Der Andere

Indestructible Fantasy
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  • Forum: Indestructible Fantasy
  • Forenbeschreibung: The Last Resort of Imagination
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  • Forum gestartet am: Freitag 23.02.2007
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    Re: Der Andere

    Elfarion Stormblade - 02.03.2007, 20:12

    Der Andere
    Das ist eine Fantasystory, die ich vor ein paar Wochen angefangen hab.
    Allerdings muss ich sagen, dass Yasi mich zu dem Grundgedanken inspiriert hat. *Danke*

    Der Andere

    Prolog

    Es war eine dunkle Seitengasse in einer üblen Gegend. Niemand würde ihm zu Hilfe kommen. Zitternd und zusammengesunken kauerte der Mann da. Er hatte die Hände vor die Augen geschlagen, wie ein Kind, das denkt, wenn es das Böse nicht sieht, ist es nicht da. Ein dumpfes Knurren überzeugte ihn vom Gegenteil.
    Er sah heruntergekommen aus. Er trug eine alte Hose mit zahlreichen Löchern und eine abgetragene Jacke, die viel zu dünn war für diese Jahreszeit. Sein Bart war lang und vermutlich schon lange nicht mehr mit einem Rasiermesser in Kontakt geraden. In dem verlassenen Haus, an dessen Mauer er sich ängstlich drückte, lag sein Schlafplatz. Hinter einer Mauernische, sodass der kalte November seine Eisfinger nachts nicht nach ihm ausstrecken konnte.
    Der namenlose Schrecken trat aus dem Schatten ins Zwielicht der trübe funzelnden Taschenlampe und der Obdachlose schrie vor Todesangst laut auf. „N-nein, verschone mich, du Geschöpf der Finsternis, verschone mich, ich will auch nie wieder sündigen, bitte.“, wimmerte er leise.
    Er sank auf die Knie und bekreuzigte sich. „Der Herr ist mein Hirte, wovor soll ich mich fürchten?“, begann er, aber da schoss eine gewaltige Pranke mit krallenartigen Fingernägeln vor und legte sich mit eisernem Griff um seinen Hals. Der Obdachlose hörte auf zu sprechen und würgte. Noch einmal vollführte er das Kreuzzeichen. Ein wütendes, unmenschliches Gebrüll ließ sein Trommelfell erbeben.
    Es war das Letzte, was der Obdachlose in seinem Leben hören sollte.



