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Wiechert, Ernst: vier Erzählungen in einem Band




Wiechert, Ernst: vier Erzählungen in einem Band

Beitragvon leseratte4 » 13.04.2007, 10:59

Kennt jemand noch Ernst Wiechert?
Wenn man bedenkt, daß er in den zwanziger/dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ein richtiger Bestsellerautor war, wohl relativ wenige.
Nachdem ich vier Erzählungen ("Missa sine nomine", "Das heilige Jahr", "Hirtennovelle", "Der weiße Büffel") aus "Sämtliche Werke, Bd. 6" gelesen habe, wundere ich mich auch ein wenig, daß er wohl gut von der Schriftstellerei leben konnte und sogar Lesereisen in`s europäische Ausland und Amerika unternommen hat. Seine Sprache möchte ich nämlich als ziemlich gehoben und anspruchsvoll beschreiben.
Aber zunächst noch ein wenig über den Autor:

- 1887 in Ostpreußen geboren
- 1930-1933 Schuldienst in Berlin
- 1938 Verhaftung in Berlin (Wiechert hat Schülern geraten, nicht
aufzuhören, kritisch gegenüber der Politik zu sein)
einige Monate Konzentrationslager Buchenwald, von dort schwerkrank
entlassen und bis Kriegsende unter Gestapoaufsicht.
- 1950 in der Schweiz verstorben

Zugegeben, ein von mir sehr kurz wiedergegebener Lebenslauf. Wer sich für mehr interessiert, wird im Internet sehr schnell fündig. Ich habe nur die Daten wiedergegeben, in denen seine Werke entstanden sind, die ich hier vorstellen möchte.



Gerade mit der Vergangenheitsbewältigung des Naziregimes befasst er sich in seinem letzten und meinen ersten gelesenen Roman, "Missa sine nomine". Drei adelige Brüder, zusammen mit dem "Gesinde" von ihrem Landsitz im Osten vertrieben, versuchen, jeder auf seine Art, im "Neuen Leben" Fuß zu fassen und mit dem Geschehenen in`s Reine zu kommen.



"Das Heilige Jahr" besteht aus fünf Kurzgeschichten. Fünf starke Persönlichkeiten berichten über ihr Schicksal.



Die "Hirtennovelle" greift die alte biblische Geschichte des Hirtenjungen auf, der trotz seiner geringen Abstammung und Ausbildung am Ende über allen steht.



"Der weiße Büffel" hat mich am Stärksten berührt, da ich mich gerne mit den beiden Hauptcharakteren identifizieren würde. Oder anders gesagt: Unsere Welt sähe besser aus, gebe es mehr solche Menschen.
Ein junger Inder lehrt einen Fremdherrscher Demut über seinen Tot hinaus.




Eines haben alle Erzählungen gemeinsam: eine tiefe Liebe zu den Menschen und der Natur gepaart mit einer relativ großen Dosis ev. Religionslehre aus der alle Protagonisten Kraft und Stärke ziehen.
Eine Ausnahme bezüglich der Religion bildet "Der weiße Büffel". Aber auch hier zeigt Wiechert, daß ein wahrhaft Gläubiger und standhafter Mensch durch nichts, auch nicht durch den Tot, in`s Wanken gerät und dadurch werden letztendlich Herrscher gestürzt. Der Roman erschien übrigens 1937. Ansonsten kann ich nur noch sagen, daß man Wiechert viel intuitiv verstehen kann und soetwas sagt mir zu. Lest aber die Romane mit Pausen zwischendurch. Sonst wird diese eigentümliche Sprache vielleicht doch etwas viel.

Viele Grüße
Leseratte
Zuletzt geändert von leseratte4 am 13.04.2007, 19:14, insgesamt 3-mal geändert.
leseratte4
 

von Anzeige » 13.04.2007, 10:59

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Beitragvon Pippilotta » 13.04.2007, 12:43

Ernst Wiechert kenne ich nur vom "Hören Sagen", ich habe mich mit ihm noch nie näher befasst, und er ist mir eigentlich auch noch nie untergekommen ...

Aber dein Porträt macht mich sehr, sehr neugierig, danke! Ich werde mich mal auf die Suche machen.....
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon tom » 14.04.2007, 21:15

Ich kopiere einfach mal meine Rezi über die "Missa sine nomine" rein. Leseratte und ich haben/hatten im BT schon einen Austausch angefangen.

Wiechert, Ernst – Missa sine nomine
ISBN:978-3420041389

ZUM BUCH:
Nach Ende des II. Weltkrieges haben die drei Freiherrenbrüder Liljecrona ihre Heimat im Osten verloren und finden sich nach unterschiedlichen Schicksalen auf einem Schloss ihrer Familie in der amerikanischen Zone. Erasmus, der Älteste, war Generalsmajor, aber wegen Krankheit nicht zum Dienst eingezogen worden. Er leidet unter dem Gefühl, die Seinen auf der Flucht verlassen zu haben. Der Zweite, Ägidius, ist der Bauer, der vielleicht am Schmerzlosesten zurückfindet in einen Alltag der Arbeit. Im Vordergrund des Buches aber steht Amadeus, der Jüngste, der durch Verrat ins Lager und unter die Tortur kam, tötete, und nun, der Menschen überdrüssig, heimkehrt und „den Glauben verloren hat“. Das Buch ist die Geschichte seiner langsamen Heilung, Wandlung, vor allem im Kontakt mit der Natur und einfachen Menschen.

ZUM AUTOR:
* 18. Mai 1887 in der Nähe von Sensburg, Ostpreußen als Sohn eines Försters; erzogen durch einen Hauslehrer, später dann Schule in Königsberg; warnende Stellungnahme gegen den Nazismus: Internierung in Buchenwald; † 24. August 1950 in Stäfa am Zürichsee in der Schweiz, gehörte in seiner Zeit zu den am meist gelesensten deutschen Schriftstellern (siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Wiechert )

MEINE MEINUNG:
Hier geht es nicht um eine spannende Kriegs- oder Nachkriegserzählung mit viel action, sondern wirklich um einen langsamen inneren Wandlungsprozess nach erfahrenem Leid. Das Buch ist bei aller Zeitlosigkeit hier hineingestellt in das Umfeld des II.Weltkrieges: Vertreibung, Heimatverlust, aber vor allem so etwas wie Seelenverlust. Aber im Vordergrund stehen hier konkret einzelne Menschen und nicht einfach „Gruppen“.

Wie hier die langsame Verwandlung des Amadeus vom seufzenden und enttäuschten, überdrüssigen Heimkehrer hin zum versöhnten, lebendigen Menschen geschildert wird ist einfach atemberaubend und teils voller fast märchenhafter und evangelischer Tiefe. Die Sprache und auch die ausformulierten und dahin gestellten Werte klingen für uns heute teils etwas altmodisch, fast „pathetisch“: einige Worte tauchen wohl etwas zu oft auf. Aber gleichzeitig liegt in der Schreibweise etwas von jener inneren Ruhe und Weite, die den ganzen Roman prägt, ein weites Ausholen, unendlich ruhiges Dahinfließen, das an einen mächtigen Strom erinnert. Einige Auffassungen können schon fast abschrecken, wenn er teils in alter Manier von gewissen Rollenverständnissen von Mann und Frau; Adel und Dienerschaft spricht. Manchem Leser wird die Erdverbundenheit und tiefe Religiösität fremd oder befremdlich sein. Doch in all diesem steht Wiechert in einer langen Tradition, auf die er sich gerne und immer wieder bezieht, auch einer im ostpreußischen Sinne guten „Schwermut“. Hier ist von aufrechten, bedächtigen Charakteren die Rede, von Weisheit und Demut als auch dem Wunsch „zu dienen“...

In Vielem sind hier das Heidnische und Christliche miteinander verwoben. Die Mutter Erde ist ein Ort schlechthin, der Trost und letzten Halt schenken kann. Und der Glaube der Väter und Einfachen.

Wer genau hinsieht, wird neben der Vordergrundsthematik der unschuldig vertriebenen Deutschen aber auch die Hinweise zur Judenverfolgung, zu den Lagern, Folter, und – nach dem Ende des Krieges – den Folgen der Besatzung und den Nachkriegsproblemen finden. Ohne Schwierigkeiten wird man hier Themen entdecken, die Wiechert (und Deutschland!) am eigenen Leib erfahren hat und dies macht so manche Aussage so ausdrücklich und treffend.

Ja, ich finde wohl nicht die rechten Worte, dieses Buch gebührend zu würdigen: Ich betone nochmals die gewisse Altmodigkeit des Buches, aber nicht um abzuraten, sondern um nicht hinterher zu hören, dass man damit nicht gerechnet hat. Ich selber fühle mich bei allen Einschränkungen total angetan von der Sichtweise Wiecherts und seiner so schönen, weit ausholenden Sprache als auch den so tiefen Gedanken. In solch einer Dichte wird heute vielleicht nicht mehr geschrieben?! Ich kann nur Mut machen, diesen großen Schriftsteller mal zu versuchen. Vielleicht besonders, wenn man von Schriftstellern wie Undset, Hamsun, Lagerlöff, aber auch den großen Russen angetan war. Auch, wenn man in der Lage ist, einen Autor in seine Zeit zu stellen und nicht einfach nur mit unseren ach so tollen Werten zu beurteilen.
Es sei gesagt, dass ich bei diesem Buch verführt bin, seitenweise Gedanken rauszukopieren... und wenn ich nicht einverstanden sein sollte, gibt es doch Materie zum Nachdenken!
Toll und *****!
tom
 

Beitragvon Krümel » 14.04.2007, 21:20

Die Sterne für die Bücher Tom findest du bei weitere Smilies, zwischen Danke und wink :idea:
BildLiebe Grüße,
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