Der Schläfer

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    Re: Der Schläfer

    Alkazzar - 23.05.2007, 21:40

    Der Schläfer
    Einer der Admins von der offiziellen HG-Seite hat eine wie ich finde coole Geschichte gepostet. Hf all...

    1. Das Erwachen


    Dunkelheit.
    Kälte.
    Schmerz.

    Nur widerwillig nahm Lloyd's soeben wiedererlangtes Bewusstsein seine Dienste auf. Jeder pochende Herzschlag schoß eine neue Welle aus Schmerzen durch seinen Kopf. Schmerz wie ein Meer aus flüssigem Feuer. Und wieder wogte die feurige Brandung gegen sein schwaches Bewusstsein, dass ihn jeden Moment wieder zu verlassen drohte. Er stöhnte und erschrack als er seine eigene Stimme hörte. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass da schon die ganze Zeit verschiedene Geräusche gewesen waren. Aus dem Rauschen der Brandung wurde plötzlich das Flüstern des Windes und das Geräusch von Wellen die gegen die Klippen geworfen werden verwandelte sich in ein unregelmässiges, blechernes Klopfen.

    Lloyd versuchte seine Augen zu öffnen, doch seine Lider fühlten sich schwer und klebrig an. Sie öffneten sich nicht. Er atmete. Die Luft war Kalt und sein Hals trocken und rauh. Er lag am Rücken; hart und uneben. Kalter Schweiß klebte an seiner Haut und erzeugte Bilder von schmierigem Öl in Lloyd's Erinnerung. Seine Erinnerung... Lloyd versuchte sich zu erinnern was geschehen war. Doch er konnte es nicht. "Der Patient hat ein schweres Trauma erlitten, es könnte Monate dauern bis er seine volle Erinnerungsfähigkeit wiedererlangt", sagte die Stimme eines Arztes aus einer bekannten Fernsehserie in Lloyds Kopf, "Was ist denn das letzte, woran sie sich erinnern können?".

    Lloyd wusste es nicht. Ungeordnete Bilder verschiedenster Erinnerungen blitzten vor seinem inneren Auge auf, und verblassten wieder. An so vieles konnte er sich erinnern: Seine Kindheit, seine Eltern, seine kleine Schwester, Zuckerwatte, sein erster Kuss, das erste Mal Sex, die leere Wohnung nachdem Susanna ihn verlassen hatte... Lloyd brach seinen Ausflug in die Vergangenheit wieder ab. All diese Erinnerungen fühlten sich alt und lange vergangen an. An etwas Aktuelles konnte er sich nicht erinnern.

    Das schmerzhafte Pochen in seinem Kopf begann ganz langsam zu verebben. Zumindest bildete Lloyd sich das ein aber möglicherweise stumpfte auch nur seine Schmerzempfindung ab. Vielleicht hatte er sich ja nur bis jenseits der Grenze völliger Verantwortungslosigkeit betrunken und war dann irgendwo auf der Straße eingeschlafen. "Netter Versuch, aber du weißt, dass das nicht stimmt!", sagte die Stimme seiner Vernunft. Irgendetwas war passiert. Möglicherweise ein Unfall?

    Lloyd öffnete die Augen und blickte in einen grauen, wolkenverhangenen Himmel. Nun das war nichts seltenes in London. "Wenn ich noch in London bin...", dachte sich Lloyd, aber aus irgendeinem unbekannten Grund war er sich dessen ziemlich sicher. Vermutlich weil die meisten der Erlebnisse in seinen Erinnerungen hier stattgefunden hatten. Aber so gewohnt der der Anblick der Wolken auch sein sollte, irgendetwas stimmte nicht. Das nagende Gefühl der Unsicherheit begann an Lloyds Ruhe zu knabbern. Er wurde nervös. Er versuchte den Kopf zur Seite zu drehen, aber erntete nur eine neue Schmerzeswelle durch die ihm beinahe schwarz vor Augen wurde. Sein Blickfeld wirkte sehr eingeengt und flimmerte an den Rändern. "Tunnelblick. Höchstwahrscheinlich Gehirnerschütterung", sagte die Arztstimme.