    Re: Der Andere

    Elfarion Stormblade - 03.03.2007, 20:40


    1

    Als er aufwachte, erwartete Stefan bereits der vertraute Kopfschmerz. Mit einem leichten Schwindelgefühl stieg er aus dem Bett und schaltete den Wecker aus. Wie jeden Morgen betrachtete er sein Zimmer.
    An der Wand über seinem Bett hing ein Poster mit einem Werk von Hieronymus Bosch, das die Qualen zeigte, die die Sünder zweifellos in der Hölle zu erwarten hätten. An den anderen Wänden hingen selbstgezeichnete Bilder, die Ähnliches zeigten.
    Das Bücherregal war vollgestopft mit Büchern von Autoren wie Steven King, oder – erst seit Kurzem – Sergej Lukianenko.
    Die Vorhänge waren zugezogen und ließen nur wenig Licht herein – was den ganzen Tag so bleiben würde. Stefan mochte die Dunkelheit, und deshalb freute er sich auch schon auf den herannahenden Winter.
    Er ging ins Bad und duschte. Als er aus der Dusche herauskam, warf er einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken und-
    erstarrte.
    Stefan blinzelte und sah noch einmal hin.
    Nichts. Nur er. Für einen Moment hatte er geglaubt, statt seiner ein furchterregendes Wesen im Spiegel zu sehen.
    Es hatte ein annähernd menschliches Gesicht gehabt, war aber unbehaart gewesen. Die ledrige Haut war tiefschwarz und mit verschlungenen roten Mustern bedeckt. Und hinter ihm...
    Da war es wieder!
    Und diesmal länger als nur einen Sekundenbruchteil. Das Wesen grinste Stefan diabolisch an und entblößte eine Vielzahl spitzer Zähne. Hinter ihm ragten zwei gewaltige ledrige Flügel in die Höhe.
    Seltsamerweise verspürte Stefan überhaupt keine Angst. Er blickte in den Spiegel, bis das Wesen verschwunden war, dann ging er in sein Zimmer und zog sich an.
    Anschließend ging er hinunter zum Frühstück, obwohl er es lieber vermieden hätte, auf seine Eltern zu treffen. In letzter Zeit vertrug er sich nicht allzu gut mit ihnen.
    Als er nach unten kam, saßen seine Eltern schon am Tisch. Wie jeden Morgen verbarg sein Vater sich beinahe zur Gänze hinter der Zeitung. Stefan setzte sich und schüttete Müsli in eine Schale, während sein Vater knurrte: „Schon wieder ein Mord. Ganz in der Nähe von hier.“ „Was, schon wieder? Das ist schon der neunte!“, rief Stefans Mutter aus.
    Vor Stefans innerem Auge blitzte ein Bild auf: in einer dunklen Straße kniete ein bärtiger Mann und flehte jemanden, den Stefan nicht sehen konnte, um Gnade an.
    Schnell schüttelte er den Kopf, um das Bild zu vertreiben und goss Milch über sein Müsli. Er erinnerte sich noch daran, wie er von dem ersten Mord erfahren hatte.
    Es war an seinem fünfzehnten Geburtstag gewesen. Wie heute war er zum Frühstück nach unten gekommen. Sein Vater hatte Zeitung gelesen, wo von dem Mord an einem Obdachlosen die Rede war. Der Mann war auf bestialische Weise geradezu zerfetzt worden.
    Am Tatort hatte die Polizei weder Fingerabdrücke, noch Anhaltspunkte auf die Tatwaffe, noch DNA-Spuren, noch andere Hinweise auf den Täter gefunden.
    Seitdem waren immer wieder im Stadtviertel Morde auf ähnliche Weise geschehen. Seltsamerweise nie mehr als einer in einem Monat. Und alle Opfer waren grausam zugerichtet.
    Stefan rieb sich die Schläfen, in der Hoffnung, dass der Kopfschmerz nachließ. Zumindest diese seltsamen Träume hatten ihn diese Nacht verschont, auch, wenn das Wesen im Spiegel ihn stark daran erinnerte...
