"Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sein&qu

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    Re: "Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sein&qu

    Red-Revolution - 27.02.2005, 15:26

    "Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sein&qu
    Der Islamforscher Bernard Lewis über den Zustand der arabischen Welt und warum die Herrscher Israel als Blitzableiter brauchen von Wolfgang Schwanitz

    DIE WELT: Sie erklären in Ihrem jüngsten Buch "Atatürks Paradox": Er habe nach dem verlorenen Krieg die Türkei gegründet und dem Westen widerstanden, aber Weichen zur Annahme von Vorzügen der westlichen Zivilisation gestellt. Geht es darum auch im Irak?


    Bernard Lewis: Nicht ganz, denn Atatürk vertrieb die Invasoren, errichtete eine Republik und ging erst dann westliche Wege. Im Irak hingegen ist die Diktatur von außen beseitigt worden. Aber sie war auch von außen aufgedrängt worden. Saddam Husseins Macht wurzelte nicht in der arabisch-islamischen Kultur. Sie beruhte auf einem europäischen Modell, dem der Nazis.


    DIE WELT: Wann war das?


    Lewis: Im Jahre 1940. Die Franzosen ergaben sich. Die Vichy-Regierung wurde ein deutscher Satellit. Damit standen die französischen Mandatsgebiete von Libanon bis Syrien für die Deutschen offen, die sie benutzten, um ihren Einfluss im arabischen Osten zu erweitern.


    DIE WELT: Im Irak waren die Deutschen am Anfang erfolgreich.


    Lewis: Ja, denn das Regime, dass die Deutschen dort unter Raschid Ali al-Kailani 1941 installiert hatten, war der Gipfel ihres Erfolges. Es war dem Typ nach eine Nazi-Regierung, unterstützt von einer nazi-ähnlichen Bewegung, die in die Baath-Partei mündete. Die islamische politische Tradition kennt zwar Autokratie und Gehorsam, weist aber Despotismus und Diktatur zurück.


    DIE WELT: Haben die Reformen seit dem 19. Jahrhundert der Baath-Diktatur den Weg geebnet?


    Lewis: Sicher. Im Irak ging es damals um Modernisierung oder Verwestlichung. Europa galt als Modell der Moderne. Aber was hieß das? Die zentrale Autorität zu stärken. Der Staat erhielt mehr Macht. Zugleich wurden die Kräfte der traditionellen Gesellschaft geschwächt, die ein Gegengewicht zum Staat gebildet hatten. Beschnitten wurde alles, was von innen organisch gewachsen war: Basar-Händler, Stämme, ländliche Notabeln und religiöse Würdenträger. Sie alle waren nicht durch den Staat ernannt, sondern ihre Führer erwuchsen aus der sozialen Ordnung heraus.


    DIE WELT: Wie stehen die Chancen für eine Befriedung der Palästinafrage ohne Saddam Hussein?


    Lewis: Sie haben sich von keinen zu geringen Chancen verbessert. Die Betroffenen sehen mehr, was sie vorher entweder nicht erkannten oder nicht wagten, anzusprechen. Zum Beispiel ergab eine Umfrage in Gaza, wer an der Misere Schuld sei, dass nur noch eine Minderheit auf die Israelis verwies. Früher wurde denen alle Verantwortung zugeschoben. Jetzt halten Palästinenser ihre eigenen Führer für verantwortlich. Ein großer Fortschritt.


    DIE WELT: Spielen die Medien da eine Rolle?


    Lewis: Natürlich. Israel, so gut oder schlecht es in seiner bunten Zusammensetzung auch sein mag, ist eine Demokratie und offene Gesellschaft. Darüber berichtet das Fernsehen in den umliegenden diktatorischen Ländern. Auf meinen Reisen sah ich, dass Israels Nachbarn den dortigen Meinungsstreit verfolgen. Etwas also, was es bei ihnen so kaum gibt.

    DIE WELT: Ist Jassir Arafats Zeit vorbei?


