Die Bedeutung der Speisegesetze

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    Re: Die Bedeutung der Speisegesetze

    Thomas - 05.12.2004, 14:45

    Die Bedeutung der Speisegesetze
    Die Bedeutung der Speisegesetze

    Man hört oft die falsche Behauptung, das progressive Judentum würde die Speisegesetze ablehnen. Dies ist nicht der Fall. Richtig ist, dass das progressive Judentum es ablehnt, das Jüdischsein eines Menschen nach dem zu beurteilen, was er isst, anstatt nach seinem Verhalten. Der Speiseplan darf die moralischen Forderungen an den Menschen nicht überschatten. Und wie für die meisten Rituale gilt auch hier: die genaue Einhaltung an sich reicht nicht aus. Die Beachtung der Speisegesetze muss von ethischem Verhalten begleitet werden, wenn sie dem Zweck dienen will, an die Werte des Judentums zu erinnern. Im Falle der Kaschrut könnte man sagen, es kommt auf das an, was aus dem Mund herauskommt, nicht auf das, was in ihn hineingeht. Ein Grund zur Besorgnis ist der erbitterte Streit darüber, wie weit man die Kaschrutgebote befolgen soll, der das Vertrauen der Öffentlichkeit schwächt und Spaltungen in den Gemeinden schafft. Trotzdem betrachten wir die Speisegesetze als etwas durchaus Positives. Zu den bekannten Gründen für ihre Einhaltung – ihre heilsame Wirkung für die Selbstdisziplin und ihre hygienische Bedeutung – kann man das jüdische Bewusstsein hinzufügen, das sich bildet, wenn man dreimal am Tag jüdisch isst. Es gibt verschiedene Arten, jüdisch zu sein, aber wenige durchdringen das Zuhause und prägen den täglichen Lebensrhythmus in solch einem Ausmaß. Bei einigen Elementen der Kaschrut kommt eine historische Dimension hinzu, weil Juden denen Widerstand leisteten, die das Judentum vernichten wollten und sie zwangen, Schweinefleisch zu essen, angefangen von der Zeit der Makkabäer bis zum Naziregime.

    Die Kaschrut betrifft sowohl das Privatleben als auch das Leben der Gemeinde und zwischen diesen beiden Aspekten wird unterschieden.


    Persönliche Beachtung

    Das progressive Judentum fördert die Beachtung der Kaschrut im privaten Bereich und erkennt ihren Wert an, doch es erstellt keine verbindliche Liste aller Aspekte, die eingehalten werden müssen und unterscheidet nicht zwischen ihren unterschiedlichen Verdiensten. Es hält vielmehr auch hier am Prinzip der individuellen Entscheidung über die persönliche Beachtung des Ritualgesetzes fest. Jeder Haushalt muss selbst überlegen, in welchem Ausmaß die Kaschrut eingehalten wird. Es sollte eine bewusste Entscheidung sein, die sich auf das Wissen über die unterschiedlichen Verfahrensweisen und auf die Entscheidung für ein jüdisches Leben gründet. Daher kann die Kaschrut zwischen den verschiedenen progressiven Haushalten sehr unterschiedlich sein. Es ist unnötig zu sagen, dass es gewisse Mindestanforderungen gibt. Juden, die Schweinefleisch essen, übertreten bewusst ein jüdisches Gesetz, das universal anerkannt und von der Geschichte geheiligt wurde. Andere verbotene Lebensmittel, wie Meeresfrüchte und Aal, gelten als weniger verabscheuenswürdig. Doch auch hier wird empfohlen, sie zu meiden, weil diese Nahrungsmittel ausdrücklich in der Bibel selbst verboten werden (Levitikus 11,1-47 [Schemini]). Es wird empfohlen, das Fleisch von einem koscheren Metzger zu kaufen, der das Tier in der vorgeschriebenen Weise geschlachtet hat. Führende wissenschaftliche Einrichtungen haben sich für das Schächten als schmerzvermeidende Tötungsmethode auch aus moderner Sicht ausgesprochen.