    Lloyd nahm all seine Kräfte zusammen und setzte sich langsam auf. Schwindelgefühl überkam ihn und alles begann sich rund um ihn zu drehen. Er konnte kleine Kieselsteine unter seinen Händen fühlen. Und kalten Asphalt. Durch die Bewegung aufgeweckt meldeten nun auch alle möglichen anderen Körperteile Lloyds Schmerzen an. Als sich die Nebel des Schwindelgefühls langsam lichteten, und seine Sicht wieder halbwegs klar wurde, konnte Lloyd zum ersten mal einen Blick auf seine Umgebung werfen. Ihm stockte der Atem.

    Das Gebäude auf das er starrte konnte man kaum noch eine Ruine nennen. Die Wände waren stellenweise eingestürtzt, der Putz großteils abgebröckelt. Viele Fenster waren eingeschlagen und der Dachstuhl schien vollständig zu fehlen. Trümmer und Gerümpel türmten sich vor der Ruine zu kleinen Hügeln. Und alles zusammen war völlig Russgeschwärzt, als wäre mehrmals Napalm darüber nieder gegangen. Erschrocken wendete Lloyd seinen Kopf in alle Richtungen - was sein Nacken mit einem unangenehmen Knirschen quittierte - nur um festzustellen, dass das Bild überall dasselbe war. Die ganze Straße wirkte wie von einem langen Krieg in Schutt und Asche gelegt. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die ganze Zeit über schon den stechenden Geruch von verbranntem Schwefel in der Nase hatte.

    Mühsam hievte sich Lloyd auf seine wackeligen Beine und stellt fest, dass das Klopfgeräusch von einem Parkverbotsschild stammte, das - durch den Wind bewegt - lose von seiner Stange baumelte. Vorsichtig betastete er sich von Kopf bis Fuss und stellte erstaunt fest, dass er - abgesehen von etlichen Schrammen, Prellungen, Blutergüssen, blauen Flecken und Schürfwunden - eigentlich unverletzt war. Was auch immer hier passiert sein mochte, es war praktisch völlig unmöglich, dass er es so ohne weiteres überlebt hatte. Sogar der Asphalt hatte Sprünge und war stellenweise aufgerissen. Die Mächte die hier am Werk gewesen sein mussten hätten jeden Menschen in Brei verwandelt. Zu seiner Verwirrung kam noch zusätzlich hinzu, dass manche seiner Blessuren schon mehrere Tage alt zu sein schienen. Aber Lloyd beschloss dieses Rätsel erstmal auf sich beruhen zu lassen und sich lieber auf die Suche zu machen. Auf die Suche nach Wasser, anderen Menschen... was auch immer.

    Ein blechernes Scheppern lies Lloyd zusammenschrecken. Hinter der nächsten Hausecke war irgendetwas umgefallen. Oder umgeworfen worden... "Da ist jemand!", war Lloyds erster, hoffnungsvoller Gedanke, doch ein tierisches Knurren belehrte ihn eines besseren. "Mist, nur ein streunender Hund", dachte er, ging aber dennoch weiter auf die Hausecke zu. Er verspürte einfach das starke Verlangen irgendetwas lebendiges zu Gesicht zu bekommen, auch wenn es nur ein räudiger Straßenköter war. Wieder ertönte das grollende Knurren. "Ganz schön tiefer Klang", dachte Lloyd, "Das muss ja ein ziemliches Kalb von einem Hund sein..."



    Re: Der Schläfer

    Alkazzar - 23.05.2007, 21:42


    2. Kreatur der Hölle

    Was Lloyd als nächstes sah, ließ das Blut in den Adern gefrieren. Gleich hinter der Hausecke befand sich wieder einer dieser scheinbar allgegenwärtigen Schutthügel, und obendrauf stand oder kauerte ein ... also, es sah aus wie ... nun, auf alle Fälle war es kein Hund!

