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Koeppen, Wolfgang - Tauben im Gras




Koeppen, Wolfgang - Tauben im Gras

Beitragvon Pippilotta » 01.05.2007, 19:09

zum Inhalt (lt. amazon.de)
"Tauben im Gras", 1951 erstmals erschienen, ist der erste Roman jener "Trilogie des Scheiterns", mit der Wolfgang Koeppen eine erste kritische Bestandsaufnahme der sich formierenden Bundesrepublik Deutschland gab. Mit Vehemenz und unerbittlicher Schärfe analysiert Koeppen die Rückstände jener Ideologien und Verhaltensweisen, die zu Faschismus und Krieg geführt haben und die schließlich in den fünfziger Jahren die Restauration der überkommenen Verhältnisse protegierten. Dabei ist das literarische Verfahren von "Tauben im Gras" ein kaleidoskopartiges: Der ganze Roman schildert Gestalten und Vorgänge eines einzigen Tages im München des Jahres 1949. Mit einer Fülle genauer atmospärischer Details zeichnet Koeppen den Nachkriegsalltag dieser Stadt, die sein Protagonist, der verhinderte Schriftsteller Philipp, wie ein Schlachtfeld erlebt, wie ein undurchdringliches "Pandämonium".

Meine Meinung

Wie in der BT-Klassikerleserunde schon öfter erwähnt, kam ich mit diesem Buch gar nicht zurecht.
Sprachlich eine Herausforderung, auch der Aufbau dieses Buches ist genial. Viele Personen, die anfangs völlig unabhängig voneinander agieren, werden mit Fortschreiten des Buches miteinander vernetzt und verwebt.
Was mich eigentlich am meisten störte, ist diese enorm pessimistische Stimmung, die dieses Buch vermittelt. Alles Schutt und Asche, kein Funke von Hoffnung, totaler Verfall der Moral, Scheinheiligkeit und Trostlosigkeit bestimmen das Buch.

Für mich wars nichts und ich sehe eigentlich darin auch keinen wirklichen Beitrag zur "Vergangenheitsbewältigung" (aber das ist meine ganz persönliche, laienhafte Meinung :oops: )

:stern: :stern:

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Pippilotta


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von Anzeige » 01.05.2007, 19:09

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Beitragvon chip » 09.04.2008, 10:04

Im ersten Teil der so genannten ‚Trilogie des Scheiterns’ wird ein Bild geschossen über den Zustand des Landes kurz nach dem 2. Weltkrieg. Koeppen lässt dazu eine Handvoll unterschiedlicher Menschen interagieren, zeichnet deren Gedanken nach, den Alltag eines einzigen Tages in einer deutschen Großstadt.

Wenn wir diesen Figuren folgen, sehen wir wenig von Vergangenheitsbewältigung, Hoffnung und Aufschwung. Der Krieg ist gewichen, doch die Angst und Unsicherheit ist geblieben. Ruinen allerorts, einige Geschäfte und Lokale notdürftig hochgezogen, gefüllt mit Menschen ohne Zukunftsperspektive. Der Kalte Krieg wirft auch schon seine Schatten voraus.

„Edwin sah in dieser Stadt ein Schauspiel und ein Beispiel, sie hing, hing am Abgrund, war in der Schwebe, hielt sich in gefährlicher mühsamer Balance, sie konnte ins Neue und Unbekannte schwanken, konnte der überlieferten Kultur treu bleiben, doch auch in vielleicht nur vorübergehende Kulturlosigkeit absinken, vielleicht als Stadt überhaupt verschwinden, …“

Sie suchen Ablenkung, wollen dieser lebensunwürdigen Realität nicht in die Augen sehen. Und genau dort setzt Koeppen an. Er beklagt die Ignoranz, das Überlebenselixier der Bevölkerung. Sie übernehmen die Propaganda-Parolen des Führers, manche wünschen ihn sich gar zurück, Kinder spielen Krieg zwischen den Trümmern, Juden sind durch Schwarze ersetzt worden, die nun unerwünscht sind, amerikanische Soldaten werden als Belagerer statt Retter angesehen. Die Gewaltbereitschaft ist ständig präsent, dient als Ventil aufgestauter Wut. Wut über die ihnen zugeführte Ungerechtigkeit, ob nun die Erbin, dessen Vermögen plötzlich an Wert verloren hat oder die Mutter einer Frau, die von einem schwarzen Soldaten ein Kind erwartet und Schande befürchtet, weil der Ariernachweis in deren Stammbaum bisher lückenlos gewesen ist.