    Die Stimme seiner Mutter riss ihn aus seinen Gedanken.
    „Mir gefällt nicht, wie du dich anziehst.“, sagte sie, wobei sie ihn mit einem missbilligendem Blick ansah, „All dieses Schwarz und die Ketten...“
    Verständnislos blickte Stefan an sich herunter. Er mochte eben schwarz, was war dabei? Und die Ketten? Er trug zwei davon um den Hals – na und? Die eine davon hatte er schon als Kind. Den Berichten seiner Eltern zufolge hatte die Krankenschwester, sie mit ihm zusammen in der Babyklappe des benachbarten Krankenhauses gefunden. Die andere hatte er vor ein paar Monaten gekauft. Sie endete in einem Anhänger, der ein Pentagramm in einem Kreis darstellte. „Mama, was ist so schlimm daran, wie ich mich anziehe.“ Sie seufzte. „Ich mag es einfach nicht. Du siehst so blass aus mit dem ganzen Schwarz.“
    Stefan verdrehte die Augen und aß sein Müsli, während sein Vater für einen kurzen Moment hinter der Zeitung hervorkam, um sich Kaffee nachzuschenken. Stille trat ein. Offensichtlich hatte Frau Jensen, Stefans Mutter, eingesehen, dass der Versuch, ihren Sohn von einer anderen Bekleidung zu überzeugen, sinnlos war. Stattdessen bemühte sie sich um einen freundlichen Tonfall. „Was hast du heute vor, Stefan?“ Es waren nur noch drei Tage Herbstferien, und er hatte vor, jeden einzelnen von ihnen zu genießen. Für heute hatte er sich mit seinem besten Freund Yves verabredet.
    Als er fertig mit dem Frühstücken war, räumte er sein Geschirr in die Spülmaschine und stand auf. Er rief kurz bei Yves an, um zu sagen, dass er jetzt käme, und machte sich kurz darauf auf den Weg.
    Er fror schnell, deswegen trug er bereits Ende Oktober eine dicke Jacke. Auf dem Weg dachte er über das nach, was er heute Morgen im Spiegel gesehen hatte. Das Wesen hatte genauso ausgesehen, wie das Geschöpf, das in den seit Jahren immer wiederkehrenden Träumen auftauchte. Obwohl diese nicht eben angenehmer Natur waren, stufte Stefan sie auch nicht in die Kategorie „Albträume“ ein, da er im Traum keine Angst verspürte. Obwohl die meisten anderen Menschen das zweifellos getan hätten. Die Träume ähnelten sich im Grunde sehr.
    Die Umgebung war immer sehr düster. Mal war es eine gewaltige, ehrfurchtgebietende Kathedrale, dann wieder eine Wüstenlandschaft oder eine zu Ruinen zerfallene Stadt. Das Wesen – Stefan nannte es aus Gründen, die ihm selber nicht klar waren in Gedanken „den Anderen“ – stand inmitten dieses Ortes und hatte die Arme in Siegerpose erhoben. Nicht selten tropfte Blut von seinen Händen, auch wenn sie keine Verletzung erkennen ließ.
    Stefan hatte keine Angst, wenn er dieses Szenario im Traum sah, im Gegenteil, er verspürte manchmal sogar eine gewisse Freude und Triumph. Beinahe so, als wäre er der Andere...
    Er unterbrach sich in seinen Gedanken, da er nun vor Yves’ Haustür stand und klingelte.
    Die Mutter seines Freundes öffnete. „Hallo Stefan.“, begrüßte sie ihn, „Komm herein.“ Stefan trat ein und zog sich die Schuhe aus. Yves fand er in dessen Zimmer. Yves war ein bisschen spleenig, aber genau das mochte Stefan an ihm. Seit er ihm einmal von seinen Träumen und dem Anderen berichtet hatte, glaubte sein Freund felsenfest daran, dass es sich um eine Botschaft handelte. „Die Beschreibung erinnert mich an die Apokalypse des Johannes.“, hatte er damals gesagt, „Vielleicht bist du auserwählt, am Tag des Jüngsten Gerichts zu kämpfen, wie in dem Krieg der Engel von Wolfgang Hohlbein.“ Ihre gemeinsame Leidenschaft lag in düsterer Fantasy-Literatur. Sie beide verschlangen die Bücher von Steven King, Wolfgang Hohlbein und Sergej Lukianenko und tauschten sich darüber aus. Sie beide fieberten bereits dem Erscheinen von Lukianenkos Wächtern der Ewigkeit entgegen.