    Lloyds Herz machte den Schlag den es nun schon seit zwei Sekunden ausgesetzt hatte, aber trotz des stechenden Schmerzes in seiner Brust bewegte er sich keinen Millimeter. Er wagte nichtmal zu atmen, aber weil er die Luft nicht ewig anhalten konnte, versuchte er so flach und langsam als nur möglich zu atmen. Das furchteinflössende Etwas hatte ihn sofort bemerkt und schien ihn nun genau zu beobachten.

    "Hunde und andere Tiere können deine Angst riechen. Dreh ihnen nie den Rücken zu und lauf niemals weck, dass weckt ihren Jagdtrieb. Bleib am besten völlig regungslos stehen und warte bis es sich wieder abwendet", sprach die Stimme der Vernunft. "Das ist kein Tier!", kreischte die Stimme der Panik, und sie hatte recht. Wenn auch der Brustkorb und der Rumpf noch wage an einen großen Hund erinnern mochten, der Rest hatte keine Ähnlichkeit mit irgend etwas, dass Lloyd schon mal gesehen hatte. Die verhältnismässig großen vorderen Extremitäten endeten genauso wie die viel kleineren hinteren in einem Satz tödlich scharf wirkender Klauen. Zusätzlich waren auch noch die Ellenbogen und Schultern klauenbewehrt. Auch aus dem Rücken wuchsen zwei Reihen knochenartiger, spitzer Fortsätze, wie zum Schutz gegen größere, noch gefährlichere Räuber.

    Das schlimmster aber war der Kopf: Während der restliche Körper mit einer fast schwarzen, ledrigen Haut überzogen war, wirkte der Kopf zum größten Teil wie skelettierter, blanker Knochen. Die Augen waren nichts weiter als zwei leuchtende, kleine Punkte, tief in ihren dunklen Höhlen, die Lloyd mit ihrem stechenden Blick zu durchbohren schienen. Das Unterkiefer war überdimensional groß und überragte das obere Kiefer um beinahe eine Handspanne. Die großen, gebogenen Eckzähne schienen ein ausgezeichnetes Reiß-Werkzeug zu sein. Schweißperlen bildeten sich auf Lloyds Stirn.

    Es atmete zischen aus, und Lloyd konnte sehen, wie sich unter der Haut gestählte Muskeln spannten. Es senkte die Brust tiefer and den Schutthügel unter sich und verlagerte sein Gewicht nach hinten. "Es duckt sich zum Sprung!", gellte die schrille Stimme der Panik erneut durch Lloyds Kopf, "Mach was!". Und dann passierte alles viel schneller als er es wahrnehmen konnte.

    Plötzlich schoß dieses entsetzliche Untier rasend schnell durch die Luft und Lloyds weiche Knie knickten weg, als er ohnehin viel zu langsam versuchte zur Seite zu springen. Ein plötzlicher, stechender Schmerz durchbohrte seine Schulter und breitete sich wie eine Schockwelle über seinen gesamten Körper aus. Ein lauter Knall zerriss die Luft. Dann krachte Lloyd mit Rücken und Hinterkopf gegen den Asphalt und rote Punkte begannen vor seinen Augen zu tanzen. Heißes Blut spritzte in sein Gesicht, als das Monster strauchelte und auf ihn stürzte. Ein zweiter Knall. Das Monster jaulte schmerzerfüllt auf, überschlug sich und kam hinter Lloyd mit schwer rasselndem Atem zu liegen. Noch ein dritter Schuss ertönte, dann kehrte Stille ein.

    Lloyd konnte einiges aushalten. Verkehrschaos, mürrische Taxifahrer und übelgelaunte Chefs; stumpfsinnige Liebesschnulzen im Kino, Beziehungskrach und Sex-Entzug; Rügen, Strafzettel und Kündigungen. Das alles war kein Problem. Sogar mit randalierenden Demonstranten und aggressiven Rechtsradikalen war er schon fertig geworden. Aber das... Das war einfach zuviel für Lloyd. Er wollte einfach aufgeben. Einfach liegenbleiben und heulen, oder schlafen. Alles vergessen. "Das würde alles nur noch schlimmer machen.", sagte die Stimme der Vernunft. "Halt doch die Klappe", antwortete Lloyd barsch, "ich habs satt vernünftig zu sein... gib's doch zu, in dieser Situation kannst selbst du mir nicht weiterhelfen!". Die Vernunft schwieg, doch irgendwie empfand Lloyd keine Freude darüber. "Reiß dich gefälligst zusammen", scholt ihn plötzlich sein Überlebenstrieb. Noch nie zuvor hatte er laut zu Lloyd gesprochen... Lloyd gehorchte.

    Er konnte Schritte hören, die sich ihm näherten und ganz in seiner Nähe stoppten. Als Lloyd versuchte zu sehen wer da war, kam ihm nur das Blut des Monsters in die Augen und brannte dort fürchterlich. Er wältzte sich auf seine Knie und versuchte es mit den Handrücken aus den Augen zu wischen.
    "Lebst du?", fragte eine sanfte, weibliche Stimme.

    Fortsetzung folgt...



    Re: Der Schläfer

    Alkazzar - 23.05.2007, 21:43


    3. Die Lebensretterin

    "Mehr oder weniger... " antwortete Lloyd stockend, während seine Hände wieder von den Augen nahm. Sie brannten zwar noch immer wie Feuer, aber er konnte zumindest wieder sehen - wenn auch nur etwas verschwommen. Er hob den Kopf, erhaschte aber noch kurz einen Blick auf zwei denkwürdig seltsame Stiefel: Schwere, brachiale Treter, scheinbar aus massivem Metall gefertigt und an den "Nahtstellen" mit bläulich leuchtenden Linien durchzogen.

    Erschrocken wich Lloyd zurück als er erkannte, dass er in die Mündung eines sehr futuristisch anmutendenden Schießeisens starrte. Doch die seltsame Lady schien mit seiner Antwort zufrieden und senkte bereits ihre Waffe. Der Rest ihres extravaganten Outfits war nicht weniger seltsam als die Stiefel aber durchaus ansprechender: Sie trug Armschienen, Schulterstücke, einen Helm und eine Brustplatte die aus derselben Legierung hergestellt und mit denselben bläulichen Linien durchzogen waren wie das Schuhwerk. Darunter aber trug sie aber eine Art zweiter Haut aus irgendeiner schwarzen high-tech Gewebefaser die sich höchst elastisch jeder feinen Kontur ihres atemberaubenden Körpers anpasste. "Lloyd, du fantasierst... " sagte die Stimme der Selbstverachtung, aber sie klang nicht besonders überzeugt.

    "Und wenn ich tot gewesen wäre... hättest du mich dann erschossen, oder wie?", meinte Lloyd, selbst über seinen sarkastischen Tonfall überrascht. Er rechnete bereits fest damit dass sie sagen würde er solle ihr für seine Rettung danken und nicht so schnippisch sein, aber sie antwortete nur in völlig ruhiger Stimme: "Allerdings."

    Während Lloyd sich immer noch vergeblich bemühte den Sinn hinter dieser Aussage zu erfassen, packte sie ihn bereits am Arm und zog ihn auf die Beine. "Wir sollten zusehen, dass wir schleunigst hier verschwinden. Diese kleinen Biester sind normal niemals alleine unterwegs, das Rudel kann nicht weit sein.", meinte sie und zeigte dabei mit ihrer Waffe auf die rauchenden, zerschmetterten Überreste des Wesens, dass ihn angefallen und verletzt hatte. "Was zum Teufel war das überhaupt?", fragte Lloyd, dessen Verwirrung mit jeder Minute größer zu werden schien. Aber er war heilfroh zumindest nicht mehr alleine zu sein, auch wenn diese Frau nicht ganz klaren Verstandes zu sein schien. Sie sog zutiefst überrascht und erstaund die Luft ein, und bedachte Lloyd mit einem langen Blick, den er nicht deuten konnte, da der Helm ihre Augen und ihr Gesicht verdeckte. Sie sagte aber nichts weiter als: "Später. Zuerst suchen wir uns einen sicheren Unterschlupf." Sie zog noch ein Stück sauberes Tuch aus dem inneren einer ihrer Armschienen, faltete es und gab es Lloyd damit er es auf seine Wunde an der Schulter pressen konnte, dann gingen die beiden los.

