war. Der Mann schlurfte immer noch weiter und hob seinen Blick immer noch nicht. „Hallo? Sir?“. Plötzlich hob der Mann ruckartig den Kopf, als hätte er Seagull gerade erst bemerkt. Seine Augen waren weiß und leer, als hätte er sie nach oben gedreht, sein Zahnfleisch war zurückgegangen und entblößte kränklich verfärbte Zahnhälse. Und der Mund, die Zähne, das ganze Gesicht war blutverschmiert, die Haut seltsam verschrumpelt und eingefallen. „Was haben sie sich denn getan?“, entfuhr es Seagull. Der Mann antwortete nicht. Stattdessen sprang er vor, so überraschend und schnell, dass Seagull nicht reagieren konnte. Mit unglaublicher Stärke umklammerte der Mann Seagull, es sah fast so aus, als würde dieser ihn umarmen. Allerdings tat er das mit so einer Kraft, dass Seagull spürte, wie seine Rippen langsam brachen. „Na warte... Egal aus welchem Heim du bist, mit dir werd ich fertig.“, knurrte der Söldner und trat mit ziemlichem Schwung gegen das rechte Knie seines Angreifers. Dieser jedoch taumelte nicht einmal, ja es schien, als hätte er den Tritt überhaupt garnicht gespürt. Und mit einer fast zärtlich anmutenden Bewegung reckte der Kranke (es war ganz offensichtlich eine Krankheit, die sein Gesicht so zerfressen hatte), seinen Hals vor, bereit, in Seagulls Fleisch zu beißen. Dieser geriet zwar nun nicht in Panik, hatte nun allerdings begriffen, dass mit Vernunft hier nichts mehr auszurichten war. Jetzt musste Waffengewalt her. „Also schön, Großer, du hast es so gewollt.“. Mit diesen Worten trat Seagull seinem Angreifer in die Weichteile. Er machte sich keine Hoffnung, dass dieser das spüren würde, möglicherweise war sein Nervensystem betäubt, aber das war auch garnicht Sinn der Sache. Seagull stützte sich mit seinem Fuß ab und drückte mit voller Kraft gegen das Fleisch seines seltsamen Angreifers. Durch diese Kraft wurde er nach oben gedrückt und flutschte wie ein Aal aus der tödlichen Umklammerung, nicht ohne einen eleganten Rückwärtssalto auszuführen und dem Angreifer mit voller Kraft gegen den Kiefer zu treten. Katzengleich landete Seagull auf dem Straßenpflaster und sah zu seinem Gegner. Dieser schien zwar überrascht, wankte aber nicht einmal. „Na gut, Großer, mal sehen wie dir das hier schmeckt.“. Schnell zog der Söldner zwei Pistolen unter seinem Mantel hervor. Sie waren schwarz und der Lauf war etwas länger als gewöhnlich. Aber für ihren Besitzer waren sie perfekte Tötungsobjekte. Unschuldige verschonen hin oder her, diesem Mann war nicht mehr zu helfen. „Sag gute Nacht!“. Sosehr Seagull sonst auch nichts von Klischees hielt, bei Tötungssprüchen war er ein wenig eigen. Er kannte gut fünfzig davon und benutzte eigentlich fast immer einen. Das war sein Markenzeichen. Genau viermal schoß er, mit jeder Waffe zweimal und viermal waren es Kopftreffer: Der erste ging knapp am rechten Auge vorbei und bohrte sich dort in das Fleisch. Der zweite landete genau auf der Stirn. Der dritte traf den Kiefer des Mannes, der sich unter unappetitlichen Geräuschen verbog. Die vierte schließlich landete genau zwischen den Augen, sodass sie sich direkt ins Gehirn bohrte. Vier tödliche Treffer auf einmal. Der Mann wankte und Seagull erwartete, dass dieser gleich zusammenbrach. Aber das tat er nicht. Stattdessen renkte er sich mit einem ekelerregenden Knacken den Kiefer wieder ein, beziehungsweise das, was davon übrig war. Und dann stürmte er mitten auf Seagull los. Dieser hatte kaum Zeit, überrascht zu sein. Sein Verstand schaltete ab und machte dem Kampfinstinkt Platz. Dieser Gegner war offenbar durch normale Dinge nicht zu verwunden, warum auch immer. Also musste Seagull sich etwas einfallen lassen, um ihn komplett kampfunfähig zu machen. Schnell fischte er einen kleinen Gegenstand aus seiner Tasche. Es wirkte ein bisschen wie ein Klappmesser, hatte allerdings eine deutlich schmalere Klinge. Und wenn man genau hinsah, konnte man zwei Knöpfe am Heft dieser Waffe entdecken. Diese waren dazu gut, eine Sprengladung zu aktivieren. Je nach Knopf dauerte es entweder fünf oder zehn Sekunden, bis der Sprengsatz detonierte und eine, für seine Größe, unglaubliche Explosion hervorrief. Mit einer schnellen Bewegung drückte Seagull den Fünf-Sekunden Knopf und warf den Sprengsatz mitten auf seinen Angreifer. Dieser machte keine Anstalten auszuweichen und so bohrte sich das Metall direkt in seinen Kopf. Aber das sah Seagull nicht mehr, er drehte sich um und rannte. Als er einen dumpfen Knall hörte, drehte er sich wieder um. Die Bombe war geplatzt.
