Behindert?

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    Re: Behindert?

    Müri - 30.12.2004, 23:12

    Behindert?
    Nochmal die Müri, nochmal hallo

    Ich hab eine Frage:

    Seht ihr Stotterer euch als behindert? Oder vielleicht besser, inwieweit fühlt ihr euch behindert?

    Ich habe gehört, das manche Stotterer sich unter anderem das Stottern offiziell als Behinderung anerkennen lassen (wohl hauptsächlich aus arbeitsrechtlichen Gründen, oder?).

    Oder findet ihr das degradierend, wenn das Stottern mit einer Behinderung gleichgesetzt wird?

    Schöne Grüße
    Müri



    Re: Behindert?

    Tjure - 08.01.2005, 18:59

    Ich bin doch nicht behindert, oder doch?
    Hallo Müri

    Du hast eine interessante Frage aufgeworfe, danke dafür.

    Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Lehrer an einem Gymnasium in Wien. Wir kamen so ins Plaudern und da es ein sehr offenes Gespräch war, kam es auch zum Thema Stottern.

    Ich erzählte ihm, daß ich mal wegen meines Stotterns gekündigt worden war (nicht offiziell, aber inoffiziell). Völlig entsetzt frage er mich, weshalb ich das so einfach über mich ergehen habe lassen - ich sei doch geschützt durch das Behindertengesetzt.

    Nun, bin ich nicht! Denn ich kenne niemanden ist Österreich, der ausschließlich wegen des Stotterns einen Behindertenstatus von mehr als 50% erhalten hat.

    Ich wäre froh, wenn ich "rechtlich" den Status eines Behinderten hätte. Beruflich wäre dann nicht so viel Angst da - privat würde sich das durch mehr "Gelassenheit" was meine Zukunftsängste betrifft auswirken.

    Wenn ich plötzlich als "behindert" gelte - so würde das an meiner aktuellen Situation ja gar nichts ändern. Ich wäre ja nicht plötzlich ein anderer Mensch ;)
    Also meine Meinung: ja, ich würde gerne als "behindert" gelten und offen gesagt ..... mein Stottern behindert mich ja auch wirklich sehr. Ich könnte meinen Beruf besser ausüben, wenn ich nicht stottern würde. So wie ein Blinder auch schneller sein würde bei der Arbeit, oder ein Gehbehinderter schneller sein würde - oder ein Gehörloser alles verstehen würde, was ihm /zu ihm gesagt wird. und die haben doch alle einen "Behindertenstatus" oder etwas nicht ?


    Ich freue mich, auf weitere Meinungen zu diesem Thema.

    beste Grüße vom

    Tjure



    Re: Behindert?

    Müri - 08.01.2005, 19:28


    Hai,

    warum eigentlich "behindert"? und nicht behindert ohne " "? Gibt es da einen Unterschied?

    Müri
    Nachbohrerin



    Re: Behindert?

    Tjure - 09.01.2005, 15:36


    Hallo Müri,

    nein, kein Unterschied. hab mich ferschrieben.

    Tjure



    Re: Behindert?

    Anonymous - 13.01.2005, 10:50


    Grüß euch!

    Zu den arbeitsrechtlichen Fragen kennt sich meine Frau besser aus wie ich, aber soviel kann ich schreiben:
    Wenn alle, die irgend ein ernsthaftes Problem haben, arbeitsrechtlich als behindert gelten würden, gäbe es kaum mehr jemanden, der/die nicht behindert wäre. (Derzeit behindert mich z.B. meine belämmerte Bandscheibe viel, viel mehr als mein Stottern) (Und: Eine Freundin und Kollegin, die mit einer sogenannten Knickhand schrieb, wurde auch schon einmal als behindert betrachtet, wenn auch nicht arbeitsrechtlich. Der Grund für ihre ungewöhnliche Handhaltung lag aber nur in ihrer Linkshändigkeit.)
    Soweit ich weiß, ist es kaum möglich, nur wegen Stotterns arbeitsrechtlich als behindert eingestuft zu werden. Wenn aber z.B. Depressionen dazukommen, schaut das dann schon wieder anders aus.

    Selbst habe ich mich auch in den vielen Jahren, in denen ich sehr schwer gestottert habe, nie als behindert gesehen. Eibe Behinderung ist für mich persönlich ein Problem, das nicht oder nur in Teilbereichen veränderbar ist. Da Stottern nach meiner persönlichen Erfahrung durchaus veränderbar ist, würde mich die Bezeichnung behindert auf mich bezogen stören.