    Yves saß im Sessel und las, aber als Stefan eintrat, legte er das Buch weg. „Hi!“, rief er. Stefan ließ sich auf dem Sofa nieder. „Hast du schon von dem Mord gehört?“, fragte Yves, „Vater hat erzählt, das Blut sei überall an den Wänden und der Decke verteilt.“ Yves’ Vater war Gerichtsmediziner. Yves selbst war groß, schlank, sportlich und gutaussehend. Alle Menschen fanden ihn auf Anhieb sympathisch. Er war durchschnittlich in der Schule und er sah in allem das Gute, und seine Art durch das Leben zu gehen ließ sich am ehesten mit dem kölschen Satz „Es hätt noch immer jot jejange!“ beschreiben.
    „Ich habe übrigens etwas herausgefunden.“, ergänzte er, ging zu seinem Schreibtisch und drückte Stefan etwas in die Hand. Der warf einen neugierigen Blick darauf und fragte: „Ein Mondkalender? Was soll ich damit.“ Yves machte es geheimnisvoll. „Erinnerst du dich daran, wann der erste Mord stattgefunden hat?“ „Natürlich.“, gab Stefan zurück, „Es war in der Nacht vor meinem fünfzehnten Geburtstag. In der Nacht vom fünfundzwanzigsten auf den sechsundzwanzigsten Februar.“ „Genau. Und jetzt guck im Kalender nach der Mondphase.“, erwiderte sein Freund. Verwundert schlug Stefan den Kalender auf und blätterte, bis er den fünfundzwanzigsten Februar gefunden hatte. „Es war Neumond.“, sagte er. „Der nächste Mord fand am vierundzwanzigsten März statt.“, fuhr Yves fort. „Das war einen Tag vor Neumond.“, sagte Stefan.
    „Genau. Und dann der nächste Mord geschah am sechsundzwanzigsten April. Einen Tag nach Neumond. Und wenn du weiter guckst, dann stellst du fest, dass alle Morde um Neumond herum stattgefunden haben.“
    „Aber was sagt uns das?“, fragte Stefan, „Ein geistig gestörter, der an Neumond aktiv wird, fertig.“ Yves lachte. „Ein Geistesgestörter? Glaube ich nicht. Ich denke, der Mörder ist ein Werwolf.“ Stefan war nicht überzeugt. „Ähm, Yves? Übersiehst du da nicht eine Kleinigkeit? Es heißt doch, Werwölfe schlagen nur bei Vollmond zu.“ „Ja.“, konterte Yves, „Aber die Geschichten über Werwölfe reichen Jahrhunderte weit zurück. Was ist, wenn sie im Laufe der Zeit verfälscht wurden?“ Stefan musste zugeben, dass dies möglich war. Dennoch war er bodenständig genug, nicht an die Existenz eines Werwolfs zu glauben. „Hast du mit deinem Vater darüber gesprochen?“, fragte er. Sein Freund verzog das Gesicht. „Ja, aber er hält ebenfalls nichts von der Werwolftheorie. Er sagt, dass liege einzig und allein daran, dass es bei Neumond nachts dunkler sei. Als ob das in der Großstadt einen Unterschied macht! Weißt du übrigens, was ich noch bemerkt habe? Im Juli gab es keinen Mord.“ „Vielleicht war der Werwolf ja verreist?“, zog Stefan ihn auf. Yves reagierte nicht auf die Spitze. Stirnrunzelnd erklärte er: „Auf den Gedanken bin ich auch schon gekommen. Immerhin weiß jeder, dass Werwölfe tagsüber und außerhalb der Transformationszeit normale Menschen sind.“ „Wenn das so ist, wird es schwierig sein, ihn zu fangen.“, überlegte Stefan, aber Yves war da anderer Meinung. „Oh nein, das glaube ich nicht. Immerhin lässt sich die Suche auf unser Stadtteil beschränken.