    Auf der Straße lag ein undefinierbarer Matsch aus Fleisch, Blut, Sehnen und Knochen. Offenbar hatte dieses.. Wesen nicht einmal Anstalten gemacht, sich die Bombe aus dem Kopf zu ziehen. Intelligenz war sicher nicht seine Stärke. Mit geübtem Blick sah Seagull sich den Kadaver ein und suchte nach Auffälligkeiten, konnte aber nichts finden. „Vielleicht war der Typ der Hilferuf...“, dachte er sich. Für einen normalen Menschen, der keine Waffen und erst recht keine Ausbildung zum Soldaten hatte, musste dieses Wesen absolut unbesiegbar sein. Aber warum floh dann keiner? Dieses Wesen wirkte nicht so, als könnte es einen ganzen Ort, egal wie klein, innerhalb weniger Tage ausrotten. Ehe er weiter darüber nachgrübeln konnte, hörte er plötzlich ein Heulen, wie von einem Menschen, dem unaussprechliches angetan wird. Schnell drehte er sich um. Und was er dann sah, das ließ sogar einen kaltblütigen Menschen wie ihn erschaudern: Gleich vier dieser „Menschen“, alle mit demselben Blick, der schrecklich roten und welligen Haut und dem blutverschmierten Mund wie der, der jetzt als unförmiger Matsch auf dem Boden klebte. Seagull drehte sich um und rannte zum zweiten Mal. Gegen vier dieser Biester war sogar er machtlos.
    Nachdem er mindestens zehn Minuten gerannt war, blieb er stehen. Er hatte die ganze Zeit höllisch achtgegeben, ob nicht noch mehr von den Kreaturen seinen Weg kreuzen würden, aber das war zum Glück nicht der Fall gewesen. Vielleicht waren die, die er gerade gesehen hatte, auch die letzten ihrer Art in diesem Dorf, wer konnte das schon sagen? Erschöpft lehnte er sich an eine Hauswand, die von Moder und Schlick überzogen war und ruhte sich ersteinmal kurz aus. Dieser Sprint hatte seinen Körper stark angegriffen, was er gottseidank erst jetzt spürte. Nachdem er ein paar Atemzüge getan hatte, begann er wieder taktisch zu denken. Diese Wesen waren der Grund für den Hilferuf gewesen, ganz klar, aber warum nur einer gekommen war, das erschloss sich ihm immer noch nicht ganz. Auch war die Herkunft dieser Kreaturen rätselhaft, sie schienen ja vormals Menschen gewesen zu sein, ihre Körperform sprach jedenfalls dafür. Aber was konnte normale Menschen in solche Killermaschinen verwandeln, die scheinbar wahllos alles und jeden angriffen und durch fast nichts zu verletzen waren? Irgendwie erinnerten sie Seagull an Zombies... Ja, Zombies, das war der passende Name für diese Dinger. Und das er alleine gegen sie nicht ankommen konnte, das stand fest. Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war nach Überlebenden zu suchen, vielleicht hatten es einige geschafft, sich zu retten. Seagull als Söldner wusste sehr gut, was für Kräfte und Fähigkeiten die Gefahr im Menschen wecken konnte, er hatte schon zuviel erlebt, um zu glauben, dass kein Mensch das hier überlebt hatte, ganz gleich was es war. Vermutlich, dachte er, hatte eine Art Seuche dieses Dorf heimgesucht, die Menschen in diese.. Wesen verwandelte. Er fühlte sich an ein Spiel erinnert, von dem sein Neffe ihm einmal erzählt hatte, als er einmal seinen Bruder besucht hatte. Jan, so hieß der Sohn seines Bruders, war 16, aber in einigen Belangen immer noch höchst kindisch. Unter anderem bewunderte er Seagull, da er wusste, dass dieser ein Söldner war. Bisher hatte Seagull immer darauf verzichtet, Jan zu erklären, wie hart und entbehrungsreich dieser Beruf ist. Kinder brauchten Träume und in seinen Augen war Jan noch ein Kind. Das Spiel, von dem Jan ihm erzählt hatte, hieß „Paranormal“ und handelte von einer skrupellosen Organisation, die mit Viren experimentierte. Eines Tages, so hatte Jan erzählt, sei ein Reagenzglas zu Bruch gegangen ,das einen neuartigen und seltsamen Virus enthielt, der die ganze Besatzung der Forschungsstation, auf der er gezüchtet wurde, tötete. Allerdings stellte er irgendetwas mit ihrem Körper an, sodass sie als Zombies wiedererstanden, die nur ihrem