    Es sind vor allem die nachbiblischen Interpretationen der Kaschrut, die aufgrund der Fragwürdigkeit einiger späterer Interpretationen in die Entscheidung der Einzelnen gestellt werden. Die Tradition weitete das Verbot, ein Junges nicht in der Milch seiner Mutter zu kochen (Exodus 23,19 [Mischpatim]) weit über die ursprüngliche Absicht des Gesetzes hinaus aus. Dies führte nicht nur zu der Bestimmung, milchige und fleischige Produkte nicht zu vermischen, sondern auch zu ausführlichen Anweisungen über getrenntes Besteck, Geschirr und Spülutensilien. Einige progressive Juden sehen in diesen Zusätzen keinen Wert und beachten sie nicht. Für andere sind sie von Bedeutung und werden vollständig gehalten. Wieder andere beachten sie teilweise. (Sie verzichten zum Beispiel auf den Verzehr von Milchprodukten zusammen mit Fleischprodukten, bestehen aber nicht auf getrenntem Besteck.) Die letztgenannte Position ist sehr verbreitet, da sie ein höheres Maß ritueller Observanz zulässt ohne zu verhindern, in einem öffentlichen Restaurant essen zu können oder in den Häusern nichtjüdischer Freunde (wo Fisch oder vegetarische Mahlzeiten serviert werden) – und außerdem trennt es nicht von den jüdischen Mitmenschen, deren Wohnungen nicht denselben Standard haben. In orthodoxen Kreisen ist ein übliches Argument für die Kaschrut, sie verhindere soziale Kontakte mit nichtjüdischen Menschen und verringere daher die Wahrscheinlichkeit gemischtreligiöser Ehen. Dieses Argument wird im progressiven Judentum nicht unterstützt. Mischehen sind zwar auch nicht unser Ideal, aber wir gehen davon aus, dass man Freundschaften mit nichtjüdischen Menschen durchaus pflegen kann, ohne die eigene jüdische Identität zu verlieren.

    Eine weitere persönliche Entscheidung ist der Kauf von Nahrungsmitteln, die verbotene Bestandteile enthalten, wie tierische Fette oder Zusätze. Einige meiden solche Produkte, andere weiten den Grundsatz des Bittul be-Schischim auf sie aus, demzufolge das Lebensmittel erlaubt ist, wenn die verbotene Zutat weniger als ein Sechzigstel der gesamten Mischung ausmacht. Im Talmud bezieht sich dies nur auf Fälle von verbotener Nahrung, die zufällig in ein Gemisch fällt (Chullin 97b), obwohl man einwenden könnte, dass die Tatsache, ob es dort zufällig oder absichtlich hineinkam, nicht die tatsächliche Beschaffenheit ändert. Nahrungsmittel, die per se koscher sind (z.B. Honig oder Nüsse) benötigen kein besonderes Zertifikat. Ebenso gibt es keine Notwendigkeit, dass ein Schomer ("Wächter") bei der Produktionsphase anwesend sein muss, um sicherzustellen, dass keine verbotenen Nahrungsmittel versehentlich zugefügt werden. Angesichts der heute üblichen strengen gesetzlichen Lebensmittelkontrollen ist dieser Fall ohnehin äußerst unwahrscheinlich. Ebenso brauchen Pessach-Nahrungsmittel, die bereits an sich frei von Gesäuertem sind (z.B. Kaffee oder Tee), keine besondere Markierung "koscher für Pessach", die nur zusätzliche Kosten verursacht, um eine eindeutige Tatsache festzustellen.

    Unangemessen ist der Brauch einiger, sich zuhause an bestimmte Speisevorschriften zu halten, an anderen Orten aber nicht. Man könnte als Argument für diese Einstellung anbringen, man unterscheide zwischen dem jüdischen Charakter des eigenen Zuhauses und dem säkularen der übrigen Welt, doch zwei Einwände setzen dieses Argument außer Kraft: zum einen sollte die Beachtung jüdischer Grundsätze immer geschehen, nicht nur an einem bestimmten Ort; zum anderen ist es für Kinder verwirrend und kann zum Vorwurf der Heuchelei führen.

    Zu diesen Aspekten der Kaschrut warf das progressive Judentum eine vollständig neue Frage auf: Sollten die Kategorien verbotener Nahrungsmittel auf Produkte ausgeweitet werden, die aus industrieller Tiererzeugung stammen, zum Beispiel die Eier von Legehennen, die nicht frei umherlaufen können und in Dunkelheit gehalten werden oder das Fleisch von Kälbern, die mit künstlichen Flüssigkeiten ernährt wurden, die sie fett aber nicht satt machten? Für viele stehen diese Praktiken im Gegensatz zur jüdischen Betonung einer artgerechten Behandlung aller Tiere, auch derjenigen, die zu Nahrungszwecken getötet werden (Levitikus 22,28 [Emor]; Deuteronomium 5,14 [Waetchanan]; 22,6-7 [Ki Teze]; Proverbien 12,10). Einige progressive Juden verzichten daher auf den Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten, die unter derartigen industriellen Bedingungen gezüchtet wurden, denn ihrer Meinung widerspricht dies dem Geist der jüdischen Ethik. Ihrer Ansicht nach kann ein bestimmtes Tier zwar durchaus halachisch koscher sein, aber gleichzeitig moralisch terefa. Wieder andere erinnern daran, dass der Fleischgenuss als solcher ein Zugeständnis an unsere Schwachheit ist und der ursprünglichen Schöpfungsordnung nicht entspricht. Wenn die Schöpfungsordnung aber das Idealbild für die messianische Zeit darstellt, habe man auf den Konsum von Fleisch zu verzichten.