“ „Aber nicht, wenn er hierher kommt, um den Verdacht von seinem Wohnort abzulenken.“, gab Stefan zu bedenken. „Das geht nicht.“, erklärte Yves, „Wenn er kurz vor der Verwandlung steht, fehlt ihm dazu die Zeit. Das Blut brennt ihm in den Adern, der Wille zu töten wird immer stärker. Und wenn er sich verwandelt hat, fällt jegliche Selbstbeherrschung von sich ab. Nein ich denke, der Werwolf lebt in unserem Viertel.“ Ein Schauder lief Stefan den Rücken hinunter. Auch wenn er nicht wirklich an Werwölfe glaubte, war die Vorstellung doch beunruhigend. „Und was kann man gegen ihn unternehmen?“, fragte er. Sein Freund verdrehte die Augen. „Ist doch klar: Silber. Silber ist das Einzige, das hilft. Sie verbrennen sich, wenn sie es berühren. Ich gehe nicht mehr ohne Silberamulett aus dem Haus.“ Er öffnete den Reißverschluss seiner Pulloverjacke. Um seine Hals hing ein Lederband, an dem eine Scheibe aus Silber baumelte, in die irgendwelche Bilder eingeprägt waren. „Glaubst du, das reicht?“, fragte Stefan skeptisch. Verunsichert sagte Yves: „Wenn ich ihm das Ding gegen das Auge drücke, wird er das weite suchen.“ Stefan lachte und antwortete: „Wenn du einem Werwolf nahe genug kommst, um ihm diese poplige Silberscheibe ins Auge drücken zu können, dann bist du definitiv zu nahe.“ Und weil ihm das Gespräch auf die Nerven zu gehen begann, wechselte er das Thema und erzählte Yves davon, dass er heute Morgen den Anderen im Spiegel gesehen hatte. Mit ihm konnte man über so etwas gut reden, denn er lachte einen nicht aus oder erklärte einen für verrückt, sondern dachte ernsthaft darüber nach. Das beruhigte Stefan, denn, obwohl er vor dem anderen keine Angst hatte, so machte es ihm doch Sorgen, dass er die Gestalt aus seinen Träumen im Spiegel sah.
    Als er fertig war, dachte sein Freund schweigend darüber nach.
    „Du hast also dieses Wesen aus deinen Träumen im Spiegel gesehen.“, sagte Yves nach kurzem Schweigen. Stefan nickte. „Genau.“ „Hm... Wie hast du dich dabei gefühlt? Ich meine, hattest du Angst, oder...“ „Nein.“, antwortete Stefan, „Nein, eigentlich nicht.“ Wieder überlegte Yves einen Moment lang. „Ist es vielleicht eine Nachricht? Hältst du das für möglich?“ Sein Freund fragte zurück: „Eine Nachricht? Von wem denn?“ „Das gilt es herauszufinden. Hast du eigentlich dein Spiegelbild noch gesehen?“ Stefan runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern. „Nein, ich glaube nicht.“, antwortete er langsam. Yves wollte gerade etwas sagen, als es klopfte und seine Mutter hereinkam. „Jungs, ein Stück Kuchen?“ „Gerne.“, erwiderten beide wie aus einem Mund. Kurze Zeit später kam sie zurück mit einem Teller auf dem zwei Stücke Streuselkuchen lagen.
    Während sie aßen fuhr Yves fort: „Also, lass uns nachdenken. Was könnte das zu bedeuten haben? Du träumst schon seit längerem von diesem Wesen, oder?“ „Ja.“, sagte Stefan. „Seit wann eigentlich genau?“, wollte Yves wissen, „Vielleicht hilft uns dass ja weiter.“ Stefan überlegte. „Ich glaube, es hat ein oder zwei Tage nach meinem fünfzehnten Geburtstag angefangen, so sicher bin ich mir da nicht. Auf jeden Fall um meinen fünfzehnten Geburtstag herum.“ Yves’ Augen leuchteten auf. „Ist dir klar, dass das unmittelbar nach dem ersten Mord war?“ „Schon.“, antwortete Stefan, „Aber wo ist da der Zusammenhang?“ „Vielleicht ist das Wesen aus deinen Träumen der Mörder.“, spekulierte Yves. Stefan begann das Gespräch auf die Nerven zu gehen. „Ach komm, das ist doch Blödsinn. Lass uns über etwas Anderes reden.“