    Die Frage, ob uns eine Einstufung als behindert hift oder nicht, sehe ich als zwiespältig: Einerseits haben wir durch das Stottern natürlich ein handfestes Problem, das andere nicht haben (aber die haben dann vielleicht eine miese Kindheit hinter sich und kämpfen dadurch mit Problemen, ohne jemals als behindert eingestuft zu werden), andererseits hinterlässt die Schublade "Behindert", in die wir selbst hupfen, fast zwangsläufig Spuren in uns.
    Bei manchen von uns habe ich bei ihrem Versuch, sich als behindert einstufen zu lassen, den Eindruck, dass sie resigniert haben und nicht mehr an ihre Chance und ihren Weg aus dem (schweren) Stottern glauben. Ich spreche natürlich niemandem das Recht ab, aufzugeben, finde es aber schade. Ich glaube einfach an die Lern- und Veränderungsmöglichkeiten von uns allen, egal, ob wir gerade stottern oder nicht. Die sprachlichen Stottersymptome sind mir persönlich eher unwichtig, Stottern ist viel mehr als Wörter blockieren.
    Dieser letzte Teil hat natürlich arbeitsrechtlich nichts zu bedeuten, ich denke aber, dass er für viele von uns in ihrem Leben nicht ganz unwichtig sein wird. Wenn die Trennung von arbeitsrechtlicher und persönlicher Ebene gelingt, sehe ich kein Problem, wenn sich jemand als behindert einstufen lässt.

    lg mi



    Re: Behindert?

    Müri - 13.01.2005, 13:03


    Hallo mi,

    erst mal willkommen hier :) freut mich, dass du dabei bist.

    und nun zum Thema. Du triffst es für mich auf den Punkt. Wenn es einem
    hilft, sich in der beruflichen Welt mehr Sicherheit zu verschaffen (in dem
    Sinne, dass man nicht mehr Angst haben muss, wegen des Stotterns
    gekündigt zu werden), dann ist es eine feine Sache.
    Aber wer sich dann zurücklehnt und sagt, "ich bin behindert, da kann man
    (ich) halt nichts machen", der schadet sich damit mehr. Denn auch ich
    habe von außen gesehen, dass man sehr wohl was machen kann.

    Wie das dann aussieht ist wieder ein neues Thema, aber ich denke, es
    gibt keinen Grund für langfristige Resignation.

    Schöne Grüße
    Müri



    Re: Behindert?

    leisi - 13.01.2005, 21:16


    Hallo!
    Also ich muss sagen, dass ich mich nicht als "be-hindert" bezeichnen würde! Und zwar ganz einfach deswegen, weil mich mein Stottern an nichts "hindert", sowie z.B. ein Blinder am Sehen oder ein Tauber am Hören "ge-hindert" wird. Ich kann doch alles machen... natürlich brauche ich für manche Dinge eventuell länger als andere, aber grundsätzlich habe ich die Fähigkeit zu Sprechen...
    Daher würde ich auf keinen Fall versuchen, einen Behindertenausweis zu bekommen, denn ich denke, das würde mir zwar arbeitsrechtlich vielleicht die Sicherheit, nicht aufgrund meines Stottern gekündigt zu werden einbringen, allerdings würde es meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt auch erheblich verschlechtern. Denn dann hätte ich ja denke ich auch so etwas wie eine Pflicht, einem potentiellen Arbeitgeber mitzuteilen, dass er gerade im Begriff ist eventuell jemand offiziell "Behinderten" einzustellen und ich denke doch, dass das viele abschrecken würde. Wir leben ganz einfach in keiner Welt in der absolute Toleranz und Gleichberechtigung Behinderten gegenüber herrscht und das Wort "behindert" ist nach wie vor negativ konnotiert... :cry:
    Lg, die leisi



    Re: Behindert?

    leisi - 13.01.2005, 21:59


    @ mi+Müri:

    Ich denke nicht, dass es einfach ist, seinen persönlichen Status ganz einfach von seinem beruflichen zu trennen. Denn auch im Beruf bin ich Mensch.
    Und ich glaube, wenn mich meine Familie von klein an in die "Schublade *behindert*" gesteckt hätte (d.h. ich bin da nicht von selbst hineingehüpft, sondern wurde von Menschen, die mir wichtig sind dort hinein gesteckt) oder wenn man mir irgendwann in meiner Kindheit (und das ist schon laaaaaange her ;)) gesagt hätte:
    "Leisi, morgen gehen wir dir einen Behindertenausweis besorgen!",
    ich glaube das hätte mir so einiges genommen, und damit meine ich erstmal überhaupt den Gedanken daran, dass die Möglichkeit besteht etwas zu ändern (denn ich habe ja das Wort "behindert" fix und unauslöschlich in meinem Ausweis stehen), damit meine ich den Mut zur Veränderung, die Idee, dass ich auch noch etwaws anderes bin als nur die "behinderte leisi", u.s.w.

    Wisst ihr was ich meine?

    Ich rede jetzt nicht davon, dass ich mich (im Erwachsenenalter) selbst unter behindert einordne und mich dann zurücklehne und sag "ist halt so", sondern davon dass das Bewusstsein behindert zu sein von klein an in mir gefördert und konditionert wurde....
    also ich fände das schlimm!!! :roll:

    die leisi



    Re: Behindert?

    Anonymous - 15.01.2005, 10:20


    Hallo leisi, müri & alle anderen!

    Den beruflichen Status vom persönlichen trennen können wir sichen nicht. (Wenn das ginge, könnten wir locker eine Einstufung als behindert annehmen und die Sache wäre erledigt. Von der anderen Seite her gesehen würde ich sagen, wer diese Trennung ohne Schaden für sich selbst vollziehen kann und durch sein/ihr Stottern große Probleme hat, wäre dumm, es nicht zu tun, warum auch.
    Ich glaube, dass das Thema sehr vielschichtig ist, mit Vor- und Nachteilen bei jeder möglichen Entscheidung dabei. Problematisch sehe ich dabei die Tatsache, dass es schwierig ist, alle dabei wichtigen Faktoren zu bedenken, weil viele mehr oder weniger unbewusst eine Rolle spielen dürften. Um da manchen vielleicht Stoff zum Nachdenken zu liefern, habe ich auch meinen Beitrag geschrieben.

    Die Ebene, die leisi angesprochen hat, nämlich das Erleben des "Behindert-Seins" schon in der Kindheit sehe ich auch als die viel wichtigere und für die weitere Entwicklung kritischere. Wer schon als Kind von seiner Familie als behindert gesehen (und damit wie behindert behandelt!) wurde, hat einen sehr schwierigen Ausgangspunkt für das eigene Leben.
    Ich kann nicht sicher sagen, ob ich selbst genau in dieser Schublade gesteckt bin, sicher weiß ich, dass ich sehr lange das schwarze Schaf war, das die familienüblichen Normen in keiner Weise erfüllen konnte (und dann auch nicht mehr wollte). Jahre später musste ich feststellen, mehr oder weniger ignoriert zu werden, was aber, so wenig lustig das war, auch seine Vorteile hatte: Ich hatte Narrenfreiheit und nützte sie auch weidlich. Ohne dieser Narrenfreiheit weiß ich nicht, was aus mir geworden wäre.
    Wißt ihr, was mich manchmal selbst nach wie vor erstaunt? Ich verurteile meine Eltern in keinster Weise. (Nur um klarzustellen, ein Einschub: Meine Kinder ziehe ich anders auf!) Sie konnten traurigerweise nicht aus ihrer Haut heraus, taten, was sie konnten, auch wenn es in vieler Hinsicht viel zu wenig war. Übrig bleibt nur mehr oder weniger fassungsloses Staunen, was Menschen mit Menschen machen können, im Versuch, ihnen Gutes zu tun. Aber so ist das Leben. Wir können nur versuchen, es selbst besser zu machen.

    Glücklicherweise ist diese Lebensphase lange vorbei. Ich leide schon seit langem weder daran, noch an meinem Stottern. Ich hatte damals zwr nicht die geringste Anhnung, wie ich aus all den schwierigkeiten herausfinden könnte, habe aber immer an meine Chnace geglaubt und ihr dadurch erst eine Chance gegeben. Nicht einmal die Erlebnisse, die uns ion der Kindheit prägen, müssen endgültig sein. (Aber das wäre eigentlich schon ein anderes Thema.)

    machts es gut inzwischen!
    mi



    Re: Behindert?

