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Kirino, Natsuo - Die Umarmung des Todes




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Kirino, Natsuo - Die Umarmung des Todes

Beitragvon Dr.Who » 07.09.2008, 18:53

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Es kommt immer darauf an was man daraus macht…
Dieser Ausspruch dürfte wohlbekannt sein und trifft auch auf dieses Buch zu.
Denn so simpel sich die Story gestaltet, so gekonnt und verblüffend nimmt einen die Autorin Natsuo Kirino mit in die Abgründe der Menschlichen Seele. In Grenzwelten wo es kein Gut mehr gibt, dort wo nur noch mehr ein Böse und vielleicht weniger Böse existiert...aber dennoch nicht alles in Finsternis versinkt.

Yayoi, Yoshiê, Masako und Kuniko. Vier Frauen die allesamt in ein und der selben Lebensmittelfabrik arbeiten. Nachtschicht, harte Arbeit aber 25% mehr Lohn als in der Tagschicht.
Man kennt sich, teilt sich meist am selben Fließband die Arbeit, sitzt nach der Arbeit vielleicht noch auf einen Tee oder Kaffee zusammen.
Man zieht sich um geht aus der Fabrik...
...und ab da geht jeder seine eigenen Wege.

Yayoi ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen zufrieden in einem kleinen Häuschen. Er ist Angestellter der zwar kein Vermögen verdient aber dennoch seiner Familie ein angenehmes Leben ermöglichen kann.
Einziger Schatten auf der Beziehung der Beiden ist das Yayois Mann sich ständig im Vergnügungsviertel von Tokyo herumtreibt und sein Glück lieber bei leichten Mädchen und Glücksspiel sucht anstatt Zuhause bei seiner Familie zu sein wo er auf die Kinder aufpassen sollte währen seine Frau bei der Arbeit ist.

Yoshiê ist die älteste unter den vieren. Wenn sie aus der Fabrik kommt und auf ihrem Fahrrad in ihre zu kleine Wohnung fährt und müde durch die Eingangstür stolpert, erwartet sie als erstes gleich ihre bettlägerige Schwiegermutter. Jene muss gewickelt und gefüttert werden. Meist geistert auch noch ihre jüngere und äußerst verzogene Tochter herum. Auch jener versucht sie als Mutter natürlich alles recht zu machen, und wenn dies sogar heißt bei Freunden Schulden zu machen um eine Klassenfahrt bezahlen zu können.

Masako scheint ebenfalls wie Yayoi ein glückliches Leben zu führen. Verheiratet, ihr Mann ist ebenfalls Angestellter und ihr 17 jähriger Sohn ist durch den gröbsten Erziehungsstress bereits durch.
Verheiratet? Ja.
Ehemann? Nein, seit Jahren schlafen beide in getrennten Betten, man hat sich auseinander gelebt und ihre Liebe wurde unter dem Geröll von Alltagsstress und unspektakulärer Gleichförmigkeit begraben.
Sohn? Nein, er wohnt zwar noch unter einem Dach mit ihr spricht aber seit einem Jahr kein einziges Wort mehr. Weder mit ihr noch mit ihrem Ehemann. Er wurde von der Schule geworfen und verdingt sich seit dem sein Geld als Maurergehilfe.

Kunikos Mann hat sich erst seit kurzem aus dem Staub gemacht. Er konnte sie nicht mehr ertragen. Sie, die verschwendungssüchtige, geldvernichtende, eitle in Selbstverliebtheit vergehende Frau. Er lässt sie sitzen mit einem von ihr selbst verursachten Schuldenberg. Kleider, Kosmetika und ein teures ausländisches Auto sind für sie das wichtigste im Leben für das sie schon mal unliebsamen Besuch von Schuldeneintreibern in kauf nimmt.

Und jeder lebt für sich alleine und ficht die täglichen Kämpfe gegen sein eigenes Schicksal aus.
Bis zu jenem Tag als mit einer Affekthandlung Yayois das Leben der vier Frauen grundlegend umgekrempelt wird.
Eines Nachts, kurz bevor Yayoi zur Arbeit aufbrach, traf sie auf ihren Mann der ihr nach längerem hin und her gestand das er ihre gesamten Ersparnisse beim Glücksspiel verprasst hatte. 5 Millionen Yen (ca. 40 000 Euro) Alles was sie hatten.
Aus Wut und ohne darüber nachzudenken nahm sie einen Gürtel schlang ihn um den Hals ihres Mannes und zog einfach zu. Fest, noch fester immer fester stemmte sie sich dagegen bis er mit verdrehten Augen und heraushängender Zunge vor ihr tot auf dem Boden lag.
Und was nun?
Sie hatte ihren Mann umgebracht...eigenhändig. Aus Absicht? Aus Wut? Aus Verzweiflung?
Egal was es war im Moment konnte sie einfach keinen klaren Gedanken fassen und ging, nach dem sie ihn versteckt hatte, einfach zur Arbeit. Natürlich bringt keine Frau einfach so ihren Mann um ohne dass sie sich jemanden danach anvertrauen würde. Und dieser Jemand ist in diesem Falle Masako. Auch sie ist im ersten Moment geschockt über die Tat aber sie fängt sich schnell wieder und bietet Yayoi, zu deren Überraschung, an ihr bei der Beseitigung der Leiche zu helfen.
Über das Wie? ist sich Masako zwar noch nicht ganz im klarem aber auf jeden Fall soll Yayoi versuchen fürs erste die um ihren Mann besorgte Ehefrau und Mutter zu spielen.
Nach längerem, aber dennoch erschreckend kurzem, Überlegen kommt Masako zu dem Schluss das es nur eine Möglichkeit gab um aus der ganzen Angelegenheit ungeschoren herauszukommen.
Sie mussten den Ehemann verschwinden lassen, spurlos verschwinden lassen. Ihn zerlegen, zerstückeln, in kleine Teile schneiden und ihn dann einfach auf den Müll werfen...so einfach, so erschreckend einfach. Aber Masako würde Hilfe brauchen, denn alleine könnte sie keinen erwachsenen Mann in mittleren Jahren handhaben, vom zerlegen ganz zu schweigen.
Sie fragt Yoshiê ob sie ihr dabei behilflich währe...
Nach anfänglicher Skepsis zeigt die "Meisterin", wie sie in der Fabrik immer genannt wird, dann aber doch Interesse.
Denn Geld ist es das Yayois Mann das Leben gekostet hat und auch Geld ist es das Yoshiê dazu veranlasste bei diesem grausigen Unternehmen mitzumachen, und auch Geld ist es das Kuniko zur falschen Zeit zum falschen Ort treibt...


