Unser Afghanistan

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    Re: Unser Afghanistan

    Odessa - 12.07.2005, 06:51

    Unser Afghanistan
    Liebe Miri,
    nachdem Du mich gestern gefragt hattest, ob Du den thread von mir weiterführen darfst...möchte ich ihn Dir quasi "schenken". Es freut mich sehr, wenn er durch Dich weiterlebt.

    Alles Liebe Dir, und ich freue mich sehr wenn wir uns - bald? - auch mal hören und sehen :D



    Re: Unser Afghanistan

    Odessa - 12.07.2005, 06:52


    Er heißt Hewad. Er kommt aus Kabul. Er lebt dort, an wenigen Tagen in der Woche. Er hat dort ab und an Internetzugang. Und er besucht das gleiche Forum wie ich. Schreibt mir seit wenigen Wochen emails. Vertraut, offen, neugierig auf das, was "die Frau im Westen" von ihm hält. Von seinem Land hält. Austausch.

    In gutem Englisch erzählt er mir von seinem Leben. Wie es einige meiner afghanischen Freunde, die hier leben, im sicheren Deutschland, auch tun. Geschichten aus einem Leben voller Krieg, voller Angst, voller Terror - und trotzdem so voller Lebensfreude und Hoffnung.

    Afghanistan ist für mich, wie auch der Iran, ein Land, das mich immer beschäftigte. Die Menschen, die ich, Halbaraberin, kulturell und mentalitätsbedingt als nahestehend empfinde. Die mir vertraut sind. Und im Falle Afghanistan´s doch manchmal so fern. Ein rauhes Land, ein rauhes Volk. Stammesdenken und Clans. Patriarchalische Traditionen, den arabischen verwandt und doch so viel härter. Vor allem für die Frauen. Über sie, aber auch über die Männer und Kinder dieses Landes, möchte ich schreiben....ein Tagebuch aus einem fernen Land, das eigentlich das Tagebuch einer virtuellen Freundschaft ist...


    Meine Heimat

    Wenn mich jemand fragt, woher ich komme
    Dann antworte ich:
    Ich komme aus einem Land das tiefe Wunden in sich birgt,
    Wunden die nicht heilen wollen.
    Weit weg von hier, hinter den Bergen Hindukushs,
    in einem schönen Tal, im Herzen Asiens.

    Einst, eine Stadt aus tausend und einer Nacht.
    Nun eine Stadt, wo die Menschen das Wort Frieden
    nicht mehr kennen.
    Und sagen:
    Frieden ist ein Ort, fernab von hier
    Frieden ist ein Wort, uns nicht geläufig
    Frieden ist ein Wunsch, geschrieben in den Sternen.
    Frieden ist ein Traum, der nicht wahr wird
    Frieden ist ein Wind, der hier nicht weht...

    In meinem Land sind die Augen voller Tränen
    In den Augen der Menschen verbirgt sich das Elend des Krieges
    Ihre Augen sind ein Spiegel der Zeit, die nicht vergessen.
    Eine Zeit, die schlimmer hätte nicht kommen können
    Eine Zeit, in der der Tod allgegenwärtig war
    Eine Zeit ohne Erbarmen, ohne Rücksicht, ohne Gefühle
    Eine Zeit voller Trauer, voller Leid, voller Schmerz

    Ich komme aus dem Land der Minen
    Wo man Blumen nicht kennt
    Ich komme aus dem Land der Krüppel
    Wo man das Lachen nicht sieht
    Ich komme aus dem Land der Weisen
    Wo man Freude vermisst

    Ich komme aus dem Land des Feuers
    In dem kein Fluss mehr fließt...

    (von Framorz Nazemi, zur Zeit der Talibanherrschaft)



    Re: Unser Afghanistan

    Odessa - 12.07.2005, 06:53


    Afghanistan ist ein Binnenland mit strategischer Bedeutung in der Region. Das Land ist größtenteils Gebirgsland. Weniger als 10 % der Landesfläche liegen unterhalb von 600 m. Die Gebirge des Hindukusch (bis 7.500 m Höhe) und des Sefid Kuh erstrecken sich über weite Teile des 652.090 km² großen Landes. Größere Städte sind Kabul (2,1 Mill. Ew.), Kandahar (339.200), Mazar-e-Sharif (239.800), Herat (166.600), Dschalalabad (158.800) und Kundus (118.000).

    Hewad schrieb mir, daß er die Berge so liebt. Ich schrieb ihm, daß ich hier auch Berge habe. Sehr hohe, schneebedeckt das ganze Jahr über. Ich schickte ihm Fotos via email und er war begeistert.

    Sein Bild von Deutschland ist das Bild eines Landes, in dem es nur hohe graue Häuser gibt. Kastenförmige, graue Häuser an lauten grauen Straßen. Mit schönen großen Wohnungen, wo die Menschen TV schauen und Gefrierschränke haben und wo jedes Kind schon einen PC hat und ein eigenes Telefon, das "cell". Wohnungen, in denen geheizt wird "elektrisch", "automatisch", das englische Wort für Zentralheizung weiß er nicht (ich auch nicht) - aber ich lese ohnehin mehr "zwischen seinen Worten"...

    Spüre die völlig neidlos, von Herzen aufrichtige Neugier, die er empfindet. Er weiß viel vom Westen. Er war auch schon in Pakistan, zu Zeiten seines Studiums, und hatte dort viele "europäische" Zeitschriften gesehen, und Bilder im Fernsehen, traf auch einige Deutsche und Engländer, die dort leben. Er unterhielt sich gerne mit ihnen, er kann auch einige Sätze in Deutsch. Wieder bin ich überrascht, wie diese Menschen es spielend lernen, in unserer Schrift zu schreiben, unsere Sprachen zu sprechen. Es fliegt ihnen zu, in wenigen Monaten, als wäre ihnen dieses Sprach- und Schreibtalent angeboren.