    Der Fussmarsch der dann folgte sollte Lloyd später immer vorkommen wie ein Traum. Wirre Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf und er war sowohl mit seinen Kräften als auch mit seiner Aufmerksamkeit am Ende. Er hatte keine Ahnung wo sie ihn entlang führte und bekam auch kaum etwas von seiner Umgebung mit. Müdigkeit kroch in seine Glieder und ließ seine Beine schwer werden wie Blei. Sie kletterten zuerst in die Kanalschächte und später dann noch weiter runter in irgendwelche anderen Tunnels. Ein oder zwei Mal deutete Sie Lloyd ganz still zu sein und sich klein zu machen, und dann kauerten sie - ohne einen für Lloyd ersichtlichen Grund - für Minuten regungslos in einer Ecke, bevor sie ihren Marsch ebenso plötzlich wieder fortsetzte.

    Schließlich demontierte sie ein Lüftungsgitter, half Lloyd in den engen Schacht zu klettern und folgte ihm dann. Lloyd schätzte dass er zirka zwanzig Meter weit bäuchlings durch den Betonschacht robben musste, bevor er auf einen kleinen Raum stieß. Im Licht der kleinen Lampe die sie ihm reichte, erkannte er, dass sich der Schacht trichterförmig erweiterte. Er endete an einem großen Gitterkäfig, in dessem inneren sich ein gewaltiges Flügelrad befand das scheinbar der Ventilation gedient hatte, jetzt aber stillstand. Der Weg den sie gekommen waren, war der einzige Zugang und er war eng und unscheinbar. Ein sicherer Unterschlupf...

    Sie nahm ihren Helm ab, und zum Vorschein kam ein fein geschnittenes Gesicht, umrahmt von zotteligen, schwarzen Haarsträhnen. Ihre dunklen, ruhigen Augen warfen ihm einen Blick zu, gezeichnet von großem Schmerz, großer Trauer und ebenso großer Verzweiflung. Lloyd konnte sich nichtmal vorstellen was für einen Horror sie möglicherweise schon durchlebt haben mochte. Für eine Sekunden war er erfüllt von dem unbändigen Wunsch sie in den Arm zu nehmen, an sich zu drücken zu trösten und zumindest für kurze Zeit die Last von ihren Schultern zu nehmen. Denn was er hier sah, war ein zartes Geschöpf das drohte von einer grausamen Welt erdrückt zu werden, dessen war er sich ganz sicher. Dann wurde ihm aber klar, dass er selbst nichts als eine zusätzliche Belastung für sie war. Ein Klotz an ihrem Bein. Obwohl er eben erst von ihrer Wasserflasche getrunken hatte, war Lloyds hals plötzlich wieder staubtrocken. "Vielen Dank, dass du mich gerettet hast...", meinte er, "Ohne dich wäre ich bestimmt...". Sie unterbrach ihn indem sie ihren gestreckten Zeigefinger auf ihre Lippen legte und "Shhh" sagte. "Reden wir nicht davon.", fügte sie leise hinzu.