Wer, von den geschätzten Lesern, in dem 1997 in Japan veröffentlichten Roman Die Umarmung des Todes nun eine Schlachtpaltte erwartet wird vielleicht anfänglich befriedigt aber auf weiter Sicht hin redlich enttäuscht werden. Der Roman nimmt ein sehr gemächliches Erzähltempo an in dem sich die Autorin, Natsuo Kirino, nicht hetzen lässt. Sie nimmt sich Zeit für die Details, für ihre Charaktere und legt auch wert das Geschehen nicht immer nur aus ein und der selben Perspektive zu zeigen. So dass es immer wieder zu Überblendungen oder auch ganzen Wiederholungen von einzelnen Erzählsträngen kommt.
Das "Ganze" scheint mir der Autorin sehr wichtig zu sein. Was es auch etwas schwer macht dieses Buch klar einzuordnen. Ist es am Anfang ein Krimi wird daraus bald ein Drama und im späteren Verlauf ein Thriller.
Dies mag, wie schon gesagt, den Roman etwas ausbremsen gibt ihm aber auch eine sehr kompakte Erscheinungsform. Nichts bleibt dem Leser verborgen, er ist den einzelnen Figuren stets dicht auf den Fersen.
Schlüssig, angenehm aber dennoch spannend geschrieben ist dieses Buch dessen Haupttenor im Kollidieren verschiedener Charaktere liegt.
Die Autorin versteht es den Leser nicht überfallsartig Zuzutexten sondern behutsam vorzugehen, schon fast so wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Die Steine sind die einzelnen Frauen, eine schlägt härter und eine andere nicht so hart am Wasser auf, aber jede die damit in Berührung kommt fängt an Kreise um sich zu ziehen.

Kirino zeichnet zwar, wie man oben sehen kann, ein gewisses Bild ihrer Charaktere die schnell diversen Stereotypen zugeordnet werden könnten lässt aber dem Leser bis zur Seite 200 Raum für eigene Einschätzungen und Vermutungen.

Und dann ist da natürlich noch das Geld. Nebst den Charakteren ein ebenfalls wichtiger Faktor in diesem Werk. Wegen Geld wird betrogen und gelogen, werden sogar Morde begangen. Und Menschen machen für Geld Dinge an die sie nicht mal im Traum denken würden. Geld als Traum oder auch als fataler Heilsbringer, als Mittel um all seine Träume zu erfüllen.

Abschließend möchte ich hier diesem Buch nur noch eine ganz klare Empfehlung und der Autorin ein Lob aussprechen.
Ein gutes Buch das sich wohltuend aus der breiten Masse heraushebt, ein Gutes Buch das nicht nur im eindimensionalen Raum zwischen Täter und Opfer fest hängt, ein Gutes Buch das nicht nur wegen seines Exotikfaktors all die Hayders, Hoffmans und Gerritsens hinter sich lässt.
Aber machen sie sich bitte selbst ein Bild, nicht nur von diesem Buch, sondern auch von diesem kulturellen "Andersland" in das uns Natsuo Kirino mit ihrem Werk mitnimmt.
Dr.Who
 

von Anzeige » 07.09.2008, 18:53

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Beitragvon wolves » 07.09.2008, 19:25

Gut das du mich an dieses Buch erinnerst. Vor unendlich langer Zeit in einer anderen Dimension schwärmte ein junges Pärchen, dessen Namen ich selbstverständlich nicht erwähne :wink: , von diesem Buch. So lange schwebt es schon auf meiner Wunschliste und gerade habe ich gesehen, dass es für wenig Geld die Hardcover-Ausgabe gibt.
Danke nochmal für den Tipp! :D
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon Nerolaan » 07.09.2008, 19:28

Wolves, dann hoffe ich, dass dieses junge Pärchen auch einen guten Tipp gegeben hat und du das Buch mögen wirst. :mrgreen:

Übrigens erinnert mich die Rezension selbst an etwas: auf Englisch sind zwei neue Romane von ihr erschienen..ich muss mir mal einen bestellen 8)
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Beitragvon wolves » 08.09.2008, 07:05

Nerolaan hat geschrieben:Wolves, dann hoffe ich, dass dieses junge Pärchen auch einen guten Tipp gegeben hat und du das Buch mögen wirst. :mrgreen:

Das hoffe ich auch :wink:

Übrigens finde ich es toll, dass der Roman endlich mal nicht unter "Krimi" eingeordnet wurde, was er ja recht oft gemacht wird. Aber wie Dr. Who schreibt, hier geht es mehr als um einen "eindimensionalen Raum zwischen Täter und Opfer". Ich bin wirklich recht gespannt drauf.
Liebe Grüße
wolves


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