Fresstrieb gehorchten und durch nichts zu verletzen waren, außer man zerstörte ihr komplettes Gehirn. Damals hatte Seagull über diese Geschichte gelacht, aber jetzt erschien sie ihm auf eine grausame Art und Weise plausibel. Kurz massierte er sich die Schläfen, um nicht in Panik zu verfallen. Ein alter Trick, aber immer noch ein sehr wirkungsvoller. Er durfte jetzt keinesfalls in Panik verfallen, obwohl er zum ersten Mal, seitdem er sich erinnern konnte, nahe daran war. Wenn es Überlebene gab, dann musste er sie finden, denn egal wie gut sie organisiert waren und wieviel Kraft ihnen die Verzweifelung gab, sie würden wohl trotzdem früher oder später sterben. Es sei denn, sie hatten jemanden wie Seagull, der über genug millitärische Erfahrung und die richtige Ausbildung verfügte, um ein derartiges Projekt auch längerfristig planen und umsetzen zu können. Seagull nickte. Vielleicht war es genau das, was sie gebraucht hatten, jemanden, der das konnte. Das würde auch den Hilferuf erklären. Warum man ihn geschickt hatte, wäre dann auch erklärbar: Wer auch immer die „Birdseye“ Armee angerufen hatte, hatte deutlich gemacht, es gäbe keine Zeit zu verlieren. Und Seagull war diesem Dorf am nähesten und hatte somit auch am ehesten eine Chance, rechtzeitig anzukommen. Das ergab Sinn.
    Als er mit seinen Überlegungen so weit gekommen war, sah er sich kurz um. Er durfte dem Feind nicht erlauben, sich seine Gedankenversunkeheit zunutze zu machen und sich anzuschleichen. Er hatte zwar schon gemerkt, dass diese Wesen offenbar nicht sonderlich intelligent waren, aber dennoch wollte er kein Risiko eingehen. Den Gegner zu unterschätzen war immer der erste Schritt zu einer Niederlage. Oder zu schlimmerem. Mit geübtem Blick fixierte Seagull die einzelnen Gebäube in der Umgebung und überlegte, welches davon am ehesten als Unterschlupf taugte. Als letztes fixierte er die Kirche, die auf diesem riesigen Berg aus Matsch eher wie ein schlechter Traum aussah. Vermutlich würden sich die Überlebenden, wenn es welche gab, dort verschanzt halten. Erstens konnte man von dort aus jeden sich nähernden Gegner schnell erkennen und dementsprechend handeln, außerdem war in einer Kirche immer genug Raum, um auch bei mehreren Gegnern Distanz für ein Gefecht halten zu können. Und natürlich kam auch noch der Glaube ins Spiel, der bei vielen Leuten in so einer Situation wieder hochkam. Das hatte Seagull auch schon oft erlebt, wie in gefährlichen Situationen viele Leute plötzlich beteten, obwohl sie sich sonst als Atheisten ausgaben. Er steckte seine Waffen weg, um kein Misstrauen zu erregen und ging mit schnellen, sicheren Schritten den Berg hinauf.
    Er betonte seine Schritte extra so, dass er nicht als einer dieser „Zombies“ gelten würde. Was er jetzt absolut nicht gebrauchen konnte war, unter Beschuss zu geraten. Er legte die Hände in den Nacken wie bei einer Geiselahme und ging langsam, aber nicht so schlurfend, wie er es bei den „Zombies“ gesehen hatte, auf die Kirche zu. Kein Schuss fiel, es war ruhig. Davon ermutigt beschleunigte Seagull seine Schritte und gelangte schließlich an das Portal der Kirche, eine alte, ehrwürdige Tür aus schwarzem Holz. Er klopfte mit dem Knöchel seines Zeigefingers daran, der Klang war voll und doch irgendwie hohl. Vielleicht waren durch Holzwürmer einige Hohlräume in der Tür entstanden, mutmasste er. Nach einer Weile klopfte er noch einmal. Nichts war zu hören, nicht einmal flüsternde Stimmen, die beratschlagten. Vielleicht hatte er falsch gelegen. Entweder hatten die Überlebenen sich irgendwo anders verschanzt, oder... Nein. Er schüttelte sich kurz, als wollte er den unangenehmen Gedanken abwimmeln. Diese Möglichkeit wollte er jetzt noch nicht in Betracht ziehen. Und tatsächlich, nach einer Weile hörte er Schritte, die sich langsam auf die Tür zuzubewegen schienen. Erleichtert horchte er und wartete, dass die Tür sich öffnete.