    "Lass mal deine Veletzung sehen.", meinte sie, während sie bereits mit größter Vorsicht das inzwischen mit Blut vollgesogene Tuch von Lloyds Schulter entfernte. "Was hast du nur da draußen gemacht? Ganz alleine und unbewaffnet... Wolltest du sterben?", fragte sie ihn und Lloyd stellte mit seltsamen Erschrecken fest, dass sie die Frage "Wolltest du sterben?" völlig unbetont und emotionslos stellte. Als wäre es für sie völlig alltäglich, dass Menschen Selbstmord begingen und als empfände sie es in keinster Weise verwerflich, sich den Tod zu wünschen. "Nein!", antwortete er energisch. "Das heißt ich weiß es nicht... ", gestand er dann etwas kleinlauter, "Ich kann mich an nichts erinnern, ich muss mein Gedächtnis verloren haben." Sie begann vorsichtig die Bisswunde auszuwaschen und zu reinigen und fragte ihn aus welchem "Schlupfloch" er denn stamme, und ob er sich noch daran erinnere, was er tun wollte, bevor ihm das Gedächtnis versagte.

    "Ich weiß es wirklich nicht,", erklärte Lloyd "ich kann nichtmal sagen was das letzte ist an das ich mich erinnern kann. Ich weiß nur dass ich heute plötzlich auf einer Straße da oben aufgewacht bin, so zerschunden wie du mich jetzt vor dir siehst. Ganz London war plötzlich zerstört und alles schwarz von Russ. Und dann war da dieses komische Wesen wie ich noch nie zuvor eines gesehen habe... das du dann getötet hast... und ich war so verwirrt und... was für eine Art von Waffe kann nur so etwas anrichten? Die ganze Stadt einfach so... " Während dem letzten Satz wurde Lloyds Stimme immer leiser und versiegte schließlich ganz, als er bemerkte, dass sie aufgehört hatte die Wunde zu säubern und ihn mit angsterfülltem Blick anstarrte. "Was?", fragte Lloyd unsicher.

    "Oh mein Gott...", stammelte sie, "Soll das heißen du hast noch nie einen Dämon gesehen und niemals etwas von dem Höllentor gehört?"
    "Dämon? Höllentor?", fragte Lloyd völlig verständnislos. Er konnte förmlich fühlen wie in seinem Verstand einige Zahnräder aus ihren Bahnen sprangen und plötzlich hatte er Angst davor, dass sie weitersprach. Aber sie hatte sich bereits wieder abgewandt und konzentrierte sich völlig auf seine Schulter. Lloyd konnte sehen, dass ihr Tränen in die Augen gestiegen waren, und er hatte den Eindruck als wäre sie nicht minder verwirrt und schockiert als er selbst es war. Er fühlte sich sehr klein und hilflos.

    Sie legte ihre Handfläche auf seine Verletzung und riet ihm die Zähne zusammenzubeissen. Dann schloss sie ihre Augen und und ihre Gesichtszüge verhärteten sich. Ein schwaches blaues Leuchten begann ihre Hand zu umspielen und noch bevor Lloyd sich fragen konnte was das denn nun war, traf ihn der Schmerz wie ein Dampfhammer. Er krümmte sich vor Pein, doch sie presste ihn so fest gegen den Boden, dass er sich ihrem Griff nicht entwinden konnte. Dann war plötzlich alles wieder vorbei und ein starker Duft wie von geschmolzenem Karamell erfüllte die Luft. Lloyds Schulter war völlig taub und nur ein dumpfes Pochen kündete noch von seinen Schmerzen und zu seinem großen Erstaunen hatte die Wunde aufgehört zu bluten und war nun verkrustet. "Was zum... Wie hast du...", wollte er Fragen, aber sie schüttelte nur den Kopf. "Erklärungen gibt es Morgen, jetzt schlaf. Ich werde Wache halten."

    Nun da die Schmerzen verebbt waren, bemächtigte sich tatsächlich sofort eine bleierne Müdigkeit Lloyds Körpers. Der Gedanke an Schlaf schien so verlockend, dass sogar die ungelösten Fragen in Lloyds Kopf verstummten. Eine musste er aber dennoch stellen:
    "Du?"
    "Ja?"
    "Wie heißt du eigentlich?"
    "Avena"
    "Ich bin Lloyd"
    Er konnte gerade noch erkennen wie ein zartes, trauriges Lächeln ihre Lippen umspielte, dann fiel er sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

    Fortsetzung folgt...



