Fantasy-Geschicte

Haus Siebenstein
Verfügbare Informationen zu "Fantasy-Geschicte"

  • Qualität des Beitrags: 0 Sterne
  • Beteiligte Poster: Tjorven
  • Forum: Haus Siebenstein
  • Forenbeschreibung: Die virtuelle Rehaklinik für gestresste und verunfallte Romanfiguren von Hobby-Schreiberlingen.
  • aus dem Unterforum: Kurzgeschichten
  • Antworten: 1
  • Forum gestartet am: Donnerstag 07.12.2006
  • Sprache: deutsch
  • Link zum Originaltopic: Fantasy-Geschicte
  • Letzte Antwort: vor 17 Jahren, 3 Monaten, 20 Tagen, 12 Stunden, 49 Minuten
  • Alle Beiträge und Antworten zu "Fantasy-Geschicte"

    Re: Fantasy-Geschicte

    Tjorven - 06.01.2007, 21:56

    Fantasy-Geschicte
    Dies ist eine Geschichte, die ich für einen Wettbewerb geschrieben habe (Hab sogar den 3. Preis gewonnen *stolz bin*. Der erste Absatz war vorgegeben, der Rest is von mir. Allerdings ist mir nie wirklich ein passender Titel dazu eingefallen:

    Es war eine sternenklare Nacht und der Mond schien sanft auf das Land Ajata herab. Das Land schien zu schlafen und nur das leise Zirpen der Grillen durchbrach die Stille der Nacht.
    Am Rande eines riesigen, dunklen Waldes befand sich das kleine Dörfchen Mehemb. Schwere Vorhänge waren vor die Fenster gezogen worden durch die kein Schein einer Kerze zu entdecken war. Es schien fast so, als würden die Bewohner dieses Dorfes auf den Spuren des Gottes Ophomas wandeln und erst diesen Weg wieder verließen, wenn beim ersten Sonnenstrahl die Hähne zu krähen begannen. Doch wer richtig hinblickte konnte erkennen, dass eben nicht alle Fenster dunkel vor einem lagen.
    Aus einer Hütte, weit weg von den anderen, drang der Schein einer Kerze und tauchte die dunkelroten Blumen vor dem Fenster in einen schwachen gelblichen Schein. Der Bewohner dieser Hütte schien also noch wach zu sein, wozu auch sonst würde eine Kerze brennen.
    Es war Thalion der diese Hütte sein Eigentum nannte. Er war ein seltsamer Zeitgenosse und die meisten Bewohner aus Mehemb mieden seine Gesellschaft, dabei zählte er gerade einmal 25 Lenze. Doch auch seinen Vater, der letzten Winter gestorben war, hatten sie gemieden.
    Thalion saß in seiner Hütte an einem alten, schweren Eichentisch. Tiefe Furchen zogen sich durch das harte Holz und an vielen Stellen konnte man den Zahn der Zeit erkennen. Feine Risse durchzogen an vielen Stellen das Holz wie ein Spinnennetz. Vermutlich hatte der Tisch bereits seit vielen Generationen in dieser Hütte gestanden.
    Die Hütte war spärlich eingerichtet und nur das, was wirklich notwendig war, hatte seinen Platz in diesem Raum gefunden. Vor Thalion lag ein Pergament, das in einer kunstvollen Schrift beschrieben worden war. Am Ende des Pergamentes prangte das Zeichen des Hauses Solata, eines der bekanntesten und einflussreichsten Häuser im Lande Ajata.
    Thalion wusste nicht, wie oft er jetzt schon den Inhalt dieses Pergamentes durchgelesen hatte, aber noch immer nicht hatte er verstanden, warum ausgerechnet ihm so ein Pergament zuteil wurde. Er verstand auch nicht, was ihm dieser Brief sagen sollte, was es mit dem Inhalt auf sich hatte. Erneut beugte sich Thalion über das Pergament um ihn ein weiteres Mal zu lesen, während das Wappen des Hauses Solata ihm immer wieder ins Auge sprang.

    -------------------------------------------------------------------------------------