    Während ich Hewad schreibe, daß bei uns die Leute Skifahren auf dem Schnee und es ein Freizeitvergnügen und "Sport" ist, frage ich mich zweifelnd wie bizarr ihm das erscheinen muß - er, dessen Familie keinen "Sport" braucht, um "fit" zu bleiben. Das Alltagsleben ist Überlebenskampf und "Bewegung" genug.

    Ich beende meine email an ihn und höre die Spätnachrichten. Die Deutschen jammern. Mal wieder. Oder immer noch. In warmen Wohnungen sitzend, mit Heizung und fließend warmem und kaltem Wasser oder gar in Eigenheimen sitzend, zwei Mittelklassewägen in der Garage, 3 mal jährlich den Flieger nach "Fernost" oder "in den nahen Süden" besteigend und den nächsten Arzt, das nächste Krankenhaus, nur 500 Meter entfernt von der Wohnungstüre, beklagen sie, vor vollen Tellern sitzend und teure Zigaretten rauchend und noch teureren Alkohol konsumierend, ihre gar bitterliche Armut.

    Wer in Afghanistan arm ist, hat kein Dach über dem Kopf, ist auf Almosen von Fremden oder der Familie angewiesen, bekommt eine Schüssel Reis, mit viel Glück, und hat - wohnt er in den schneeigen Bergen - vielleicht noch das Glück, Stiefel oder zumindest 3 Paar warme Hosen übereinander tragen zu können. Ist man krank, kann es Tagesmärsche "dauern", bis man zu einem Arzt kommt. Zu einem Roter Halbmond/Rotes Kreuz-Lager, in dem man versorgt wird.

    Ich schäme mich dafür, selbst oft zu jammern. Mich zu beklagen, daß ich dieses und jenes nicht habe. Daß ich gestern wütend wurde, weil ich nicht mehr als 150 Euro für einen Schreibtisch ausgeben konnte. Weil ich 6 km bis zum nächsten Supermarkt habe. Den Weg, den in Afghanistan´s Dörfern die Kinder täglich zurücklegen, nur um zur nächsten Wasserquelle zu kommen, oder zur nächsten Schule....

    Ich kann viel von Hewad lernen. Demut und Bescheidenheit. Dinge, die ich oft - hier, in diesem reichen Land sitzend - vergesse...



    Re: Unser Afghanistan

    Odessa - 12.07.2005, 06:55


    ...und soeben (orig. 9.3.05) eine Reportage auf "Arte", meinem Lieblingssender... über Frauen in Afghanistan - "Der Garten der Frauen".

    Auch nach dem Taliban-Regime ist es Frauen in Afghanistan nicht möglich, ein normales Leben zu führen. Einigen wenigen von ihnen ist es möglich (aber auch nur in Kabul, der "modernen Großstadt"), in einem "Garten", einem geschützten Gebäude, unter "sich" zu sein. Mit anderen Frauen Englisch zu lernen.

    Zum ersten Mal, für Viele von ihnen, das Haus zu verlassen - ohne Mann, Vater, Bruder, "Wachhund" männlicher Art, dabei. Sie lernen Englisch, da die einzigen Institutionen, die Arbeitskräfte einstellen, ausländische (über die UNO etc.) Firmen und Organisationen sind. Sie wollen arbeiten, um ein bißchen freier zu sein. Sie wollen arbeiten, um ihre Kinder "durchzubringen". Sie wollen Englisch lernen, nur um für 2 oder 3 Stunden am Tag vor der Hölle der Ehen, der Schwiegerfamilien, der eigenen Familien, zu fliehen. Und nur wenigen gelingt es.

    Den wenigen, die "privilegiert" sind und in Kabul wohnen. Und deren Männer oder Väter oder Brüder sie aus dem Haus lassen, um sich mit anderen Frauen in einem bewachten Gebäude, wo sich nur Frauen aufhalten, zu treffen...

    Darüber will Hewad nicht sprechen. Schon vor 4 Tagen schrieb ich ihm, daß ich über seine weiblichen Angehörigen mehr wissen möchte. Seine Antwort war "This is not your business, Fatima".

    Über Frauen spricht man in Afghanistan nicht. Frauen durfte man nicht einmal hören. Nicht sprechen, nicht lachen, nicht existieren.

    Schattenfrauen.

    Mehr darüber, wenn ich diese Reportage verdaut habe. Und den wunderbaren Film "Rachida" gesehen habe, der im Moment läuft, ebenfalls auf "Arte"... ein algerischer Film, über eine algerische Frau....

    Der Tag der Frau, mit einem Tag Verspätung. Womit wir "hier" fast schon orientalische Zeit-Maße hätten...



    Afghanistan

    In Herat, in Afghanistan
    zünden sich die Frauen an.
    Sich vorzustellen, in dieser Zeit
    sie haben keine andere Möglichkeit
    dem Leben in Gefangenschaft zu entflieh’n
    sich den Grausamkeiten der Männer zu entzieh’n.

    Die Männer, vorgelebt von ihren Vätern
    werden durch Tradition zu Tätern

    Aus Angst, aus Scham und aus Verzweiflung
    greifen Frauen zu Streichhölzer und Petroleum
    Auch Mädchen haben es schon getan
    ihren Körper zündeten sie an.

