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Roth, Philip - Der menschliche Makel




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Roth, Philip - Der menschliche Makel

Beitragvon Pippilotta » 02.05.2007, 19:48

"Die Berührung durch uns Menschen hinterlässt einen Makel, ein Zeichen, einen Abdruck. Unreinheit, Grausamkeit, Missbrauch, Irrtum, Ausscheidung, Samen – der Makel ist untrennbar mit dem Dasein verbunden."

Coleman Silk ist 71, Professor für Literatur und Dekan an einem College im Ruhestand, setzte mit zwei unüberlegten Worten seiner strahlenden Karriere einen jähen Endpunkt. Er bezeichnete zwei fehlende Studenten als „dunkle Gestalten die das Seminarlicht scheuen“ und muss sich den Vorwurf der Rassendiskriminierung machen lassen, da es sich bei den beiden Fehlenden um Schwarze handelt.
Eine Jagd auf Coleman Silk beginnt, angeführt von der jungen und extrem ehrgeizigen Professorin Delphine Roux. Die Anklage zwingt Coleman Silk, in den Ruhestand zu treten und er macht die ungerechte Behandlung, die ihm widerfahren ist, zu seinem Lebensinhalt.. Verstärkt wird diese Verbitterung durch den Tod seiner Frau, für den er ebenfalls den Wirbel um seine Person verantwortlich macht.

Coleman schreibt 2 Jahre lang an einem Buch um seine Lebensgeschichte festzuhalten. Als er das Buch fertiggestellt hatte stellte er fest, dass es unbrauchbar ist. Doch die Schreiberei hat ihm geholfen, das Trauma zu überwinden und wieder Lebensmut zu schöpfen.
Er beginnt eine Affäre mit der 34-jährigen Faunia. Faunia arbeitet als Putzfrau im College, auch sie hat eine schlimme Zeit hinter sich. Vom Stiefvater missbraucht, vom gewalttätigen Mann ist sie bereits geschieden, ihre beiden Kinder sind bei einem Feuer ums Leben gekommen.

Als diese Affäre bekannt wird, gibt es für Delphine Roux wiederum einen Anlass, Öl ins Feuer zu gießen.

Es ist eigentlich kaum möglich, sämtliche Aspekte dieses vielschichtigen Romans festzuhalten. Die Thematik rund um die rassistische Bemerkung wird erst so richtig ad absurdum geführt, wenn man Silks „Geheimnis“ kennt. Die Charaktere sind sehr lebendig und es fällt dem Leser sehr schwer, Partei zu ergreifen. Überraschende Wendungen und tiefgründige Hintergründe vermischen „Gut“ und „Böse“ und machen es dem Leser sehr schwer, über das Handeln zu urteilen.

Die Verknüpfungen mit der amerikanischen Tagespolitik der 90-er Jahre (rund um Bill Clinton und Monika Lewinksy), die traumatischen Erlebnisse des Vietnam-Krieges, die wohl bis heute noch nicht verarbeitet sind, Feminismus, Rassismus, Feminismus und die Suche nach der eigenen Identität sind nur einige Themen, die Philip Roth in diesem Buch verarbeitet.

Gesamt gesehen ein sehr schönes Leseerlebnis, das aber auch ein wenig Ausdauer erfordert, muss man sich doch auch über einige Längen hinweglesen.

:stern: :stern: :stern: :stern:

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Beitragvon Welf » 06.05.2007, 14:19

Ich habe den Roman gestern Abend auch beendet und mir ist es ehrlich gesagt nicht schwergefallen, das Buch zur Seite zu legen.
Philip Roth ist unzweifelhaft eine Säule der amerikanischen Literatur, was sich an der Art und Weise zeigt, wie vielschichtig und lebendig er die Personen in diesem Roman zum Leben erweckt. Er schildert die Menschen, wie sie auch im wirklichen Leben, mit allen Vorzügen, Fehlern und "Makeln".
Durch diesen Umstand ermöglicht er es dem Leser, viele Taten und Entscheidungen seiner Protagonisten nachzuvollziehen.

Was mich allerdings beim Lesen dieser Geschichte ziemlich gestört hat, ist der Umstand, daß Roth meiner Meinung nach mit seiner Geschichte so ziemlich alle Klischees der jüngeren amerikanischen Geschichte bedient.
Er lässt kein Thema aus, das nicht in letzter Zeit aktuell gewesen wäre: Rassendiskriminierung gegenüber der farbigen Bevölkerung, Antisemitismus,
die amerikanische Doppelmoral im Bezug auf Sexualität, bzw Amtsmissbrauch ehemaliger Präsidenten, traumatisierten Vietnamveteranen usw.
Man tut dem Autor sicherlich Unrecht, dieses Buch als populistisch abzustempeln, wobei es für mich schon ziemlich grenzwertig war.
Wobei ich dies immer auf den Inhalt der Geschichte beziehen möchte, nicht auf die schriftstellerische Qualität des Geschriebenen.