    Hätte er doch nur besser lesen gelernt! Er kannte alle Buchstaben, doch es bereitete ihm große Mühe, die einzelnen Laute zu Wörtern zusammenzusetzen. Außerdem war der Brief an vielen Stellen durch Nässe und Schmutz unleserlich geworden. Thalion verstand nur soviel, dass es sich um einen Befehl der Adligen von Solata an ihre Soldaten handeln musste. Ein Soldat – vermutlich ein Hauptmann - musste den Brief verloren haben, und er, Thalion, hatte ihn am Rand des Wiesenpfades aufgelesen als er zur Jagd gehen wollte. Er konnte ein Datum entziffern: Der erste Tag im Monat des Winteranfangs. Das war in drei Tagen. Außerdem schien der Brief eine Art Liste zu enthalten: Namen von Männern und Frauen, und dahinter Ortsnamen – die Namen der Dörfer, in denen die genannten Personen lebten. Einige der Namen kamen Thalion bekannt vor: Deran, der junge Schmiedegeselle, wohnte nur wenige Häuser entfernt, und auch die junge Laina lebte hier in Mehemb. Dann waren noch ein paar Männer aus den Nachbardörfern genannt und einige, die Thalion nicht kannte. Und dann, ganz am Schluss, sein eigener Name: Thalion aus Mehemb. Thalions Kehle wurde trocken, und das Herz hämmerte wie wild in seiner Brust. Was hatte er mit den Herren von Solata zu schaffen? Die Erkenntnis traf ihn wie ein Hieb in die Magengrube. Dass er auf dieser Liste stand, konnte nur eins bedeuten: die Herren wollten ihn als Sklaven haben.
    Nein! Alles in Thalion sträubte sich gegen diesen Gedanken. Es konnte nicht wahr sein, es durfte nicht wahr sein! Warum sollten die Herren wollen, dass ausgerechnet er, der Sohn eines Verräters, ihnen diente? Die Antwort auf diese Frage gab Thalion sich selbst: weil er jung, gesund und kräftig war – genau wie die anderen Männer und Frauen auf der Liste, genau wie all die jungen Menschen, die eines Tages spurlos aus ihren Dörfern verschwanden und erst Jahre später als Krüppel an Leib und Seele zurückkehrten. Einige von ihnen, so hatte Thalion gehört, wirkten als seien sie gerade aus einem Traum erwacht und schienen sich an nichts von dem zu erinnern, was ihnen in den vergangenen Jahren widerfahren war. Andere erinnerten sich bruchstückhaft an Dinge – furchtbare Dinge, die sie nachts weinend und schreiend aufwachen ließen. Thalion hatte von Männern gehört, die von ihren eigenen, grausamen Albträumen schließlich in den Wahnsinn getrieben wurden oder sich selbst das Leben nahmen. Von Männern, die gezwungen worden waren, als Soldaten in der Armee der Herren zu dienen und mit unmenschlicher Grausamkeit gegen die eigenen Landsleute vorzugehen. Ja, dachte Thalion bitter. Die Herren des Hauses Solata und der anderen Adelsgeschlechter regierten die Einwohner von Ajata mit eiserner Faust. Die meisten Menschen lebten wie er in bitterer Armut und schufteten unermüdlich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang um die hohen Abgaben leisten zu können, die die Herren ihnen abverlangten. Wer seine Arbeit vernachlässigte oder auf andere Weise ungehorsam war, wurde gnadenlos bestraft. Wie Thalions Vater, der nur in Gegenwart einiger anderer Dorfbewohner ein paar unvorsichtige Worte hatte fallen lassen. Noch am selben Tag hatten die Soldaten ihn vor den Dorfaufseher gezerrt, ihn auf dessen Befehl halb zu Tode gepeitscht und danach zur Abschreckung auf dem Dorfplatz liegen gelassen. Dort wäre er verblutet, wenn Thalion ihn nicht zurück in die Hütte getragen und seine Wunden versorgt hätte. Keiner der Nachbarn hatte es gewagt, ihnen zu helfen oder auch nur ein mitfühlendes Wort zu äußern – im Gegenteil. Nach dem Vorfall hatten alle sie gemieden, und ein knappes Jahr später war Thalions Vater als kranker, gebrochener Mann gestorben.
    Nein, die Bewohner von Ajata wagten nicht, gegen die Herren aufzubegehren. Die meisten würden es wahrscheinlich noch nicht einmal wagen, die Gedanken zu Ende zu denken, die gerade in Thalions Kopf Form annahmen - hieß es doch, dass die Herren Zauberkräfte besaßen und Gedanken lesen konnten.
    „Aber mich sollen sie nicht kriegen“, beschloss Thalion trotzig. Ein aberwitziger Plan nahm in seinem Kopf Gestalt an: Er würde fliehen. Zunächst aber musste er den Schmiedegesellen Deran und die junge Laina warnen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie ihn verrieten. Er konnte sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Vielleicht konnte er sie ja dazu überreden, mit ihm zu kommen. Am liebsten wäre Thalion sofort aufgebrochen, doch er sah ein, dass er bis zum Tagesanbruch warten musste, war es doch bei Todesstrafe verboten zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang seine Behausung zu verlassen. Den Herren zu trotzen war eine Sache, sich den Zorn des Gottes Ophomas zuzuziehen eine andere. Eigentlich hätte er nicht einmal die Kerze anzünden dürfen – hoffentlich hatte es niemand bemerkt! Thalion packte seine wenigen tragbaren Habseligkeiten zusammen und schlug sie in ein paar gegerbte Felle ein. Dann löschte er die Kerze und rollte sich auf seinem Strohlager zusammen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Als die ersten Strahlen der Morgensonne in die Hütte drangen, hatte Thalion noch immer kein Auge zugetan, doch er stand sofort auf, nahm sein Bündel, ließ noch einmal seine Finger über das raue Holz des Tisches gleiten und verließ dann ohne Zögern sein Zuhause. Es gelang ihm, sich unbemerkt zu der Hütte zu schleichen, in der der Schmiedegeselle Deran mit seinem Vater lebte, und so konnte er mit Deran sprechen, der sich gerade auf den Weg zur Arbeit machen wollte.
    „Ich will nicht Soldat werden!“ brach es aus Deran heraus, der bei Thalions Bericht kreidebleich geworden war. Derans eigener Vater war jahrelang spurlos verschwunden gewesen und erst vor kurzem wieder aufgetaucht. Er verließ selten die Hütte und sprach mit niemandem ein Wort,
    „Ich habe auch nicht vor, mich zum Soldaten machen zu lassen.“ Deran starrte Thalion ungläubig an, als der ihm seinen Fluchtplan unterbreitete. Doch dann nickte er langsam. Er hatte sich entschieden. Er versprach, mit Laina zu sprechen um sie ebenfalls zur Flucht zu überreden. Die beiden hatten im nächsten Sommer heiraten wollen. Wenn irgendjemand das Mädchen überzeugen konnte dann Deran.
    „Gut“, sagte Thalion. „Ich warte am Waldrand auf euch. Kommt so schnell ihr könnt, bevor irgendjemand merkt, dass ihr nicht bei der Arbeit seid.“
    Zügig schritt Thalion durch das Dorf, dessen Einwohner nun einer nach dem anderen aufstanden um ihr Tagwerk zu beginnen. Niemand nahm Notiz von ihm. Doch plötzlich erblickte er ganz in seiner Nähe zwei seltsame Gestalten. Es waren ein hochaufgeschossener Junge und ein Mädchen. Sie schienen in eine heftige Diskussion verwickelt zu sein und bemerkten Thalion nicht.