    Mit leisem Knarzen ging die Tür dann tatsächlich auf und ein Priester stand vor ihm. Seine Kleidung wirkte ein wenig mitgenommen, aber das Kreuz um seinen Hals und seine Augen glitzerten auf eine eigentümlich wirkende Art und Weise. „Gott sei gepriesen.“, rief der Gottesdiener förmlich heraus, „Gott sei gepriesen, dass sie noch leben. Ich dachte schon, ich wäre der einzige, der sich hier durchschlagen konnte... Kommen sie, kommen sie, diese Kirche ist sicher.“. Das Seagull durchaus nicht wehrlos war, das ließ er jetzt außen vor. Er konnte nicht jedem sofort seine Waffen zeigen, das konnte unangenehme Fragen nach sich ziehen. Und er wollte Fragen generell, egal welcher Art, vermeiden soweit es ging.
    Das Innere der Kirche war von Staub und Spinnenweben überzogen. Aber da der Priester auch alleine hier zu sein schien, war das kein großes Wunder. Für ein derart kleines Dorf war die Kirche doch überraschend geräumig, ein Indiz, das für jemanden wie Seagull darauf hindeutete, dass diese Siedlung entweder als eine größere konzipiert war, diese Kirche die einzige in einem weiteren Umkreis war oder Teile des Dorfes nicht zu sehen oder sogar ausgelöscht waren. „Entschuldigen sie die Unordnung.“, erklärte der Priester, während er vor Seagull herging, „Aber seitdem dieses... Unglück passiert ist, habe ich wirklich besseres zu tun, als zu putzen. Und meine Putzfrau wurde leider auch von dieser Seuche dahingerafft.“. Seagull nickte. Sein Verdacht bestätigte sich also. „Wissen sie genaueres darüber?“, fragte er an den Priester gewand. Dieser drehte sich nur kurz um. „Nicht hier, wir reden in meinem Büro.“. Diesen Satz hatte Seagull schon zu oft gehört, er hing ihm schon fast zu den Ohren heraus. Aber er nickte nur und folgte dem Priester weiter, der ihn nun hinter den von Spinnenweben verhangenen Altar führte. „Ziehen sie den Kopf ein bisschen ein... Da sind wir.“. Eine Tür knarrte und Seagull stand zu seiner Überraschung in einem vollkommen Staubfreien und aufgeräumten Raum. Es war kein sehr großer Raum, mit etwas Mühe konnten zwischen den Regalen an der Wand und dem Schreibtisch, der am Ende es kleinen Büros hinter einem Erdenfenster stand vielleicht sechs oder sieben Personen Platz finden. Der Raum war in angenehm warmes Licht getaucht und an der Wand hingen Kreuze und Kruzifixe, einige davon schienen sehr alt. „Ich sammele Kruzifixe,“, erklärte der kleine, etwas zerstreut wirkende Mann, „Und Kreuze. Einige hiervon sind über vierhundert Jahre alt.“. Er setzte sich auf einen Stuhl, der hinter den Schreibtisch gezwängt war und nickte Seagull höflich zu. Dieser setzte sich ebenfalls.
    „Nun,“, begann nach einer kleinen Pause der Priester, „Sie fragten mich, ob ich über die Ereignisse hier bescheid weiß. Und ja, das tue ich, wenn auch nicht in allzu genauem Rahmen. Erlauben sie mir, dass ich etwas weiter aushole.“. Seagull nickte, er kannte das. Wenn der Priester hier wirklich so alleine und vermutlich auch in schrecklicher Angst lebte, dann war es nur verständlich, dass er jede Gelegenheit nutzte, um jetzt zu reden. „Es begann vor etwa einem Monat, genaugenommen am 27. Oktober, als der alte Feddersen starb. Er war schon eine lange Weile krank und ich danke Gott, dass er ihn so schnell von seinem Leiden erlöst hat. Aber als ich zum Toten kam, um ihm die heiligen Sterbesakramente zu verleihen, da fiel mir etwas auf... Seine Haut war seltsam eingefallen, wie verschrumpelt, und hatte einen ungesunden, roten Ton. Ich bin medizinisch recht gebildet, aber mir war eine solche Krankheit nicht bekannt. Auch Dr. Reston, der hier in der Nähe lebte und vor der Seuche fliehen konnte, kannte solche Sympthome nicht. Natürlich erzählten wir den Dorfbewohnern nichts davon, damit sie nicht in Panik verfielen, aber ich machte mir doch Sorgen. Insgeheim forschte ich ein wenig nach, aber ich konnte nichts finden. Dann allerdings, eine Woche später, erzähte mir jemand, er habe den alten Feddersen gesehen, wie er über den Friedhof stapfte. Ich wollte ihm natürlich zuerst nicht glauben, aber er beteuerte, er habe es gesehen und so erklärte ich mich schließlich bereit, sein Grab öffnen zu lassen. Es war leer.