    Als Stefan am Nachmittag nach Hause ging, dachte er immer noch über seine „Begegnung“ mit dem Anderen nach. Natürlich waren Yves’ Ideen ein wenig... unkonventionell, aber manchmal musste man auch die scheinbar abwegigen Möglichkeiten in Betracht ziehen. „Wenn man das Unmögliche eliminiert hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch scheinen mag.“, murmelte er und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Früher hatte er eine schwäche für Sherlock Holmes gehabt.
    Er schloss die Haustür auf und trat ein. Der Flur war dunkel. Sein Vater arbeitete noch und seine Mutter war anscheinend auch nicht da. Ohne das Licht einzuschalten, ging Stefan in die Küche und nahm sich einen Joghurt.
    Dann versuchte er den Anderen zu zeichnen. Es glückte ihm zwar recht gut, aber die roten Muster auf der linken Gesichtshälfte entzogen sich hartnäckig seinem inneren Auge, wenn er versuchte, sie sich in Erinnerung zu rufen. Nach mehreren Versuchen glaubte er, es einigermaßen hinbekommen zu haben und ging in sein Zimmer, um einen angemessenen Platz für die neue Zeichnung zu finden. Er blickte sich um und fand tatsächlich eine geeignete Stelle zwischen einem selbstgemalten schwarzem Pentagramm vor feurigem Hintergrund und einem Poster von HIM, seiner Lieblingsband. Stefan fuhr den Computer, aber er blickte nicht auf den Bildschirm. Wie von einer übernatürlichen Kraft angezogen wanderte sein Blick noch einmal zu der Zeichnung. Im flackernden Licht des Bildschirms sah es beinahe so aus, als bewege der Andere sich. Er schien die Flügel auszubreiten und den Kopf im Brüllen in den Nacken legen. Oder bewegte er sich tatsächlich? In dem Moment war der Computer hochgefahren und der Bildschirm hörte auf zu flackern. Auch der Andere bewegte sich nicht, wie es sich für Bilder gehörte. Stefan schüttelte den Kopf und setzte sich. Nichts gegen Yves, aber seine abstrusen Gedanken konnten einen manchmal ganz schön durcheinander bringen. Stefan öffnete seine Musikdateien und ließ das neue Album von HIM abspielen, während er Sacred startete, das Videospiel, dem er am meisten abgewinnen konnte. Na ja, eigentlich das einzige Videospiel, dem er überhaupt etwas abgewinnen konnte. Nicht einmal die Fortsetzung, Sacred Underworld, besaß er. Natürlich spielte er mit dem Dunkelelfen. Auch von dem hatte er einige Zeichnungen angefertigt.
    Auf der Suche nach der Geliebten seines Charakters streifte er schon seit Wochen durch Arcadia, ohne sie zu finden. Zwar war der Elf bei zahlreichen Nebenquests stärker geworden, aber wirklich weitergekommen war er nicht. Auch heute fand er keine Spur, sodass er den Computer nach einer Stunde wieder ausschaltete und wieder einmal Steven Kings Green Miles aus dem Regal holte. Jedoch, er konnte sich nicht konzentrieren. Entnervt stopfte er das Buch zurück ins Regal und ging unruhig auf und ab, während er überlegte, was er tun könne. Schließlich kam ihm eine Idee. Er zog Jacke und Schuhe an und hinterließ auf dem Küchentisch eine hingekritzelte Botschaft aus der seine Eltern entnehmen konnten, er sei unterwegs, komme spätestens um halb acht wieder und habe sein Handy dabei.
    Er holte sein Fahrrad aus dem Keller und fuhr zügig in Richtung Stadtwald. Er radelte durch den Park, der in dieser Jahreszeit nachmittags bereits sehr verlassen wirkte, nur ein paar Jogger keuchten ihm entgegen.
    Stefan verließ den Hauptweg und bog in einen Seitenpfad ein, der schwer zu finden war, da er bereits zuzuwuchern begann. Nach fünfzig Metern kam eine Nische, in der zwei Holztische und –Bänke standen.
    Stefan stieg vom Fahrrad, schloss es ab und setzte sich hin.
    Er kam gerne hierher, um nachzudenken. Hier war er immer ungestört, da die Wenigsten diesen Ort überhaupt fanden. Er hatte immer einen Block und ein Set Stifte dabei; beides nahm er jetzt heraus und setzte sich an einen der Tische. Während er nachdachte, kritzelte er auf dem Block herum. Hatte es wirklich nur am Flackern des Lichts gelegen, dass es so ausgesehen hatte, als bewege der Andere sich? Mit einem mal war Stefan sich da gar nicht mehr so sicher.
    Mach dich nicht verrückt, sagte er in Gedanken zu sich selbst und fuhr sich mit zwei Fingern über die Nasenwurzel. Während seine Hand scheinbar von alleine zeichnete, spielte er im Kopf eine Alternative nach der anderen durch.
    Drehe ich durch? Habe ich was falsches gegessen? Hat es im Shampoo irgendwelche chemischen Reaktionen gegeben, durch die halluzinogene Dämpfe entstanden sind? Ist das hier ein Roman á la Wolfgang Hohlbein?
    Nun ja, zumindest Letzteres konnte er mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen. Das hier war kein Roman. Das war die Realität.
    Er ließ den Stift ruhen und blickte hinab auf seinen Block. Was er sah, war der Entwurf eines Bildes.
    Er hatte siebenmal das Gesicht eines Jungen gezeichnet, aber jedes Mal ein Detail des Anderen hinzugefügt, sodass das Gesicht des Jungen sich allmählich in das des Anderen verwandelte.
    Stefan steckte den Block ein und beschloss, das Bild zu Hause zu kolorieren. Er drehte den Bleistift zwischen den Fingern und beobachtete ihn. Er fröstelte. Es war kalt.
    Plötzlich fing die Spitze des Bleistiftes an zu brennen. Stefan schrie erschrocken auf und warf den Stift von sich. Dieser landete auf einem Haufen Blätter, der sofort Feuer fing. Geistesgegenwärtig sprang Stefan auf und trampelte auf dem Laub herum, bis es erlosch. Verwirrt setzte er sich wieder hin und versuchte zu rekonstruieren, was geschehen war. Er hatte sich auf den Bleistift konzentriert, er hatte ein wenig gefroren...
    Ruckartig fuhr sein Oberkörper in die Höhe. War es möglich? Konnte er tatsächlich durch seine Gedanken dem Feuer gebieten?
    Nun ja, einen Versuch war es zumindest wert. Stefan hob einen kleinen Zweig vom Boden auf und befahl ihm in Gedanken, zu brennen. Zuerst geschah nichts, aber dann kräuselte sich ein Rauchwölkchen über dem Zweig und dann erblühte plötzlich an seiner Spitze ein Flämmchen, das rasch größer wurde. Stefan pustete es aus und warf den Zweig weg. Er packte seine Stifte ein – auch den angekokelten Bleistift – und machte sich auf den Weg nach Hause.
    Er hielt immer wieder an, um zu experimentieren. Er stellte fest, dass er alles anzünden konnte, das auch brennbar war. Sogar ein in einer Pfütze liegendes, nasses Stück Rinde fing Feuer und brannte im Wasser schwimmend. Stefan fand die Gabe praktisch, aber ein Gedanke ließ ihn nicht los und nagte an ihm: Wieso hatte er diese Fähigkeit? Es war nicht eben beruhigend zu wissen, dass man Kraft seiner Gedanken Feuer entfachen konnte.