    „Das war wirklich eine saublöde Idee von dir Janine Demke“, schimpfte Rico und fuhr sich mit der Hand durch das strubbelige, grün gefärbte Haar. „In den Höhlen herumzusteigen, und dazu noch mitten in der Nacht, nur um den anderen zu beweisen wie cool du bist. Mann, wir könnten jetzt zu Hause bequem in unseren Betten liegen, stattdessen latschen wir schon seit Stunden durch die Pampa und haben nicht die geringste Ahnung, wo wir hier eigentlich gelandet sind.“ Ein Anflug von Panik schwang in seiner Stimme mit. „Dieses Kaff hier, und diese Leute – das ist doch echt gruselig. Wo sind wir, Janni?“’
    „J.D.“, knurrte das Mädchen. „Du weißt ganz genau dass ich es hasse, wenn du Janni zu mir sagst.“ Janni. So hatte die Mutter sie immer genannt. Seit sie gestorben war hatte Janine niemandem mehr erlaubt sie so zu nennen. Ja, sie wollte cool sein. Mehr als alles andere wollte sie den Schmerz in ihrem Inneren verbergen, hoffte dass er irgendwann aufhören würde, wenn sie nur lernte ihn zu ignorieren.
    „Und jetzt tu bloß nicht so als wäre alles meine Schuld. Du musstest ja unbedingt durch diesen Steinring klettern. Ich habe dich gewarnt, aber nein …“ Janine erschauderte bei dem Gedanken an die ringförmige Felsformation, die sie in einer der Höhlen entdeckt hatten.

    „Hey, sieh mal! Sieht das nicht genial aus?“ Rico deutete mit der Taschenlampe auf den steinernen Ring und machte Anstalten hindurchzuklettern. Zunächst wollte Janine ihm folgen, doch irgendetwas hielt sie zurück. Da war dieses merkwürdige Geräusch – ein Summen wie von einem näherkommenden Insektenschwarm.
    „Nein Rico, warte!“ Janine versuchte, ihren Klassenkameraden und besten Freund zurückzuhalten, doch zu spät. Sie erwischte nur noch den Zipfel seiner Jacke. Im selben Moment fühlte sie, wie ein mächtiger Stoss sie von den Füssen riss. Das Brummen, das sie gehört hatte, steigerte sich zu einem unerträglichen Lärm, Bilder und Farben wirbelten in ihrem Kopf durcheinander. Dann wurde es mit einem Schlag dunkel, und sie fühle wie ihr Körper unsanft auf feuchtem Waldboden aufschlug

    Sie waren stundenlang durch diesen Wald marschiert und hatten sich nichts sehnlicher gewünscht als auf eine menschliche Siedlung zu stoßen. Nun war ihr Wunsch endlich in Erfüllung gegangen, doch ihre Entdeckung hatte sie nur noch mehr verwirrt. Dieses Dorf – wenn man es denn so nennen konnte – war das armseligste, was sie je gesehen hatten, und die wenigen Menschen, die ihnen bis jetzt begegnet waren, schienen genauso armselig: Mager und schmutzig, barfuss und nur spärlich bekleidet. Sobald sie Rico und Janine erblickten, schlugen sie ängstlich die Augen nieder und liefen hastig weiter. Nur ein kleines Mädchen von sechs oder sieben Jahren lugte neugierig aus einer Hütte hervor. Janine ging auf das Mädchen zu. Vielleicht konnte sie ihnen weiterhelfen.
    „Wie heißt du?“ fragte Janine mit ihrer freundlichsten Stimme.
    „Silja“, antwortete das Mädchen zaghaft.
    „Ähh … okay Silja … kannst du uns vielleicht helfen? Wir … wir haben uns verlaufen. Kannst du uns sagen, wo wir hier sind? Wie heißt dieser Ort?“
    Das Mädchen zog die Stirn in Falten und schien einen Moment lang angestrengt nachzudenken. „Mehemb, das 12. Dorf der edlen Herren von Solata im Lande Ajata“, leierte sie dann in einem Atemzug herunter.
    Mehemb? Ajata? Was hatte das zu bedeuten? „Ähh und … welches Datum haben wir heute?“ fragte Janine zögernd weiter.
    „Den vorletzten Tag im Monat des ersten Frostes im Jahre 746 nach der Zeitrechnung des großen Marog, des Gottes der Weisheit“ betete das Mädchen herunter und sah Janine erwartungsvoll an. „Und wie heißt du?“ Doch da packte eine Frau das Mädchen von hinten am Arm und zog es hastig ins Innere der Hütte. Janine starrte den beiden nach. Was um Himmels Willen ging hier vor?
    „V … vielleicht sind wir ja durch ein Dimensionsloch gefallen oder so“, schlug Rico zögernd vor.
    „Dimensionsloch!“ schnaubte Janine verächtlich. „Also ehrlich! Das ist ja wohl der größte Schwachsinn den ich je von dir gehört habe, Rico! Du siehst zu viele schlechte Science-Fiction-Filme. Ich sag dir was los ist: Entweder hat uns dieses Kind was vorgeflunkert, oder … oder diese Leute gehören zu irgend’ner komischen Sekte oder sowas. Wir brauchen nur den Weg zur nächsten Stadt zu finden, dann sind wir bestimmt in Null Komma Nix wieder zu Hause.“ Doch Janine merkte selbst, dass das nicht besonders überzeugend klang. Sie tastete nach dem Pfefferspray und dem Klappmesser in ihrer Jackentasche. Die Gewissheit nicht völlig wehrlos zu sein tröstete sie ein wenig.