    Re: Der Schläfer

    Alkazzar - 23.05.2007, 21:44


    4. London und das Höllentor

    "Hey," flüsterte sie mit sanfter Stimme, "Gut geschlafen?". "Geht so", antwortete Lloyd während er sich leise stöhnend aufrichtete. Er hatte geschlafen wie ein Toter, aber jetzt hatte er steife Gelenke und verkrampfte Muskel. Der kalte Betonboden war nicht unbedingt die kuscheligste Schlafstätte. "Woher wusstest du, dass ich gerade aufgewacht bin?", wunderte sich Lloyd, während er versuchte sich ein wenig aufzusetzen. Aber wie er sich auch drehte und wendete, es war immer ziemlich unangenehm sich gegen das Gitter zu lehnen. Ihm schwachen Schein der Lampe, die Avena soeben wieder angemacht hatte, konnte er sehen, dass sie dieses Problem nicht hatte: Mit ihren Rüstungsplatten hätte sie sich auch gegen spitze Nägel lehnen können.

    "Im Schlaf atmest du flacher", antwortete sie und streckte ihren Arm aus. "Komm, lehn dich an meine Schulter, wir müssen hier noch ein paar Stunden ausharren." Lloyd rutschte näher an sie ran, lies sich den gepanzerten Arm um seine Schultern legen und lehnte sich dann dagegen. Besonders bequem war aber auch das nicht. Er betrachtete seine Schulter. Die oberflächliche Blutkruste wirkte völlig unverändert, aber ein unangenehmer Juckreiz kündete von dem Fortschreiten des Heilungsprozesses darunter. Dann wanderte sein Blick wieder zurück zu Avena. Sie sah müde und angespannt aus. Dunkle Ringe hatten sich unter ihren Augen gebildet. "Worauf warten wir?", fragte Lloyd.

    "Die Mittagszeit, wenn das Licht am stärksten ist.", begann Avena zu erklären, "Nachts sind alle Straßen zum bersten gefüllt mit Dämonen und anderen Monstern. Bei Tageslicht verkriechen sie sich in irgendwelchen dunklen Löchern, so wie wir hier. Sie scheuen das Sonnenlicht. Aber die hellen Zeiten des Tages werden immer kürzer. Der Himmel füllt sich mit immer dunkleren Wolken. Es ist Monate her, dass ich zuletzt die Sonne gesehen habe. Aber ihr Licht dringt immer noch durch. Immer öfter regnet Asche vom Himmel. Die Dämonen verändern die Welt, passen sie an um sie für ihre Verhältnisse lebensfreundlicher zu machen. Aber am besten ich fange ganz am Anfang zu erzählen an..."

    Und so erzählte Avena die lange, traurige Geschichte von der Zerstörung Londons und der Auslöschung von vermutlich fast der gesamten Menschheit. Lloyd brachte bereits die Entdeckung dass seiner Erinnerung mehr als fünf Jahre fehlten so stark aus der Fassung, dass er viele Teile der nachfolgenden Erklärungen gar nicht wirklich wahrnahm. Vieles schien auch viel zu schrecklich und unglaublich um es einfach so akzeptieren zu können. Aber Avena sprach mit gelassener Stimme, als würde sie den Inhalt eines langweiligen Kinofilmes nacherzählen. Die ganze Situation erschien Lloyd irgendwie sehr surreal. Wie eine Szene aus einem wirklich schlechten Film, die nur eingefügt worden war um den Zuseher mit Erklärungen zu füttern, weil sonst die konfuse Handlung einfach keinen Sinn machte... Und dann wunderte er sich wieder über sich selbst, wie er einfach so ruhig dasitzen und all diese Informationen hinnehmen konnte, ohne dabei auszuflippen, loszuheulen oder sonst irgend etwas zu tun. Es war aber nicht so, dass ihn das ganze einfach kalt lies... Er war einfach so gelähmt, dass er zu keiner Reaktion imstande war. Auch war er mit der Situation völlig überfordert und hatte keine Ahnung wie er überhaupt reagieren sollte... Also reagierte er ungewollt mit Apathie.