    Ehre wird dort groß geschrieben
    nur nicht das Gesicht verlieren.

    Mehr als hundertfünfzig Frauen
    eine Zahl man kann’s kaum glauben
    steckten sich im ersten Halbjahr selber in Brand
    kein Ende dieser Wahnsinn fand.

    Andere schluckten Nadeln und Glas
    es gab für sie niemals Lachen und Spass
    Selbstmorde werden verschwiegen
    man will der Schande nicht unterliegen.

    Hoffnung kennen diese Frauen nicht
    wo ist da Gottes Gericht?
    Die Herrschaft von sieben Jahren Taliban
    sieht man den Frauen in ihren Gesichtern an.

    Es flüchten sich viele von ihnen in den Tod
    vorbei ist dann die Angst, die Schande und ihre Not.
    Wir lassen weiterhin zu in dieser Zeit
    Hunger und Krieg, Elend und Leid
    und schauen immer noch fort
    es passiert ja nicht in unserem Ort

    (Autorin: Christa Krt 2004)



    Re: Unser Afghanistan

    Odessa - 12.07.2005, 06:58


    Iranisch-kurdisch-afghanisches Neujahrfest: Newroz

    Auf unserem Globus wird das Neujahr zu verschiedenen Zeiten gefeiert. Vermutlich hat das Volk Israel vor 6000 Mondjahren (ca. 3760 Jahren vor der gregorianischen Zeitrechnung) Neujahr gefeiert. Manche behaupteten, dass in vorgeschichtlicher Zeit ein Mondjahr = ein Monat gerechnet wurde.

    Der islamische Kalender wird wie der jüdische nach dem Mondzyklus berechnet, jedoch beginnt die Zeitrechnung ab der Pilgerfahrt des Propheten Mohammed vor 1425 Mondjahren (mit 355 Tagen gerechnet). Der Frühlingsanfang, in Schaltjahren am 20., sonst am 21. März, ist der 1.1. des Sonnenjahrs mit 365, in Schaltjahren mit 366 Tagen, dessen Jahreszahl ebenfalls nach der Pilgerfahrt des Propheten Mohammed gerechnet wird. Die zentralasiatischen Völker mit div. islamischen Glaubensrichtungen feiern daher zwei Mal Neujahr: nämlich das Ende des innerhalb des Sonnenjahres beweglichen Mondjahres und den Anfang des Sonnenjahrs, der stets mit dem Frühlingsanfang am 20. bzw. 21. März des gregorianischen Sonnenjahres zelebriert wird.

    Newroz (oder Nauroz) wird überwiegend an Berghängen, oft neben Friedhöfen, gefeiert. Die Märchenerzähler tragen Geschichten vor. Da gibt es Kinderspielzeug und bunte Eier, Süßigkeiten und diverse Spiele. Auf offenen Feuern kochen die Mädchen die ganze Nacht Samanak (Süßspeise aus Keimlingen), singen Lieder und spielen Tamburin.

    (Quelle: www.afghan-aid.de)

    Ich vermisse es, heute feiern zu können. Bei persischem oder arabischem Essen, bei Bauchtanzmusik und iranischen Liedern, mit den Geschichten aus 1001 Nacht, erzählt von Menschen die mich lieben, die ich liebe... So viele sind nicht mehr hier, sind in die Heimat zurück. So viele sind in München, was heute unerreichbar ist für mich, da ich keine 2 Minuten sitzen, geschweige denn Auto- oder Zugfahren kann. Und ich kann nicht 60 Leute einladen, in meine 40qm-Wohnung, um mein Bett herum "versammelt" ....

    Oder kann ich? Ein Anruf, und von 60 Leuten werden mindestens 45 binnen 3 Stunden hier sein.... Spontaneität. Füreinander da sein. Zusammenhalt. Blut ist dicker als Wasser. Und dicker als Schmerzmittel. Auch das liebe ich so an meinem Volk....


    Danke, Carcas, für die lieben Wünsche heute. Ich wünsche auch Dir und Deiner Familie ein glückliches neues Jahr, "happy Nauroz-Day", auf neudeutsch-d/englisch


    (orig. 20./21.3.05)



    Re: Unser Afghanistan

    Carcas - 12.07.2005, 22:25


    Danke dir, das ist lieb :)


    ...Meine Sicht auf ein Land so fern von hier und doch seit meinen ersten Atemzügen ein fester Bestandteil meiner Seele...

    Mein Vater kam hier nach Deutschland vor fünfundzwanzig Jahren, lange noch vor meiner Geburt. Den einzigen Menschen den er kannte war ein entfernter Verwandter. Er konnte kein einziges Wort Englisch, geschweige denn Deutsch. Er hatte kein Geld...nichts...doch er hatte einen erstaunlichen Mut in seinem Herzen, Lebensmut. Den Mut seine Heimat, Kabul, zu verlassen, als jüngstes von neun Geschwistern, den Mut sein Studium abzubrechen als die ersten Tumulte des Bürgerkriegs ausbrachen.
    Den Mut als junger Mann das Haus seiner Eltern hinter sich zu lassen und mit ihm all die Wärme und die Farben die dieses Land bot um in ein Land zu ziehen von dem er nie zuvor gehört hatte.
    In seiner Heimat war er Offizier, er wollte Lehrer an der Militätakademie werden, dennoch entschloss er sich, sich nicht an den Kämpfen zu beteiligen sondern ein paar wenige Sachen zu packen und wegzulaufen...