    Thalion beobachtete die beiden nun schon seit einer ganzen Weile, doch er wurde aus ihnen nicht schlau. Sie sahen seltsam aus und redeten seltsam. Der Junge hatte grünes Haar, und auch das hellblonde Haar des Mädchens wies rote und grüne Strähnen auf. Sie schienen wohlhabend zu sein, ihr Kleidung war trotz ihrer seltsamen Form von guter Qualität, und sie trugen feste Lederschuhe, ja sogar Schmuck besaßen sie: Der Junge trug um den Hals ein breites, metallbesetztes Lederband, das Mädchen hatte Silberringe an den Fingern. Außerdem war ihr rechter Nasenflügel von einem winzigen Silberreif durchstochen.
    Thalion wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen als er den Dorfaufseher in Begleitung von zwei Soldaten näher kommen sah. Schnell zog er sich hinter einen Mauervorsprung zurück. Janine und Rico jedoch bemerkten den untersetzten Mann und seine zwei Begleiter erst als sie buchstäblich mit ihnen zusammenstießen.
    „T’schuldigung“, murmelte Janine, doch der Dorfaufseher packte sie hart am Handgelenk.
    „Erweise mir gefälligst Respekt, du unverschämtes Weibsbild“, zischte er. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er die zwei Jugendlichen genauer betrachtete.
    „Wo kommt ihr beiden eigentlich her … antworte!“
    „Au!“ Janine versuchte vergeblich, sich seinem Griff zu entwinden. „Das geht dich gar nichts an, Fettwanst! Nimm deine dreckigen Pfoten von mir!“
    Der Schlag des Dorfaufsehers traf sie mitten ins Gesicht.
    „Nehmt sie fest!“ brüllte er wutentbrannt seine Soldaten an. Doch der kurze Moment, in dem er seine Aufmerksamkeit von Janine abgewandt hatte um den Befehl zu geben, genügte ihr um sich loszureißen. Dem ersten Soldaten hieb sie mit voller Wucht den Ellenbogen ins Gesicht, der zweite bekam ihr Pfefferspray zu spüren. „Lauf!“ keuchte sie, und sie und Rico stoben davon, die Soldaten auf den Fersen. Ohne nachzudenken packte Thalion das vorbeilaufende Mädchen am Ärmel und zog sie in sein Versteck, der Junge folgte ihnen. Die Soldaten schienen nichts bemerkt zu haben, sie rannten weiter.
    „Puh, das war knapp“, keuchte Rico, als er wieder einigermaßen zu Atem gekommen war. „Menschenskind J.D., kannst du nicht einmal deine vorlaute Klappe …“
    „Still!“ fiel Thalion ihm ins Wort. Vorsichtig lugte er um die Ecke um zu sehen, ob die Luft rein war – doch was er sah gefiel ihm gar nicht. Anscheinend waren die Soldaten dazu übergegangen, jede einzelne Hütte nach den Flüchtlingen zu durchsuchen.
    „Sie können nicht weit sein!“ rief der Dorfaufseher schrill. „Bestimmt haben sie sich hier irgendwo versteckt!“ Auch Janine schaute nun neugierig um die Ecke.
    „Oh nein!“ Gerade machten die Soldaten Anstalten in die Hütte einzudringen, in der die kleine Silja wohnte. Janine biss sich auf die Lippen. Hoffentlich hatte niemand bemerkt wie sie mit dem Mädchen gesprochen hatte! Doch im selben Augenblick ließ ein schriller Schrei Janine zusammenfahren. Ohne zu überlegen rannte sie auf die Hütte zu. Weder Rico noch Thalion gelang es sie zurückzuhalten, und so folgten sie ihr. Der Dorfaufseher hatte die kleine Silja gepackt und schüttelte sie grob. „Wir werden die Wahrheit schon aus dir herausprügeln, du kleine Ratte! Wo sind die Fremden?“ Das kleine Mädchen schrie und schlug wie wild um sich. „Mama! MAMA!!“ Erst jetzt bemerkte Janine die Frauengestalt, die reglos auf dem Boden ausgestreckt lag, auf ihrer Brust ein roter Fleck, der schnell größer wurde. Sie musste versucht haben, sich den Soldaten in den Weg zu stellen, doch diese hatten sie einfach niedergestochen.
    „Ihr verdammten Schweine!“ Wie von Sinnen stürzte sich Janine mit gezücktem Messer auf einen der Soldaten. Ehe er reagieren konnte, hatte sie ihm schon das Messer in den Rücken gerammt, wieder und wieder stieß sie zu.
    „Janine, sie sind weg, hörst du! Janine, hör auf! Janine!“ Als Janine wieder zur Besinnung kam, lag der Soldat leblos am Boden. Verständnislos sah Janine Rico an, der sie an den Schultern gerüttelt hatte. Dann starrte sie auf ihre blutverschmierten Hände und begann zu begreifen.
    Thalion wischte mit finsterer Miene sein Jagdmesser am Zipfel seines Gewandes ab und steckte es zurück in die Scheide. Es war das erste Mal gewesen, dass er einen Menschen angegriffen hatte, und er ahnte, dass es nicht das letzte Mal sein würde. Doch für diesmal war der Kampf vorbei: Der Dorfvorsteher und der zweite Soldat waren geflohen und hatten die kleine Silja zurückgelassen. Janine hockte noch immer wie gelähmt am Boden, während die grauenvolle Wahrheit langsam ihr Bewusstsein durchdrang: Sie hatte einen Mann getötet! Ungläubig beugte sie sich noch einmal über die leblose Gestalt des Soldaten, und ein Keuchen entrang sich ihrer Kehle. Sie kannte diesen jungen Mann!
    „Rico! Rico nein! Das kann doch nicht sein … wie zum Teufel kommt er hierher?“
    „Was? … Oh Gott!“ Jetzt erkannte auch Rico das Gesicht des Soldaten.
    „Krämer.“ Es gab keinen Zweifel: Das war Dennis Krämer, der in der Schule ein paar Klassen über ihm und Janine gewesen war – bis er vor etwa einem Jahr plötzlich spurlos verschwand. Konnte es möglich sein, dass auch er durch Zufall hier gelandet und dann zum Soldaten gemacht worden war?
    „Kommt. Wir müssen fort von hier.“ Wie in Trance folgten Rico und Janine Thalion durch das Dorf, und auch Silja ließ sich widerstandslos von ihm führen. Am Waldrand warteten schon Laina und Deran auf sie, und auch Derans Vater war, stumm wie immer, mitgekommen. Doch Laina und Deran schienen sich ganz und gar nicht einig zu sein – vielmehr schien es so als hätte Deran seine Verlobte kurzerhand gegen ihren Willen mitgeschleift.
    „Wir können das nicht tun Deran“ rief das junge Mädchen gerade aufgebracht. „Es ist gegen das Gesetz. Die Herren werden uns furchtbar bestrafen!“
    „Dazu müssen sie uns erstmal finden. Und ich hab nicht vor mich finden zu lassen. Aber du willst anscheinend lieber einem adligen Herrn von Solata das Bett wärmen!“, gab Deran ebenso aufgebracht zurück.