    Tjure - 19.01.2005, 22:26


    Hallo mi,

    danke, für deine Betrachtung aus den verschiedenen Blickwinkeln.
    Ich bin einfach nur von mir selber ausgegangen.

    Zitat:
    Den beruflichen Status vom persönlichen trennen können wir sichen nicht

    .. ich glaub ich kann das. - zumindest denke ich, dass ich es könnte, wenn ich es täte.

    liebe Grüße

    Tjure



    Re: Behindert?

    Andreas Weiser - 29.07.2005, 15:52


    Behindert ? Ich kann tun und lassen was ich möchte . Jetzt. Früher.. na gut es ging vielleicht nicht so schnell und flüssig. Aber ich habe gekämpft bis zum letztn Atemzug. Soll ich mich deshalb als Behinderter freiwillig abstempeln ?

    NÖ !!

    Könnte aber in der heutigen Zeit einige verstehen die daraus ein wenig mehr Kapital schlagen, jeder muss sehen wo erbleibt. Da wäre dann aber die Überlegung ich könnte jederzeit zu mir selber sagen--- na und ,ich bin ja behindert--- kann ja nix dazu. Stotter halt so weiter.
    Gruß ANdreas



    Re: Behindert?

    Tjure - 29.07.2005, 21:45


    Ich finde das alles sehr sehr interessant was ihr zu diesem Thema schreibt.
    Mir kommt grade so in den Sinn, dass wir vielleicht das Wort "Behinderung" verschieden interpretieren und unterschiedliche Assoziationen dazu haben.

    Vielleicht sollte jeder mal schreiben, was für ihn Behinderung bedeutet.

    liebe Grüße

    Tjure



    Re: Behindert?

    Tjure - 13.10.2005, 17:51


    Hallo Andreas,

    Andreas Weiser hat folgendes geschrieben: Aber ich habe gekämpft bis zum letztn Atemzug. Soll ich mich deshalb als Behinderter freiwillig abstempeln ?


    Ich sehe ehrlich gesagt keinen Zusammenhang zwischen Kämpfen und Behinderung. Das eine bedingt das andere nicht.

    Wenn Du über "Abstempelung" sprichst, so gehe ich davon aus, dass du damit ein Stigma ansprichst, das du eben selbst genährt hast.

    Behinderung hat für mich nichts mit "Minderwertigkeit" zu tun!

    Es liegt wohl immer im Auge des Betrachters ob man jemanden abstempelt/abgestempelt wird oder nicht.

    Da ich deinen Redefluss gehört habe, gehe ich aber auch davon aus, dass es bei dir nicht gerechtfertig wäre, dir den Status "Behinderter" aufzuhalsen ;-)

    liebe Grüße
    Mario



    Re: Behindert?

    mi - 17.10.2005, 17:15


    Hallo!

    Leider gab es keine Wortmeldungen, was ihr unter Behinderung versteht, sie hätten mich sehr interessiert!

    Zu Behinderung:
    Es gibt verschiedene Definitionen von Behinderung, je nach Ausgangspunkt. So reichen schon relativ "leichte" Behinderungen, um beruflich als behindert eingestuft zu werden, wie z.B. chronische Krankheiten, die am Arbeitsmarkt gravierende Auswirkungen haben.
    Um Unterstützungen des Sozialstaates zu bekommen, gelten, soweit ich es weiß, wieder andere Kriterien.
    Im schulischen Bereich genügt im Prinzip, nicht mit den anderen im normalen Unterricht mitzukommen, um sonderpädagogischen Förderbedarf zu bekommen.
    Usw.

    Alle diese Definitionen haben an sich nicht den Sinn, auszugrenzen oder einen bequemen Polster fürs Faulenzen zu bieten, sondern den, notwendige Hilfe dort zu geben, wo die Eigeninitiative überfordert wäre. (Heraus kommt natürlich oft auch einmal etwas ganz anderes, sowohl auf Seiten der Beihilfengeber wie auch auf Seiten der Beihilfenbezieher und der gesamten Gesellschaft.)

    Nach einem der neuesten Definitionsversuche, den ich einmal gelesen habe, würden wir mit unserem Stottern wohl unter den Begriff "Beeinträchtigung" fallen, also so etwas wie ein Mittelding zwischen "behindert" und "normal".

