Krümels-Bücherwelt ...

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Hornby, Nick - A long way down




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Hornby, Nick - A long way down

Beitragvon Pippilotta » 09.11.2007, 21:25

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Vier Menschen – wie sie unterschiedlicher nicht sein können – treffen einander zufällig in der Silvesternacht am Dach eines Hochhauses mit der Absicht, sich das Leben zu nehmen.

Maureen, die 51-jährige, die seit 20 Jahren ihren schwerst behinderten Sohn pflegt, nicht weiß, ob er irgendetwas wahrnimmt, ihr ganzes Leben opfert und auf ihn ausrichtet und am Ende ihrer Kräfte steht.

Martin, einst erfolgreicher und bekannter Fernsehjournalist, dessen Affäre mit einer Minderjährigen publik geworden ist, medial ausgeschlachtet wurde und nun vor den Scherben seiner Karriere und seiner Familie steht

Jess, verwöhnte Göre aus reichem, konservativem Elternhaus, die seit dem spurlosen Verschwinden ihrer Schwester jeden Halt verloren hat

J.J., Musiker, der seine Träume von der großen Musikerkarriere nach der Auflösung seiner Band begraben muss und zu allem Überfluss auch noch von seiner Freundin verlassen wurde.

Den Aufbau des Buches finde ich ausgezeichnet. Abwechselnd werden die Lebensgeschichten, Gedanken und Motive aus der jeweiligen Perspektive des Betreffenden erzählt, zudem macht sich dieser Gedanken zu den anderen dreien. Keiner der vier hat den Weg auf das Dach leichtsinnig gewählt, doch jeder ist auch bemüht - mit Hilfe der anderen – den langen Weg hinunter – und zurück ins Leben - zu finden.

Hornby hat sich hier einer sehr sensiblen Thematik angenommen, in der man sich sehr rasch auf gefährliches Terrain begeben kann. Doch er hat diese Gratwanderung meiner Meinung nach bravourös gemeistert! Er verpackt viel („Hornby-typischen“) Humor in die Geschichte, ohne aber ins Lächerliche zu verfallen, er verleiht der Geschichte den nötigen Ernst, ohne pathetisch zu wirken und gibt Einblicke in die Seelen der Protagonisten, ohne pseudo-psychologische Weisheiten von sich zu geben.

Ein sehr unterhaltsames Buch und trotz des ernsten Themas auch ein sehr positives Buch!

:stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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von Anzeige » 09.11.2007, 21:25

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Beitragvon Susannah » 10.11.2007, 10:40

Mir hat das Buch auch sehr gut gefallen. Ich fand es sehr beeindruckend, wie überzeugend Hornby sich in die vier - wie du schon schriebst - völlig unterschiedlichen Charaktere hineinversetzen konnte. Vor allem über Jess mußte ich doch des öfteren laut auflachen.

Ich freue mich schon sehr auf sein neues Buch ("Slam"), das im Jänner 2008 erscheint. ISBN-13: 9783462039658
Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!
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Beitragvon Nerolaan » 20.01.2008, 13:04

A long way down – A long way through

Vier Menschen treffen sich zufällig auf dem Dach eines Hochhaus und alle haben nur ein Ziel: sie wollen alle von Dach springen, denn ihr Leben scheint ihnen nicht mehr lebenswert. Doch irgendwie will keiner den anderen Springen lassen und so kommt es, dass die vier einen Deal machen: sie springen nicht an diesem Sylvesterabend und treffen sich dafür am Valentinstag wieder und wer dann noch springen will, soll springen.
Aus dieser merkwürdigen Konstellation entwickelt sich eine noch merkwürdigere Freundschaft, die das Leben der vier verändert.

Nachdem ich so viel begeisterte Stimmen zu Nick Hornby hört, wollte ich es selbst einmal ausprobieren. Der Klappentext zu dem Buch klang interessant und versprach viel. Das Buch konnte dieses Versprechen dann aber nicht halten.
Hornby spielt in diesem Buch mit einem sehr ernsten Thema: Selbstmord.
Und für mich sieht es teilweise so aus, als ob der Autor das Thema nicht wirklich ernst nimmt. Die Charaktere sind blass und eindimensional und konnten mein Mitgefühl noch nicht mal ankitzeln. Hornby dichtet ihnen zwar ein paar Gründe an, die einen schlecht fühlen lassen, baut diese aber nicht soweit aus, dass man nachvollziehen kann, dass man in diesen Situationen an Selbstmord denken könnte. Natürlich habe ich im Kopf, dass nicht alles für mich ein Grund zum Selbstmord ist, aber für andere vielleicht schon.
Manchmal kam es mir so vor, als ob die Selbstmordgeschichte nur ein Aufhänger für die Geschichte war, die einfach für Aufmerksamkeit sorgen sollte.

Zwischenzeitlich habe ich sogar überlegt ob ich einfach zu dumm bin Hornby Genialität zu erkennen.
Ich habe zwischenzeitlich auch an die Möglichkeit gedacht, dass Hornby die Geschichte vielleicht mit Absicht so oberflächlich mit dem Thema Selbstmord umgeht, um zu zeigen, dass es für alles eine Lösung gibt, doch finde ich, hat Hornby selbst für den Fall eine unpassende Umsetzung gewählt.