Koeppen platziert einen Reisebus in seiner Stadt, der mit amerikanischen Lehrerinnen gefüllt ist. Amerikanerinnen auf Studienreise, die das klischeebehaftete Bild des deutschen Reiches bestätigt sehen wollen. Dichter, die unter Eichen spazieren und über das Leben sinnieren, eine romantische Vorstellung in ihrer Einbildung, die zwangsläufig in Enttäuschung enden wird. Koeppen will den Bürger wachrütteln, ihn dazu bewegen, sich aufzuraffen, seine Träume wieder aufzunehmen um dort weiter zu machen, wo sie vom Krieg unterbrochen wurden. Aber der Deutsche schläft, in einem Vortrag des fiktiven Schriftstellers Edwin fühlen sich die Zuhörer schlaff, hungrig, können sich nicht konzentrieren, hören nicht zu. Lieber träumen sie vom Amerika, dem pastellfarbenen Bilderbuchkontinent.

„ Um die amerikanischen Jungen war Luft, die Luft der weiten Welt, der Zauber der Ferne, aus der sie kamen, verschönte sie. Die amerikanischen Jungen waren freundlich, kindlich und unbeschwert. Sie waren nicht so mit Schicksal, Angst, Zweifel, Vergangenheit und Aussichtslosigkeit belastet wie die deutschen Jungen.“

Der Roman besteht aus Fragmenten, aus Splittern. Die Perspektive wechselt in jedem Absatz, die Minute eines Tages wird aus mehreren Augenpaaren gleichzeitig betrachtet und beschrieben. Daher wird ein wenig Konzentration gefordert, auch wegen der langen Sätze. Die Figuren selbst handeln unabhängig voneinander, begegnen sich zufällig an eine Kreuzung, ohne gegenseitig Notiz zu nehmen. Ein bemerkenswerter Kunstgriff, wenn der Fokus vorher noch auf den Fußgänger gerichtet, plötzlich den vorbei fahrenden Radfahrer in den Mittelpunkt stellt und mit diesem weitermacht.

„Die Lehrerinnen gingen über den großen Platz, eine von Hitler entworfene Anlage, die als Ehrenhain des Nationalsozialismus geplant war. Miss Wescott machte auf die Bedeutung des Platzes aufmerksam. Im Gras hockten Vögel. Miss Burnett dachte >wir verstehen nicht mehr als die Vögel von dem was die Wescott quatscht, die Vögel sind zufällig hier, wir sind zufällig hier, und vielleicht waren auch die Nazis nur zufällig hier, Hitler war ein Zufall, seine Politik war ein grausamer und dummer Zufall, vielleicht ist die Welt ein grausamer und dummer Zufall Gottes, keiner weiß warum wir hier sind, die Vögel werden wieder auffliegen und wir werden weitergehen …“

Gruß,
chip
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Beitragvon Voltaire » 09.04.2008, 10:32

Koeppen war für mich nie der herausragende Literat zu dem Reich-Ranicki ihn ja immer gemacht hat. Koeppen schreibt schlapp, er verheddert sich leicht einmal in den verschiedenen Stilmitteln und manchem seiner Bücher kann man das Prädikat "Langweiler" aufdrücken. Mir ist nie so ganz klar geworden, warum Koeppen ein Protege von MRR war.
Voltaire
 

Beitragvon Krümel » 09.04.2008, 10:40

Ich habe Koeppen noch nicht gelesen, aber die LR im BT verfolgt. Mein persönliches Fazit war: Muss nicht sein! Es gibt so viele Bücher ..., ich habe vielleicht noch 40 Jahre zu leben :wink: Das macht ca. 2800 Bücher, und die müssen sorgfältig ausgewählt werden. 8)
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon chip » 09.04.2008, 11:52

Dann oute ich mich mal als Koeppen-Gutfinder. Seine Sprache ist so kraftvoll, gleich einer Strömung, der man sich nicht entziehen kann. Er wählt seine Wörter mit Bedacht, keines ist da zuviel.
Naja, muss ich mich halt mit meinen exotischen Vorlieben alleine vergnügen. :wink:

Gruß,
chip
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