    Für mich selbst heißt "behindert" v.a., dass jemand einfach durch irgendwelche Umstände (die näher einzugrenzen sicher sehr schwierig wäre) nicht so kann, wie es "normal" zu erwarten wäre. (Dabei wäre auch zu bedenken, dass es "normal" ja definitiv nicht gibt, das ist ein rein fiktives gesellschaftliches Konstrukt!)

    Dieses Problem bedingt eine Verpflichtung der Gesellschaft, hier unterstützend einzugreifen.
    Früher hat das etwa so ausgesehen, dass "Behinderte" v.a. brav zu sein hatten, glücklich, nicht im Straßengraben liegen zu müssen (sondern in einer geschlossenen Behinderteneinrichtung irgendwie herumliegen zu dürfen), und im Übrigen keine irgendwie geartete Meinung zu irgendwas zu haben hatten. Wenn sie nämlich eine solche erkennen ließen, waren sie "bösartige Behinderte" und damit schlecht, schließlich hatten Behinderte mit sich geschehen zu lassen, was die anderen mit ihnen wollten, die sind ja viel gescheiter und in jeder Hinsicht besser.

    Wenn wir uns die Behinderten, die Andreas wohl im Hinterkopf hatte, als er sich gegen eine Einstufung als "behindert" wehrte, anschauen, sehen wir, dass diese (bis heute!) also mehr zu denen gemacht wurden, die sie nun sind, als dass sie sich selbst dazu gemacht haben. Gerade Menschen, die sich selbst nur schwer wehren können, geben meistens irgendwann einmal auf und werden die "braven", die "unauffälligen", die "gutartigen" Behinderten. Und gleichzeitig verlieren sie auch den letzten Rest ihres Ichs. Jammernde, weinerliche, selbstsüchtige "Personen" können das werden, wir kennen wohl alle solche.
    Das alles aber nicht, weil sie behindert sind, sondern, weil sie nie die Behinderten sein durften, die sie sind.
    Andere Behinderte (die genauso behindert sind!) vertreten ihre eigene Meinung, wissen genau, wer sie sind und was sie wollen. Diese werden glücklicherweise (zumindestens in Österreich) von neuen Ansätzen in der Behindertenarbeit unterstützt und gefördert. (Im rechtlichen und finanziellen Bereich werden wir noch lange brauchen, bis wir annähernd so etwas wie Chancengleichheit erreicht haben, aber der gute Wille ist einmal da.)
    Eines meiner Kinder, es hat unter anderem Lernschwierigkeiten (früher: geistige Behinderung genannt) und Epilepsie, ist also auch behindert. Es ist fröhlich, kreativ (manchmal auch zu kreativ!), teilt sich gerne mit, weiß genau, wer es ist und was es will, macht gerne bei Vielem mit, lernt, so schwer es sich dabei tut, gerne und ist stolz auf jeden Fortschritt in die eigene Selbstständigkeit, und sei es nur ein weiterer geschaffter Knopf der Jacke.
    Franz Josef Huainigg ist massivst körperbehindert, braucht Hilfe für fast alles, dazu ist er Familienvater und Abgeordneter des österr. Nationalrates.
    Auch er ist behindert.
    Ich schäme mich nicht, mit Behinderten in einen Topf geworfen zu werden.

    Selbst sehe ich mich nicht als behindert, wie die meisten von uns.
    (Ich kenne übrigens einen Stotternden, der sich arbeitsrechtlich als behindert einstufen ließ, das konnte er aber nur mit Hinweis auf seine Depressionen erreichen.)

    Am Schluß stehen wir wieder zwischen allen Stühlen:
    Wir sind:
    -nicht behindert
    -nicht "normal"
    -nicht krank
    -nicht gesund
    -haben auch wegen unseres Stotterns keine psychischen Dachschaden (gottseidank, sage ich!)
    -und brauchen trotzdem Rücksicht, Hilfe und Chancen.
    Vielleicht sollten wir uns doch nicht so sicher sein, "nicht behindert" zu sein?

    lg mi

    (Übrigens: Unter den "richtigen" Behinderten selbst gibt es immer wieder Abgrenzungskonflikte, wer denn der "bessere", der "echtere" Behinderte sei: Körperbehinderte gegen Sinnesbehinderte, schwer gegen leicht Behinderte.......
    Am meisten bekommen gerne die Menschen mit Lernschwierigkeiten ab, die können sich nicht wehren, und psychisch Kranke, denen hört normalerweise niemand zu, weil sie ja ..... sind.
    Und das alles, weil, siehe oben, die Behinderten von der Gesellschaft in eine kranke Situation gebracht wurden. Dabei schaue ich gerne auf mein behindertes Kind: Solange es so halbwegs seine kleine Welt in Ordnung halten kann, gönnt es allen alles und freut sich mit allen anderen liebend gerne mit. Die Welt könnte so einfach sein.)



