Krümels-Bücherwelt ...

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McCann, Colum - Zoli




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

McCann, Colum - Zoli

Beitragvon Voltaire » 28.01.2007, 07:35

Titel: Zoli
Autor: Colum McCann
Verlag: Rowohlt
Erschienen: Januar 2007
Seitenzahl: 384
ISBN: 3498044893
Preis: 19.90 EUR


Inhalt:
Zoli Lackowa ist Roma, geboren vor dem Zweiten Weltkrieg in der Nähe von Bratislava. Als junges Mädchen überlebt sie den Holocaust in den Wäldern und lernt dort, höchst ungewöhnlich für eine Zigeunerin, lesen und schreiben. Nach Kriegsende beginnt sie, die Gesänge ihres Volkes in Gedichtform zu publizieren. Doch sowohl ihrer Familie als auch der sozialistischen Regierung sind ihre freisinnigen Texte bald ein Dorn im Auge – und ihre Sippe verstößt sie. Auch ihr Geliebter, der irische Journalist und Ethnologe Stephen Swann, verrät sie, weil er Repressalien fürchtet. Nun ist sie ganz allein, eine Verfemte. Mit nichts als dem, was sie am Leib trägt, macht sie sich auf in jenen Westen, in dem es wahre Freiheit geben soll. Drei Jahre dauert ihre Reise; sie führt durch den Eisernen Vorhang, ihr Ziel ist ungewiss. Und noch länger wird es dauern, bis Zoli ihren verräterischen Geliebten wieder trifft… (Quelle: www.amazon.de)

Autor:
Colum McCann wurde 1965 in Dublin geboren. Er arbeitete als Journalist, Farmarbeiter und Lehrer und unternahm lange Reisen durch Asien, Europa und Amerika. für seine Erzählungen erhielt McCann, der heute in New York lebt, zahlreiche Literaturpreise, unter anderem den Hennessy Award for Irish Literature sowie den Rooney Prize. (Quelle: www.amazon.de)

Meine Meinung:
Colum McCann hat ein sehr einfühlsames Buch geschrieben. Intensiv lässt er den Leser am Schicksal der Roma Zoli teilhaben. Eine Frau, die in den Traditionen ihres Volkes lebt, aber dann genau von diesem Volk verstoßen wird. Das Buch macht deutlich, dass niemand das Recht hat, über die Lebensweise und die Traditionen der Roma zu lächeln; die typische lächelnde, verständnisheuchelnde Arroganz ist genau das, was diese Menschen nicht verdient haben. Anstatt ihnen mit Verständnis und ehrlicher Toleranz zu begegnen, werden sie nach wie vor ausgegrenzt.
McCann hat ein Buch geschrieben, dass man nach dem Lesen nicht einfach nur weglegt um sofort nach einem anderen Buch zu greifen. Es ist ein Buch, dass es verdient hat im Gedächtnis zu bleiben und dieses Buch hat es auch verdient, dass man seinem Nachhall lauscht.
McCann macht sehr deutlich, dass es wenig Sinn macht, den Roma unsere Lebensweise überzustülpen. Gerade diese Lebensweise sorgt dafür, dass auch ihre Traditionen und ihre Geschichte verschüttet werden. Das kann ernsthaft niemand wollen.
„Zoli“ von Colum McCann ist ein Buch welches ich uneingeschränkt empfehlen kann. Der Autor trifft genau den richtigen Ton, er stellt die Roma nicht als „Wesen aus einer anderen Welt“ da, er beschreibt sie vielmehr so wie sie sind, als ein Volk mit einer eigenen, faszinierenden Tradition, mit eigenen Sitten und Gebräuchen, die zu bewahren, den Roma immer schwerer wird und schwerer gemacht wird.

Meine Bewertung:
:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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Voltaire
 

von Anzeige » 28.01.2007, 07:35

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Beitragvon Karthause » 28.01.2007, 12:27

Danke, für deine schöne Rezi, Voltaire. Nun weiß ich nicht, wie lange ich mich noch beherrschen kann und dieses Buch im Laden bleibt. Am Freitag war ich schon sehr in Versuchung geraten. Colum McCann ist mir mit seinem Buch "Der Tänzer" in sehr guter Erinnerung. "Zoli" ist auf meiner "will-ich-unbedingt-haben-Liste".
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon Krümel » 28.01.2007, 13:30

Ich hatte ja "Lesen", da es vom Diestag auf den Freitag verschoben war, verpasst, aber letzten Freitag hatte ich das nachgeholt.
Dies war das einzigste Buch, welches mich ansprach. Und nach deiner wieder einmal richtig gut gelungene Rezi, Jan, werde ich es auf meine Wunschliste übernehmen :thumleft:
BildLiebe Grüße,
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Beitragvon Siebenstein » 28.01.2007, 22:23

karthause hat geschrieben: Am Freitag war ich schon sehr in Versuchung geraten.


Ich auch @Karthause. :wink:

Ich mußte am Freitag nach der Arbeit nicht wie sonst sofort nach Hause hetzen, sondern hatte noch etwas Zeit und habe die Gelegenheit genutzt, um in Steglitz kurz bei Hugendubel vorbeizuschauen. Ich habe mich dort mit "Zoli" und einem Café Latte ins Lesecafé verzogen und mich regelrecht festgelesen. Das Buch ist wunderbar geschrieben und die Geschichte berührt sehr. Vom Kauf hat mich der stolze Preis abgehalten, aber ich fürchte, ich werde nicht lange standhaft bleiben. 8)

Liebe Grüße
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Beitragvon Krümel » 06.03.2007, 00:01

Anhand einer erfundenen Geschichte, die Geschichte Zolis, die ein wenig einer polnischen Dichterin „Papusza“ angelehnt ist, bringt uns McCann in diesem Roman das Leben der Zigeuner näher. Das Buch erzählt uns die Geschichte der slowakischen Romas, und wie dieses Volk verfolgt, vertrieben, gefoltert und ermordet worden ist. Es erzählt davon, wie die Kommunisten die Zigeuner zu Brüdern machten, und sie später dazu gezwungen wurden, sesshaft zu werden. Und vor allen Dingen wird auf die vielen Vorurteile hingewiesen, die oft gar nicht so falsch sind, aber falsch interpretiert werden.