    Lewis: Ich hoffe. Aber er hat doch eine bemerkenswerte Fähigkeit zum Überleben. Ein Problem ist freilich die Bereitschaft vieler, ihm zu helfen - vor allem in Europa.


    DIE WELT: Er ist eine Galionsfigur.


    Lewis: Er ist mehr als das. Er übt die wirkliche Kontrolle aus und erhält jährlich Millionen Dollar, darunter von der Europäischen Union ohne klare Rechenschaft.


    DIE WELT: Israels Zaun auf der Grünen Linie (Waffenstillstandslinie von 1949, d. Red.) oder auf besetztem Gebiet, ist das der entscheidende Punkt?


    Lewis: Die Grüne Linie hat wenig Sinn, denn liest man die Waffenstillstandsabkommen von Rhodos nach dem Krieg 1949, so steht dort klar, dies sei die Linie des Waffenstillstandes, kein Grenzverlauf.


    DIE WELT: Die UN-Vollversammlung hat den Bau des Zaunes verurteilt.


    Lewis: Überzeugender wäre es gewesen, wenn dieses Gremium etwas fairer wäre. Sehr einseitig wies es nur knapp auf das Problem des Terrors und der Selbstmordanschläge hin, die der Hauptgrund für den Bau dieser Barriere sind. Israel gab es schon lange, aber ohne Zaun. Der ist ein Akt der Verzweiflung, eine Reaktion auf die Anschläge. Das hätte die UNO besser beachten sollen.


    DIE WELT: Was sind die Voraussetzungen für Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern?


    Lewis: Jeder muss die Legitimität sowie die staatliche Existenzberechtigung des anderen anerkennen. Wenn es darum geht, wie groß Israel sein soll oder wie dessen Grenze verläuft, so ist das verhandelbar. Außerdem muss dem Terror entsagt werden. In gewisser Weise ist die Palästinafrage sehr wertvoll für die Regierungen der Region. Der arabische Raum ist wirtschaftlich hinter Äquatorialafrika zurückgefallen. Die Einwohner wissen das und hegen berechtigte Wut gegen ihre Regierungen. Diese lenken den Zorn auf die Palästinafrage. Wenn sie kein Israel hätten, müssten sie es erfinden. Ansonsten träfe sie nämlich der ungeteilte Zorn ihrer Einwohner.


    DIE WELT: Wie steht der Iran zu Friedensverhandlungen?


    Lewis: Dessen Regierung ist ein Problem, denn sie hilft diversen, sich religiös definierenden Terrorgruppen in Gaza und Libanon. In Teheran selbst hat man den Islam verdreht. Sie sind dort nicht nur antijüdisch, sondern auch antichristlich, obwohl der Koran Toleranz gebietet.


    DIE WELT: Sie sahen einst die islamische Revolution von Ayatollah Khomeini 1979 im Iran voraus. Was möchten Sie heute voraussagen?


    Lewis: Eine demokratische Revolution im Iran und im Irak. Ich sehe dafür originäre Potenzen. Aber es wird weder schnell noch leicht sein.


    DIE WELT: Hat Irans islamische Revolution das Leben verbessert?


    Lewis: Nein. Der Lebensstandard verschlechterte sich in jeder Hinsicht. Es gibt weniger Freiheit, einen minderen ökonomischen Standard. Vor allem Frauen geht es viel schlechter. Das legale Hochzeitsalter war zuvor 18. In dieser Republik ist es neun Jahre. Sie legalisierten die Verheiratung kleiner Mädchen, islamischen Scharia-Gesetzen folgend.

    DIE WELT: Saudi-Arabien ließ einen Ungeist aus der magischen Flasche. Können sie ihn zurückholen?


    Lewis: Kaum. Die Lage wird angespannter. Extremisten stellen sich auf Webseiten zur Schau. Die wahhabitische Richtung zeigt sich als extrem fanatisch, intolerant und gewaltsam. Das ist nicht der traditionell tolerante Islam. Heute gibt es dort Massaker durch sunnitische Extremisten, die betende Schiiten ermorden. Das ist die neue wahhabitische Version des Islam.