    Re: Behindert?

    Freak - 20.01.2006, 12:51


    Ich denke, ich bin behindert, da mich das Stottern behindert.
    Allerdings kann man Stottern "heilen", also soweit verflüssigen, dass es einen nicht mehr behindert.
    Sollte es jemals soweit sein, dann werde ich mir den imaginären Stempel von der Stirn wischen.
    Einen Behindertenausweis möchte ich allerdings nicht, da das für mich ein Zeichen der Resignation ist.



    Re: Behindert?

    Tjure - 20.01.2006, 13:56


    Hallo Freak,

    du scheinst mir alles andere als ein Freak zu sein ;-)

    du schreibst:
    Allerdings kann man Stottern "heilen", also soweit verflüssigen, dass es einen nicht mehr behindert.


    mit diesem deinem Satz könnte all das Geschrei und Gezeter über das Thema "Heilung" als erledigt betrachtet werden.
    Eine wundersame Relativierung, die du da bringst.

    Gefällt mir.

    LG
    und schön dass du da bist

    Tjure



    Re: Behindert?

    Freak - 20.01.2006, 22:14


    Dankeschön. ;)

    Ich habe mal im Fernsehen "Speer und Er" gesehen. Eine Spielfilm-Dokumentation über Albert Speer, den "Architekten Hitlers".
    In diesem Film hat auch einer seiner Söhne als Zeitzeuge von den damaligen Begebenheiten berichtet, der heute um die 65 Jahre alt sein muss.

    In den Spielfilmelementen der Doku wird er als Stotterer dargestellt, der er auch war.
    Teilweise stottert er in den Szenen sehr heftig - auch stark tonisch.
    Und da der Dargestellte ja selbt im Film mitwirkt, denke ich, dass diese Szenen realitätsgetreu dargestellt sind.

    In den Interview-Szenen, in denen der heute ca. 65jährige spricht, merkt man immer noch ein leichtes Stottern. In vllt. jedem dritten Satz bleibt er für eine halbe Sekunde an einem Wort hängen.

    Und spätestens als ich das damals gesehen habe, habe ich mich vom Gedanken einer "magischen Heilung" verabschiedet und aufgehört das Stottern vor mir her und von mir weg zu schieben.

    Ich bin jetzt realistisch, aber keineswegs pessimistisch meinem Stottern gegenüber. Als Optimist geboren, wird sich wohl meinen Lebtag nichts an meiner optimistischen Lebensweise ändern. ;)
    Diese hat aber eben bei allem Nutzen auch allzuoft Verdrängung zur Folge, und zwar in Form der berühmten "Ach, wird schon gut gehen."-Einstellung.
    Und eben diese habe ich in einen Koffer gepackt, den ich so schnell nicht wieder öffnen möchte.

    Ich habe immer an meinem Stottern gearbeitet, aber, wenn ich ehrlich (!) zurückblicke, nie konsequent.
    Ich habe die ganzen Therapien eher an mir vorbeiziehen lassen und sie durchlaufen, weil es sein musste. Jedenfalls hatte ich das Gefühl des Zwanges.

    Jetzt möchte ich mein Stottern anpacken. Jeden Tag. Um irgendwann in allen Situationen so sprechen zu können wie der 65jährige Sohn von Albert Speer.
    Allerdings wäre es schön, wenn ich dieses Ziel weit vor meinem 65. Geburtstag erreichen würde.....

    Ich möchte es anpacken wie mein BodyBuilding, das ich seit einiger Zeit betreibe. Konsequent nach einem Trainingsplan trainieren und mich an den Erfolgen hochziehen und von ihnen motivieren lassen.

    Und...
    und...
    und...

    Wie ihr merkt, erzähle (bzw. schreibe) ich gerne. Vllt. etwas zu gerne. ;)

    Es gibt viel zu tun, packen wir's an.

    In diesem Sinne allen nochmal viel Erfolg,

    Freak.



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