“. Kurz räusperte sich der Priester, ehe er fortfuhr. „Die Panik, die daraufhin ausbrach, können sie sich sicherlich denken. Viele Leute flohen, darunter auch Dr. Reston, der bei aller Genialität doch jemand ist, der der Wissenschaft zuviel vertraut. Diejenigen von uns, die hierblieben, versuchten natürlich, den alten Feddersen auszumachen, um zu klären, ob er nicht vielleicht nur Scheintot gewesen war, wie man das manchmal hört. Einige kamen zurück, mit schrecklichen Bisswunden. Zwei starben noch in derselben Nacht, die Anderen vegitierten noch eine kurze Zeit und starben dann auch, offensichtlich unter höllischen Schmerzen. Aber was mir wirklich Sorgen bereitete, war das, was sie gesagt hatten: Es waren nur einzelne Wortfetzen, aber sie waren alle mit einer unglaublichen Intensität gesprochen, die mich schaudern ließ. Die Worte lauteten Fedderson, tot, wahnsinnig und Flucht. Und als sie starben, da hatte ihre Haut dieselbe Farbe und Konsistenz, die sie auch beim alten Feddersen gezeigt hatte. Ich war ratlos, ja, ich war schockiert. Offensichtlich handelte es sich hierbei um eine nahezu apokalyptische Seuche, eine Blasphemie, die unser Dorf heimsuchte. Ich war felsenfest überzeugt, nur mein Glaube könnte diese armen Seelen jetzt noch retten... Aber, nunja, sie sehen ja.“. Er brach ab, wirkte jetzt seltsam kraftlos, als hätte er im Verlaufe dieses Gespräches die gesamten Strapazen, die hinter ihm lagen, noch einmal erdulden müssen. Seagull überdachte die Lage. Wenn es tatsächlich so war, wie der Priester ihm geschildert hatte, dann kam dies den schlechten Geschichten, auf denen die Videospiele seines Neffen basierten, doch sehr nahe. Aber der Schrecken, der davon ausging, war nicht gespielt, sondern real. Und es hatte auch eine Möglichkeit, die grausamer war als alles, was diese Spieldesigner sich einfallen lassen konnten: Was, wenn einer der Flüchtlinge infiziert war? Er würde die Seuche verbreiten. Als Söldner wusste Seagull, wie schnell sich tödliche Krankheiten verbreiten konnten, beispielsweise als Teil von biochemischer Kriegsführung. Schnell schüttelte er diesen Gedanken ab. Er musste sich auf das hier und jetzt konzentrieren. „Haben sie irgendeine Ahnung, woher die Krankheit ursprünglich stammen könnte? Der eigentliche Herd sind mit Sicherheit nicht der alte Mann und seine Opfer, das hätte selbst bei einer so kleinen Stadt viel zu lange gedauert, um nur einen Hilferuf an uns abzusenden.“. Der Priester schüttelte den Kopf. „Nein... Es muss eine andere Infektionsquelle geben. Daher mein Hilferuf... Fragen Sie jetzt bitte nicht, woher ich Kontakt zu ihrer Armee habe, das wäre zu lange zu erklären. Ich wusste nur, dass jemand von ihnen hier in der Nähe stationiert ist und daher schnell hier sein würde. Ich möchte sie bitten, nach weiteren Überlebenden zu suchen.“. Seagull zog eine Augenbraue hoch. Andererseits, dachte er, war der Priester kein Soldat und dachte daher vielleicht nicht so strategisch, wie er es gewohnt war. Manchmal war das für ihn schwer einzuschätzen. Er als Söldner würde zuerst sicher gehen, das etwagige andere Infektionsquellen ausgeschaltet waren. Andererseits musste er dem Priester auch irgendwo beipflichten. Menschenleben zu retten hatte normalerweise auf solchen Missionen Vorrang. Sofern diese Menschenleben nicht gefährlich für andere waren, verstand sich.
    Er besprach etwa eine halbe Stunde lang mit dem Priester das weitere Vorgehen. Dieser war sich erstaunlich sicher, dass das Gebäude gegen Zombies sicher war. Und das glaubte Seagull sogar. Vielleicht scheuten sie dieses Gebäude wegen einer Art Überrest ihres Glaubens oder sie trauten sich nicht den Hügel hinauf. Wer wusste das schon? Aber hier war eine Zuflucht und man musste im Krieg jede davon ausnutzen, die man finden konnte.
    Der Plan sah so aus: Seagull würde nach Überlebenden suchen und diese sicher zur Kirche geleiten. Dort würden sie von dem Pastor, den sie alle immerhin persönlich kannten und dem sie vertrauten, in alles notwendige eingeweiht werden. Anschließend würden sie, nachdem die ganze Stadt abgesucht worden war, gemeinsam aus diesem Höllenloch fliehen. Das war der ganze Plan. Seagull verschwieg es dem Priester, aber er würde jeden einzelnen vorher noch gründlich auf eine etwagige Infektion untersuchen und möglicherweise Infizierte töten. So konnte er das Risiko, die Seuche weiter auszubreiten, relativ gering halten. Lieber ein paar kranke Äste abschneiden, als den ganzen Baum verrotten zu lassen.