    Avena erzählte von der plötzlichen Öffnung des Höllentores und den herausschwärmenden Dämonenscharen. Von den erfolglosen versuchen der Armee eine Quarantäne über das gesamte Stadtzentrum - in dem sich das Tor geöffnet hatte - zu verhängen und die darauf folgende Ausrufung des Ausnahmezustandes. Darauf folgte der Zusammenbruch aller Kommunikation mit anderen Nationen, und die gezielte Zerstörung aller militärischen Stützpunkte und Einrichtungen durch die Dämonenhorden. Eine Massenpanik brach aus, und während die eine Hälfte der Londoner sich beim Versuch aus der Stadt zu fliehen gegenseitig tot trampelte und -fuhr, versuchte die andere Hälfte sich mit Lebensmitteln einzudecken und in den Häusern zu verschanzen. Supermärkte und Kaufhäuser wurden vom Mob geplündert und regelmässig kam es zu Streit, Messerstechereien und sogar Schiessereien unter den Plünderern. Nach und nach fielen die Energieversorgung und das Telefonnetz aus und bald schon war es auch mit batteriebtriebenen Radios unmöglich noch eine letzte generatorbetriebene Sendestation zu empfangen. Ab diesem Zeitpunkt ist es sehr schwer zu sagen was alles passierte, weil das Glück zu überleben hatten nur die am besten versteckten und verbunkerten Menschen die am wenigsten von den ganzen Vorgängen mitbekamen.
    Avena selbst fand durch Glück und Zufall Unterschlupf in einem privaten Schutzbunker, der von einer geheimen Organisation unterirdisch angelegt worden war: den Templern. Sie waren die einzigen gewesen, die das kommen der Dämonen schon seit vielen Jahrhunderten vorhergesehen hatten und deshalb immer darauf vorbereitet gewesen waren. Von der Öffentlichkeit nur als paranoide Spinner betrachtet tätigten sie aber schließlich all ihre Unternehmungen nur noch in völliger Heimlichkeit und verloren im Laufe der Zeit auch stark an Mitgliedern. Als das Höllentor sich letztendlich tatsächlich öffnete, gab es nur noch eine kleine Handvoll Eingeweihter und auch diese...

    And dieser Stelle kam Avena ins stocken und ihre Erzhälung brach ab. "Es tut mir Leid", entschuldigte sie sich nachdrücklich, "Es tut mir wirklich Leid, aber das Thema weckt sehr schmerzhafte Erinnerungen..."

    "Du musst dich nicht entschuldigen!", versuchte Lloyd zu erklären, doch sie verbannte scheinbar das Thema bereits aus ihren Gedanken und schubste Lloyd sanft von sich. "Wir sollten aufbrechen. Wir haben noch ein Stück nicht ganz ungefährlichen Fussmarsches vor uns, bevor wir den nächsten Unterschlupf erreichen. Dort bekommen wir dann endlich was zu essen und können uns waschen. Und mit ein bischen Glück finden wir auch Ersatz für die schmutzigen Lumpen in denen du rumläufst." Sie lächelte aber es wirkte aufgesetzt und etwas künstlich. Lloyd nickte stumm. Nur wenige Minuten später kletterten sie bereits durch einen Wartungsschacht des Ventilationssystems in Richtung Oberfläche.

    Fortsetzung folgt...



    Re: Der Schläfer

    Alkazzar - 16.06.2007, 14:56


    Bevor ich die komplette Geschichte hier posten werde, sollte ich wohl lieber den link als PDF Datei schicken, weil die Epische Geschichte schon auf 22 teile gewachsen ist.

    Viel Spaß damit.

    Der Schläfer



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