    DIE WELT: Könnte eine bessere Bildung den tiefen Komplex der Araber gegenüber dem Westen abbauen?


    Lewis: Ja, denn es sind begabte Menschen. Früher zählten sie zu den besten Forschern. Dann fielen sie zurück. Ein Grund dafür ist das Ersterben der Forschung. Im Mittelalter waren islamische Gesellschaften sehr aktiv und kreativ. Warum verharrten dieselben Menschen plötzlich im intellektuellen Abseits? Einige sagen, dies war Folge des Verfalls der Wirtschaften. Eine andere Sache: die Entdeckung Amerikas. Dies war sicher eine Ursache, warum Europa voranging. Es entdeckte die Neue Welt, die Gold- und Silberländer, die Ländereien für neue Saatgüter. Dabei machte es technologische Fortschritte und mauserte sich zum modernen Europa. Aber warum haben die Muslime nicht Amerika entdeckt? Sie hatten auch eine atlantische Küste.


    DIE WELT: Europäer bauten Atlantik-Schiffe, Muslime leichte für das Rote Meer und den Indischen Ozean.


    Lewis: Genau, als die europäischen Schiffe in östlich-asiatische Gewässer kamen, hatten sie, gebaut für den Atlantik, Vorteile: mehr Kanonen, Besatzung und Fracht.


    DIE WELT: War die Behandlung der Frau ein weiterer Punkt?


    Lewis: Ja, eine der größten Errungenschaften der Christenheit ist die allgemeine Akzeptanz der Monogamie. Alle anderen Zivilisationen haben Polygamie erlaubt. Das Christentum war die erste Weltreligion, in der nur eine Frau erlaubt wurde. Wie türkische Autoren bereits betonten, Frauen sind nicht nur eine Hälfte der Bevölkerung, sondern sie sind auch die Mütter der anderen Hälfte. Kinder, die mit einer gebildeten Mutter heranwachsen, erreichen sicher mehr im Leben als solche mit einer Analphabetin als Mutter. Trotzdem haben islamische Gebiete ihre Perioden der Blüte erlebt.


    DIE WELT: Vielleicht sind Frauen im frühen Islam viel besser als später behandelt worden?


    Lewis: So ist es. In den königlichen Familien in Europa waren Frauen und Töchter stets wichtig. Mütter standen im Familienstammbaum. Bei den Osmanen hingegen wissen wir oft nicht, wer die Mütter waren. Sie waren meist namenlose Konkubinen aus dem Harem. Dem war nicht so im frühen Islam. Bei den Kalifen und der Umayyaden-Dynastie (von 661 bis 750 n. Chr., d. Red.) etwa waren Mütter freie Damen. Das System des Harems kam später.


    DIE WELT: Der Islam wirkte einst als großer Friedensbringer in seinen eigenen Räumen.


    Lewis: Sicher, obwohl es natürlich auch Kriege untereinander gab, etwa türkische Sultane gegen persische Schahs. Aber das war wenig im Vergleich zur Kriegsgeschichte Europas, dessen viele Kriege auch die militärische Technologie vorantrieb. Außerdem mussten Europäer viele Sprachen erlernen, um sich verständigen zu können. In islamischen Regionen gab es hingegen drei entscheidende Sprachen: Arabisch, Persisch und Türkisch. Europäer mussten aber nicht nur die Sprachen ihrer Nachbarn erlernen, sondern auch die ihrer Vorfahren, um solche Schriften wie das Alte und das Neue Testament lesen zu können: Hebräisch und Griechisch.

    DIE WELT: Welches Land kann in der Bildung Modell stehen: Irak, Palästina, Ägypten oder die Türkei?


    Lewis: Vor Jahren hätte ich auf Tunesien verwiesen, aber dort geht es bergab. Die Regierung wird weniger liberal, mehr autokratisch. Tunesien zählte einst zu den Vorreitern von Offenheit, Erziehung und Frauenrechten. Nun geht es rückwärts, im Gegensatz zu Marokko.