    Thalion stöhnte. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Als sie Janine und Rico erblickten, klappten den beiden Streithähnen buchstäblich die Kinnladen herunter. Doch Thalion brachte sie mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen, bevor sie die Fragen stellen konnten, die ihnen auf der Zunge lagen.
    „Kommt. Wir müssen uns beeilen Reden können wir später.“
    Und so marschieren sie los, Thalion an der Spitze, dann folgten Deran, dessen Vater und Laina, Rico und Janine trotteten hinterdrein. Die kleine Silja gesellte sich bald zu Janine und wich ihr nicht mehr von der Seite. Die Sonne stand schon hoch am Himmel als die kleine Gruppe sich endlich eine Rast gönnte. Sie tranken Wasser und teilten das wenige Proviant, das Thalion, Deran und Laina hatten mitnehmen konnten. Rico verschlang gierig das Brot, das sie ihm gaben, doch Janine brachte keinen Bissen herunter, und als Thalion sie schließlich bat, von sich zu erzählen, starrte sie nur stumm vor sich hin und ließ Rico von ihrem Abenteuer in der Höhle berichten.
    „Dann kommt ihr also aus einer ganz anderen Welt?“ fragte Laina ungläubig.
    Rico nickte seufzend. „Scheint so.“
    Niemand hatte auf Derans Vater geachtet, der bei Ricos Bericht hellhörig geworden war. Überrascht wandten sich alle zu ihm um, als er zu sprechen begann.
    „Ihr seid nicht die ersten, die auf diese Weise hierher geraten sind. Ich habe schon ein paar wie euch getroffen im Laufe der Jahre.“
    „Ist das wahr?“ Wie elektrisiert starrte Rico den alten Mann an, und auch Janine war aus ihrer Teilnahmslosigkeit erwacht.
    „Ja. Die … die Herren“ Es schien den Mann einige Überwindung zu kosten, das Wort auszusprechen. „Sie scheinen sich nicht ganz darüber einig zu sein, was sie mit euch anfangen sollen. Ich habe einmal eine Diskussion mit angehört…“ Der alte Mann zog die Stirn in Falten und schloss die Augen, bemüht, die Erinnerung wachzurufen.
    „Einige der Herren meinten, ihr könntet ihnen auf die Dauer gefährlich werden. Die meisten waren jedoch der Meinung, dass ihr gute Sklaven abgebt weil ihr im Allgemeinen gesünder und besser genährt seid als die Dorfbewohner von hier. Außerdem seid ihr meist durch die Umstände der … Reise verängstigt und verwirrt und dadurch leicht zu unterwerfen.“
    Rico erschauderte. War dies das Schicksal, das Dennis Krämer zuteil geworden war?
    „Ein paar der Herren schlugen sogar vor, man könnte die Durchgänge zwischen den Welten systematisch zur Beschaffung von Sklaven nutzen“, fuhr Derans Vater fort. Rico starrte ihn fassungslos an. „Systematisch nutzen? Du meinst … du meinst sie wollen Leute aus unserer Welt entführen um sie zu …“ Der alte Mann nickte grimmig.
    „Aber dann … dann …“ Langsam ging Rico die volle Tragweite dessen auf, was er eben gehört hatte. „Wenn diese Herren so etwas vorhatten, dann heißt das doch, dass es auch von hier aus einen Durchgang zu unserer Welt geben muss. Dass wir zurückgehen können.“
    Derans Vater nickte bedächtig. „Ja. Soweit ich mich erinnere muss es am Ufer des Silbersees einen solchen Durchgang geben.“
    „Am Ufer des Silbersees“, murmelte Thalion. Nachdenklich sah er von Rico zu Janine und wieder zu Rico. Dann nickte er. „Also gut. Wir werden euch helfen, zurück in eure Welt zu kommen. Aber zuerst müssen wir die Männer aus den anderen Dörfern warnen, die die Soldaten gefangen nehmen sollen. Und so brachen sie wieder auf.
    „Hast du gehört J.D.?“ Ricos Augen leuchteten vor Begeisterung. „Wir können zurück! Wir können wieder nach Hause!“ Ja, dachte Janine. Aber würde sie jemals vergessen können, was hier geschehen war? Dass sie am Tod von Lainas Mutter schuld war und einen Mann den sie kannte eigenhändig ermordet hatte? Doch sie wollte Ricos Freude nicht zerstören, und so verzog sie ihr Gesicht zu einer Grimasse, von der sie hoffte, dass sie wie ein Lächeln aussah. Wenig später erreichten sie ein Dorf, das ebenso ärmlich war wie das aus dem sie gekommen waren. Thalion ging los um die zur Sklaverei verurteilten Dorfbewohner zu warnen, während die anderen im Wald auf ihn warteten. Nach kurzer Zeit kam er mit zwei Männern und einer jungen Frau zurück. Sie hatten sich ungesehen davonschleichen können, doch ein weiterer Mann, der ebenfalls in Thalions Pergament erwähnt war, hatte sich geweigert mitzukommen. Sie wanderten noch einige Zeit weiter bis Thalion sich sicher war, dass sie niemand finden würde. Dann schlugen sie ihr Nachtlager auf. Die Männer bauten aus Ästen einen primitiven Unterschlupf und entfachten ein Feuer, während Laina und die andere junge Frau den Hasen zubereiteten, den Thalion unterwegs geschossen hatte. Rico und Janine saßen etwas abseits von den anderen. Janine hätte sich gern nützlich gemacht, aber sie wusste nicht wie, und so wartete sie nur. Wenig später saßen sie um das Lagerfeuer herum und teilten den gebratenen Hasen und das spärliche Proviant, das sie aus den Dörfern mitgenommen hatten. Bald war Rico in ein lebhaftes Gespräch mit den Männern vertieft. Nun da er sicher war, bald wieder nach Hause zu können, schien er das Ganze als eine Art spannendes Abenteuer zu betrachten, und er wollte so viel wie möglich über diese seltsame Welt erfahren, in der sie so unfreiwillig gelandet waren. Die Gewaltherrschaft der Adelshäuser empörte ihn über alle Massen, und bald hörte Janine zu ihrem Erstaunen, wie er den Männern die Grundprinzipien der Demokratie zu erläutern versuchte. Dabei hatte er sich zu Hause stets als Anarchisten bezeichnet und die Sozialkunde-Lehrerin mit seinen Provokationen zur Weißglut getrieben. „Stimmt es, was er sagt?“ wandte sich Thalion leise an Janine.
    „Das meiste schon“, antwortete sie. „Obwohl er vielleicht ein klein wenig übertreibt. Ungerechtigkeit gibt es überall – auch bei uns. Aber man kann dagegen kämpfen.“