Um jede Perspektive einfangen zu können erzählt Hornby die Ereignisse 4 Seiten lang aus der einen Perspektive und dann 4 Seiten lang aus einer anderen. Durch diese Aufteilung leidet der Lesefluss und die Umsetzung der Geschichte.
Zusätzlich ist mir negativ aufgefallen, dass Hornby – ich habe das Buch auf Englisch gelesen – auf einer Seite im Minimun das Wort f**** 10 mal verwendet! Selbst im Englischen hat man mehr Möglichkeiten „verflucht“oder „verdammt“ auszudrücken, als nur mit f****. Solche Ausdrücke mag ich nicht und es zog das Geschehen zwischenzeitlich sogar ins lächerliche.

Ich kann die Begeisterung für Hornby nicht teilen und somit war dies mein erster und letzter Roman von ihm.

:stern: :stern:

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Beitragvon Pippilotta » 20.01.2008, 14:59

Nick Hornby ist sicherlich ein Autor, der polarisiert. Ich habe mittlerweile schon einiges von ihm gelesen und muss sagen, dass mir sein Stil - der sicherlich gewöhnungsbedürftig und keinesfalls "hochliterarisch" ist - gefällt. Ich finde, dass er die von ihm beschriebene Gesellschaftsschicht einfach gut einfängt. Mich hat die zugegebenermaßen derbe Ausdrucksweise nicht gestört, denn es entspricht wohl genau der Sprache des Betreffenden.

Schade, dass Dir Hornby nicht zusagt und Du keine guten Erfahrungen machen konntest. :-( Es hat jetzt auch keinen Sinn, Dir ein anderes Buch von ihm zu empfehlen, da seine Bücher in ungefähr der gleichen Tonart geschrieben sind.
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Nerolaan » 20.01.2008, 15:17

Ich überlege auch teilweise, ob es auch einfach daran lag, dass meine damals beste Freundin wirklich versucht hat Selbstmord zu begehen und dass ich daher, mhm, ein wenig überempfindlich bin :oops:
Oder ich verstehe Hornbys Humor auch einfach nicht.... :roll: Keine Ahnung...
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Beitragvon Pippilotta » 20.01.2008, 15:28

Die Thematik ist natürlich eine absolute Gratwanderung - keine Frage. Aber gerade diese Gratwanderung schafft Hornby, wie ich finde. Er verleiht dem Thema den nötigen Ernst, macht sich niemals lustig darüber und hat dennoch kein bitterernstes Buch geschrieben.

Sein Humor ist ebenfalls Geschmacksache. Den findest Du in jedem seiner Bücher. Ich mag ihn.
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Katia » 09.06.2008, 20:40

Ich erspare und Euch mal noch eine vollständige Rezension zu schreiben, zumindest die inhaltliche Zusammenfassung und schildere "nur " meine Eindrücke (ich hoffe, das gilt im Rahmen des SUB-Wettbewerbs trotzdem :wink:)

Ich habe das Buch auf Englisch gelesen und als ich zwischendurch mal in der Buchhandlung war, kurz auf deutsch hineingelesen. Der Unterschied war sehr augenfällig, deutsch klang alles etwas künstlich und unnatürlich. Nerloaans Anmerkung über das F-Wort ist natürlich absolut zutreffend, und ich habe zwischendurch mal gedacht: ich lese solche Sprache lieber, wenn sie ein Philip Roth geschrieben hat. Es sei Hornby aber zugute gehalten, dass er die Sprache seiner Protagonisten sehr genau einfängt und J.J. und Jess damit wahrscheinlich sogar genau portraitiert sind - leider habe ich nie in England oder USA gelebt, um das beurteilen zu können (ich kenne nur Menschen aus universitärem Milieu, die sprechen natürlich nicht so) - aber wenn ich im Bus fahre, höre ich auch viele ein Deutsch sprechen, das auf ähnlichem sprachlichem Niveau ist. Gegen Mitte des Buchs hatte ich mich damit ausgesöhnt und es als authentisch akzeptiert.
Die Charaktere sind vielen Stellen sehr plakativ, ihre Entwicklung wird aber nachvollziehbar und unkitschig geschildert. Hornby "spielt" mit einem ernsten Thema, ein sehr guter Freund von mir hat auch einen Selbstmordversuch hinter sich, ein anderer Klassenkamerad hat sich wirklich umgebracht, ich bin also auch etwas empfindlich auf dieses Thema. Ich finde aber, dass Hornby es nicht so schlecht gelöst hat, zwar fühle auch ich nicht wirklich mit den Charakteren mit, eine gewisse Distanz bleibt bewahrt. Aber: er wollte auch nicht beschreiben, was jemand in den Selbstmord treibt, sondern wie man einen Weg zurück ins Leben findet, und das gelingt ihm meiner Meinung nach recht gut. Z.B. sind am Anfang eigentlich alle einig, dass Maureen Gründe die "besten" (in einem zynischen Sinne) sind, und sie ist eigentlich diejenige bei der ich am Ende das beste Gefühl hatte, dass sie einen Weg gefunden hat, ihr Leben besser zu leben.

Das Erzählen aus den verschiedenen Perspektiven hat mir sehr gut gefallen (ihr kennt mich inzwischen und wisst, dass mir sowas immer gefällt), ansonsten hätte er auf eine auktoriale Erzählweise gehen müssen, und das wäre noch distanzierter geworden, denke ich. So kann er die sehr unterschiedlichen Denk- und Sprechweisen gut darstellen. Für mich ein klarer Pluspunkt.

Es war mein erster Roman von Hornby (nach zwei oder drei Kurzgeschichten) und er wird kein Autor werden, der auf meiner Favoritenliste sehr weit nach oben rutscht. Für mich war es ein gut gemachter Roman, konzeptionell sehr gut, in der Charakterzeichnung mit Schwächen.
Wahrscheinlich nicht mein letzter Roman von ihm.

Irgendwas zwischen drei und vier Sternen.

Katia
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