    DIE WELT: Der Kampf gegen al-Qaida - wird er Jahrzehnte dauern?


    Lewis: Ich glaube, dass es ein langer Prozess ist und die Ergebnisse keineswegs sicher sind. Man muss die Möglichkeit einkalkulieren, dass al-Qaida gewinnen könnte. Sie haben viele Verbündete im Westen, bewusste und unbewusste. Zu den bewussten zähle ich die wachsenden islamischen Minderheiten und Konvertiten Europas. Es verhält sich ähnlich wie damals mit dem Kommunismus, der Unzufriedenen im Westen gefiel, da er ihnen eindeutige Antworten zu geben schien. So hat auch der radikale Islam Anziehungskraft auf Menschen. Er vermittelt ihnen Überzeugungen und Gewissheiten, ja gibt ihnen den Sinn einer Mission. Sie erscheinen vereint, die Demokratien aber tief gespalten.


    DIE WELT: Also kommt ein globales islamisches Reich?


    Lewis: In Demokratien scheint man einander mehr zu hassen als äußere Gegner. Die Schwäche und Spaltung scheinen die westliche Seite zu beherrschen. Die Politik in Europa ist da nicht gerade hilfreich, insbesondere nicht die französische und die deutsche Politik


    DIE WELT: Ist al-Qaida noch stark genug für einen ähnlichen Schlag wie am 11. September 2001?


    Lewis: Oh, ja. Davor gab es eine lange Folge von Angriffen auf die amerikanischen Einrichtungen. Radikale wurden ermutigt, da eine wirksame Gegenwehr fehlte. Nach dem 11. September waren sie schockiert über die Härte der neuen US-Administration in Afghanistan und Irak. Dann sah al-Qaida in westlichen Debatten Schwäche und Spaltung. Natürlich fühlen sie sich ermutigt und begannen wieder, darunter in Spanien, das dann seine Truppen aus Irak abzog. Zweifellos könnten weitere Anschläge folgen.


    DIE WELT: Welche Ursache hat die Spaltung zwischen USA und EU?


    Lewis: Im Hinblick darauf könnte sich die EU als Neidgenossenschaft umbenennen. Es ist ja sehr erklärlich, dass Europäer gegenüber Amerika Vorbehalte hegen, dass sie ja weit überflügelt hat. Deswegen verstehen Europäer die Muslime gut, die sich gegenüber Amerika so ähnlich fühlen.


    DIE WELT: Worin könnte die Spezialität einer deutschen Nah- und Mittelostpolitik liegen?


    Lewis: (lacht) In der Weisheit, das Gefühlsbetonte und das Irrationale der französischen Politik auszubalancieren.


    DIE WELT: Wird die EU ein globales Gegengewicht zu Amerika bilden?


    Lewis: Nein. Neben den Vereinigten Staaten werden künftig globale Spieler China, Indien und möglicherweise ein gesundetes Russland sein. Sicher weiß niemand, welcher Art die Macht in Moskau sein wird, aber gewiss nicht kommunistisch. Europa wird Teil des arabischen Westens sein, des Maghrebs. Dafür sprechen Migration und Demografie. Europäer heiraten spät und haben keine oder nur wenige Kinder. Aber es gibt die starke Immigration: Türken in Deutschland, Araber in Frankreich und Pakistaner in England. Diese heiraten früh und haben viele Kinder. Nach den aktuellen Trends wird Europa spätestens Ende des 21. Jahrhunderts muslimische Mehrheiten in der Bevölkerung haben.


    Mit Bernard Lewis sprach in Princeton Wolfgang G. Schwanitz.



