Kalt

Eine Domäne im Nirgendwo
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    Re: Kalt

    Hubert - 31.08.2005, 06:45

    Kalt
    Es ist doch jedes Mal dasselbe Spiel.
    Kalt. Ich streiche mit dem Finger über meinen Liebling, aber ich spüre nur Kälte. Langsam wandern meine Finger über die dünne Schicht Chrom, beinah in Zeitlupe kreisen sie zärtlich über den Hahn. Hahn? Seltsames Wort dafür. Wer hätte gedacht, dass ein Hahn Auslöser eines tödlichen Knalls sein kann? Mein Zeigfinger biegt ihn nach hinten, es macht Klick. Wie ich es liebe wenn es klickt! Erneut fährt mein Finger über meinen Liebling. Noch immer diese Kälte. Die kleinen Noppen kitzeln an der Spitze meines Fingers. Ich rutsche weiter über den wohlgeformten Griff. Sollten die Noppen mich nicht vor dem Rutschen schützen? Welch schönes Gefühl den Griff zu ergreifen. Kalt, wie immer, aber schön. Es verleit einem das Gefühl von Macht. Mein Finger krümmt sich um den Abzug, er krümmt sich zurück. Wie ein Wurm in Zeitlupe krümmt er sich vor und zurück. Mein Daumen streichelt sanft den Griff und trifft langsam einen kleinen Knopf. Voller Vorfreude erwarte ich das Geräusch, wie die fünfzehn Kinder meines Lieblings in ihrem Schutzmantel die Geborgenheit verlassen. Ich liebe dieses Geräusch. Ein dumpfer Aufschlag. Das Magazin liegt vor mir, auf der Decke, die meinen nackten Körper nur zur Hälfte bedeckt. Ich lege auf die Wand vor mir an. Halt! Das Magazin! Ich nehme es in die Hand und versuche erneut zu schätzen wie viel es wohl wiegen mag. Doch jedes Mal wenn ich daran denke, folgt der Gedanken, dass es nach dem ersten Schuss weniger wiegt und macht den Gedanken an sein Gewicht für mich überflüssig. Es würde sich ja eh ändern. Wie alles. Äußerlich verändert sich die Welt, aber im Gefängnis unseres Lebens bleiben wir doch all die Jahre gleich. Vielleicht sollte ich das Magazin mal wiegen. Ich schiebe es zurück in den Leib meines Lieblings, lasse es wieder frei und schiebe es erneut zurück. Ich liebe dieses Geräusch. Mein Daumen streift noch immer über den Griff und mein Zeigefinger krümmt sich weiterhin um diesen einen Augenblick, der Leben nehmen kann.

    Ich lasse das Magazin ein Magazin sein und im Leib meiner wunderschönen Gefährtin schlummern. Ich lege meinen linken Arm wieder um das Stück Fleisch zu meiner Linken. Auch hier scheint die Decke ihre Aufgabe nicht ernst zu nehmen. Sie ist nackt, wunderschön und schläft. Ihr warmer Atem streift über meine Brust. Wie gern würde ich mich jetzt an ihren Namen erinnern. Die ganze Nacht waren wir gefangen im Reich der Fleischlichkeit. Es war sicher schön, doch scheint mein Gedächtnis sich zu weigern, mir mehr als Bilder davon zu schenken. Bilder ohne jegliche Emotion. Sie riecht so gut. Ihr Geschmack brennt auf meiner Zunge und versucht verzweifelt mich an ihre Lust zu erinnern. Ich sehe sie an und lächle. Sie schläft so ruhig. Richtig süß wie sie daliegt. Langsam wandert der Lauf der Waffe zu ihrem Kopf. Und auch jetzt krümmt sich der Finger ekstatisch um ihren sicheren Tod. Ich lege den Kopf schief und schaue mit morbider Faszination auf das Werk meiner Hand. Sollte ich eingreifen?
    Ich werde hier noch wahnsinnig! Draußen zwitschern schon die ersten Vögel! Gott, wie ich diese Viecher hasse! Kaum trifft ein Strahl der Sonne auf ihr kleines Hirn drehen die komplett durch und Zappeln innerlich wie Fische am Land. Kranke Bastarde! Ich werde einen von ihnen erschießen, wenn ich die Zeit dazu finde. Ihr Morgenlied macht mich noch verrückt!