Zoli verliert als Kind ihre Eltern, und flüchtet mit ihren Großvater von Bratislava aus in den Süden der Slowakei, wo sie ihre Cousinen und Vettern begegnen, und sich dieser Sippe anschließen. Auf dieser langen Reise erfährt Zoli, dass ihr Großvater rechnen, schreiben und lesen kann, und die kindliche Neugier auf diese Fähigkeiten bringt den alten Mann später dazu, dass auch Zoli schreiben und lesen lernt. Wobei das absolut nicht im Sinne des Fahrenden-Volkes ist, denn das geschriebene Wort bedeutet für sie ein Stück Tod. Es ist fest, endgültig und unwiderruflich, Eigenschaften, die sich mit ihrem Leben nicht vereinbaren lassen, und so fürchten sie sich vor dem geschriebenen Wort.

Es braucht nicht lange bis Zoli entdeckt, dass in ihr ein Talent schlummert. Zunächst textet sie nur die alten Lieder um, doch dann schreibt sie ihre eigenen. Traurig, schwermütig, ganz tief aus ihren Innern holt sie diese Worte. Und auch das Sesshafte-Volk braucht nicht lange bis sie ihre Gedichte lieben. So wird aus Zoli ein Star, der im ganzen Land rumgereicht wird. Hochgelobt, um dann dazu benutzt zu werden, ihrem Volk die Freiheit zu stehlen. Letztendlich führt das soweit, dass sie von ihrer Sippe verstoßen wird, und flüchten muss.

McCann hat mit seiner „Zoli“ nicht nur die Geschichte der Zigeuner aufgezeigt, sondern er bringt uns ihre Kultur damit näher. Der Leser erfährt, dass Vorurteile wie zum Beispiel, dass Zigeuner stehlen, nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern nur zwei verschiednen Welten spiegeln. Das uns Wertgegenstände wichtig sind, und für sie Dinge entweder brauchbar und nehmbar, oder überflüssig sind. Die Wertschätzung, auch bezüglich des Geldes, und damit verbunden der Arbeitslohn, existiert in ihrem Denken nicht.

Alleine das Wort „Zigeuner“ erzeugt in uns oft Furcht und Angst, aber auch Sehnsüchte. Je nachdem ob wir das Fremde verabscheuen, weil es so fern ab unserer Kultur ist, oder ob wir darin das große Abenteuer sehen.

Dieses Buch ist ein ganz großer Schritt dahin zwei fremde Kulturen einander näher zu bringen. Die Sprache des Autors ist sehr angenehm zu lesen, und die verschiedenen Blickwinkel lassen den Roman und die Protagonisten lebendig werden. Großartig!

:stern: :stern: :stern: :stern: (:stern:)
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Beitragvon Karthause » 06.03.2007, 11:57

Nun kann ich es ja kaum noch abwarten, bis Zoli auch bei mir ist. Aber es winkt ja eine Leserunde. :D Deine Rezi sagt mir jedenfalls, dass ich das Buch unbedingt lesen MUSS. :wink:
Viele Grüße
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Beitragvon Karthause » 18.04.2007, 17:50

Meine Meinung
Colum McCann öffnete mir mit „Zoli“ ein Fenster, durch das ich einen Blick in die Welt der Roma werfen konnte. Ich habe viel über ihre Lebensweise, Traditionen und Werte erfahren. In diesem Roman weist McCann aber auch auf die Bedeutung von Würde und Selbstbestimmung der Menschen hin. Er zeigt klar die Folgen auf, die Diktatur und Fremdherrschaft für die Roma nach sich zogen.

Sachlich nüchtern, aber nachhaltig, erzählt Colum McCann über einen Zeitraum von 70 Jahren die Geschichte der Zoli Novotna, die so nie existierte. Das Leben der Zoli wird in den 6 Abschnitten des Buches aus verschiedenen Blickwinkeln, jeder in einem eigenen Sprachstil gehalten, betrachtet. An manchen Stellen hätte ich mir bei den Protagonisten mehr Wärme und Emotionen gewünscht. Obwohl gerade diese rationale Sprache dazu beiträgt, dieses schwierige Thema neutral zu betrachten.

Dank seiner akribischen Recherche ist mit „Zoli“ ein glaubwürdiger und meines Erachtens realitätsnaher Roman entstanden, der auch ein Zeitbild darstellt. An keiner Stelle in diesem Buch kommt der Autor auch nur in die Nähe einer verklärten Lagerfeuer- und Zigeunerromantik. Er zeigt deutlich die Härten und Schwierigkeiten des Lebens von Minderheiten in den verschiedenen Gesellschaftssystemen auf.

Mir hat dieser Roman von Colum McCann sehr gut gefallen. Ich habe Einblick bekommen in eine mir bisher fremde Welt. Auch wenn das Buch jetzt beendet ist, wird Zoli meine Gedanken noch lange begleiten.
Viele Grüße
Karthause

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