    Und er schaffte es...sein Studium wurde hier in Deutschland nicht anerkannt und er begann von vorn...
    Er verbrachte seine Tage in der Unibibliothek und brachte sich selbst eine fremde Sprache bei. Er hatte so viel Ehrgeiz. Obwohl er sein Haus verließ um in einer winzigen Studentenbude ohne Decke auf dem Bett unterzukommen, war er glücklich darüber, glücklich überhaupt noch zu leben.

    Später, nach und nach, als er meine Mutter geheiratet hatte und versuchte sein eigenes Geld zu verdienen half er seinen Geschwistern zu flüchten...
    Er war die einzige Hoffnung für all die zurückgebliebenen, nicht nur durch Geld, auch durch endlose Telefonate, nervaufreibende Dispute mit allen erdenklichen Behörden und Gefängnissen. Er war immer der Seelsorger für sie, derjenige an den sie sich alle wenden konnten...

    So ging es all die Jahre...nur in den letzten Jahren ist es stiller geworden um seine Familie...

    Früher, noch bevor ich in den Kindergarten kam, beherrschte ich diese Sprache wie meine Muttersprache...jeden Abend erzählte mir mein Vater die Geschichte einer kleinen Ziege die ihre Mutter suchte. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran, sie muss etwa so ähnlich gewesen sein wie "der Wolf und die sieben Geißlein". Doch damals konnte ich diese Geschichte auswendig, ich verbesserte meinen Vater wenn er winzige Teile vergaß oder veränderte.
    Ich fühlte mich immer wohl wenn seine Familie zu Besuch war. Wir saßen auf dem Boden und in der Mitte zwischen uns stand eine riesige Platte Reis, mal weisser, mal brauner, mal mit Rosinen und Möhrenstückchen, mal in Suppe gekocht.
    Mein Vater hat früher so gern von seiner Heimat erzählt, viel mehr als heute, heute hört ihm niemand mehr zu, das denkt er zumindest. Ich habe immer gelauscht wenn er berichtete von den Tieren die sie hinter dem Haus hielten, von seiner Mutter die im Dienste des Königs arbeitete...damals, als es noch einen König gab...
    Als es noch Gerichtigkeit gab, als die Zeiten noch friedlich waren, als der Krieg genauso weit entfernt war wie er es von uns heute ist.
    Ich saß im Winter mit ihm auf der Heizung, wir haben zusammen die Kerne der Granatäpfel herausgepult, er erzählte, dass es nahe den Bergen so viel kälter war als hier. Das es im Sommer so warm war und die Granatäpfel frisch waren und keine Tausend Kilometer Transport hinter sich hatten.

    Es tut weh daran zu denken, es treibt mir die Tränen in die Augen...seltsam, denke ich mir, wo ich dieses Land doch nie erblickt habe, es sei denn in Fernsehreportagen die nicht viel mehr zeigten als Unmengen von Staub, Ruinen und Flüchtenden Menschen.

    Von meinem Vater erbte ich die dunkle Haut, die dunklen Haare und die braunen Augen..doch ich erbte noch so viel mehr von ihm...die Sturheit und auch die Hitzköpfigkeit aber vor allem den Stolz der tief in mir verankert ist...


    Eines Tages...wenn das Land zu neuem Leben erwacht ist, werde ich es besuchen und mir all das ansehen, was ich als Bild in mir trage.


    (Orig. vom 7.3.05)



    Re: Unser Afghanistan

    Carcas - 12.07.2005, 22:38


    Granatäpfel

    Ich sehe aus der Fensterscheibe des fahrenden Autos. Sehe Nichts, nur andere Autos, ein paar Bäume, ein paar Menschen. Alles ist grau, so grau, es hat geregnet. Du schweigst. Die Sonnenbrille verdeckt deine Augen, während du neben mir sitzt. So starr. Ich bin froh dass die Musik läuft, eine dumme Ablenkung von den unausgesprochenen Worten die in mir stecken. Ein Kloß sitzt in meinem Hals. Wir haben uns nichts mehr zu sagen. Es tut mir so leid. Ich fühle mich nicht wohl, wenn du so neben mir sitzt, nachdenkend.
    Eben noch hast du geweint. Ich habe die Tränen gesehen. Habe gesehen, wie die lustigen blauen Augen feucht wurden. Habe gesehen, wie eine Träne sich ihren Weg bahnte. Du wolltest es verstecken, nicht wahr? Wir saßen beisammen, mein Bruder und ich und haben uns alte Bilder angeschaut. Haben gelacht, wie lächerlich wir doch auf manchen aussahen, wie klein wir waren, wie viel niedlicher als jetzt. Das seltsame rote Kleid mit den gelben Blumen, das ich zu den blauen Schuhen trug, die viel zu große Mütze die er auf dem Kopf hatte. Oft hat er mich gefragt, wer auf dem Bild zu sehen sei. Ich kann mich noch recht gut an damals erinnern.