    Ich schaue aus dem Fenster. Habe ich nicht eben noch auf meinen Liebling geschaut? Die Frau! Erschrocken reiße ich meinen Kopf rum, doch ihr Atem kitzelt noch immer meine Brust. Ich hätte es wohl ohnehin gehört, wenn mein Finger ihrer Lust verfallen würde, oder? Oder hätte es mich nicht gekümmert? Ich kenne sie sowieso nicht. Okay, ich liege jetzt seid unzähligen Nächten wach neben ihr, aber an ihren Namen kann ich nicht erinnern. Ihr Tod würde mir nichts bedeuten. Aber ihr eventuell? Ich hasse solche Gedanken! Würde sie mich im Leben nach dem Tod bereuen? Gibt es ein Leben danach? Kälte…
    Mit meiner Zunge drück ich das kalte Metall in meinem Mund nach links. Der Geschmack dieser schönen Frau vermischt sich mit dem Geschmack des Todes. Ich sollte meine Augen öffnen! Warum habe ich meinen Liebling im Mund? Meine Hand wollte mich wohl von diesen Gedanken befreien?! Dafür bin ich ihr dankbar. Oder wollte mein Verstand herausfinden, was nach dem Leben kommt? Verstand? Ein schönes Wort für Nutzlosigkeit. Wir Menschen denken viel zu viel über Dinge wie Freundschaft, Vertrauen und Liebe nach. Nur dem Tod wollen wir keinen Einlass in unser Gedankenreich lassen. Bis er uns betrifft. Dann sendet der Verstand Trauerimpulse aus. Wie süß! Wir sind auf ewig gefangen in unserem Denken, aber wenn jemand stirbt, glauben wir er stünde uns nah. Und wir trauern. Sinnlos. Letztlich sind wir ohnehin allein. Wie hieß es noch in dem Film? Du kommst alleine zur Welt, du lebst alleine und sterben wirst du auch alleine. Sogar beim Ficken bist du alleine. Alleine mit deinem Fleisch! Irgendwo sprach der Film doch Wahrheit.

    Ich ziele wieder auf die Wand. Mein linkes Auge ist geschlossen um mein Ziel besser anzuvisieren. Eine Wand. So groß, und bringt das Gefühl der Geborgenheit. Sacht scheint die Morgensonne durch mein Fenster. Warum muss ich unbedingt ein Zimmer mit Ausblick auf den Osten nehmen? Ich hasse das Licht. Ich ziele auf das Fenster, als würde ich das Licht selbst erschießen wollen. In meiner Linken hab ich noch immer diese Frau. Sie atmet. Ich kann ihren Herzschlag hören. Wenn es jetzt nur nachts wäre. Die Nacht ist ruhig. Warum geschehen die meisten Verbrechen nachts? Es scheint als wären die meisten Geräusche nachts ein wenig leiser. Darum kann man nachts ruhiger schlafen. Darum Vögeln die meisten Menschen nachts, weil man ihre Sünde dann schlechter hören kann. Und ich denke, die meisten Menschen sterben auch nachts. Ich fühle wie meine Hand ihre Schulter streichelt. Ein angenehmes Gefühl, auch wenn es mir letztlich nichts sagt. Gehört sie mir? Oder ist sie für sich allein, dort so süß versunken in ihrer schönen Welt der Träume? Der Lauf streicht über ihren Hals, direkt unter ihrem Kinn. Sie lächelt und zuckt ein wenig zusammen. Sie genießt den sanften Hauch des Todes. Sollte ich meinem zuckenden Finger nachgeben? Sie würde nicht mehr klagen können. Oder doch? Ich schließe meine Augen, oder glaube es jedenfalls. Sie sind zu, schon die ganze Zeit. Ich sah sie nicht lächeln. Ich spüre die Vibrationen in der Luft, wenn ihre Mundwinkel sich bewegen. Es kitzelt. Sie streichelt über meine Brust, doch ich höre sie noch immer schlafen. Schwaches Einatmen, starkes Ausatmen. Sie schläft und streichelt nur über ihre Träume. Ich bin nur zufällig im Weg. Mein Hand streichelt weiter, sie streichelt mit, im Takt ihres Streichelns. Das macht mir Angst. Ohne es zu sehen passe ich mich ihr an. Ich glaube ich könnte mich in sie verlieben. Wenn ich nur ihren verdammten Namen wissen würde! Mit etwas Glück ist es so wie immer. Man versucht sich verzweifelt an etwas zu erinnern, schafft es aber nicht. Und dann, wenn man eigentlich mit etwas völlig anderem beschäftigt ist, schießt es einen durchs Hirn.