    Als es dunkel wurde, zogen sich alle in den Unterschlupf zurück und breiteten die mitgebrachten Felle auf dem Boden aus um sich schlafen zu legen. Janine konnte nicht umhin zu bemerken, dass die meisten Männer plötzlich nervös wirkten, und Laina zitterte geradezu vor Angst.
    „Was ist denn auf einmal los?“ fragte sie Thalion
    „Sie fürchten den Zorn der Götter“, antwortete er und erklärte, dass es ihnen normalerweise streng verboten war, sich nachts draußen aufzuhalten.
    „Götter, ha!“ Rico schnaubte verächtlich. „Das ist ja mal wieder typisch. Um das Volk unter der Knute zu halten, denken sich diese so genannten Herren nen Haufen Hokuspokus aus. Und sie selbst brauchen sich natürlich nicht an diese ganzen Regeln zu halten, stimmt’s?“
    „Sie sind die direkten Nachfahren der Götter“, belehrte Laina ihn mit bebender Stimme.
    „Ph, von wegen!“ knurrte Rico. Nun mischte sich auch Janine ein.
    „Und wenn es nun nicht wahr ist was sie sagen?“ fragte sie ruhig. „Passt auf, ich werde es drauf ankommen lassen. Ich setze mich jetzt nach draußen und passe auf dass das Feuer nicht ausgeht, und ich bleibe die ganze Nacht dort sitzen. Dann werden wir ja sehen, ob mich irgendjemand bestraft.“
    „Geniale Idee, J.D.“ lobte Rico sie, als sie wenig später nebeneinander am Lagerfeuer saßen. Janine zuckte die Schultern.
    „Ich hätte eh nicht schlafen können.“
    „Wegen Denn… wegen dem Soldaten?“
    „Mhm.“ Eine Weile saßen die beiden schweigend nebeneinander, dann sagte Rico.
    „Du darfst dir deswegen keine Vorwürfe machen J.D. Es war Notwehr. Du hast der kleinen Silja das Leben gerettet, das war verdammt mutig von dir.“
    Janine wusste es besser. Was sie getan hatte war weder aus Notwehr noch aus Tapferkeit geschehen. Es war Wut gewesen – nackte, kalte Wut, und diese Erkenntnis machte ihr Angst vor ihr selber.
    „Und dass es ausgerechnet Krämer getroffen hat“, fuhr Rico fort, „das muss wohl intergalaktisches Pech gewesen sein. Mach dir deswegen keine Gedanken, der Typ war sowieso schon immer ein Arschloch.“
    Da konnte Janine nicht anders, sie musste lachen. Ein hilfloses, hysterisches Kichern, das nicht aufhören wollte und schließlich in Schluchzen überging. Rico legte tröstend den arm um sie, und Janine weinte wie sie noch nie zuvor in ihre, Leben geweint hatte. Der Schock über das, was sie getan hatte, die Trauer über den Verlust ihrer Mutter – alles floss zusammen, und sie ließ ihrer Verzweiflung freien Lauf bis sie schließlich keine Tränen mehr hatte. Danach saßen sie einfach nur da und schauten in den Sternenhimmel.
    „Komisch“, sagte Janine nach einer Weile. „Die Sterne sehen genauso aus wie bei uns.“
    Rico quittierte ihre Aussage mit einem herzhaften Gähnen.
    „Geh ruhig rein wenn du schlafen willst, ich komm schon klar“, meinte Janine.
    „Sicher?“
    „Klar. Na los, hau schon ab.“ Einen Moment später war Rico verschwunden. Doch kurz darauf hörte Janine wieder ein Rascheln ganz in ihrer Nähe. Eine kleine Hand griff in der Dunkelheit nach ihrer.
    „Silja, bist du das? Kannst du auch nicht schlafen? Na komm her, Kleine.“ Das Mädchen rollte sich neben Janine zusammen und legte den Kopf in ihren Schoss. Bald darauf war sie eingeschlafen. Janine breitete ihre Jacke über sie und starrte in die Glut des Lagerfeuers. Irgendwann musste sie doch eingeschlafen sein. Als sie aufwachte, war es bereits hell und die anderen waren aufgestanden. Auch Silja war schon auf den Beinen. Irgendjemand hatte sie mit einem Fell zugedeckt. Gerade kam Thalion auf sie zu, in der Hand ein paar Fische, die er im nahe gelegenen Bach gefangen hatte.
    „Guten Morgen.“ Janine erhob sich und lächelte ihn an. Er lächelte zaghaft zurück.
    „Komm, ich helfe dir.“ Janine zückte ihr Messer, nahm einen Fisch und schnitt ihm mit einer geschickten Handbewegung den Bauch auf um die Eingeweide zu entfernen. Während sie Seite an Seite arbeiteten, betrachtete Thalion sie verstohlen. Konnte es wahr sein, was sie über die Götter gesagt hatte? Sie schien unversehrt zu sein, und ihm selbst war schließlich bisher auch nichts passiert, obwohl er letzte Nacht die Kerze angezündet hatte. Er hatte am gestrigen Abend noch lange wachgelegen und über das nachgedacht was Rico und Janine von ihrer Welt erzählt hatten. Man kann es ihnen ansehen, dass sie frei sind, dachte er. Sie sind es gewohnt zu sagen was sie denken, sie halten sich aufrecht und sehen den Menschen geradewegs ins Gesicht, beugen nicht den Nacken und schlagen die Augen nieder wie die Dorfbewohner. Mit einer gehörigen Portion Bewunderung dachte Thalion daran, wie Janine dem Dorfaufseher getrotzt hatte, wie sie ohne zu zögern der kleinen Silja zu Hilfe geeilt war. Wer sonst von allen Menschen, die Thalion kannte, hätte das getan?
    Nachdem sie gefrühstückt hatten, setzte die kleine Gruppe ihren Marsch fort. Während sie wanderten, trafen Rico und Janine immer wieder die halb ängstlichen, halb bewundernden Blicke der anderen, und mit wachsendem Erstaunen schienen die Dorfbewohner zu begreifen, dass den beiden tatsächlich nichts geschehen war – abgesehen davon, dass Rico fortwährend gähnte.
    „Reiß dich gefälligst zusammen“, knurrte Janine, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. „Wenn du jetzt über deine eigenen Füße stolperst und dir den Hals brichst denken sie sonst prompt, es wäre der Zorn der Götter.“ Rico grinste zurück, erleichtert darüber, dass sich Janines Seelenzustand soweit gebessert hatte, dass sie wieder Witze machen konnte. Thalion beobachtete die beiden aus den Augenwinkeln und fragte sich zum wiederholten Male, wie sie wohl zueinander standen. Ware sie Bruder und Schwester? Vetter und Cousine? Oder …? Sie hatten nichts darüber gesagt, und er hatte sie nicht gefragt. Ihr Verhalten führte Thalion zu dem Schluss, dass sie – im Gegensatz zu Deran und Laina – rein freundschaftlich miteinander umgingen, und diese Erkenntnis beruhigte ihn seltsamerweise. Er verstand selbst nicht so recht, warum er immer wieder Janines Nähe suchte. Es musste wohl aus Neugier sein.

