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Re: Momente der Besinnung
Minnat Allah - 11.05.2005, 00:56Momente der Besinnung
Quelle:
-Die Fontäne-
http://www.fontaene.de/archiv/nr-27/moment_1.htm
1Es war einmal ein großzügiger Mann, der seine Großzügigkeit nie zur Schau stellte und stets bescheiden auftrat. Leider hatte dieser Mann nicht viel Geld. Weil er seine Mitmenschen immer so reich beschenkte und selbst nicht genügend verdiente, litt er unter chronischem Geldmangel. Für seine immense Großzügigkeit waren seine Taschen einfach nicht tief genug.
Eines Tages schrieb ihm ein armer Mann einen Brief, in dem er ihn bat: „Bitte unterstütze mich mit einem kleinen Almosen. Ich sitze schon seit längerer Zeit im Gefängnis, und nun wollen mir auch noch meine Gläubiger an den Kragen.“ Unser großzügiger Mann wollte ihm gern helfen, aber leider besaß er gerade jetzt keinen Penny. Also schickte er einen Boten zu den Gläubigern des Bittstellers und ließ ihnen ausrichten: „Entlasst diesen Mann für ein paar Tage nur in die Freiheit. Ich will für ihn bürgen.“ Dann besuchte er den Gefangenen in seiner Zelle und sagte zu ihm: „Steh auf, und verlasse so rasch wie möglich die Stadt!“
Ein Kanarienvogel, der die Tür seines Stalls offen stehen sieht, zögert keinen Moment lang. So schnell wie der Morgenwind floh der Gefangene aus dem Land. Daraufhin schnappten sich seine Gläubiger den Wohltäter und forderten ihn auf: „ Bring uns entweder den Mann oder das Geld!“
Unser Held war weder zu dem einen noch zu dem anderen in der Lage und wurde deshalb ins Gefängnis geworfen. Und dort blieb er. Er rief niemanden um Hilfe an, und er beschwerte sich nicht, auch wenn er so rastlos war, dass er nachts nicht schlafen konnte.
Irgendwann kam ein frommer Mann ihn besuchen und fragte ihn: „Dass ausgerechnet du ein unehrlicher Kerl bist, hätte ich nicht gedacht. Was hast du denn verbrochen?“
„Ich habe nichts Böses getan“, antwortete unser Wohltäter. „Ich habe lediglich einen Mann in Ketten gesehen und mir vor Augen gehalten, dass seine Freiheit einzig und allein in meiner Hand liegt. Da war ich der Meinung, dass es nicht recht sei, dass ich ein angenehmes Leben führe, während seine Füße gefesselt sind.“ Schließlich starb unser Held und hinterließ einen guten Namen.
Glücklich ist der, dessen Name niemals stirbt. Jemand, der mit einem guten Herzen unter der Erde ruht, ist besser als jemand, der mit einer toten Seele lebt. Denn er lebt für die Ewigkeit!
Was Azra’il, den Todesengel, überraschte 2
Eines Tages kam ein völlig verängstigter Mann zum Hofe des Propheten Salomo. So sehr verängstigt war er, dass sich sein Gesicht ganz weiß verfärbt hatte. Als Salomo ihn sah, fragte er ihn: „Was ist los mit dir?“ Da antwortete ihm jeners „Azra’il, der Todesengel, hat mir einen verdächtigen Blick zugeworfen. Nun hat eine unbeschreibliche Furcht mein Herz erfasst. Deshalb suche ich an deiner gerechten Tür Zuflucht.“ Salomo wollte von ihm wissen: „Was erwartest du von mir? Was kann ich für dich tun?“ Der Mann entgegnete ihm: „O du gerechter König! Befiel doch dem Wind, mich nach Indien zu tragen!3 Dort werde ich vor Azra’il sicher sein und nicht länger um mein Leben fürchten müssen.“
Der Prophet Salomo befahl also dem Wind, den Mann nach Indien zu tragen. Schließlich wurde er auf einer Insel nahe der Küste Indiens abgesetzt.
Als Salomo am nächsten Tag seinen Pflichten als König nachkam und in einer Audienz den Wünschen seiner Untertanen lauschte, kam dort Azra’il vorbei. Der König erinnerte sich an den Mann vom Tag zuvor und fragte Azra’il: „Gestern kam ein Mann zu mir und erzählte mir, du hättest ihm einen verdächtigen Blick zugeworfen. Warum hast du das getan? Sag mir das! “Azra’il klärte ihn auf: „O mein erhabener König! Ich habe ihm keinen verdächtigen Blick zugeworfen. Ich war nur überrascht, als ich ihn sah. Denn der Gott des Universums hatte mir gesagt: ‚Geh, und nimm das Leben dieses Mannes, der in Indien lebt.‘ Und dann entdeckte ich ihn gestern hier an diesem Ort. Da dachte ich mir: Dieser Mann kann doch unmöglich in so kurzer Zeit nach Indien gelangen, selbst dann nicht, wenn er 100 Flügel besäße. Als ich jedoch nach Indien kam und ihn dort erblickte, traute ich meinen Augen kaum. Gestern habe ich ihm dort sein Leben genommen, so wie mir geheißen war.“
Aus diesem Grunde heißt es: Der Tod wird dich finden, selbst wenn du nach Indien fliehst.
Fußnoten
1 Diese Geschichte ist dem Mathnawi von Dschalal ad-Din ar-Rumi entnommen.
2 Diese Geschichte ist dem Obstgarten von Scheikh Sadi Shirazi entnommen.
3 Der Prophet Salomo besaß die Fähigkeit, die Natur zu kontrollieren.
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