    Bis wir auf die Bilder von Papa gestoßen sind. Es sind nur wenige, weit weniger als unsere Kinderfotos. Sie liegen beisammen, ganz ohne Umschlag.
    Alte, vergilbte schwarz-weiß Bilder aus seiner Heimat. Weit entfernt. Außerhalb unserer Reichweite. Er, als jüngstes von neun Geschwistern, wie er ohne Hose in der Sonne steht. Sonnenschein, der nur zu erahnen ist, durch das leicht ins gelbliche gehende Bild. An der Hand einer seiner größeren Schwester steht er da. Seine älteste Schwester, die schon Kinder hat die älter sind als er. Seine Mutter im weißen Kopftuch, so ein ernstes Gesicht macht sie. Sein Vater in Uniform.
    Wie fern mir immer der Gedanke war, wenn Papa sagte es wären unsere Großeltern. Für uns Kinder gab es immer nur eine Oma, einen Opa. Deine Eltern. Wie sollte es auch anders in die Kinderköpfe gehen, wir hatten Papas Eltern doch nie kennen gelernt, mit deinen dagegen sind wir im selben Haus aufgewachsen.
    Dennoch habe ich immer gern zugehört wenn er erzählt hat, von seinen Reisen durch die Wüstenlandschaft, von dem blühenden Garten hinter dem Steinhaus, in dem die Trauben saftig wuchsen. Nicht wie bei uns, wo sein Versuch Trauben anzupflanzen gescheitert ist, es blieben nur winzige, schrumpelige Früchte, der Boden zu hart, zuviel Regen.
    Von den Vögeln, die sein Vater und sein Onkel gehalten haben, Tauben, Sittiche, hat er oft erzählt.
    Kabul in der Zeit, in der die ersten Kinos geöffnet wurden. Die Hauptstadt. Und damals sehr fortschrittlich, auch für unsere Verhältnisse. Damals, bevor alles zerstört wurde.
    Auch vom Tode seine Vaters, er ist gestorben als er gerade sechs Jahre alt war. Niemand hat ihm gesagt, was geschehen ist. Niemand hat ihn getröstet. Sein Onkel hat ihn sogar noch aus dem Haus geschickt. Allein. Wie er irgendwann von selbst begriffen hat, dass sein Vater nicht mehr lebt. Seine Mutter musste dann allein für die Kinder sorgen, hatte keine Zeit mehr sich außer dem Wichtigsten noch mehr um die Geschwister zu kümmern. Sie hat nicht mit ihnen gespielt, wie du und Papa mit mir gespielt habt.

    Auch du lauschst Papas Geschichten immer sehr aufmerksam, stellst Fragen, selbst wenn es unangebracht ist, die einen fast in den Wahnsinn treiben. Aber es ist nun mal deine Angewohnheit in Kleinigkeiten herumzustochern.
    Noch ein letztes Bild seines Vaters, mit zwei Freunden, ebenfalls in Uniformen. Sie stehen beieinander, lachen, geben sich die Hände. Verblichen. Wasserflecken, die die Gesichter unerkenntlich machen.
    Hinten auf dem kleinen Foto stehen Worte seines Vaters, meines Großvaters. Die Schrift sieht aus wie aufgemalt. Dass ist sie nicht. Ich kann es nicht lesen, frage Papa was dort stehen mag. Er nimmt das Bild in die rauen Hände, runzelt die Stirn ein wenig. Es sei ein Gedicht, sagt er. Ich will es genauer wissen. Es fällt ihm schwer es zu übersetzen.
    Es handelt von einem Granatapfel. Nach außen hin ist er rot, leuchtet, lacht. Der Granatapfel. Im Inneren blutet er, doch niemand sieht es. Jeder blickt nur auf das schöne Äußere. Wie den lachenden Granatapfel sieht man auf diesem Bild nur lachende Gesichter. Und nicht dass, was in den drei Freunden vorgeht, nicht dass, was sie fühlen. Fotos sind nur Momentaufnahmen, keine Spiegel der damaligen Zeit, der Gegend, dem Inneren der Menschen.
    Niemand hat in ihre Seele geblickt.

    Das war der Moment in dem du zu weinen begonnen hast…und auch wenn du es nicht ahnen magst, ich weiß warum. Weil das Gedicht genau ausdrückt was in dir vorgeht.
    Du lachst, lachst für uns, lachst für Papa. Immerzu strahlen deine Augen. Oft ist das Lachen so schallend und laut, dass ich dich dafür hasse. Es ertönt immer wenn es am wenigstens angebracht ist. Es ist so unecht. Einmal habe ich dir gesagt, dass ich dich nicht retten würde, wenn du an diesem Lachen erstickst. Du hast nur noch schallender gelacht. Aber ich meinte es ernst. Denn ich weiß wie dein wahres Lachen klingt. Viel sanfter, nicht so aufgesetzt. Das Lachen, was du früher hattest. Ich würde es gern wieder hören. Du bist es die uns alle zusammenhält. Du bist es die sich anstrengt, damit auch wir lachen können. Manchmal.
    Doch im Augenblick sitzt du nur schweigend neben mir, wünschst dir vielleicht ein anderes Leben führen zu können.

    Geh in den Garten wo die Granatäpfel blühen
    Schau wie sie lachen in ihrem leuchtend’ Rot
    Ein Lächeln, ein Leuchten
    Doch siehst du nicht ihr Inneres
    Ihr blutrotes Herz



    Für mich wird Afghanistan immer das Land der Granatäpfel sein.



    Re: Unser Afghanistan

    SklaveDerAngst - 12.07.2005, 23:11


    Könnt Texte von dir ewig weiter lesen. Nun wo es um persönliche Erlebnisse geht ist es noch viel intensiver... dieser Drang immer mehr zu erfahren.. aus diesem weiten Land... von deiner Familie... würd so gern noch viel mehr von dir erfahren.
    Hab dich so gern



    Re: Unser Afghanistan

    Odessa - 13.07.2005, 08:41


    Dem kann ich mich nur anschließen. Carcas schreibt ganz wunderbar, es ist alles so authentisch, so intensiv, und doch so "klar" und pur...

    Danke dafür....

    Meine Länder, mein Arabien, mein Kurdistan, mein Italien, mein Rußland...sie alle sind Teil von mir, mit all den Menschen darin und "darum"... Es prägt das Selbst.