    Wieder schlich er durch die Stadt, der Fremde, der hier allenfalls nach dem Recht des Stärkeren willkommen war. Aber diesmal war es nicht so, dass Seagull sich solche melodramatischen Szenen nur vorgestellt hatte, sie waren Wirklichkeit. Mit schnellen und geübten Bewegungen blickte der Söldner sich immer wieder um und hielt seine Waffen im Anschlag. Bis er nichts sah, was ihm Sicherheit versprach, hatte er die Waffen lieber im Anschlag. Auch, wenn sie gegen seinen jetztigen Gegner nichts halfen, gaben ihm die beiden Pistolen doch ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Auch das Wissen, noch einige der explosiven Pfeile, „Todesbrummer“, wie sie im Söldnerjargon hießen, zu haben, war eine große Erleichterung für ihn. Ohne diese Waffen wären seine Überlebenschancen weitaus geringer und das hielt er sich permanent vor Augen. Trotz seiner Erleichterung, vorläufig sicher zu sein, durfte er die eigentliche Gefahr nicht aus den Augen verlieren. Wie so oft schon hing alles von ihm ab und Seagull würde diese Last tragen und meistern. Dazu war er ausgebildet worden.
    Die Architektur dieses „Dorfes“ (immer, wenn Seagull dieses Wort für diese Ansammlung von Häusern benutzte, musste er innerlich kurz grinsen) war recht einfach gehalten, was wohl daran lag, dass es ursprünglich zu etwas anderem konzipiert worden war, als immer so klein zu bleiben: Zentral auf dem Hügel lag die Kirche, darum herum war die Stadt in ihre Viertel aufgeteilt. Anhand des Baustils hatte Seagull den Vierteln auch schon Namen gegeben: Die Ansammlung von Wohnhäusern, in denen er sich Anfangs herumgetrieben hatte und wo er auch zum ersten Mal einem Zombie begegnet war, waren die Slums. Hier war der Dreck noch höher als in den anderen Teilen des Dorfes und die Architektur war einfach und zweckmäßig. Umschlossen wurden die Slums von den Fabriken (einfache, große Klötze mit Schornsteinen daran) und dem Einkaufsviertel, in dem sich alle Läden irgendwie nebeneinander aufgereiht hatten, wie Schulkinder, die sich in den ersten Stunden in einem neuen Klassenraum wo sie niemanden kannten einfach zufällig niederließen und darauf hofften, dass man sie alleine ließ. Und gegenüber den Slums lag das zweite Wohnviertel. Die Bezeichnung „nobel“ wäre auch hierfür unangemessen gewesen, es waren dieselben Einheitsbauten, wie Seagull sie von zuhause aus kannte, aber im Vergleich zu der anderen Wohngegend war es hier einigermaßen gepflegt und sauber. Dennoch war auch hier zu sehen, dass seit fast einem Monat niemand mehr hier wirklich lebte. Es war alles vernachlässigt und stank. Bisher hatte Seagull nur einmal eine vergleichbare Leere und Abgeschiedenheit gesehen: Bei einem kleinen Bergdorf in den Anden, das von Terroristen regelrecht leergeschlachtet worden war. Seagull hätte viel darum gegeben, wäre die Situation diesmal so etwas gewesen. Terroristen waren etwas von dem er wusste, dass er damit fertig werden konnte. Außerdem töteten sie ihre Opfer schlimmstenfalls nur oder folterten sie. Was sein jetztiger Gegner mit seinen Opfern anstellte, das war weitaus schlimmer.
    Wenn sein Zeitgefühl ihn nicht trog, dann hatte Seagull jetzt fast zwei Stunden gesucht und immer noch nichts gefunden. Er war streng rational vorgegangen und hatte sich zuerst in der nobleren Wohngegend umgesehen. In Notzeiten fanden sich oft ungewöhnliche Gemeinschaften zusammen und verschanzten sich oft da, wo sie sich am sichersten glaubten. Das gerade dieses Viertel am unsichersten war (zuviele Möglichkeiten für den Gegner, hineinzukommen und nur spärliche Fluchtmöglichkeiten), das fiel vermutlich nur Spezialisten auf. Aber entweder hatten die Bewohner einen solchen Spezialisten unter sich gehabt oder aber sie waren bereits alle zu solchen... Wesen geworden. Seagull betete im Stillen, dass die erste Möglichkeit zutreffen mochte. Aber er wusste, dass dem nicht so sein konnte. Ein Spezialist hätte sich längst um die Evakuierung gekümmert... All diese Gedanken, dass er jetzt eigentlich nur noch nach Leichen suchte, das ließ selbst Seagull erschaudern. Leichen... oder schlimmeres.