    Ich lege meine die Waffe auf meine Brust und die Frau fängt an sie zu streicheln. Ich schaue ihr zu wie ihre zarten Finger über den Lauf wandern. Sie lächelt. Gefällt ihr die Berührung ihres baldigen Todes? Noch immer zwitschern die Vögel, nur lauter wie mir scheint. Synchron streicheln wir uns gegenseitig. Es liegt eine beinah perfekte Harmonie auf dem Raum! Zum kotzen! Dieser Trott, Alltag. Ich weiß genau, sie vögelt Tagsüber ihren Chef. Sie vögelt? Zwei in einem. Genau Liebling! Lass mich hassen! Ich habe keine Lust mehr dies alles ertragen zu müssen. Warum auch?
    Ich hebe die Waffe wieder auf und lege die Mündung an meine Schläfe. Mit geschlossenen Augen warte ich auf das Ende. Aber ich kann mich nicht von diesem Irrsinn befreien. Sie würde es merken und um Rechtfertigung für diese Tat betteln. Frauen die betteln nerven fast genauso wie Morgenvögel! Wie soll ich ihr den Mund mit neun Millimeter schließen, wenn ich Tod bin? Nein! Ich muss sie zuerst erschießen. Langsam wandert mein Liebling wieder an ihren Kopf, der Zeigefinger krümmt sich, diesmal willentlich bereit die Bewegung zu beenden. Blut! Gott, soviel Blut! Ob es jemand gehört hat? Sie ist ruhig. Ich vermisse ihren Atem auf meiner Brust. Noch immer streichle ich ihre Schulter, obwohl das bei dieser klebrig roten Masse nicht sehr angenehm ist. Aber warm. Noch ist es Warm. Ich koste den Lauf und bemerke freudig, dass mein Liebling mir keine Kälte mehr schenkt. Der Kuss für diese Frau hat ihm die Kälte genommen. Wieder will ich meine Augen schließen, doch sie sind es schon wieder. Ich öffne sie und es kitzelt. Sie atmet noch? Wieder? Wie kann das sein? Ich hab sie getötet! Nein! Die Waffe schoss, nicht ich. Aber auf mein Willen hin, oder? Aber warum? Moment! Wo war der Knall, den jemand hätte hören können? Ich schaue aus dem Fenster, will wissen ob es Nacht ist. Wie sonst könnte man den Knall überhören? Ich schau sie an, erwarte Blut, aber werde enttäuscht. Noch immer lächelt diese Schlampe. Was bildet die sich überhaupt ein? Ich verschwende eine Kugel und sie lächelt einfach weiter? Ihre Brust hebt und senkt sich. Ich höre ihren Herzschlag. Es pocht und brennt sich in meinen Schädel ein. Fühlt sich an wie eine Bowlingkugel, die durch meinen Kopf donnert. Die Kugel! Ich reiße mich von ihrer Schulter los, schaue entsetzt auf meine saubere Hand. Mein Daumen wandert über den Griff und ein beruhigendes Geräusch wandert in mein Ohr. Ich liebe dieses Geräusch. Mit der Linken ergreif ich das fallende Magazin und schaue nach. Es ist voll! Fünfzehn, wie vorher! Das kann nicht wahr sein! Träume ich?

    Was für ein Betrug? Können die denn nicht mal aufhören zu zwitschern? Liebt sie mich? Oder liebt sie nur ihre Träume und ich bin wieder einmal im Weg? Ich sollte mich aus diesem Traum befreien. Diesem Alptraum! Sollte ich ihr nicht eine Freude nehmen? Sie tut es doch auch andauernd. Zu spät! Hat sie mir überhaupt jemals Freude geschenkt? Nach links. Nach rechts. Egal wie rum, es bleibt doch alles gleich. Hin und her schaukle ich die Waffe in meiner Hand. Ich sollte aufspringen und jemanden erschießen. Ich hasse solche Gedanken! Vielleicht sollte ich sie mir rausnehmen. Mich erschießen um endlich frei zu sein? Klingt verlockend. Nicht am Tag. Nicht hier. Nicht jetzt. Tagsüber kennt sie mich kaum. Na und? Sie würde es mir nie verzeihen. Fasziniert schaue ich auf sie und versuche ihren Atem zu ignorieren. Hör auf zu atmen! Vielleicht kann mir meine Waffe die Augen öffnen. Erlösung? Ruhe? Das muss es sein. Doch was dann? Sie ist allein, oder? Nein! Sie hat doch noch ihren Tag. Ich kenne sie auch nicht! So soll es sein! Du solltest tot sein. Ich fasse mir an den Kopf. Mit der Waffe drück ich gegen meine Schläfe. Falsch! Alles ist so falsch! Was, wenn dies alles nur ein Traum ist? Erwache ich dann? Oder träume ich auf ewig allein? Allein? Das bin ich doch sowieso, oder? Du Schlampe! Hör auf mich anzuatmen! Das kalte Metall liegt auf meiner Stirn. Kalt? Es sollte warm sein! Kann ich mich von ihr losreißen? Warm verdammt! Du bist die nächste, das verspreche ich dir, wenn du nicht endlich deinem Schicksal folgst. Schicksal? Nein, zu einfach. Dieser verdammte Atem. Würde er mir fehlen? Alles ist vorbestimmt? Dann danke für nichts! Warum streichle ich sie immer noch?

    Langsam dringt der Geschmack des kalten Metalls erneut in meinen Mund und ich schließe meine Augen. Sie kichert leise. Weiß sie was passiert? Erfreut es sie? Mein Finger krümmt sich wie ein Wurm um den Abzug. Draußen kann ich einen Hahn krähen hören. Wie passend! Es klickt und ich reiße meine Augen auf. Verdammt! Jetzt kann ich mich an ihren Namen erinnern. Doch als meine Finger schlaff über den Lauf streichen, wird ihr Name, wie die Harmonie in diesem Zimmer, einfach hinfort gerissen.
    Es bleibt letztlich alles so wie immer. Kalt.



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