    Re: Unser Afghanistan

    John.Coffey - 20.07.2005, 22:28


    Werf Dir einen großen Stoff über
    Deinen Kopf und Deinen ganzen Körper!
    Deine Umwelt siehst Du eingeschränkt
    durch ein Gitter im Stoff.
    Schau Dich im Spiegel an -
    Deine unpersönliche Gestalt.
    Deine Persönlichkeit wird Dir
    äußerlich genommen.

    Du hast kein Recht auf Bildung, Arbeit,
    Öffentlichkeit, Medien.
    Deine Persönlichkeit wird Dir
    innerlich genommen.

    Deine Zukunft auch


    Chronologie der Ereignisse


    Anfang November 1998 gibt die Menschenrechtsorgansiation Human Rights Watch an, daß die Taliban-Miliz bei der Einnahme der Stadt Masar-i-Scharif im August rund 2.000 ZivilistInnen ermordete. Die männlichen Angehörigen der Hazara-Volksgruppe wurden demnach "systematisch ermordet". Die streng sunnitischen Taliban gingen von Haus zu Haus und holten alle schiitischen Männer und Jungen heraus. Dann wurden sie kurzerhand erschossen. Häufig wurden die Opfer zunächst aufgefordert, sunnitische Verse aufzusagen, um zu beweisen, daß sie keine Schiiten sind. Viele Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt und mißbraucht.
    Tausende Menschen wurden festgenommen. Zunächst wurden die Gefangenen in das völlig überfüllte Gefängnis der Stadt eingepfercht, später auf verschiedene Städte verteilt. Dorthin transportiert wurden sie in großen Containerlastern. In mindestens einem Fall sind fast alle Insassen eines solchen Transportes erstickt oder an Hitze in dem Container gestorben. Ende Oktober 1998 sind noch rund 4.500 Männer aus Masar-i-Scharif weiterhin in etlichen Taliban-Gefängnissen in Haft.
    Die Menschenrechtsorganisation forderte den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, eine genaue Untersuchung über das Massaker vorzunehmen.

    Anfang September 1998 wirft die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) den Taliban-Milizen in Afghanistan vor, nach der Eroberung eines Stützpunkts oppositioneller Gruppen mehrere tausend schiitische ZivilistInnen ermordet zu haben. Dabei sollen Anfang August auch zehn iranische Diplomaten und ein Journalist umgekommen sein. Die Leichen wurden anschließend in einem Massengrab in einer Mädchenschule beigesetzt. Außerdem hätten die Milizen Kinder und ältere Männer getötet, die der dem Iran verbundenen schiitischen Minderheitsgruppe angehörten. Die jüngeren Männer und Frauen wurden entführt.

    Ende August 1998 forderte der Weltsicherheitsrat einstimmig alle beteiligten Parteien in Afghanistan zur Einstellung der Kämpfe und zur Wiederaufnahme von Verhandlungen ohne Vorbedingungen auf. In einer einstimmig verabschiedeten Resolution heißt es, die afghanische Krise könne nur durch friedliche Mittel beigelegt werden. Jede ausländische Einmischung müsse sofort aufhören. Dazu gehöre das Eingreifen ausländischer Militärs und die Lieferung von Waffen und Munition. Der Konflikt in Afghanistan bedrohe zunehmend regional und international den Frieden und die Sicherheit. Der Sicherheitsrat verurteilte die Attacken auf UN-Personal in Afghanistan, bei denen drei UN-Mitarbeiter getötet wurden. Besonders die Taliban wurden dringend aufgefordert, die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen zu erleichtern. Besorgt äußerte sich der Sicherheitsrat über Terroristen auf afghanischem Gebiet und über die Produktion von und den Handel mit Drogen. Kritisiert wurde wiederholt die anhaltende Diskriminierung von Frauen und Mädchen.

    Am 05. August 1998 haben die Taliban zum ersten Mal in Gefechten Kampfflugzeuge eingesetzt. Die Flieger bombardierten gegnerische Stellungen in Nordafghanistan. Mit Beginn des Monats rückten die Taliban von Westen und Osten auf die aus drei Parteien bestehende Nordallianz zu. Neben den Kampfflugzeugen kommen schwere Artillerie und Panzer zum Einsatz. Die Talibangegner halten nur noch eine wichtige Stadt (Mazar-e-Sharif). Das Internationale Kreuz hat bereits seine acht Mitarbeiter aus der Stadt abgezogen.

    Anfang August 1998 legte die US-Organisation "Ärzte für Menschenrechte" in Washington einen Bericht vor, demnach seit der Machtergreifung der Taliban 71 Prozent der afghanischen Frauen unter körperlichen und 81 Prozent unter psychischen Beschwerden leiden würden. Frauen müssen mit Schlägen rechnen, sobald sie sich auf die Straßen wagten. 69 Prozent der befragten Frauen wurden schon einmal von der Polizei oder Sicherheitskraften festgenommen, weil sie angeblich gegen die Bekleidungsvorschriften verstießen. Befragt wurden 160 afghanische Frauen, die in Kabul leben oder nach Pakistan geflüchtet waren.

    Ende Juli 1998 ordnete das "Ministerium zur Erhaltung der Tugend und Unterdrückung des Lasters" an, daß neugeborenen Kindern islamische Namen zu geben sind. "Lasterhafte" Namen sind nicht-arabische Namen.