    Ihre Wanderung dauerte noch viele Tage, und die kleine Gruppe wuchs stetig an. Es war Thalion gelungen, auch die anderen zu warnen, die auf der Liste gestanden hatten. Außerdem gesellten sich auch immer mehr Leute zu ihnen, die wegen Ungehorsams bestraft oder deren Verwandte und Freunde versklavt worden waren. Plötzlich ging es nicht mehr allein darum, sich dem Zugriff der Herren zu entziehen. Nein, diese Menschen wollten Widerstand leisten, und wie selbstverständlich gingen sie davon aus, dass Thalion sie in den Kampf führen würde. Abends wurden am Lagerfeuer Pläne geschmiedet, und Rico und Janine nahmen regen Anteil an den Diskussionen. Dennoch wurde Rico mit jedem Tag ungeduldiger. Er wollte nach Hause. Janine dagegen hatte aufgehört über Vergangenheit oder Zukunft nachzudenken. Wenn sie durch den Wald wanderte mit Siljas kleiner, warmer Hand in ihrer und Thalion, der mit festen, gleichmäßigen Schritten vor ihr herging, war sie zufrieden. Inmitten dieser Gruppe von einfachen Männern und Frauen fühlte sie sich seltsamerweise so geborgen wie schon seit Jahren nicht mehr. Sie würde sie sehr vermissen.
    Dann, endlich, erreichten sie eines Abends das Ufer des Silbersees. Glatt und schimmernd wie ein Spiegel lag der See vor ihnen, Nebelschwaden stiegen im Licht der untergehenden Sonne von der Wasseroberfläche auf. Sie mussten den See halb umrunden bevor sie die Stelle fanden: Zwei aufrecht stehende Findlinge und darüber liegend ein weiterer Stein. Der Zwischenraum zwischen den Steinen war gerade so groß, dass sich ein Mensch hindurchzwängen konnte. Wieder hörte Janine das merkwürdige Summen, das von den Steinen ausging.
    Schweren Herzens verabschiedete sie sich von ihren neu gewonnenen Freunden. Sie wussten, was zu tun war: Sie mussten die Herren daran hindern, sich Sklaven aus anderen Welten zu holen. Deshalb würden Thalion und seine Männer den Durchgang zerstören, sobald Janine und Rico ihn durchquert hatten. Sie dagegen würden noch einmal in die Höhle zurückkehren, in der alles begonnen hatte, und auch den Steinring vernichten. Danach würde ihr gewohntes Leben weitergehen. Ihre Freunde hatten einen schweren Kampf vor sich, doch sie würden nie erfahren, wie er ausging.
    Janine wandte sich zu Rico um und ging ein paar Schritte auf das steinerne Tor zu. Doch ihre Füße fühlten sich schwer an wie Blei. Noch einmal wandte sie sich zu Thalion um, der ihr traurig nachsah, während er die schluchzende Silja an der Hand hielt. Janine fühlte wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Wie konnte sie ihre Freunde so einfach verlassen? Aber konnte sie bleiben? Würde sie Rico nicht ebenso sehr vermissen? Was sollte sie nur tun? Ihr Blick wanderte zu Rico und wieder zurück zu Thalion und Silja. Dann atmete sie tief ein und straffte die Schultern. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen.



