Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Auster, Paul - Nacht des Orakels




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Auster, Paul - Nacht des Orakels

Beitragvon Katia » 25.02.2007, 17:21

[center]Paul Auster: Nacht des Orakels
OT: Oracle Night[/center]

Paul Austers 2003 erschienener Roman spielt auf mehreren verschachtelten Ebenen: Auf der obersten erzählt Sidney Orr, Schriftsteller, zwei Wochen seines Lebens im Jahr 1982. Er hat einen Unfall gehabt und ist gerade auf dem Weg der Besserung, als er in den "Paper Palace" des Chinesen Chang trifft und dort ein Notizbuch kauft, mit dessen Hilfe er seine schriftstellerischen Tätigkeiten wieder aufnimmt. Die Geschichte, die er fast in Trance schreibt, wird ebenfalls relativ genau referiert, sie handelt von Nick Bowen, einem Lektor, der sein Leben neu beginnen möchte, ein Motiv, das Sid aus dem "Malteser Falken" geklaut hat. Nick lektoriert gerade ein Buch mit dem Titel "Nacht des Orakels", eine Buch der lange toten Autorin Sylvia Maxwell, das erst jetzt wieder aufgetaucht ist. Doch schon bald schickt Sid Nick in eine fast auswegslose Situation und sein eigenes Leben scheint sich auch immer mehr zu verkomplizieren, seine Frau Grace beginnt sich seltsam zu verhalten und ihr gemeinsamer Freund Trause (ein Anagramm von Auster) liegt krank zuhause ...

Auster gelingt ein dichter und fesselnder Roman, in dem er sich mit den Zufällen des Lebens, Vorhersehung beschäftigt. Die verschachtelte Handlung betont Auster durch sehr lange Fußnoten, die sich meist mit der Vergangenheit seiner Figuren beschäftigt. Viele Handlungsstränge werden nicht richtig abgeschlossen werden, was aber gut zum Roman passt, allerdings ist der Schluss für meinen Geschmack etwas zu dramatisch geraten. Sprachlich sehr klar, enthält das Buch viele beschreibende Absätze, der Leser nimmt für die erzählten Tag sehr genau am Leben Sids teil. Bei Amazon schreibt jemand, das Buch erinnere ihn an Murakami und das kann ich durchaus bestätigen, nicht nur ist Sid eine Figur, die auch Murakami erfunden haben könnte (er müsste nur mehr Musik hören :lol: ), auch thematisch sind Ähnlichkeiten zu finden.

:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )

Bild

Katia
Benutzeravatar
Katia
techn. Chefkrümel
techn. Chefkrümel
 
Beiträge: 3364
Registriert: 17.07.2006, 11:35
Wohnort: München

von Anzeige » 25.02.2007, 17:21

Anzeige
 

Beitragvon tom » 13.05.2007, 21:39

Ich hole den Fred nochmal hoch. Ich habe der so guten Rezi von Katia inhaltlich nicht viel zuzufügen, will abr noch einfach sagen, dass mir das Buch ausserordentlich gut gefallen hat. Da ist ein ganz originaler Autor am Werk, von dem es damals mein erstes Buch war. Sicherlich Murakamiverwandt, aber mir in seiner Form der "kafkaesken" Situation, der Phantastik NOCH näher, vertrauter... Später las ich noch die New York Trilogie. Andere werden wohl noch irgendwann folgen.

Dicke Empfehlung von mir!!!
tom
 

Beitragvon chip » 02.04.2008, 07:23

Dieser Gott ist ein Zyniker. Schriftsteller Sydney Orr wird ein zweites Leben geschenkt, doch nur damit er hautnah zusehen darf, wie alles Bedeutsame seiner Existenz zu Grunde geht.