    Re: Der Andere

    Elfarion Stormblade - 04.03.2007, 21:18


    2

    Die letzten Ferientage vergingen zu Stefans Leidwesen erstaunlich schnell, beinahe, als habe eine übergeordnete Macht auf einer universellen Fernbedienung auf „Fast Forward“ gedrückt. Falls dem so war, musste diese Macht bisweilen gehässige Anwandlungen haben, denn kaum fing die Schule wieder an, schaltete sie auf Slow Motion.
    Stefan hatte noch ein paar mal mit seiner Fähigkeit experimentiert und herausgefunden, dass er auch Feuer, das er nicht selbst entfacht hatte, löschen konnte. Immer wieder überlegte er, ob er nicht Yves davon erzählen sollte, aber er verwarf den Gedanken immer wieder, obwohl er selber nicht genau wusste, warum.
    Später wurde auf der Fernbedienung die normale Geschwindigkeit eingestellt und die Zeit verging wieder so schnell, wie sie sollte.
    Die eine am Ende der Ferien war Stefans vorerst letzte „Begegnung“ mit dem Anderen gewesen. Auch hatte er morgens beim Aufwachen keine Kopfschmerzen mehr.
    Nur eines beunruhigte ihn. In den Pausen gab es auf dem Schulhof kein anderes Gesprächsthema als die Morde. Und Yves war natürlich der Mittelpunkt der Gespräche, da er direkt an der Quelle saß. Allerdings neigte er dazu, die Ermittlungserkenntnisse seines Vaters mit seinen eigenen übernatürliche Spekulationen zu vermischen, sodass sich in der Regel ein wildes Durcheinander von Fakten und Vermutungen ergab. Dennoch hing ein Großteil der Klasse begierig an seinen Lippen.
    Die Mordserie schien die Schüler regelrecht zu faszinieren. Und diese Faszination ergriff auch von Stefan Besitz. Mehrmals am Tag blätterte er im Mondkalender seiner Mutter, um herauszufinden, wann wieder Neumond war. Je näher der Tag rückte, desto nervöser wurde Stefan. Morgens hatte er wieder Kopfschmerzen und er saß oft die halbe Nacht am Schreibtisch und zeichnete Bilder, wirre Skizzen, die eher Fieberträumen ähnelten, bedrückend und düster, aber geradezu bestürzend gut. Zeichnerisch war es für Stefan eine hervorragende Zeit, vor allem nachts. Aber tagsüber, da fühlte er sich gerädert.
    Das fiel Yves auf. „Du siehst nicht gut aus.“, sagte er eines Tages im Chemieunterricht, „Du bist total blass und hast Ringe unter den Augen.“ Stefan winkte ab. „Das ist nichts. Ich schlaf nur im Moment ein bisschen schlecht, das geht vorbei.“ Yves sagte darauf nichts, aber es war ihm anzusehen, dass er es nicht glaubte. Stefan ging auch nicht weiter darauf ein, sondern kritzelte gedankenverloren ein Pentagramm in sein Heft.
    Und Neumond rückte näher...
    Am Tag davor, hatte die Spannung in Stefans Klasse ihren Höhepunkt erreicht. Da es offenbar keine plausible Erklärung für die Mordserie gab, hingen mittlerweile einige von Stefans Klassenkameraden der Werwolf-Theorie an. Stefan hielt nichts davon, und wenn er dies in einer Diskussion sagte, und man ihn fragte, warum der Mörder dann nur an Neumond zuschlug, da zuckte er nur mit den Schultern.
    Den Tag danach würde er nie vergessen, denn an diesem Tag begann sich sein gesamtes Leben zu verändern.
    In der Nacht hatte er zum ersten mal seit Langem wieder durchgeschlafen. Zwar spürte er morgens nach wie vor die Kopfschmerzen, aber die störten ihn nicht. Als er jedoch aus der Dusche kam und im Spiegel den Anderen erblickte, da erschrak er zutiefst. Nicht wegen des Anblicks, nein. Lag es vielleicht daran, dass er schon jetzt tief in seinem Unterbewusstsein etwas ahnte?
    Es war Samstagmorgen, wie immer war er als erster wach gewesen. Nachdem er sich abgetrocknet und angezogen hatte, sah er auf die Uhr und beschloss, dass es nicht zu früh war, um Yves anzurufen. Er war ebenfalls ein Frühaufsteher, aber bei den Eltern seines Freundes war Stefan sich nicht sicher, deswegen rief er Yves auf dem Handy an. Nach mehrmaligem Klingeln meldete sich Yves.
    „Wer ist da?“ „Morgen Yves, hier ist Stefan, habe ich dich geweckt?“ Yves klang nach wie vor etwas verschlafen, aber er erwiderte: „Nein, nein, ich war schon länger wach. Gibt es etwas Besonderes?“ „Heute Morgen habe ich im Spiegel wieder den Anderen gesehen.“ Einen Moment lang geschah gar nichts. Dann antwortete Yves: „Tatsächlich?“ Seine Stimme klang überrascht, beinahe alarmiert. „Ja, warum?“, fragte Stefan arglos. „Nun, heute Nacht ist wieder ein Mord geschehen.“ Mit einem Mal lief Stefan ein Schauer über den Rücken. Aus irgendeinem Grund spürte er Angst. „Yves, kann ich kurz bei dir vorbeikommen?“, fragte er. Seine Eltern waren nicht da, und die Aussicht, einige Zeit allein zu verbringen, erschien ihm unerträglich.
    Die Antwort kam prompt. „Klar warum nicht?“
    Hektisch zog Stefan seine Jacke an, schnürte mit fliegenden Fingern seine Schuhe und spurtete los. Zwei Minuten später kam er schwer atmend an.
    Yves öffnete ihm und ging mit ihm in sein Zimmer. Er schien zu spüren, dass sein Gast beunruhigt war, denn er sah ihn ernst an und fragte: „Hast du in letzter Zeit den Anderen noch einmal gesehen?“ Stefan erzählte ihm, dass er seit den Ferien den Anderen nur an diesem Tag im Spiegel gesehen hätte, berichtete aber auch, davon, dass er ihn unbewusst gezeichnet hatte. Als er fertig war schaute Yves ihn mit dem Gesichtsausdruck eines Arzte an, der eine tödliche Krankheit diagnostiziert hat. „Tja Stefan.“, sagte er und erhob sich, um beim Reden auf und ab zu gehen, „Ich habe darüber nachgedacht, und was du erzählt hast, bestätigt meine Vermutungen.“ Er blickte Stefan an, holte tief Luft und sagte dann: „ Es gibt nur eine Möglichkeit: Du bist der Andere. Und der Andere ist der Mörder.“



    Re: Der Andere

    Nicodemus Lux - 12.06.2007, 16:54


    Tja, Leutz (falls das jemand liest). Das hier war nur ein "Experiment" gewissermaßen. Das heißt, ich werde es vorerst nicht weiterschreiben.
    (sollte diese Story jemand lesen wollen, so tut es mir Leid.)



    Re: Der Andere

    Yasao - 25.09.2007, 19:01


    Auf weiteren Wunsch von Elfarion geschlossen.
    Wird jedoch nicht gelöscht.



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