    Re: "Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sein&qu

    RoiSoleil - 27.02.2005, 21:19

    Re: "Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sei
    Red-Revolution hat folgendes geschrieben: Der Islamforscher Bernard Lewis über den Zustand der arabischen Welt und warum die Herrscher Israel als Blitzableiter brauchen von Wolfgang Schwanitz

    DIE WELT: Sie erklären in Ihrem jüngsten Buch "Atatürks Paradox": Er habe nach dem verlorenen Krieg die Türkei gegründet und dem Westen widerstanden, aber Weichen zur Annahme von Vorzügen der westlichen Zivilisation gestellt. Geht es darum auch im Irak?


    Bernard Lewis: Nicht ganz, denn Atatürk vertrieb die Invasoren, errichtete eine Republik und ging erst dann westliche Wege. Im Irak hingegen ist die Diktatur von außen beseitigt worden. Aber sie war auch von außen aufgedrängt worden. Saddam Husseins Macht wurzelte nicht in der arabisch-islamischen Kultur. Sie beruhte auf einem europäischen Modell, dem der Nazis.


    DIE WELT: Wann war das?


    Lewis: Im Jahre 1940. Die Franzosen ergaben sich. Die Vichy-Regierung wurde ein deutscher Satellit. Damit standen die französischen Mandatsgebiete von Libanon bis Syrien für die Deutschen offen, die sie benutzten, um ihren Einfluss im arabischen Osten zu erweitern.


    DIE WELT: Im Irak waren die Deutschen am Anfang erfolgreich.


    Lewis: Ja, denn das Regime, dass die Deutschen dort unter Raschid Ali al-Kailani 1941 installiert hatten, war der Gipfel ihres Erfolges. Es war dem Typ nach eine Nazi-Regierung, unterstützt von einer nazi-ähnlichen Bewegung, die in die Baath-Partei mündete. Die islamische politische Tradition kennt zwar Autokratie und Gehorsam, weist aber Despotismus und Diktatur zurück.


    DIE WELT: Haben die Reformen seit dem 19. Jahrhundert der Baath-Diktatur den Weg geebnet?


    Lewis: Sicher. Im Irak ging es damals um Modernisierung oder Verwestlichung. Europa galt als Modell der Moderne. Aber was hieß das? Die zentrale Autorität zu stärken. Der Staat erhielt mehr Macht. Zugleich wurden die Kräfte der traditionellen Gesellschaft geschwächt, die ein Gegengewicht zum Staat gebildet hatten. Beschnitten wurde alles, was von innen organisch gewachsen war: Basar-Händler, Stämme, ländliche Notabeln und religiöse Würdenträger. Sie alle waren nicht durch den Staat ernannt, sondern ihre Führer erwuchsen aus der sozialen Ordnung heraus.


    DIE WELT: Wie stehen die Chancen für eine Befriedung der Palästinafrage ohne Saddam Hussein?


    Lewis: Sie haben sich von keinen zu geringen Chancen verbessert. Die Betroffenen sehen mehr, was sie vorher entweder nicht erkannten oder nicht wagten, anzusprechen. Zum Beispiel ergab eine Umfrage in Gaza, wer an der Misere Schuld sei, dass nur noch eine Minderheit auf die Israelis verwies. Früher wurde denen alle Verantwortung zugeschoben. Jetzt halten Palästinenser ihre eigenen Führer für verantwortlich. Ein großer Fortschritt.


    DIE WELT: Spielen die Medien da eine Rolle?


    Lewis: Natürlich. Israel, so gut oder schlecht es in seiner bunten Zusammensetzung auch sein mag, ist eine Demokratie und offene Gesellschaft. Darüber berichtet das Fernsehen in den umliegenden diktatorischen Ländern. Auf meinen Reisen sah ich, dass Israels Nachbarn den dortigen Meinungsstreit verfolgen. Etwas also, was es bei ihnen so kaum gibt.

    DIE WELT: Ist Jassir Arafats Zeit vorbei?


    Lewis: Ich hoffe. Aber er hat doch eine bemerkenswerte Fähigkeit zum Überleben. Ein Problem ist freilich die Bereitschaft vieler, ihm zu helfen - vor allem in Europa.


    DIE WELT: Er ist eine Galionsfigur.


