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Wallace, David Foster - Georg Cantor




Wallace, David Foster - Georg Cantor

Beitragvon Katia » 16.12.2007, 19:58

[center]D.F. Wallace - Georg Cantor : Der Jahrhundertmathematiker und die Entdeckung des Unendlichen[/center]

Klappentext
Das Nachdenken über das Unendliche führt direkt zur Mathematik Georg Cantors. David Foster Wallace erzählt in meisterhafter Prosa die Geschichte des Unendlichen und zeichnet zugleich das Porträt des Jahrhundertmathematikers.
Dieses Buch ist ein Ereignis. Einer der führenden Literaten seiner Generation, David Foster Wallace, schreibt über Georg Cantor und die Mathematik des Unendlichen. Ihn reizt es, zu zeigen, dass Mathematik und Abstraktion Spaß machen können. Seit Zenons Zeiten denken die Menschen darüber nach, ob das Unendliche eine mathematische Wirklichkeit oder doch eine unsinnige Abstraktion sei. Von Platon und Aristoteles über Galilei und Newton begleitet Wallace uns zu Cantor und in eine eigenartige Landschaft, in der die unendlichen Stufen des Unendlichen zu entdecken sind. Wallace ist mit diesem Buch über Cantor, der am 6. Januar 1918 starb, und die Geschichte des Unendlichen nicht nur eine wunderbare Einführung, sondern auch ein literarisches Meisterwerk gelungen.


Normalerweise mache ich mir die Mühe eigene Inhaltsangaben zu schreiben, hier kopierte ich den Klappentext, um klarzumachen, warum ich das Buch haben wollte und warum ich so enttäuscht bin. Ich habe Mathematik studiert und lese gerne populäre Sachen aus diesem Bereich, auch Biographien. Dies Buch bietet beides und es ist ein "literarisches Meisterwerk". Optimal!
Schon nach wenigen Seiten war mir klar: das Buch ist nichts davon. Sprachlich erwartet den Leser amerikanisches Rumgeflachse, der mathematische Gehalt schwankt zwischen schlecht erklärt und schlichtweg falsch. Ein Biographie Georg Cantors ist es auch nicht, seine Lebensgeschichte wird höchstens gestreift.

S. 248
Tut mir leid wegen des ganzen Blabla - es ist in Wirklichkeit viel einfacher


könnte man auch auf das ganze Buch beziehen.
Von seinen mathematische Fehler sei hier nur einer zitiert:

S. 100 f Seitens der PB bemerkte man (wahrscheinlich durch konkrete und zunehmend fassunglose Messungen), dass die Seite des Einheitsquadrates [...] mit der Diagonalen inkommensurabel ist.


Wusste gar nicht, dass die Griechen unendlich kleine Massstäbe bauen konnten :roll: Vielleicht hätte es hier geholfen, die Literatur genauer zu wälzen und das schöne Beispiel mit der Pentagrammschachtelung zu zitieren. Das ist zwar historisch auch nicht klar, ob es wirklich der erste Beweis war, es zeigt aber wie die Griechen arbeiteten - leider etwas anders als Wallace hier mit "wahrscheinlich" vermutet.
Das Zitat zeigt noch ein zweites Manko des Buchs - unmögliche Abkürzungen (PB= Pythagoräischer Bund), die nicht eingeführt werden und die größtenteils nicht im Abkürzungverzeichnis in der Einleitung stehen.

Weitere Unarten: Unmengen an Fußnoten und "Zwischenspielen", die den Text unnötig zerreißen, dauernde Verweisungen auf andere Paragraphen, ohne dass das Buch ein richtiges Inhaltsverzeichnis enthält, die dem Leser das Auffinden erleichtern. Da hilft es auch nicht viel, dass das Buch im Gegensatz zur englischen Ausgabe mit einem Index versehen wurde. Dazu kommen noch Übersetzungsfehler (z.B. "pointset topology" heißt auf deutsch "mengentheoretische Topology" nicht "Punktmengentopologie").
Anscheinend glaubt Wallace durch Doktor Goris (Wallace Mathelehrer wohl zu Collegezeiten) und Lektüre von welchen Quellen auch immer etwas von den (schwierigen!) Gebieten Logik und Mengentheorie zu verstehen - mir hat er nur bewiesen, dass er das nicht tut.

Dazu kommt bei mir auch ein gewisses persönliches Beleidigtsein, dass er die Mathematiker und die Mathematik als eine obskure Kunst darstellt, die ihre besten Köpfe in die Verrücktheit treibt (Cantor, Gödel als Hauptbeispiele).

Aber wieso schreibt jemand ein Buch über Mathematik, bei dem man den Eindruck hat, er ist gar nicht wirklich interessiert daran die Dinge selbst zu verstehen und verständlich darzustellen? Mein Verdacht ist: es handelt sich hier um eine Auftragsarbeit des amerikanischen Verlags (es ist nämlich Teil einer Serie und das kommt auch im Text vor) - Wallace hat aber schon bei den Recherchen die Lust verloren - und bemerkt, dass das Thema eine Nummer zu groß für ein populärwissenschaftliches Buch ist (er schreibt auch 100 Mal, dass er dies und jenes nur anreißt).
Das Buch ist weder von der Autorseite noch vom Lektorat richtig überarbeitet worden, und Piper macht es in der deutschen Ausgabe keinen Strich besser. Im Gegenteil: hier wird durch Klappentext und Covergestaltung suggeriert es handle sich um eine seriöse Biographie.

Bill Bryon zeigt anschaulich, dass man es auch als Laie besser machen kann.

Gut, dass ich ab und an gerne Bücher lese über die ich mich wunderbar aufregen kann!

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von Anzeige » 16.12.2007, 19:58

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Beitragvon Krümel » 16.12.2007, 20:02

Oh, oh, das Buch hatte ich doch im Blog vorgestellt, hast du es aufgrund dessen gekauft :oops:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Katia » 16.12.2007, 20:13

Keine Ahnung, Krümel, ich bin irgendwo drübergestolpert, das kann auch im Blog gewesen sein. Falls das so war, habe um Himmels Willen kein schlechtes Gewissen! Ein schlechtes Gewissen gebührt dem Autor, dem amerikanischen Verlag, dem Übersetzer und dem deutschen Verlag - sonst niemandem! Ich habe es auch zum Geburtstag geschenkt bekommen (war auf meinem Amazon-Wunschzettel) und fürchte mich schon ein klein wenig vor der Frage der Schenker, wie es war - lauter Mathematiker, die das Buch auch vom Klappentext superinteressant fanden!
Das Buch ist natürlich ein glattes 0-Sterne-Buch, allerdings hatte ich eine Menge Lesespaß daran - ich reg' mich manchmal wirklich gerne auf über sowas. Außerdem hab' ich einiges in groben Zügen noch nachgelesen und so doch vielen dazugelernt - Mengentheorie hatte ich im Studium nämlich fast nicht.
Ich werde mir bald mal eine richtige Cantor-Bio besorgen (=aus meiner Bib ausleihen) und nachholen.

Übrigens: bei Amazon schreibt einer der Rezensenten dass "Null" von Charles Seife sehr viel besser sei. Na, dann freu ich mich jetzt um so mehr darauf!

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Beitragvon Krümel » 16.12.2007, 20:48

Owie, und ich krieg Muffensausen :frost:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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