    Keine dogmatische Definition legt fest, was Kaschrut ist. Doch es gibt zwei eindeutige Grundsätze, die als persönliche Richtlinie dienen können. Zum einen achtet das progressive Judentum eine religiöse Durchformung unseres Umgangs mit Lebensmitteln durch die Orientierung an der traditionellen Kaschrut. Zum anderen berücksichtigt es, dass es verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten der Kaschrut gibt, die gleichwertig sein können. Es gibt keinen Grund für eine "Alles oder nichts"-Einstellung, sondern man kann einen annehmbaren Mittelweg gehen und auf diese Weise seine jüdische Identität auch durch seine Ernährung zum Ausdruck bringen.


    Kaschrut im öffentlichen Bereich


    Im öffentlichen Bereich wie bei Gemeindeveranstaltungen einer Synagoge, müssen weitergehende Bedürfnisse berücksichtigt werden Die Kaschrut muss so beachtet werden, dass möglichst viele Juden dort essen können. Es muss verhindert werden, dass die Speisegesetze jüdische Menschen voneinander trennen. Synagogen, die Fleisch anbieten, sollten sicherstellen, dass es koscher ist und Richtlinien über die Trennung von milchigen und fleischigen Produkten beachten. Andere Synagogen erlauben nur milchige Speisen (d.h. Fisch oder vegetarische Gerichte). Dieser Brauch dient auch didaktischen Zwecken und ist ein Vorbild für diejenigen, die mit den Kaschrut-Bestimmungen nicht vertraut sind. Nichtjüdische Speiselieferanten sind erlaubt, vorausgesetzt sie stehen unter der Aufsicht des Rabbiners. Der Punkt berührt auch die Organisation des Schabbat-Kiddusch. Einige Synagogen weisen diese Aufgabe einem Ausschuss zu, um sicherzustellen, dass die Bestimmungen eingehalten werden. In anderen Synagogen organisieren einzelne Mitglieder oder Familien abwechselnd den Kiddusch und sind in diesem Fall über die Grundsätze der Synagoge informiert.


    Lobsprüche


    Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass es in vielen Teilen der Erde immer noch zu regelmäßigen Hunger- und Dürrekatastrophen kommt, ist es angemessen, seine Nahrung nicht nur zu verzehren, sondern auch die Dankbarkeit für sie zum Ausdruck zu bringen. Zusätzlich zu dem einfachen Segensspruch vor der Mahlzeit sollte nach dem Essen ein Dank gesagt werden (in Hebräisch oder Deutsch oder beidem). Die Umstände erlauben unterschiedliche Ausführungen. Nach einer eiligen Wochentagsmahlzeit kann man einen einzigen Lobspruch sagen: chazan et ha-kol: "Gepriesen seist du Ewiger. Du ernährst alle." Am Schabbat kann man in Muße die lange Version des Tischgebets nach dem Essen singen. In die traditionelle Version wurde ein neuer Abschnitt eingefügt:

    Wir haben gegessen und sind satt geworden. Lass uns nun nicht blind sein für die Bedürfnisse anderer oder taub für ihren Schrei nach Nahrung. Öffne unsere Augen und unsere Herzen, so dass wir unsere Gaben teilen können. Hilf uns, Hunger und Mangel aus der Welt zu vertreiben.

    Wein

    Bei Wein liegt eine völlig andere Situation vor als bei Nahrungsmitteln. Die Kaschrut der Nahrungsmittel hängt von der Quelle ab, aus der sie kommen, während die Kaschrut von Wein von der Person abhängig ist, die ihn verkauft. Traditionell gilt, wenn ein nichtjüdischer Mensch in irgendeinem Stadium vom Pflücken der Traube bis zum Abfüllen in die Flaschen beteiligt war, gilt der Wein als nicht koscher, denn alle Arbeitsschritte müssen von jüdischen Personen ausgeführt werden. Diese Bestimmungen gehen auf die Zeit zurück, in der Götzendienst verbreitet war und man Wein für Libationsopfer an Götter verwendete. Juden wollten sich von Wein fernhalten, der heidnischen Göttern geweiht sein könnte. Solche heidnischen Bräuche sind seit mehreren Jahrhunderten verschwunden, doch das Verbot für Weine, die von Nichtjuden hergestellt wurden, gilt in der Orthodoxie nach wie vor. Wir meinen, dass das Gesetz heute keine Gültigkeit mehr besitzt und die Unterscheidung zwischen Weinen von jüdischen und nichtjüdischen Winzern nicht notwendig ist. Die einzige Ausnahme ist der Synagogengottesdienst, in dem der Kiddusch-Wein koscher sein soll, damit alle Anwesenden unabhängig von ihrer religiösen Praxis teilnehmen können. Bei gesellschaftlichen Anlässen der Synagoge erlauben einige Gemeinden nur koscheren Wein, während andere auch andere Weine zulassen, solange alternative Getränke zur Verfügung stehen.



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