    Es waren jetzt mit Sicherheit schon vier Stunden vergangen, seitdem Seagull die Kirche verlassen hatte, aber seitdem hatte er immer noch niemanden gefunden, egal ob tot, lebendig oder Zombie. Die Stadt war wie leergefegt. Aber so langsam, wie diese Zombies sich bewegten, hätte er längst einem über den Weg laufen müssen. Er hatte das Dorf jetzt schon mehrmals durchkämmt, da hätte er eines dieser Wesen treffen müssen. „Denk nach!“ ermahnte er sich selbst. Wenn er nur ziellos herumstromerte, würde er nie weiterkommen. Er musste überlegen... Dann fiel es ihm ein. Sowohl der Mann, den er getötet hatte als auch dessen Leidensgenossen hatten sich in eine bestimmte Richtung bewegt. Das war, zugegeben, ein recht lascher Anhaltspunkt, aber der Einzige, auf den Seagull im Moment aufbauen konnte. Mit hastigen Schritten lief er zurück zum Ortseingang und vollzog von dort noch einmal seinen Weg nach. Die Sonne war mittlerweile schon aufgegangen und dadurch wirkte das Dorf auf seltsame Art und Weise noch toter und verlassener. Die Schatten gaben ihm einen düstereren Anstrich, als die Finsternis das je gekonnt hätte und auch die Orte, wo jetzt Licht war, schienen auf unerklärbare Weise dunkeler. Seagull wertete das als Reaktion seiner überreizten Nerven und marschierte zielstrebig weiter.
    Der Boden war immer noch verklebt vom Eingeweidematsch. Sogar der Schädel des Mannes war noch da. Seagull kannte den Gestank der Toten, aber dennoch konnte er ein Würgen nicht unterdrücken. Dieser Mann roch nach dem, was er war: Schon zu lange tot. Hätte er die Wahl gehabt, dann wäre der Söldner wohl schon längst abgehauen, aber solange er auch nur ein Menschenleben retten konnte, war er durch seine Ehre an diesen Ort gebunden. Jetzt erinnerte er sich wieder, in welche Richtung die Zombies gegangen waren: Die Straße hinunter. Bei ihrem Tempo waren sie trotz der verstrichenen Zeit sicher nicht allzu weit, sodass Seagull sie mit Sicherheit einholen konnte. Was er dann tat, würde er daran messen, ob sie auf Menschen Jagd machten oder einfach nur ziellos umherwankten. Aber solange sie sein einziger Anhaltspunkt waren, blieb ihm eh nichts anderes übrig.
    Obwohl er glaubte, jetzt auf alles gefasst zu sein, war Seagull doch überrascht. Als er der Straße etwa eine Viertelstunde gefolgt war, führte sie in eine Gegend des Dorfes, die er bis dahin nicht gesehen hatte. Es war offensichtlich ein Teil des Fabrikenviertels, überall waren alte, verrotete Maschendrahtzäune, ein hohes Gebäude beherrschte die Sicht und er konnte sogar einen schmutzigen See ausmachen. Er schloss daraus, dass es sich hierbei um die Wasserversorgung handeln musste und bei dem für die Verhältnisse des Ortes doch recht großen Gebäudes um eine Art Kläranlage. Aber was um alles in der Welt hätten Zombies dort zu suchen? Seagull entschloss sich, dem nachzugehen. Mit schnellen Schritten eilte er auf den Eingang der Betonbaute zu, die ihn aus ihren halbverfallenen Fensteraugen böse anzufunkeln schien.
    Kaum hatte er einen Fuß, in das Gebäude gesetzt, prallte er sofort zurück. Sein sechster Sinn hatte angeschlagen. Jahre als Söldner hatten Seagulls Sinne geschärft und einen Sinn freigelegt, den normale Menschen für gewöhnlich nicht hatten oder nicht wahrnahmen, da er zu schwach ausgebildet war. Seagull bezeichnete diesen Sinn oft als „Spinnensinn“, da er tatsächlich so ähnlich funktionierte, wie in Spiderman-Comics. Wenn irgendwo in unmittelbarer Nähe eine riesige Gefahr war, dann schlug er an. Bei den Zombies hatte sein Sinn nicht angeschlagen, da er dieser Gefahr unter Mühen gewachsen war, aber diesmal klingelte sein Sinn im Angesicht einer so riesigen Gefahr, dass selbst er, der beste Söldner der Birdseye Armee, dagegen machtlos war. Als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, schlich er vorsichtig weiter, darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen. Zum Glück war der Raum, den er betreten hatte, scheinbar Eingangshalle und Arbeitsraum in einem, so vollgestelt mit verschiedenen Apparaturen und mit soviel Dreck auf dem Boden, dass er sich ungesehen und ungehört bewegen konnte. Flink wie eine Katze huschte Seagull von Deckung zu Deckung, bis er schließlich fast in der Mitte des Raumes angelangt war. Es handelte sich wirklich um eine Mixtur aus Eingangshalle, Arbeitsraum und Werkkantine, groß genug für ungefähr eineinhalb Fußballfelder und mit hohen, unfreundlichen Fenstern, die jetzt allesamt zerbrochen und dreckverkrustet waren. Solche Gebäude kannte Seagull zur Genüge. Als er kurz hinter einer Kiste hervorguckte, um sich zu vergewissern das niemand ihn sehen konnte, stockte ihm der Atem. „Heilige (da ist ein Wort, dass nicht hergehört und von den Administratoren geändert wurde!)!“, so gab er seine Gedanken später wieder.