    Am 22. Juli 1998 verkündete die UNO, daß seitens der UNO alle Hilfsleistungen für Afghanistan bis auf die "lebensnotwendige Hilfe" eingeschränkt werden. Damit reagiert die UNO nach der EU auf die Ausweisung aller regierungsunabhängigen Organisationen aus Kabul durch die radikal-fundamentalistischen Taliban-Milizen. Taliban-Kämpfer hatten in den vergangenen Tagen mehrere Büros der Hilfsorganistaionen gestürmt und die MitarbeiterInnen zur Ausreise gezwungen.

    Am 14. Juli 1998 verurteilte der UN-Sicherheitsrat die Waffenlieferungen an Afghanistan.
    Der Sicherheitsrat nennt namentlich keine Waffenexportländer, aber Nachbarland Pakistan gilt als Rüstungslieferant der Taliban, während die Nachbarländer Usbekistan und Iran die taliban-gegnerischen Gruppen unterstützen.
    Immer wieder gibt es Schwierigkeiten in der Arbeit der Hilfsorganisationen:
    - Zwei Afghanen wurden entführt und ermordet aufgefunden. Sie arbeiteten für eine UN-Hilfsgruppe.
    - Die Taliban forderten von den UN-Hilfsorganisationen in Kabul in ein Gebäude umzuziehen, das weder über Strom, noch Wasser oder Fenster verfügt.
    - Die Taliban werfen den Hilfsorganisationen politische Aktivitäten vor, die "mitihrem Status unvereinbar seien". Als Beispiel nennen sie die Kritik von Hilfspersonal an dem Arbeitsverbot für moslemische Frauen.
    Anfang Juli 1998 ordnete Religionsminister Momammad Qalamuddin an, daß aus allen Haushalten in Kabul Fernseher und Videorekorder zu entfernen seien. Die AfghanInnen sollen so vor "korrupten und unislamischen Einflüssen" bewahrt werden. "Uns ist es egal, was die USA oder die Vereinten Nationen sagen", äußerte Qalamuddin. Wird dieser Anordnung innerhalb 15 Tage nicht Folge geleistet, so ist mit Strafen durch die Taliban-Milizen zu rechnen.

    Am 16. Juni 1998 haben die Taliban die Schließung aller privaten Mädchen-Schulen und aller Ausbildungszentren in der Hauptstadt Kabul angeordnet. Bereits vorher wurden Mädchen von der öffentlichen Schulbildung ausgeschlossen.

    08. März 1998 Internationaler Frauentag unter dem Motto "Eine Blume für die Frauen in Kabul"
    Gesammelte Unterschriften gingen an Emma Bonino und Mary Robinson.

    Ende Oktober 1997 hat Norbert Heinrich Holl, Sonderbeauftragter der UN für Afghanistan, nach 15 Monaten entschieden, seine Amtszeit auslaufen zu lassen. Die von ihm vermittelten Verhandlungen zwischen Taliban-gegnerischen Gruppen verliefen nur mühsam, da die Gruppen untereinander zerstritten sind.

    Ende September 1997 reiste Emma Bonino (49jährige, italienische EU-Kommissarin) mit 18 Mitarbeitern und Journalisten zu einem eintägigen Besuch nach Afghanistan, um Projekte der EU zur humanitären Hilfe zu besichtigen. Dabei hatten männliche Journalisten Filmaufnahmen in einem Frauenkrankenhaus gemacht. Gemäß der fundamentalistischen Politik dürfen Männer aber nicht Fotos von Frauen machen, mit denen sie nicht verwandt sind. Die radikal-fundamentalistischen "Sicherheitskräfte" bedrohten die EU-Kommissarin Emma Bonino und ihre Delegation und hielten sie stundenlang fest. Einige Begleiter sind geschlagen worden. Die Situation war bedrohlich und unberechenbar, sagte Bonino.

    Anfang September 1997 verboten die Taliban-Milizen den Ärzten, Frauen medizinisch zu behandeln. Patientinnen mit ansteckenden Krankheiten oder schweren Schußverletzungen bzw. Frauen, die entbinden wollten, wurden nach Berichten der Initiative "Ärzte ohne Grenzen" aus den vier vorhandenen (Männer-)Kliniken gewiesen. Ab sofort darf kein weibliches Personal in den Kliniken arbeiten. Aber die afghanischen Männer weigern sich zu putzen oder Wäsche zu waschen. Es gibt nur eine Klinik für Frauen in Kabul. Sie hat sage und schreibe 45 Betten, kein fließend Wasser, ein Mikroskop und keinen funktionsfähigen OP-Saal. Die WHO will nun die Instandsetzung finanzieren.

    Seit 1996 regieren die Taliban in der Hauptstadt Kabul und kontrollieren zwei Drittel Afghanistans. Viele Menschen ergriffen die Flucht vor den Fundamentalisten und verließen das Land.
    1994 begann die Taliban-Bewegung, gegründet von fundamentalistischen Studenten, ihren Eroberungskrieg durch Afghanistan. Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen Staates. Die Taliban sind Sunniten. Ihre Miliz entstand in Flüchtlingslagern in Pakistan, ihre Anhänger wurden in pakistanischen Koranschulen ausgebildet

    Von 1992 bis 1996 regierte nach dem Zusammenbruch der pro-sowjetischen Regierung der Mudschaheddin.

    Quelle:
    Frauenews - Situation der Frau in Afghanistan


    Liebe Carcas, schon damals als dieser Thread sich auf den weg machte in den Nebelpfaden begeisterte er mich. Ich verschlang jedes Wort darin, machte mich selbst auf den Weg. Besuchte Seite, laß über das land und die Menschen. Nun hast Du mich nach meinem Beitrag gebeten den ich damals dorthin übernahm. Bittesehr. Ich muß eingestehen, das es ein leichtes war die Chronologie zu kopieren und für den Thread zu verwenden. Ich werde noch einen ganz eigenen Beitrag nachreichen, dieser hier sollte mein Interesse unterstreichen, mein Interesse und meine neugierde dieses Wundervolle Land zu verstehen.