Nach dem schweren Unfall plagt ihn Schreibhemmung. Jahrelang hat er nichts Sinnvolles mehr zu Papier gebracht, das ihm vom Schuldenberg befreien könnte. Während einem Spaziergang stößt er auf einen ominösen Laden, der sich zwei Tage später in Luft auflösen wird. Von dort hat er sich das blaue Notizbuch besorgt, das seine Phantasie neu beflügeln wird. Er versinkt in dieses Buch, droht sich zu verlieren, schreibt darin wie besessen. Dennoch haben alle Geschichten, die sich dort wieder finden, eines gemeinsam: Sie enden in eine Sackgasse, fahren sich fest und sind somit wertlos.

Genau so verhält es sich mit seinem neuen Leben. Er steckt in gewisser Weise fest und alle gesicherten Erkenntnisse müssen fortan in Frage gestellt werden. Und während seiner Sinnkrise taucht plötzlich der Verkäufer seines Notizbuches auf und verleitet ihn dazu, seine Frau zu betrügen. Zufall? Schicksal? Spiel des Teufels? Welche Kräfte bestimmen eigentlich unser Leben? Ist es auch Zufall, dass seine niedergeschriebenen Geschichten aus den Seiten steigen, um ein Eigenleben zu führen und sich mit dem seinen zu verflechten? Phantasie und Erlebtes überlagern sich, bis sie kaum noch auseinander zu halten sind.

"Worte sind etwas Reales. Alles Menschliche ist real, und manchmal wissen wir Dinge, bevor sie passieren, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Wir leben in der Gegenwart, aber die Zukunft ist in jedem Augenblick in uns. Vielleicht geht es beim Schreiben nur darum, Sid. Nicht Ereignisse der Vergangenheit aufzuzeichnen, sondern Dinge in der Zukunft geschehen zu lassen".

Sind es also seine Geschichten, die sein Leben beeinflusst haben? Eine Vorahnung, die sich im Notizbuch Luft macht? Auster macht es dem Leser nicht so einfach, die Verwirrung bleibt, ganz in der Absicht des Autors. Sydneys letzte Erzählung scheint die Lösung aller Rätsel zu beinhalten, doch treibt sie wie ein Floß fernab des Festlandes. Sie wirkt angeklebt, ohne wirklich mit dem Schicksal Sydneys verbunden zu sein. Wie viel Wahrheit in ihr steckt ist daher Spekulation. Es ist ein Gedankengang von vielen, eine Ahnung vielleicht, eine weitere Ebene der Auffassung, der Wunsch nach Aufklärung. Und der Wunsch, dem Hauptakteur 'Zufall' das Zepter aus der Hand zu reißen.
:stern: :stern: :stern: :stern:

Gruß,
chip
chip
 

Beitragvon wolves » 02.04.2008, 08:21

Paul Auster gehört zu den Schriftstellern die es für mich noch zu entdecken gilt. Zwei Bücher von ihm befinden sich auf meinem SuB, "Timbuktu" und "Die New York-Trilogie". Letzteres befindet sich schon jahrelang auf meinem SuB. Ich weiß noch das ich es damals recht schnell abgebrochen habe, aber da sich Lesegeschmack und -art ja im Laufe der Lebensjahre ändert, werde ich es mit der Trilogie noch mal versuchen.
Liebe Grüße
wolves


Benutzeravatar
wolves
Buchgenießerin
Buchgenießerin
 
Beiträge: 6413
Registriert: 07.11.2006, 14:51
Wohnort: Saarland

Beitragvon Voltaire » 02.04.2008, 08:45

Paul Auster ist übrigens der Ehemann von Siri Hvustedt (hoffentlich jetzt richtig geschrieben :D ) und gehört für mich ganz persönlich zur Gruppe mit John Updike und Philip Roth.

Auster zu entdecken bedeutet auch ein Stück zeitgenössische amerikanisc he Literatur zu entdecken. Ein wirklich sehr lesenswerter Schriftsteller.
Voltaire
 



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Zeitgenössische-Literatur

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron