Laudatio auf den Akt-Fotografen Mathias Kapke

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    Re: Laudatio auf den Akt-Fotografen Mathias Kapke

    Säbär - 13.12.2006, 14:49

    Laudatio auf den Akt-Fotografen Mathias Kapke
    Das Spiel des Schauens

    Erfahrung schreibt sich in die Häute ein. – Der Satz sucht sich selbst seinen Rhythmus, als wollte er Gedichtzeile werden. Das sei ihm verweigert, wenigstens für den Moment. Erfahrung ist ja schon Metapher für die Metamorphose des Körperlichen. Das Indiz wird als Tatsache genommen. Die Falten an den Augen: Viel gesehen. Die Falten am Mund: Viel gelacht. Das kann stimmen, muss aber nicht. Unterhalb der Schlüsselbeine wird’s anachronistisch. Das Faltendreieck über der Brust des Mannes lässt sich nicht als Metapher verschlüsseln. Es sagt – und das im günstigsten Falle – einfach nur: Jetzt ist der Körper älter als der Kopf. Die Cellulite an den Oberschenkeln einer Frau weckt allenfalls Häme, aber nicht Poesie. An einer Brustwarze lässt sich zur Not erkennen, ob eine Frau gestillt hat. Das mag interessieren, wen die Frau interessiert.

    Erfahrung schreibt sich in die Häute ein? Das Indiz wird als Tatsache übernommen? Welchen Blickpunkt nimmt der Fotograf dann ein beim Spiel des Schauens?

    Als Mathias und ich uns kennen lernten, in einer Frankfurter Kneipe, war mir seine Ambition noch nicht klar. Als wir in seiner damaligen Wohnung saßen und auf dem Fußboden seines sonst eher spartanisch möblierten Zimmers hunderte Schwarzweißfotos lagen, die nach Korrespondenz zu meinen Gedichten suchten, ahnte ich etwas davon. Es war jedenfalls nicht das Entblößen, das Kapke einige Jahre zuvor getrieben hatte, nach der Kamera zu greifen und sich – fast ausschließlich – der Aktfotografie zuzuwenden. Gemeinsam machten wir ein Buch, das wir „Hautkontakte“ nannten. Der Titel war weniger Programm, als vorsichtige Zurücknahme ins Unterkühlte. Weg von der allwöchentlichen Fleischbeschau an den Kiosken, weg von der Inszenierung sexueller Obzessionen, weg von der Vivisektion am Menschen. Kapkes Auge war an Vorbildern geschult, für die Körperlichkeit, Linie und Licht zusammen gehören. Eine Mehrdimensionalität, die die Lichtbildnerei zur Kunstform gemacht hatte im vergangenen Jahrhundert. Ein Stück Verweigerung gegenüber der Moderne steckte darin, eine klassizistische Attitüde zuweilen, als wollte der Fotograf sich stark machen gegen die Beliebigkeit, indem er einen Ausgangspunkt seines Schauens fixierte, zu dem sich immer zurückkehren lässt. Und ohne den das Spiel mit dem Schauen nicht funktioniert. Die Bilder, schwarz weiß fotografiert und im Duplexverfahren mit einem altertümlichen Chamoise-Ton versehen, haben tatsächlich etwas Ruhendes, Innehaltendes. Sogar etwas Statisches, aber es ist die Statik einer ambitionslosen Selbstgewissheit. Das ist wie mit der Stille: Mancher nimmt sie gar nicht wahr. Und mancher erträgt sie nicht.

    Eine gute Freundin, als sie die Fotos betrachtet hatte ein um das andere Mal, sagte: „Ich finde keines sinnlich, alle demonstriert. Null Erotik – Tausend Prozent Pose.“

    Eine andere Frau meinte: „Sie sind alle weich und rund. Auf diesen Bildern sind die Frauen die Zärtlichkeit der Welt.“

    Wenn Fotografien so unterschiedliche Urteile auslösen können, müssen sie etwas widerspiegeln von dem, was die Betrachterin oder der Betrachter hineinschaut in sie. Spiel des Schauens bedeutet hin- und hineinschauen, sich ins Verhältnis setzen zum Geschauten, die eigenen Wünsche, die eigene Vorstellung vom Ich und die eigene Erwartung ans Du.
    Dass ein Bild Blicke auf sich zieht, ist nur der Anfang. Bilder sind magnetisch. Bilder sind Magie. Aber nur, wenn sie den Körper nicht reduzieren auf eine Werbebotschaft für Shampoo, Seife oder Sex. Wer Werbebotschaften sendet, will nicht spielen, sondern verkaufen. Kapke hat geradezu eine Scheu gegenüber solchen Botschaften entwickelt. Bei einer seiner ersten Vernissages sagte der Grafiker Peter Sottmaier deshalb: „Kapkes Bilder sind ein Beitrag gegen die visuelle Umweltverschmutzung.“

    Ich blättere noch einmal in unserem Buch und denke: Ja, erotisch sind diese Fotos ganz zuletzt. Die Entfernung zu den Frauen, selbst zu jenen, die ich kenne, erscheint mir groß. Sie haben auf diesen Bildern Platz für sich selbst. Sie haben die Freiheit der un-willkürlichen Distanz zu mir. Eine kostbare Freiheit, die der Fotograf bewahrt, hervorhebt, manifestiert. Nur wenige Frauen blicken in die Kamera, und wenn sie es tun, sind es meistens Blicke der Selbstbehauptung. Ich bin da, sagen sie, da gibt es nichts zu beweisen und zu rechtfertigen nichts. Und nicht für dich bin ich da, sondern für mich. Der Auslöser kommt allem, was daraus folgen kann, zuvor. Als hätten wir, jenseits dieses Augenblicks und jenseits der Kamera, alle Zeit der Welt zu jedem anderen Spiel, das Kapke uns überlässt, einem Spiel der Bewegung – danach.

    Ich erzähle das, weil ich glaube: Frauen sind der Grund, weshalb Kapke zur Kamera griff. Der nackte Mensch ist Grund, sich zu besinnen, inne zu halten. Das macht Kapke sichtbar. Warum und worauf bleibt Sache des Betrachtenden. Die Frau ist der Grund. Vor allem sie. Das ist alles.

    Aber ist das wirklich spielerisch?

    Man darf wissen: Kapke ist auch ein Tänzer. Jemand, der Musik liebt, die Rhythmen verschiedener Völker. Die unangestrengte Innigkeit einer Inszenierung, die sich sofort selbst überlebt, wenn sie zu leben anfängt, wie eine Gavotte auf irgendeinem bretonischen Marktplatz, wenn der Kreis der Tanzenden sich geschlossen hat und die Körper zu schwingen beginnen. Die Choreographie, die daraus erwächst, ist ebenso vorausbestimmt wie unvorhersehbar. Dazwischen liegt die fotografische Faszination.

    Es scheint mir die gleiche zu sein, mit der Kapke von seinen ersten Reisen zu Bodypainting-Festivals und -Meisterschaften zurück kam. Auch diesmal waren Frauen der Grund, aber in einem Sinn, der weiter greift. Sie waren Ursprung, Anlass und Projektionsfläche. Gewöhnlich trennt die Kunst das. Ihren Ursprung hat sie in Erfahrung, ihren Anlass findet sie im Moment der Imagination, ihre Projektionsfläche ist Material. Bodypainting macht dies alles zu einem.

    Allerdings ist professionelles Bodypainting keine Form der Art Brut. Die wenigstens Künstler überlassen sich der Körperlichkeit ihres Models und lassen sich von der vermeintlichen Kontextlosigkeit des Zufalls inspirieren. Die Moderne, der Kapke mit Lust und Kalkül entflohen war, holt ihn hier wieder ein. Dem Spiel mit ihren Hervorbringungen sind keine Grenzen gesetzt. Mimesis ist das älteste unter ihnen: Sie lässt Faune und Fabelwesen erstehen. Ästhetiken von Grafitti bis Comic leben sich aus. Ein Maskenspiel der Proportionen, der Linien und Farben lädt zur Entdeckung ein. Immer aber schimmert der Körper unter der Oberfläche, wie eine Erinnerung, wie eine Melodie, die sich allen späteren Klängen beigesellt. Kapke, in seinen gelungensten Bildern, macht den Zweiklang hörbar. Er setzt nicht die Bilder ins Bild, sondern das Lauschen.

    Bodypainting macht die Haut zur Bühne. Auf ihr werden keine Autobiografien geschrieben, sondern Welten hinein inszeniert in die Welt. Die Scharade verheimlicht nichts. Die Bretter bedeuten nicht die Welt, sie sind ein Teil von ihr, und ein höchst lebendiger dazu.

    Jedem Foto, das hier ausgestellt ist, geht ein Prozess voraus, in dem Menschen miteinander, mit der Natur – vor allem der eigenen – kommunizieren, Körperlichkeit erforschen, um sie zu gestalten, schon im Beginnen zum Publikum gewandt die Macht der Auges herausfordern und sie augenzwinkernd in Frage stellen.

    Erfahrung, auch die künstlerische, auch die auf unserer Haut, ist die einzige Wahrheit, auf die wir uns verlassen können. Aber sie ist nicht die Wahrheit. Allenfalls unsere. Allenfalls jetzt. Vielleicht auch nur ein Traum von Wahrheit. Oder ein Traum vom Traum…

    Das Spiel des Schauens endet immer gleich: Wir beginnen von vorn. Wir lassen uns ein. Gebannt auf den gebannten Augen-Blick.

    Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.


    Henry-Martin Klemt
    zur Vernissage am 2. Dezember 2006
    im "filmrisz" Berlin



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