    Mit folgendem Code, können Sie den Beitrag ganz bequem auf ihrer Homepage verlinken



    Weitere Beiträge aus dem Forum Haus Siebenstein

    Schwesterschülerwohnheim - gepostet von sorcha am Freitag 08.06.2007
    Eine Bahnfart nach Murphys Gesetz - gepostet von sorcha am Dienstag 17.07.2007



    Ähnliche Beiträge wie "Fantasy-Geschicte"

    Final Fantasy X - Alexander (Mittwoch 10.01.2007)
    Facebook : M Power-team Luxembourg. - Fighter (Montag 30.01.2012)
    Morgen kommen Bilder von Django und später dann von Lady - staffimaus (Samstag 10.05.2008)
    Allgemeine Fragen zu Final Fantasy 9 - BlackBloodyRose (Samstag 03.02.2007)
    Mystic Fantasy & Shadow - Shadow (Samstag 08.09.2007)
    [LV] Maxwell - El_Valenciano_Sajón (Dienstag 31.05.2011)
    Fantasy & Sci Fiction RULES - Lavendel (Dienstag 10.10.2006)
    Fantasy Project - Fall in Love (C.Y.T. rmx) - Marco (Donnerstag 10.03.2005)
    Macht Final Fantasy gewalttätig? - Asahi (Dienstag 16.01.2007)
    Final Fantasy I - ElectroX (Freitag 22.04.2005)