    Es war unmöglich zu sagen, wieviele es waren. Sicherlich mehrere hundert und sie standen so eng zusammengepfercht, dass selbst eine Mücke nicht mehr hindurchgepasst hätte. Soweit Seagull es abschätzen konnte, handelte es sich um sämtliche übriggebliebenden Bewohner des Dorfes und sie alle waren zombifiziert. Die Chancen, Überlebende zu finden, war also entgültig bei Null. Aber dennoch blieb Seagull, aller Vernunft zum Trotz. Was um alles in der Welt, fragte er sich, konnten diese Wesen hier wollen? Dann sah er es und alleine das schon entschädigte ihn für all die Mühen, die er auf sich genommen hatte, denn es erklärte das Mysterium, wie soviele Menschen infiziert werden konnten: Genau in der Mitte des Raumes stand ein ungefähr drei Meter hoher Behälter, der rhytmisch brummte. Seagull konnte dieses Gerät als Filter identifizieren, der das Trinkwasser des Dorfes von Rückständen säuberte, ehe es in die Leitungen gepumpt wurde. Zwei Zombies standen mitten auf dem Apparat und sahen hinein, seltsam modulierende Krächzlaute ausstoßend. Dann, urplötzlich, packte der etwas größere Zombie seinen Kumpanen und warf ihn mitten in den Tank. Ein ekelhaftes Platschgeräusch war zu hören und die Zombies johlten. Seagull konnte nur mit Mühe einen Würgereiz unterdrücken. Das war es also. Diese Biester hatten die Trinkwasserversorgung vergiftet. Sie hatten sämtliche Menschen infiziert, die vom Trinkwasser aus dem See abhängig waren. Und die Kirche hatte vermutlich einen seperaten Anschluss oder war auf einen anderen Filter angewiesen, jedenfalls war sie gerade deswegen sicher und der Priester der einzige, der nicht infiziert war. Das ergab Sinn. So schnell, wie es irgendwie ging, entfernte sich Seagull aus der Kläranlage und hastete zurück zur Kirche.

    „Da bist du wieder, mein Sohn.“. Der Priester klang ehrlich erfreut, Seagull zu sehen. „Setz dich... Konntest du jemanden finden?“. Der Söldner schüttelte den Kopf. „Nein. Und ich werde auch niemanden mehr finden. Sie sind alle tot. Nur noch sie und ich leben hier in diesem Kaff und wir sollten uns schleunigst daran machen, zu verschwinden, bevor wir auch noch getötet werden.“. Es gab keinen Grund mehr, um den heißen Brei herumzureden. Jetzt war es soweit. „Ich verstehe...“. Die Miene des Priesters war steinhart. „Aber trink erstmal einen Schluck Wasser, mein Sohn, du musst erschöpft sein.“. Mit steifen Bewegungen nahm der Priester einen goldenen Kelch, füllte diesen mit Wasser aus dem Hahn und stellte ihn vor Seagull auf die polierte Tischplatte. „Gläser habe ich leider nicht, aber in diesem Falle wirst du wohl darüber hinwegsehen können, denke ich.“. Das Lächeln des Gottesmannes wirkte ein wenig verlegen. Seagull sah seinem Gegenüber tief in die grauen, seltsam mitleidigen Augen. Dann sah er auf das Wasser, das im Kelch noch leicht zitterte. Kaum sichtbar, aber für Seagull doch deutlich zu sehen, schwammen Fetzen darin. Langsam erhob der Söldner sich und fixierte dabei immer noch seinen Gesprächspartner. Dann zog er seine Waffe und schoss dem Wahnsinnigen in den Kopf.

    „Chief? Seagull hier. Ich möchte mich nicht mit langen Erklärungen aufhalten, sondern gleich zur Sache kommen: Bomb das Dorf, in das du mich geschickt hast, in Schutt und Asche.“. Er war wieder in sendendem Gebiet. Alle paar Schritte hatte er es probiert und war erleichtert gewesen, als es endlich geklappt hatte. „Okay, Seagull, ich vertraue deinem Wort. Hast du endlich mal einen Gegner gefunden, der dir über ist?“. „Leck mich.“, antwortete Seagull.



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