    Lewis: Er ist mehr als das. Er übt die wirkliche Kontrolle aus und erhält jährlich Millionen Dollar, darunter von der Europäischen Union ohne klare Rechenschaft.


    DIE WELT: Israels Zaun auf der Grünen Linie (Waffenstillstandslinie von 1949, d. Red.) oder auf besetztem Gebiet, ist das der entscheidende Punkt?


    Lewis: Die Grüne Linie hat wenig Sinn, denn liest man die Waffenstillstandsabkommen von Rhodos nach dem Krieg 1949, so steht dort klar, dies sei die Linie des Waffenstillstandes, kein Grenzverlauf.


    DIE WELT: Die UN-Vollversammlung hat den Bau des Zaunes verurteilt.


    Lewis: Überzeugender wäre es gewesen, wenn dieses Gremium etwas fairer wäre. Sehr einseitig wies es nur knapp auf das Problem des Terrors und der Selbstmordanschläge hin, die der Hauptgrund für den Bau dieser Barriere sind. Israel gab es schon lange, aber ohne Zaun. Der ist ein Akt der Verzweiflung, eine Reaktion auf die Anschläge. Das hätte die UNO besser beachten sollen.


    DIE WELT: Was sind die Voraussetzungen für Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern?


    Lewis: Jeder muss die Legitimität sowie die staatliche Existenzberechtigung des anderen anerkennen. Wenn es darum geht, wie groß Israel sein soll oder wie dessen Grenze verläuft, so ist das verhandelbar. Außerdem muss dem Terror entsagt werden. In gewisser Weise ist die Palästinafrage sehr wertvoll für die Regierungen der Region. Der arabische Raum ist wirtschaftlich hinter Äquatorialafrika zurückgefallen. Die Einwohner wissen das und hegen berechtigte Wut gegen ihre Regierungen. Diese lenken den Zorn auf die Palästinafrage. Wenn sie kein Israel hätten, müssten sie es erfinden. Ansonsten träfe sie nämlich der ungeteilte Zorn ihrer Einwohner.


    DIE WELT: Wie steht der Iran zu Friedensverhandlungen?


    Lewis: Dessen Regierung ist ein Problem, denn sie hilft diversen, sich religiös definierenden Terrorgruppen in Gaza und Libanon. In Teheran selbst hat man den Islam verdreht. Sie sind dort nicht nur antijüdisch, sondern auch antichristlich, obwohl der Koran Toleranz gebietet.


    DIE WELT: Sie sahen einst die islamische Revolution von Ayatollah Khomeini 1979 im Iran voraus. Was möchten Sie heute voraussagen?


    Lewis: Eine demokratische Revolution im Iran und im Irak. Ich sehe dafür originäre Potenzen. Aber es wird weder schnell noch leicht sein.


    DIE WELT: Hat Irans islamische Revolution das Leben verbessert?


    Lewis: Nein. Der Lebensstandard verschlechterte sich in jeder Hinsicht. Es gibt weniger Freiheit, einen minderen ökonomischen Standard. Vor allem Frauen geht es viel schlechter. Das legale Hochzeitsalter war zuvor 18. In dieser Republik ist es neun Jahre. Sie legalisierten die Verheiratung kleiner Mädchen, islamischen Scharia-Gesetzen folgend.

    DIE WELT: Saudi-Arabien ließ einen Ungeist aus der magischen Flasche. Können sie ihn zurückholen?


    Lewis: Kaum. Die Lage wird angespannter. Extremisten stellen sich auf Webseiten zur Schau. Die wahhabitische Richtung zeigt sich als extrem fanatisch, intolerant und gewaltsam. Das ist nicht der traditionell tolerante Islam. Heute gibt es dort Massaker durch sunnitische Extremisten, die betende Schiiten ermorden. Das ist die neue wahhabitische Version des Islam.


    DIE WELT: Könnte eine bessere Bildung den tiefen Komplex der Araber gegenüber dem Westen abbauen?