Daher von mir :

:stern: :stern: ( :stern: )
Welf
 

Beitragvon Krümel » 06.05.2007, 16:09

Ich kann mich deiner Meinung, Welf, zum größten Teils anschließen, ich fand das Buch auch vom Inhalt her überladen. Und es stimmt, es sind vorwiegend die ganzen Klischees die Roth in den Roman hinein klatscht. Und damit noch nicht genug, streut er auch noch ein Elend nach dem anderen hinein; eben dieses blutüberströmte Haus zum Schluss!
Dadurch wirkte das Buch bei mir auch sehr oberflächlich, und gar nicht so tief wie in den meisten Rezensionen geschrieben wird. Weil er streift diese ganzen Themen ja nur, er setzt sich nicht wirklich mit ihnen auseinander. Ein Zettelkastenbuch!
Mir hat das auch nicht besonders gefallen, ich mochte es nicht sonderlich.

:stern: :stern: :stern:
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Philip, Roth - Der menschliche Makel

Beitragvon Nikito33 » 25.02.2008, 21:35

Coleman Silk, der eigentliche Protagonist des Romans, arbeitet als Dekan an einer angesehenen Universität in Amerika und gibt dort Vorlesungen. Als zwei eingeschriebene Studenten nie zu seinen Vorlesungen erscheinen bezeichnet er sie vor versammeltem Plenum als „dunkle Gestalten“. Nach einem langen gerichtlichen Kampf wird er des Rassismus für schuldig gesprochen, verliert seine Stelle und seine gute Reputation. Auch seine Frau Iris stirbt während dieser Auseinandersetzung und Coleman bezeichnet das College als „Mörder meiner Frau“. Er fällt in ein tiefes, psychisches Loch bis er nach längerer Zeit eine um mehr als 30 Jahre jüngere Frau kennenlernt und sich in sie verliebt. Das Leben hat Faunia, seine Geliebte bisher nur bestraft. Als Kind wurde sie von ihrem Stiefvater missbraucht, als Ehefrau verprügelt und ihre zwei Kinder sind bei einem Brand ums Leben gekommen.

Lester Farley, Ex-Ehemann von Faunia und Vietnam-Veteran hat überhaupt keine Freude an der Beziehung der Beiden. Während er versucht, die Ereignisse des Vietnam-Krieges zu verarbeiten – Essen in einem chinesischen Restaurant oder der Besuch „der Mauer“ – stellt er den beiden nach und beobachtet sie.

Immer wieder gibt es Rückblenden im Leben der Protagonisten. Man erfährt zum Beispiel, dass Coleman eigentlich afrikanischer Abstammung also selber eine „dunkle Gestalt“ ist. Doch sehr hellhäutig geboren kehrt er dem Leben als „Schwarzer“ den Rücken und verkehrt nunfort nur noch in weisser Gesellschaft.


Philipp Roth berichtet aber auch über Aktualitäten dieser Zeit. Bill Clinton und seine Praktikantin ist ein Thema aber auch das Potenzmittel Viagra.

Im Grossen und Ganzen hat mir der Roman sehr gut gefallen. Gewisse Szenen musste ich zweimal lese, so gut haben sie mir gefallen.

Die Beschreibung wie Lester Farley - um seine Abscheu vor Menschen mit asiatischer Abstammung zu verarbeiten – mit anderen Vietnam-Veteranen und seinem Therapeuten in einem chinesischen Restaurant isst, ist einfach grandios. Man spürt als Leser geradezu wie stark er sich zusammennehme muss um dem chinesischen Kellner nicht an die Gurgel zu springen. Philip Roth verbindet in dieser Szene sehr viel Humor und Tragödie.

Philip Roth kann Menschen und deren Geschichten beschreiben dass man als Leser den Atem anhält und völlig in den Bann gezogen wird. Er erzählt prägnant mit viel Witz und Spannung.

Mit der Vermischung der erfundenen Romangeschichte und den zu dieser Zeit aktuellen, amerikanischen Geschehnisse wollte Roth sicher eine Brücke schlagen um zu zeigen, dass alles nur noch Öffentlich ist, es gibt keine Privatsphäre mehr, nicht bei Clinton und nicht bei einem einfachen Professor.

Von mir aus gesehen wäre diese Vermischung nicht nötig gewesen. Des Guten zu viel! Dies aber eigentlich die einzige Kritik an diesem sehr kurzweiligen Roman.

Gruss Nikito33
Zuletzt geändert von Nikito33 am 26.02.2008, 10:51, insgesamt 1-mal geändert.
Nikito33
 

Beitragvon Katia » 25.02.2008, 21:50

Danke für die schöne Rezi, der ich mich unbedingt anschließen kann. Mein Einstieg in Roth Werke, den ich sehr schätze.
Könntest Du den dritten Absatz vielleicht spoilern, ich denke das ist ein Überraschungsmoment im Buch, den man nicht unbedingt vorher wissen sollte.

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Beitragvon Pippilotta » 25.02.2008, 22:23

@nikito: ich habe Deine Rezi an den bereits vorhandenen angefügt. Ich habe mir auch erlaubt, die von Katia erwähnte Passage zu spoilern.

Übrigens: es gab zu diesem Buch letztes Jahr eine Leserunde. Bei Interesse kannst du hier nachlesen. :wink:
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