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Solschenizyn, Alexander - Matrjonas Hof




Solschenizyn, Alexander - Matrjonas Hof

Beitragvon tom » 11.09.2008, 22:12

Original : Матрёнин двор (oder : Не стоит село без праведника), russisch, Erstveröffentlichung 1963 in Novy Mir

Zum Tode von Alexander Solschenizyn

Der Ich-Erzähler ist sichtbar müde und mitgenommen von den „gerade mal 10 Jährchen“, die er fern der Welt bis 1953 hinein (Tod Stalins!) hinter sich hat. Und nach und nach wird klar, dass er im Gefängnis saß, nun freigelassen wurde und sich absetzen und verschwinden will in den wohltuenden Weiten Russlands. Nach einigen Suchen findet er Anstellung als Mathematiklehrer in einer abgeschiedenen Gegend: Unterkunft findet er trotz anfänglichen Widerstandes bei Matrjona: einer Frau, die anscheinend ihr eigenes Anwesen nicht in Schuß halten kann: es fällt beinahe zusammen, die Mäuse und Kakerlaken bevölkern Tapeten und Böden...In ihrer Gutmütigkeit lässt sie sich von allen einspannen, fast immer ohne Gegenleistung. Und als sogar ihr alter Verlobter, der im ersten Krieg vermisst worden war und so dem jüngeren Bruder eine Braut gelassen hatte, in rasender Habgier (und später Rache?) ein Teil des Hauses als Erbanzahlung für seine Tochter (und Matrjonas Patenkind) verlangt, ist die Katastrophe nicht weit.

Nach dem Tode Alexander Solschenizyns Anfang August 2008 war es für mich naheliegend, in diesen Wochen erneut etwas von ihm zu lesen, und so griff ich zu Matrjonas Hof, einer Kurzgeschichte von 50-60 Seiten, die ich vor Jahren in einem Erzählbändchen entdeckt hatte und nun in einer französischen Ausgabe also wieder las. Aber wie sehr glänzt diese Perle auch beim zweiten, dritten Lesen! Hier ist nicht der Chroniker und Geschichtsforscher am Werke, aber ein ganz persönlicher, russischer Alexander Solschenizyn, von dessen Vita und tiefen Überzeugungen sich hier so viel widerspiegelt! Matrjona ist das Sinnbild selber des/der unerkannten Gerechten, die ein Dorf, ein Land, eine Stadt leben lassen, „ohne dass wir es wussten“. Aber man muss schon gut hinsehen, um eben diese ihre Güte wahrzunehmen: zu offensichtlich scheinen für manchen Betrachter das laisser aller der russischen Art. Wer den Menschen hier nach den Werten des Erfolges und des Effizienz einschätzen will, kommt zu kurz oder schüttelt mitleidig den Kopf angesichts einer Frau, die sich quasi ausnehmen lässt.
Aber wir brauchen solche Menschen!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Alexander Issajewitsch Solschenizyn (russisch Александр Исаевич Солженицын, * 11. Dezember 1918 in Kislowodsk, Gouvernement Stawropol; † 3. August 2008 in Moskau, war ein russischer Schriftsteller, Dramatiker und Träger des Nobelpreises für Literatur.

Sondereinband: 101 Seiten
Verlag: Suhrkamp (April 1997)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3518013246
ISBN-13: 978-3518013243
tom
 

von Anzeige » 11.09.2008, 22:12

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Beitragvon alixe » 11.09.2008, 22:28

Hallo Tom,

ich gestehe, zu meiner Schande noch nichts von Solschenizyn gelesen zu haben. Kannst du mir sagen, womit ich anfangen soll, denn nach dem Lesen mehrerer, von dir verfassten Besprechungen, denke ich schon Gefallen an ihm finden zu können. So ist auch diese deine kurze Rezension reizend. Vor allem finde ich den zweiten Titel im Bezug zu der Geschichte interesssant. Falls ich es in meinem recht schlechten russisch richtig verstanden habe: Ein Dorf ist nicht viel wert ohne einen Gerechten (hmm, könnte das stimmen?)

herzlichst: Alixe
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Beitragvon tom » 12.09.2008, 08:28

alixe hat geschrieben:Kannst du mir sagen, womit ich anfangen soll...?

Vor allem finde ich den zweiten Titel im Bezug zu der Geschichte interesssant. Falls ich es in meinem recht schlechten russisch richtig verstanden habe: Ein Dorf ist nicht viel wert ohne einen Gerechten (hmm, könnte das stimmen?)


Ja, Deine Übersetzung des zweiten Teils des Titels sehe ich genauso! Es entspricht quasi des Abschlusses der Erzählung, der letzten Zeilen. Anscheinend wurde diese Erzählung zunächst sogar unter diesem Titel in "Novy Mir" veröffentlicht!

Ich glaube, dass man durchaus mit diesem "Büchlein" beginnen kann, auch um Solschenizyn unter einem erzählerischen Aspekt kennenzulernen. DER fehlt auch in den großen Büchern nicht, natürlich... Ich fand vor Jahren eine kleine Anthologie umfangsarmer Texte unter dem Titel "Am Oka-Fluß entlang". Gefiel mir sehr gut!
tom
 



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