    Lewis: Ja, denn es sind begabte Menschen. Früher zählten sie zu den besten Forschern. Dann fielen sie zurück. Ein Grund dafür ist das Ersterben der Forschung. Im Mittelalter waren islamische Gesellschaften sehr aktiv und kreativ. Warum verharrten dieselben Menschen plötzlich im intellektuellen Abseits? Einige sagen, dies war Folge des Verfalls der Wirtschaften. Eine andere Sache: die Entdeckung Amerikas. Dies war sicher eine Ursache, warum Europa voranging. Es entdeckte die Neue Welt, die Gold- und Silberländer, die Ländereien für neue Saatgüter. Dabei machte es technologische Fortschritte und mauserte sich zum modernen Europa. Aber warum haben die Muslime nicht Amerika entdeckt? Sie hatten auch eine atlantische Küste.


    DIE WELT: Europäer bauten Atlantik-Schiffe, Muslime leichte für das Rote Meer und den Indischen Ozean.


    Lewis: Genau, als die europäischen Schiffe in östlich-asiatische Gewässer kamen, hatten sie, gebaut für den Atlantik, Vorteile: mehr Kanonen, Besatzung und Fracht.


    DIE WELT: War die Behandlung der Frau ein weiterer Punkt?


    Lewis: Ja, eine der größten Errungenschaften der Christenheit ist die allgemeine Akzeptanz der Monogamie. Alle anderen Zivilisationen haben Polygamie erlaubt. Das Christentum war die erste Weltreligion, in der nur eine Frau erlaubt wurde. Wie türkische Autoren bereits betonten, Frauen sind nicht nur eine Hälfte der Bevölkerung, sondern sie sind auch die Mütter der anderen Hälfte. Kinder, die mit einer gebildeten Mutter heranwachsen, erreichen sicher mehr im Leben als solche mit einer Analphabetin als Mutter. Trotzdem haben islamische Gebiete ihre Perioden der Blüte erlebt.


    DIE WELT: Vielleicht sind Frauen im frühen Islam viel besser als später behandelt worden?


    Lewis: So ist es. In den königlichen Familien in Europa waren Frauen und Töchter stets wichtig. Mütter standen im Familienstammbaum. Bei den Osmanen hingegen wissen wir oft nicht, wer die Mütter waren. Sie waren meist namenlose Konkubinen aus dem Harem. Dem war nicht so im frühen Islam. Bei den Kalifen und der Umayyaden-Dynastie (von 661 bis 750 n. Chr., d. Red.) etwa waren Mütter freie Damen. Das System des Harems kam später.


    DIE WELT: Der Islam wirkte einst als großer Friedensbringer in seinen eigenen Räumen.


    Lewis: Sicher, obwohl es natürlich auch Kriege untereinander gab, etwa türkische Sultane gegen persische Schahs. Aber das war wenig im Vergleich zur Kriegsgeschichte Europas, dessen viele Kriege auch die militärische Technologie vorantrieb. Außerdem mussten Europäer viele Sprachen erlernen, um sich verständigen zu können. In islamischen Regionen gab es hingegen drei entscheidende Sprachen: Arabisch, Persisch und Türkisch. Europäer mussten aber nicht nur die Sprachen ihrer Nachbarn erlernen, sondern auch die ihrer Vorfahren, um solche Schriften wie das Alte und das Neue Testament lesen zu können: Hebräisch und Griechisch.

    DIE WELT: Welches Land kann in der Bildung Modell stehen: Irak, Palästina, Ägypten oder die Türkei?


    Lewis: Vor Jahren hätte ich auf Tunesien verwiesen, aber dort geht es bergab. Die Regierung wird weniger liberal, mehr autokratisch. Tunesien zählte einst zu den Vorreitern von Offenheit, Erziehung und Frauenrechten. Nun geht es rückwärts, im Gegensatz zu Marokko.


    DIE WELT: Der Kampf gegen al-Qaida - wird er Jahrzehnte dauern?