    Re: Unser Afghanistan

    Carcas - 20.07.2005, 22:53


    Danke Marco. Eigene Beiträge sind natürlich umso mehr erwünscht. Es ist bei mir selbst so, dass ich vieles erst durch Nachlesen lerne, auch durch eure Beiträge, mich muss man erst drauf aufmerksam machen, bevor ich mich mit Politik beschäftige. Viel mehr interessieren mich doch die Menschen. Das alltägliche Leben.



    Mensch und Mohn

    Weil...
    ... mein Vater diesen kurzen Moment der Unsicherheit, vielleicht war es Angst, vielleicht auch nur die Erinnerung, in den Augen hatte, als ich meine Mohnsamen angeschleppt habe und sie einpflanzen wollte.
    ... ich ihm versichert habe, dass mein Mohn vollkommen harmlos und einfach nur bunt ist, nicht mehr.
    ... er mir erzählt hat, dass es dort, in der Heimt, die einzige sichere Einnahmequelle geblieben ist, über den Krieg hinweg oder vielleicht erst durch den Krieg.
    ... es verdammt schlecht Zustände sind.




    Afghanistan ist das führende Land im Anbau von Schlafmohn und dem Export von Opium. Weltspitze. Doch nichts womit man sich rühmen könnte.
    Früher war es nicht so, vor dem Krieg.

    Das in Wien ansässige UN-Büro gegen Drogen und Kriminalität (UNOCD) stellt in einer Ende Januar 2003 veröffentlichten Studie fest, dass sich der Mohnanbau seit 1979 um das Fünfzehnfache auf 3400 Tonnen erhöht hat. Damit deckt Afghanistan fast drei Viertel der weltweiten Produktion ab.

    Die Wirtschaft Aghanistans ist am Tiefpunkt angelangt, schon seit geraumer Zeit und mit ihr schwanden alle anderen, legalen Einnahmenquellen und seitdem die Russen in den 1980er Jahren ins Land eingefallen sind boomt der Handel mit Opium.
    Opium, ich mag dieses Wort und seinen Klang. Es wird aus den Kapseln des Mohn gewonnen, wenn dieser seine roten und teils auch violetten Blütenblätter verloren hat und die Kapseln noch frisch sind, werden sie angeritzt und am nächsten Morgen ist das Rohopium fertig zur Ernte, eine angetrocknete, schwarze, vormals milchige Flüssigkeit die dann weiterverarbeitet wird zu Rauchopium. Oder Morphin. Oder eben auch Heroin.

    Und das Land profitiert davon. Von den vielen kleinen Bauern und den vielen großen Mohnfeldern, von denen vor allem der Osten überzogen ist. Die am meisten angebaute Pflanze überhaupt dort. Auch die Regierung profitiert natürlich, die Taliban haben damals den Anbau unterstützt. Was soll man auch tun als Regierung, wenn es keinen anderen Ausweg gibt, keine andere Chance sein Geld zu verdienen, da es in den ehrlichen Berufen nicht viele Aussichten gab und immer noch nicht gibt. Höchstens beim Militär, aber auch viel Kriegsmaschinerie wird durch den Opiumexport finanziert.
    Mittlerweile ist der Anbau verboten, die Felder der Bauern werden zerstört, die neue Regierung versucht so gut als möglich dem Drogenhandel Einhalt zu gebieten.

    Für den islamischen Widerstand waren die Einnahmen aus dem Drogenhandel die wichtigste Finanzquelle. Auch die Taliban profitierten vom Drogenhandel. Erst Anfang 2001 verboten sie den Schlafmohn und zerstörten viele Mohnfelder. Allerdings wollten die Taliban auf diese Weise nur das Angebot verknappen, um ihre Opiumvorräte zu noch höheren Preisen verkaufen zu können. Die zahlreichen Stammes- und Regionalfürsten sichern noch heute ihre Macht mit Einnahmen aus dem Opiumhandel. Während des Krieges gegen die Taliban war Opium sogar Tausch- und Zahlungsmittel.
    Die Regierung in Afghanistan unter Staatspräsident Hamid Karsai versucht seit ihrem Amtsantritt, das Problem zu lösen. Der Anbau und Verkauf von Opium ist verboten worden. Außerdem versuchte Karsai, die Bauern durch die Zahlung von Entschädigungen vom Handel mit der Rauschpflanze abzubringen. Mit wenig Erfolg, denn die geschätzten 1,5 Milliarden Dollar, die durch den Verkauf von Opiaten und Heroin im Jahr 2002 in das Land flossen, kann die Regierung nicht kompensieren.

    Die Menschen sind darauf angewiesen, auf ihren Mohn. Viele sind zudem selbst abhängig geworden, was verständlich ist bei dem täglichen Umgang mit der Droge, auch wenn die meisten sehr religiös sind und der Koran eigentlich jegliche Art von Rauschmitteln strikt verbietet.

    Es muss sich noch eine Menge ändern, bevor die Regierung es schaffen wird, die Unmengen an Ertrag zu reduzieren. Es reicht nicht bloß Felder zu zerstören und damit den Familien ihre einzige Geldquelle zu nehmen.




    Nachtrag: Quelle vergessen. Bilder und Kursivtext entnommen diesem Artikel: www.dw-world.de/dw/article/0,1564,785855,00.html



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