    Lewis: Ich glaube, dass es ein langer Prozess ist und die Ergebnisse keineswegs sicher sind. Man muss die Möglichkeit einkalkulieren, dass al-Qaida gewinnen könnte. Sie haben viele Verbündete im Westen, bewusste und unbewusste. Zu den bewussten zähle ich die wachsenden islamischen Minderheiten und Konvertiten Europas. Es verhält sich ähnlich wie damals mit dem Kommunismus, der Unzufriedenen im Westen gefiel, da er ihnen eindeutige Antworten zu geben schien. So hat auch der radikale Islam Anziehungskraft auf Menschen. Er vermittelt ihnen Überzeugungen und Gewissheiten, ja gibt ihnen den Sinn einer Mission. Sie erscheinen vereint, die Demokratien aber tief gespalten.


    DIE WELT: Also kommt ein globales islamisches Reich?


    Lewis: In Demokratien scheint man einander mehr zu hassen als äußere Gegner. Die Schwäche und Spaltung scheinen die westliche Seite zu beherrschen. Die Politik in Europa ist da nicht gerade hilfreich, insbesondere nicht die französische und die deutsche Politik


    DIE WELT: Ist al-Qaida noch stark genug für einen ähnlichen Schlag wie am 11. September 2001?


    Lewis: Oh, ja. Davor gab es eine lange Folge von Angriffen auf die amerikanischen Einrichtungen. Radikale wurden ermutigt, da eine wirksame Gegenwehr fehlte. Nach dem 11. September waren sie schockiert über die Härte der neuen US-Administration in Afghanistan und Irak. Dann sah al-Qaida in westlichen Debatten Schwäche und Spaltung. Natürlich fühlen sie sich ermutigt und begannen wieder, darunter in Spanien, das dann seine Truppen aus Irak abzog. Zweifellos könnten weitere Anschläge folgen.


    DIE WELT: Welche Ursache hat die Spaltung zwischen USA und EU?


    Lewis: Im Hinblick darauf könnte sich die EU als Neidgenossenschaft umbenennen. Es ist ja sehr erklärlich, dass Europäer gegenüber Amerika Vorbehalte hegen, dass sie ja weit überflügelt hat. Deswegen verstehen Europäer die Muslime gut, die sich gegenüber Amerika so ähnlich fühlen.


    DIE WELT: Worin könnte die Spezialität einer deutschen Nah- und Mittelostpolitik liegen?


    Lewis: (lacht) In der Weisheit, das Gefühlsbetonte und das Irrationale der französischen Politik auszubalancieren.


    DIE WELT: Wird die EU ein globales Gegengewicht zu Amerika bilden?


    Lewis: Nein. Neben den Vereinigten Staaten werden künftig globale Spieler China, Indien und möglicherweise ein gesundetes Russland sein. Sicher weiß niemand, welcher Art die Macht in Moskau sein wird, aber gewiss nicht kommunistisch. Europa wird Teil des arabischen Westens sein, des Maghrebs. Dafür sprechen Migration und Demografie. Europäer heiraten spät und haben keine oder nur wenige Kinder. Aber es gibt die starke Immigration: Türken in Deutschland, Araber in Frankreich und Pakistaner in England. Diese heiraten früh und haben viele Kinder. Nach den aktuellen Trends wird Europa spätestens Ende des 21. Jahrhunderts muslimische Mehrheiten in der Bevölkerung haben.


    Mit Bernard Lewis sprach in Princeton Wolfgang G. Schwanitz.

    Tolles Statement :D



    Re: "Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sein&qu

    Red-Revolution - 28.02.2005, 18:48


    Ich bitte um etwas konstruktivere Beiträge :wink:



    Re: "Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sein&qu

    RoiSoleil - 01.03.2005, 02:37


    Red-Revolution hat folgendes geschrieben: Ich bitte um etwas konstruktivere Beiträge :wink:


    Was soll man dazu noch sagen? Schön kopiert und hier eingfügt. :D



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    SCHWARZE WITWEN - gepostet von Red-Revolution am Mittwoch 09.03.2005



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